Die Kreuzritter Anna Volland

Werbung
„Die Kreuzritter“
eine Inszenierung von Marcel Cremer unter der Mitwirkung des Agora Ensembles
Gott will es....
"Bewaffnet euch mit dem Eifer Gottes, liebe Brüder, gürtet eure Schwerter an eure Seiten, rüstet euch und seid Söhne des Gewaltigen!" Papst Urban II. ruft im November 1095 im französischen Clermont die christliche Ritterschaft zum ersten Kreuzzug auf. Am 12. März 2000 spricht Papst Johannes Paul II. bei einer Messe im Petersdom das große Mea Culpa und bittet darin um Vergebung für die Sünden der Kirche, auch für die im Namen der Kirche geführten Kreuzzüge. 2005 inszeniert Marcel Cremer „Die Kreuzritter“, ein Stück, das mit den Kreuzzügen der Vergangenheit und denen der Gegenwart abrechnen soll. Cremer sieht Parallelen zwischen den Kreuzzügen von damals und den Kriegen von heute, denn beinah 1000 Jahre später ziehen die Menschen immer noch in den Krieg, um in Gottes Namen zu töten. Allen voran der amerikanische Präsident George W. Bush. „Möge Gott uns jetzt führen“, betete er, bevor die ersten Bomben auf seinen Befehl im Irak fielen. Seit seinem Amtsantritt 2001 hat dieser Präsident mehr als einen Krieg zu verantworten. Kriege, die er in seinen öffentlichen Reden gelegentlich schon mal als „Kreuzzug“ bezeichnet und die er mit Gottes Willen rechtfertigt. Bush ist allerdings nur ein Beispiel von vielen. Zoé Kovacs als „Mama Zara“
Der Teufel in Schwesterntracht
Es ist ein skurriles Schauspiel, dass den Zuschauer im T­Werk Potsdam erwartet. Kaum betritt er den Theatersaal, wird er zum Besucher einer Benefizveranstaltung des Hospiz Sainte Jeanne. Dort trifft er auf Oberschwester Mama Zara, die gemeinsam mit ihren zwei Helferinnen und sechs Patienten durch das Land reist, um Spenden zu sammeln für eine Rehabilitation ganz besonderer Art. Denn Mama Zara hat es sich im Namen der Kirche zur Aufgabe gemacht, im Krieg verletzte Soldaten zu rehabilitieren, um sie erneut auf das Schlachtfeld zu schicken. Das kostet Geld und damit die Besucher der Benefizveranstaltung tief in die Tasche greifen, haben Mama Zara, die Schwestern Violetta und Klara gemeinsam mit den Patienten ein Programm einstudiert. Et voilà, vor einer mit kitschigen Putten bemalten Leinwand, deren Spitze von einem rot blinkendem Kreuz gekrönt ist, werden dem Besucher neuartige Therapieformen vorgeführt, die nur einen Zweck verfolgen: den Glauben an Gott zu reaktivieren und die Patienten auf einen neuen Krieg vorzubereiten. Die Therapien sind in ihrer Methodik aber so absurd und lächerlich, dass jegliche Wirkung verfehlt werden muss. In Wirklichkeit spiegeln sie nur die Grausamkeit des Krieges wieder. Jede Szene schlägt vom Komischen ins Entsetzliche um, so dass dem Zuschauer buchstäblich das Lachen im Hals stecken bleibt. Zeit zum Luft holen bleibt nur, wenn Mama Zara und ihre Patienten gelegentlich dazu übergehen, bekannte Kriegs­ und Kirchenlieder anzustimmen. Damit das Publikum nicht leer ausgeht, gibt es eine Tombula, bei der man als Hauptpreis eine CD mit allen Liedern, die während der Veranstaltung gesungen wurden, gewinnen kann. Trotz aller Ablenkungsmanöver offenbart sich dem aufmerksamen Zuschauer bald, dass die Benefizveranstaltung eigentlich nur darüber hinweg täuschen soll, dass die Schäden der Patienten unheilbar sind. Denn der Krieg hat die sechs Männer nicht nur körperlich, sondern auch seelisch verstümmelt. Zwangsneurotisch, aggressiv, sexualgestört oder hypereuphorisch wirken die Patienten unter der Fuchtel von Mama Zara eher wie hilflose Kinder und nicht wie Männer, die bald wieder in den Krieg ziehen werden. „Ich hatt' einen Kameraden.....“
Das doppelte Spiel
Bei Cremers Inszenierung verschwinden die Zuschauer nicht in den dunklen Sphären des Zuschauerraums. Er will nicht, dass sich die Zuschauer einfach nur zurück lehnen und eine Geschichte ansehen. Cremer lässt sie selbst Teil der Veranstaltung werden, indem er sie zum Mitmachen und Nachdenken auffordert. In seiner Inszenierung führt Cremer eine Art doppelte Regie. Auf einer ersten Ebene ist da die „Regisseurin“ Mama Zara, die eine Benefizveranstaltung inszeniert. Sie fordert die Zuschauer in bestimmten Momenten auf, sich an der Veranstaltung zu beteiligen, animiert sie zum mitsingen und mitklatschen. Dadurch fühlen sich die Zuschauer nicht länger als Theaterbesucher, sondern als Besucher einer Benefizveranstaltung. Sie werden Teil ihrer Inszenierung. Die Veranstaltung von Mama Zara ist darauf angelegt, die Zuschauer für ihren persönlichen Kreuzzug zu gewinnen. Mama Zara und ihre Patienten haben einen Gospelsong einstudiert und das Publikum darf mitklatschen.....
Auf einer zweiten Ebene verbirgt sich die eigentliche Inszenierung von Cremer. In seiner Regie verfolgt er grundsätzlich eine gegensätzliche Intention von Mama Zara. Er will, dass sich die Zuschauer kritisch mit dem Thema Krieg auseinander setzen, die Grausamkeit und Sinnlosigkeit von Krieg aufdecken und vermeiden, dass sich noch mehr Menschen am Krieg beteiligen. Mit seiner Regie „mischt“ sich Cremer in Mama Zaras Inszenierung ein, er provoziert und zwingt den Zuschauer Mama Zaras Intention zu hinterfragen. Durch Cremers Regie ist der Zuschauer nicht nur Besucher einer Benefizveranstaltung, sondern er wird zum kritischen Beobachter von Mama Zaras Aufführung. Ein Beispiel: Am Ende der Benefizveranstaltung zeigt Mama Zara eine Art Propagandafilm, der die Siege der Kreuzritter glorifizieren soll. Cremer baut reale Aufnahmen bekannter Kriegsbilder in den Film ein, um auf dessen manipulativen Charakter (und den von Propagandafilmen im allgemeinen) aufmerksam zu machen. In Anbetracht der Schreckensszenarien, die sich da auf der Leinwand abspielen, wird dem Zuschauer außerdem ins Bewusstsein gerufen, wie grausam Krieg ist. Die eigentliche Intention, den Zuschauer für den Krieg zu gewinnen, wird durch die Dramaturgie des Films gebrochen und wirkt im Gegenteil abschreckend.
Ein weiteres Beispiel: Die Therapien, die im Rahmen der Benefizveranstaltung präsentiert werden, erweisen sich als wirkungslos, weil die Patienten vom Krieg so sehr geschädigt wurden, dass sie nicht mehr zu heilen sind. Zu groß ist das erfahrene Leid. Auch hier verfolgt Cremer eine ganz eigene Dramaturgie, die sich gegen die eigentliche Intention von Mama Zara richtet. In der so genannten „Kugeltherapie“ werden von den Patienten verschiedene Schussverletzungen nachgespielt. „Heilende Erfahrung“ nennt Mama Zara das. Höhepunkt der Therapie ist die Darstellung tödlicher Schüsse. Während die Patienten in verkrümmten Positionen auf dem Boden liegen oder sich noch unter Schmerzen winden, beschreibt Mama Zara im sachlich­unbeteiligten Ton dem Publikum die tödliche Wirkung der Schüsse bis ins Detail. In einer anderen Therapie sollen die Patienten mit Hilfe von Gummibändern ihre Gesichter derart deformieren, dass sie den von Granaten verletzten und verbrannten Gesichtern ihrer Kriegskameraden ähneln. Und als ob das nicht schon genug wäre, müssen sie sich dazu auch noch eine Geschichte ausdenken, die erzählt wie es zu der Verstümmelung kam. Mama Zara nennt das auch „Konfrontation mit dem Grauen“ und übersieht, dass sie nicht nur ihre Patienten mit den Schrecken des Krieges konfrontiert. Dass es für dieses Grauen eigentlich keine Worte gibt, wird deutlich, als einer der Patienten bei dieser Aufgabe versagt und in Tränen ausbricht.
Beim Abendmahl mit noch entstellten Gesichtern von der Gummitherapie.
Von links nach rechts: Albert (Andreas Schmid), Conrad (Kurt Pothen), Serge (Sascha Bauer), Mama Zara (Zoé Kovacs), Daniel (Dirk Schwantes), Emile (Eno Krojanker) und Mirko (Mathias Weiland)
„Nun sag, wie hast du's mit der Religion?“
In einer Rede zur Uraufführung der „Kreuzritter“ in der Bonner Brotfabrik betonte Cremer, dass er niemandem seinen Glauben an Gott absprechen möchte, er sei aber froh über jeden, der denkt. Cremer geht es allerdings nicht darum, den Glauben an Gott zu hinterfragen, sondern die Institution Kirche und andere Machtinhaber, die die Stimme Gottes missbrauchen, um menschenunwürdiges Handeln zu rechtfertigen. Cremers Stück ist in erster Linie Kritik an den Kriegen, die im Namen der Religion geführt wurden und werden. Daher ist er bemüht, in seiner Inszenierung immer wieder den Zusammenhang zwischen Krieg und religiösen Kontexten herzustellen. In einer Szene zum Beispiel bittet Mama Zara einen ihrer Patienten, die Geschichte des Heiligen Georgs vorzulesen. Dies kann als direkte Anspielung des Regisseurs auf die religiösen Kreuzzüge verstanden werden. Denn der Heilige Georg galt als Schutzpatron der Kreuzritter und wurde als Soldat Christi glorifiziert. Und noch heute begegnet uns sein Symbol, rotes Kreuz auf weißem Hintergrund, in vielfacher Form. In seiner Inszenierung greift Cremer auch auf religiöse Rituale zurück, die er provokativ entfremdet, um seiner Botschaft Ausdruck zu verleihen. So ähnelt das gemeinsame Kaffeekränzchen der Darsteller auf der Bühne dem berühmten Wandgemälde da Vincis, auf dem das letzte Abendmahl von Jesus und seinen Jüngern dargestellt wird. Mama Zara übernimmt dabei die Position von Jesus in der Mitte der „Tafel“, als Sinnbild für die Anführerin einer heiligen Mission: Heilen für den Krieg. Links und rechts positionieren sich ihre Jünger, hier allerdings nur acht ­ nicht zwölf ­ die in den Kampf geschickt werden sollen. Judas fehlt. Statt Brot gibt es Torte. Es ist ein Akt der Grausamkeit, die Patienten dabei zu beobachten, wie sie mit ihren noch von der Gummitherapie entstellten Gesichtern, versuchen die Torte zu essen. Die Botschaft
In Mama Zaras Propagandafilm gibt es eine Szene, in der sie und ihre Kreuzritter eine Flagge mit dem Symbol der Kreuzzüge hissen. Diese Szene ist eine Nachstellung der bekannten Aufnahme des Fotografen Joe Rosenthal, der 1945 sechs amerikanische Soldaten dabei fotografierte, wie sie die amerikanische Flagge auf der japanischen Insel Iwo Jima hissten. Erwähnt sei, dass die Flagge vor dem eigentlichen Sieg der Amerikaner über die japanischen Truppen aufgestellt wurde und dass Rosenthals Aufnahme schon in Amerika publik gemacht wurde, bevor von Sieg überhaupt die Rede sein konnte. Diese Aufnahme war von Anfang an geplant, sie sollte Propagandazwecken dienen, um die Moral der eigenen Truppen zu stärken und um sich die Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung zu sichern, die bereits anfing den Krieg zu kritisieren. Das Bild wurde binnen kürzester Zeit zum Symbol des US­Patriotismus und beschreibt die ersten erfolgreichen Versuche, Krieg mittels Medien zu legitimieren. Cremer wählt diese Vorlage, um auf die manipulative Art, mit der Medien eingesetzt werden, hinzuweisen. Seine Kreuzritter tragen monströse Metallhelme, in denen sich die Hässlichkeit des Krieges widerspiegelt. Besonders eindrucksvoll ist der Moment, in dem die Darsteller nach Ende des Films mit ihren Masken unter dem Arm auf die Bühne treten, als kämen sie direkt vom Schlachtfeld, begleitet von einer schaurig­beklemmenden Musik. An keiner anderen Stelle des Stücks wird Cremers Botschaft so deutlich: Krieg ist hässlich. Frieden auf Erden
Cremers „Kreuzritter“ wurden als Stellungnahme oder gar Abrechnung mit den Kreuzzügen der Vergangenheit und Gegenwart angekündigt. In ca. 80 Minuten wird mit großartiger schauspielerischer Leistung über die grundsätzliche Sinnlosigkeit von Krieg erzählt. Das Spiel bleibt dabei immer in Bewegung, Entsetzen und Komik reichen sich die Hand. Aber dass Krieg schlecht ist, weiß eigentlich jedes Kind. Und dass Medien benutzt werden, um die Menschen zu manipulieren, ist auch nicht neu. Dennoch, und dass ist dringend nötig, appelliert Cremer an unser kritisches Bewusstsein: die sinnlosen Kriege müssen aufhören. Denn die Dramen der Menschheitsgeschichte werden sich immer wiederholen, wenn sich die Menschen nicht ändern. Cremer, Bühnenautor und Regisseur vieler Stücke für das Kinder­ und Erwachsenentheater, hofft auf die Jugend. Darauf, dass sie und die nachfolgenden Generationen schaffen, voran Generationen davor gescheitert sind: Den Kreislauf des ewigen Krieges zu brechen. Cremer ruft uns ins Bewusstsein, dass sich die Gründe, warum heute Kriege geführt werden, nicht sehr von denen der Vergangenheit unterscheiden. Und dass die offiziellen Begründungen nur dazu dienen, die eigentlichen Beweggründe zu verbergen, damals wie heute. Jedoch, so interessant und lehrreich dieser kleine Exkurs in die Vergangenheit auch ist, vernachlässigt Cremer in seiner Inszenierung, die eigentlichen machtpolitischen Gründe die den Krieg diktieren, beim Namen zu nennen. Denn wir wissen, Gott ist es sicher nicht. Anna Volland
Herunterladen