Seminar dunkle Materie Experimentelle Hinweise auf dunkle Materie Experimentelle Hinweise I. 1. 2. 3. 4. Masse-Leuchtkraft-Relation Kinematische Methoden zur Massenbestimmung Gravitationslinsen Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse Kandidaten für dunkle Materie II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. (Super-) massive schwarze Löcher MACHOs Planetoiden, Asteroiden Staub Interstellares Gas Obergrenze für Baryonische Materie Neutrinos Mögliche Lösungen III. 1. 2. Dunkle Materie in Form exotischer Teilchen MOND I. Experimentelle Hinweise auf dunkle Materie 1. Masse/Leuchtkraft-Relation Helligkeit: logarithmische Skala, Einheit Magnitude ⎛∞ ⎞ = − 2.5 log ⎜⎜ ∫ f ν d ν ⎟⎟ ⎝ ∞0 ⎠ ⎛ ⎞ = − 2.5 log ⎜⎜ ∫ f ν s V (ν )d ν ⎟⎟ ⎝0 ⎠ scheinbare bolometrische Helligkeit : m bol scheinbare Helligkeit im visuellen Band: mV absolute Helligkeiten: M X = m x + Δm mit Entfernungsmodul Δm = 5 log d 10pc Leuchtkraft: Gesamtstrahlung, die vom Stern abgegeben wird ∞ L = 4π R 2 F = 4π R 2 ∫ Fν dν 0 Masse/Leuchtkraft-Relation - absolute Helligkeit und Spektrum Dem Gesamtstrahlungsstrom entspricht eine effektive Temperatur: 4 F = σ B Teff Teff wird ermittelt durch Vergleich der Leuchtkraft verschiedener Bänder, z.B. UV, blau, visuell… Die Temperatur bestimmt also die Leuchtkraft 4 L = 4π R 2 σ B Teff … und die absolute Helligkeit M = −2.5 log L + const. M ∝ log Teff Bestimmung der absoluten Helligkeit eines Sterns ohne Kenntnis der Entfernung möglich Masse/Leuchtkraft-Relation - Farbtemperatur und Helligkeit Hertzsprung-Russell-Diagramm: Farb-Helligkeits-Diagramm (FHD): Masse/Leuchtkraft-Relation - Bestimmung bei Doppelsternen: Bestimmung der Massen aus der Kinematik möglich sonst direkte Bestimmung von M/L aus dem Spektrum GM 4 Leuchtkraft L = 4π R 2 σ BTeff und Oberflächenbeschleunigung g = 2 R M 1 g ⇒ = 4 L 4π Gσ B Teff g messbar, da Absorptionslinien in der Sternatmosphäre vom Druck abhängig Bestimmung der Masse-Leuchtkraft-Relation aus dem Sternspektrum möglich Masse/Leuchtkraft-Relation - Messwerte (Hauptreihensterne) in Einheiten von Sonnenmasse M0 = 1.98 · 1030 kg und Sonnenleuchtkraft L0 = 4.76 ⎧4 log M für M ≥ 0.6 M 0 M0 ⎪ log L ≅ ⎨ L0 ⎪2 log M M − 0.4 sonst 0 ⎩ Masse/Leuchtkraft-Relation von Galaxien (photometrisch bestimmt) Milchstraße: Y = M / L ≈ 5 M0 / L0 = Y 0 Sterne mit M > M0 tragen zu 95% zur Leuchtkraft bei Sterne mit M < M0 tragen aber 75% der Sternmasse Übertragung der Ergebnisse auf andere Galaxien je nach Vorkommen der verschiedenen Sterntypen möglich Galaxie Typ Sa (kompakte Spiralgalaxie): Galaxie Typ Sb (mittlere Spiralgalaxie): Galaxie Typ Sc (ausgedehnte Spiralgalaxie): Entspricht nur einer Materiedichte von ca. ΩVis= 0.002 – 0.004 Y ≈6Y0 Y ≈ 4.5 Y 0 Y ≈ 2.5 Y 0 2. Kinematische Methoden zur Massenbestimmung Kinematik von Kugelsternhaufen, kleinen Begleitgalaxien, Doppelgalaxien Bewegung von Galaxienhaufen unter Verwendung des Virialtheorems 2T + W = 0 Historisch: Untersuchung des Coma-Haufens (1933, Fritz Zwicky) und des Virgo-Haufens (1936, Smith) Coma 1000e Galaxien Dist. ca. 100 Mpc Virgo 100e Galaxien Dist. 15-18 Mpc Zwickys Schlussfolgerung: der Großteil der Masse des Haufens ist nicht sichtbar Kinematische Methoden - sphärisch-symmetrische Potentiale Punktförmige Masse: Kepler-Rotation Umlaufzeit: 3. Keplersches Gesetz: Radialgeschwindigkeit: T= 2π R vr T2 4π 2 = const. = 3 R GM 2 2 4π R GM 2 = vr = T2 R vr ∝ 1 R Sphäre homogener Massendichte: starre Rotation homogene Massendichte: M → M (R ) = ρ 0 Radialgeschwindigkeit: vr = 2 4 π ρ0 R 2 3 4 πR 3 3 vr ∝ R Kinematische Methoden - Massenverteilung von Spiralgalaxien Sichtbare Masse nimmt nach außen exponentiell ab M51, Whirlpool-Galaxie (Sternbild Jagdhunde) M74 (Sternbild Fische) Kinematische Methoden - Modell der exponentiellen Scheibe Massenverteilung: Σ (R ) = Σ 0 e −R Re innen: nahezu linearer Anstieg außen: Kepler-artiger Verlauf kräftige Linie: gestrichelte Linie: feine Linie: exponentielle Scheibe Sphäre, die gleiche Masse einschließt Punktmasse Kinematische Methoden - Messung der Rotation von Gasen Messung der Bewegung von Gasen durch ihre Radioemissionen möglich Beobachtete Gase: H I (atomarer Wasserstoff) bei λ = 21 cm OH bei λ = 18 cm CO bei λ = 2,6 mm HCOH (Formaldehyd) bei λ = 6 cm Vorteil: vor allem H I kommt außerhalb des von Sternen bevölkerten Bereichs vor Rotationsgeschwindigkeit sollte dort eigentlich abnehmen NGC 3198: H I Verteilung Dopplerverbreiterung der Linien ist ein Maß für die Rotationsgeschwindigkeit Maximale Rotationsgeschwindigkeit korreliert mit Gesamt-Leuchtkraft (Tully-Fisher-Relation) Kinematische Methoden - gemessene Rotationskurven Kinematische Methoden - Masse/Leuchtkraft-Verhältnisse Milchstraße in der Sonnen-Umgebung: Y ≈ 30 Y 0 durch Population II Objekte: Y ≈ 27 Y 0 durch den Magellanschen Strom (H I Gas): Y > 80 Y 0 Spiralgalaxien: Y ≈ 30 Y 0 Elliptische Galaxien: Y ≈ 10-20 Y 0 Elliptische Riesengalaxie M87: Y ≈ 750 Y 0 Galaxiengruppen: <Y > ≈ 185 Y 0 Galaxienhaufen (Halo > 100kpc) (Halo > 300kpc) (92 Gruppen, 1982) Lokale Gruppe (Milchstraße, Andromeda, kleine Galaxien): Y = 76-130 Y 0 Coma-Haufen: Y ≈ 130 Y 0 Perseus-Haufen: Y ≈ 430 Y 0 (1987) (1987) 3. Gravitationslinsen Große Massen krümmen den Raum und lenken Licht ab Quelle, Gravitationslinse und Beobachter auf einer Geraden erzeugt Einsteinring: Ablenkwinkel: α = 4 GM 2 RS = c2 x ⊥ x⊥ mit Radius: rE = 2 R S D SL D L D SL + D L Quelle abseits der Gerade Beobachter-Linse erzeugt unvollständige Ringe Gravitationslinsen - Strong und Weak Lensing Strong Lensing Betrifft Objekte die grob innerhalb eines Einstein-Radius um die Achse Beobachter-Linse liegen Es entstehen Mehrfachbilder, Einsteinringe, Bögen Aus Mehrfachbildern Rückschluss auf Massenverteilung der „Linse“ möglich Weak Lensing Betrifft Objekte die weiter entfernt von der Achse Beobachter-Linse liegen Es entsteht nur ein verzerrtes Bild Hinweis auf Massenverteilung der „Linse“ durch charakteristisch verzerrte, benachbarte Objekte Gravitationslinsen - Aufnahmen Mehrfachbild eines Quasars (Einstein-Kreuz) Bögen und andere Verzerrungen im Galaxienhaufen Abell 2218 Radioring in einem Quasar-Jet Gravitationslinsen - Rekonstruktion der Massenverteilung Massenbestimmung der Linse aus Winkel zwischen Mehrfachbildern und Maßstab der Geometrie möglich Maßstab aus Laufzeitunterschied bei Veränderungen variabler Quellen (z.B. Quasaren) Aus mehreren Bildern eines Objekts Rekonstruktion der Massenverteilung möglich Cluster 0024+1654 (Seitenlänge: ca. 470 kpc) Gravitationslinsen - Ergebnisse & Ausblick 83% der Masse des Clusters 0024+1654 ist nicht sichtbar (innerhalb von 150 kpc) Bis zu 90% der Masse von Galaxien dunkle Materie Bis zu 99% der Masse von Galaxienhaufen dunkle Materie Massenverteilung weicht zum Teil erheblich von sichtbaren Strukturen ab In Zukunft evtl. Massenvereilung im All genauer bestimmbar durch Weak Lensing 4. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse Das Masse-Leuchtkraft-Verhältnis von Galaxien und Galaxien-Haufen ist viel größer als zunächst erwartet Galaxien besitzen scheinbar Halos aus Dunkler Materie Ausdehnung: mind. einige 10 kpc Galaxien in Haufen werden von einem gemeinsamen Halo umschlossen Woraus bestehen diese massereichen Halos? II. Kandidaten für dunkle Materie 1. (Super-) massive schwarze Löcher werden nur im Zentrum von Galaxien beobachtet wären im Außenbereich kaum zu übersehen, wegen Dynamik naher Objekte Gravitationslinseneffekt Akkretion von Materie haben viel zu wenig Masse schwarzes Loch in der Milchstraße: 2.6 · 106 M0 Gesamtmasse der Milchstraße: 6.5 · 1011 – 1.4 · 1012 M0 können die beobachtete Massenverteilung nicht erklären 2. MACHOs MACHO = Massive Compact Halo Object Schwarze Löcher, Neutronensterne, weiße Zwerge, braune Zwerge Suche nach MACHOs durch Suche nach Microlensing-Ereignissen Micro-Gravitationslinse: Gravitationslinse, deren Einsteinradius zu klein ist, um optisch aufgelöst zu werden Microlensing-Ereignis: Durchgang eines massereichen Objekts vor einem Stern, führt zu zeitweiligem Anstieg seiner Helligkeit MACHOs - Microlensing Microlensing-Ereignisse sind gut zu identifizieren, da die Lichtkurve einen exakten typischen Verlauf hat die Verstärkung für alle Wellenlängen erfolgt statistisch gleich häufig für alle Sterntypen Verstärkungsfaktor steigt, je zentraler die Linse an der Sichtlinie vorbeigeht MACHOs - Beobachtungen Suche nach Microlensing-Ereignissen durch MACHO-Project, OGLE, EROS, … Beobachtung von Sternen im galaktischen Zentrum und der gr. Magellanschen Wolke (MACHO-Project: ca. 107 Sterne) MACHO-Project: 45 Ereignisse vor dem gal. Zentrum, 4 gegen die gr. Mag. Wolke Verstärkte direkte Suche nach weißen und braunen Zwergen (sog. „ProperMotion-Surveys“) im galaktischen Halo 38 weiße Zwerge entdeckt (Oppenheimer 2001) (umstritten) 3. Asteroiden & Planetoiden Experimentell direkt schwer einzugrenzen, da optisch praktisch nicht zu entdecken Masse für Microlensing zu klein Aber: Anteil schwerer Elemente an der baryonischen Materie nur ca. 1% Wesentlich höherer Anteil im Halo nicht zu erklären! 4. Staub Staub sichtbar, denn Staubwolken röten Sterne, denn sie absorbieren kurzwelliges Licht stärker dichte Staubwolken verdunkelt sogar Sterne total Staub emittiert im IR-Bereich Staub reflektiert Licht benachbarter Sterne außerdem: insgesamt nur ca. 1% schwere Elemente Milchstraße (Scheibe): Staubanteil der sichtbaren Masse ca. 0.24% 5. Interstellares Gas Zusammensetzung ca. 70% Wasserstoff als H I (atomar), H II (ionisiert), H2 ca. 28% Helium ca. 2% sonstige Elemente, hautsächlich in Molekülwolken Gas beobachtbar: H I durch UV-Absorption (Ly α) nahe Sternen und die 21cm-Linie H II als Emissionsnebel (Balmer-Linien) H2 nur durch Absorption im fernen UV (schwierig) Moleküle im Radiobereich durch Rotations- Vibrationsübergänge Milchstraße (Scheibe): Gasanteil der sichtbaren Masse ca. 4% 6. Baryonische Materie Beobachtungen ergeben folgende Zusammensetzung: Bis zu 10% interstellares Gas Ca. 0.1% Staub der Rest gebunden in schwarzen Löchern, Sternen, braunen Zwergen, Planeten Insgesamt nur ca. 1% schwere Elemente Braune und weiße Zwerge können als einzige wesentlich zur dunklen Materie beitragen Bis zu 20% des Milchstraßen-Halos Materie in Halos könnten MACHOs sein Bis zu 2% weiße Zwerge Viel zu wenig um > 90% nicht sichtbare Masse zu erklären Außerdem: Theorie der Nukleosynthese Liefert Verhältnis Photonen zu Baryonen: Ergibt ΩB ≈ 0.04, man benötigt aber ΩM ≈ 0.30 N Ph = 10 9.3 − 10 9.8 NB Dunkle Materie muss überwiegend nicht-baryonisch sein 7. Neutrinos Das Universum besitzt aus dem Urknall eine Neutrino-Hintergrundstrahlung (ca. 100 cm3 bei ca. 2K) Neutrinos haben eine Ruhemasse (mνe + mνμ + mντ < 2.2 eV) (2002) Neutrinos tragen nur mit Ων < 0.04 zur dunklen Materie bei Strukturbildung nur auf Skalen größer als Jeans-Länge möglich 15 kT RJ = 4π Gρ M particle Neutrinos waren nach Entkopplung lange Zeit zu heiß um Strukturbildung zu erklären („hot dark matter“) Bei hohen Rotverschiebungen wurden Quasare und Galaxien beobachtet, die sich so früh nicht gebildet haben könnten Die nicht-baryonische dunkle Materie kann nicht nur aus Neutrinos bestehen III. Mögliche Lösungen 1. Exotische Teilchen Kandidaten Pro WIMPs SUSY-Teilchen Axion-Teilchen Strings ... Da ihre Eigenschaften unbekannt sind, könnten sie vielleicht alle Beobachtungen erklären Contra Keine der angedachten Theorien ist vollständig Noch wurde keines der Teilchen gefunden Die Verteilung der dunklen Materie muss durch die Eigenschaften der Teilchen vorausgesagt werden 2. MOND (Modified Newtonian Dynamics) Vorgeschlagen von Milgrom 1983 Modifikation des Gravitationsgesetzes, so dass g MOND = g N a 0 mit a 0 = 10 −8 cm s2 für g << a 0 Pro: Beschreibt die beobachteten Rotationskurven sehr gut 4 Erklärt die Tully-Fisher-Relation M ∝ vr Funktioniert von Zwerg-Galaxien bis hin zu Super-Haufen Contra: Keine theoretische Erklärung für die vorgeschlagene Formel Widerspruch zum Kovarianzprinzip der ART (Reduktion auf SRT-Problem bei Wegfall der Gravitationsbeschleunigung) Sagt andere Temperaturprofile im interstellaren Gas voraus, als gemessen Die Suche geht weiter…