Gibt es einen vierten parasexuellen Vorgang bei Bakterien?

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G
M I K RO B I O LO G I E
A B B . Bakterien
tauschen cytoplasmatische
Inhalte auch
über bislang
unbekannte,
interzelluläre
Nanotubes aus.
Bild: aus G. P.
Dubey, Cell 2011,
144, 590–600.
Gibt es einen vierten parasexuellen
Vorgang bei Bakterien?
Bakterien verfügen über drei verschiedene Mechanismen, um DNA
aufzunehmen: Transformation, Transduktion und Konjugation. Nun
wurde ein vierter Weg der Kommunikation festgestellt: Über Nanotubes, dünne Fortsätze aus Zellwandmaterial und anderen Bestandteilen, können Bakterien derselben oder verschiedener Spezies Kontakt
aufnehmen.
Der erste Mechanismus, die
Transformation, wurde 1944 von
O. Avery und Mitarbeitern beschrieben [1]. Sie haben Zellen eines apathogenen PneumokokkenStammes mit isolierter DNA eines
pathogenen Stammes gemischt
und konnten dann pathogene
Zellen isolieren. Der apathogene
Stamm musste die DNA des pathogenen aufgenommen und die für
die Pathogenität verantwortlichen
Gene in das eigene Chromosom
integriert haben. Einen Sonderfall
der Transformation stellt die Aufnahme von DNA durch Membranvesikel dar [5]. Viele gramnegative
Bakterien (z. B. Pseudomomas,
Escherichia, Neisseria, Haemophilus) schnüren Membranvesikel
ab, die aus Phospholipiden, LPS
und Proteinen der äußeren Membran bestehen und periplasmatisches Material und manchmal auch
DNA enthalten. Diese Vesikel können mit der äußeren Membran von
Rezipienten-Zellen verschmelzen
und so die DNA in das Periplasma
entlassen. Von dort gelangen sie
über einen noch unbekannten
Mechanismus ins Cytoplasma.
Der zweite Mechanismus, die
Transduktion, wurde 1952 von
N. Zinder und J. Lederberg bei der
Ursache von genetischer Rekombination bei Salmonella entdeckt
[6]. Sie konnten ein DNase-resistentes, filtrierbares Agens nachweisen, welches später als der Bacteriophage P22 identifiziert wurde.
Transduzierende Phagen verpacken anstelle ihrer eigenen DNA
Bakterien-DNA in den Phagen-
Kopf, die nach Infektion von sensitiven Bakterien in diese injiziert
wird und dann mit der chromosomalen DNA rekombinieren kann.
Ein Jahr später, 1953, wurde der
dritte Mechanismus, die Konjugation entdeckt [2, 5]. Unter Konjugation versteht man den Mechanismus der Übertragung von PlasmidDNA von einer Zelle, der DonorZelle, in die Rezipienten-Zelle.
Diese Entdeckungen liegen
mehr als 50 Jahre zurück. Daher
war es eine große Überraschung,
als im Februar 2011 ein neuer Mechanismus beschrieben wurde, der
vermutlich als vierter in die Lehrbücher eingehen wird. Er beruht
auf der Ausbildung von interzellulären Nanotubes zwischen Bakterienzellen der gleichen und verschiedenen Spezies [3]. Diese Nanotubes sind bis zu 1 µm lang und
besitzen einen Durchmesser von
30–130 nm. Die exakte Zusammensetzung der Nanotubes ist noch
unbekannt. Sie enthalten Zellwandmaterial, Phospholipide und
cytoplasmatische Bestandteile. Entdeckt wurden die Nanotubes bei
der Suche nach einem neuen Kommunikationssystem bei B. subtilis.
Zwei verschiedene Stämme wurden in unmittelbarer Nachbarschaft auf Agar-Platten inkubiert.
Ein Stamm enthielt das Gen für
das grün-fluoreszierende Protein
(GFP), der andere nicht. Mittels
Fluoreszenz-Mikroskopie konnte
beobachtet werden, dass die
Nicht-Produzenten ein schwaches
Fluoreszenzsignal aufgenommen
hatten. In weiteren Experimenten
© 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
konnte gezeigt werden, dass GFP
auch in Zellen von Escherichia
coli und Staphylococcus aureus
übertragen werden konnte. Bei
der Suche nach dem Übertragungsweg wurden dann die Nanotubes
entdeckt (siehe Abbildung). Neben
Proteinen und mRNA können auch
nicht-konjugative Plasmide von
einer Zelle in eine andere übertragen werden. Diese Entdeckung hat
viele spannende Fragen aufgeworfen: Unter welchen Bedingungen
werden diese Nanotubes ausgebildet? Erfolgt die Übertragung von
Molekülen nur in eine Richtung
oder in beide? Kann jedes cytoplasmatische Protein übertragen
werden oder erfolgt eine Selektion? Ist der Transport energieabhängig oder passiv und beruht auf
Diffusion? Welche Gene codieren
für die Bestandteile der Nanotubes? Wie weit sind sie bei den Bakterien verbreitet? Können die Nanotubes produzierenden Bakterien
mit allen anderen Spezies Kontakt
aufnehmen und Moleküle übertragen? Und schließlich: Was ist die
biologische Bedeutung dieses
Übertragungsmechanismus?
[1] O. Avery, J. Exp. Med. 1944, 79, 137–158.
[2] L. L. Cavalli, J. Gen. Microbiol. 1953, 8,
89–103.
[3] G. P. Dubey, Cell 2011, 144, 590–600.
[4] W. Hayes, J. Gen. Microbiol. 1953, 8,
72–88.
[5] M. Renelli, Microbiol. 2004, 150,
2161–2169.
[6] N. D. Zinder, J. Lederberg, J. Bacteriol.
1952, 64, 679–699.
www.biuz.de
Wolfgang Schumann,
Universität Bayreuth,
[email protected]
1/2012 (42)
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