© Der folgende Artikel verschafft einen Überblick über das 20-jährige Bestehen des Deutsch-Russischen Forums e.V. Der Text kann im Ganzen oder in einzelnen Textauszügen verwendet werden. Die elektronische Fassung ist auf dem beigefügten Speichermedium. Um ein Belegexemplar bei Abdruck oder Webverweis wird gebeten. Von der großen Macht des kleinen Wortes Wenn es stimmt, was der russische Dichter und Philosoph Fjodor Tjutschew vor knapp 200 Jahren sagte, nämlich, dass Russland mit dem Verstand nicht zu begreifen ist, dann bietet dieses Jahresprogramm wenigstens eine Chance, es zu versuchen. Da kann man sich bei einer Konferenz in Uljanowsk an der Wolga einen russischen Städtepartner suchen, diskutiert in Potsdam mit russischen Kulturwissenschaftlern über „Die Zukunftswirkung der Vergangenheit“, lernt ein paar Zungenbrecher-Vokabeln beim Sprachspiel „Spielend Russisch lernen“, reist mit jungen Führungskräften beider Länder in das Altai-Gebirge, um herauszufinden, wie Tourismus und Agrarwirtschaft sich gegenseitig unterstützen, und applaudiert schließlich, wenn sich der deutsche und russische Forschernachwuchs in Berlin beim Science-Slam Wortgefechte liefert. Das ist nur ein kurzer Auszug aus dem Jahresprogramm des Deutsch-Russischen Forums. Es steckt ein gewisser Trotz hinter diesem Engagement. Richtig begreifen wird man Russland vielleicht nie. Aber man darf auch nie aufhören, es zu probieren. 20 Jahre wird das Deutsch-Russische Forum in diesem Jahr alt. Das hört sich eher nach einem Jüngling an, nicht nach einem gesetzten Herren, der beim Jubiläum mit etwas Verwunderung auf ein ereignisreiches Leben zurückschaut. Doch die Geschichte des Forums ist kurz u n d turbulent. Der Verein hatte im Februar 1993 gerade erst die Gründungsversammlung hinter sich, als sich die Staatskrise in Russland verschärfte und Präsident Jelzin schließlich im Oktober das Weiße Haus, Sitz des Parlaments, stürmen ließ. Es folgten in den Jahren darauf zwei Tschetschenienkriege, ein Georgienkrieg, die Geiselnahme in der Schule von Beslan, die Ermordung Anna Politkowskajas, die Verurteilung Michail Chodorkowskijs. Das sind viele Herausforderungen für einen Verein, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, keine Interessen zu vertreten, weder die des Ostens noch die des Westens. Es gibt nur ein übergeordnetes Ziel: Den Bürgern beider Länder eine Plattform zum Dialog bieten. Die Idee für die Gründung des Deutsch-Russischen Forums lag Anfang der 1990-er Jahre offenbar in der Luft. „Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland begannen sich sehr gut zu entwickeln, aber wir brauchten noch einen nicht-staatlichen, vollkommen entideologisierten Ansatz“, erinnert sich Andreas Meyer-Landrut, bis 1989 deutscher Botschafter in Moskau und heute Ehrenvorsitzender des Forums. Alexandra Gräfin Lambsdorff, auf deren Initiative die Gründung des Forums beruht, berichtet, wie sie im Sommer 1992 durch Deutschland gezogen sei, um Unterstützer für einen zivilgesellschaftlichen deutsch-russischen Verein zu werben. Die Resonanz? „Überwältigende Zustimmung. Es war die richtige Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt sie. Meyer-Landrut ergänzt: „Mit unserem vielfältigen Ansatz von Wirtschaftskontakten über Städtepartnerschaften bis hin zu Vortragsveranstaltungen haben wir eine Formel gefunden, die bis heute überlebensfähig ist.“ Als Blaupause für das Deutsch-Russische Forum diente die Atlantikbrücke, ein Verein, der seit 1952 zwischen den USA und der Bundesrepublik Kontakte knüpft. Wie beim großen Vorbild setzte das Forum von Beginn an auf die jungen Führungskräfte. Eine Initiative, aus der schnell die „YoungLeader-Seminare entstanden. Bis heute haben 1300 junge Russen und Deutsche an den Seminaren teilgenommen. Knapp 400 von ihnen engagieren sich im Alumni-Netzwerk, dem Club FORUM. Eines aber unterscheidet den deutsch-amerikanischen Dialog bedeutend von dem deutsch-russischen. Ein Grundvertrauen wie gegenüber den USA gibt es in Deutschland gegenüber Russland nicht. Die Brücke zwischen Deutschland und Russland steht auf viel unsicherem Fundament. Wie eine Brigade Bauarbeiter machen sich die Mitglieder des deutsch-russischen Forums daran, dieses wacklige Fundament mit kleinen Steinen aufzufüllen. Da sind zum Beispiel die Journalistenpraktika, 276 junge Russen haben in den vergangenen Jahren in deutschen Redaktionen Erfahrungen gesammelt. Oder das Kulturportal Russland.de, auf dem 75.000 Besucher regelmäßig Veranstaltungen, Buchtipps und Jobs suchen und finden. Dazu die vielen Konferenzen, Seminare und Workshops, auf denen über Fußball, Kommunalpolitik oder Vergangenheitsbewältigung gesprochen wird. Und wenn das Fundament mal wieder bröckelt, weil Politiker beider Seiten auf Konfrontationskurs gegangen sind, dann gilt es, die kleinen Steine nur noch emsiger zu sammeln. Das ist mühsam. So mühsam, dass Geschäftsführer Martin Hoffmann sagt: „Dass das Forum seit 20 Jahren so gut funktioniert, ist ein kleines Wunder.“ Hoffmann, seit 18 Jahren Geschäftsführer, kann bis heute nicht genau erklären, was ihn dazu bewog, in den 1980er-Jahren, inmitten des Kalten Krieges, ohne Vorkenntnisse in Münster Slawistik zu studieren. Als Schachspieler faszinierten ihn die russischen Großmeister, als Literaturliebhaber verschlang er Dostojewskij, das alles spielte wohl eine Rolle. Sehr ausführlich kann Hoffmann allerdings beschreiben, was den Erfolg des Deutsch-Russischen Forums ausmacht: „Wir sprechen nicht nur davon, dass wir nicht oberlehrerhaft auftreten wollen, wir setzen es auch praktisch um.“ Was das konkret heißt? Zuallererst: Zuhören. „Wenn wir einen erfolgreichen Dialog haben möchten, dann müssen wir zuhören. Und wenn sich uns die Haare sträuben, dann müssen wir weiter zuhören“, sagt Martin Hoffmann. Für diese Strategie ist das Forum bereit, auch einmal einen Schritt von der eigenen Agenda zurückzutreten und sich auf russische Interessen einzulassen, russische Themen aufzugreifen. Als Konsequenz dieses Ansatzes nimmt der Verein seit dem Jahr 2007 auch russische Mitglieder auf. Im Moment zählt das Deutsch-Russische Forum insgesamt 343 Mitglieder, darunter Privatpersonen, Verbände, Gewerkschaften und Unternehmen. Die offensiv vorgetragene Absage an jegliche Ideologie, seine Vorliebe für den durchdachten Dialog statt für markige Worte, bringt den Verein so manches Mal in Bedrängnis, wenn Forderungen laut werden, sich zu positionieren. Frei nach dem Motto: Wer nicht gegen Putin ist, ist für ihn. Sag, wer du bist: Schwarz oder weiß? Dabei will das Forum sich nicht entscheiden. Es möchte am liebsten bunt sein. Da reisen Schüler aus Deutschland mit der Stiftung „Deutsch-Russischer Schüleraustausch“ nach Tscheljabinsk und trainieren dort mit gleichaltrigen Russen Eishockey. Junge Führungskräfte begegnen sich auf ihren Young-Leader-Seminaren so, dass Alexandra Gräfin Lambsdorff nur das Wort „herzbewegend“ dafür einfällt. Und schließlich besuchen Deutsche und Russen während einer Städtepartnerkonferenz in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, das Museum für den Zweiten Weltkrieg. Über einem Modell der von Deutschen zerbombten Stadt ist von schrecklichem Leid genauso die Rede wie von einer gemeinsamen positiven Zukunft. Für das Deutsch-Russische Forum ist jede dieser Begegnungen mehr wert als alle mit viel Kritik gewürzten Sonntagsreden zusammengenommen. „Keine Gesellschaft wird sich ändern, weil jemand mit dem erhobenen Zeigefinger kommt und Änderungen anmahnt“, sagt Ernst-Jörg von Studnitz, Vorstandsvorsitzender des Forums. Das Konzept des Vereins ist es, Änderungen indirekt durch Kommunikation zu beeinflussen. „Wir sagen nicht, wie die Russen etwas machen sollen, wir lassen sie sich selbst erläutern, und zwar auch Positionen, die uns nicht gefallen“, so von Studnitz. Durch die ständigen Kanäle des Dialogs wird eine Umgebung geschaffen, in der gesellschaftliche Prozesse angeschoben werden. Und so nimmt das Deutsch-Russische Forum durchaus in Anspruch, beim zarten Erwachen der russischen Zivilgesellschaft im vergangenen Jahr eine gewichtige Rolle gespielt zu haben. Die junge Moskauer Mittelschicht, die auf die Straße ging und demonstrierte, war schließlich genau die Klientel, die das Deutsch-Russische Forum in den knapp 20 Jahren zuvor immer wieder mit Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Kontakt gebracht hatte. Ernst-Jörg von Studnitz sagt: „Gegenseitiges Befragen und Zuhören, so simpel ist das Geheimnis unserer Arbeit.“ „Zum Glück gibt es in Deutschland noch Utopisten“, schrieb der ehemalige Moskau-Korrespondent der ZEIT, Michael Thumann, im Jahr 2000 in einem Kommentar. Gemeint war damit das DeutschRussische Forum. Sie seien die Helden der Bewegung, die Förderer der Mittelklasse, die Ideengeber für junge Russen und die eigentlichen strategischen Denker, so Thumann. „Mehr davon will man rufen, mehr von diesen 'Träumern', die den einzig realistischen Weg gehen, um Russlands kommende Generation nach Europa zu bringen.“ Der einzig realistische Weg – das DeutschRussische Forum ist ihn 20 Jahre lang gegangen und will ihn weiter gehen. Das Deutsch-Russische Forum e.V. in Zahlen Gründungsversammlung 5. Februar 1993 Mitglieder 343, davon 184 Privatpersonen aus Medien, Wissenschaft und Politik, 60 kleine Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften, 54 mittelständische Unternehmen, 45 Großunternehmen Nachwuchsarbeit 1300 junge Führungskräfte durchliefen die Young-Leader-Seminare, im Alumni-Netzwerk Club FORUM sind 391 Mitglieder aktiv 276 junge russische Journalisten haben ein Journalistenpraktikum absolviert, 2013 startet Runde 19 mit 15 Teilnehmern 2013 findet das 10. Medienforum für deutsche und russische Nachwuchsjournalisten statt 300 Nachwuchskräfte aus Deutschland haben seit 1999 an den mit der Moskauer Schule für Politische Studien organisierten fünftägigen Seminaren teilgenommen 10.000 registrierte Nutzer im Alumni-Portal „Hallo Deutschland“, 20 Veranstaltungen (Konferenzen, Seminare,Firmenbesuche etc.) pro Jahr mit über 1000 Teilnehmern Kulturarbeit Potsdamer Begegnungen, jährliche zweitägige Konferenz unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, bislang 14 Potsdamer Begegnungen mit etwa 500 Wissenschaftlern, Künstlern, Literaten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Städtepartnerschaften, jährliche Städtepartnerkonferenz, unter der Ägide des Forums wurden 10 neue Partnerschaften geschlossen Kulturportal Russland, online seit 2003, 74.400 Unique User, 715.233 Seitenaufrufe jährlich Publikationen regelmäßige Publikationen zu den deutsch-russischen Beziehungen „Russland Aktuell intern“ - Infodienst für die Mitglieder des Forums „Info-Bulletin“ - Nachrichten aus dem DRF, aus dem Bereich der deutsch- russischen Beziehungen, Veranstaltungskalender, Kulturtipp, Stellenbörse, 8000 Leser in Deutschland und Russland 18.000 Seitenaufrufe auf der Homepage