Bitterstoffdrogen – Appetitanreger für große und kleine Pflanzenfresser Dr. med. vet. Elisabeth Stöger Praktische Tierärztin, Feldkirchen in Kärnten, Österreich In der Geschichte der Medizin spielten die Bitterstoffdrogen bei Mensch und Tier eine sehr wichtige Rolle und die „Tinctura amara“, ein Auszug aus verschiedenen Bitterstoffdrogen, wurde geradezu als ein Allheilmittel gegen eine große Zahl von Krankheiten und Störungen gesehen. Schließlich bekamen wir selber als Kinder zu hören, dass nur eine bitter schmeckende Medizin auch wirksam sei. Ausgehend vom Menschen Die Phytotherapie bei Tieren ist häufig eine Übertragung von Erfahrungen beim Menschen. Wie die für uns bitter schmeckenden Pflanzen und Substanzen von den verschiedenen Tierarten (Herbivora, Carnivora, Omnivora) wahrgenommen werden, ist schwer zu eruieren. Trotzdem lässt sich aus der Beobachtung sehr deutlich eine unterschiedliche Akzeptanz von Bitterstoffen feststellen. Von unseren Haussäugetieren ist eindeutig die Katze am empfindlichsten auf bitteren Geschmack und jeder, der einer Katze eine solche Substanz versuchte einzugeben, weiß von heftigen Abwehrreaktionen und intensivem Speichelfluss zu berichten. Auch Hunde zeigen recht deutlich ihre Abneigung gegen den bitteren Geschmack. Dagegen sind die Pflanzenfresser den „Umgang“ mit bitteren Futterpflanzen gewohnt und scheinen manchmal ein regelrechtes Verlangen danach zu haben. Bitterwerte Die Bitterstoffe weisen sehr unterschiedliche Strukturen auf, sodass keine gesicherten Vorstellungen über den Zusammenhang von Bitterwirkung und chemischer Struktur bestehen. Damit ist eine chemische Gehaltsbestimmung von Bitterstoffdrogen nicht möglich, was bedeutet, dass eine Wertbestimmung der Drogen nur durch eine Geschmacksprüfung möglich ist. Es wird die Grenzkonzentration ermittelt, bei welcher der bittere Geschmack eines Drogenextraktes noch wahrnehmbar ist. Der Bitterwert ist der reziproke Wert derjenigen Konzentration einer Droge, die eben noch bitter schmeckt. Als „Eichdroge“, um die individuellen Empfindlichkeit auszugleichen, wird Chininhydrochlorid mit einem Bitterwert von 200 000 verwendet. Ein Bitterwert von 10 000 bedeutet, dass ein Extrakt von 1g Droge in 10 000 ml Wasser noch bitter schmeckt. Die Wirkung von Bitterstoffen Verdauungstrakt Alle Bitterstoffdrogen haben eine Wirkung auf den Verdauungstrakt: Über Sinnesreize auf der Zunge kommt es über Vermittlung des Großhirns zu einer Magensaftsekretion (enzephale Phase). Das Abschlucken der bitteren Substanz löst im Magen die Ausschüttung von Gastrin und die Verstärkung der Sekretion und Motilität des Magens aus (gastrische und humorale Phase). Damit kommt es zu einer Anregung des Appetits und zur Verbesserung der Verdauung im Magen. Auch die nachfolgenden Verdauungsvorgänge werden positiv beeinflusst: verstärkte Pankreas- und Gallensaftausschüttung und angeregte Darmmotilität (enterale Phase). Die Sekretionszunahme durch Bitterstoffe beträgt zwischen 20 und 80%! Wesentlich ist aber die Aufnahme der Bitterstoffe ca. 30 Minuten vor dem Essen. Herzwirkung und Wirkung auf die Haut Weniger bekannt ist die Wirkung von einigen Bitterstoffdrogen auf andere Organsysteme. Besonders dem Herzgespannkraut, Leonorus cardiaca L. (Laminaceae), wird eine negativ chronotrope und positiv inotrope Wirkung zugeschrieben. Die Pflanze wird bei nervösen Herzbeschwerden und Schilddrüsenüberfunktion eingesetzt und gilt als Hausmittel gegen Angst, Unruhe und Verdauungsbeschwerden. Referatesammlung -1- Tagungstitel Die Haut ist nicht nur der Spiegel der Seele, sondern auch der Spiegel der Verdauung. So kann beobachtet werden, dass die Störung von Darm-, Gallen- und Lebertätigkeit zu Hautproblemen führen kann. Wenn durch die Wirkung von Bitterstoffdrogen diese Organe wieder zu ihrer normalen Sekretion und Tätigkeit angeregt werden, wird es in der Folge zu einer Verbesserung des Hautleidens kommen. Tonikum und Muntermacher Durch die Anregung der Verdauungssäfte werden die Bitterstoffdrogen bei Achylie, Antacidität, Hypacidität, Appetitlosigkeit und dyspeptischen Beschwerden bekanntermaßen eingesetzt. Dass diese Anregung der Säfte auch zurück auf das Nervensystem wirkt und damit auch in diesem Bereich zu einer Tonisierung führt, findet man zwar kaum in der Literatur beschrieben, kann aber jeder bei sich selbst beobachten. Besonders dieser Effekt spricht für die Anwendung bei unseren Patienten: Die Bitterstoffdrogen sind geeignet, daniederliegende Kräfte zu aktivieren. Anwendung beim Tier Bitterstoffe eignen sich zur Anwendung bei allen Pflanzenfressern, beim Schwein und teilweise auch beim Hund. Bei der Katze sollen sie nicht angewendet werden. Gerade bei unseren stark geforderten oder oft auch überforderten Rindern und Schweinen kann ein „Darniederliegen der Kräfte“ in manchen Phasen des Lebens beobachtet werden. Nach Geburten oder postoperativ können 3 Liter handwarmer Enzian- oder Tausendgüldenkrauttee ein Rind „aufwecken“ und sogar zum Aufstehen bewegen. Die Verordnung eines „Gallentees“ für die Kuh oder die Sau hat bei den Landwirten immer die Bemerkung hervorgerufen: Das wird sie nie saufen! Zur Überraschung aller zeigten jedoch Kühe und auch manche Schweine in dieser Erschöpfungsphase geradezu ein Verlangen nach dem bitteren Tee. Bei Schweinen, die den Tee nicht freiwillig aufnahmen, wurden 20-100 ml davon mit einer Spritze ins Maul gespritzt. Nach der Verabreichung zeigten die Tiere eine größere Wachheit und mehr Appetit. Als Folge von Fütterungsfehlern leiden Kaninchen und Meerschweinchen oft unter Verdauungsschwäche und Blähungen. Hier können 5-20 Tropfen einer verdünnten Amara-Tinktur oder einige ml eines bitteren Tees die Verdauungssäfte anregen und die Stagnation im Verdauungstrakt überwinden. Damit steigt auch das Wohlbefinden und die Aktivität. Die Tiere beginnen wieder zur fressen. Bitterstoffdrogen können sowohl als Begleittherapie oder als Einzeltherapie angewendet werden. Sowohl Fertigpräparate als auch selbst hergestellte Teemischungen sind geeignet. Bitterstoffdrogen sind kontraindiziert bei Hyperazidität, Gastritis sowie bei Ulcus ventriculi und Ulcus duodeni. Literatur Aichberger L et al: Kräuter für Nutz- und Heimtiere, Eigenverlag, 2006 Bühring U: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde, Haug, 2011. Weiss R.-F., Fintelmann V: Lehrbuch der Phytotherapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 2009. Tab.1: Einige wichtige Bitterstoffdrogen Gentianaceae: Gentianae radix, Enzianwurzel (Gentiana lutea) Centaurii herba, Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea) Asteraceae: Herba Cardui benedicti, Benediktenkraut (Cnicus benedictus) Herba Absinthii, Wermutkraut (Artemisia absinthium) Radix Taraxaci, Gemeiner Löwenzahn, (Taraxacum officinale) Lamiaceae: Leonorus cardiaca, Herzgespannkraut Marrubium vulgare, Andornkraut Teucrium marum, Gamanderkraut Referatesammlung -2- Tagungstitel