Dinkel bringt den Kranken auf die Beine Dem Dinkel wird von alters her eine heilende Wirkung bei allerlei Gebresten zugeschrieben. In den Schriften der heiligen Hildegard von Bingen spielt das Urgetreide eine zentrale Rolle. Text und Fotos: Bruno Vonarburg 42 Natürlich | 10-2003 Blühender Dinkel Chrüteregge GESUNDHEIT B Ernährung. Immer wieder erwähnte die heilkundige Nonne des Mittelalters in ihren Schriften die Vorzüge der kerngesunden Feldfrucht. «Der Dinkel ist das beste Getreide, und er ist warm und fett und kräftig, und er ist milder als andere Getreidearten, und er bereitet dem, der ihn isst, rechtes Fleisch und rechtes Blut, und er macht frohen Sinn im Gemüt des Menschen. Und wie auch immer die Menschen ihn essen, sei es in Brot, sei es in Speisen, er ist gut und mild. Und wenn einer so krank ist, dass er vor Krankheit nichts essen (kauen) kann, dann nimm die ganzen Körper des Dinkels und koche sie in Wasser, unter Beigabe von Fett oder Eidotter, so dass man ihn wegen des besseren Geschmacks gern essen kann, und gib das dem Kranken zu essen, und es heilt ihn innerlich wie eine gute und gesunde Salbe.» Gesunde bleiben gesund und Kranke finden Genesung, das ist Hildegards schlichte Wahrheit über den Gebrauch von Dinkel. eim Dinkel handelt es sich um den Vorfahren des Weizens. Sehr wahrscheinlich stammt das Urgetreide aus Asien und ist über den Balkan nach Europa gebracht worden, wo es seit über 3000 Jahren als Grundnahrungsmittel kultiviert wird. Bis vor einem Jahrhundert war der Dinkel in Europa das Getreide Nummer 1. Da jedoch der Weizen ertragsreicher ist und bei der Mehlverarbeitung nur 1-mal geschält werden muss (Dinkel 2 Schälverfahren), verlor der Dinkel seine ursprüngliche Wertschätzung. Aber auch die Mechanisierung des Getreideanbaus führte zur Stagnation. Da der Dinkel eine brüchige Ährenspindel hat, kommt es bei der Ernte mit dem Bindemäher zu hohen Verlusten. Zusätzlich besitzt er eine längere Reifezeit als der Weizen, weshalb er seit dem 20. Jahrhundert auf dem Ackerfeld nur noch selten angebaut wird. Durch die Hildegard-vonBingen-Medizin, welche in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, blieb uns jedoch das gesundheitsfördernde Renommee des Dinkels erhalten. Hildegard über den Dinkel Hildegard von Bingen (1098–1179) lobte den Dinkel als Basis einer vitalen Dinkel, eine Spelzenfrucht Der Dinkel (Triticum spelta) gehört zu den Getreidearten (Poaceae). Äusserlich betrachtet sieht er ähnlich aus wie der Weizen (Triticum sativum). Allerdings wächst er Eine Hausapotheke für Gesundheit und Wohlbefinden: heranreifendes und gereiftes Dinkelfeld (von links nach rechts) Natürlich | 10-2003 43 GESUNDHEIT Chrüteregge etwas höher (zirka 1,2 m; Weizen nur zirka 1 m) und das Korn ist etwas schmäler und länger als seine Verwandten, sei es Weizen, Gerste (Hordeum vulgare) oder Roggen (Secale cereale). Auffallend am Dinkelhalm sind seine beiden breiten Blätter im oberen Abschnitt sowie die Frucht, welche von einer schützenden Hülle, der so genannten Spelze (abgeleitet vom lateinischen spelta = abspalten, trennen), in der Schweiz auch Spreu genannt, umgeben ist. Die Spelzhülle muss nach der Ernte der Feldfrucht mechanisch abgetrennt werden, was im Vergleich zum Weizen einen weiteren Arbeitsvorgang (Entspelzen) beansprucht und den Dinkel verteuert. Doch die Dinkelähre mit ihrer Spelte besitzt viele Vorteile. So schützt die fruchtbedeckende Hülle das Korn vor radioaktiven Emissionen und Umweltverschmutzung. Rückstandsanalysen, welche die Forschungsanstalt Kiel durchgeführt hat, erbrachten den Nachweis, dass der Dinkel gegenüber dem Weizen 5000-mal weniger DDT in der Frucht aufweist. Ferner wurde das Dinkelund Weizenkorn nach der TschernobylKatastrophe an der Universität Konstanz in Bezug auf radioaktive Verunreinigungen untersucht, wobei im Weizen 960 bq Cs 173, im Dinkel dagegen nur 006 bq Cs 173 festgestellt werden konnte. In der Schweiz unterscheidet man beim Dinkel mehrere Sorten: Oberkulmer, Roter Tiroler und Ostro (in Deutschland: Altgold-Rotkorn, Neuegg-Weisskorn und Bauländer Spelz). Alle Spezies sind im Anbau sehr anspruchslos und gedeihen fast auf jedem Boden bis auf 1000 m Höhe. Gegenüber dem Weizen verträgt der Dinkel jedoch keinen Dünger, ansonsten das Wachstum beeinträchtigt wird. Ausserdem benötigt das Urgetreide eine längere Reifezeit an der Sonne, was den Dinkel als ausgesprochenes «Sonnengetreide» qualifiziert. Hansueli Meier vom Dinkelzentrum Stein im Appenzellerland (www.dinkelstein.ch) erprobt in seinem Anbau 8 Sorten von Triticum spelta, um in Bezug auf Qualität und Anpflanzung die beste helvetische Kultursorte herausfinden zu können. Der Dinkelforscher ist aufgrund seiner Untersuchungen überzeugt, dass so genannte Kreuzungen mit dem Weizen (Rouqun und Hercule), welche in vergangener Zeit zur Ertragsförderung angestrebt wurden, eine minderwertige Qualität besitzen und lediglich als Futterge44 Natürlich | 10-2003 Kultiviert 8 Dinkelarten: Hansueli Meier, Dinkelforscher in Stein AR treide, nicht aber als hochwertiges Grundnahrungsmittel verwendet werden können. Hat der echte Dinkel einen durchschnittlichen Kleberanteil von über 50 %, so weisen Kreuzungsformen nicht einmal 20 % auf. Wer damit Brot backen möchte, erlebt böse Überraschungen. Der Teig geht nicht auf, sondern bleibt fladenflach. Ausserdem sind die gesundheitsfördernden Anteile bei den gezüchteten Dinkelformen erheblich vermindert. Vitalstoffe fördern die Gesundheit Um den Gesundheitswert des Dinkels richtig einschätzen zu können, ist es wichtig, die Inhaltsstoffe mit anderen Getreidearten, insbesondere mit dem Weizen, zu vergleichen. Das Urgetreide enthält eine vorzügliche Zusammensetzung von Eiweiss, Kohlenhydraten, Fettsäuren, Enzymen, Mineralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen und pflanzlicher Zellulose. Während der Weizen, je nach Anbaubedingungen, 10 bis 14 % Eiweiss aufweist, bringt es der Dinkel auf 15 bis 19 %. Bausteine des Eiweiss sind die Aminosäuren, welche in der Feldfrucht von Triticum spelta ebenfalls reichlich vorhanden sind. Bis heute kennt man 20 solcher Aminosäuren, von denen 8 essenziell sind, d.h. sie müssen mit der Nahrung aufgenommen werden, da sie der Körper nicht selbst produzieren kann. Im Vergleich zum Weizen ist der Gehalt in mg pro g Frischgewicht wie folgt: Dinkel Weizen Cystin 1,35 1,1 Leucin 9,0 6,0 Isoleucin 5,6 4,4 Lycin 2,75 2,9 Methionin 4,0 2,4 Phenylalanin 7,0 5,0 Tryptophan 1,8 1,2 Valin 5,8 4,2 Ins Auge fallen besonders der höhere Phenylalanin- und Methioningehalt des Dinkels. Diese beiden Stoffe sind für die Bildung von Dopamin sowie der Hormone Noradrenalin und Adrenalin im menschlichen Organismus verantwortlich, welche als Nierenmark-Hormone für die Blutdruckregulation und andere wichtige Funktionen verantwortlich sind. Tryptophan dagegen ist eine Aminosäure, welche das Serotonin im Körper bildet und für seelische Ausgeglichenheit und als Schutz gegen vielerlei Krankheiten sorgt. Weitaus höher als beim Weizen liegen beim Dinkel auch die Vitamin-B-Anteile (in mg pro 100 g): Dinkel Weizen B1 Thyamin 0,64 0,48 B2 Riboflavin 0,22 0,14 PP Niacin 0,6 0,42 Pantothensäure 0,08 0,09 Vitamin B1 ist wichtig für Herztätigkeit, Nervenfunktionen und Vitalitätsvermögen, während B2 für ein gesundes Wachstum sorgt. Niacin dagegen ist wichtig für Haut sowie Schleimhäute und die Pantothensäure für die Haare. Neuerdings ist im Dinkel das Antineoplastische Vitamin B17 entdeckt worden, welches gegen bösartige Geschwülste wirksam sein soll. Auch in Bezug auf die essenziellen Fettsäuren, welche für den Abbau des Cholesterins notwendig sind, ist der Dinkel dem Weizen überlegen. Im weiteren enthält das Dinkelkorn verschiedene Kohlenhydrate, die beim Verdauungsprozess stufenweise dem Blut abgegeben werden. Diesen graduellen Vorgang nennt man Bioverfügbarkeit, wobei relativ wenig Insulin auf einmal verbraucht wird. Beim Weizen aus raffiniertem Mehl dagegen werden alle Kohlenhydrate fast schlagartig freigesetzt, worauf die Insulinmenge im Blut entsprechend erhöht werden muss. Nach der Verwertung treten jedoch bereits nach kurzer Zeit erneute Heisshungerattacken auf. Beim Dinkel aber zeigt sich durch das langsame Aufschliessen ein länger anhaltendes Sättigungsgefühl. Mineral- und Ballaststoffe Von besonderem Wert sind auch die Mineralstoffe und Spurenelemente des Dinkels, wobei Phosphor als Aufbaustoff aller Körperzellen (besonders Gehirn-, Leber- und Muskelzellen) mengenmässig am stärksten in der Getreidefrucht vertreten ist. Nicht zuletzt beinhaltet das Dinkelkorn hohe Mengen an Ballaststoffen (Zellulose), die im Gegensatz zu anderen Getreidearten im Körper basisch reagieren, weshalb es bei Rheuma, Gicht und Arthritis von besonderem Wert ist. Ausserdem ist das Dinkelgetreide leicht verdaulich, fördert den Aufbau der Darmflora und hilft bei Durchfall sowie bei Verstopfung. Allgemein zusammengefasst besitzt der Dinkel nervenstärkende, nährende, aufbauende, vitalisierende, verdauungsfördernde, entgiftende, blutbildende, wachstumsfördernde, stoffwechselanregende, herz- und kreislauffördernde Eigenschaften. Insbesondere wird das Urgetreide als Ersatz für jene Personen, die allergisch auf Weizen reagieren, empfohlen. Vorteilhaft wird das Dinkelkorn in der Küche eingesetzt, entsprechend dem Grundatz von Hipppokrates: «Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein.» Zu diesem Zweck kann man den Dinkel als ganzes Getreidekorn in Suppen, Salaten, Hauptspeisen, Gebäck und Desserts verwenden, wobei die Körner am Vorabend eingeweicht werden müssen. Wird die äusserste Schale abgeschmirgelt, gewinnt man Kernotte, ein herrlicher Ersatz für den raffinierten Reis. Weiterhin kann der Dinkel als Grütze (enthülste, grob zerkleinerte Dinkelkörner), Griess (noch feiner zerkleinert als Grütze), Schrot (grob gemahlene Körner), Vollkornmehl (welches kurz vor der Verwendung selbst gemahlen wird), Flocken (enthülste, gedämpfte, gewalzte und getrocknete Körner), Cornflakes usw. eingesetzt werden. Ferner gibs im Reformhaus eine reichliche Auswahl an Dinkelprodukten wie Dinkelspaghetti, Dinkelkaffee, Dinkelbrot, Dinkelgebäck usw. Charakteristisches Blattwerk: Paarige Hochblätter des Dinkels Natürlich | 10-2003 45 GESUNDHEIT Chrüteregge Mit all diesen hochwertigen Dinkelprodukten lassen sich gesunde Küchengerichte zubereiten, wie sie z. B. Sr. Rosmarie Müller vom Kneipp-Kurhaus Dussnang im «Hildegard Dinkelkochbuch (Pattloch Verlag) mit über 200 Rezepten beschreibt: zum Beispiel DinkelkörnerSuppe, Dinkelgriess-Suppe mit Gemüse, Dinkelnudeln, Dinkelgrütze-Znacht, Dinkel-Ravioli, Dinkel-Knöpfli, Dinkelschrotauflauf mit Gemüse, Dinkelküchlein, Dinkelrösti, Dinkelschrotgratin, Dinkelkörnersalat, Schrotmüesli, Dinkelgriesskopf, Dinkelflockenpudding, DinkelVollkornbrot, Dinkelbisquit, Dinkelkaffee usw. Pikante Gerichte mit Dinkel werden auch im Buch von Theres Berweger «Dinkel, das gesunde Getreide», Fona Verlag Lenzburg, Fr. 29.90, empfohlen. Heilkundliche Anwendungen Nicht nur in der Vollwertküche, sondern auch in der Naturheilkunde, nimmt der Dinkel einen wichtigen Platz ein. Der Hildegard-Arzt Dr. Gottfried Hertzka aus Konstanz, Autor des Buches «Kleine Hildegard-Apotheke» (Christiana Verlag Stein am Rhein), schreibt: «Es gibt keine Krankheit und keine Kranken, wo Dinkel nicht vorbehaltlos und wärmstens empfohlen werden kann. Nichts hat er zu wenig oder zu viel . . . Wenn ich jemals Krebs bekäme, würde ich mich mit einem Sack voll Dinkel und etwas Salz auf eine Alp Kann als Dinkelreis verwendet werden: Kernotte Besitzt 70 % Kieselsäure mit feinstofflicher Wirkung: Dinkelspreu zurückziehen und nur von Dinkel und Wasser leben. Dann würde man sehen, wer der Stärkere ist, ich oder der Krebs.» Die Naturheilkunde empfiehlt Dinkel-Anwendungen bei empfindlichem Magen, Verdauungsstörungen, Reizdarm, Blutarmut, zur Beruhigung bei Zappelphilippen, bei Wachstumsstörungen, Nervosität, Erschöpfung, in der Rekonvaleszenz, als gut verträgliche und stärkende Krankenkost sowie bei Rheuma, Gicht, Arthritis und Arthrose. Der Absud der zermahlenen Dinkelkörner bewährt sich sogar als Krafttrunk, der bei Kranken, die aufgrund ihres Zustandes fast nichts mehr essen können, hervorragend wirkt: Abends werden 2 bis 3 EL voll gemahlene Körner in einem Liter Wasser aufgekocht. Nach Erreichen des Siedepunktes lässt man das Ganze über Nacht stehen. Am anderen Morgen wird abfiltriert und die Flüssigkeit lauwarm 3-mal täglich vor dem Essen ungesüsst schluckweise getrunken. Hervorragend bei obig aufgeführten Indikationen wirken auch die eingeweichten Dinkelkörner, welche man als Naturarznei kurmässig über Wochen verzehren kann. Für die tägliche Zubereitung wird eine Hand voll Dinkelkörner (Reformhaus, Bioladen, Drogerie, Apotheke) mit 1 Tasse voll kaltem Wasser angefeuchtet. Dann lässt man das Ganze über Nacht stehen und nimmt anderntags 3-mal täglich vor dem Essen 3 EL davon ein, wobei gut gekaut wird. ■ Wohltuende Dinkelspreu Nicht nur das Dinkelkorn, sondern auch die Spreu, die so genannte Spelzhülle, welche beim zweiten Dreschvorgang anfällt, besitzt einen hohen Gesundheitswert. Es handelt sich dabei um kein Abfallprodukt, sondern um Getreideschalen, welche bis zu 90 % Kieselsäure (Silizium) enthalten und einen besonders wohltuenden Effekt auf Haut und Organe ausüben. Nicht umsonst haben unsere Grossmütter ihre Kinder auf Spreumatratzen gebettet. Die sonnengereiften, kieselsäurehaltigen Spelzen sind voll mit feinstofflichen Schwingungen, die harmonisierend auf die körperliche Aura des Menschen einwirken. Akupunkteure sind sogar überzeugt, dass durch das feinstoffliche Potenzial der Spreu, wie bei Edelsteinen, die Meridiane des Körpers besser zu fliessen beginnen, mit spürbarer Wirkung bei Kopfweh, Migräne, Schlafstörungen, Schmerzen (Nacken, Schulter, Rücken, Gelenke), Rheuma, Bandscheibenbeschwerden, Ohrenleiden, Stirn- und Kieferhöhlenbeschwerden. Zu diesem Zweck wird die Dinkelspreu in dichtgewobene Baumwollsäckchen (Dinkelkissen) abgefüllt und als Kopfkissen, Liege- oder Sitzunterlagen benutzt. Das Dinkelkissen empfiehlt sich auch als Nackenstütze auf Autofahrten oder als Bettunterlage zum Schutz vor geopathischen Störungen. Die Spreu kann auch zur Schmerzlinderung bei Rheuma, Gicht, Arthritis, Rückenschmerzen sowie zur Beruhigung und Stärkung als auch bei Ekzem als Kräuterbad eingesetzt werden. Dabei werden zirka 2 bis 3 Hand voll Dinkelspelzen in 1 l Wasser aufgekocht. Anschliessend wird die Flüssigkeit abfiltriert und dem Vollbad beigegeben. Täglich zirka 20 Minuten lang baden. 46 Natürlich | 10-2003