7.3 Bedingte Wahrscheinlichkeit, stochastische Unabhängigkeit, Formel für die totale Wahrsch., Formel von Bayes Def. 7.3.1: Es seien A, B ⊂ Ω zwei Ereignisse mit P (A) > 0. Dann heißt: P (B/A) := P (B ∩ A) P (A) die bedingte Wahrscheinlichkeit von B unter der Bedingung A Def. 7.3.2: Zwei Ereignisse mit A, B ⊂ Ω heißen (stochastisch) unabhängig, wenn gilt: P (A ∩ B) = P (A) · P (B) Beispiel 7.3.1: 5 Würfe mit einem idealen Würfel Ereignis A: Bei den ersten 4 Würfen erscheint keine ”6” Wie groß ist die Warhscheinlichkeit, beim 5. Wurf (also danach) eine ”6” zu bekommen? Ist die Wahrscheinlichkeit grösser, kleiner oder gleich = 1/6 ? Sie ist = 1/6 ; denn die Ergebnisse der ersten 4 Würfe beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, beim 5. Wurf eine ”6” zu bekommen, nicht. Wir beschreiben noch einmal die Ereignisse: A: Es fällt bei den ersten 4 Würfen keine ”6” B: Es fällt beim 5. Wurf eine ”6” Wir halten fest: B ist ”unabhängig von A”, und es gilt P (A) > 0 und P (B/A) = P (B) ⇐⇒ P (A ∩ B) = P (B) ⇐⇒ P (A ∩ B) = P (A) · P (B) P (A) Die durch allgemeine Überlegungen gewonnenen Unabhängigkeit der Ereignisse wollen wir nun auch rechnerisch bestätigen: P (A) = 54 · 6 54 Zahl der günstigen Fälle = 5 = 4 Zahl der möglichen Fälle 6 6 1 64 · 1 = 5 6 6 4 5 ·1 P (A ∩ B) = 5 = P (A) · P (B) 6 Beispiel 7.3.2: 2 Würfe mit einem idealem Würfel Ereignis A: Beim ersten 1. Wurf fällt eine ”6” Ereignis B: Die Summe der Augenzahlen ist ≥ 10 P (B) = Ω = {(1, 1), (1, 2), . . . , (1, 6), (2, 1), (2, 2), . . . , (6, 6)} B = {(4, 6), (5, 5), (5, 6), (6, 4), (6, 5), (6, 6)} 6 1 cardB = = cardΩ 36 6 ↑ idealer Würfel P (B) = A sei eingetreten; dies ist nach dem 1. Wurf feststellbar. Mögliche Ergebnisse sind dann: {(6, 1), (6, 2), (6, 3), (6, 4), (6, 5), (6, 6)} = A , 67 davon sind für B günstige Ergebnisse: {(6, 4), (6, 5), 6, 6)} = A ∩ B Die Wahrscheinlichkeit von B, wenn wir wissen, dass A eingetreten ist, beträgt dann cardA ∩ B cardA ∩ B cardΩ P (A ∩ B) 3 = · = = cardA cardΩ cardA P (A) 6 Dass A und B nicht unabhängig sind, ist leicht rechnerisch zu bestätigen: P (A) = P (B) = 6 1 3 1 = (vergl. o.) =⇒ P (A ∩ B) = 6= = P (A) · P (B) 36 6 36 36 Satz 7.3.1: Für bedingte Wahrscheinlichkeiten bzgl. eines festen Ereignises gelten die Regeln in Def. 7.2.7 und in den Sätzen 7.2.1,2, z.B. P (B/A) = 1 − P (B/A). Satz 7.3.2 (Multiplikationssatz): A, B ⊂ Ω seien zwei Ereignisse mit P (A) > 0 . Dann gilt: P (B ∩ A) = P (B/A) · P (A) Beispiel 7.3.4: In einer Urne liegen 5 schwarze und 10 weiße Kugeln. Wir ziehen zweimal o.Z. eine Kugel; die Voraussetzungen von Satz 7.2.3 seien erfüllt. Ereignisse: A: weiße Kugel bei der 1. Ziehung B: schwarze Kugel bei der 2. Ziehung P (B ∩ A) = ? 10 , P (A) = 15 P (B/A) = Wahrscheinlichkeit für eine schwarze Kugel bei der 2. Ziehung, wenn bei der 1. Ziehung eine weiße Kugel gezogen wurde, = Zahl der schwarzen Kugeln in der Urne nach 1. Ziehung 5 = 14 Gesamtzahl der Kugeln in der Urne nach 1. Ziehung =⇒ P (B ∩ A) = P (B/A) · P (A) = 10 5 · = 0.238 15 14 Def. 7.3.3: Die Ereignisse A1 , A2 , . . . An bilden ein vollständiges System, wenn gilt: a) A1 ∪ A2 ∪ . . . ∪ An = Ω (sicheres Ereignis) b) Ai ∩ Aj = ∅ für alle i 6= j (paarweise disjunkt) Satz 7.3.3: A1 , A2 , . . . , An bilden ein vollständiges System von Ereignissen, und B sei ein weiteres Ereignis. Weiterhin gelte P (Ai ) > 0 für alle i = 1, 2, . . . , n. Dann gilt die Formel für die totale Wahrscheinlichkeit: n P P (B) = P (B/Ai ) · P (Ai ) i=1 Beweis von Satz 7.3.3 für n = 2: Voraussetzungen: (1) A1 ∪ A2 = Ω 68 . (2) (3) A1 ∩ A2 = ∅ P (A1 ), P (A2 ) > 0 B⊂Ω (1) P (B) = P (B ∩ Ω) = P (B ∩ (A1 ∪ A2 )) = P ((B ∩ A1 ) ∪ (B ∩ A2 )) (2) =⇒ (B ∩ A1 ) ∩ (B ∩ A2 ) = ∅ =⇒ P (B) Def.7.2.7 = P (B ∩ A1 ) + P (B ∩ A2 ) Satz 7.3.2 = ) P (B/A1 ) · P (A1 ) + P (B/A2 ) · P (A2 ) Beispiel 7.3.5: Es werden 2 Drehautomaten (M1 und M2 ) eingesetzt, die die gleichen Maschinenteile herstellen: M1 : erwarteter Anteil an Gesamtproduktion: 60%; defekte Stücke 1% M2 : erwarteter Anteil an Gesamtproduktion: 40%; defekte Stücke 1.5% Diese Daten interpretieren wir in der nachfolgenden Rechnung als Wahrscheinlichkeiten bzw. bedingte Wahrscheinlichkeiten. Wie groß ist nun die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses B: “Ein zufällig herausgegriffenes Stück ist defekt”? Wir brauchen dazu Wahrscheinlichkeiten bzw. bedingte Wahrscheinlichkeiten von weiteren Ereignissen: A1 : Ein zufällig herausgegriffenes Stück wurde von M1 produziert A2 : Ein zufällig herausgegriffenes Stück wurde von M2 produziert A1 ∪ A2 = Ω (sicheres Ereignis), da nur M1 und M2 die Stücke produzieren. A1 ∩ A2 = ∅, da entweder M1 oder M2 Stücke produzieren. P (A1 ) = 0.6 > 0 , P (A2 ) = 0.4 > 0 Die Voraussetzungen von Satz 4.3.3 sind also erfüllt, und wir erhalten P (B) = P (B/A1 ) · P (A1 ) + P (B/A2 ) · P (A2 ) = 0.01 · 0.6 + 0.015 · 0.4 = 0.012=1.2% ˆ Satz 7.3.4: Es gelten die Voraussetzungen von Satz 7.3.3 und P (B/Ai ) > 0 für mindestens ein i. Dann gilt die Formel von Bayes: P (Ai /B) = Beweis: P (Ai /B) := P (Ai ∩ B) P (B) Satz 7.3.2 = P (B/Ai )P (Ai ) P (B/Ai ) · P (Ai ) = Pn P (B) j=1 P (B/Aj )P (Aj ) P (B/Ai ) · P (Ai ) P (B) Satz 7.3.3 = P (B/Ai )P (Ai ) Pn j=1 P (B/Aj )P (Aj ) Beispiel 7.3.6: In einer Firma sei eine Alarmanlage installiert, von der man folgende Daten kennt (die sich auf eine zufällig herausgegriffene Nacht beziehen): Bei Einbruch gibt sie mit 99% Wahrscheinlicheit Alarm. Ohne Einbruch gibt sie mit 0.5% Wahrscheinlicheit Alarm. Einbruch finde mit 0.1% Wahrscheinlichkeit statt. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eines Einbruchs bei Alarm ? Ereignisse: A1 : Einbruch 69 A2 := A1 : kein Einbruch B: Alarm Gegeben sind folgende Wahrscheinlichkeiten: P (A1 ) = 0.001 =⇒ P (A2 ) = 0.999 P (B/A1 ) = 0.990 , P (B/A2 ) = 0.005 P (A1 /B) = ? A1 , A2 bilden ein vollständiges System; denn: A1 ∩ A2 = A1 ∩ A1 = ∅ ∧ A1 ∪ A2 = A1 ∪ A1 = sicheres Ereignis P (A1 ), P (A2 ) > 0, P (B/A1 ) > 0 Die Vorausetzungen von Satz 7.3.3 und von Satz 7.3.4 sind also erfüllt, und damit gilt nach Satz 7.3.4: P (A1 /B) = P (B/A1 ) · P (A1 ) 0.990 · 0.001 = = 0.1654 P (B/A1 ) · P (A1 ) + P (B/A2 ) · P (A2 ) 0.990 · 0.001 + 0.005 · 0.999 Def. 7.3.4: Die Ereignisse A1 , A2 , . . . , An ⊂ Ω heißen: a) paarweise unabhängig, wenn gilt: P (Ai ∩ Aj ) = P (Ai ) · P (Aj ) für alle i 6= j b) (insgesamt) unabhängig, wenn für jedes k ≤ n und für jede Kombination von Zahlen 1 ≤ j1 < j2 < . . . < jk ≤ n gilt: P (Aj 1 ∩ Aj 2 ∩ . . . ∩ Aj k ) = P (Aj 1 ) · P (Aj 2 ) · · · P (Aj k ) Bem.: b) ⇒ a) aber a) 6⇒ b) 70