Der Mann, der weder schlucken noch sprechen konnte

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D E R B E S O N D E R E FA L L
Schweiz Med Forum Nr. 41 10. Oktober 2001
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Der Mann, der weder schlucken
noch sprechen konnte
S. Schacher, R. Imoberdorf, P. E. Ballmer, Ch. Wahl
Fallbeschreibung
Diskussion
Ein 36jähriger Mann meldete sich wegen perakuter Schluck- und Sprechunfähigkeit, sowie
ausgeprägten Schmerzen links seitlich am
Hals, möglicherweise ausgelöst durch eine
brüske Bewegung. Er hielt den Kopf mit der linken Hand zur Schmerzseite hin und leicht nach
vorne geneigt fixiert. Eine Kommunikation war
wegen der Schmerzen nur schriftlich möglich.
Dieselbe Episode hatte sich ein halbes Jahr
zuvor ereignet und war nach 15 Minuten wieder verschwunden.
Klinisch präsentierte sich ein afebriler Patient
mit Speichelfluss aus dem Mund und Druckdolenz zwischen Kehlkopf und M. sternocleidomastoideus links. Nach Lateralisation des Kehlkopfes wurde ein verhärteter Muskelwulst palpierbar. Die lokoregionären Lymphknoten
waren nicht vergrössert. Im Labor keine Auffälligkeiten, insbesondere keine Entzündungszeichen. Nach dreieinhalb Stunden verschwanden Schluck- und Sprechunfähigkeit sowie die
Schmerzen spontan. Eine nach einer Woche
angefertigte Kernspintomographie der Halsregion zeigte keine pathologischen Befunde.
In der spärlich vorhandenen Literatur werden
zwei Formen des Omohyoid-Syndroms beschrieben. Eine Publikation und darauf reagierende Antworten beschreiben eine rezidivierend auftretende, selbstlimitierende, massiv
schmerzhafte und akut invalidisierende Form
wie bei unserem Patienten [3–6]. Einige Arbeiten aus dem asiatischen Raum verstehen unter
dem Begriff des Omohyoid-Syndroms eine
ebenfalls einseitige, über Monate bis Jahre in
der Grösse konstante, indolente Halsschwellung, welche beim Schlucken hervortritt und
den Schluckakt behindern kann [7–9]. Meist
sind jüngere Männer mit im übrigen blander
Anamnese davon betroffen. Ultrasonographisch wird auf der erkrankten Seite beim
Schlucken ein Hervorspringen des Musculus
omohyoideus nach anterolateral beobachtet
mit Anheben des Musculus sternocleidomastoideus, wodurch die temporäre laterale Halsschwellung entsteht [9]. In Autopsieuntersuchungen wurde festgestellt, dass die Verbindung der zwischen den Muskelbäuchen liegenden Sehne mit der tiefen Halsfaszie sehr unterschiedlich stark ausgeprägt oder gar nicht vorhanden sein kann [10]. Nach therapeutischer
Durchtrennung der Sehne bei betroffenen Patienten wurde bioptisch eine hyaline Muskeldegeneration festgestellt. Daraus ergibt sich die
Hypothese, dass ursächlich eine Muskeldegeneration vorhanden sein könnte. Beim Schluckakt kann deshalb bei maximal kranialer Stellung des Kehlkopfs der obere Muskelbauch zuwenig gedehnt werden. Dadurch reisst nach rezidivierenden Mikrotraumen schliesslich die
sehnige Verankerung mit der tiefen Halsfaszie.
In der Folge wird der Musculus omohyoideus
beim Schlucken aus seinem Bett luxiert und dadurch der Musculus sternocleidomastoideus
angehoben. Aufgrund dieser möglichen Pathogenese wurde jüngst vorgeschlagen, das chronische Krankheitsbild «Omohyoid-SchleuderSyndrom» zu nennen [9]. Möglicherweise spielt
auch bei der akut rezidivierend auftretenden
Symptomatik eine Dislokation des Muskels eine
Rolle. Dafür spricht die Selbstbeobachtung
Grundlagen
Medizinische Klinik
Kantonsspital Winterthur
Korrespondenz:
Dr. med. S. Schacher
Medizinische Klinik
Kantonsspital Winterthur
CH-8400 Winterthur
Aufgrund von anatomischen Überlegungen vermuteten wir eine Problematik im Bereich des
Musculus omohyoideus. Der zweiköpfige Muskel verläuft unter dem Musculus sternocleidomastoideus und nimmt seinen Ursprung am
Hyoid mit Insertion an der zervikalen Oberkante der Skapula. Die interponierte Sehne
steht mit der tiefen Halsfaszie in Verbindung
(Abb. 1 [1]). Die Innervation des antero-cranialen Bauches erfolgt über die Ansa cervicalis,
jene des postero-caudalen Bauches durch den
Nervus accessorius. Aus dem Verlauf ist ersichtlich, dass der Muskel sowohl beim Schluckakt, bei der Phonation als auch bei Schulterund Halsbewegungen mitbeteiligt ist [2].
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eines Kollegen, der sich jeweils mit einem gezielten Repositionsmanöver (Druck auf den
Schildknorpel unter gleichzeitiger Drehung des
Kopfes zur nicht schmerzhaften Seite hin) Beschwerdefreiheit verschaffen kann [3].
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Zusammenfassend ist die Ätiologie dieser isoliert auftretenden Muskelpathologie unklar, die
Kenntnis davon im klinischen Alltag jedoch auf
Grund des sehr eindrücklichen Bildes von Bedeutung.
Abbildung 1.
a. Musculus omohyoideus.
(Mit freundlicher Genehmigung des
Urban & Fischer Verlages.)
a
Literatur
1 Sobotta J. Atlas der Anatomie des
Menschen auf CD-ROM. 1. Auflage,
Urban & Fischer Verlag, 1997.
2 Vanneuville G, Mondie JM, Scheye
T, Guillot M, Dechelotte P, Campagne D, et al. Remarques anatomiques et physiologiques concernant l’innervation et la fonction du
muscle omohyoidien chez l’homme.
Bull Assoc Anat Nancy 1986;70:55–9.
3 Zachary RB, Young A, Hammond
JD. The omohyoid syndrom. Lancet
1969;2:104–5.
4 Caswell HT Jr. The omohyoid syndrom. Lancet 1969;2:319.
5 Valtonen EJ. The omohyoid syndrom. Lancet 1969;2:1073.
6 Wilmot TJ. The omohyoid syndrom.
Lancet 1969;2:1298–9.
7 Ye BY. Omohyoid muscle syndrom:
report of a case. Chin Med J Engl
1980;93:65–8.
8 Makino K, Kinishi , Kokubu M,
Amatsu M. Omohyoid muscle syndrom – clinical, pathological an etiological studies. Nippon Jibiinkoka
Gakkai Kaiho 1983;86:721–4.
9 Wong DS, Li JH. The omohyoid sling
syndrom. Am J Otolaryngol 2000;
21:318–22.
10 Zhang H, Zhao C, Wang D. False
dysphagia caused by omohyoid
muscle syndrom: 50 cases of autopsy and 2 cases of clinical reports.
Chung Hua Wai Ko Tsa Chih
1995;33:362–3.
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