Gruppentherapeutische Behandlung der anhaltenden Trauerstörung Ruth Rossi, Psychologische Psychotherapeutin Schön Klinik Roseneck Ina Englbrecht, Psychologische Psychotherapeutin Schön Klinik Roseneck Symposium „Depression – Perspektiven heute“, Schön Klinik Roseneck, 23. September 2016 Inhalte des Workshops 1. Diagnostik Integrierte Trauer vs. Anhaltende Trauerstörung DSM-IV, DSM-5 & ICD-10, ICD-11 Komorbidität, Differentialdiagnostik Messinstrumente 2. Epidemiologie 3. Erklärungsmodelle 4. Behandlungsansätze in der Einzeltherapie 5. Behandlung in der Gruppe: Vorstellung unserer Trauergruppe © 2016 Schön Klinik Seite 2 Akute Trauerreaktion Akute Trauerreaktion Verlauf Intensives Gefühl von Trauer Symptomatik Sehnsucht oder Verlangen nach dem Verstorbenen Sehr häufige Gedanken an den Verstorbenen oder Bilder, teilweise auditive, visuelle Halluzinationen Widerstand, den Tod zu akzeptieren (Protest) sowie Gefühle von Bitterkeit oder Wut Starke somatische Reaktionen Lebensmüde Gedanken / Todessehnsucht Tiefe Traurigkeit, mit episodischen Weinkrämpfen abwechselnd mit Erleben angenehmer Emotionen (Liebe, Zuneigung) Gefühl des Getrenntseins oder der Indifferenz Gesundheit Kurzfristiges Auftreten psychischer und somatischer Störungen Soziale Folgen Kurzfristiger Rückzug aus dem gewohnten sozialen Umfeld, Einbußen im Bereich des beruflichen Funktionierens © 2016 Schön Klinik Seite 3 Akute Trauerreaktion vs. integrierte Trauer Akute Trauerreaktion Integrierte Trauer Verlauf Intensives Gefühl von Trauer Abnahme der Intensität der gefühlten Trauer Anpassung an die neue Wirklichkeit Stark von kulturellen Normen geprägt Symptomatik Sehnsucht oder Verlangen nach dem Verstorbenen Allmähliche Abnahme des Verlustschmerzes Lebensmüde Gedanken/ Todessehnsucht Abnahme von Gedanken an und Bildern des Verstorbenen Tiefe Traurigkeit, mit episodischen Weinkrämpfen im Wechsel mit Erleben angenehmer Emotionen (Liebe, Zuneigung) Zurückgewinnung von Interessen Abnahme von Traurigkeits- und Sehnsuchtsgefühlen Sehr häufige Gedanken an den Verstorbenen bzw. Bilder; Intrusionen Akuter, kurzfristiger Anstieg der Trauergefühle bei bestimmten Anlässen Widerstand, den Tod zu akzeptieren (Protest) sowie Gefühle von Bitterkeit oder Wut Abnahme Einsamkeitsgefühle Starke somatische Reaktionen Gefühl des Getrenntseins oder der Indifferenz Gesundheit Kurzfristiges Auftreten psychischer und somatischer Störungen Langfristig keine gesundheitlichen Folgen Soziale Folgen Kurzfristiger Rückzug aus dem gewohnten sozialen Umfeld, Einbußen im Bereich des beruflichen Funktionierens Langfristig keine negativen sozialen Folgen © 2016 Schön Klinik Seite 4 Akute Trauerreaktion vs. anhaltende Trauerstörung Verlauf Akute Trauerreaktion Anhaltende Trauerstörung Intensives Gefühl von Trauer Symptomatik Sehnsucht oder Verlangen nach dem Verstorbenen Sehr häufige Gedanken an den Verstorbenen bzw. Bilder; Intrusionen Widerstand, den Tod zu akzeptieren (Protest) sowie Gefühle von Bitterkeit oder Wut Starke somatische Reaktionen Lebensmüde Gedanken/ Todessehnsucht Keine Abnahme – sogar Intensivierung – der Symptome auch 6 Monate danach Intensivierung hält mindestens 1 Monat an Keine Anpassung an neue Wirklichkeit Intensivierung bzw. Chronifizierung der Symptomatik einer akuten Trauerreaktion Tiefe Traurigkeit, mit episodischen Weinkrämpfen im Wechsel mit Erleben angenehmer Emotionen (Liebe, Zuneigung) Gefühl des Getrenntseins oder der Indifferenz Gesundheit Kurzfristiges Auftreten psychischer und somatischer Störungen Chronifizierung/ Intensivierung somatischer und psychischer Erkrankungen Soziale Folgen Kurzfristiger Rückzug aus dem gewohnten sozialen Umfeld, Einbußen im Bereich des beruflichen Funktionierens Andauernde Vernachlässigung des sozialen Netzes, Einbußen im Bereich des beruflichen Funktionierens und Vereinsamung © 2016 Schön Klinik Seite 5 Entwicklung des Begriffs „Anhaltende Trauerstörung“ morbid grief reactions (Lindemann, 1944) Abnormal grief (Pasnau, Fawney, & Fawney, 1987) traumatic grief bzw. traumatische Trauer (Jacobs, 1999; Prigerson et al., 1997; Shear et al., 2001) complicated grief oder komplizierte Trauer (Horowitz et al., 1997) © 2016 Schön Klinik Seite 6 Bisherige Kodierung der Anhaltenden Trauerstörung F34.1 Dysthymia F34.21 längere depressive Reaktion F34.9 nicht näher bezeichnete anhaltende affektive Störung F38.8 andere affektive Störungen F43.0 Akute Belastungsstörung F43.1 PTSD F43.2 Anpassungsstörung F43.22 Angst und depressive Reaktion gemischt F43.23 mit vorwiegender Störung von anderen Gefühlen © 2016 Schön Klinik Seite 7 Vorschläge für diagnostische Kriterien für die verlängerte Trauer in ICD-11 und DSM-5 Einigung auf den Begriff „Anhaltende Trauerstörung“ („prolonged grief disorder“) zur Aufnahme in ICD-11 (voraussichtlich Mai 2018) „Störung durch eine anhaltende komplexe Trauerreaktion“ („Persistent Complex Bereavement-Related Disorder“) im DSM-5 Im DSM-5 (APA, 2013) in der Kategorie „ zur weiteren Forschung“ angesiedelt Im ICD-11 (Maercker, 2013) eigene Störung im Kapitel „Trauma- und StressStörungen“ © 2016 Schön Klinik Seite 8 ICD-11 „Prolonged Grief Disorder“ A. Tod einer nahestehenden Person B. Schwere und anhaltende Sehnsucht und Verlangen nach dem Verstorbenen C. Fünf oder mehr der folgenden Symptome sind seit dem Verlust auf behindernde und deutliche Weise feststellbar: 1. Unsicherheit bezüglich der eigenen Rolle im Leben bzw. Gefühl von Sinnlosigkeit des eigenen Lebens (z.B. ein Teil des Selbst sei gestorben) 2. Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren 3. Vermeidung von Dingen, Personen, Orten, die an die Realität des Verlustes erinnern bzw. die mit intensiven Emotionen verbunden sind 4. Unfähigkeit anderen Menschen vertrauen zu können 5. Bitterkeit oder Ärger in Bezug auf den Verlust 6. Schwierigkeiten, das eigene Leben fortzuführen 7. Emotionale Taubheit 8. Gefühl, das eigene Leben sei unerfüllt, leer und bedeutungslos 9. Gefühl von Fassungslosigkeit, Betäubung oder Schock D. Es sind mindestens sechs Monate seit dem Todesfall vergangen. E. Die Störung verursacht klinische relevante Einbußen psychischen Funktionierens im sozialen, Beruf, anderen wichtigen Lebensbereichen. F. Die Störung wird nicht besser durch Depression, GAS oder PTSD erklärt. (Prigerson et al., 2009; Maercker et al., 2013, zitiert in Jordan & Litz, 2014) © 2016 Schön Klinik Seite 9 DSM-5 Störung durch eine anhaltende komplexe Trauerreaktion („Persistent Complex Bereavement-Related Disorder“ ) A. Tod einer nahestehenden Person B. Seit dem Tod besteht mind. eins der folgenden Symptome auf behindernde und deutliche Weise an den meisten Tagen über eine Dauer von mind. 12 Monaten nach dem Tod: 1. Anhaltende Sehnsucht nach dem Verstorbenen 2. Intensiver Schmerz 3. Beherrschende Beschäftigung mit der verstorbenen Person 4. Beherrschende Beschäftigung mit den Todesumständen C. Seit dem Tod besteht mind. eins der folgenden Symptome auf behindernde und deutliche Weise an den meisten Tagen über eine Dauer von mind. 12 Monaten nach dem Tod: 1. Schwierigkeiten, den Tod zu akzeptieren 2. Ungläubigkeit oder emotionale Taubheit 3. Schwierigkeit, positive Erinnerungen an den Verstorbenen zuzulassen 4. Bitterkeit oder Ärger in Bezug auf den Verlust 5. Dysfunktionale Selbsteinschätzung in Bezug auf den Verstorbenen oder die Todesumstände (z.B. Selbstvorwürfe) 6. Exzessive Vermeidung von allem, was an den Verlust erinnert 7. Wunsch, dem Verstorbenen nachzufolgen 8. Schwierigkeiten, anderen Menschen zu vertrauen 9. Gefühle der Einsamkeit oder das Gefühl, von anderen Menschen abgeschnitten zu sein 10. Gefühl der Sinnlosigkeit oder dass ohne die verstorbene Person nicht weitergelebt werden kann. 11. Unsicherheit bezüglich der eigenen Rolle im Leben bzw. beeinträchtigtes Selbst(konzept) 12. Schwierigkeiten oder Weigerung, Interessen weiterzuverfolgen oder für die eigene Zukunft zu planen D. Die Störung verursacht klinische relevante Einbußen psychischen Funktionierens im sozialen, Beruf, anderen wichtigen Lebensbereichen. E. Die Einschränkungen sind nicht durch kulturelle Gegebenheiten zu erklären American Psychiatric Association (2013), zitiert in Jordan & Litz, 2014) © 2016 Schön Klinik Seite 10 Komorbidität Komorbide Störung Aktuell % Lifetime % Major Depression 55.3 71.8 PTBS 48.5 52.9 Panikstörung 13.6 21.8 Agoraphobie ohne Panik 1.0 1.0 Generalisierte Angststörung 18.5 - Soziale Phobie 7.8 13.1 Zwangsstörung 6.3 6.8 Irgendeine Angststörung 62.6 69.4 Irgendeine Störung 75.2 84.5 Keine komorbide Störung 24.8 15.5 Simon et al., (2007). The prevalence and correlates of psychiatric comorbidity in individuals with complicated grief. Comprehensive Psychiatry 48, 395-399. © 2016 Schön Klinik Seite 11 Messinstrumente Name Autoren Bereich Texas Revised Inventory of Grief Faschingbauer, Zisook & de Vaul, 1987 Normale Trauer Complicated-GriefSymptoms-Questions Forstmeier & Maercker, 2007 Komplizierte Trauer Traumatic Grief Evalution of Response to Loss Prigerson et al., 1999 Traumatische Trauer Prolonged Grief-13 (PG-13) Prigerson & Maciejewski, dt. Pfoh 2007, (Überarbeitung. Pfoh & Rosner, 2014) Anhaltende Trauer Inventory of Complicated Grief-Deutsch (ICG-D) Prigerson et al., 1995, dt. Lumbeck, Brandstätter & Geissner, 2012 Komplizierte Trauer © 2016 Schön Klinik Seite 14 Inventory of Complicated Grief-Deutsch (ICG-D) Prigerson et al., 1995, dt. Lumbeck, Brandstätter & Geissner, 2012 © 2016 Schön Klinik Seite 15 Epidemiologie Ohne genaue Diagnosemöglichkeit für die anhaltende Trauerstörung schwierig Schätzungen reichen von 2,4 – 38,3 % aller Trauernden, wobei 5% vermutlich die realistischere Schätzung darstellt. (Momartin et al., 2004; Goldsmith et al., 2008; Kersting et al.,2011; Newson et al., 2011; Guarnerio et al., 2012; Schaal et al.,2012). Aktuellere Daten: Shear et al., 2011 Gesamtpopulation 10 % Deutschland 3,7 % Kersting, Brähler, Glaesmer & Wagner, 2011 Schweiz 4,2 % Maercker et al., 2008 © 2016 Schön Klinik Seite 16 Epidemiologie Gesamtpopulation Weltweit 2 bis 3% He et al., 2014, Kersting et al., 2011, Shear et al., 2015 Deutschland 3,7 % Kersting et al., 2011 Schweiz 4,2 % Maercker et al., 2008 Gefährdete Populationen Meert et al., 2011; Shear et al., 2015 Verlust eines Kindes oder Lebenspartner 10 bis 20% Plötzlicher Tod oder Gewaltsame Umstände (Suizid, Mord, Unfall) © 2016 Schön Klinik Denderen et al., 2013; Mitchell, et al., 2005; Nakajima et al., 2012;Tal Young et al., 2012 Seite 17 Todesfall Schock Gesunder Verlauf eines Trauerprozesses • Verleugnen • Vermeiden • Nicht wahr haben wollen • Protest • sich aufdrängende Erinnerungen, Bilder etc. Störung des emotionalen Gleichgewichts Schmerz Anpassung an die neue Realität © 2016 Schön Klinik Seite 18 Aufschaukelungsmodell der anhaltenden Trauerstörung (Znoj, 2004, 2016) Todesfall Schock Intensivierung des Gefühlserlebens Schuld, Ärger, Sehnsucht etc. • Verleugnen • Vermeiden • Nicht wahr haben wollen Dysfunktionale Gedanken z.B. „Ich verliere die Kontrolle“ „Ich hätte da sein müssen, als er/sie starb“ • Protest • sich aufdrängende Erinnerungen, Bilder, etc. Anpassung an die neue Realität © 2016 Schön Klinik Schmerz Störung des emotionalen Gleichgewichts Seite 19 Anhaltende Trauerstörung: Psychotherapie als Methode der Wahl • Trauerspezifische psychotherapeutische Verfahren sind deutlich effektiver als allgemeine psychotherapeutische Methoden (Arizmendi & O’Connor, 2015; Weissman et al., 2000). • Studien zeigen hohe Wirksamkeit dieser Verfahren im Einzelsetting (Boelen et al., 2007; Acierno et al., 2012) und im Gruppensetting (Bryant, et al. 2014; Rosner et al., 2011; Lumbeck et al., 2015) oder über das Internet (Litz et al., 2014; Kersting et al., 2013). • Pharmakologische Behandlung (Antidepressiva) ist umstritten. Wenn dann in Kombination mit Psychotherapie und bei komorbider Depression (Hensley et al., 2009) © 2016 Schön Klinik Seite 20 Einige einzeltherapeutische Ansätze "Complicated Grief Treatment" (CGT) (Shear, 2001) Verbindung von traumafokussierten Techniken der KVT (Exposition), Interpersoneller Therapie, strukturierter Verhaltensänderung und Arbeit an den Erinnerungen Kognitive Verhaltenstherapie (Boelen, 2006) Kombination aus kognitiver Therapie und Exposition Integrative kognitive VT (Wagner & Maercker, 2006) Schreibaufgaben & Rituale (internetbasierte Therapie) Kognitive VT von anhaltender Trauer im Einzelsetting (G. Pfoh, M. Kotoucova & R. Rosner, 2015) Bearbeitung dysfunktionaler Gedanken und Konfrontation mit belastenden und vermiedenen Momenten, z.B. Sterbesituation © 2016 Schön Klinik Seite 21 Vorstellung unserer Trauergruppe © 2016 Schön Klinik Seite 22 Inhalte der Trauergruppe (1) Psychoedukation / Gestaltung Collage - Bild (2) Motivationsaufbau (3) Vorstellung der verstorbenen Person (4) Schreibaufgabe zum „schlimmsten Moment“ (5) Bearbeitung Trauer erschwerender Kognitionen (6) Abbau des Vermeidungsverhaltens (7) Transformation © 2016 Schön Klinik Seite 23 Zur Person des Patienten Worauf sollten wir beim Beginn der TG achten? Wann ist diese wichtige Person gestorben? (Zeitkriterium) Traumatischer Tod bzw. durch den Tod traumatisiert? Depressive Symptomatik? Suizidalität? Persönlichkeitsstörungen/ -akzentuierungen Neigung zu Hochstress/ Selbstverletzung/ Dissoziation? Sind Strategien im Umgang mit Hochstress (Skills) vorhanden? Bei Essstörung mindestens BMI > 17; kognitive Einschränkungen? Sekundärer Gewinn durch den Verlust (Aufmerksamkeit, Vermeidung)? © 2016 Schön Klinik Seite 24 Zur Person des Therapeuten Erfahrung mit bestimmten Störungsbildern Zusatzausbildung und Erfahrung als Leiter von Gruppen Eigene emotionale Stabilität (Schwangerschaft, selbst in aktuellem Trauerprozess etc.) Maximal acht Teilnehmer und bestenfalls zwei Gruppentherapeuten Eine Trauergruppe zu leiten, bedeutet für die Therapeuten eine bereichernde Lebenserfahrung!! © 2016 Schön Klinik Seite 25 (1) Psychoedukation Unterschied zwischen akuter, integrierter und anhaltender Trauer Aufschaukelungsmodell der komplizierten Trauer Einführung in die Herstellung eines Bildes oder einer Collage zur Vorstellung der verstorbenen Person © 2016 Schön Klinik Seite 26 (1) Psychoedukation Arbeitsblatt: Meine Trauerreaktion Verlauf Symptome Gesundheit Soziale Folgen © 2016 Schön Klinik Seite 27 (2) Motivationsaufbau Vier-Felder-Schema Nachteile des aktuellen Zustandes Vorteile des aktuellen Zustandes Nachteile der Veränderung Vorteile der Veränderung © 2016 Schön Klinik Seite 29 (3) Vorstellung der verstorbenen Person Ziele: Beziehungsgestaltung in der Gruppe (Zusammengehörigkeit) Raum für Gefühle: Validieren, Gefühlsexposition Trauer und Tod enttabuisieren Aufbau positiver und tröstender Erinnerungen an den Verstorbenen ermöglichen © 2016 Schön Klinik Seite 30 (3) Vorstellung der verstorbenen Person Über das Leben der Person sprechen und nicht über Todesfall oder die Todesumstände Bild bzw. Collage zur Vorstellung mitbringen Musikstück zum Andenken an die verstorbene Person mitbringen Dauer: ca. 15-20 Minuten Kein normatives Vorgehen Zum Abschluss Musikstück gemeinsam anhören (max. 3 Min). Es finden max. zwei Vorstellungen pro Doppelstunde statt © 2016 Schön Klinik Seite 31 (4) Schreibaufgabe zum schlimmsten Moment Ziele: Vorbereitung für das Wiedererleben des schlimmsten Moments Auseinandersetzung und Verarbeitung von extrem belastenden Ereignissen ermöglichen Irrationale Kognitionen erkennen © 2016 Schön Klinik Seite 33 (4) Schreibaufgabe zum schlimmsten Moment Therapeutisches Vorgehen begründet in der Verwandtschaft zwischen komplizierter Trauer mit Phobien und Trauma (Ramsey, 1977) Abbau von Vermeidung: Exposition „in sensu“ Ähnlich wie bei Traumatherapie In der Gruppe wird nur kurz darüber berichtet! © 2016 Schön Klinik Seite 34 Durchführung der Schreibaufgabe Inhaltlich geht es um: • die genaue Beschreibung des belastenden Momentes, • spontanes Schreiben in der Ich- und Gegenwartsform • das Beschreiben von damaligen und aktuellen Gefühlen, Gedanken und körperlichen Reaktionen • wobei die logische bzw. genauere zeitliche Reihenfolge unwichtig ist Rahmenbedingungen und Verlauf • ruhiger Platz • feste Termine: maximal eine Stunde pro Tag, nie abends • Gegenstände (Foto, Brief, Musik), die an das Geschehen erinnern, zu Hilfe nehmen • nach der Fertigstellung nicht mehr lesen bzw. korrigieren © 2016 Schön Klinik Seite 35 Nach der Schreibaufgabe: Botschaft: „Alle aktuellen Gefühle sind richtig!!“ Stützenden Kontakt & entlastende Aktivitäten planen Schreibaufgabe sollte zur Einzeltherapie mitgebracht werden Zeitnahe Planung der Auseinandersetzung mit dem schlimmsten Moment in der Einzelsitzung © 2016 Schön Klinik Seite 36 Durchführung der Exposition in sensu Nur in der Einzeltherapie! Dauer: 45 bis max. 60 Minuten (dennoch 90 Minuten einplanen) Rahmenbedingungen: emotionale Stabilität, d.h. keine Dissoziation, Suizidalität, selbstschädigendes Verhalten Vorab klären: Sind Skills, Fertigkeiten zur Stressreduktion notwendig? Selbstfürsorge und stützende Maßnahmen nach der Stunde © 2016 Schön Klinik Seite 37 Durchführung der Exposition in sensu Das Geschriebene vorlesen bzw. mit geschlossenen Augen den schlimmsten Moment beschreiben lassen Patient hat die Kontrolle über Verlauf und Beendigung der Exposition Validieren und motivieren Benennung damaliger und aktueller Gefühle, Gedanken und körperlicher Reaktionen Nach der Exposition: Raum für Gefühle und emotionale Stabilisierung geben Bei Bedarf Skills, bzw. Entspannungs- oder Achtsamkeitsübungen „Was lässt Sie an der Trauer festhalten?“ (Einstellungen, Gefühle, Erwartungen) © 2016 Schön Klinik Seite 38 Durchführung der Exposition in sensu Nach der Sitzung: Keine weitere Beschäftigung mit der Trauer an dem Tag Stützender Kontakt & entlastende Aktivitäten durchführen © 2016 Schön Klinik Seite 39 (5) Bearbeitung Trauer erschwerender Kognitionen DENK-PROZESS Wie denke ich? Rumination (Grübeln) Ebene der Kognitiven Arbeit DENK-INHALT Was denke ich? Automatische Gedanken Denkfehler Schemata Metakognitionen © 2016 Schön Klinik Seite 40 Grübeln Selbstbeobachtung anregen Wie oft, wie lange und in welchen Situationen beschäftigen Sie sich mit dem Verlust/ der verstorbenen Person? Was denken Sie dabei? Warum beginnen Sie mit dem Grübeln? Können Sie den Prozess stoppen? Was haben Sie bisher versucht? Bisherige Bewältigungsversuche erfragen © 2016 Schön Klinik Seite 41 Grübeln Alternative Bewältigungsstrategien Grübelstopp Aufmerksamkeitslenkung „Beste Freundin“ Trick Sorgenstuhl Bewusste Gedenkzeit „Radikale Akzeptanz“: „Es ist geschehen“; „ Es gibt auf manche Fragen keine Antwort“ © 2016 Schön Klinik Seite 42 Typische dysfunktionale Gedanken im Rahmen der anhaltenden Trauerstörung Konjunktiv: hätte, wäre: Was wäre, wenn er nicht allein gefahren wäre? Magisches Denken: „Wenn ich dies gemacht hätte, wäre es nicht passiert“ Warum-Fragen (wieso, weshalb): „Warum musste mir das gerade passieren?“ Bewertung der Trauer: „Trauer ist gut“, „Ich muss trauern“. Selbstvorwürfe: „Sie ist gestorben, weil ich mich nicht richtig gekümmert habe; weil ich es verdient habe“. Negative Sicht der Zukunft: „Ich werde nie wieder fröhlich sein“, „Alles ist sinnlos, was soll ich hier?“, „ Es wird nie wieder so wie früher!“ © 2016 Schön Klinik Seite 44 Kognitive Umstrukturierung (Denkinhalte) Inhaltliche Überprüfung Was spricht für die inhaltliche Richtigkeit des Gedankens? (Für Aussagen, die überprüfbar und lösbar sind) z.B. „Ich bin schuld am Tod, weil ich nicht da war“ (Denkfehler) Nützlichkeit des Gedankens Wie hilfreich/nützlich ist der Gedanke für die Trauerbewältigung? (Für Aussagen, die nicht überprüfbar und nicht lösbar sind) z.B. „Warum hat er nicht mit mir über seine Probleme gesprochen“, „Warum war die Liebe zu uns nicht so groß, um am Leben zu bleiben“ Funktionalität des Gedankens © 2016 Schön Klinik Seite 45 (6) Abbau von Vermeidungsverhalten Ziele Konfrontation mit schmerzhaften Erinnerungen und Gefühlen, die eine emotionale Verarbeitung dieser Erfahrung ermöglicht Ermöglichung der Erfahrung, dass Gefühle auszuhalten sind Allmähliche Abnahme der Intensität von Intrusionen und Gefühlen © 2016 Schön Klinik Seite 46 (6) Abbau von Vermeidungsverhalten Fragen: Was machen Sie seit dem Verlust exzessiv oder gar nicht mehr? Was vermeiden Sie, wenn Sie etwas exzessiv bzw. gar nichts tun? kurz- und langfristige Konsequenzen der Vermeidung Umsetzung: Konkrete Planung von „Expositionen“ in der Klinik und besonders im heimischen Umfeld Was möchte ich konkret tun oder ändern? Wann möchte ich das tun? (konkrete Zeitangabe) Mit wem? Wie häufig? © 2016 Schön Klinik Seite 47 (7) Transformation „Veränderung“, „Verwandlung“ oder „Weiterentwicklung“ der Beziehung zur verstorbenen Person Ziele Entdeckung von Transformations-Blockaden (Einstellungen) Leben und Tod der verstorbenen Person in das eigene Lebensskript einbauen und weiterleben Verlusterlebnis als Chance bzw. Aufgabe zur persönlichen Reifung © 2016 Schön Klinik Seite 48 Transformationsarbeit Suche nach einer neuer Beziehung zum Verstorbenen Planung von Ritualen zum Abschließen der Trauerphase Rituale und Aufgaben zur Aufrechterhaltung der Beziehung zum Verstorbenen, z.B. Baum pflanzen, Lied komponieren, etc. Weiterverfolgung bzw. Aneignung von Interessen, Vorlieben, Gewohnheiten des Verstorbenen: z.B. Hobby, Stiftung, Gruppe, Verein © 2016 Schön Klinik Seite 49 Krisenbewältigung Realistische Erwartungshaltung Gefühle der Trauer können und dürfen weiterhin auftreten! (Jahrestage, Weihnachten, bestimmte Orte, …) Erarbeitung eines „Notfallkoffers“ Planung fester Tagesstruktur, positiver (sozialer) Aktivitäten Akzeptanz des Verlustes bedeutet nicht, die verstorbene Person zu vergessen! © 2016 Schön Klinik Seite 50 Literaturverzeichnis Acierno R, Rheingold A, Amstadter A, et al. (2012). Behavioral activation and therapeutic exposure for bereavement in older adults. Am J Hosp Palliat Care;29: 13-25. Altmaier EM. (2011). Best practices in counseling grief and loss: finding benefit from trauma. J Mental Health Counsel 2011;33(1):33–45. Boelen PA, van den Bout J, van den Hout MA (2006) Negative cognitions and avoidance in emotional problems after bereavement: a prospective study. Behav Res Ther 44: 1657–16572. Boelen PA, de Keijser J, van den Hout MA, van den Bout J. (2007). Treatment of complicated grief: a comparison between cognitive-behavioral therapy and supportive counseling. J Consult Clin Psychol; 75:277-84. Bonanno GA, & Kaltman S. (2001). The varieties of grief experience. Clin Psychol. Rev, 21(5):705–34 Bryant RA, Kenny L, Joscelyne A, et al. (2014). Treating prolonged grief disorder: a randomized clinical trial. JAMA Psychiatry october 22 (Epub ahead of print). Denderen MV, Keijser JD, Kleen M, Boelen PA. (2013). Psychopathology among homicidally bereaved individuals: a systematic review. Trauma Violence Abuse,16 (Epub ahead of print). He L, Tang S, Yu W, Xu W, Xie Q, Wang J. (2014), The prevalence, comorbidity and risks of prolonged grief disorder among bereaved Chinese adults. Psychiatry Res. 219:347-52. Hensley PL, Slonimski CK, Uhlenhuth EH, Clayton PJ. (2009). Escitalopram: an open-label study of bereavement-related depression and grief. J Affect Disord;113(1–2):142–9. Horowitz MJ, Siegel B, Holen A, Bonanno GA, Milbrath C, et al. (1997) Diagnostic criteria for complicated grief disorder. Am J Psychiatry 154: 904–910. Jordan JR, & Neimeyer RA. (2003) Does grief counseling work? Death Stud, 27(9):765–86. Jordan, A. & Litz, B., (2014). Prolonged Grief Disorder: Diagnostic, Assessment, and Treatment Considerations. Professional Psychology: Research and Practice (Vol. 45), 3, 180-187. Kersting A, Brähler E, Glaesmer H, Wagner B. (2011). Prevalence of complicated grief in a representative population-based sample. J Affect Disord 2011;131:339-43. Kersting A, Dölemeyer R, Steinig J, et al. (2013) Brief Internet-based intervention reduces posttraumatic stress and prolonged grief in parents after the loss of a child during pregnancy: a randomized controlled trial. Psychother Psychosom; 82: 372-81. © 2016 Schön Klinik Seite 51 Literaturverzeichnis Larson DG,& Hoyt WT. (2007). What has become of grief counseling? An evaluation of the empirical foundations of the new pessimism. Prof Psychol: Res Prac ;38(4):347–55. Lindemann, E. (1944) Symptomatology and management of acute grief. Am J. Psychiatry 101: 141–148. Litz BT, Schorr Y, Delaney E, et al. (2014). A randomized controlled trial of an Internet-based therapist-assisted indicated preventive intervention for prolonged grief disorder. Behav Res Ther; 61:23-34. Maercker, A., Forstmeier, S., Wagner, B., Glaesmer, H. & Brähler, E. (2008). Posttraumatische Belastungsstörungen in Deutschland. Ergebnisse einer gesamtdeutschen epidemiologischen Untersuchung. Der Nervenarzt, 79(5), 577-586. Meert KL, Shear K, Newth CJ, et al. (2011). Follow-up study of complicated grief among parents eighteen months after a child’s death in the pediatric intensive care unit. J Palliat Med;14:207-14Prigerson et.al. (2009). Prolonged grief disorder: Psychometric validation of criteria proposed for DSM-5 and ICD-11. PLoS Medicine, 6, e1000121. doi:10.1371/journal.pmed.1000121 Mitchell AM, Kim Y, Prigerson HG, Mortimer MK. (2005). Complicated grief and suicidal ideation in adult survivors of suicide. Suicide Life Threat Behav;35:498-506. Nakajima S, Ito M, Shirai A, Konishi T. (2012). Complicated grief in those bereaved by violent death: the effects of posttraumatic stress disorder on complicated grief. Dialogues Clin Neurosci;14:210-4 Neimeyer RA. (2000). Searching for the meaning of meaning: grief therapy and the process of reconstruction. Death Stud; 24(6):541–58. Prigerson, HG, Bierhals, AJ, Kasl, SV, Reynolds, CF, Shear MK, et al. (1997) Traumatic grief as a risk factor for mental and physical morbidity. Am J Psychiatry 154: 616–623. Prigerson, HG, Horowitz, MJ, Jacobs, SC, Parkes CM, Aslan M, et al. (2009) Prolonged grief disorder: Psychometric validation of criteria proposed for DSM-V and ICD-11. PLoS Med;6:e1000121. Prigerson, HG, Horowitz, MJ, Jacobs, SC, Parkes, CM, Aslan, M, et al. (2013) Correction: Prolonged Grief Disorder: Psychometric Validation of Criteria Proposed for DSM-V and ICD-11. PLoS Med 10(12): 10.1371. Rosner R, Pfoh G, Kotoucova M. (2011). Treatment of complicated grief. Eur J Psychotraumatol; 2:7995. Rosner, R., Pfoh, G., Rojas, R., Brandstätter, M., Rossi, R., Lumbeck, G. & Geissner, E. (2015). Anhaltende Trauerstörung: Manuale für die Einzel-und Gruppentherapie (Vol. 77). Hogrefe Verlag. © 2016 Schön Klinik Seite 52 Literaturverzeichnis Shear MK, Frank E, Foa E, et al. (2001) Traumatic grief treatment: a pilot study. Am J Psychiatry,158:1506–1508. Shear, M.K. et al. (2011). Complicated Grief and related bereavement issues for DSM-5. Depression ans Anxiety, 28, 103117. Shear, K. et al., (2011). Complicated grief: A randomized controlled trial. Journal of the American Medical Association, 29, 2601-2608. Shear, K. (2015). Complicated grief. The New England Journal of Medicine, 372;2, 153-160. Simon et al., 2007: The prevalence and correlates of psychiatric comorbidity in individuals with complicated grief. Comprehensive Psychiatry 48, 395-399. Tal Young I., Iglewicz A., Glorioso D., et al. (2012). Suicide bereavement and complicated grief. Dialogues Clin Neurosci;14:177-86. Wagner, B., Knaevelsrud, C. & Maercker, A. (2006). Internet-based cognitive-behavioral therapy for complicated grief: A randomized controlled trial. Death Studies, 30(5), 429-453. Wagner, B., Horn, A. B. & Maercker, A. (2014). Internet-based versus face-to-face cognitive-behavioral intervention for depression: A randomized controlled non-inferiority trial. Journal of Affective Disorders, 152, 113-121. Weissman MM, Markowitz JC, KlermanG. (2000). Comprehensive guide to interpersonal psychotherapy for depression. New York: Basic Books. Znoj, H.J. (2004). Komplizierte Trauer. Göttingen: Hogrefe. © 2016 Schön Klinik Seite 53