Theravada-Buddhismus. Der Weg ins große Erlöschen

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Länderprofil Kambodscha
Theravada-Buddhismus
Der Weg ins große Erlöschen
■ Von Sandra Lobnig
oder „Dharma“ (Sanskrit2) genannt, vollständig und unverändert zu erhalten. Typisch für den Theravada-Buddhismus
ist die Verwendung von Pali als liturgische und heilige Sprache, in der auch die Heiligen Schriften („Tipitaka“ oder „Pali­
kanon“) verfasst sind. Verglichen mit den anderen beiden
Richtungen „Mahayana“ (Großes Fahrzeug) und „Vajrayana“
(Diamantenes Fahrzeug) kann Theravada als klarer und
nüchterner Buddhismus nahe an den historischen Wurzeln
gesehen werden. In Kambodscha ist er stark mit Elementen
aus dem traditionellen Naturglauben der Khmer vermischt.
Dies zeigt sich beispielsweise beim Glauben an die Geister
und Seelen der Verstorbenen, die sich nach der Vorstellung
der Khmer in der Nähe der Familie aufhalten. Daher finden
sich allerorts kleine Geisterhäuschen zum Gedenken an die
Verstorbenen und zu ihrer Verehrung.
Wer in Kambodscha religiös ist, ist in den allermeisten Fällen Buddhist. Über 90 Prozent der Kambodschaner gehören
dem Theravada-Buddhismus an, der neben Kambodscha
hauptsächlich in Sri Lanka, Myanmar, Thailand und Laos,
sowie teilweise in Vietnam und der Volksrepublik China
verbreitet ist. In jedem kambodschanischen Dorf findet man
einen „Wat“, der den Mittelpunkt buddhistischen Lebens
bildet. Das größte und wichtigste Bauwerk innerhalb eines
Wats ist die Pagode, die die Bedeutung einer Kirche hat.
Dazu kommen Stupas, die zur Verbrennung von Toten und
zur Aufbewahrung der Asche dienen sowie Unterkünfte für
die Mönche und eine Bi­bliothek.
Daneben erfüllt der Wat auch kulturelle und soziale Funktionen und dient oft als Versammlungsort oder Schule.
Nachdem während der Herrschaft der Roten Khmer viele
der Anlagen zerstört und ein Großteil der buddhistischen
Mönche getötet wurden, hat man ab den 1990er Jahren
die Glaubensstätten wieder aufgebaut.
© Missio/Zerche
Erlösung als „Erlöschen“
Der Buddhismus ist in Kambodscha Staatsreligion.
Die „Lehre der Alten“
Der Theravada-Buddhismus ist eine der drei Richtungen, die
sich innerhalb des Buddhismus entwickelt haben und ist
auch unter „Hinayana“ (Kleines Fahrzeug) bekannt. Weil
diese Bezeichnung abschätzig verstanden werden kann, wird
der Name „Theravada-Buddhismus“ vorgezogen. „Theravada“ bedeutet so viel wie „Lehre der Alten“ und drückt viel
vom Selbstverständnis dieser ältesten buddhistischen Richtung aus: Ihre Anhänger führen sich auf die erste Mönchsgemeinde, die sich um Buddha sammelte, zurück und sehen
ihre Aufgabe darin, die Lehre Buddhas, „Dhamma“ (Pali1)
Gemeinsames Ziel aller drei buddhistischen Richtungen ist
das „Erwachen“: Die Augen öffnen und die Dinge in einer
Weise sehen können, wie sie sind – so wie im 6. Jahrhundert
v. Chr. Gautama Siddharta auf der Suche nach dem Sinn des
Daseins zum „Buddha“ (Erwachter) wurde. Die vier edlen
Wahrheiten, die den Kern der Lehre Buddhas bilden, erschließen den Suchenden dabei den Weg der Reinigung.
Wer erkennt, dass 1. alles menschliche Leben leidvoll ist,
2. die Gier die Ursache des Leids ist, 3. das Loslassen der
Gier zur Befreiung führt und 4. moralisches Verhalten und
Meditation zur Aufhebung des Leidens führen, wird
schließlich aus dem Kreis der Wiedergeburt ausbrechen und
ins Nirvana gelangen. Nirvana bezeichnet das unpersönlich
Absolute, das allem Irdischen als das ganz und gar andere
gegenübersteht und nicht auf die Welt und ihre Verhältnisse
einwirkt. Wer ins Nirvana gelangt, ist von allen Leidenschaften abgekühlt, er erlischt. Er ist dem Unheil für immer
entronnen. Da der Buddhismus weder einen Personenbegriff, der mit dem christlichen vergleichbar wäre, noch einen
„Ich-Kern“ kennt, ist die in Europa oft anzutreffende Inter­
pretation, das Ich würde sich im „großen Nichts“ auflösen,
nicht authentisch.
Alles Leben ist Wandel
Im Gegensatz zum Nirwana, das absolut und unwandelbar
ist, ist die Welt einem ständigen Wandel unterworfen. Da
nichts ewig hält, stellt es auch nicht zufrieden und wird als
„leidvoll“ erlebt. Geburt, Tod, Liebe, Hass, Vergnügen und
Kränkungen: Alles ist Leiden. Eine Befreiung davon bewirkt
1
Mittelindische Sprache, in der die Urtexte des Buddhismus geschrieben wurden
16
2
Sprache der klassischen indischen Kultur
Missio • Werkmappe Weltkirche 156/2010 • Kambodscha
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Buddhastatuen genießen große Verehrung. Manchen von ihnen werden besondere Kräfte zugeschrieben.
alleine die Einsicht in die Unbeständigkeit und alles Leidvolle
der Welt. Dadurch werden die Fesseln gelöst, die den Menschen an das Leid binden. Nach theravadischer Lehre schaffen es nur einige wenige, schon in diesem Leben zu „erwachen“, also zum „Buddha“ zu werden. Insbesondere Laien
rechnen damit aber kaum und erhoffen sich, nur einige Male
in ein gutes Leben wiedergeboren zu werden.
Mönchtum
Moralische und meditative Praxis differieren je nach Lebensform. Die Mönche orientieren sich an relativ rigiden
Regeln und wollen ein von Bindungen freies Leben führen:
Nach erfolgter Weihe muss ein Mönch, ein sogenannter
Bhikkhu, 227 Grundsätzen folgen. Auch Frauen, sogenannte Bhikkhuni, werden in manchen Ländern geweiht.
Sie müssen 311 Grundsätzen folgen. Mönche und Nonnen
suchen sich aus, ob ihre Weihe für immer oder nur für eine
bestimmte Zeit gilt. So kann ein Mönch sich für drei Tage,
drei Wochen, drei Monate oder ein Leben lang weihen
lassen. Auch kann er jederzeit austreten, und er kann mehr
als einmal geweiht werden. Nur die Wenigsten, rund 10
Prozent, bleiben ihr Leben lang Mönch.
Mönche spielen in der Glaubenspraxis der Laien eine wesentliche Rolle: Sie nehmen an diversen Feierlichkeiten
teil, gelten als Bewahrer der „dhamma“, wirken als spirituelle Lehrer und üben priesterliche Funktionen aus. Trifft
man einen Mönch zufällig auf der Straße, erweist man ihm
als Laie besondere Ehrerbietung. In Kambodscha wurde
die Mehrheit der Mönche unter der Herrschaft der Roten
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Khmer getötet, seit Ende der 1980er Jahre ist die Zahl der
Mönche wieder gestiegen.
„Selbsterlösung ohne Selbst“
Die Verehrung des Buddha ist ein zentrales Element in der
täglichen Glaubenspraxis wie auch im jährlichen Festkreis.
Buddhastatuen und –bilder, denen besondere Kräfte zugeschrieben werden, werden mit Blumen, Reis und Kerzen
verehrt. Die Legende erzählt, dass Buddha selbst eine Abbildung von sich mit seinen Eigenschaften ausgestattet hat,
damit sie die „dhamma“ bewahrt. Populär sind Wallfahrten
an Orte, die mit dem historischen Gautama Buddha in Verbindung gebracht werden. Einmal im Jahr wird „Vesakh“
gefeiert, an dem die Buddhisten der Geburt, der Erleuchtung
und des Todes von Buddha gedenken.
Dennoch ist Buddha keine Heilands- oder Göttergestalt, die
man um Hilfe anrufen kann. Er ist ein Wegweiser, an dem
sich der Buddhist orientieren soll, der Weg zur Erlösung ist
jedoch eigenständig zu gehen. Theravada-Buddhismus wird
demnach als eine Art „Selbsterlösung ohne Selbst“ klassifiziert, so wie man auch selbst erwachen muss.
Quellen:
www.keap-net.org/buddhism_cambodia.htm
Kirchen, Sekten, Religionen, Schmid G. und Schmit G.O. (Hg.),
Theologischer Verlag Zürich 2003, S. 367-369
Encyclopedia of Buddhism, Buswell R. E. Jr. (Hg.) New York:
Macmillan Reference USA 2003, S. 836-841
Hans-Jürgen Greschat, Buddhismus in: Johann Figl (Hg.),
Handbuch Religionswissenschaft, Tyrolia-Verlag, 2003, 348-367
Missio • Werkmappe Weltkirche 156/2010 • Kambodscha
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