Köstlichkeiten aus aller Welt 100 russische Gerichte von Wolfgang Schriek Hayit Medien, Köln O, Wunderland! Nicht nur das Klima, sondern auch die Mägen vollbringen in Russland Wunder! O, Du sonderbares Land, Du wunderbares Land! Anton Tschechow (Aus der Erzählung Der dumme Franzose, 1886) Mit großem ideellen und/oder praktischen Einsatz, mit guten Tipps und Hinweisen haben folgende „Russiche-Küche-Fans“ mitgeholfen: Tamara Danilenko, Ute Fiedler, Bert-Christoph Gerhards & Regina Junga-Gerhards, Wladimir Lindenberg-Tschelitschschew, Uta Mai, Lieselotte Schriek, Sonja Titz, Marianne Wiebe, Jürgen Wonde und Angela Martini-Wonde Impressum 100 russische Gerichte, 2. überarbeitete Auflage Köln, Hayit Medien, 2012 ISBN Print: 978-3-87322-174-1 ISBN PDF: 978-3-87322-175-8 ISBN ePub: 978-3-87322-176-5 ISBN mobi: 978-3-87322-177-2 © Copyright 1991/2012, Mundo Marketing GmbH, Köln Autor: Wolfgang Schriek Alle Rechte vorbehalten All rights reserved Coverbild: © victoria p. - Fotolia.com www.hayit.de www.koestlichkeiten.de 2 Inhaltsverzeichnis Vorwort 4 Essen und Trinken in Russland 6 Typische Zutaten und Gewürze 11 Rezepte Vorspeisen 14 Suppen 25 Fleisch- und Geflügelgerichte 34 Fischgerichte 48 Eier- und Quarkspeisen, Brei 53 Gemüsegerichte 57 Teiggerichte 62 Desserts, Nachspeisen, Kuchen, Gebäck und eingekochte Früchte 71 Getränke 80 3 Vorwort Die wenigsten von uns werden es erlebt haben: die Fröhlichkeit, Geselligkeit, Gastfreundschaft, die Fähigkeit zu genießen und das Traditionsbewusstsein bei Russen mit Russen an einem reich gedeckten russischen Küchentisch. Die Küche ist räumlich gesehen der zentrale Kommunikationsort einer Familie schlechthin: bei uns genauso wie in Russland oder in anderen Ländern. „Die Menschenzirkulation der Moskauer Küche", so schreibt der Publizist Karl Schlögel, „absorbiert all das, was bei uns in Cafés, Kneipen, Wohnzimmern, salonähnlichen Gebilden, Treffs usw. kanalisiert ist. Es sind Relaisstationen des Informationsflusses, eine Art lebende Zeitungen, es sind Orte, an denen sich die Not des dilettierenden Gesprächs über Gott und die Welt verbindet. Die Küchen sind die zentralen Orte der Öffentlichkeit." Bei Essen und Trinken wurden früher und werden heute ausländische Gäste hofiert, wurden Verträge und Freundschaften geschlossen. „Du kennst einen Menschen erst, wenn du mit ihm einen Zentner Salz gegessen hast", heißt es in einem russischen Sprichwort. Brot und Salz als elementare „Lebens- und Überlebensmittel" spielten bei den Russen, wie auch bei anderen Völkern, eine entscheidende Rolle der Gastfreundschaft und Wertschätzung. Mit Brot und Salz empfängt man bei offiziellen Anlässen auch heute noch Gäste in Russland. Sigmund von Herberstein, ein Zeitgenosse Martin Luthers und Diplomat unter Maximilian I. und Karl V., schrieb im 15. Jahrhundert über dieses Ritual: „Der Sinn dabei ist, dass der Fürst durch das Brot von seinem Tisch seine Gnade zeigt; schickt er aber Salz, bedeutet es seine Liebe, und es soll die größte Ehrung sein, wenn er Salz schickt." Gegessen und getrunken hat man in Russland immer gern und ausgiebig. Früher wie heute. Selbst in Zeiten der größten Not haben Russen aus wenigem ein üppiges Mahl „gezaubert" und damit ihre Gäste „verzaubert". Üppig ist wortwörtlich zu verstehen: die traditionelle russische Küche ist gehaltvoll und nicht gerade kalorienarm – das verraten viele der Rezepte in diesem Buch. Die Mehrzahl der vorliegenden Rezepte sind „typisch russisch", z.B. Schtschi, Soljanka, Bœuf Stroganow, Bliny, Piroschki etc., andere finden sich in variierter Form auch auf den Speisekarten anderer Länder wieder. Die russische Küche ist seit dem 18. Jahrhundert, dem petrinischen Zeitalter, in dem Russland seine erste radikale Perestroika erlebte, von der westlichen, vor allem der französischen Küche nachhaltig beeinflusst worden. Die Vielfalt der traditionellen russischen Küche ist vielen bei uns gar nicht bekannt. Von dieser Vielfalt zeugen etliche in Russland verfasste Kochbücher, die aufgrund ihrer niedrigen Auflagen und großen Popularität für den Durchschnittsrussen in der Regel rasch vergriffen waren. Wie viele Lebensmittel und andere Konsumgüter zählten auch Kochbücher zu den sogenannten „defizitnye towary", den Defizitwaren. In einem vorrevolutionären russischen Kochbuch aus dem letzten Jahrhundert sind immerhin 1645 Gerichte beschrieben; ein 1955 erschienenes Kochbuch, „Kulinarija" auf russisch umfasst mehr als 3000 Rezepte. Im alten Russland wurde am Zarenhof und beim Adel reichhaltig und vornehm gespeist, während das einfache Volk bescheidene, aber nicht weniger nahrhafte und schmackhafte Speisen zubereitete. Dabei spielte der legendäre Universalofen in der Isba, dem russischen Holzhaus, eine zentrale Rolle: Er war Back- und Heizofen zugleich; auf ihm schlief man, ihn benutzte man auch als Mini-Sauna. Nach 1917 legte man im neu geschaffenen Einheitsstaat wenig Wert auf die Pflege der traditionellen Kochkunst; sie, die „bourgeoise" Küche, geriet aus ideologischen Gründen und primär wirtschaftlichen Sorgen in Vergessenheit und wurde in erster Linie von russischen Emigranten im westlichen Ausland gepflegt. Erst in den letzten Jahren begann in Russland der Prozess einer kulinarischen Perestroika und Essrenaissance auf breiter Ebene; in neuen, kooperativen Restaurants in den russischen Metropolen werden alte, traditionelle Speisen neu entdeckt und aufgetischt. Und das – leider – für hohe Preise, die ein russischer Durchschnittsverdiener kaum bezahlen kann. 4 Die alte, traditionelle russische Küche lebt wieder. Sie, die bei uns nahezu unbekannte, braucht sich vor der anderer Völker nicht zu verstecken. Dieses Rezeptbüchlein, das sich auf Typisches und Wesentliches beschränkt, soll Anregungen geben. Es ist, wenn man so will, eine kleine kulinarische Brücke zwischen Ost und West. Denn die Annäherung von zwei unterschiedlichen Welten beschreitet den unmittelbaren Weg über den Magen und die Sinne. Von der Weisheit, dass Speise und Trank verbinden, wusste auch der Verfasser des Domostroi, des Sittenkodex und der Haushaltsenzyklopädie Russlands aus dem 16. Jahrhundert, zu berichten: „Außerdem sollst du deinem Gegner zu trinken vorsetzen und ihn mit Brot und Salz bewirten, so wird aus der Feindschaft Freundschaft." Ein Abend mit russischen Gerichten und Getränken wird aus der alltäglichen Fast-food-Tristesse hinwegtrösten. Wie wär's z.B. mit einer köstlichen Soljanka oder sibirischen Pelmeni, mit Kaviar-Blinis oder einer einfachen Buchweizen-Kascha, mit einer Charlottka oder einer Paßcha und einem Kulitsch? Mit Kwas, Wodka und Sbitjen? Und dazu einem entsprechenden Ambiente mit russischer Musik, russischer Literatur oder Russlandbildern? Der Phantasie der Gastgeber und Köche sind natürlich keine Grenzen gesetzt. Ich wünsche Ihnen beim Planen, Zubereiten und Servieren russischer Köstlichkeiten – und natürlich beim Dinieren – viel Freude, Geselligkeit und prijatnawa appetita, einen guten Appetit! Wolfgang Schriek Hinweise und Bemerkungen 1. Die traditionelle russische Küche ist prinzipiell eine sehr kalorienreiche. Der Benutzer dieses Buches ist gut damit beraten, ggf. an Fett zu sparen. 2. Russen braten Fleisch mit Vorliebe ganz durch. 3. Alle Angaben zu Zubereitungs- und Garzeit sind ungefähre Angaben, die auf eigenen Erfahrungen beruhen. Sie sind relativ und nicht absolut zu betrachten. 5 Essen und Trinken in Russland „Lass mich in deinen Suppentopf gucken, dann weiß ich, wer du bist", heißt ein altes russisches Sprichwort. In die Kochtöpfe der russischen Küche schauen wir bei uns im Westen leider viel zu wenig, um feststellen zu können, dass sie Gutes und Schmackhaftes bietet. „Charaktereigenschaften und Mentalität einer Nation", so schrieb der russische Schriftsteller und Hobbykoch Jurij Korinetz (1982), „hängen nicht nur von den kulinarischen Verhältnissen ab; anderes Essen bringt andere Sitten mit sich und damit auch eine andere Sicht der Dinge." Die russische Küche ist aufgrund der klimatischen und natürlichen Bedingungen traditionell eine Suppen- und Fischküche und zeichnete sich in alter Zeit vor allem beim einfachen Russen durch Schlichtheit, ja Einförmigkeit aus. Aber auch durch Schmackhaftigkeit. Zu allen Gerichten verwendeten die Russen damals kräftige Gewürze wie Zwiebeln, Salz, Pfeffer, Knoblauch, Safran u.ä. Dabei spielte der große russische Petsch, der Ofen, eine zentrale Rolle in jedem Haus. In der Isba, dem russischen Holzhaus, nahm er den Mittelpunkt ein: er war nicht nur Backofen, sondern auch Wärmespender und Trockner, auf dem man nasse Kleidung und Gemüse trocknete; ferner war er Schlafstätte und diente gleichzeitig auch als Sauna; ja selbst beim Bierbrauen tat er gute Dienste. Der Brei Kascha stand in jeder Kate ebenso auf dem Tisch wie die traditionelle Suppe Schtschi mit Sauerkraut, diversen Gemüsearten, Fisch oder Fleisch. Kascha hat eine sehr weit zurückreichende Tradition unter den russischen Speisen. Sie wird mit Vorliebe aus Buchweizen hergestellt. Früher war sie bei Hof und beim einfachen Volk gleichermaßen beliebt; sie fehlte bei keinem Fest. Buchweizengrütze wurde besonders am Vorabend vor Weihnachten und Neujahr zubereitet. Dabei sprach man folgende Sätze: „Wir säten, wir zogen den Buchweizen den ganzen Sommer lang auf; schön gewachsen ist unser Buchweizen, großkörnig und gut von Farbe. Wir riefen den Buchweizen, in Zargrad zu sein, teilzunehmen am Fürstenmahl. Da fuhr der Buchweizen nach Zargrad mit dem Fürsten, den Bojaren, mit dem ehrsamen Hafer, mit der goldenen Gerste; wir warteten auf den Buchweizen, wir erwarteten ihn an der steinernen Pforte, entgegen gingen dem Buchweizen die Fürsten und Bojaren, sie setzten den Buchweizen an einen eichenen Tisch, ein Fest zu feiern, der Buchweizen kam zu uns als Gast." Neben Kascha und Schtschi gehörten Piroschki, d.h. mit Fleisch oder Quark gefüllte Blätterteigtaschen, sowie Bliny, die dünnen Pfannkuchen, die die heidnischen Slawen als Symbol für die Sonne zum Frühlingsanfang zubereiteten, zu den traditionellsten Speisen. Der Brauch hielt sich bis in die christliche Zeit: Während der Masljaniza, der „Butterwoche", einer Art Karnevalswoche, in der der eisige Winter „ausgetrieben" wurde, wurde der Frühling mit Blinys begrüßt. Während der „Butterwoche", die die siebenwöchige vorösterliche Fastenzeit einleitete, durfte kein Fleisch gegessen werden. In der Fastenzeit verzichteten Strenggläubige auch auf Eier, Käse, Butter, manche sogar auf Zucker. Daher verzehrte man in der „Butterwoche" die aus Buchweizenmehl gebackenen Bliny, die mit Butter, Lachs, Hering, Kaviar, saurer Sahne oder süßen Aufstrichen gereicht wurden. Die Frühlingswoche begann man früher übrigens mit dem sogenannten Elternsamstag, an dem man auf dem Friedhof der Verstorbenen mit Essen und Trinken gedachte; die ersten gebackenen Blinys gab man zum Gedenken an die Toten den Bettlern und Mönchen. Bis heute ist es Tradition, vor dem eigentlichen Hauptgericht Sakuski, d.h. Vorspeisen und „kleine Happen" zu reichen, zu denen Salziges, Mariniertes, Eingelegtes, Geräuchertes, Öliges, Fettes gehörte: Fisch, Fleisch und Gemüse sowie Brot, Salz und der obligatorische Wodka fehlen auf keiner Vorspeisentafel. Zu den nichtalkoholischen Getränken gehörten Tee, Kwas, ein aus Hefe und gegorenem Schwarzbrot hergestelltes Erfrischungsgetränk, das heute in Russland in großen gelben Tanks auf der Straße feilgeboten wird, sowie Sbitjen, ein heißes Honiggetränk, das vorzugsweise im Winter getrunken wurde und heute in Russland weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Die russische Küche blickt auf eine lange 6 Tradition zurück. Die Wikinger, die von Skandinavien her den Dnepr herunterzogen, machten die Ostslawen mit den heute noch beliebten üppigen Sahnesoßen und mit süßem Gebäck bekannt. Die Mongolen, die von 1240 bis 1480 das Russische Reich beherrschten, zeigten den Russen nicht nur, wie man Schnaps brennt, sondern auch, wie man Quarkgerichte herstellt, wie man Joghurt zubereitet, wie man mit Tee und dem Samowar umgeht und wie man Kohl in Salzlösungen konserviert. Iwan der Schreckliche (1533-1584) bemühte sich, den Russen Tischsitten beizubringen; doch, so heißt es, blieb der Adel von seinen reformerischen Bestrebungen unbeeindruckt; man aß nach wie vor ohne Messer und Gabel und rülpste und spuckte auch weiterhin. Im 18. Jahrhundert reformierte Peter der Große (1682-1725) in einer entscheidenden Perestroika nicht nur das politische und kulturelle Leben nach westlichem Muster, sondern auch die kulinarischen Gewohnheiten in seinem Land: er führte nicht nur die Sitte des Kaffeetrinkens in Russland ein, sondern auch Rezepte von westlichen Fleischgerichten. Aus dieser Zeit stammen auch die „russischen" Begriffe „bifschtek", „kotlet" und „schnitzel", mit denen man heute in Russland in erster Linie Hackfleischgerichte meint. Während der Regierungszeit von Katharina der Großen (17621792) erreichte das ausschweifende kulinarische Leben in Russland seinen Höhepunkt. Nach und nach bereicherten in den folgenden Jahrhunderten französische und englische Gouvernanten, deutsche Generäle und Hauslehrer aus den baltischen Staaten, Schweizer Köche und kaukasische Händler die russischen Rezeptsammlungen mit ihren heimatlichen Gerichten. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde von den Köchen des Grafen Alexander Stroganow (1795-1891) ein geschnetzeltes Kalbfleischgericht für Arme und Hungernde kreiert, das berühmte Bœuf Stroganow. Böse Zungen schreiben die Entstehung dieses weltweit bekannten Gerichts der Zahnlosigkeit des Grafen zu, der kein gewöhnliches Beefsteak mehr kauen konnte. Nach 1917 brachte das Land der russischen Küche nur wenig Interesse entgegen; der gute kulinarische Ruf der traditionellen russischen Küche geriet fast 70 Jahre lang in Vergessenheit. Erst allmählich, nach einer zunehmenden Rückbesinnung auf alte Werte unter Gorbatschows Perestroika-Politik, besinnte man sich wieder auf die klassische russische Küche. Nach der Einführung des christlichen Glaubens byzantinischer Prägung im alten Russland im Jahre 988 bestimmte ein umfangreicher Kirchenkalender mit Fast- und Festtagen die Küche der Russen. Fleischlose Gerichte waren vor allem zu den Fastenzeiten vorgeschrieben. Im Domostroi, dem Sittenkodex und der Haushaltsenzyklopädie des 16. Jahrhunderts, heißt es: „Des Sonntags, Mittwochs und Freitags, an den Feiertagen des Herrn, zu den Großen Fasten und an den Gottesmutterfesten lebet in Reinheit, im Fasten und im Gebet, in der Buße und in allen Tugenden." Die großen kirchlichen Feiertage, vor allem Ostern und Weihnachten, beging man im alten Russland mit üppigen Gerichten: Sakuski in Hülle und Fülle, Kaviar, diverse Suppen, Zander und andere Fischkostbarkeiten, Spanferkel, Wildbraten, Bœuf Stroganow etc. Zu Ostern wurde nach den Nachtgottesdiensten ausgiebig geschlemmt. Der russische Schriftsteller Iwan Schmeljow (1873-1950) schreibt über die kulinarischen Festlichkeiten in seinem Buch „Das Jahr des Herrn" (dt.: Wanja im Heiligen Moskau): „Ostern! ... Sechs Tage lang wird jetzt gefeiert, und wir werden wieder Fleisch essen wie gestern; es wird Kulitsch und Paßcha geben, und wir werden noch lange speisen – sechs Tage lang, jeden Morgen." Die Paßcha, die pyramidenförmige Quarkspeise mit unzähligen Eiern und kandierten Früchten, wurde mit den Buchstaben XB für „Christos woskresse!", „Christus ist auferstanden!" verziert. Sie wurde zusammen mit einem weiteren „Kalorienbomber", dem Kulitsch, einem zylindrischen Hefekuchen mit Rosinen, Mandeln, Safran, Nüssen und anderen würzigen Zutaten kredenzt. Natürlich gab es zu Ostern auch bemalte Eier und Wodka. Wodka – das heißt auf Deutsch „Wässerchen" – wurde erst im 16. Jahrhundert als Getränk im Russischen Reich eingeführt; vorher benutzte man ihn lediglich als Medizin. Davor waren Met und Früchtewein bekannt. Olearius stellte 1647 fest: „Es gibt allgemein gesunde und alte Leute in Russland, welche nicht viel krank sind, und wenn sie dann bettlägerig werden, ist des gemeinen Mannes beste Kur Branntwein und Knoblauch!" Der aus Weizen gebrannte Wodka wurde in Russland rasch zum beliebtesten alkoholischen Getränk und musste, wie 7 Olearius feststellte, „bei allen allezeit den Anfang zur Mahlzeit machen". Das gilt auch heute noch: Vor dem Verspeisen von Sakuski trinken Russen gern zunächst auf nüchternen Magen ein Glas gekühlten Wodka, oder besser noch, stürzen es auf einmal hinunter. Anschließend isst man ein wenig Brot und Vorspeisehäppchen. Diese Prozedur wiederholt sich im rhythmischen Wechsel. Die „grüne Schlange" oder die „weiße Magie" Wodka entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zum „Dämon Wodka". „Das russische Volk trinkt nicht aus Bedürfnis und nicht aus Kummer", so schreibt der russische Satiriker Andrej Sinjawskij (*1925), „sondern aus einer uralten Sehnsucht nach dem Wunderbaren und Außergewöhnlichen." Wladimir der Heilige erklärte 988: „Trinken ist Russlands Freude, wir können ohne es nicht sein!" Zahlreiche russische Sprichwörter unterstreichen die Bedeutung des Alkohols im russischen Leben: „Ohne Wodka findet man sich nicht zurecht! – „Wenn der Bauer sich betrinkt, ist er sein eigener Herr." – „In Russland werden die Leute vom Trinken fröhlich." – „Wer mit Wein spart, hat keine Gäste." – „Ich war besoffen, den Verstand hat's nicht getroffen." etc. Sauforgien fanden mit Vorliebe nach Ostern statt. Bei Hof waren sie gang und gäbe. Peter der Große liebte Trinkgelage, „die so gewaltig waren, dass viele Personen daran starben." So berichtet Peters Chefdiplomat Kurakin. Henry Vallotton, ein Biograph Peters l., schreibt: „Peter liebte den Trunk wie alle Russen und führte den Vorsitz bei tage- und nächtelangen Festen. Bacchus hatte keinen eifrigeren Jünger. Man maskierte sich, tanzte, betrank sich sinnlos – und Peter führte überall den Reigen an. Weil er selber so große Mengen Wodka hinunterstürzte, verlangte er das gleiche von seinen Gästen, egal, ob Herren oder Damen. Schildwachen vertraten ihnen den Weg, wenn sie sich davor drücken wollten." Peter trieb es auf die Spitze: Während eines Trinkgelages soll er eigenhändig Strelitzen geköpft haben. Der österreichische Diplomat Sigmund von Herberstein beschrieb im 16. Jahrhundert seine Erfahrungen mit dem Alkoholkonsum im alten Russland folgendermaßen: „Denn es ist bei ihnen eine Ehre und große Gnade, die Leute betrunken zu machen, und wer nicht ordentlich trunken gemacht wird, hält sich für missachtet. So sind sie Meister, den Leuten zuzusprechen und sie zum Trinken zu bereden. Einer nach dem anderen geht in die Mitte der Stube, trinkt mit bloßem Haupt seinen Becher aus und stürzt ihn über seinen Kopf. Wenn ich nicht trinken mochte, vermochte ich mich nicht anders dessen zu entledigen, als dass ich mich trunken stellte oder sagte, ich könne vor Schlaf nimmer mehr und wäre ganz satt." Ähnliche Eindrücke sammelte der venezianische Gesandte Contarini: „Eine scheußliche Krankheit nagt an allen Schichten der Gesellschaft: die Trunksucht. Der Geist aus der Flasche scheint der Hausdämon von Moskau zu sein. Man trifft überall 'gewaltige Säufer', die sich dessen noch rühmen und die Enthaltsamen verachten." Im Domostroi heißt es über den Alkoholkonsum der Frauen: „Das Weib soll niemals und unter keinen Umständen etwas Berauschendes trinken, weder Wein noch Met, weder Bier noch andere süße Getränke. Die Mägde und Dirnen sollen weder unter Leuten noch zu Hause trinken, bis sie berauscht sind." Katharina I. verfügte im 18. Jahrhundert: „Frauenzimmer sollen sich unter keinem Vorwand betrinken und Mannspersonen dürfen vor 9 Uhr morgens nicht betrunken sein." Getrunken wird auch heute, selbst nach dem rigorosen Wodka-Stopp unter Gorbatschow, noch gern; dabei wird bisweilen bis zur letzten erreichbaren Flasche getrunken. Beliebt ist das Trinken na troich, d.h. „zu dritt": auf ein von jedem Trink-Bereitwilligen verstandenes Zeichen hin leeren drei Personen, die sich in der Regel nicht kennen, eine oder mehrere Flaschen Wodka, die sie gemeinsam erstehen. Geschlemmt wurde vor allem am Zarenhof und beim Adel. Wie Iwan der Schreckliche zu speisen pflegte, beschreibt der russische Schriftsteller Alexej Tolstoj (1817-1875) in seinem Roman „Fürst Serebriany" folgendermaßen: „Als die Schwäne aufgegessen waren, verließen die Diener paarweise den Raum und kamen wieder mit dreihundert gebratenen Pfauen, die 8 ihre Räder über jede Plane schlugen. Dann folgten Kulebjakas, Kurniks, Piroggen mit Fleisch und Käse, verschiedene Bliny, gebogene kleine Piroggen und Oladjas. Das Mittagessen ging weiter. Zuerst wurden verschiedenartige Sülzen serviert, dann Kraniche mit Gewürztrank, gesäuerte Hähne mit Ingwer, knochenlose Hühner und Enten mit Gurken. Danach wurden verschiedene Pochljobas gereicht und Ucha in drei Arten: die weiße, die schwarze Hühnerucha und die mit Safran. Der Ucha folgten Haselhühner mit Pflaumen, Gänse mit Hirse und Birkenhennen mit Safran. Die Zarenköche zeichneten sich an diesem Tag aus. Noch niemals waren ihnen die Zitronenkaljas, die gedrehten Nieren und Karauschen mit Hammelfleisch so gut gelungen. Gut und lecker waren auch Hasen in Nudeln, und die Gäste, obwohl sie sich schon übergessen hatten, verzichteten aber nicht auf die Wachteln mit Knoblauchtunke und auf die Lerchen mit Zwiebeln und Safran." Peter der Große liebte nicht weniger umfangreiche Zaren-Diners, Es ist bekannt, dass er vor allem Süßigkeiten mochte. Zu einer seiner Geburtstagsfeiern wurden u.a. 120 verschiedene Süßspeisen aufgetragen: Lebkuchen mit Zimt; ein zwei Pud (ein Pud = 16,4 kg) und 20 Pfund schweres, mit Blumen verziertes „Zuckerstück"; ein zwei Pud schwerer Schwan aus Zuckerguss, der Kreml, das Reichswappen und der Reichsadler, Soldaten u.a. – alles aus Zucker. Adam Olearius schrieb: „Die Gesandten wurden mit einem Essen aus mindestens vierzig Gängen bewirtet." Manche Gelage am Zarenhof bestanden aus 150 Gerichten. Das Hors d'oeuvre der Zaren bestand nicht nur bei Iwan dem Schrecklichen aus einem Schwan. Man weiß, dass Peter der Große und seine 21 Begleiter während ihres Aufenthaltes in London zum Frühstück bereits einen halben Hammel, ein Viertel Lamm, zehn Hühner, zwölf Küken, sieben Dutzend Eier, drei Quart (ein Quart = 1,4 Liter) Cognac und sechs Quart Glühwein zu sich nahmen. Nicht weniger bescheiden war das Mittagessen, bei dem sie ein Viertel Pud Rindfleisch, einen ganzen Hammel von anderthalb Pud, dreiviertel Lamm, Kalbsschulter und -filets, acht Hühner und acht Kaninchen aßen und dabei 66 Flaschen Wein tranken. Auch über die vergleichsweise einfache Küche der Menschen wusste Olearius im 17. Jahrhundert zu berichten: „Die tägliche Kost der Russen ist Grütze, Rübenkohl, Gurken, frische und eingesalzene große Fische. Die Russen pflegen auch ein Essen, welches sie nach dem Rausche, wenn sie 's pochmelja' (d.i. einen Kater haben) oder unlustig sind zuzurichten. Sie schneiden gebratenes Hammelfleisch kalt in kleine Würfel, vermischen es mit ebenso kleingeschnittenen Salzgurken und mit etwas Pfeffer, gießen halb Essig und halb Gurkensuppe daran und essen es dann mit dem Löffel. Die Russen haben im Gebrauch, nach dem Essen Mittagsruhe zu halten und zu schlafen." Auch die Banja, die russische Sauna, spielt im Zusammenhang mit Essen und Trinken eine nicht unwesentliche Rolle. Olearius schrieb: „Wenn Russen ihrem Gast Gutes tun wollen, so schicken sie ihn ins Bad, wo er sich wäscht, und schicken ihm einen in Stücke geschnittenen Rettich mit Salz und erfrischende Getränke. Nach dem Bad bewirten sie ihn recht anständig ..." Viele Russen meinen auch heute, man müsse erst im Dampfbad tüchtig schwitzen, um mit großem Appetit essen zu können. Beim und nach dem Saunen isst und trinkt man ausgiebig und genussvoll: Wodka, gedörrter Salzfisch, Schwarzbrot, Gurken und anderes Gemüse, Säfte, Tee und Bier etc. stehen hoch im Kurs. Das russische Frühstück, sawtrak, ist im allgemeinen reichhaltiger als bei uns und besteht gewöhnlich aus zwei Gängen: zunächst gibt es wahlweise Eierspeisen, Kascha oder Milchprodukte, z.B. Sapjekanka – eine Quarkspeise aus Brot, Eiern und Zucker –, Prostokwascha – eine Art Sauermilch mit Zwieback, Zucker und Zimt – oder Rjashenka – Sauermilch –, anschließend Brot mit Butter, Konfitüre, Käse und Wurst sowie Tee oder Kaffee. Russen nehmen eine vollständige Mahlzeit, sei es mittags oder abends, zu sich. Das volle Mittagessen, objed, besteht aus drei bis vier Gängen, wobei die berühmten Sakuski das eigentliche Fundament der Mahlzeit bilden: Zunge, Sülze, eingelegte Pilze, Salzgurken und heringe, Lachs, Kraut, Salami, Kaviar, Pasteten, Gurken, Zwiebeln, Tomaten, Salate, z.B. der mit Kartoffeln, Hühnerfleisch, Gurken und Mayonnaise angerichtete Salat Stolitschnyj, der sogenannte „Hauptstadtsalat", u.v.a.m. finden sich auf dem Tisch ebenso wie reichlich 9 Brot und Getränke, vor allem Wodka. Anschließend wird als erster Hauptgang, na pjerwoje, eine Suppe serviert: Borschtsch, das ursprünglich aus der Ukraine stammende Suppengericht aus Sauerkraut, roten Beeten und Weißkohl; oder die Sauerkrautsuppe Schtschi; oder eine Soljanka, eine dicke Suppe aus Fleisch (bzw. Fisch) mit verschiedenen Fleisch- und Wurstsorten und Gemüsearten; oder Okroschka, die Gemüsesuppe aus Kwas und Gemüse; oder Rassolnik, die saure Gurkensuppe, u.a. Alle werden in der Regel jeweils mit Piroschki und saurer Sahne gereicht. Als zweiten Hauptgang, na wtoroje, wählt man – im Restaurant – zwischen Fisch und Fleisch. Gern gewählte Fischspeisen bestehen aus Stör, Forelle oder Zander, z.B. Sudak po-Moskowski, d.i. Zander nach Moskauer Art zubereitet. Renner bei Fleischgerichten sind Steaks, Hackfleischgerichte, kaukasisches Schaschlyk oder Geflügel, z.B. das Hähnchen à la Tabaka oder die Hähnchenkoteletts nach Kiewer Art. Dazu werden diverse Gemüse und Kartoffeln serviert. Die Nachspeise, na sladkoje oder na tretje, besteht aus Eis, dem berühmten Moroshenoje, dem Fruchtkompott Kissel, Obst, Keksen, Kuchen oder süßen Blintschiki, das sind kleine Pfannkuchen. Dazu wird wahlweise gern Tee oder Kaffee gereicht. Das Abendessen, ushin, oder – bescheidener – auch ein sogenannter „Abendtee", eine Vesper, wetscherni tschai, entspricht dem Mittagessen, ist aber weniger umfangreich, wenn man bereits zu Mittag eine vollständige Mahlzeit zu sich genommen hat. Die reichhaltigen, scharf gewürzten Gerichte der armenischen und georgischen Küche bieten neben Schaschlyk und Lammfleisch u.a. Chatschapuri (Fladen mit Käsefüllung), Lobio (Bohnengerichte), Dolma (Lamm in Weinblattern), Chartscho (Suppe mit Rindfleisch und Reis), Saziwi (gegrilltes Hühnchen in Nusssoße), Tschanachi (Hammelfleisch und Auberginen im Tontopf), Kupaty (mit Fleisch gefüllte Würstchen). Keine Hauptspeise der mittelasiatischen Küche besteht ohne Schaschlyk, Manty (mit Lammfleisch gefüllte Teigtaschen), Pilaw, das traditionelle Reisgericht mit Rosinen und Gewürzen, Brotfladen und grünem Tee. Die usbekische Küche ist reich an Suppen, die kasachische bietet neben Hammel- auch Pferdefleischgerichte; über das Nationalgetränk Kumys (= Stutenmilch) pflegen die Kasachen zu sagen: „Trinkt Kumys, und eure Augen werden klarer, die Beine starker und die Seele jünger!" 10 Typische Zutaten und Gewürze Aubergine Die Aubergine, die ursprünglich aus Indien kommt, wird in der russischen Küche gern als Vorspeise, vor allem als Auberginenkaviar, benutzt. Buchweizen Buchweizen, das niedrig-krautige Knöterichgewächs, das ursprünglich im Orient zu Hause war, kam über Byzanz nach Russland und gilt seit alten Zeiten als Nationalspeise der Russen. Das russische Sprichwort: „Kascha ist unsere Mutter" und andere Redensarten zeugen von der Bedeutung dieser Zutat in der russischen Ernährung. Buchweizen ist reich an Vitaminen, Eiweiß und Stärke. Man isst Kascha (= Grütze, Brei), das in Wasser eingeweicht und anschließend geröstet wird, als Einzelgericht oder als Beilage zu anderen Speisen. Am beliebtesten ist die Buchweizengrütze; Kascha kann man auch aus anderen Getreidearten herstellen. Dill Dill ist neben Petersilie in der russischen Küche eines der beliebtesten Gewürze. Fisch Die russische Küche ist in erster Linie eine Fischküche. Der Fischreichtum beruht auf den vielen Flüssen und Seen in Russland. Die ersten Siedler, die sich dort niedergelassen haben, verstanden es, die vielfältigen Fischarten auch vielfältig zuzubereiten. Man lernte rasch, Fisch durch Räuchern, Dörren, Salzen und Trocknen haltbar zu machen. Beliebte Fischgerichte werden aus Stör, Zander, Karpfen, Hecht, Kabeljau, Forelle, Dorsch, Schleie, Brasse, Aal, Hering, Sprotten u.a. Fischarten wie auch aus Krebsen zubereitet. Fisch gehört auch zur traditionellen Vorspeisetafel der russischen Küche. Fleisch Fleischgerichte wurden vor allem unter Peter I. (1682-1725) in Russland beliebt; er hatte Rezepte aus dem westlichen Ausland mitgebracht. Aus dieser Zeit stammen auch die „russischen" Begriffe „bifschtek", „kotlet" und „schnitzel", mit denen man heute in der Sowjetunion in erster Linie Hackfleischgerichte meint. Speisen aus Rindfleisch stehen nach wie vor an erster Stelle der Fleischgerichte; das berühmteste Gericht aus Rindfleisch ist Bœuf Stroganow. In Russland isst man Fleisch bevorzugt durchgebraten. Gurke Gurken werden vorzugsweise bei der Vorspeise, der Sakuska, gereicht. Man findet sie aber auch in Suppen und als Beilagen bei Hauptgerichten. Kartoffel Die Kartoffel, „das zweite Brot Russlands", wurde im 18. Jahrhundert aus Holland nach Russland eingeführt. In dieser Zeit wurden Kartoffeln übrigens nicht gesalzen, sondern gezuckert. Kartoffeln wurden ursprünglich als Medizin gegen diverse Krankheiten eingesetzt, bevor sie sich als beliebtes Nahrungsmittel durchgesetzt hatten. Kascha Kascha wird gern geröstet und als Brei, Pfannkuchen und – bei uns – als Müsli verwendet. Kaviar Kaviar nennt man den gesalzenen Rogen des Störs. Die schmackhaftesten und auch teuersten Kaviarsorten stammen vom Beluga, Osjotr und Sewruga. Der – preisgünstigere – rote Kaviar stammt vom Lachs. Kaviar isst man gekühlt und pur, mit etwas Zitrone gewürzt, bzw. klassisch auf Bliny, Toast oder einem hartgekochten Ei. Dazu reicht man in Russland bevorzugt Wodka. 11 Knoblauch Knoblauch wird in der russischen Küche gern – bisweilen auch sparsam – verwendet. Das Lutschen von Gewürznelken ist eine effektvolle Gegenmaßnahme gegen den – für manche – unangenehmen Knoblauchgeruch. Im altrussischen Sittenkodex Domostroi aus dem 16. Jahrhundert heißt es: „Wir verabscheuen den eklen Geruch des Knoblauchs, den von Betrunkenen, von Kranken und alles, was übel riecht." Kohl Ohne Kohl und Sauerkraut wäre die russische Küche undenkbar. Kohl wurde von den Nachbarländern in Russland eingeführt und gehört u.a. zu den Grundzutaten von Suppen, z.B. Schtschi. Kohl, Steck-, Runkel- und Zuckerrüben, roten Beten, Rettich, Meerrettich, Radieschen wird in Russland auch eine heilsame Wirkung zugesprochen. Kwas Kwas ist aus Hefe, Zucker und Schwarzbrot gewonnenes, fast alkoholfreies, durstlöschendes und vitaminreiches Brotbier, das u.a. die Grundlage mancher Speisen, vor allem Suppen, bildet. Mandeln Mandeln, die aus Asien nach Russland kamen, werden vor allem bei Nachspeisen und Kuchen gern verwendet. Meerrettich Der an Vitamin C reichhaltige Meerrettich, der vor allem in osteuropäischen Ländern wild wächst, wird in Russland gern als Grundlage für Soßen verwendet. Mohn Mohn gibt man u.a. auf Baranki, russische Hefekringel. Petersilie Petersilie gehört wie Dill und Schnittlauch zu den beliebtesten Gewürzkräutern in der russischen Küche; sie wächst in jedem russischen Garten. Pilze Frisch, mariniert, eingelegt, getrocknet, als appetitanregende Vorspeise oder als Beilage vieler Gerichte: Pilze, wie Reizker, Täublinge, Champignons, Pfifferlinge oder Hallimasch, gehören zu jeder traditionellen russischen Speise. Beliebt ist das „Pilzejagen" im Spätherbst. Anton Tscheschow schreibt über Pilze: „Am besten schmecken eingelegte echte Reizker, wenn sie klein geschnitten sind, wie für einen Gemüsesalat und ... mit Zwiebeln und Provence-Öl ... dies ist ein wahrer Leckerbissen." (In: Die Sirene.) Quark Quark ist in Russland seit alter Zeit bekannt und wird gern mit anderen Zutaten (Obst, Gemüse, Fisch) vermischt bzw. als Füllung für Teigwaren verwendet. Beliebte Quarkfüllungen findet man beispielsweise in Piroschki, Syrniki oder Galuschki. Die traditionelle Osterspeise Paßcha ist die Königin unter den russischen Quarkspeisen. Reis Reis, der zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt zählt, kam im 17. Jahrhundert von Byzanz nach Russland. Reis wird gern mit Schaschlyk serviert; er ist außerdem der Hauptbestandteil von Pilaw, dem zentralasiatischen Reisgericht, das auch gern in Russland zubereitet wird. Rosine Rosinen, die Trockenfrüchte aus Weintrauben, mit vielen Mineralstoffen und Vitaminen, werden in Russland als zusätzliches Süßmittel gern in Kuchen und im Pilaw verwendet. 12 Rote Beete Eine der wichtigsten Zutaten in der russischen Küche: Rote Beete oder Rüben werden meist als geschmackliches und farbiges Addendum im Borschtsch benutzt. Rote Beete werden auch als Vorspeise und Zutat im Salat bzw. für Kwas verwendet. Saure Sahne In der russischen, ja osteuropäischen Küche geht fast kaum etwas ohne Smetana, saure Sahne. Milch- und Joghurtgerichte sind populär in Russland. Neben saurer Sahne sind Kephir, Rjashenka, Prostokwascha und Sliwki in Russland beliebt. Schnittlauch Schnittlauch ist neben Petersilie und Dill ebenfalls ein beliebtes russisches Gewürz. Sonnenblumenöl Sonnenblumenöl, das aus Sonnenblumen kernen gewonnen wird, ist seit etlichen Jahrtausenden bekannt und wird für die Zubereitung vieler Vorspeisen, Salate, Soßen, Gemüse-, Fisch- und Fleischspeisen benutzt. Anfang des 18. Jahrhunderts führte es Peter der Große aus Holland in Russland ein. 1835 errichtete Daniil Bokarjow, ein russischer leibeigener Bauer, die erste russische Ölmühle. Heute ist Russland einer der größten Sonnenblumenölhersteller der Welt. Teig Brot wurde in der russischen Küche schon immer kredenzt. Zusammen mit Brot backte man im alten Russland Piroggen und Bliny. Die Zubereitung von Pasteten geht auf den Einfluss der französischen Küche zurück. Die ersten Pasteten-Restaurants wurden in Russland im 19. Jahrhundert eröffnet. Viele russische Spezialitäten, etwa Piroggen, Rasstegai, Kulebjaka und andere Pasteten, werden aus Hefe-, Mürbe- oder Blätterteig zubereitet. Zwiebel Ursprünglich aus Nordasien kommend, wurde die Zwiebel von den Griechen nach Russland eingeführt. Sie wird z.T. roh bzw. in Soßen, mit Fleisch und Gemüse gegessen. 13 Vorspeisen Sakuski: ein typisch russisches kulinarisches Phänomen. Eine vielfältige und reichlich gedeckte Vorspeisentafel mit „Appetithappen" gehört zur russischen Gastfreundschaft. Gäste werden damit verwöhnt. Ohne Vorspeisen, die aus Eingesalzenem, Eingelegtem, Gedörrtem, Mariniertem, Öligem, Fettem und Frischem bestehen, ist eine ordentliche Mahlzeit undenkbar. Das Hors d'œuvre ist für das Speiseritual entscheidend, ja wichtiger als die warme Hauptmahlzeit selbst. „Ein Russe", so schreibt die „Zarin der russischen Köchinnen", Alla Sacharow, „kann ohne Salzgurken, Sauerkraut und Salztomaten nicht leben." Traditionell wurden im alten Russland Sakuski prompt und ohne aufwendige Vorbereitungen unerwarteten Gästen, die oft lange Wegstrecken zurückgelegt hatten und erschöpft und hungrig waren, zum Stillen des ersten Hungers gereicht. Danach wurde dann ein üppiges, warmes Mahl serviert, dessen Zubereitung einige Zeit in Anspruch nahm. Die Vorspeisen werden in der Regel kalt serviert. Es muss nicht unbedingt ein gebratener Schwan sein, wie er am Zarenhof als „Appetizer" gereicht wurde. Zu den wichtigsten Sakuski gehören diverse frische Gemüsearten, gesalzene und marinierte Gurken und Pilze, Tomaten, gesalzener und geräucherter Fisch, Lachse, Krebse, Kaviar, Eier, kaltes Fleisch, Sülze, diverse Salate, Brot, Piroschki mit verschiedenen Füllungen etc. Die Zutaten einer typischen Vorspeisentafel finden Sie gleich zu Beginn dieser Rezeptsammlung. Zu den Vorspeisen gibt es Wodka und andere alkoholische Getränke, die jeweils vor dem Verspeisen der Vorspeisen getrunken werden – und das immer in Verbindung mit Trinksprüchen! Und noch ein Wort zu den warmen und kalten Soßen, die bei allen Speisen der russischen Küche eine wichtige Rolle spielen und sowohl bei den Haupt- als auch Vorspeisen in reichlicher Menge kredenzt werden: viele Soßenrezepte gehen auf den Einfluss der französischen Küche zurück, etliche sind auf russischem Boden entstanden. In der traditionellen russischen Küche unterschied man früher zwischen Mukowniki-Soßen, wobei Bratflüssigkeit mit Mehl gebunden wurde, und Wswari-Soßen, die aus einer Art süß-saure Marinade bestanden. Übrigens hatten einige reiche Kaufmannsfamilien in Russland früher spezielle Salatköche angestellt, die für ihre Salatsoßen bekannt waren. Eines der Rezepte lautete folgendermaßen: „Der Salat ist die Symphonie aller Speisen. Er bedarf der Kunst und fast der Genialität. Bei der Komposition dieser Symphonie muss man beim Öl ein weites Herz, beim Essig genug Geiz und bei der Anwendung des Salzes sehr viel Weisheit haben." Vorspeisenplatte mit Fisch, Fleisch und Gemüse Eine „klassische" russische Vorspeisenplatte mit Fisch, Fleisch und Gemüse enthält u.a. folgende Zutaten: geräucherte Fische wie Aal, Brasse, Hering, Makrelen, Sardinen, Sprotten und Stör, Anchovis, gefüllter Aal, Krebsfleisch, Krabben, Lachsfleisch; ferner Mariniertes und Eingelegtes wie marinierte Pilze, marinierter Stör oder eingelegte Tomaten und Gurken, Vinaigrettes, Pasteten, Rouladen, Fleisch und Fisch in Aspik und Mayonnaise. Weiter: hartgekochte und/oder gefüllte Eier, Gurkenscheiben, Kapern, Kaviar, Knoblauchzehen, Kürbis, Oliven, Paprikaschoten, Salzgurken, Sauerkraut, Zitronenscheiben, Zwiebelringe, frisches Grünzeug – Petersilie, Dill, Schnittlauch, Koriander. Dazu isst man gefüllte Piroschki, Roggen- oder Schwarzbrot mit Butter und trinkt Wodka. Ikra: Kaviar Kaviar, das „schwarze Gold Russlands", gilt als „Königin" unter den Vorspeisen. Kaviar, auf russisch Ikra, – das Wort stammt aus dem Türkischen: khavyah = Rogen –, stammt vom Rogen des Störs, der im Kaspischen Meer lebt und zum Laichen die untere Wolga hinaufsteigt. Kaviar wird nach Farbe und Größe unterschieden. Zu den bekanntesten der über 20 Störarten gehören Beluga, Osjotr und Sewruga. Das Beluga-Weibchen liefert 15-20 Kilogramm grobkörnigen, silbergrauen bzw. hellgrauen Kaviar, der zu den besten und 14 teuersten Sorten gehört. Der Kaviar des Osjotr hat kleinere Körner, ist preisgünstiger und auch schmackhafter, wie viele meinen. Der preiswerteste und verbreitetste echte Kaviar stammt vom kleinsten Stör, dem Sewruga. Der rote oder Keta-Kaviar stammt von Süß- bzw. Salzwasserlachsen und ist relativ preiswert. Der Kaviar des Süßwasserlachses ist von blasserer Farbe als der des Salzwasserlachses. Der Rogen des Seehasen ist schwarz gefärbt und sehr preiswert. Gepresster Kaviar, eine Mischung aus den Rogen des Osjotr und Sewruga, wird meist am Ende der Fischsaison von den reifsten Rogen gewonnen. Er schmeckt ein wenig salziger als die anderen Kaviararten. Neben dem gepressten Kaviar gibt es körnigen Kaviar. Übrigens: je heller der Kaviar, desto besser und teurer ist er. Silbergrauer, hellbrauner und goldbrauner Kaviar sind relativ selten und extrem teuer. Guten Kaviar isst man „pur", d.h. nie mit Zitrone. In der Regel wird er mit Bliny bzw. ungebuttertem Weiß- oder Schwarzbrot gereicht. Guter Kaviar wird frisch als malosol, d.h. leicht gesalzen, verkauft und wird kalt, nie mit Eiswürfeln belegt, serviert. Und zum Schluss: Kaviar trinkt man nie mit Champagner, Wein oder Bier, sondern immer mit Wodka. Russische Eier I Russische Eier sind bei uns so bekannt wie in Russland. Sie gehören zum Standardgericht russischer sakuski. Sie schmecken gut und sind rasch zubereitet. Hier die einfachste Version. Zutaten 8 Eier 150 g Kaviar 75 g Mayonnaise 100 g saure Sahne Pfeffer Salz einige Salatblätter 1 unbehandelte Zitrone Zubereitung Eier hartkochen, abschrecken, schälen und der Länge nach halbieren. Eigelb mit Kaviar bestreichen. Mayonnaise mit der sauren Sahne verrühren. Anschließend mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die gesäuberten Salatblätter auf einer Platte auslegen und mit der Mayonnaise bestreichen. Eier auf die Mayonnaise setzen. Mit Zitronenscheiben den Rand der Platte garnieren. Man kann die Mayonnaise auch getrennt reichen. Für 6-8 Personen Zubereitungszeit: 15 Minuten Russische Eier II Etwas zeitaufwendiger als das vorangegangene, aber ebenfalls einfach zuzubereiten, ist das folgende Rezept der russischen Eier. Zutaten 6 Eier 2 Eigelbe 500 g Kartoffeln 250 g Räucherlachs in Scheiben 50 g Sewruga-Kaviar (alternativ: Keta-Kaviar) 1 EL Zitronensaft 2 EL Senf 150 ml Öl 15