Path. vet. 6: 437-443 (1969) Aus dem Zoologischen Institut der Universitat Hohenheim Abt. Parasitologie (Leiter : Priv.-Doz. (Direktor : Prof. Dr. 0. PFLUGFELDER), Dr. W. FRANK)und dem Staatlichen Tierarztlichen Untersuchungsamt (Leiter: Reg. Vet. Dir. Dr. SCHEU) Metastasierendes Lymphosarkom bei einer Riesenschlange, Eunectes murinus (Linnaeus, 1758) WERNER FRANK* und ARWIDSCHEPKY Ausser in den zusammenfassenden Darstellungen von Lucr<Bund SCHLUM', SCHLUMBERGER' S O W k REICHENBACH-KLINKE', und REICHENBACHKLINKEund ELKAN~ sind bisher nur vereinzelte Beobachtungen von Geschwulsten bei Reptilien beschrieben worden. Insbesondere bei Schlangen scheinen bosartige Tumoren relativ selten zu sein. KAS+ konnte in der Literatur nur 25 Falle auffinden, die nach seiner Ansicht einer kritischen Nachpriifung standhielten. Diese geringe Zahl diirfte sich einerseits darauf zuriickfiihren lassen, dass in Zoologischen Giirten und bei Liebhabern nur relativ wenige Tiere zur Sektion gelangen, andererseits aber bei Freilandfangen wahrscheinlich auch sehr viele, verhaltnismassig junge Exemplare, untersucht werden. Trotz Beriicksichtigung dieser Tatsachen scheint aber der Prozentsatz von Tumortriigern bei diesen Kaltder bei 4000 Sekblutern nicht a k u hoch zu sein. Die Ergebnisse von PEYRON~, tionen keine Tumoren fand, von BERGMANN~, der bei 2200 Sektionen freilebender der bei 204 GefanSchlangen nur eine Geschwulst gefunden hat und von IPPEN~, genschaftstieren ebenfalls nur einen Tumor nachweisen konnte, lassen darauf schliessen, dass Geschwiilste sicher nicht zu den haufigsten Erkrankungen dieser Tiere zahlen. Einschrankend muss hier allerdings angefiigt werden, dass eigene Untersuchungen des einen von uns (FRANK), die bei planmassigen Sektionen von Reptilien in den vergangenen 6 Jahren durchgefiihrt wurden, ein e t w s anderes Bild ergeben. Bei uber 1500 Sektionen von Reptilien, die mehr oder weniger lange in Gefangenschaft waren, Iiessen sich ca. 20 Tiere - darunter eine Anzahl von Schlangen - mit Geschwiilsten ermitteln. Da das Material noch nicht ausgewertet ist, kann vorlaufig nicht entschieden werden, inwieweit es sich um benigne oder maligne Neoplasmen handelt. Leider sind auch einige Falle unter dem genannten Material, die infolge weitgehender Lyse nicht mehr auswertbar sind. Interessant ist ferner, dass in den von KAS+ tabellarisch zusammengestellten Fallen weder eine GeschwuIst der Leber noch der Thyreoidea aufgefiihrt ist, BERGER*. * Meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. OTTOPFLUGFELDER zum 65.Geburtstag in Dankbarkeit gewidmet. 438 FRANK/SCHEPKY wahrend bei unserem Sektionsmaterial mehrere Lebertumoren vorhanden sind. Auffallend ist femer, dass anscheinend keine Geschwiilste an inneren Organen ausser dem Magen-Darmtraktus und einem Adenocarcinom der Niere und des Gallengangs - nachgewiesen wurden, und dass bisher keine Tumoren gefunden wurden, die ihren Ursprung im blutbildenden System hatten. Da das bisher ausgewertete Untersuchungsgut noch verhdtnismassig wenig Fdle umfasst, erscheint es wiinschenswert und gerechtfertigt, weitere Einzelbeobachtungen zu veroffentlichen und zugleich auch der in den Vereinigten Staaten eingerichteten Ze.ntralstelle* Vergleichsmaterial zur Verfiigung zu stellen, um moglichst weitgehende, vergleichende Betrachtungen iiber Geschwulstbildungen bei niederen Tieren anstellen zu konnen. Im folgenden soll iiber Tumoren verschiedener innerer Organe (Leber, Thyreoidea, Milz, Pankreas) bei einer Anakonda (Eunectes murinw) berichtet werden. Die makroskopischen, pathologisch anatomischen Veranderungen waren insbesondere bei der Leber extrem ausgebildet. Auf Grund der Einheitlichkeit der Tumorzellen in allen Organen und der schwersten Veranderungen in der Leber ist anzunehmen, dass der Primarherd in der Leber gelegen hat, und dass erst sekundar die iibrigen Organe mit Metastasen durchsetzt wurden. Material und Methode Eine weibliche, mehrere Jahre alte Anakonda, Eunectes murinus (LINNAEUS 1758) von 2,2 m Lange, die ein Gesamtgewicht von 3425 g hatte und einige Jahre in einem Schauterrarium gehalten wurde, zeigte im vordersten, ventralen Korperdrittel (cranial des Herzens) eine beidseitige Korperauftreibung, die standig an Umfang zunahm. Eine Punktion der Auftreibung war ergebnislos. Der Krankheitsprozess fuhrte nach ungefahr 6 Monaten zum Tode. - Das bei der Sektion entnommene Gewebematerial wurde in Susa fixiert, in Paraffin eingebettet und die Schnitte mit verschiedenen Farbstoffgemischen gefarbt. Blutausstriche und Organtupfpraparate wurden ebenfalls angefertigt. Ergebnisse Makro.rkopischer Beftrnd Die Schlange war in einem sehr guten Ernahrungszustand mit reichlichem Fettkorper. Cranial des Herzens waren 2 grosse Tumoren links und rechts der Trachea angeordnet, die sich auf Grund der Lage als Thyreoidea-Wucherungen erkennen liessen (Abb. 1). Der linke Tumor hatte etwa die Grosse eines Enteneies, der rechte die eines Huhnereies. Die Leber hatte eine rauhe, unebene Oberflache, war geschwollen und stark vergrossert. Besonders im Anschnitt zeigte sich eine Durchsetzung des Parenchyms von hunderten weisslicher Bezirke, die sich mehr oder weniger unscharf vom iibrigen Parenchym abhoben. Diese Areale erwiesen sich bei der histologischen Untersuchung als Lymphosarkome (Abb. 2). ~~ * ~ Smithsonian Institution, United States National Museum, Registry of Tumors in Lower Animals, Washington D. C. 20 560 USA. Abb. 1. Die riesigen Tumoren der Thyreoidea stellen sich im Vergleich zur Grosse des Herzens (+) besonders deutlich dar. Abb. 2. Schnitt durch die Leber bei etwa ltjfacher Vergrosserung. Das Lebergewebe ist nur noch als Netzwerk vorhanden (L), die Maschen)) sind mit Tumorgewebe ausgefiillt (T). 440 FRANKISCHEPKY Die Lymphknoten in der Oesophaguswandung waren stark durchblutet und geschwollen. Das Ovar wies nekrotische Areale auf. Alle iibrigen Organe waren makroskopisch ohne sichtbare Veranderungen. Um eine klare Vorstellung vom Tumorgewebe im Vergleich zu den ubrigen Organen zu geben, sind die verschiedenen Daten nachfolgend zusammengestellt. Gesamtlange der Schlange : 2,2 m 3425 g Gesamtgewicht der Schlange: Korpergewicht ohne innere Organe : 2275 g Innere Organe einschliesslich Tumoren : Thyreoidea Tumor 1 (links) 145,3 g Thyreoidea Tumor 2 (rechts) 59J g 204,4 g Leber 44296 g 647,O g Alle iibrigen Organe einschliesslich Fettkorper 1150 g 647 g 503 g Zum Vergleich sei das Herz herangezogen, das entblutet nur 19 g wog und damit weniger als 1/10 des Gewichtes der beiden Thyreoidea-Tumoren erreichte. Bakteriologische Unterszjchzjng Organproben wurden auch einer bakteriologischen Untersuchung unterzogen, wobei ausser iiblichen Leichenkeimen keine speziiischen Bakterien nachgewiesen werden konnten. Histologischer Bgund Mikroskopisch zeigte sich bei allen Organproben ein etwa identisches Bild, wobei das destruierende Wachstum der Tumorzellbezirke besonders auffallend in der Leber und Milz in Erscheinung trat. In der Thyreoidea und der Milz waren auffiillige grossflachige nekrotische Areale vorhanden. Der vorherrschende Zelltyp stellt sich als unreife Zelle aus der Reihe der Lymphoblasten dar. Nachfolgend sollen die Veranderungen in den einzelnen Organen getrennt besprochen werden. Leber Die Struktur der Leber ist dadurch charakterisiert, dass grossflachige Lymphoblasteninfiltrate vorherrschen. Es sind nur noch geringe Reste stark vakuolisierter (Fetteinlagerung?) Leberzellen vorhanden, die teilweise bis auf schmale Bander zusammengedrangt, die Tumorzellbezirke durchziehen. (Abb. 2 , 3 und 4.) Im Obersichtsbild zeigen sich in geringer Zahl miliare Herde zwischen den Tumorzellen, die sich bei starkerer Vergrosserung als degenerierende Lymphoblasten in verschiedenen Stadien des nekrobiotischen Zerfalls erkennen lassen. Abb. 3. Leberparenchymrest (L), der nur noch als Septe durch die ausgedehnten Lymphoblastenbezirke hindurchzieht. Abb. 4. Ausschnittvergrosserng aus Abb. 3. Die kleinen Rundzellen (Lymphoblasten) mit den unterschiedlichen Zellkernen sind links und rechts neben den Resten der weitgehend degenerierten (vakuolisierten) Leberzellen (L) zu sehen. 442 F R A N 1KS c H E P KY Tbyreoidea Das normale Bild der Schilddriise ist nicht mehr zu erkennen. Die vereinzelt aufzufindenden Follikel haben sehr flaches Epithel; sie sind mit Kolloid gefullt und zeigen die typischen Randvakuolen. Das Kolloid diirfte auf Grund des mikroskopischen Aussehens dunnflussig gewesen sein. Zwischen den Follikeln, die oft 1 cm und mehr voneinander entfernt sind, liegen riesige Bezirke von Tumorgewebe, das seinerseits wieder von breiten Bindegewebsstrangendurchzogen wird. Grosse Bezirke des Gewebes sind nekrotisch eingeschmolzen. Das Tumorgewebe stellt wiederum eine Anhaufung von Lymphoblasten dar. Im noch erkennbaren Retikulum ist das alleinige Vorherrschen der Tumorzellen charakteristisch. Auch in diesem Organ finden sich grossflachige Nekrosen. Die Milztrabekel sind nicht mehr erkennbar. Bei den Tumorzellen handelt es sich um denselben Zelltyp wie bei den beiden zuerst besprochenen Organen. Pankreas Das im wesentlichen ungeschadigte Driisengewebe (exokriner Teil) ist teils herdformig, teils diffus infiltrierend von Lymphoblasten durchsetzt. Besonders um die Kapillaren finden sich mantelformige Tumorzellinfiltrate. Niere Das histologische Bild zeigt ein noch voll funktionsfahiges Organ, bei dem lediglich im Interstitium vereinzelte Lymphoblastenherde, die sich auch perikapillar in geringer Zahl und Ausdehnung finden, zu erkennen sind. Diskussion Die Art und Starke der in den Organen vorherrschenden pathologischen Veranderungen, verbunden mit dem unterschiedlichen Grad der Gewebezerstorung bei gleichzeitigem Vorherrschen ein und desselben Zelltyps (Lymphoblasten), lassen darauf schliessen, dass es sich bei dem Tumor um ein Lymphosarkom handelt. Die Grosse der Leber (442g) und die schweren, mikroskopisch sichtbaren Veranderungen in diesem Organ deuten darauf hin, dass der primare Herd des Tumors in diesem Organ zu vermuten ist. Die Ausgangspunkte durften im indifferenten Mesenchym zu suchen sein. Aus der vorliegenden Literatur ist ersichtlich, dass bisher keine derartigen Geschwulstformen bei Reptilien beschrieben wurden. Die von SCOTT u,. BEAT TIE^^ bei einem Krokodil gefundenen Geschwiilste (Kleinhirn, Herzkammer und Leber) werden von diesen Autoren als kleinzelliges Rundzellensarkom definiert, das SCHLUMBERGER~ allerdings ah ein fragliches Lymphosarkom ansieht. Damit stellen die hier vorgelegten Untersuchungen den ersten Fall dar, bei dem sich bei einer Schlange aus dem blutbildenden System bosartige Neubildungen entwickelt Rietastasierendes Lymphosarkom bei einer Riesenschlange 443 haben. Ob es sich bei dieser Erkrankung um eine ahnliche Erscheinung handelt wie sie bei der Leukose des Geflugels auftritt, dass es sich also um eine ubertragbare, virusbedingte Tumorform handelt, ist aufgrund der vorliegenden Untersuchungen nicht abzuklaren. Durchgefuhrt mit Unterstutzung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Der Leitung des Aquarium Ulm sei fur die Uberlassung des Tieres vielmals gedankt. Ztrsammenfassmg Die Verfasser berichten iiber einen Tumor des blutbildenden Systems einer Riesenschlange und beschreiben damit die erste derartige Geschwulst bei einem Reptil. Der Primarherd war vermutlich im undifferenzierten mesenchymalen Anteil der Leber, wahrend sekundar in abnehmender Reihenfolge Thyreoidea, Milz, Pankreas und Niere befallen wurden. Der vorherrschende Zelltyp ist in allen Organen der Lymphoblast und daher ist der Tumor als Lymphosarkom zu bezeichnen. S.ummar_y This report of a tumor of the hematopoietic system in an anaconda snake, Eunectes murinus, is the first of such a growth in a reptile. The primary site was apparently in undifferentiated mesenchymal cells in the liver and secondarily deposits occurred in the thyroid, spleen, pancreas, and kidneys. The lymphoblast was the predominant cell type in all of these organs ; hence the tumor is designated as a lymphosarcoma. Literatw 1. BERGMANN, R.A.M. : Tumoren bij Slangen. Geneesk. Tijdschr. Ned.-Ind. 81: 571-577 (1941). 2. IPPEN, R.: Uber Sektionsbefunde bei Reptilien. Zbl. allg. Puth.puth. Anat. 107: 520-529 (1965). 3. KAST,A. : Malignes Adenoameloblastom des Gaumens bei einer Tigerpython. Frankf. Z . Path. 77: 135-140 (1967). 4. LUCKB,B. und SCHLUMBERGER, H.G.: Tumors of fishes, amphibians and reptiles. Cancer Res. 8: 657-754 (1948). 5. - - Neoplasia in cold blooded vertebrates. Physiol. Rev. 29: 91-126 (1949). 6. PEYRON, A. : Sur la frequence des tumeurs dans les divers ordres de vertkbrb A sang froid et leur rarete dans les espkces venimeuses. C. R. Acad. Sci. 209: 261-263 (1939). 7. REICHENBACH-KLINKE, H.H. : Krankheiten der Reptilien (G. Fischer, Stuttgart, 1963). 8. REICHENBACH-KLINKE, H.H. und ELKAN,E.: The Principal Diseases of Lower Vertebrates. (Academic Press, New York 1965). 9. SCHLUMBERGER, H.G. : Krankheiten der Fische, Amphibien und Reptilien. In: COHRS,P.; JAFFB,R. und MEESEN H. : Pathologie der Laboratoriumstiere, Bd. I1 (Springer, Berlin 1958). J. : Neoplasm in a porose crocodile. 1.Path. Buct. 10. Scorn, H.H. and BEATTIE, 30: 61-66 (1927). Adresw des Autors: Priv.-Doz. Dr. WERNERFRANK, Zoologisches Institut der Universitiit, Abteilung Parasitdogie, 7000 Stnttgart-Hahenhim (Deutschland).