Interview

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Die Schilddrüse
Schmetterling unter den Organen
Geheimnisvoll mutet sie an, die Schilddrüse. Dabei ist sie eine
wichtige Hormonfabrik unseres Körpers. Vieles hängt von diesem
schmetterlingsförmigen Organ, das knapp unter dem Kehlkopf liegt,
ab: ob sich ein Neugeborenes richtig entwickelt, ob wir zu- oder
abnehmen, schwitzen oder frieren, hektisch oder müde sind. Und
sogar, ob Frauen schwanger werden können oder nicht. Damit sie
ihren Job gut macht, braucht sie ausreichend Jod.
Dr. Andreas Werle ist Facharzt für Innere Medizin und betreibt seit
2007 eine Praxis in Sulz. Zuvor war Werle dreizehn Jahre lang im
Krankenhaus Hohenems tätig, wo er „die menschliche Humanmedizin“
erfahren durfte. „Bei meinen Lehrern, allen voran Univ. Prof. Dr.
Gebhard Mathis, habe ich gelernt, den Menschen zuzuhören“, so der
Internist.
Im Interview erklärt er, welche Aufgaben die Schilddrüse zu erledigen hat, welche
Erkrankungen auftreten können, wie diese diagnostiziert und behandelt werden. Und was die
Schilddrüse mit Fukushima zu tun hat.
Warum ist die Schilddrüse so wichtig?
Die Hauptfunktion der Schilddrüse ist eine generelle Stimulation des gesamten Organismus über die
zwei Schilddrüsenhormone Tetrajodthyronin (T4) und Trijodthyronin (T3) – salopp gesagt ist die
Schilddrüse „das Gaspedal des Körpers“ – bei einer Unterfunktion läuft der Körper auf 50 Prozent, bei
einer Überfunktion auf 150 Prozent Leistung. Wird eine angeborene Unterfunktion nicht erkannt,
kommt es zu Kleinwuchs und geistiger Behinderung des Kindes. Eine weitere zentrale Funktion ist
ihre bremsende Wirkung auf den Knochenabbau über das eher weniger bekannte
Schilddrüsenhormon Calcitonin.
Wo sitzt die Schilddrüse eigentlich? Wie schaut sie aus? Und wie groß ist sie?
Die Schilddrüse, lateinisch glandula thyreoidea, liegt schmetterlingsförmig knapp unterhalb des
Kehlkopfs und hat zwei seitliche Anteile, die durch einen schmalen Drüsenanteil verbunden sind.
Jeder der zwei sogenannten Schilddrüsenlappen ist circa fünf Zentimeter lang und circa zwei
Zentimeter breit. Durchschnittlich wiegt die Schilddrüse eines Erwachsenen zwischen 18 und 60
Gramm und hat ein Volumen von rund 25 Milliliter, wobei hier eine recht große Schwankungsbreite
möglich ist. So kann die Größe der Schilddrüse einer Frau beispielsweise vom Zyklus abhängig
variieren.
Was passiert, wenn die Schilddrüse nicht so funktioniert, wie sie funktionieren sollte?
Generell kommen Erkrankungen der Schilddrüse recht häufig vor. Eine typische
Schilddrüsenerkrankung ist etwa der Kropf, in der Fachsprache Struma genannt. Dabei handelt es
sich um ein stärkeres, meist knotiges Wachstum der Schilddrüse und wird meist durch Jodmangel
verursacht. Eine weitere Erkrankung ist eine Überfunktion der Schilddrüse, die Hyperthyreose. Diese
kann entweder durch eine Fehlfunktion des Immunsystems bedingt sein – in diesem Falle spricht man
von Morbus Basedow. Sie kann aber auch von einer Überfunktion eines Schilddrüsenknotens
herrühren, das ist ein Areal der Schilddrüse, welches unkontrolliert Hormone produziert. Weiters gibt
es noch seltene Hyperthyreosen, die durch Entzündungen, durch Krebserkrankungen der Schilddrüse
oder durch Medikamente ausgelöst werden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Ausschluss einer Schilddrüsenüberfunktion vor Gabe eines
jodhaltigen Medikamentes, allen voran eines jodhaltigen Kontrastmittels (zum Beispiel im Rahmen
einer Röntgen- oder Computertomographieuntersuchung), da dies zu einer massiven, eventuell sogar
lebensbedrohlichen Überfunktion, in der Fachsprache thyreotoxische Krise genannt, führen kann.
Und wie zeigt sich so eine Überfunktion?
Im Vordergrund steht eine allgemeine Unruhe mit gesteigerter Nervosität, verminderter
Konzentrationsfähigkeit und Schlaflosigkeit. Ein einfacher Test in diese Richtung ist das spontane
feine Zittern bei ausgestreckten gespreizten Fingern. Überdies zeigt sich eine Hyperthyreose durch
einen erhöhten Ruhepuls, Gewichtsverlust trotz gesteigertem Appetit sowie verstärktes Schwitzen –
diese Patienten tragen noch T-Shirts während alle in der Umgebung schon lange Pullis anziehen.
Im Falle einer thyreotoxischen Krise kommt es zu Herzrasen oder Herzrhythmusstörungen, zu Fieber
mit starkem Schwitzen, deutlicher Unruhe, Erbrechen und Durchfall bis hin zu
Bewusstseinseintrübung und Koma.
Wenn es eine Überfunktion gibt, gibt es sicherlich auch eine Unterfunktion?
So ist es. Die sogenannte Hypothyreose kann angeboren sein und – falls nicht erkannt – zu kindlichen
Entwicklungsstörungen führen. Aber auch am Ende einer Schilddrüsenentzündung oder nach einer
Schilddrüsenoperation bzw. durch bestimmte Medikamente kann es zu einer Unterfunktion kommen.
Selten ist eine Funktionsschwäche der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) daran beteiligt. Die
Unterfunktion zeigt sich durch Leistungsabfall, Antriebsarmut, Müdigkeit, allgemeine Verlangsamung,
Kälteempfindlichkeit, trockene und teigige Haut, brüchiges Haar oder auch Darmträgheit. Weiters
kann dies auch der Grund sein, warum eine Frau keine Kinder bekommen kann (Infertilität).
Sie haben vorher gesagt, dass eine Unterfunktion nach einer Schilddrüsenentzündung
auftreten kann. Die Schilddrüse kann also auch entzündet sein?
Ja und Entzündungen der Schilddrüse sind nicht selten. Meist werden sie durch eine leichte
Fehlsteuerung des körpereigenen Abwehrsystems verursacht, wodurch die Schilddrüsenzellen über
längere Zeit vom eigenen Körper angegriffen werden, was zu einer chronischen Entzündung,
Hashimoto-Thyreoiditis, und schlussendlich meist zu einer Schilddrüsenunterfunktion führt. Diese Art
der Entzündung tut nicht weh und wird erst über die sich langsam entwickelnden Beschwerden einer
Schilddrüsenunterfunktion entdeckt. Daneben gibt es aber auch seltenere Entzündungsformen mit
Schmerzen im Bereich der Schilddrüse.
Wie werden Schilddrüsenerkrankungen diagnostiziert?
Die Patienten kommen mit erwähnten Symptomen zu mir in die Praxis. Dabei spielt das gezielte
Fragen nach eben diesen Symptomen und das genaue Zuhören eine wichtige Rolle. In der Folge wird
aus dem Blut ein Hormon der Hirnanhangdrüse (TSH) sowie die zwei Schilddrüsenhormone T4 und
T3 bestimmt. Beim Verdacht auf einen Zusammenhang mit dem Immunsystem, werden zusätzlich
Autoantikörper, das sind spezielle „Abwehrstoffe“ des Körpers, mitbestimmt.
Bei sämtlichen Erkrankungen der Schilddrüse ist eine Ultraschalluntersuchung (Sonographie)
Standard. Bei speziellen Fragestellungen besteht die Möglichkeit einer Untersuchung mithilfe von
nuklearmedizinischen Methoden.
Und wie werden Schilddrüsen-Fehlfunktionen behandelt?
Bei einer Unterfunktion wird das Hormon T4 täglich in natürlicher Menge verabreicht und zwar
lebenslang. Bei einer Überfunktion gibt es verschiedene Möglichkeiten, die der Ursache entsprechend
angewendet werden. Anfangs muss bei allen Überfunktionen mit speziellen Medikamenten die
Produktion der Schilddrüsenhormone normalisiert werden. Je nach weiterem Verlauf und unter
Beachtung der Begleitumstände kann das Medikament abgesetzt werden oder es wird eventuell eine
Radiojodtherapie, dabei handelt es sich um ein nuklearmedizinisches Therapieverfahren, oder eine
Operation durchgeführt.
Bei kleineren Schilddrüsenknoten mit nur lokal erhöhter Hormonproduktion können diese unter
Umständen auch ultraschallgezielt durch eine örtliche Alkoholeinspritzung therapiert werden.
Ist man selbst daran schuld, wenn die Schilddrüse nicht so funktioniert, wie sie eben sollte?
Nein, das kann man eigentlich nicht sagen. Wie erwähnt, gibt es ja beispielsweise eine angeborene
Schilddrüsenunterfunktion, die jedoch im Rahmen der Säuglingsuntersuchung sehr früh erkannt und
therapiert wird. Auch die später auftretenden Erkrankungen sind schicksalshaft durch Fehlfunktionen
des Immunsystems, durch Infektionen, durch spontane Überfunktion einzelner Zellen oder durch
bösartige Entartungen.
Man kann also selbst nichts unternehmen?
Nun, eine Schilddrüsenerkrankung lässt sich mit einer gesunden Lebensweise weder verhindern noch
verbessern. Allerdings kann die Schilddrüse nur mit einer ausreichenden Menge an Jod richtig
funktionieren, bei Jodmangel kommt es zu einer Vergrößerung (Kropf). In unserem Land – wir leben in
einem Jodmangelgebiet – ist die Verwendung von jodhaltigem Speisesalz zur Vorbeugung eines
Kropfes wichtig, außer bei einer bekannten Schilddrüsenüberfunktion.
Derzeit – Stichwort „Fukushima“ oder auch „Tschernobyl“ – ist immer wieder die Rede von
radioaktivem Jod. Was hat es damit auf sich?
Das radioaktive Jod ist besonders gefährlich für die Schilddrüse, weil dies praktisch nur in der
Schilddrüse und dort in hoher Konzentration angereichert wird und so großen Schaden an der lokalen
Erbinformation der Schilddrüsenzellen anrichtet. In der Folge führt es leider in vielen Fällen – vor
allem bei jungen Menschen – zur Krebserkrankung.
Kann man denn überhaupt etwas dagegen unternehmen?
Im Falle einer radioaktiven Belastung würde das Gesundheitsministerium eine allgemeine Abgabe
spezieller Jodtabletten – vor allem an junge Menschen – anordnen. Durch diese kurzzeitige
Jodüberdosierung wird die Schilddrüse mit Jod gesättigt und nimmt dadurch kein radioaktives Jod auf.
Wichtig ist, dass diese Tabletten wirklich nur auf Anweisung eingenommen werden. „Einfach so
vorbeugend“ dürfen solche Jodtabletten nicht eingenommen werden. Vor allem bei den nicht mehr
„jungen Menschen“ können dadurch auch schwere Formen der Schilddrüsenüberfunktion ausgelöst
werden.
Radioaktives Jod-131 zerfällt innerhalb von wenigen Tagen, deshalb ist keine längerfristige Therapie
mit Jodtabletten notwendig. Freilich nur, wenn kein neues Jod-131 aus einem Reaktor nachkommt.
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