Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen 2. Segeberger Workshop für Kinder- und Jugendgesundheit am 5.11.2008 Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 1 Allgemeine Fakten für Deutschland: 28 Mio Frauen und 21 Mio Männer geben Kopfschmerzen als eine bedeutende Gesundheitsstörung an 4 Mio Menschen (5% der Bevölkerung) haben tägliche Kopfschmerzen 3 Milliarden Einzeldosen Schmerzmedikamente werden jährlich verbraucht, 85% davon wegen Kopfschmerz Durchschnittlich nimmt jeder Deutsche 1x/Woche ein Schmerzmedikament ein, 5% der Bevölkerung sogar täglich 30% der dialysepflichtigen Nierenschäden sind auf eine inadäquate Schmerzmitteltherapie zurückzuführen Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 2 Daten und Fakten zu Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen: 10-15% aller Kinder machen bereits in den ersten 6 Lebensjahren KS-Erfahrung, 80% in den ersten 10 Lj., 90% bis zum 12. Lj. 60% der Kinder leiden unter Spannungskopfschmerz, 10% unter Migräne, 30% der KS lassen sich nicht sofort zuordnen Die Migränehäufigkeit hat sich bei Kindern in den letzten 4 Jahrzehnten verdreifacht Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 3 Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft unterscheidet 251 Kopfschmerzarten Unterteilung in 2 Hauptgruppen: Primärer Kopfschmerz Sekundärer Kopfschmerz Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 4 Primärer Kopfschmerz: - - Eigenständiger Kopfschmerz, dem keine andere organische Erkrankung zugrunde liegt. Über 92 % aller KS-Leiden gehören in diese Gruppe Der häufigste primäre KS ist der KS vom Spannungstyp gefolgt von der Migräne Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 5 Sekundärer Kopfschmerz: - - Symptomatischer KS als Warnsignal einer anderen Krankheit oder Funktionsstörung z.B. Erkältung, Sinusitis, Meningitis, Sehschwäche, Blutdruckschwankung, Hirntumor Sekundäre KS verschwinden wieder nach Behandlung der Ursache Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 6 Die Diagnose stellt der Kinderarzt Hilfsmittel hierfü hierfür kö können sein: Kopfschmerzkalender Eigen- und Fremdanamnese Körperliche Untersuchung Fachärztl. Zusatzuntersuchungen (z.B. neurol.,augenärztl.,HNO, zahnärztl.,orthop.) Apparative Diagnostik (EEG,CCT,MRT...) Laborchemische Untersuchung Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 7 Migräne Prävalenz: 15% aller Frauen, 7% aller Männer, 2-5% aller Grundschulkinder Attackenförmiger Kopfschmerz Dauer: 4-72 Stunden Lokalisation: einseitig Charakter: pulsierend Intensität: mittel bis stark Schmerzverstärkung durch Routineaktivitäten Begleitsymptome: Übelkeit/Erbrechen, Licht und Lärmempfindlichkeit Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 8 Zeitl. Ablauf einer Migräneattacke: 1. Ankündigungsphase: 1-3 Tage vor KS-Beginn 2. Aura (10% der Migränepatienten): 30-60 min vor KS-Beginn 3. KS-Phase: 4-72 Stunden 4. Erholungsphase: 1-2 Tage nach KS-Ende Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 9 Kindertypische Migräne: - nur ca. 20% einseitig, meist gesamte Stirn Anfallsdauer meistens unter 3 Stunden (1-72 h) können den KS oftmals „wegschlafen“ Bauchschmerzen und Übelkeit können im Vordergrund stehen Typisches Verhalten im Anfall: Kinder hören auf zu spielen, sind außergewöhnlich still, insgesamt kranker blasser Eindruck, scheuen Licht, zucken bei Lärm zusammen, wollen sich hinlegen Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 10 Migräneäquivalente bei Kindern: Zyklisches Erbrechen 2. Abdominelle Migräne 3. Gutartiger paroxysmaler Schwindel in der Kindheit 1. Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 11 Ursache der Migräne angeborene Reizverarbeitungsstö Reizverarbeitungsstörung: rung =>Das Gehirn kann auf Reize nicht habituieren =>Überlastung durch vielfältige Reize (Trigger) =>Energiedefizit der Nervenzellen mit Zusammenbruch der Nervenfunktion =>Freisetzung schmerzauslösender Botenstoffe =>neurogene Entzündungsreaktion mit Migräneschmerz Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 12 Beispiele möglicher Migränetrigger Körperliche Stressoren: Blutzuckerschwankung Unregelmäßige Bettzeiten Menstruation Zuviel TV/Computer Licht/Lärm/Gerüche Nahrungsmittel/Alkohol Wetterumschwung Körperliche Erschöpfung Psychische Stressoren: Leistungsdruck Traurige oder enttäuschende Situationen Ängste und Sorgen Freude und Rührung Depressionen Erregung und Ärger Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 13 Nicht-medikamentöse Therapie: In der Attacke Reizabschirmung Trigger erkennen und ausschalten: z.B. Regelmäßigkeit von Essen, Trinkmenge, Schlaf, Pausen, leichter Ausdauersport, Vermeidung von triggerstoffreicher Ernährung (Glutamat, Aspartam, ggf. Laktose, Tyramin, Anandamide) Entspannungsverfahren (z.B. PME nach Jakobsen) Biofeedback Akupunktur, Akupressur Psychotherapeut. Verfahren, Verhaltensmedizin. Programme Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 14 medikamentöse Therapie: Attackenbehandlung: gegen Übelkeit bei Kleinkindern z.B. Vomex A ab 12 J. (ab 35 kg) z.B. Motilium ab 15 J. z.B. Metoclopramid gegen Schmerz Paracetamol ca. 15 mg/kg KG Ibuprofen ca. 10 mg/kg KG ab 12 J. Imigran Nasenspray 10 mg Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 15 medikamentöse Therapie: Prophylaktische Behandlung (Vorbeugung): Indikation: Bei >2-3 Attacken/Monat, Dauer >2 Tage oder Schmerzmittel nicht effektiv Metoprolol 1x 50-100mg abends (cave Asthma) Flunarizin 1x 5mg abends (cave Übergewicht, Verordnung nur durch den Spezialisten) Pestwurzextrakt (Petadolex) 2x 75mg täglich Dauer der Behandlung: ca. 3-6 Monate Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 16 Kopfschmerz vom Spannungstyp Prävalenz: episodisch 38-77%, chronisch 3% der Bevölkerung Episodisch < 15 Tage / Monat Chronisch > 15 Tage / Monat Dauer: 30 min bis 7 Tage Lokalisation: beidseitig Charakter: drückend, ziehend Intensität: leicht bis mäßig Übliche Tagesaktivitäten sind weiter möglich, im Unterricht fallen Kinder durch Unaufmerksamkeit, Unleidlichkeit oder motorische Unruhe auf. Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 17 Ursachen von Spannungskopfschmerzen: Störung im schmerzverarbeitenden System des ZNS, was zu einer sinkenden Schmerzschwelle führt Bereitschaft, auf Überlastung durch verschiedene innere und äußere Faktoren mit Daueranspannung und Kopfschmerz zu reagieren Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 18 Beispiele für innere und äußere Faktoren: muskuläre Verspannung Funktionsstörung des Kauapparates Ängste Depressionen Psychosoziale Belastungen u.a. Bei der Entstehung von SpannungsKS handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 19 Nicht-medikamentöse Behandlung des Spannungskopfschmerzes: Pfefferminzöl Stirn kühlen, Nacken wärmen TENS ab 6 Jahre Entspannungsverfahren (z.B. PME, Phantasiereisen) Biofeedback Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung Dehnungs- und Kräftigungsübungen der SchulterNacken-Muskulatur Psychotherapie, Verhaltenstherapeut. Programm Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 20 Medikamentöse Behandlung des Spannungskopfschmerzes: zunächst Ausschöpfen der nichtmedikamentösen Maßnahmen ! Pfefferminzöl Ibuprofen ca. 10 mg/kg KG Paracetamol ca. 15 mg/kg KG Als Prophylaxe bei chronischem Spannungskopfschmerz Amitriptylin 10 mg abends für ca. 6 Monate, ggf. tropfenweise einschleichen Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 21 Handlungstips für Eltern: Abklärung der Diagnose beim Kinderarzt nur Medikamente geben, die mit dem Arzt abgesprochen sind Fragen Sie nicht ständig nach, ob Ihr Kind KS hat (cave Fixierung), reagieren Sie nur auf direkte Auskünfte des Kindes Schreibtisch ergonomisch gestalten, nicht direkt ans Fenster stellen (cave wechselnder Lichteinfall) Achten Sie auf feste Mahlzeiten und Pausenbrot Klare Absprachen bzgl. TV und Computer Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 22 Handlungstips für Eltern: Feste Aufsteh- und Zubettgehzeiten (auch am Wochenende !) Leichten Ausdauersport ggf. mit der Familie zusammen betreiben Erholungspausen planen, auch im Rahmen der Freizeitgestaltung Seien Sie Vorbild bzgl. Umgang mit Schmerzen, Ernährung, Pausen machen, Sport usw. „Co-therapeutische“ Aufgaben: unterstützen Sie Ihr Kind bei der TENS-Anwendung, event. anstehenden Ernährungsumstellung, Medikamenteneinnahme, erinnern Sie es an das Führen des KS-Kalenders Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 23 Handlungstips für den pädagogischen Umgang: Schenken Sie dem Kind Glauben Bitte bei Migräne Reizabschirmung im Sanitätsraum, tröstender Zuspruch, Möglichkeit zur Medikamenteneinnahme geben Bei SpannungsKS zur Bewegung an der frischen Luft ermuntern bitte achten Sie darauf, dass die Kinder ihre Pausenbrote essen Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 24 Handlungstips für den pädagogischen Umgang: Denken Sie an das regelmäßige Stoß- und Querlüften des Klassenraumes (cave CO2) Lassen Sie in den Unterricht Elemente der PME oder anderer Entspannungsformen einfließen (cave: kein Autogenes Training während einer Migräneattacke!) Nehmen Sie Kontakt zu den Eltern auf, wenn ein Kind wegen KS viele Fehlzeiten hat (schulische Ursache wie z.B. Angst vor Lehrern, Mitschülern, Überforderung?) Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 25 Dr. med. Sylvia Hakimpour-Zern 26