Geometrie für den Mathematikunterricht Unterlagen Proseminar Wintersemester 2003/2004 (LVA Nr. 113.071) J. Wallner, Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie, TU Wien 1 Inhaltsverzeichnis Elementare Dreiecksgeometrie Der Satz des Pythagoras Winkelbegriffe in der euklidischen Geometrie Winkel im Kreis Spiegelungen in der euklidischen Ebene Die Gruppe der Euklidischen Kongruenztransformationen Winkel im Kreis — einige Anwendungen Inkommensurable Strecken — der goldene Schnitt und das reguläre Fünfeck Konstruieren auf der Zahlengeraden Rechengesetze und geometrische Konfigurationen Geometrische Extremalprobleme I Flächeninhalt und Volumen: Geometrische Exhaustion I Flächeninhalt und Volumen: Geometrische Exhaustion II Oberfläche und Volumen der Kugel: Geometrische Exhaustion III Die Eulersche Polyederformel Platonische Körper — kombinatorisch Die Platonischen Körper metrisch I Die Platonischen Körper metrisch II: Das Dodekaeder Die Formel von Pick Konstruktionen nicht mit Zirkel und Lineal Flächeninhalt von sphärischen Dreiecken Konvexe Mengen, Polygone und Polyeder Geometrische Extremalprobleme II – Die isoperimetrische Ungleichung Winkelsummen in der euklidischen und sphärischen Geometrie Verschiedene Kegelschnittsdefinition am Beispiel der Ellipse Konstruktionen mit Zirkel und Lineal Elementare Graphentheorie Die Potenzgerade von Kreisen Geometrische Wahrscheinlichkeiten Die stereographische Projektion Das Jones-Polynom eines Knotens Fernpunkte und homogene Koordinaten Konfokale Kegelschnitte — Der Satz von Ivory Geometrie für den Mathematikunterricht PS J. Wallner 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 Unterlagen — WS 2003/2004 1. Elementare Dreiecksgeometrie Die Menge sA1 B2 der Punkte, die von zwei Punkten A und B gleich weit entfernt sind, bilden die Streckensymmetrale der Punkte A Und B. Ist A 6= B, so ist diese eine Gerade. Für drei Punkte A, B, C gibt es die Streckensymmetralen sAB , sBC , sCA . Schneiden einander sAB und sBC , so ist jeder Schnittpunkt gleich weit von A wie von B, sowie gleich weit von B wie von C entfernt. Das heißt, daß auch sAC durch diesen Punkt hindurchgeht. Bilden A, B, C ein Dreieck, so ist der Schnittpunkt der drei Streckensymmetralen von allen drei Eckpunkten gleich weit entfernt. Es gibt genau einen Punkt mit dieser Eigenschaft. Es handelt sich dabei offenbar um den Umkreismittelpunkt des Dreiecks. Analoge Überlegungen kann man für drei Gerade anstelle von drei Punkten durchführen: Sei wab die Menge der Punkte, die von zwei Geraden a, b gleich weit entfernt liegen. Sind a, b nicht parallel, so ist 0 00 wab die Vereinigung wab ∪ wab der zwei Winkelsymmetralen der Geraden a und b. Sind a, b pallel, so ist Geometrie für den Mathematikunterricht PS wab eine Gerade, die Mittenparallele von a und b. Ist a = b, so ist wab die ganze Ebene. Wegen der Transitivität der Gleichheitsrelation ist jeder Schnittpunkt von wab mit wbc auch in wca enthalten. Sind a, b, c die drei Seiten eines Dreiecks, so handelt es sich bei diesen Schnittpunkten offenbar um den Inkreismittelpunkt und die drei Ankreismittelpunkte dieses Dreiecks. Um aus der Existenz des Umkreismittelpunktes eines Dreicks mit Ecken ABC und Seiten a = BC, b = CA, c = AB die Existenz des Höhenschnittpunktes herzuleiten, bedienen wir und eines Dreiecks, dessen Seiten a0 , b0 , c0 durch die Punkte A, B, C gehen, und zu a, b, c parallel sind (in dieser Reihenfolge). Die Ecken des neuen Dreiecks seien mit A0 B 0 C 0 bezeichnet. Offenbar ist eine Höhe des Dreiecks ABC eine Streckensymmetrale von A0 B 0 C 0 und umgekehrt, und der Umkreismittelpunkt von A0 B 0 C 0 ist der Höhenschnittpunkt von ABC. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 2. Der Satz des Pythagoras Dieser Satz, der in der Form “a2 + b2 = c2 ” sprichwörtlich geworden ist, trägt den Namen des Pythagoras von Samos (ca. 580–ca. 500 v.Chr.), ist aber sicher nicht von ihm entdeckt worden. In einer geometrischen Sprache können wir ihn so formulieren: Satz 1. (des Pythagoras) In einem rechtwinkeligen Dreieck ist die Summe der Flächeninhalte der Quadrate über den Katheten gleich dem Flächeninhalt des Quadrates über der Hypotenuse. Es gibt sehr viele verschiedene Beweise dafür — der Kuriosität halber sei erwähnt, daß der Beweis von James Garfield (1831–1881) der einzige dem Autor bekannte Beitrag eines Präsidenten der USA zur Mathematik darstellt. Geometrie für den Mathematikunterricht PS In einem geometrischen Kontext zeigen wir die Flächengleichheit auf zwei verschiedene Arten: (i) dadurch, daß sich die zwei Quadrate über den Katheten in endlich viele Teile zerlegen lassen, die man zu dem Quadrat über der Hypotenuse zusammensetzen kann (die Zerlegungsgleichheit der beiden Flächen) und (ii) dadurch, daß man zu beiden Flächen (nachdem man sie passend kongruent verlagert hat) jeweils endlich viele kongruente Teile hinzufügen kann, sodaß das Resultat zwei euklidisch kongruente Flächen sind (die Ergänzungsgleichheit) der beiden Flächen. Eine Zerlegung in fünf Teile und eine Ergänzung durch vier kongruente Dreiecke sind aus den beiden untenstehenden Figuren ersichtlich. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 3. Winkelbegriffe in der euklidischen Geometrie Das Messen von Winkeln wird hier aufbauend auf dem Begriff der Bogenlänge am Einheitskreis eingeführt. Auf dessen Präzisierung sei auf die Vorlesungen aus Analysis verwiesen. Hier wird er nur in naiver Weise verwendet. Verwendet man die (−π/2, π/2], so ist 3.1 Der orientierte Winkel von Halbgeraden und Geraden Nicht orientierte Winkel ^( g , h ) oder ^(g, h) zwischen Halbgeraden oder Geraden sind von der Reihenfolge der beiden Argumente unabhängig. Verwendet man nichtnegative Winkelmaße, so ist Wir können Kreisen in der euklidischen Ebene eine Durchlaufsinn zuordnen — positiv oder negativ (gegen den oder mit dem Uhrzeigersinn). Gehen von → − → − einem Punkt zwei Halbgeraden g , h aus, so ist der orientierte Winkel (1) → − → − → − (3) → − → − → − Der orientierte Winkel von Geraden g, h ist entsprechend der Winkel der Drehung von g nach h definiert. Solche Winkel sind aus den Intervallen [0, π) oder (−π/2, π/2]. Bei orientierten Winkeln ist die Reihenfolge der Argumente wichtig. Verwendet man nichtnegative Winkelmaße, so ist (2) → → − − → − → − − → − → − → − → ^( g , h ) = 2π − ^( h , g ), ^(g, h) = π − ^(h, g). Geometrie für den Mathematikunterricht PS → − → − → − − → (−π, π] bzw. − → ^( g , h ) = − ^( g , h ), ^(g, h) = − ^(g, h). 3.2 Nicht orientierte Winkel → − → − (4) − → − → ^(g, h) = min( ^(g, h), ^(h, g)). Ansonsten ist − → ^(g, h) = | ^(g, h)|. (5) ^( g , h ) definiert als die Bogenlänge desjenigen Kreisbogens, − → − → der von g überstrichen wird, wenn wir g im ma− → thematisch positiven Sinn nach h drehen. Auch der Drehung wird diese Bogenlänge als Winkel zugeordnet. Orientierte Winkel nehmen damit Werte aus dem Intervall [0, 2π) an. Alternativ kann man auch Winkel mit Werten in (−π, π] betrachten: In diesem Fall dreht man entweder positiv oder negativ, je nachdem, wo die Drehung kürzer ist. Der Winkel bekommt das entsprechende Vorzeichen. Intervalle Beide, die orientierten und nicht orientierten Winkel bleiben bei orientierungserhaltenden euklidischen Kongruenztransformationen erhalten, d.h. bei Schiebungen und Drehungen. Die nicht orientierten Winkel bleiben auch bei orientierungsumkehrenden Kongruenztransformationen (z.B. Spiegelungen) erhalten, die orientierten Winkel ändern ihr Vorzeichen (soferne man Werte in den Intervallen (−π, π] und (−π/2, π/2] benützt). 3.3 Die Winkel bzw. Drehungen um einen Punkt als Gruppe Die Drehungen um einen festen Punkt bilden eine Gruppe mit der Hintereinanderausführung der Drehung als Gruppenoperation. Nachdem eine Drehung durch ihren orientierten Winkel eindeutig festgelegt ist und umgekehrt, bilden auch die orientierten Winkel bzw. die Menge [0, 2π) eine Gruppe. Die Gruppenoperation ist die Addition von Winkeln modulo 2π. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 4. Winkel im Kreis Wir betrachten einen Kreis k mit Mitte M und drei verschiedene Punkte A, B, P ∈ k. Wir wollen annehmen, daß M und P auf derselben Seite der Geraden AB liegen. Die Dreiecke AM P und BM P sind gleichschenkelig, und deshalb gelten die Winkelgleichheiten (1) α = ^MAP = ^MPA, β = ^MBP = ^MPB . Wegen der Winkelsumme im Dreieck ist (2) ^AMP = π − 2α, ^BMP = π − 2β. Aus (3) ^APB = α + β, ^AMB = 2α + 2β 1 ^AMB 2 Insbesondere ist der Winkel ^APB unabhängig von der Lage des Punktes P . Eine ähnliche Argumentation zeigt für den Fall, daß M und P auf verschiedenen Seiten der Geraden AB liegen, daß 1 (5) π − ^APB = ^AMB 2 gilt. Betrachtet man nicht Winkel der Form AP B, sondern Winkel zwischen Geraden, so erhält man: Satz 1. (Peripheriewinkelsatz) Wir nehmen an, daß A, B auf einem Kreis mit Mittelpunkt M liegen. Sei ω der orientierte Winkel den die Strahlen M A und M B einschließen (−π ≤ ω ≤ π). Dann ist der orientierte Winkel (∈ [−π/2, π/2]) zwischen den Geraden AP und BP gleich ω/2. ^APB = In dem speziellen Fall, daß B gleich dem A gegenüberliegenden Punkt A0 am Kreis ist (d.h. ^AMB = ω = π), erhält man den Satz von Thales: (6) Für die bisher ausgeschlossenen Fälle A = P und B = P könnten wir einen Grenzübergang durchführen und die Geraden AP bzw. BP durch die Kreistangenten in A bzw. B ersetzen. Daß dies tatsächlich möglich ist, besagt Satz 2. (Satz vom Sehnen-Tangenten-Winkel): Der orientierte Winkel zwischen der Kreistangente tA in A und der Geraden AB ist gleich − → (7) folgt (4) Dieses sieht man auch dadurch ein, daß man AP A0 durch Spiegelung an AA0 zu einem Rechteck ergänzt. ^APA0 = π/2. Geometrie für den Mathematikunterricht PS ^(tA , AB) = ω/2. Beweis. Dies folgt sofort aus dem rechten Winkel zwischen tA und AM , sowie aus der Winkelsumme im Dreieck AM B. Es gilt ferner die folgende Umkehrung des Peripheriwinkelsatzes: Satz 3. Es seien Punkte A, B auf einem Kreis mit Mittelpunkt M gegeben, und sei ω der orientierte Winkel zwischen den Strahlen M A und M B (−π ≤ ω ≤ π). Schließen zwei Gerade g durch A und h durch B den orientierten Winkel ω/2 ein, so schneiden sie einander auf dem Kreis. Beweis. Sei P der Restschnittpunkt der Geraden g mit dem Kreis. Im Fall P 6= A, B schließen die Geraden g = AP und BP den orientierten Winkel ω/2 ein, und BP ist gleich der Geraden h. Im Fall P = A ist g die Kreistangente in A. Nach dem Satz vom Sehnen-Tangentenwinkel muß h = AB sein. Im Fall P = B ist g = AB. Nach dem Satz vom Sehnen-Tangentenwinkel muß h die Kreistangente in B sein. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 5. Spiegelungen in der euklidischen Ebene Die euklidische Ebene wird durch eine Gerade in zwei Halbebenen geteilt. Eine Gerade g wird durch einen Punkt in zwei Halbgerade (oder Strahlen) geteilt. − → Wir bezeichnen Halbgerade mit dem Symbol g . Die − → Gerade, auf der g liegt, wird dann mit g bezeichnet. Die zu einer Halbebene gehörige Gerade heißt Randgerade, und der zu einer Halbgeraden gehörige Punkt heißt Anfangspunkt. Wir kennzeichnen die Halbgeraden mit Anfangspunkt O durch den orientierten Winkel (modulo 2π) − → zu einer festen Halbgeraden x (‘x-Achse’ mit Winkel 0). Gerade durch O sind ebenfalls durch ihre orientierten Winkel (modulo π) zur x-Achse festgelegt. Wir indizieren Gerade und Halbgerade mit dem − → Winkel, den sie mit x bzw. x einschließen: (1) − → − → − → ^( x , g α ) = α, − → ^(x, gβ ) = β. 5.1 Drehungen um einen festen Punkt Lemma 1. Eine Drehung ρ mit Zentrum O und orientiertem Winkel φ bzw. eine Spiegelung σ an gφ transformiert Halbgerade durch O wie folgt: (2) − → − → ρ : g α 7→ g α+φ , Satz 2. Die Zusammensetzung von zwei Spiegelungen σa , σb an ga , gb ist die Schiebung mit Schiebstrecke 2(b − a). Beweis. Fixieren wir eine Gerade orthogonal zu g0 , so bleiben orientierte Abstände zu ihr bei Schiebungen und Spiegelungen erhalten. Es genügt daher, die Bilder von Geraden gx zu betrachten: (5) − → − → − → − → Beweis. Die Abstände von Punkten von O bleiben bei Spiegelungen erhalten. Es genügt daher, die Bil− → der von Halbgeraden g φ zu untersuchen: − → Etwas Ähnliches können wir für eine Parallelschar von Geraden durchführen. Wir messen den orientierten Abstand einer Geraden der Schar zu einer festen Geraden g0 durch den orientierten Abstand von g0 (d.h. der Abstand ist positiv, wenn die Gerade in einer vorher ausgezeichneten Halbebene mit Rand g0 liegt). Schiebungen orthogonal zu g0 sind durch ihre orientierte Schiebstrecke gekennzeichnet. Lemma 2. Eine Schiebung τa orthogonal zu g0 mit Schiebstrecke a (a ∈ R) bzw. eine Spiegelung σ an der Geraden ga bildet Gerade gx in der Form (4) τa : gx 7→ gx+a , σ : ga−x 7→ ga+x , gy 7→ g2a−y . σb σa (gx ) = σb (g2a−x ) = g2b−2a+x ). σ : g φ−β 7→ g φ+β , g γ 7→ g 2φ−γ . Satz 1. Die Zusammensetzung von zwei Spiegelungen σα , σβ mit Achsen gα , gβ ist eine Drehung mit den Winkel 2(β − α). (3) 5.2 Schiebungen orthogonal zu einer festen Richtung − → − → σβ σα ( g φ ) = σβ ( g 2α−φ ) = g 2β−2α+φ Geometrie für den Mathematikunterricht PS Offenbar gilt von Satz 1 und Satz 2 auch die folgende Umkehrung: Nachdem für beliebig gegebenes γ und α der Winkel β = α + γ/2 die Eigenschaft 2(β − α) = γ besitzt, können wir die Drehung mit Drehwinkel γ zerlegen in die Spiegelung an gα (völlig beliebig) und die Spiegelung an gα+γ/2 . Dasselbe gilt für Schiebungen orthogonal zur Geraden g0 : Wir können die Schiebung τc zerlegen in die Spiegelung an ga (beliebig) und ga+c/2 . J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 6. Die Gruppe der Euklidischen Kongruenztransformationen Eine Fahne in der euklidischen Ebene besteht aus − → − → einem Tripel (P, g , H), wobei P ein Punkt, g eine Halbgerade mit Anfangspunkt P , und H eine Halbebene mit Rand g ist. − → Die Lage eines Punktes Q zu einer Fahne (P, g , H) kann man durch folgende Informationen eindeutig festlegen: (i) den Abstand von Q zur Geraden g, welcher von Q zu seinem Fußpunkt F gemessen wird; (ii) Den Abstand des Fußpunktes F vom Punkt P , − → (iii) die Information, ob F in g liegt, und ob Q in H liegt. Die euklidischen Kongruenztansformationen sind diejenigen Abbildungen der euklidischen Ebene auf sich, die Abstände von Punkten unverändert lassen. Weil die Winkel eines Dreiecks durch die Seitenlängen bestimmt sind, lassen euklidische Kongruenztransformationen Winkel ebenfalls unverändert. Eine solche Abbildung heißt gleichsinnig (oder Bewegung) bzw. gegensinnig, wenn der Umlaufsinn von Kreisen gleichbleibt bzw. sich ändert. Offenbar ist durch die Angabe einer Fahne und ihres Bildes eine euklidische Kongruenztransformation eindeutig bestimmt, weil man das Bild eines Punktes aus der Bild-Fahne rekonstruieren kann. − → − → Lemma 1. Für zwei Halbgerade g , h mit gemeinsamem Anfangspunkt gibt es genau eine Gerade w, − → − → sodaß Spiegelung an w g in h überführt. Das folgt sofort aus Abschnitt 5. Diese Spiegelachse → − → − heißt die Winkelsymmetrale von g , h . Satz 1. Jede euklidische Kongruenztransformation ist das Produkt von höchstens drei Spiegelungen. Geometrie für den Mathematikunterricht PS − → Beweis. Wir zeigen, daß wir zwei Fahnen (P, g , H) − → und (P 0 , g 0 , H 0 ) durch höchstens drei Spiegelungen ineinander überführen können. Falls nicht P = P 0 , spiegeln wir an der Streckensymmetralen sP,P 0 Da− → − → bei geht g 0 in g 00 über. Falls notwendig, spiegeln − → − → wir nun an der Winkelsymmetralen von g 0 und g 00 . Punkt und Halbgerade sind nun schon dort, wo sie sein sollen. Falls notwendig, spiegeln wir noch einmal an g 0 , um auch H in die richtige Position zu bringen. Offenbar ist eine Spiegelung eine gegensinnige Kongruenztransformation, und es gilt Satz 2. Ein Produkt von Spiegelungen ist gleichsinnig genau dann, wenn die Anzahl der Spiegelungen gerade ist. Satz 3. Jede Bewegung ist das Produkt von zwei Spiegelungen. Sie ist entweder die identische Abbildung, eine Drehung um ein Zentrum, oder eine Parallelverschiebung. Beweis. Jede euklidische Kongruenztransformation ist ein Produkt von 0, 1, 2, oder 3 Spiegelungen. Für Bewegungen bleiben nur die Fälle 0 und 2 übrig. Den Fall 0 (die identische Abbildung) kann man auch durch zweimaliges Hintereinanderausführen derselben Spiegelung erzeugen. Daß die Produkte von Spiegelungen entweder Drehungen oder Parallelverschiebungen sind, folgt aus Abschnitt 5. Man findet das Drehzentrum einer Bewegung dadurch, daß es von Ur- und Bildpunkten gleich weit entfernt liegt. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 7. Winkel im Kreis — einige Anwendungen Der Peripheriewinkelsatz und seine Verwandten haben viele ‘Anwendungen’ in dem Sinne, daß sie sehr nützlich sind beim Beweis von elementargeometrischen Tatsachen. Hier sind zwei einfache Beispiele. −−−−→ dem folgenden Argument: Die Halbgerade M0 P trifft k0 im Punkt P 0 . Nach dem Peripheriewinkelsatz ist − → − → − → ^(P0 M P 0 ) = 2 ^(P0 M0 P 0 ) = 2 ^(P0 M0 P ). Die Bo- _ genlänge P0 P auf k ist daher gleich der Bogenlänge _ 7.1 Das Erzeugnis von rotierenden Geraden Wir betrachten zwei Punkte P , Q, zwei Geraden g durch P und h durch Q, und drehen beide Gerade um den gleichen orientierten Winkel α um P bzw. um Q. Das ergibt die Geraden gα bzw. hα . Die Menge aller Schnittpunkte gα ∩ hα bilden einen Kreis. Das folgt aus dem Umkehrung des Peripheriewinkelsatzes. 7.2 Die Ellipsenbewegung P0 P 0 auf k0 . Dies zeigt einerseits, daß P beim Abrollen schließlich nach P 0 gelangen wird, und andereseits, daß derjenige Punkt von k, der schließlich nach P 0 gelangen wird, genau an der Stelle P ist. Nachdem die genaue Position von k und P0 in dieser Formulierung nicht eingeht, heißt das, daß alle Zwischenpositionen von P während des Rollvorganges auf der Geraden M0 P = M0 P 0 liegen. Von der Ellipsenbewegung gibt es ein bewegliches, für den Overhead-Projektor geeignetes Modell. Rollt ein Kreis k im Inneren eines doppelt so großen Kreises k0 ab, so sind die Bahnkurven der Punkte von k Durchmesserstrecken von k0 . Mit den Bezeichnungen der untenstehenden Figur folgt das aus Geometrie für den Mathematikunterricht PS J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 8. Inkommensurable Strecken — der goldene Schnitt und das reguläre Fünfeck Eine positive reelle Zahl s besitzt eine Darstellung als Kettenbruch, die rekursiv folgendermaßen definiert ist: Ist die Zahl ganz, sind wir fertig. Ansonsten ist s = n + r mit n ∈ Z und einem Rest r mit 0 < r < 1. Wir setzen s0 = 1/r: s = n + 1/s0 . (1) Ist s0 ganzzahlig, so sind wir fertig, ansonsten wenden wir denselben Schritt auf s0 an, und so weiter. Zum Beispiel lautet die Kettenbruchentwicklung von 2.7 wie folgt: 2.7 = 2 + 0.7 = 2 + (2) =2+ 1 3 1+ 7 1 10/7 =2+ 1 1 1+ 7/3 1 =2+ 1+ 1 1 2+ 3 Für rationale Zahlen p/q lautet der Algorithmus wie folgt: q ist in p n mal enthalten, mit p0 Rest, es ist also p/q = n + p0 /q mit p0 < q. Wir schreiben (3) und wenden auf den Bruch q/p0 dasselbe Verfahren an. Für rationale Zahlen endet der Algorithmus irgendwann, denn von den beiden beteiligten Zahlen wird in jedem Schritt der Zähler kleiner und wandert in den Nenner. Umgekehrt ist ein endlicher Kettenbruch natürlich eine rationale Zahl. von Pythagoras im 6. Jahrhundert v. Chr. gegründete philosophische Schule strebte unter anderem nach einer Erklärung der Geometrie, Musik und Arithmetik im besondern, und einer Antwort auf die große Frage betreffnd das Leben, das Universum, und den ganzen Rest im allgemeinen, in ganzen Zahlen. Geometrie für den Mathematikunterricht PS AC E0C AD0 1 d0 = =1+ =1+ =1+ a0 AE 0 AE 0 AE 0 AE 0 AD0 1 1 1 =1+ (4) = 1 + a1 = 1 + 1 D0 E 0 1+ 1+ 1+ d1 d /a 0 1 1 AD Wir sind also wieder bei demselben Verhältnis angelangt, von dem aus wir gestartet sind. Die Kettenbruchentwicklung bricht nie ab. Setzen wir fort, so erhalten wir 1 p/q = n + q/p0 1 Diese Die Entdeckung der irrationalen Zahlen wird den Pythagoreern zugeschrieben1 und basiert auf einem elementar-geometrischen Streckenverhältnis ohne endlichen Kettenbruch. Ein solches ist das Verhältnis Diagonale—Seitenlänge in einem regulären Fünfeck ABCD (siehe Figur). Wir zeichnen die Diagonalen — jede Diagonale ist aus Symmetriegründen parallel zu einer Seite — und erhalten ein kleineres Fünfeck A0 B 0 C 0 D0 E 0 , wobei immer gegenüberliegende Punkte denselben Buchstaben erhalten. Wegen des Parallelogramms AEDE 0 ist AE 0 gleich der Seitenlänge a0 = ED, und wegen des Parallelogramms AC 0 A0 D0 ist AD0 gleich der Diagonale d1 = A0 C 0 im kleinen Fünfeck. Nachdem das Verhältnis Seite— Diagonale sowohl für das kleine (a1 /d1 ) als auch das große Fünfeck (a0 /d0 ) dasselbe ist, haben wir (5) 1 d0 /a0 = 1 + 1 1+ 1+ 1 1+ 1 ... Dieses Verhältnis heißt der goldene Schnitt. Im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde entdeckt, daß in einigen einfachen geometrischen Figuren Verhältnisse von Streckenlängen auftreten, die nicht Vehältnisse von ganzen Zahlen sind. Diese Entdeckung hatte fatale Folgen für den naiven Standpunkt, daß das gesamte Universum durch ganze Zahlen beschrieben wird. Zumindest für J. Wallner die Pythagoreer, die das Quadrat und das reguläre Fünfeck für Teile der realen Welt hielten. Nach einigen Quellen wurde der Entdecker dieser furchtbaren Tatsache, Hippasus, nicht nur aus der Bruderschaft der Pythagoreer ausgeschlossen, sondern auch ertränkt. Unterlagen — WS 2003/2004 9. Konstruieren auf der Zahlengeraden Multiplikation Der Strahlensatz Satz 1. Sind g, h zwei Gerade, und l1 , l2 , . . . eine Schar von Parallelen, die g und h schneiden, so gibt es eine reelle Zahl α, sodaß für die orientierten Entfernungen der Schnittpunkte die Relationen (1) −−−−−−−−−−−→ −−−−−−−−−−−→ g ∩ li g ∩ l j = α · h ∩ l i h ∩ lj gelten. Wir nehmen die Gültigkeit dieses Satzes an und versuchen keinen Beweis, was in diesem Rahmen auch nicht sinnvoll wäre1 Wir beschreiben die Punkte der Ebenen durch ein kartesisches oder schiefwinkeliges (affines) Koordinatensystem. Die Punkte der x-Achse haben Koordinaten (a, 0), und die Punkte der y-Achse Koordinaten (0, b). Wir verwenden die x-Achse als Zahlengerade und identifizieren ihre Punkte mit der Menge der reellen Zahlen. Wir wollen ausgehend von den Punkten (a, 0) und (b, 0) die Punkte (a + b, 0) und (ab, 0) konstruieren. Addition Wir verwenden horizontale Gerade (Parallele zur xAchse), vertikale Gerade (Parallele zur y-Achse), und eine dritte Parallelschar von Geraden, die hier transversale Gerade heißen sollen. Für unsere Figuren wählen wir die transversalen Geraden mit einer Steigung von −1. Wir addieren die Punkte (a, 0) und (b, 0), indem wir eine Transversale durch (a, 0) mit der Vertikalen durch (0, 0) schneiden — dies ergibt (0, a). Die Vertikale durch (b, 0) schneidet die Horizontale durch (0, a) in (b, a). Die Transversale durch (b, a) schneidet die x-Achse in (a + b, 0) (siehe Figur). 1 Ein Beweis im Rahmen der linearen Algebra ist ein Übungsbeispiel. Geometrie für den Mathematikunterricht PS Wir multiplizieren die Punkte (a, 0) und (b, 0) wie folgt (siehe Figur): (2) (3) (1, 0)(0, 1) k (b, 0)(0, b) (a, 0)(0, 1) k (ab, 0)(0, b) Das folgt aus dem Strahlensatz. Es ist dabei nicht notwendig, daß die Punkte (0, 1) und (1, 0) denselben Abstand vom Ursprung haben. Die Konstruktion funktioniert genauso, wenn die Skalen auf der x- und der y-Achse verschieden sind. Außerdem ist es nicht notwendig, daß x- und y-Achse aufeinander orthogonal stehen. Der Höhensatz Um die Quadratwurzel aus einer Zahl zu ziehen, erinnern wir uns an den Höhensatz im rechtwinkeligen Dreieck (siehe Figur): h2 = pq (4) Der Höhensatz folgt daraus, daß Dreiecke mit denselben Winkeln dieselben Seitenverhältnisse besitzen (siehe Figur). Offenbar ist p : h = h : q, woraus die Aussage folgt. Das Ziehen der Quadratwurzel √ Wählt man p = 1, ist h = q und man kann die Quadratwurzel aus einer Strecke ziehen (siehe Figur). Man beachte, daß man für die Konstruktion von Summe und Produkt nur die Operationen Verbindungsgerade, Schnittpunkt, Parallelverschieben benötigt. Zum Quadratwurzelziehen benötigt man die Orthogonalität und einen Zirkel. Für einen Beweis im Rahmen eines Axiomensystems der euklidischen J. Wallner Geometrie siehe etwa D. Hilbert: Grundlagen der Geometrie, 1899. Unterlagen — WS 2003/2004 10. Rechengesetze und geometrische Konfigurationen Die Rechengesetze, die für die Addition und die Multiplikation von reellen Zahlen gelten, können durch das konstruktive Addieren und Multiplizieren von Punkten auf der Zahlengeraden in geometrische Schließungssätze umgewandelt werden. Satz 1. (Satz von Pappos, affine Variante) Liegen drei Punkte P1 , P3 , P5 auf einer Geraden, und drei Punkte P2 , P4 , P6 ebenfalls auf einer Geraden (der y-Achse), sodaß Die untenstehenden Figuren zeigen der Reihe nach die Relationen dann ist auch (1) a+b=b+a a·b=b·a (a · b) · c = a · (b · c) Je nachdem, welche Konstruktion man wählet, um die Summe bzw. das Produkt zu ermitteln, ergeben sich verschiedene Schließungssätze. Meist läßt man auch Gerade, die nur ‘Anhängsel’ sind, weg. Ein besonders prominenter und einfacher Satz ergibt sich aus der Relation ab = ba und lautet wie folgt: Geometrie für den Mathematikunterricht PS (2) P1 P2 k P4 P5 , P2 P3 k P5 P6 , P3 P4 k P6 P1 . (3) Beweis. Wir verwenden die beiden Geraden als xund y-Achse eines affinen (schiefwinkeligen) Koordinatensystems, und bezeichnen die Punkte mit P1 = (a, 0), P3 = (b, 0), P2 = (0, 1), P4 = (0, b). Wegen der Parallelitäten ist dann P6 = (0, a) und P5 = (ab, 0). Die letzte Parallelität folgt aus dem Strahlensatz bzw. aus der Kommutativität der Multiplikation. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 11. Geometrische Extremalprobleme I Die hier behandelten geometrischen Extremalprobleme beruhen auf der Dreiecksungleichung Satz 1. Sind A, B, C drei Punkte der euklidischen Ebene mit A 6= B, dann ist (1) AC + BC ≤ AB mit Gleichheit genau dann für C in der Strecke AB. Lemma 1. Ist P ein Punkt, g eine Gerade, und F der Normalenfußpunkt von P auf g, so ist für alle Punkte X ∈ g (2) P X ≥ P F , XP ≥ XF mit ‘=’ genau für X = F (links) bzw. P ∈ g (rechts). Beweis. (von Lemma 1) Wir wenden den Satz des Pythagoras auf das Dreieck P XF an und erhalten 2 2 2 PX = PF + FX . Beweis. (von Satz 1) Sei g die Verbindungsgerade von A und B, und F der Fußpunkt von C auf g. Dann ist (3) AC ≥ AF , BC ≥ BF mit Gleichheit genau für C ∈ g. Weiters ist (4) AF + BF ≥ AB, mit ‘=’ genau dann, wenn F in der Strecke AB liegt. Aus Gl. (3) folgt zusammen mit Gl. (4) die Dreiecksungleichung (1). Gleichheit in (4) kann nur auftreten, wenn F in der Strecke AB liegt, und Gleichheit in (3) kann nur bei C ∈ g (d.h. C = F ) auftreten. Satz 2. Unter allen Streckenzügen A = A0 , A1 , A2 , . . . , An = B, die zwei Punkte A, B verbinden, ist die geradlinige Strecke AB am kürzesten. Geometrie für den Mathematikunterricht PS Beweis. Wir wenden die Dreiecksungleichung der Reihe nach auf die Dreiecke A0 A1 A2 , A0 A2 A3 , . . . an. Wir sehen, daß die Gesamtlänge des Streckenzuges ≥ AB ist, mit ‘=’ genau dann, wenn alle Punkte in der richtigen Reihenfolge in der Strecke AB liegen. Als Anwendung zeigen wir den folgenden Satz Satz 3. Unter allen einem spitzwinkeligen Dreieck ABC einbeschriebenen Dreiecken A0 B 0 C 0 hat das Höhenfußpunktedreieck den kleinsten Umfang. Beweis. Wir setzen die Bezeichnungen so, daß A0 dem Punkt A gegenüber liegt, und so weiter. Der Winkel bei C heißt γ. Wir halten C 0 fest und variieren A0 , B 0 so, daß A0 B 0 + B 0 C 0 + C 0 A0 minimal wird. Spiegeln wir C 0 and AC und an BC, so erhalten wir Punkte E und F mit (5) A0 B 0 + B 0 C 0 + C 0 A0 = A0 B 0 + A0 F + B 0 E. Nach Satz 2 ist der Länge des Streckenzuges EB 0 A0 F minimal, wenn B 0 und A0 in dieser Reihenfolge in der Strecke EF liegen. Wegen der Spiegelung ist dann (6) CC 0 = CE, ^C 0CA = ^ECA (7) CC 0 = CF , ^C 0CB = ^F CB. Das Dreieck EF C ist daher gleichschenkelig, und der Winkel bei C ist gleich 2γ, unabhängig von C 0 . Der Umfang von A0 B 0 C 0 , d.h. die Entfernung EF , hängt also nur von der Seitenlänge CE = CF = CC 0 ab. Um sie minimal zu machen, muß daher CC 0 minimiert werden, d.h. man muß C 0 als Lotfußpunkt von C auf AB wählen. Dieselbe Argumentation gilt auch für A0 und B 0 . J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 12. Flächeninhalt und Volumen: Geometrische Exhaustion I Beim Bestimmen von Flächeneninhalten und Voluma durch Exhaustion auf ‘elementar-geometrische’ Art und Weise geht man so vor, daß man das gegebene Objekt durch die Vereinigung von endlich vielen kleineren Teilen annähert, deren Inhalt bekannt ist oder bekannt wird, wenn man die Teile auf andere Art und Weise aneinanderlegt. Anschließend wird ein Grenzübergang (der bei diesem naiven Zugang nicht gerechtfertigt wird) durchgeführt. Ein berühmtes Beispiel ist die Formel ‘Fläche = Radius × Umfang/2’ für die Fläche eines Kreises (siehe Figur). Bezeichnen wir das Verhältnis u/r mit 2π, so Geometrie für den Mathematikunterricht PS folgt A = r2 π. Die Formel ‘Fläche ist Grundlinie × Höhe’ für ein Parallelogramm wird für ein Rechteck als gegeben angenommen und folgt allgemein durch Zerlegung in flache Rechtecke und neues Zusammensetzen derselben. Die analoge Formel für das Dreieck folgt genauso (siehe Figur). Daß das Volumen eines geraden Prismas durch ‘Grundfläche × Höhe’ gegeben ist, folgt durch Zerlegen des Prismas in erzeugendenparallele Quader und der Annahme, daß für diese die Formel gilt. Für schiefe Prismen folgt die Aussage aus der vorigen auf dieselbe Art und Weise wie beim Parallelogramm. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 13. Flächeninhalt und Volumen: Geometrische Exhaustion II Wollen wir nun ‘Volumen = Grundfläche × Höhe/3’ für Pyramiden herleiten, so genügt es, dies für schiefe quadratische Pyramiden zu tun, weil wir jede Pyramide durch eine Vereinigung von solchen annähern können. Es genügt auch, die Formel für gerade quadratische Pyramiden nachzuweisen; Stellt man eine gerade und eine schiefe quadratische Pyramide nebeneinander und schneidet man beide in zur Basisebene parallele Schichten, so sind die Schnittflächen zueinander kongruent. Denkt man sich die Pyramiden durch eine Folge von niedrigen Quadern angenähert (siehe Figur), soe erkennt man, daß beide dasselbe Volumen besitzen. Wir bemerken auch, daß sich bei Ausüben einer Ähnlichkeit mit dem Faktor k Volumina mit dem Faktor Geometrie für den Mathematikunterricht PS k 3 multiplizieren: Dies gilt für Würfel, und daher auch für jeden Körper, den wir durch kleine Würfel annähern können (d.h. alle, denen wir hier unsere Aufmerksamkeit schenken). Nun zerlegen wir eine gerade quadratische Pyramide mit Höhe h, Basiskantenlänge a und unbekanntem Volumen V in eine halb so große Pyramide (Volumen V /8), vier Teile, die sich ebenfalls zu einer solchen Pyramide zusammensetzen lassen (Volumen daher je V /32), ein quadratisches Prisma mit Volumen (a/2)2 · (h/2), und vier Teile, die sich zu einem ebensolchen Prisma zusammensetzen lassen (Volumen daher je a2 h/32). Es folgt V = V /8 + 4V /32 + a2 h/8 + 4a2 h/32, also insgesamt V = a2 h/3. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 14. Oberfläche und Volumen der Kugel: Geometrische Exhaustion III Eine Pyramide mit kreisförmiger Grundfläche heißt Kreiskegel, ein gerader Kreiskegel heißt Drehkegel. Sein Volumen ist nach der allgemeinen Formel für Pyramiden gegeben durch V = Gh/3 = r2 πh/3. In der Antike wurde das Volumen einer Kugel mittels geometrischer Exhaustion dadurch bestimmt, daß man ihre Volumsgleichheit mit einem Zylinder zeigte, aus dem zwei Drehkegel ausgeschnitten sind: Wir umschreiben einer Kugel vom Radius r einen ‘vertikalen’ Zylinder der Höhe 2r, und betrachten die Differenzmenge. Horizontale Schnitte durch diese Menge werden durch niedrige Prismen angenähert, deren Basisflächen jeweils Kreisringe sind. Mit dem Satz des Pythagoras können wir den inneren Radius ρ(x) eines solchen Kreisrings in der Entfernung x von der Äquatorebene bestimmen: ρ(x)2 = r2 − x2 . Der Flächeninhalt dieses Kreisrings ist daher gleich A(x) = (r2 − ρ(x)2 )π = x2 π, stimmt also mit Flächeninhalt eines Kreises vom Radius x überein. Wir erhalten also einen der Kugel volumsgleichen Körper, indem wir die erwähnten Prismen durch ebenso hohe (bzw. niedrige) Zylinder mit Geometrie für den Mathematikunterricht PS Radius x ersetzen. Die betrachtete Differenzmenge ist damit volumsgleich der Vereinigung von zwei Drehkegeln, deren Basiskreis der Äquatorkreis der Kugel ist, und deren und Spitzen jeweils Nord- und Südpol der Kugel sind. Für das Volumen der Kugel folgt nun 4 3 r π. 3 Um die Oberfläche der Kugel zu bestimmen, zerlegen wir die Kugel in kleine Pyramiden, deren Spitze im Mittelpunkt der Kugel zu liegen kommt. Für jeden einzelnen der Pyramiden gilt die Formel V = r2 π · 2r − 2(r2 π · r/3) = GK r . 3 Die Summe der Pyramidenvolumina ergibt das Kugelvolumen, und die Summe der PyramidenGrundflächen die noch unbekannte Oberfläche der Kugel. Durch Summation von (1) über alle Pyramiden erhalten wir also 4π 3 X rX r ≈ Vk = GK ≈ O, 3 3 also nach Grenzübergang (1) VK = 4π r r r = O =⇒ O = 4πr2 . 3 3 J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 15. Die Eulersche Polyederformel Ein Polyeder ist ein ebenflächig begrenzter Körper. Bekannte Beispiele von Polyedern sind der Würfel, das Oktaeder, das Tetraeder, Pyramiden, Prismen, und andere. Die ebenen Flächen, die das Polyeder begrenzen, heißen Seitenflächen oder Facetten. Die Seitenflächen schneiden einander in Strecken, die die Kanten des Polyeders genannt werden, und die Kanten treffen einander in den Ecken. Es ist möglich, daß die Seitenflächen eines Polyeders keine Vielecke im gewöhnlichen Sinn sind, sondern daß der Rand einer solchen Seitenfläche aus mehren, nicht zusammenhängenden, Teilen besteht (siehe Figur). Wir wollen uns hier auf solche Polyeder beschränken, wo dies nicht der Fall ist. Alle Seitenflächen sollen Vielecke sein. Es ist möglich, einem Polyeder ein Geschlecht zuzuordnen. Dies ist, grob gesprochen, die Maximalzahl von einander nicht schneidenden Kurven, die man auf die Oberfläche zeichnen kann, ohne daß diese dadurch in zwei Teile zerschnitten wird (siehe Figur). Die zur Behandlung dieses Themas verwendeten mathematischen Methoden gehören zur kombinatorischen und algebraischen Topologie. Wir werden uns mit ihnen nicht auseinandersetzen. Polyeder vom Geschlecht 0 sind solche, wo jeder geschlossene Kantenzug die Oberfläche des Polyeders in 2 Teile teilt. Für solche Polyeder gilt: Satz 1. (Eulersche Polyederformel) Für die Anzahlen e, f, k der Ecken, Seitenflächen, und Kanten eines Polyeders vom Geschlecht 0 gilt (1) e+f −k =2 Geometrie für den Mathematikunterricht PS Beweis. Wir denken uns ein ‘weißes’ Polyeder und zeichnen auf dessen Oberfläche schrittweise Ecken und Kanten. Wir zählen dabei die Anzahl der Ecken, der Kantenzüge zwischen den Ecken, und Flächen. 1. Wir starten mit 1 Ecke und einem geschlossenen Kantenzug, der diese Ecke enthält. Der Kantenzug zerteilt die Obefläche des Polyeders in zwei Gebiete, und wir haben e = 1, f = 2, k = 1, also e+f −k = 2. 2. Einen bereits vorhandenen Kantenzug zerteilen wir durch das Anmalen einer Ecke in zwei. Dabei erhöhen sich sowohl k als auch e um 1. Der Wert von e + f − k bleibt gleich. 3. Bereits angezeichnete Ecken können durch Kantenzüge verbunden werden, die die bereits eingezeichneten Kantenzüge nicht kreuzen oder berühren dürfen. Bei diesem Schritt erhöhen sich k und f um 1, der Wert von e + f − k bleibt gleich. Wir führen die Schritte 2 und 3 solange aus, bis wir alle Ecken und Kanten des Polyeders angemalt haben. Der Wert von e + f − k ändert sich während des Vorganges nicht, er ist also zum Schluß ebenso wie am Anfang gleich 2. Anhand von Gegenbeispielen kann man leicht nachprüfen, daß der Eulersche Polyedersatz nicht gilt, wenn Seitenflächen mehrere Randkomponenten besitzen. Weiters kann man zeigen: Sind alle Seitenflächen eines Polyeders Vielecke, so ist e + f − k = 2 − 2g, wenn g das Geschlecht des Polyeders ist. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 16. Platonische Körper — kombinatorisch Ein Würfel zeigt uns, daß es Polyeder gibt, wo in jeder Ecke gleich viele Kanten zusammenlaufen, und jede Fläche von gleich vielen Kanten berandet wird. Das Tetraeder und das Oktaeder sind ebenfalls Beispiele von solchen regulären Polyedern. Wir wollen uns überlegen, wieviele Polyeder es gibt, wo in jeder Ecke die gleiche Anzahl von n m-Ecken zusammenstößt. Dazu verwenden wir die Eulersche Polyederformel. Wir nehmen an, daß ein solches Polyeder aus f mEcken besteht, und e Ecken sowie k Kanten besitzt. Zählen wir für alle Flächen die Randkanten, und summieren wir auf, so haben wir jede Kante des Polyeders genau zweimal gezählt. Daher ist mf (1) . k= 2 Zählen wir für jede Ecke die Anzahl der an ihr beteiligten Kanten, und summieren wir auf, so haben wir jede Polyederkante genau zweimal gezählt. Es ist daher en (2) k= . 2 Wir setzen ein in die eulersche Polyederformel (3) e+f −k =2 und erhalten (4) 2k 2k + − k = 2, n m woraus 1 1 1 1 + − = n m 2 k folgt. Nachdem die rechte Seite dieser Gleichung positiv ist, folgt 1 1 1 (6) + > . n m 2 (5) Geometrie für den Mathematikunterricht PS Weiters ist m ≥ 3 (Zweiecke gibt es nicht). Es bleibt nur die folgende Tabelle an Möglichkeiten übrig: m n (7) 3 3 4 3 5 3 4 3 5 3 1 1 + n m 2/3 7/12 7/12 8/15 8/15 k 6 12 12 30 30 e= 2k m 4 6 8 12 20 f= 2k n 4 8 6 20 12 Die Kombinationen (3, 6), (4, 4), (4, 5), (4, 6), (5, 6) führen auf Werte von 1/n + 1/m, die nicht größer als 1/2 sind, und kommen daher nicht in Frage. Noch größere Werte für n, m folglich noch weniger. Die zu den erhaltenen Werten von n und m gehörigen Polyeder (die platonischen Körper) sind unten schematisch aufgezeichnet. Es handelt sich dabei um Tetraeder, Hexaeder (wovon der Würfel ein Beispiel ist), Oktaeder, Pentagondodekaeder, und Ikosaeder. Daß Tetraeder, Oktaeder, und Ikosaeder tatsächlich existieren, ist sehr leicht zu zeigen: Wir wählen die Eckpunkte “ungefähr richtig” und zeichnen die Kanten dazwischen ein. Daß der Würfel und damit ein Hexaeder existiert, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Die Existenz eines Pentagondodekaeders ist nicht vollständig trivial, denn man muß man die Ecken so wählen, daß die 5, die ein Fünfeck bilden sollen, auch tatsächlich in einer Ebene liegen. Das macht man am besten dadurch, daß man die 12 Seitenflächen wählt, und die Kanten bzw. Ecken durch Schneiden von Seitenflächen erzeugt. Reguläre Platonische Körper, wo die Seitenflächen regelmäßige Vielecke sind, gibt es auch. Dazu sei auf 17 und 18 verwiesen. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 17. Die Platonischen Körper metrisch I Wir suchen unter den Tetraedern, Hexaedern, Oktaeder, Ikosaedern, und Pentagondodekaeders ‘metrisch reguläre’ Vertreter, deren Seiten regelmäßige Vielecke gleicher Größe sind. Wir werden den Würfel, das reguläre Hexaeder, zur Konstruktion weiterer regulärer Polyeder benützen. Oktaeder und Tetraeder Verbindet man die 6 Flächenmitten eines Würfels mit 12 Kanten, so entstehen 8 gleichseitige Dreiecke, also ein reguläres Oktaeder. Wählt man von den 8 Ecken eines Würfels 4 aus, sodaß nie 2 benachbart sind, und verbindet man diese durch 6 Flächendiagonalen, so entstehen 4 gleichseitige Dreiecke, also ein reguläres Tetraeder. Ikosaeder Will man die Konstruktion schriftlich beschreiben, tut man das am besten über Koordinaten: Wir betrachten den Würfel mit Ecken (±1, ±1, ±1) aus und zeichnen in dessen Seitenflächen die 12 Geometrie für den Mathematikunterricht PS Punkte (1) (±1, 0, ±α), (±α, ±1, 0), (0, ±α, ±1) ein (0 < α < 1). Verbindet man jeden dieser Punkte mit seinen 5 nächsten Nachbarn, z.B. den Punkt (1, 0, α) mit (2) (1, 0, −α), (α, ±1, 0), (0, ±α, 1), so erhält man ein Ikosaeder mit zwei verschiedenen Typen von Kanten. Deren Längen sind (3) (4) k(1, 0, α) − (1, 0, −α)k = 2α, p k(1, 0, α) − (α, 1, 0)k = (1 − α)2 + 1 + α2 . Alle Kanten sind gleich lang, wenn p 2α = (1 − α)2 + 1 + α2 , d.h. √ (5) α = ( 5 − 1)/2 = 0.61803398874 . . . √ Bemerkung: Die Zahl ( 5 − 1)/2 ist goldene Schnitt. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 18. Die Platonischen Körper metrisch II: Das Dodekaeder Pentagondodekaeder Wir wollen uns davon überzeugen, daß es ein reguläres Pentagondodekaeder gibt, d.h. einen Körper, der von 12 regulären Fünfecken berandet wird, sodaß in jeder Ecke drei Fünfecke zusammenstoßen. Eine Abwicklung einer solchen polyhedralen Flächen in die Ebene läßt sich leicht angeben (siehe Figur). Biegt man die fünf 5ecke rund um ein Fünfeck auf und klebt sie entlang ihrer Seiten aneinander, so ensteht ein ‘Korb’. Zwei solcher Körbe lassen sich zu einem Pentagondodekaeder zusammensetzen. Die Frage ist nur: Warum passen zwei solche Körbe ineinander? Wir werden das Problem anders lösen, nämlich indem wir auf jede Seitenfläche eines Würfels (dessen Existenz als bekannt vorausgesetzt wird), ein Dach errichten, und zwar so, daß immer zwei Dachflächen, die entlang einer Würfelkante zusammentreffen, miteinander ein reguläres Fünfeck bilden (siehe Figur). √ Sei b = ( 5 − 1)/2 (der goldenen Schnitt), und sei 1 die Länge der Würfelkante. Ein Dach sei durch die Geometrie für den Mathematikunterricht PS in der Figur unten angegebenen Abmessungen festgelegt. Wir nehmen nun sechs Dächer und setzen sie wie unten angegeben auf die 6 Würfelseiten. Es sind nun folgende Dinge zu zeigen: (i) zwei Dachflächen, die entlang einer Würfelkante zusammentreffen, liegen in einer gemeinsamen Ebene, und (ii) alle Kanten des so entstehenden Polyeders haben dieselbe Länge. Um (i) nachzuweisen, müssen wir α + β = 90◦ (siehe Figur) zeigen. Dies folgt aus der Ähnlichkeit der beiden rechtwinkeligen Dreiecke mit Katheten 1/2, b/2, sowie mit Katheten b/2, (1−b)/2, die man leicht nachrechnen kann: (1/2) : (b/2) = (b/2) : ((1−b)/2). (ii) besteht aus mehrmaligem Anwenden des Satzes des Pythagoras: Es ist tatsächlich ((1 − b)/2)2 + (1/2)2 + (b/2)2 = b2 , also haben alle Kanten die Länge b. Ein Fünfeck kann lauter gleiche Kanten haben, ohne regulär zu sein. Wir können aber analog zu oben, daß alle Diagonalen gleich lang sind — damit sind die an dem Dodekaeder beteiligten Fünfecke regulär. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 19. Die Formel von Pick Ein Polygon P , dessen Ecken bezüglich eines kartesischen Koordinatensystems ganzzahlige Koordinaten besitzen, soll Gitterpolygon heißen. Für geschlossene überschneidungsfreie Gitterpolygone gibt es eine Beziehung zwischen der umschlossenen Fläche A(P ) und der Anzahl der Gitterpunkte im Inneren des Polygons (i) und auf P selbst (r). Dies ist die Formel von Pick1 : A(P ) = i + r/2 − 1. Um die Sprechweise zu vereinfachen, bezeichnen wir den Ausdruck i + r/2 − 1 mit F (P ). Wir zeigen nun schrittweise die Gültigkeit von A(P ) = F (P ): Satz 1. Das geschlossene Gitterpolygon P werde durch einen Streckenzug, dessen Ecken Gitterpunkte sind, in zwei Teilpolygone P1 , P2 zerlegt. Dann ist F (P1 ) + F (P2 ) = F (P ). Wird P durch mehrere Streckenzüge in Polygone P1 , . . . , Pk zerlegt, so gilt F (P ) = F (P1 ) + · · · + F (Pk ). Beweis. Der erwähnte Streckenzug trage s Gitterpunkte, seine Randpunkte nicht eingerechnet. Die Anzahlen der Innen- und Randgitterpunkte von P1 , P2 seien i1 , i2 , r1 , r2 . Dann ist i = i1 + i2 + s und r = (r1 − s) + (r2 − s) − 2. Durch Einsetzen folgt F (P ) = F (P1 )+F (P2 ). Die Behauptung für mehrere Polygone folgt durch Induktion (siehe Figur). Geometrie für den Mathematikunterricht PS Satz 2. Sei ein Gitterpolygon P zerlegt in Gitterpolygone P1 , . . . , Pk . Gilt die Formel von Pick für P1 , . . . , Pk , dann auch für P . Gilt die Formel von Pick für P2 , . . . , Pk und P , dann auch für P1 . Beweis. Es gilt F (P1 ) + · · · F (Pk ) = F (P ) und A(P1 ) + · · · A(Pk ) = A(P ). Daß die Formel von Pick für Gitterrechtecke R mit Seitenlängen a, b gilt, ist einfach einzusehen: Es ist iR = (a − 1)(b − 1), rR = 2a + 2b, und A(R) = ab. Ziehen wir in einem solchen Gitterrechteck eine Diagonale so erhalten wir zwei Dreiecke mit denselben Anzahlen iD und rD von Innen- und Randgitterpunkten. Es ist also 2(iD + rD /2 − 1) = i + r/2 − 1, und 2A(D) = A(R), also gilt die Formel von Pick für solche Dreiecke. Durch Anwenden von Satz 2 sehen wir, daß sie für ‘achsenparallele Gittertrapeze’ (siehe Figur), und für jedes Gitterdreieck gilt (siehe Figur). Nun können wir den Beweis der Formel von Pick abschließen, indem wir beachten, daß man jedes geschlossene Gitterpolygon in Gitterdreiecke zerlegen kann. 1 Pick, Georg: Geometrisches zur Zahlenlehre. Sitzungsberichte des Vereins “Lotos” (Prag) 19 (1899), 311–319. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 20. Konstruktionen nicht mit Zirkel und Lineal Die Dreiteilung des Winkels Eine Konstruktion zur Dreiteilung eines Winkels, welche für ‘alle’ Winkel oder für solche in einem gewissen Intervall funktioniert, ist — anders als die Halbierung von Winkeln — mit Zirkel und Linear nicht möglich (Wantzel, M. L. “Recherches sur les moyens de reconnaı̂tre si un Problème de Géométrie peut se résoudre avec la règle et le compas.” J. Math. pures appliq. 1, 366-372, 1836). Es gibt jedoch außer diesen beiden noch weitere Zeichengeräte, und wir wollen hier dieses berühmte, in der Antike ungelöste Problem zum Anlaß nehmen, eines davon, das Einschiebelineal, vorzustellen. Dessen Funktion wird aus der folgenden Konstruktionsbeschreibung deutlich: Gegeben sind zwei Gerade g, h mit Schnittpunkt M und zwei Punkten B ∈ g, C ∈ h im Abstand r vom Punkt M , sodaß der zu teilende Winkel α = ^BM C ist. Wir beschränken uns auf spitze Winkel α. Nun ziehe man den Kreis mit Mitte M durch B und C und schiebe ein Lineal, auf dem die Strecke r markiert ist, so durch C, daß die Endpunkte D, E der markierten Strecke auf dem Kreis und der Geraden g zu liegen kommen. Dann ist ^BEC = α/3. Diese Lösung mit Hilfe eines markierten anstelle eines unmarkierten Lineals stammt von Archimedes und zeigt, wie durch eine kleine Änderung der zulässigen Hilfsmittel ein vorher unlösbares Problem einen sehr einfachen Zugang gestattet. Geometrie für den Mathematikunterricht PS Beweis. Zum Beweis bemerken wir, daß die Dreiecke M ED und CM D gleichschenkelig sind. Bezeichnen wir den Winkel ^BEC mit β. Dann ist ^EM D = β und ^M DE = π − 2β. Also ist ^M DC = 2β, ^M CD = 2β, und wegen der Winkelsumme im Dreieck ist ^DM C = π − 4β. Nun ist α = π − (π − 4β) − β = 3β. Die Quadratur des Kreises Mit Zirkel und Lineal genauso unmöglich ist die Aufgabe, für einen gegebenen Kreis mit Zirkel und Lineal ein Quadrat von gleichem Flächeninhalt oder eine Strecke zu konstruieren, deren Länge mit dem Kreisumfang übereinstimmt (F. Lindemann: “Über die Zahl π. Mathematische Annalen 20 (1882), 213– 225). Wenn wir die Maßeinheit in der Zeichenebene gleich dem Kreisradius wählen, so ist die Kreisfläche gleich π und √ die Seitenlänge des gesuchten Quadrates gleich π. Ein ‘Zeichengerät’, mit dessen Hilfe die Quadratur des Kreises möglich wird, ist ein auf dem gegebenen Kreis abrollendes Lineal. Während des Rollvorganges beschreibt der Endpunkt eine Kreisevolvente oder archimedische Spirale. Der Radialabstand zwischen zwei Spiralzügen ist gleich dem Kreisumfang, also gleich 2π. Nachdem das Dividieren durch 2 und das Ziehen der Quadratwurzel mit Zirkel und Lineal durchführbar ist, ist mit diesem zusätzlichen Zeichengerät die Quadratur des Kreises möglich. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 21. Flächeninhalt von sphärischen Dreiecken Auf einer Kugel wird die Rolle der Geraden von den Großkreisen eingenommen. Das sind Kreise, deren Ebenen durch den Kugelmittelpunkt gehen. Zwei Punkte, die einander nicht gegenüberliegen, haben immer einen eindeutigen Großkreis als kürzeste Verbindung. Sind drei Punkte A, B, C auf einer Kugel gegeben, so teilen die drei Großkreisbögen a, b, c, die dadurch bestimmt sind, die Kugel in zwei Teile. Der kleinere davon heißt das sphärische Dreieck mit Ecken A, B, C und Seiten a, b, c (wir wählen die Bezeichnungen hier so, daß immer Ecke und gegenüberliegende Seite durch den gleichen Buchstaben bezeichnet werden). Die Innenwinkel bei A, B, C seien α, β, γ. Wir betrachen ein sphärischen Zweieck mit Öffnungswinkel α: Es ist begrenzt durch zwei Großkreisbögen, die einen Winkel α einschließen. Alle Großkreisbögen im Inneres dieses Winkels gehören zum Zweieck dazu. Für α = π erhalten wir eine Halbkugel als Zweieck, und im Grenzfall α = 2π (die beiden Großkreisbögen fallen zusammen) erhalten wir die Vollkugel. Die Fläche A eines sphärischen Zweiecks ist offenbar linear proportional zum Öffnungswinkel. Nachdem die Oberfläche der Vollkugel (α = 2π) bekannt ist und 4πr2 beträgt, haben wir A = 2αr 2 . Für ein sphärisches Dreieck ABC teilen die Großkreise die Geometrie für den Mathematikunterricht PS die Seiten a, b, c tragen, die Kugel in insgesamt 8 Dreiecke (1) ABC, ABC 0 , AB 0 C, A0 BC, A0 B 0 C, A0 BC 0 , AB 0 C 0 , A0 B 0 C 0 (siehe Figur). Dabei sind A0 , B 0 , C 0 die A, B, C gegenüberliegenden Punkte. Zwei dieser Dreiecke, zum Beispiel ABC und A0 BC, können einander zu einem sphärisches Zweieck ergänzen, das in diesem speziellen Fall den Öffnungswinkel α besitzt. Insgesamt können wir also die folgenden Gleichungen für die Flächeninhalte der 8 Dreiecke hinschreiben: ABC + ABC = 2αr 2 ABC + A0 BC = 2βr2 ABC + ABC 0 = 2γr2 A0 B 0 C 0 + AB 0 C 0 = 2αr 2 A0 B 0 C 0 + A0 BC 0 = 2βr2 A0 B 0 C 0 + A0 B 0 C = 2γr2 Addiert man diese 6 Gleichungen, so ist die Summe der Dreiecke aus Gl. (1) gleich 4πr2 , und wir erhalten 2ABC + 2A0 B 0 C 0 + 4πr2 = 4αr 2 + 4βr2 + 4γr2 Die Flächen von ABC und A0 B 0 C 0 sind gleich, die beiden Dreiecke gehen auseinander durch Spiegelung am Kugelmittelpunkt hervor. Es folgt also für die Fläche des Dreiecks ABC der Wert r2 (α + β + γ − π). Damit ist auch gezeigt, daß die Winkelsumme eines sphärischen Dreiecks nicht 180◦ beträgt, sondern abhängig von der Fläche größer als 180◦ ist. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 22. Konvexe Mengen, Polygone und Polyeder Def 1. Eine Teilmenge der euklidischen Ebene oder des Raumes heißt konvex, wenn die Verbindungsstrecke von je zwei Punkten ganz in der Menge liegt. Beispiel 1. Eine offene Kreisscheibe ist konvex, genauso wie eine abgeschlossene Kreisscheibe. Ein Dreieck und ein Rechteck sind konvex. Eine offene/abgeschlossene Kugel und die regulären platonischen Körper sind konvex. Def 2. Ein Polygon bzw. Polyeder in der Ebene bzw. im Raum heißt konvex, wenn sein Inneres eine konvexe Menge ist. Def 3. Die konvexe Hülle c.h.(M ) einer Punktmenge M ist die kleinste konvexe Menge, welche M enthält. Man kann sich überlegen, daß es die konvexe Hülle c.h.(M ) immer gibt. Sie ist der Durchschnitt aller konvexer Mengen, die M enthalten. In der Ebene erhält man als konvexe Hülle die Form eines gespannten Gummibandes, das um die gegebene Menge gelegt wird. Beispiel 2. Die konvexe Hülle einer konvexen Menge M ist gleich M . Die konvexe Hülle einer endlichen Anzahl von Punkten in der Ebene bzw. im Raum ist ein konvexes Polygon bzw. ein konvexes Polyeder. Def 4. Wir betrachten eine abgeschlossene konvexe Menge M (d.h. der Rand gehört dazu). Ein Punkt x ist Extremalpunkt von M , wenn x nicht im Inneren einer Strecke mit Endpunkten aus M enthalten ist. Beispiel 3. Die Extremalpunkte eines konvexen Polygons bzw. Polyeders sind seine Ecken. Geometrie für den Mathematikunterricht PS Def 5. Ein Parallelgebiet bzw. Parallelkörper im Abstand d einer konvexen Menge enthält alle Punkte, die höchstens den Abstand d zu M haben. Satz 1. Ist M ein konvexes Polygon der Länge L und mit der Fläche A, so hat ein Parallelgebiet im Abstand d den Flächeninhalt A + dL + d2 π. Beweis. Der Flächenzuwachs besteht aus rechteckigen Gebieten der Gesamtlänge dL über den Seiten von M und Kreissektoren der Gesamtfläche d2 π über den Ecken. Zum Beweis des nächsten Satzes benötigen wir das Volumen eines Kreiszylindersektors: Nach der Formel “Grundfläche × Höhe” ergibt sich r2 lα/2, mit r als Radius, l als Länge, und α als Öffnungswinkel. Satz 2. Sei M ein konvexes Polyeder mit Volumen V und Oberfläche O. Wir definieren eine neue Größe X (1) H= li αi , wobei li die Länge der i-ten Kante und π − αi ihr Öffnungswinkel ist. Dann hat ein Parallelkörper im Abstand d das Volumen 1 4π (2) V + dO + d2 H + d3 2 3 Beweis. Der Volumszuwachs besteht aus prismatischen Gebieten des Gesamtvolumens Od über den Flächen, aus Zylindersektoren des Volumens d2 li αi /2 über den Kanten, und aus Kugelsektoren über den Ecken, die sich zu einer einzigen Vollkugel mit Volumen 4d3 π/3 zusammensetzen lassen. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 23. Geometrische Extremalprobleme II – Die isoperimetrische Ungleichung Unter dem ‘isoperimetrischen Problem’ in der Ebene versteht man, mit einem Faden gegebener Länge den größten Flächeninhalt zu umschließen. Dazu äquivalent ist die Frage nach der kürzesten Kurve, die eine gegebene Fläche umschließt. Wir können dieses Problem hier nur sehr heuristisch behandeln, weil uns die mathematischen Methoden und auch die geeignete Definition von ‘Kurve’ dazu fehlen. Es sei mitgeteilt, daß die Lösung durch die Kreislinie gegeben ist. Dies ist eine Folge der isoperimetrischen Ungleichung, die zwischen der Länge L und dem umschlossenen Flächeninhalt A besteht: (1) L2 ≥ 4πA. Gleichheit gilt genau für die Kreise. Daß für Kreise tatsächlich Gleichheit gilt, kann man sofort nachrechnen. Das Problem besteht im Nachweis von ‘>’ für alle anderen geschlossenen Kurven. Die isoperimetrische Ungleichung im Raum lautet O3 ≥ 36πV 2 mit Gleichheit genau für die Kugel. Dabei sind O und V Oberfläche und umschlossenes Volumen. Für Vielecke in der Ebene kann man die isoperimetrische Ungleichung leicht nachweisen: Satz 1. Die isoperimetrische Ungleichung L2 − 4πA > 0 gilt für kreuzungsfreie geschlossene Polygone in der euklidischen Ebene. Beweis. Es genügt, sich auf konvexe Polygone zu beschränken, denn der Übergang zur konvexen Hülle vergrößert weder den Umfang noch verkleinert er den umschlossenen Flächeninhalt. Dann definieren wir einen Schrumpfungsprozeß für konvexe n-Ecke: Wir verschieben alle Seiten um das gleiche Stück d parallel nach innen, und erhalten dadurch ein inneres Parallel-n-Eck. Es gibt ein maximales d, bei dem eine Seite auf 0 geschrumpft ist (vielleicht sogar bei mehreren Seiten gleichzeitig). Nun haben wir ein Vieleck mit höchstens n − 1 Ecken, auf das wir den Prozeß wieder anwenden können. In endlich vielen Schritten landen wir entweder bei einem 2-Eck (einer doppelt durchlaufenen Strecke) oder einem 1-Eck (einem Geometrie für den Mathematikunterricht PS Punkt, um den man 1× herumläuft). Hier hört der Schrumpfungsprozeß auf. Wenn wir zeigen können, daß die Größe ∆ = L2 − 4πA (das isoperimetrische Defizit) während des Prozesses kleiner wird, und daß sie am Ende ≥ 0 ist, dann ist sie am Anfang > 0 gewesen. Für einen Punkt ist L = A = ∆ = 0, für ein Strecke der Länge p ist L2 = (2p)2 , A = 0, und ∆ > 0. Um das Verhalten von ∆ während eines Schrumpfungsvorganges zu beobachten, betrachten wir ein Polygon P (mit Fläche A und Umfang L) und ein inneres Parallel-Polygon P 0 im Abstand d (mit Fläche A0 und Umfang L0 ). Wir setzen ∆ = L2 − 4πA und ∆0 = L02 − 4πA0 . Wenn wir ∆ > ∆0 zeigen können, sind wir fertig. Wir zerlegen den Streifen zwischen P und P 0 in Rechtecke der Breite d über den Seiten von P 0 , in Kreissektoren über den Ecken von P 0 , und in einen Rest (siehe Figur). Die Kreissektoren + die Reste setzen wir zu einem Vollkreis samt tangential umschriebenen n-Eck P 00 (der sogenannten Formfigur von P und P 0 ) zusammen. P 00 habe die Fläche A00 und den Umfang L00 . Offenbar ist L = L0 + L00 . Die Gesamtfläche der erwähnten Rechtecke ist L0 · d, also ist A = A0 + L0 d + A00 . Nachdem wir die Fläche von P 00 in lauter Dreiecke der Höhe d zerlegen können, gilt A00 = dL00 /2. (“Fläche=Grundlinie×Höhe/2”). Jetzt können wir darangehen, ∆ − ∆0 zu berrechnen: ∆ − ∆0 = (L2 − 4πA) − (L02 − 4πA0 ) = (L0 + L00 )2 − 4π(A0 + L0 d + dL00 /2) −L02 + 4πA0 = (2L0 + L00 )(L00 − 2πd) Nun ist P 00 einem Kreis von Radius d umschrieben, sein Umfang L00 also größer als der Kreisumfang 2πd. Es folgt, daß ∆ − ∆0 > 0. (entnommen aus: G. Bol, Einfache Isoperimetriebeweise für Kreis und Kugel. Abh. Math. Sem. Hamburg 15, 27–36.) J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 24. Winkelsummen in der euklidischen und sphärischen Geometrie Satz 1. In der euklidischen Geometrie ist die Winkelsumme im Dreieck gleich 180◦ . Beweis. siehe untenstehende Skizze. Satz 2. In der euklidischen Geometrie ist die Winkelsumme im Dreieck gleich π + A/r2 , mit A als Fläche des Dreiecks Beweis. In Nr. 21 wurde für den Flächeninhalt der Wert (α + β + γ − π)r2 hergeleitet, wobei α, βγ die Innenwinkel sind. Um allgemein eine Aussage über die Winkelsumme in einem n-Eck zu erhalten, betrachten wir den Exzeß eines Vielecks: Dieser ist definiert aus Summe der Innenwinkel minus π(n − 2). Die obige Aussage über die Winkelsumme eines Dreiecks in der euklidischen Ebene kann man auch so formulieren, daß sein Exzeß gleich Null ist. Der Exzeß ist gleichermaßen für euklidische und für sphärische Vielecke definiert. Nach Satz 2 ist der Exzeß in einem sphärischen Dreieck gleich A/r2 . Macht man aus einem n-Eck ein (n + 1)-Eck, indem man eine Seite durch einen neuen Eckpunkt unterteilt, so erhöht sich die Winkelsumme um π, die Anzahl der Ecken um 1, der Exzeß bleibt gleich (siehe Figur). Satz 3. Zerlegt man ein n-Eck durch eine Strecke in ein n1 -Eck und ein n2 -Eck, und sind S, S1 und S2 die entsprechenden Winkelsummen, so gilt S1 + S2 = S. Beweis. Betrachen wir eine Ecke, die sowohl dem n1 -als auch dem n2 -Eck gemeinsam ist, dann ist die Summe der Innenwinkel des n1 -und des n2 -Ecks gleich dem Innenwinkel des n-Ecks an dieser Stelle. Für die Winkelsummen S1 , S2 und S des n1 -, des n2 -, und des n-Ecks gilt also S1 + S2 = S. Geometrie für den Mathematikunterricht PS Satz 4. Der Exzeß ist additiv, d.h. zerlegt man ein n-Eck durch eine Strecke in ein n1 -Eck und ein n2 Eck, und sind e,e1 und e2 die entsprechenden Ezxesse, so gilt e1 + e2 = e. Beweis. Offenbar ist n = n1 + n2 − 2, denn in es gibt genau 2 Ecken, die sowohl dem n-Ecke, als auch dem n1 -Eck und dem n2 -Eck angehören. Damit ist e1 + e2 = S1 − (n1 − 2)π + S2 − (n2 − 2)π = S + (n − 2)π = e. Satz 5. Die Winkelsumme in einem n-Eck in der euklidischen Ebene beträgt (n − 2)π. Der Exzeß ist gleich Null. Beweis. Es genügt zu zeigen, daß der Exzeß gleich Null ist. Wir können jedes n-Eck durch eine Strecke in Vielecke kleinerer Eckenzahl zerteilen. Nachdem der Exzeß sich dabei additiv verhält, und wir bereits wissen, daß der Exzeß für Dreiecke gleich Null ist, gilt dies auch für Vierecke, 5-Ecke, etc., d.h. für alle n-Ecke. Satz 6. Die Winkelsumme in einem n-Eck auf einer Kugel vom Radius r ist gleich A/r2 + (n − 2)π, wobei A die Fläche ist. Der Exzeß ist gleich A/r2 . Beweis. Es genügt offenbar, e = A/r2 zu zeigen. Für Dreiecke gilt diese Gleichung. Wir können jedes nEck durch eine sphärische Strecke (d.h. einen Großkreisbogen) in Vieleck kleinerer Eckenzahlen n1 , n2 unterteilen. Wir führen einen Induktionsbeweis: Angenommen, wir hätten den Satz für n1 -und n2 -Ecke bereits gezeigt. Seien A1 , A2 die Flächen der beiden Teile. Dann ist A1 + A2 = A und e1 + e2 = e. Es folgt e = e1 +e2 = A1 /r2 +A2 /r2 = (A1 +A2 )/r2 = A/r2 . J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 25. Verschiedene Kegelschnittsdefinition am Beispiel der Ellipse Es gibt viele verschiedenen Definitionen von Kegelschnitten. Hier eine Liste von verschiedenen Definitionen für eine Ellipse: Def 1. Eine Ellipse ist ein ebener Schnitt eines Drehkegels mit einer Ebene, die nicht durch die Kegelspitze geht, und, wenn man sie durch die Spitze parallelverschiebt, mit dem Kegel nur die Spitze gemeinsam hat. Def 2. Die Menge aller Punkte, die von 2 verschiedenen Punkten (den Brennpunkten) die gleiche Abstandssumme haben, heißt Ellipse. Def 3. Eine Ellipse ist eine Teilenge der euklidischen Ebene, die in irgendeinem kartesischen Koordinatensystem die Gleichung x2 /a2 + y 2 /b2 = 1 mit a, b 6= 0 besitzt. Def 4. Eine Ellipse ist eine Teilenge der euklidischen Ebene, die in irgendeinem kartesischen Koordinatensystem durch die Parameterdarstellung x(t) = a cos t, y(t) = b sin t (a, b 6= 0, t läuft in R) beschrieben wird. Satz 1. 1 Schneidet man einen Kegel ∆ mit einer Ebene ε nach einer Ellipse k, gibt es zwei dem Kegel ∆ längs Kreisen k1 , k2 eingeschriebene Kugeln Σ1 , Σ2 , die ε in Punkten F1 bzw. F2 berühren. Diese sind die Brennpunkte von k, und für jeden Punkt X ∈ k gilt XF1 + XF2 = 2e. Für die Hyperbel oder Parabel (die anderen Kegelschnitte neben der Ellipse) gibt es ähnliche Definitionen. Der Unterschied zwischen Hyperbel und Ellipse ist meist gering. XF1 + XF2 = XX1 + XX2 = X1 X2 = 2e. Wir wollen uns hier überlegen, daß jeder KegelSchnitt nach Def. 1 auch Def. 2 erfüllt. Die wesentliche Hilfsüberlegung dabei ist die folgende: Lemma 1. Alle Tangentenstrecken, die man von einem Punkt P außerhalb einer Kugel an diese legen kann, sind gleich lang. Das folgt aus der Rotationssymmetrie der Kugel um jede Achse durch den Mittelpunkt M , also auch um die Gerade M P . Geometrie für den Mathematikunterricht PS Die Entfernung von k1 und k2 auf der Kegeloberfläche ist gleich 2e. Beweis. (siehe Figur) Wir ziehen die Kegelerzeugende ex durch einen Punkt X ∈ k. Diese schneidet k1 und k2 in 2 Punkten X1 , X2 . Die Entfernung der Punkte X1 , X2 ist unabhängig vom Punkt X und gleich der Strecke 2e, die oben erwähnt wurde. Nun ist XF1 tangential an die Kugel Σ1 , genauso wie XX1 . Genauso sind XF2 und XX2 beide tangential an Σ2 . Aus XX1 = XF1 (nach Lemma 1) und XX2 = XF2 (ebenfalls nach Lemma 1) können wir schließen, daß Für die Umkehrung (jede Kurve, die Def. 2 erfüllt, ist wirklich auch ein ebener Schnitt eines Drehkegels) können wir so vorgehen: Zeichen wir die Hauptachse mit den Scheiteln und Brennpunkten einer Ellipse nach Def. 2. Dann zeichnen wir einen beliebigen Kreis, der die Hauptachse in F1 berührt, und ziehen von den Hauptscheiteln aus Tangenten an diesen Kreis. Diese Figur können wir als Bild eines KegelSchnittes nach Def. 1 interpretieren. 1 G. P. Dandelin (1794-1847): Mémoire sur quelques propriétés remarquables de la Focale Parabolique, Nouv. Mèm. Ac. Sc. de Belgique 2 (1822), p. 172) J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 26. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal Wir wollen in allgemeiner Weise Konstruktionen mit Zirkel und Lineal untersuchen. Erlaubte Konstruktionen sind das Schneiden von Geraden und/oder Kreisen, das Verbinden von 2 Punkten durch eine Gerade, und das Zeichnen eines Kreises auf die folgende Art und Weise: Einstechen mit dem Zirkel in einem Punkt, Öffnen bis zu einem weiteren Punkt, und Ziehen des Kreises. Folgende Konstruktionen lassen sich auf die obigen zurückführen und sind daher mit Zirkel und Lineal durchführbar: Parallelverschieben einer Geraden durch einen Punkt; Das Fällen der Normalen aus einem Punkt auf eine Gerade; und das Übertragen von Streckenlängen von einer Geraden auf eine andere. Zum Beweis siehe die Figuren unten. Wir verwenden zur Beschreibung der Punkte der euklidischen Ebene ein kartesisches Koordinatensystem und schreiben sie in der Form P = (p0 , p1 ). Gerade sind durch ihre linearen Gleichungen (1) g : ax + by + c = 0 bestimmt. Ist K ein Unterkörper von R (z.B. K = Q), so nennen wir Punkte mit Koordinaten aus K KPunkte. Eine Gerade ist eine K-Gerade, wenn sie eine Gleichung mit Koeffizienten in K hat. Z.B. ist √ √ 2x + 2 = 0 eine Q-Gerade, denn diese Gerade wird äquivalenterweise durch die Gleichung 1·x+1 = 0 beschrieben. Satz 1. Konstruktionen mit dem Lineal alleine erzeugen aus K-Punkten und K-Geraden wieder KPunkte und K-Gerade. Beweis. Das Verbinden von zwei Punkten sowie das Schneiden von 2 Geraden geschieht rechnerisch mit Hilfe der 4 Grundrechnungsarten. Ein K-Kreis ist bestimmt durch einen K-Punkt als Mittelpunkt und einen K-Punkt auf seinem Umfang. Damit ist sein Radiusquadrat aus K, und er besitzt die folgende Gleichung mit Koeffizienten aus K: √ √ Ein Beispiel ist Q( 2). K( p) ist ein Körper, denn Summe, Produkt, Differenz und Kehrwert von sol√ chen Zahlen sind wieder in der Menge K( p) enthalten: √ √ √ (a + b p) ± (a0 + b0 p) = (a0 ± b0 ) + (a0 ± b0 ) p √ √ √ (a + b p)(a0 + b0 p) =√(aa0 + bb0 p) + (ab√0 + ba0 ) p a−b p a−b p 1 . √ = √ √ = 2 a+b p (a + b p)(a − b p) a − bp2 √ Dabei wurde a − b p 6= 0 verwendet, was aus √ a/b 6= p folgt. √ Satz 2. K( p) ein zweidimensionaler Vektorraum √ über dem Körper K mit Basis {1, p}. √ Beweis. Offenbar ist {1, p} ein Erzeugendensy√ √ stem. {1, p} ist linear unabhängig, denn a + b p = √ 0 hieße bei b 6= 0, daß p = −a/b ∈ K. Also ist b = 0, und daher a = 0. Satz 3. Das Schneiden einer K-Geraden mit einem K-Kreis liefert K-Punkte oder L-Punkte mit √ L = K( p) für ein p ∈ K. Dasselbe gilt für das Schneiden von 2 Kreisen. Beweis. Schneiden einer K-Geraden mit einem KKreis führt auf das Lösen eines Gleichungssystems der Form (5) ax + by = c (6) (x − m1 )2 + (y − m2 )2 = r2 mit Koeffizienten aus K. Wir drücken eine der Variablen x und y durch die andere aus, setzen in (6) ein, und lösen die entstehende quadratische Gleichung. Die dabei vorkommende Wurzel ist entweder in K √ oder in einem Körper L = K( q). Das Schneiden von zwei Kreisen führt auf das Lösen von 2 quadratischen Gleichungen in 2 Variablen: (7) (x − m1 )2 + (y − m2 )2 = r2 (x − m01 )2 + (y − m02 )2 = r02 (2) (x − m1 )2 + (y − m2 )2 = r2 (8) (3) r2 = (p1 − m1 )2 + (p2 − m2 )2 . Wir können die Gleichungen (7) und (8) durch (7) und (7) − (8) ersetzen, wobei in der Differenzgleichung die quadratischen Glieder wegfallen. Damit ist der Fall von 2 Kreisen äquivalent zum Fall einer Geraden und eines Kreises. Für einen Körper K und ein p ∈ K, dessen Wurzel nicht in K liegt, betrachten wir die Menge √ √ (4) K( p) = {a + b p | a, b ∈ K}. Geometrie für den Mathematikunterricht PS J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 27. Elementare Graphentheorie Ein endlicher (ungerichteter) Graph ist ein Paar (V, E), bestehend aus einer endlichen Menge V = (v1 , v2 , . . . ) von Ecken und einer Folge E von Kanten — jede Kante ist ein ungeordnetes Paar von Ecken. Man visualisiert Graphen gerne so, daß man die Ecken als Punkte in der Ebene und die Kanten als deren Verbindungsstrecken oder allgemeiner als Verbindungskurven realisiert. Es gibt eine Reihe geometrisch-kombinatorischer Probleme, die sich in der Sprache der Graphentheorie einfach formulieren lassen. Ein historischer Ausgangspunkt der Graphentheorie war die Frage Leonhard Eulers (1707–1783), ob es möglich wäre, einen Rundgang über die 7 damaligen Brücken über die Pregel in Königsberg zu machen, sodaß dabei jede Brücke genau einmal betreten wird (siehe Figur unten). Die genaue Form der beiden Inseln und Flußarme ist dabei irrelevant — die 4 Landteile sind die Ecken v1 , . . . , v4 und die die 7 Brücken (v1 , v2 ), (v1 , v2 ), (v2 , v3 ), (v2 , v3 ), (v1 , v4 ), (v2 , v4 ), (v3 , v4 ) sind die Kanten eines Graphen. Ein solcher Euler-Weg, also ein geschlossener Kantenzug im Graphen, der alle Kanten genau einmal erreicht, existiert hier nicht, wie Euler 1736 gezeigt hat. Man bezeichnet die Anzahl der Kanten, an denen eine Ecke beteiligt, als Ordnung der Ecke. Eine Kante der Form (vi , vi ), die von einer Ecke wieder zu ihr zurückführt (eine Schlinge), ist dabei doppelt zu zählen. Man nennt einen Graphen zusammenhängen, wenn es zu je 2 Knoten v und w eine Folge von Kanten der Form (v = v1 , v2 ), (v2 , v3 ), . . . (vk−1 , vk = w) gibt. Mit Hilfe dieser Begriffe formulieren wir den Satz 1. Ein Euler-Weg existiert in einem zusammenhängenden Graphen genau dann, wenn alle Ecken gerade Ordnung haben. Geometrie für den Mathematikunterricht PS Beweis. Durchläuft man einen Euler-Weg, so kommt man entlang einer Kante zu einer Ecke, und verläßt sie entlang einer anderen — daß die Anzahl der Kanten pro Ecke zu diesem Zwecke gerade sein muß, ist klar. Um auch die Umkehrung (also die Existenz eines Eulerweges bei gerader Ordnung) zu zeigen, überlegen wir uns zuerst, daß für alle Graphen mit 1 Knoten die Aussage richtig ist. Das ist klar, weil solche Graphen nur aus Schlingen bestehen können (siehe Figur). Der Rest folgt mit Induktion nach der Anzahl der Knoten: Wir haben einen Graphen mit k Knoten und nehmen an, daß die Aussagen für alle Graphen mit weniger als k Knoten bereits gezeigt ist. Wählen wir eine Ecke vi mit zwei oder mehr Kanten aus, können wir aus dem gegebenen Graphen einen neuen Graphen mit weniger Knoten machen (siehe Figur). Möglicherweise zerfällt bei dieser Operation der Graph in zwei oder mehrere Teile. Gibt es in jedem der Teile einen Eulerweg, so kann man daraus einen Eulerweg im ursprünglichen Graphen machen, und umgekehrt liefert ein Eulerweg im Ausgangsgraphen Eulerwege in jedem der Teile. Die Prozedur in dem Beweis kann auch dazu benutzt werden, um rekursiv einen Eulerweg zu konstruieren. Eine andere elementare Frage ist z.B. die nach der Planarität eines Graphen, d.h. ob man ihn überkreuzungsfrei in der Ebene zeichnen kann. Die Graphen K5 und K3,3 (s.u.) sind nicht planar, und allgemein gilt, daß ein Graph genau dann planar ist, wenn er keinen der beiden “enthält”. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 28. Die Potenzgerade von Kreisen Ist g eine Gerade, die einen Kreis k in zwei Punkten T1 , T2 schneidet (die auch zusammenfallen dürfen, wenn g den Kreis berührt), und P ein Punkt von G, so ist das Produkt (m1 , n1 ) und (m2 , n2 ) sowie die Radien r1 , r2 besitzen. Für einen beliebigen Punkt (x, y) ist der Ausdruck d2 + r2 von oben (d.h. die Potenz) bezüglich der Kreise k1 und k2 jeweils gleich (x − m1 )2 + (y − n1 )2 − r12 , P T1 · P T2 (1) nur vom Punkt P und vom Kreis k abhängig, jedoch nicht von der Geraden. Wir wollen dies nachrechen und verwenden dazu die Bezeichnungen M für den Kreismittelpunkt, F für den Lotfußpunkt von M auf g, sowie die Längen d = P M , m = P F , h = M F , a = F T1 = F T2 . Dann ist P T 1 · P T2 d2 = m2 + h2 , r2 = a2 + h2 = (m − a)(m + a) = m2 − a2 = m2 − r2 + h2 = d2 − r2 Der Ausdruck P T1 · P T2 heißt die Potenz von P bezüglich des Kreises k. Ist T1 = T2 = T (d.h. g 2 eine Tangente an k), dann ist sie gleich P T . Nun suchen wir nach der Menge aller Punkte, die bezüglich zweier Kreise k1 , k2 dieselbe Potenz besitzen. Wir verwenden ein kartesisches Koordinatensystem. Die beiden Kreise sollen die Mittelpunkte Geometrie für den Mathematikunterricht PS (x − m2 )2 + (y − n2 )2 − r22 . Gleichsetzen der beiden Ausdrücke ergibt 2x(m2 − m1 ) + 2y(n2 − n1 ) + n21 = +m22 − m21 + n22 − n21 − r22 + r12 . Sind die Mittelpunkte verschieden, so ist das eine Geradengleichung. Die dadurch bestimmte Gerade heißt die Potenzgerade von k1 und k2 . Liegt P auf k1 , so ist seine Potenz bezüglich k1 gleich 0. Liegt ein Punkt auf k1 und k2 , so hat er bezüglich beider Kreise dieselbe Potenz, liegt also auf der Potenzgeraden. Wir sehen, daß die Potenzgerade von k1 und k2 die Schnittpunkte von k1 mit k2 trägt, wenn es welche gibt. Gibt es keine, so kann man sich überlegen, daß die nichtrellen Schnittpunkte ebenfalls auf der Fortsetzung der Potenzgeraden ins Komplexe liegen. Der Mittelpunkt der beiden Berührpunkte einer gemeinsamen Tangente der beiden Kreise liegt trivialerweise auf der Potenzgeraden, was eine Möglichkeit liefert, dieselbe zu finden. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 29. Geometrische Wahrscheinlichkeiten Wählt man eine Zahl wischen 0 und 2 zufällig aus, wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, daß sie größer als 1 ist? Die Antwort auf diese Frage lautet bei den meisten vermutlich ‘0.5’. Eine Exaktifizierung des Begriffes ‘Wahrscheinlichkeit’ kann man auf elementare Weise wie folgt durchführen: Ein Wahrscheinlichkeitsraum sei eine Menge M . Bestimmte Teilmengen von M , darunter die leere Menge ∅ und M selbst, heißen Ereignisse. Der Schnitt und die Vereinigung von Ereignissen sei ein Ereignis, und ebenso sei das Komplement eines Ereignisses ein Ereignis. Weiters sei auf der Menge der Ereignisse E ein endlich-additives Maß µ definiert mit (1) (2) (3) µ(∅) = 0, µ(M ) = 1 µ(E) ≥ 0 für alle E µ(A ∪ B) = µ(A) + µ(B), wenn A ∩ B = 0. Wir interpretieren das Maß eines Ereignisses als seine Wahrscheinlichkeit. Es folgt, daß µ(E c ) = 1−µ(E). In der Vorlesung aus Maßtheorie wird diese Definition auf die Vereinigung von abzählbar vielen Ereignissen erweitert. Ein einfaches Beispiel ist M = [0, 2]. Ereignisse sind endliche Vereinigungen von disjunkten Intervallen, und das Maß ist die halbe Gesamtlänge dieser Intervalle (damit ist µ([0, 2]) = 1). Das ganz oben erwähnte Ereignis entspricht dann E = (1, 2], und es ist µ(E) = 0.5. Ein anderes einfaches Beispiel ist das Quadrat M = [0, 1]2 . Als Ereignisse wählen wir Teilmengen, von denen wir Flächeninhalte berechnen können, und als Maß wählen wir den Flächeninhalt. Nachdem das Messen von ‘beliebigen’ oder von ‘beliebig komplizierten’ Teilmengen der Ebene kein elementargeometrisches Thema ist, können wir mitunter nur heuristisch argumentieren. Dieser Wahrscheinlichkeitsraum dient als mathematisches Modell für unabhängig voneinander gewählte, auf dem Intervall [0, 1] gleichverteilte Zufallsvariable (x, y). Geometrie für den Mathematikunterricht PS Beispiel 1. Man wählt zwei Zahlen x, y zufällig im Intervall [0,1]. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß |x − y| < 0.5? Als Wahrscheinlichkeitsraum verwenden wir das Einheitsquadrat, und als Maß den elementargeometrischen Flächeninhalt. Das Ereignis, um das es geht, ist die Menge {(x, y) | 0 ≤ x, y ≤ 1, −0.5 ≤ x − y ≤ 0.5}. Es hat die Fläche 3/4. Beispiel 2. Wir wählen 2 Zahlen beliebig zwischen −1 und 1. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß x2 + y 2 < 1? Als Wahrscheinlichkeitsraum wählen wir [−1, 1]2 , als Maß die Fläche dividiert durch 4. Das Ereignis, das wir betrachten, ist der Einheitskreis, und µ(E) = π/4. Man kann sogar versuchen, experimentell den Wert von π zu ermitteln, indem man zufällig Punkte auf das Quadrat wirft, und mißt, wie oft sie in dem Enheitskreis zu liegen kommen. Dies nennt man eine Monte-Carlo-Methode zur Bestimmung von π. Interessant ist das Buffonsche Nadelproblem: Beispiel 3. Wir lassen eine Nadel der Länge 1 auf eine Ebene fallen, wo im Abstand 1 parallele Gerade eingezeichnet sind. Mit welcher Wahrscheinlichkeit trifft die Nadel eine Gerade? Wir beschreiben die Position der Nadel durch zwei Variable: den Abstand d ihres Mittelpunkts zur nächsten Geraden (zwischen 0 und 1/2, gleichverteilt), und den Winkel α mit den Geraden (zwischen 0 und π, gleichverteilt). Alle weiteren Positionsangabe für die Nadel (in welchem Streifen sind wir, Position längs des Streifens) werden ebenfalls als gleichverteilt angenommen und sind für das Problem irrelevant. Die Nadel schneidet offenbar genau dann eine Linie, wenn 1/2 sin α ≥ d ist. Wir wählen als Wahrscheinlichkeitsraum das Rechteck [0, π] × [0, 1/2] und als Ereignis E die Menge {(α, d) | 1/2 sin α ≥ d}. Als Maß verwenden wir die Fläche eines Ereignisses dividiert durch π/2, die Gesamtfläche des Wahrscheinlichkeitsraumes. Damit ist Z 2 π1 2 µ(E) = sin θ = . π 0 2 π J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 30. Die stereographische Projektion Wir betrachten die Einheitskugel im R3 , deren Mittelpunkt im Ursprung liegt. Wir verwenden ein kartesisches Koordinatensystem. Den Punkt (0, 0, 1) bezeichnen wir mit N (wie Nordpol). Die Zentralprojektion p aus N auf die Äquatorebene z = 0 heißt stereographische Projektion aus dem Nordpol. Sie hat viele interessante Eigenschaften. Es ist leicht, p und ihre Umkehrung p−1 in Koordinaten hinzuschreiben: x (1) p y z x (2) p−1 y 0 = 1 x y , 1−z 0 = 2x 1 . 2y x2 + y 2 + 1 x2 + y 2 − 1 Für das folgende ist es wichtig zu wissen, daß in der Ebene durch drei verschiedene Punkte entweder ein Kreis oder eine Gerade festgelegt ist, je nachdem, ob die drei Punkte auf einer Geraden liegen oder nicht. Sind drei Punkte auf einer Kugel gegeben, so spannen diese eine Ebene auf, die aus der Kugel den Umkreis der drei Punkte ausschneidet. Satz 1. Die stereographische Projektion bildet Kreise der Kugel auf Kreise bzw. Geraden der Ebene ab und umgekehrt. Genau die Kreise durch das Projektionszentrum werden auf Gerade abgebildet. Beweis. Ein Kreis auf der Kugel ist festgelegt durch seine Ebene, diese habe die Gleichung αx + βy + γz + δ = 0. Ist (x0 , y 0 , 0) = p(x, y, z), so ist nach Gleichung (2) α2x0 + β2y 0 + γ(x02 + y 02 − 1) + δ = 0. x02 + y 02 + 1 Wir formen um und erhalten (3) (x02 + y 02 )(γ + δ) + α2x0 + β2y 0 = γ. Bei γ + δ = 0 ist das eine Geradengleichung, ansonsten eine Kreisgleichung. Fragen wir danach, wann die gegebenen Ebene den Nordpol (0, 0, 1) enthält, so erhalten wir ebenfalls die Bedingung γ + δ = 0. Geometrie für den Mathematikunterricht PS Wir haben also das folgende Resultat: Ebene Schnitte der Kugel (d.h. Kreise, die auf der Kugel liegen) gehen bei stereographischer Projektion in Kreise bzw. Geraden über, je nachdem, ob sie den Nordpol enthalten oder nicht. Um auch die Umkehrung zu zeigen, legen wir einen Kreis bzw. eine Gerade k 0 durch 3 Punkte P 0 , Q0 , R0 fest, und betrachten deren p-Urbilder P , Q, R. Es gibt genau einen Kugelkreis k, der P, Q, R verbindet. Dessen p-Bild ist eine Gerade oder ein Kreis durch P 0 , Q0 und R0 , also gleich k 0 . Die stereographische Projektion ist eine winkeltreue Abbildung. Deshalb wurde sie auch als Kartenprojektion eingesetzt (wobei das Projektionszentrum variiert). Wir haben bereits eine Erweiterung der euklidischen Ebene durch unendlich ferne Punkte kennengelernt — in der projektiven Ebene fügt man zu einer Geraden einen Fernpunkt hinzu, den sie sich mit ihren Parallelen teilt. Eine andere Erweiterung ist die konforme Erweiterung der euklidischen Ebene zur Möbius-Ebene. Hier nimmt man zur Ebene noch einen einzigen Punkt im Unendlichen hinzu, nennt ihn ‘∞’, und läßt alle Geraden hindurchgehen. Man sagt, daß Gerade spezielle Kreise sind, die durch den unendlich fernen Punkt hindurchgehen. Dann ist durch drei verschiedenen Punkte immer ein Kreis bestimmt: – durch drei Punkte eines Dreiecks der Umkreis; – durch drei kollineare Punkte die Verbindungsgerade (die dann auch durch ∞ geht; – durch 2 Punkte und ∞ die Verbindungsgerade der beiden endlichen Punkte. Durch die stereographische Projektion wird eine Beziehung zwischen den Punkten der Kugel außer N und den Punkten der euklidischen Ebene hergestellt. Nähert sich ein Punkt dem Nordpol, so wandert das stereographische Bild weg vom Ursprung, also ‘gegen ∞’. Es liegt daher nahe, den Punkt ∞ als ‘p(N )0 anzusprechen. Damit ist die stereographische Projektion eine bijektive Abbildung von der Kugel auf die Möbiusebene, bei der Kreise in Kreise übergeben. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 31. Das Jones-Polynom eines Knotens Hier sollen Eigenschaften und Berechnung einer bekannten Invariante der Knotentheorie vorgezeigt werden — auf Beweise wird verzichtet. wenn man die entsprechenden Diagramme mit Hilfe der drei Reidemeister-Bewegungen (Bild 2) ineinander überführen kann (Bild 3). Unter einem Knoten versteht man eine glatte und injektive Abbildung einer bzw. mehrerer Kreislinien in den R3 ; eine Verkettung ist ein Knoten, der mit einem Durchlaufsinn versehen ist. Man nennt zwei Verkettungen äquivalent, wenn sie sich durch steige Deformation des R3 ineinander überführen lassen. Die Knotentheorie versucht, das Problem der Äquivalenz bzw. Nichtäquivalenz von Verkettungen zu lösen. Für Beispiele (Unknoten, linkshändiges und rechtshändiges Kleeblatt, Borromäische Ringe) siehe Bild 1 (v.l.n.r). Es ist schwierig, Nichtäquivalenz von Verkettungen zu zeigen — daß man zwei Diagramme nicht ineinander überführen kann, kann neben Nichtäquivalenz der Knoten auch Ungeschicktheit als Ursache haben. Man stellt Verkettungen mit Hilfe von geschlossenen Kurve in der Ebene dar, wobei man bei Kreuzungspunkten anzeigt, welcher Zweig der Kurve oben“ ” und welcher unten“ zu liegen kommt. Durch ein sol” ches Knotendiagramm ist eine Verkettung natürlich nicht eindeutig bestimmt — alle möglichen Verkettungen im Raum, die zu dem Bild passen, sind aber zueinander äquivalent. Bei Deformation eines Knotens bzw. einer Verkettung in eine andere, so werden im Diagramm Kreuzungspunkte entstehen, andere sich verschieben, wieder andere sich auflösen. Man kann sich überlegen, daß zwei Verkettungen genau dann äquivalent sind, Geometrie für den Mathematikunterricht PS Im folgenden zeigen wir die Konstruktion des JonesPolynoms einer Verkettung (V.F.R. Jones: A Polynomial Invariant for Knots via von Neumann Algebras, Bull. Am. Math. Soc. 12 (1985), 103–111). Ist das Jones-Polynom zweier Verkettungen verschieden, so sind diese nicht äquivalent. Es gibt aber nichtäquivalente Knoten mit demselben JonesPolynom. Das Jones-Polynom J(a, z) ist ein Polynom in den Variablen a, a−1 , z, z −1 und ist rekursiv definiert über die Formeln a−1 J( ) − aJ( ) = zJ( ), J(0) = 1. Dabei bedeuten die Symbole in den Klammern drei verschiedene Verkettungen, die dadurch entstehen, daß sie außerhalb der durch Pfeile angedeuten Stelle übereinstimmen; sowie die Definition daß der Unknoten das Jones-Polynom 1 besitzt. Unten (Bilder 4ff) sind Beispiele für die Berechnung des JonesPolynoms angegeben, u.a. wird die Nichtäquivalenz des linken und rechten Kleeblatts demonstriert. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004 32. Fernpunkte und homogene Koordinaten Der R2 dient als Modell für eine unendlich ausgedehnte Ebene im Anschauungsraum. Sie besteht aus Punkten, und sie enthält Gerade, die einander in einem Punkt schneiden oder parallel zueinander sind. Umgekehrt können wir zwei Ebenen mit Normalvektoren (nx , ny , nz ) und (mx , my , mz ) schneiden, indem wir die Gerade finden, die orthogonal auf beide steht: Die lineare Perspektive (vgl. das bekannte Bild von parallelen Eisenbahnschienen) hat dazu motiviert, parallelen Geraden einen Fernpunkt als Schnittpunkt zuzuordnen1 . Bildlich gesprochen, ‘erreicht’ man den Fernpunkt, indem man längs der Geraden entweder in die eine oder in die andere Richtung entlangläuft. Die um die Fernpunkte erweiterte Ebene heißt projektive Ebene, und wir wollen in ihr Koordinaten einführen können, die sowohl für die alten als auch für die neuen Punkte gelten. (2) Wir legen den R2 als Ebene z = 1 in den Raum, für den wir ein kartesisches Koordinatensystem verwenden. Aus dem Punkt (x, y) wird so (x, y, 1). Wir ordnen dem Punkt (x, y) die Verbindungsgerade des Ursprungs mit (x, y, 1) zu. Die Punkte dieser Geraden haben als Koordinaten Vielfache von (x, y, 1). Den Punkten des R2 entsprechen so die nicht-horizontalen Geraden durch O und umgekehrt. Wir nennen die eben erwähnten Vielfachen von (x, y, 1) homogene Koordinaten des Punktes (x, y). Ist (x0 , y 0 , z 0 ) so ein Koordinatenvektor, so ist (x0 /z 0 , y 0 /z 0 , 1) der dazugehörige Punkt. Nun zu den Geraden des R2 : Die Verbindung einer Geraden g mit O ist eine Ebene. Jeder Gerade g in R2 entspricht so eine nicht-horizontale Ebene durch O. Wir legen Ebenen durch ihre Normalvektoren fest. Sei etwa g = P1 P2 , und seien die homogenen Koordinatenvektoren von P1 und P2 gleich (x1 , y1 , z1 ) und (x2 , y1 , z2 ). Diese spannen die Ebene auf, die zu g gehört, und ihren Normalvektor finden wir durch (1) (nx , ny , nz ) = (x1 , y1 , z1 ) × (x2 , y2 , z2 ) 1 Die Frage nach der Zulässigkeit dieser Definition stellt sich für einen Mathematiker nicht — Fernpunkt sind genauso real oder hypothetisch wie der ganze R2 . Die Vorstellung, die man mit einer ‘Ebene’ verbindet, verträgt sich zwar ganz gut mit dem mathematischen Modell ‘R2 ’, Geometrie für den Mathematikunterricht PS (x1 , y1 , z1 ) = (nx , ny , nz ) × (mx , my , mz ). Wir nennen die hier auftretenden Normalvektoren die homogenen Koordinatenvektoren von Geraden. Verbinden und Schneiden wird in homogenen Koordinaten durch das Kreuzprodukt ausgedrückt, was natürlich sehr elegant ist. Aus den homogenen Koordinaten (nx , ny , nz ) finden wir die Gleichung einer Geraden g so: Der Punkt (x, y) ist in g, wenn (x, y, 1) orthogonal auf (nx , ny , nz ) steht: (3) xnx + yny + nz = 0. Was ist nun mit den horizontalen Geraden durch O und mit der einen horizontalen Ebene durch O, die bis jetzt nicht vorgekommen sind? Nachdem zwei Ebenen durch O einander immer schneiden, auch wenn sie zu parallelen Geraden gehören, müssen solche Schnitte horizontale Geraden durch O sein, denn sie dürfen keinen Punkten entsprechen. Nichts liegt daher näher, als in diesem horizontalen Geraden die oben erwähnten Fernpunkte zu sehen. Die horizontale Ebene durch O enthält alle horizontalen Geraden, es ist daher sinnvoll, eine Ferngerade zu definieren, auf der alle Fernpunkte liegen, und die der horizontalen Ebene mit Normalvektor (0, 0, 1) entspricht. Hat eine Gerade im R2 den Richtungsvektor (a, b), so liegt (a, b, 0) offenbar in der ihr entsprechenden Ebene (man verschiebe den Richtungsvektor parallel durch O!). Der Fernpunkt ‘in Richtung (a, b)’ hat offenbar die homogenen Koordinaten (a, b, 0). Als kurzes Beispiel für die Verwendung von homogenen Koordinaten und Fernpunkten können wir alle Verbindungsgeraden und deren Schnittpunkte für die vier Punkte (0, 0), (1, 0), (0, 2), (1, 1) berechnen. und man kann leicht auf einer Schultafel ein Koordinatensystem und die Punkte (0, 0), (0, 1), etc. einzeichnen (so wie Lehrer das manchmal tun, wenn sie Schülern kartesische Koordinaten erklären). Hat man aber (0, 0) und (1, 0) im Abstand von 20cm auf die Tafel gemalt, J. Wallner so ist es ziemlich unseriös zu behaupten, daß der Punkt mit Koordinaten (10333 , −2π) ebenfalls eine Entsprechung in der Wirklichkeit habe. Da kann man gleich an die ‘wahre Existenz’ von Fernpunkten glauben. Unterlagen — WS 2003/2004 33. Konfokale Kegelschnitte — Der Satz von Ivory Wir gehen aus von den wohlbekannten Relationen (1) cos2 t + sin2 t = 1, cosh2 t − sinh2 t = 1. sind. Die geradlinigen Diagonalen in diesem Viereck sind gleich lang (nachrechnen!). Dies ist der sogenannte Satz von Ivory1 . Die Kurven mit Parameterdarstellung (6) (2) Wir bestimmen die Brennpunkte einer Ellipse v =const.: Sind a, b die Halbachsenlängen, so ist die Exzentrizität e (Entfernung der Brennpunkte vom Mittelpunkt) gegeben durch e2 = a2 − b2 . Es ergibt sich x(t) = a cos t, y(t) = b sin t x(t) = a cosh t, y(t) = b sinh t erfüllen daher die Gleichungen (3) x2 y2 x2 y2 + 2 = 1, 2 − 2 = 1. 2 a b a b (7) Es handelt sich dabei um Ellipsen und halbe Hyperbeln (wegen cosh t > 0) mit den Halbachsen a und b. Nun betrachten wir die Kurven die Kurvenscharen u = const und v = const zu Nun betrachten wir gekrümmte Viereck, dessen Seiten aus Bögen der obigen Ellipsen und Hyperbeln bestehen, und dessen Ecken die Punkte (5) x(u0 , v0 ), x(u0 , v1 ), x(u1 , v1 ), Geometrie für den Mathematikunterricht PS x(u1 , v0 ) e2 = c2 cosh2 v − c2 sinh2 v = c2 . Man erkennt, daß alle beteiligten Ellipsen dieselben Brennpunkte F1 = (−c, 0), F2 = (c, 0) besitzen. Eine ähnliche Überlegung zeigt, daß die Punkte F1 , F2 auch Brennpunkte aller beteiligten Hyperbeln sind: Hier ist e2 = a2 + b2 : (4) x(u, v) = c cos u cosh v, y(u, v) = c sin u sinh v. Bei v = const 6= 0 ist das eine Ellipse mit Halbachsen a = c cosh v, b = c sinh v. Bei u = const 6= 0 ist das eine halbe Hyperbel mit Halbachsen a = c cos u und b = c sin u. Wir fassen die Koordinaten (x, y) zu einem Vektor x zusammen. x(u0 , v0 )x(u1 , v1 ) = x(u0 , v1 )x(u1 , v0 ) e2 = c2 cos2 u + c2 sin2 u = c2 . Aus diesem Grund nennt man die Ellipsen und Hyperbeln, die als Kurven v =const. und als Kurven u =const. in Gl. (4) enstehen, eine Schar von konfokalen Ellipsen und Hyperbeln. N.B.: Zum Zeichnen von Ellipsen und Hyperbeln ist es vorteilhaft, über die Scheitelkrümmungskreise Bescheid zu wissen (siehe Figur). 1 pp. 353, 355 aus: James Ivory: On the Attractions of Homogeneous Ellipsoids, Philos. Trans. of the Royal Society of London 1809, 345-372. J. Wallner Unterlagen — WS 2003/2004