Faktenblatt: Glutamin Mai 2016 Methode/Substanz Glutamin ist eine essentielle Aminosäure. Glutamin ist ein wesentlicher Nahrungsstoff für die Enterozyten. In diesem Zusammenhang wurde mehrfach die schützende Wirkung von Glutamin auf die gastrointestinale Schleimhaut während einer Chemotherapie beschrieben. Die verwendeten Dosierungen schwanken von 2 g/qm zu 30 g täglich. Glutamin wird aus dem Darm zu 50-80 % resorbiert. Nach Aufnahme von 0,1 g pro kg Körpergewicht steigt der Plasmaspiegel um 50 % an. Die de novo-Synthese kann in fast allen Geweben über das Enzyme Glutamin-Synthetase erfolgen. Wirksamkeit in Bezug auf den Verlauf der Tumorerkrankung Keine kontrollierten klinischen Studien. Wirksamkeit als supportive Therapie Mukositis In einem COCHRANE-Review zur Prävention der oralen Mukositis unter antitumoraler Therapie wurde die intravenöse Gabe von Glutamin als wirksam bewertet (Worthington 2011). 1 In einer randomisierten offenen Studie verminderte die Gabe von Glutamin (10 g in 1000 ml Wasser) im Vergleich zu keiner Therapie die orale Mukositis während einer adjuvanten Radiatio signifikant (Chattopadhyay 2014). In einer randomisierten doppelblind placebo-kontrollierten Studie konnte bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren während einer Radiochemotherapie durch die Gabe von Glutamin (10 g 3x/d) die Rate an schwerergradigen Mukositiden signifikant gesenkt werden (Tsujimoto 2015). In einem systematischen Review klinischer Studien (n=15) zeigte sich in 11/15 Studien ein Vorteil durch die Gabe von 3 x 10 mg Glutamin/die supportiv zur Chemooder Radiotherapie hinsichtlich der Ausprägung der Mukositis Grad 2-4 und / oder des Gewichtsverlustes. Übelkeit, Erbrechen, Mundtrockenheit und Appetitlosigkeit ließen sich nicht beeinflussen (Sayles 2015). Diarrhoe In 2 randomisierten doppelblind placebo-kontrollierten Studien konnte mit einem oralen Glutaminsupplement (30 g/Tag) keine Verbesserung von Diarrhöen unter Radiatio oder Radio-Chemotherapie des Beckens erreicht werden (Rotovnik 2011). Eine weitere Arbeitsgruppe berichtete darüber, dass sich durch eine Glutamingabe während der Bestrahlung die Häufigkeit der chronischen Enteritis nach einem Jahr im Vergleich zum Placeboarm nicht besserte (Vidal-Casariego 2015). Gewichtsverlust Glutamin wurde in mehreren Studien in Kombination mit Arginin und anderen Bestandteilen einer so genannten Immunonutrition untersucht. Es ergaben sich in einigen Studien positive Effekte auf den Gewichtsverlauf bei Patienten mit Kachexie. In anderen Studien konnte dieser positive Effekt nicht nachgewiesen werden. Geschmacksstörungen Glutamin hat in einer placebo-kontrollierten Doppelblindstudie keinen Effekt auf Geschmacksstörungen gezeigt (Strasser 2008). 2 Myalgien Glutamin hat in einer placebo-kontrollierten Studie keinen Effekt auf Myalgien und Arthralgien nach Paclitaxel gezeigt (Jacobson 2003). Polyneuropathie In einer Studie (n=86) konnte mit einer Glutamindosis von 15 g 2x täglich für 7 Tage, beginnend am Tag der Oxaliplatin-Infusion, die Ausbildung von Grad 3-4 Neuropathie im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich gesenkt werden. Auch die Beeinträchtigung im täglichen Leben war deutlich niedriger. Elektrophysiologische Untersuchungen ergaben keinen Unterschied der Grad 3-4 Neurotoxizität. Im Ansprechen auf die Chemotherapie oder im Überleben zeigte sich kein signifikanter Unterschied (Wang 2007). In einem systematischen Review wurde für Glutamin keine Wirksamkeit auf die chemotherapie-induzierte periphere Polyneuropathie gefunden (Schloss 2013). Mehrere Nebenwirkungen In einem systematischen Review von 9 randomisierten Studien zeigte sich durch die Gabe von Glutamin während der Chemotherapie kolorektaler Tumoren eine Minimierung der Enteritis und Diarrhoe sowie eine Verbesserung des Stickstoffhaushaltes, des Immunstatus und der Wundheilung, während die Nebenwirkungen der Radio-Chemotherapie nicht beeinflusst werden konnten (Jolfaie 2015). Interaktionen Keine klinischen Daten bekannt Unerwünschte Wirkungen In einem systematischen Review mit Metaanalyse wurde die Wirkung von Glutamin auf die Mukositis bei Stammzelltransplantation untersucht. Die Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass vielleicht ein Trend hin zu weniger Nebenwirkungen besteht, dass jedoch bzgl. der subjektiven Symptome kein Unterschied feststellbar ist. Die Anzahl der Tage mit einer Opiattherapie konnte reduziert werden und ebenso 3 das Risiko für eine GVHD. Auch klinische Infektionen wurden vermindert. Gleichzeitig ist in den Studien jedoch das Risiko für ein Rezidiv erhöht (RR=2,91, 95% CI 1,346,29). Es gab keinen Effekt der Glutamingabe ob oral oder intravenös auf die Gesamtmortalität im Zusammenhang mit der Transplantation bis Tag 100 (Crowther 2009). In einem systematischen Review zur Wirkung von Naturstoffen bei oraler Mukositis kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass von der Gabe von intravenösem Glutamin zur Prävention bei Hochdosischemotherapie abgeraten werden sollte (Yarom 2013). Kontraindikationen Es liegen keine Publikationen zu der Frage vor. Fazit Aufgrund der nicht auszuschließenden negativen Effekte des Glutamins während einer Chemotherapie raten wir von der Kombination ab. Literatur Chattopadhyay S et al, Role of oral glutamine in alleviation and prevention of radiation-induced oralmucositis: A prospective randomized study.South Asian J Cancer, 2014, 3(1):8-12. Crowther M et al., Systematic review and meta-analyses of studies of glutamine supplementation in haematopoietic stem cell transplantation. Bone Marrow Transplant, 2009, 44.7:413-25. Gianotti L et al. Perioperative intravenous glutamine supplemetation in major abdominal surgery for cancer: A randomized multicenter trial. Ann Surg, 2009, 250(5):684-689. Jolfaie NR et al., The effect of glutamine intake on complications of colorectal and colon cancer treatment: A systematic review, J Res Med Sci, 2015, 20(9):9108. 4 Kozjek NR et al. Oral glutamine supplementation during preoperative radiochemotherapy in patients with rectal cancer: a randomised double blinded, placebo controlled pilot study. Clin Nutr, 2011, 30.5: 567-70. Kuskonmaz B et al., The effect of glutamine supplementation on hematopoetic stem cell transplant outcome in children: a case-control study, Pediatr Transplant, 2008, 12(1):47-51. Jacobson SD et al., Glutamine does not prevent paclitaxel-associated myalgias and arthralgias, J Support Oncol, 2003, 1.4: 274-78. Rotovnik I et al., Oral glutamine supplementation during preoperative radiochemotherapy in patients with rectal cancer: a randomised double blinded, placebo controlled pilot study, Clin Nutr, 2011, 30.5: 567-70. Sayles C et al., Oral Glutamine in Preventing Treatment-Related Mucositis in Adult Patients With Cancer: A Systematic Review, Nutr Clin Pract. 2015 Oct 27. pii: 0884533615611857. [Epub ahead of print]. SchlossJMet al.,Nutraceuticals and chemotherapy induced peripheral neuropathy (CIPN): A systematic review,ClinNutr, 2013 Apr 13. pii: S0261-5614(13)001076. Strasser F et al., Prevention of docetaxel- or paclitaxel-associated taste alterations in cancer patients with oral glutamine: a randomized, placebo-controlled, doubleblind study, Oncologist, 2008,13(3):337-46. Tsujimoto T et al., L-glutamine decreases the severity of mucositis induced by chemoradiotherapy inpatients with locally advanced head and neck cancer: A double-blind, randomized, placebo-controlled trial, Oncol Rep, 2015, 33(1):339. Vidal-Casariego A et al., Effects of oral glutamine during abdominal radiotherapy on chronic radiationenteritis: A randomized controlled trial, Nutrition, 2015, 31(1):200-4. Wang, WS et al.,Oral glutamine is effective for preventing oxaliplatin-induced neuropathy in colorectal cancer patients, Oncologist, 2007;12.3: 312-19. Worthington HV et al., Interventions for preventing oral mucositis for ptients with cancer receiving treatment, Cochrane Database Syst Rev 2010 Dec 8;(12):CD000978. doi: 10.1002/14651858.CD000978.pub3. 5 Yarom N et al.,Systematic review of natural agents for the management of oral mucositis in cancer patients,Support Care Cancer, 2013 Jun 14. [Epubaheadofprint]. Die Faktenblätter sind nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin erstellt. Angaben beziehen sich auf klinische Daten, in ausgewählten Fällen werden präklinische Daten zur Evaluation von Risiken verwendet. Um die Informationen kurz zu präsentieren, wurde auf eine abgestufte Evidenz zurückgegriffen. Im Falle, dass systematische Reviews vorliegen, sind deren Ergebnisse dargestellt, ggf. ergänzt um Ergebnisse aktueller klinischer Studien. Bei den klinischen Studien wurden bis auf wenige Ausnahmen nur kontrollierte Studien berücksichtigt. Die Recherche erfolgte systematisch in Medline ohne Begrenzung des Publikationsjahres mit einer Einschränkung auf Publikationen in Deutsch und Englisch. 6