Inkretinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 Prof

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4. Jahrgang, 1. Ausgabe 2010, 1-18
- - - Rubrik Neue Arzneimittel - - -
Inkretinanaloga zur Behandlung
des Diabetes mellitus Typ 2
Diabetes mellitus Typ 2
Pharmakotherapie
Lebensstilinterventionen
Inkretinsystem
Liraglutid
Inkretinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 2
-2-
Inkretinanaloga zur Behandlung
des Diabetes mellitus Typ 2.
Prof. Dr. Georg Kojda
Fachpharmakologe DGPT,
Fachapotheker für Arzneimittelinformation
Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie
Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf
[email protected]
Lektorat:
N.N.
Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum
Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html
Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2010;4(1):1-18
Inkretinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 2
Abstract
Since 2009, two new members of the
drug class of incretins have been commercially launched in Germany. Of
these, liraglutide represents a recombinant and modified analogue of the
genuine incretin glucagon-like peptide-1
(GLP-1) and is a congener of the first
artificial
GLP-1-analogue
exenatide.
These insulinotropic drugs differ from
sulfonyl ureas by meal-dependent rather
than continuous stimulation of insulin
secretion. Furthermore, a decreased
release of glucagon, which is associated
with less hepatic glucose production, and
slowing of gastric emtying has been
described. Liraglutide reduces fasting
plasma glucose and glycated hemoglobin
(HbA1c) by about 1 %. Liraglutide also
induces a small reduction of body weight
of about 2.2 kg. Whether such a small
reduction of body weight is associated
with a favourable prognosis is currently
unkown. In addition, there are no data
available demonstrating that liraglutide
reduces morbidity and/or mortality which
strongly constrain its current therapeutic
value. Liraglutide is not indicated for
monotherapy and many comorbidities
such as impaired function of liver or
kidneys, heart failure, diseases of the
thyroid gland, pancreatitis, age <18 and
>75 years and inflammatory bowel
diseases including diabetic gastroparesis
are strict limitations for its use. Common
side-effects of liraglutide include hypoglycemia, headache, anorexia, dysentery, nausea, vomitting and constipation.
Chiefly because of the lack of positive
data on prognossis and long-term safety
liraglutide is currently one of the last-line
therapeutic options in the treatment of
type-2 diabetes.
Abstrakt
Im Jahr 2009 sind in Deutschland 2 neue
Substanzen der Arzneistoffklasse der
Inkretine zugelassen worden. Von diesen
ist Liraglutid ein rekombinantes Analogon des genuinen Inkretins Glucagonlike peptide-1 (GLP-1) und ein Nachfolger des GLP-1-Analogs Exenatide. Diese
insulinotropen Arzneistoffe unterscheiden
sich von Sulfonylharnstoffen durch eine
Mahlzeiten-abhängige und nicht kontinu-
-3-
ierliche Stimulation der Insulinfreisetzung. Darüber hinaus sind eine verminderte Freisetzung von Glukagon und
damit auch eine verminderte hepatische
Glukoseproduktion sowie eine Verzögerung der Magenentleerung beschrieben.
Liraglutid vermindert Nüchternglukose
und glykiertes Hämoglobin (HbA1c) um
etwa 1%. Liraglutid induziert ebenfalls
eine geringe Körpergewichtsabnahme
um ca. 2,2 kg. Ob eine solch geringe
Reduktion des Körpergewichtes einen
patientenrelevanten Vorteil darstellt, ist
bislang unbekannt. Es existieren keine
Daten, die belegen, dass Liraglutid
patientenrelevante
Endpunkte
wie
Morbidität und Mortalität vermindert.
Dies stellt eine sehr starke Einschränkung des therapeutischen Stellenwertes
dar. Liraglutid ist nicht für eine Monotherapie indiziert und kann bei vielen Komorbiditäten wie Einschränkungen der
Leber- und Nierenfunktion, Herzinsuffizienz,
Schilddrüsenerkrankungen,
Pankreatitis, Alter <18 und >75 Jahre
und entzündlichen Darmerkrankungen
einschließlich diabetischer Gastroparese
nicht eingesezt werden. Häufige Nebenwirkungen sind u.a. Hypoglykämie,
Kopfschmerz, Anorexie, Diarrhöe, Übelkeit, Erbrechen und Obstipation. Vor
allem im Hinblick auf fehlende prognostische Daten muß Liraglutid derzeit zu den
Mitteln der letzten Wahl bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 gezählt
werden.
Bedeutung der Erkrankung
Diabetes mellitus (honigsüßer Durchfluss) ist eine häufige Stoffwechselerkrankung, die auf einem absoluten oder
relativen Insulinmangel beruht. Die
Klassifikation der verschiedenen Typen
der Erkrankung erfolgt vorwiegend auf
der Ätiologie:
• Diabetes mellitus Typ 1,
gekennzeichnet durch eine Zerstörung der ß-Zellen des Pankreas
durch Autoimmuninsulitis verbunden mit absolutem Insulinmangel
• Diabetes mellitus Typ 2,
gekennzeichnet durch eine gestörte
Insulinsekretion verbunden mit einer verminderten Insulinwirkung
(Insulinresistenz)
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2010;4(1):1-18
Inkretinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 2
• andere Formen von Diabetes
beispielsweise spezifische genetische Defekte in der Sekretion und
Wirkung von Insulin, iatrogene
Formen (u.a. Glukokortikoide, Thiaziddiuretika) oder Gestationsdiabetes
Eine weitere Klassifikation der WHO
beruht auf dem klinischen Schweregrad
der
Erkrankung
und
unterscheidet
zwischen
gestörter
Glukosetoleranz
(Prädiabetes), nicht-insulinabhängigem
und insulinabhängigem Typ 2 Diabetes
sowie Typ 1 oder Typ 2 Diabetes bei
komplettem Ausfall der Insulinbildung.
Von den verschiedenen Formen des
Diabetes kommt der Typ 2 am häufigsten vor. Schätzungsweise 90 % aller
Diabetiker leiden unter diesem Typ der
Erkrankung (1). Nach Prognosen von
Gesundheitsexperten aus Entwicklungsländern, Schwellenländern und Industriestaaten wird die Anzahl Erkrankter in
den nächsten 20 Jahren teilweise drastisch ansteigen. So gibt die WHO für
Deutschland im Jahr 2000 eine Prävalenz
von 2.627.000 Fällen an und prognostiziert bis 2030 einen Anstieg um 44 %
auf 3.771.000 Fälle (Weblink 1).
Ein solch starker Anstieg bedeutet für die
Gesundheitssysteme
der
jeweiligen
Staaten eine enorme Steigerung der
Aufwendungen. Dies betrifft nicht nur die
Kosten für die medikamentöse Therapie
des Blutzuckerspiegels, sondern vor
allem die Kosten für die Behandlung der
vielen ernsthaften Komplikationen des
eigentlich symptomlosen Diabetes Typ 2.
Die deutliche Erhöhung von Morbidität
und Mortalität, die mit dem Diabetes Typ
2 verbunden ist (1), beruht im Wesentlichen auf Komplikationen, die sich auf der
Basis einer Beschleunigung atherosklerotischer Gefäßschäden sowie der Entstehung peripherer neuronaler Defizite
entwickeln (2).
Solche Komplikationen bedingen oft
lebenslange
Behinderungen,
starke
Einschränkungen der Lebensqualität und
eine größere Wahrscheinlichkeit von
Arbeitsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit. Dementsprechend ist die Verhinderung der Komplikationen des Diabetes
Typ 2, und nicht die Einstellung des
Blutzuckerspiegels allein, das wichtigste
Therapieziel der Behandlung (1,2).
-4-
Das wichtigste Therapieziel der
Behandlung des Diabetes Typ 2 ist
die Verhinderung der Komplikationen
und nicht die Einstellung des
Blutzuckerspiegels allein (2).
Zu den makrovaskulären Komplikationen zählen vor allem (Weblink 2):
• koronare Herzkrankheit,
bei > 50 % der Diabetiker tödlicher
Myokardinfarkt (Weblink 3)
• periphere arterielle Verschluss-
krankheit, verschlimmert diabetisches Fußsyndrom (Weblink 4)
• transiente ischämische Attacke,
ischämischer Schlaganfall, trägt zur
steigenden Inzidenz von Demenzerkrankungen bei
Zu den mikrovaskulären Komplikationen zählen vor allem
• diabetische Retinopathie,
etwa 30 % aller Erblindungen in
Europa
• diabetische Neuropathie,
bei etwa 50 % aller Erkrankten
nach 10 Jahren
• diabetische Nephropathie,
führt bei etwa 20 % der Erkrankten
innerhalb von 20 Jahren zur terminalen Niereninsuffizienz
• diabetisches Fußsyndrom,
betrifft etwa 15 % der älteren Diabetiker (Fallbeispiel: Weblink 5)
Komorbiditäten, die mikro- und makrovaskuläre Komplikationen begünstigen,
sind beispielsweise Hypertonie, Hyperlipidämie und die Entwicklung einer
diabetischen Nephropathie. So weisen
Diabetiker ohne durchgemachten Herzinfarkt das gleiche koronare Risiko auf wie
Nicht-Diabetiker nach durchgemachtem
Myokardinfarkt (3). Aus diesem Grund
wird die aggressive und konsequente
Therapie solcher Komorbiditäten empfohlen. So ist beispielsweise ausschließlich bei Diabetikern ein hochnormaler
Blutdruck (Prähypertonie) direkt behandlungspflichtig (4).
Wie in Abb. 1 dargestellt, entwickelt sich
der Diabetes Typ 2 sehr langsam und
bleibt für viele Jahre ohne Symptome.
Charakteristisch ist die Abnahme der
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Inkretinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 2
Insulinsensitivität in den Körpergeweben
(Skelettmuskulatur),
die
durch
die
Konstellation der Risikofaktoren Übergewicht, Dyslipoproteinämie und essentielle
Hypertonie (metabolisches Syndrom)
gefördert wird. Die in der Folge kompensatorisch entstehende Hyperinsulinämie
fördert das Hungergefühl und die Gewichtszunahme.
Die
kontinuierlich
höhere Insulinbildung sowie toxische
Effekte von Glukose und Lipiden führen
auch zu einer progressiven Abnahme der
ß-Zellfunktion und des damit verbundenen Inkretineffektes.
Abb. 1: Entwicklung des Diabetes
mellitus Typ 2 sowie Bedeutung von
Insulinresistenz
und
ß-Zellfunktion
(Näheres siehe Text).
Es existieren weltweit zahlreiche Richtlinien und Empfehlungen zur Behandlung
des Diabetes mellitus, die sich in Europa
und den USA nur wenig unterscheiden.
Dabei werden verschiedene Strategien
verfolgt:
• Interventionen zur Erreichung und
Beibehaltung eines gesunden Lebensstils (Diät, Gewichtsreduktion,
Rauchstopp, Bewegung)
• Agressive Pharmakotherapie zur
Behandlung kardiovaskulär relevanter Komorbiditäten wie Bluthochdruck und Hyperlipidämie
-5-
• Pharmakotherapie zur Besserung
der Insulinresistenz (beispielsweise
Metformin)
• Pharmakotherapie zur Besserung
noch vorhandener Insulinproduktion (beispielsweise Sulfonylharnstoffe)
• Insulinsubstitution
Lebensstilinterventionen
Prävention Es ist schon lange bekannt,
dass es gelingt, mit einem gesunden
Lebensstil die Manifestation eines Diabetes zu verzögern. Vergleicht man beispielsweise
eine
Lebensstiländerung
oder eine Metformin-Therapie mit Placebo, werden die günstigen Effekte der
Lebensstiländerung besonders deutlich
(Abb. 2). In diese Untersuchung wurden
insgesamt 3234 prädiabetische Männer
und Frauen im mittleren Alter von 50
Jahren und einem Body-Mass Index von
34 kg/qm einbezogen (5). Alle Teilnehmer, die noch nicht an Diabetes erkrankt
waren, wiesen einen positiven Glukosetoleranztest auf und zwei Drittel hatten
eine positive Familienanamnese für diese
Erkrankung.
Die
Lebensstiländerung
bestand aus einer Gewichtsabnahme um
7 % sowie zusätzlicher körperlicher
Aktivität von 150 min pro Woche. Die
Metformingruppe erhielt zweimal täglich
850 mg Metformin. Primärer Endpunkt
war die Diagnose eines Diabetes mellitus. Wie die Ergebnisse zeigen, läßt sich
die Manifestation der Erkrankung durch
eine
Lebensstiländerung
signifikant
besser verhindern als durch Metformin,
das Antidiabetikum der ersten Wahl.
Die Autoren geben an, dass die kumulative Inzidenz für Diabetes über drei Jahre
hinweg in der Placebogruppe immerhin
28,9 % betrug. Dagegen sank die Neuerkrankungsrate nach Therapie mit
Metformin auf 21,7 % und durch die
Lebensstilintervention sogar auf 14,4 %.
Auf der Basis dieser Daten ergibt sich
eine „NNT“ (number needed to treat)
von 6,9 für die Lebensstilintervention,
während dieser Wert im Falle der Metforminbehandlung auf 13,9 ansteigt.
Anders ausgedrückt müssen etwa doppelt so viele Prädiabetiker mit Metformin
behandelt werden, um eine Neudiagnose
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Inkretinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 2
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Abb. 2: Effekt einer Lebensstiländerung und einer Therapie mit Metformin auf die Entwicklung eines Diabetes mellitus bei Prädiabetikern (nach (5))
von Diabetes zu verhindern, als bei der
Lebensstilintervention.
Eine
weitere
interessante Studie an insgesamt 13.163
jungen Männern im mittleren Alter von
32 Jahren hat dies auch für Gesunde
gezeigt. Bei einem BMI von >30 kg/qm
oder Serumtriglyceriden von >150 mg/dl
ist die Wahrscheinlichkeit an Diabetes
mellitus Typ 2 zu erkranken innerhalb
von 6 Jahren jeweils um etwa das 4Fache erhöht (Abb. 3), wenn die Nüchterglukosespiegel am oberen Rand des
Normalbereichs liegen (6). Diese Studie
unterstützt die Vermutung, dass sich ein
gesunder Lebensstil, d.h. hier niedrigere
Werte für BMI und Serumtriglyceride,
auch dann günstig auf die Entwicklung
eines Diabetes mellitus Typ 2 auswirkt,
wenn noch kein Prädiabetes vorliegt.
Gleichzeitig weisen die Studienergebnisse darauf hin, dass Personen mit einer
Nüchternglukose >87 mg/dl unter den
genannten Bedingungen ein erhöhtes
Diabetes mellitus Typ 2 Risiko haben
können und deshalb besonders auf einen
gesunden Lebensstil achten sollten.
Intervention
Verschiedene
Studien
weisen auf günstige Effekte einer diätetischen Reduktion des Körpergewichtes
bei Diabetes mellitus Typ 2 hin. Dabei
kann mit einer Senkung von Blutglukose
und HbA1c, Mikroalbuminurie sowie
Triglyceriden und Cholesterol gerechnet
werden. Die beispielhaft ausgewählten
NICE-Richtlinien (Weblink 6) zeigen
jedoch auf, dass die Ergebnisse der vier
randomisierten kontrollierten klinischen
Studien uneinheitlich sind.
Abb. 3: Effekt des Nüchternglukosewertes auf die Entwicklung eines Diabetes
mellitus bei gesunden jungen Männern
mit erhöhten Serumtriglyceriden oder
erhöhtem Body-Mass Index (nach (6)).
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Dennoch wird die vorliegende Beweislage
als ausreichend erachtet, Patienten zu
schulen und ihnen eine diätetische
Begrenzung oder Reduktion des Körpergewichtes zu empfehlen. Zusätzlich wird
angemerkt, dass bei einigen Patienten
eine Pharmakotherapie zur Reduktion
des Körpergewichtes angezeigt sein
könnte.
Wichtig ist allerdings, dass bislang keine
Daten dafür vorliegen, ob und inwieweit
eine moderate Reduktion des Körpergewichtes um 3-5 %, wie sie durch Diät,
Antiadiposita oder einige Antidiabetika
erreicht werden kann, eine Verringerung
von Mortalität und Morbidität bei Diabetes mellitus Typ 2 bewirkt. Dagegen ist
bekannt, dass chirugische Interventionen
(bariatrische Chirurgie), die bei Patienten
mit einem mittleren Körpergewicht von
ca. 120 kg (BMI>40 kg/qm) eine Gewichtsabnahme um 20-30 % bewirkt,
mit einer relativen Reduktion des Gesamtsterblichkeit um 24 % verbunden ist
(7). Solche Gewichtsreduktionen sind
jedoch mit keiner der o.g. Pharmaka und
nur in Ausnahmefällen durch eine Diät
erreichbar.
-7-
vergleichbar stark ausgeprägte Effekte.
Das größte Problem bei der Umsetzung
der Lebensstilinterventionen in der
ambulanten Versorgung besteht in der
oft kurzen Dauer der Erfolge, wahrscheinlich auf der Basis nachlassender
Compliance (Weblink 6). Initial gute
Ergebnisse schmelzen nach längerer
Dauer der Intervention wieder dahin.
Der günstige Einfluss von gesundem
Lebensstil auf die Kontrolle von
Nüchternglukose und HbA1c ist mit
den Effekten einer Pharmakotherapie
durchaus vergleichbar.
Dennoch sollte jede Pharmakotherapie
bei Diabetes mellitus Typ 2 von Lebenstilinterventionen begleitet sein. Von
entscheidender Bedeutung dabei ist
auch, dass Lebensstilinterventionen eben
nicht mit den bekannten, oder - besonders im Fall der neuen Arzneistoffe noch unbekannten Risiken einer Pharmakotherapie verbunden sind.
Pharmakotherapie
Die Beobachtung, dass Adipositas für
Diabetes prädisponiert, ist kein Nachweis für eine prognostisch günstige
Wirkung einer Gewichtsabnahme!
Ähnlich unsicher ist die Beweislage für
die körperliche Aktivität. So kommt eine
systematische Übersicht zu dem Schluss,
dass Bewegung zwar die Blutzuckerkontrolle verbessert sowie viszerales Fett
und Plasmatriglyceride reduziert (8),
aber Daten zu patientenrelevanten
Endpunkten wie Inzidenz und Schweregrad der mikro- und makrovaskulären
Komplikationen bei Diabetes mellitus Typ
2 liegen nicht vor.
Die systematische Übersicht wird durch
eine später veröffentlichte randomisierte
Studie bestätigt. In dieser Studie bewirkt
3-mal wöchentliches aerobes Training
oder Ausdauertraining über einen Zeitraum von 22 Wochen eine Verminderung
der HbA1c-Werte von etwa 7,5 % auf 7%
(9). Bei der Kombination beider Methoden sinkt der HbA1c-Wert sogar auf unter
6,6 %. Dies sind bemerkenswerte und
mit einer Pharmakotherapie durchaus
Im Hinblick auf die Pathogenese des
Diabetes mellitus Typ 2 (Abb. 1) erscheint ein Therapiekonzept, welches die
periphere Insulinempfindlichkeit steigert,
zunächst einmal sinnvoller als Insulin
oder insulinotrope Antidiabetika wie
Sulfonylharnstoff oder auch die neuen
Inkretin-Mimetika. Zu beachten ist
jedoch, dass Typ 2 Diabetiker vor allem
unter den langfristigen Folgen von
Hyperinsulinämie und Hyperglykämie
leiden und deshalb auch eine langfristige
Therapie notwendig ist. Insofern ergibt
sich der therapeutische Wert eines
Antidiabetikums in erster Linie aus
seinem Einfluss auf Morbidität und
Mortalität sowie aus seiner Langzeitsicherheit.
Die in Abb. 4 dargestellten medikamentösen Möglichkeiten der Behandlung des
Diabetes mellitus Typ 2 sind in den
letzten Jahren mehrmals um neue
Wirkprinzipien erweitert worden, eine
grundsätzlich begrüßenswerte Entwicklung. Weniger begrüßenswert ist die
Tatsache, dass die Senkung von Surro-
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Abb. 4: Effekte von Antidiabetika (außer Insulin) auf die Glukosehömöostase. Dargestellt
sind die Veränderungen von Glukosebildung sowie Insulinbildung-,–sensitivität und –freisetzung in Intestinum, Pankreas, Leber, Skelettmuskel und Adipozyten (nach (5))
gatparametern auf eine therapeutische
entscheidende Verminderung der Komplikationen bei Diabetes mellitus extrapoliert wird. Diese Praxis ist auch bei der
Prävention und Behandlung Diabetesassoziierter kardiovaskulärer Erkrankungen an der Tagesordnung, wie sich am
Beispiel der Therapie einer Hypercholesterolämie mit Arzneistoffen wie Ezetimib ablesen läßt (Weblink 7).
Der therapeutische Wert eines Antidiabetikums wird vor allem von
seinem Einfluss auf Morbidität und
Mortalität sowie von seiner
Langzeitsicherheit bestimmt.
Eine Ursache dieser teilweise fragwürdigen Praxis mag darin zu suchen sein,
dass solche Surrogatparameter richtigerweise der „Effektivitätskontrolle“ und
damit der Therapieführung dienen. Hinzu
kommt, dass oft nicht berücksichtigt
wird, wie, d.h. mit welchem Arzneistoff,
der Surrogatparameter beeinflusst wird.
Auch wenn sich nachweisen ließ, dass
bei Statintherapie eine stärkere Senkkung des Plasmacholesterols auch mit
einer stärkeren Reduktion patientenrelevanter Endpunkte verbunden ist, kann
dieser günstige Effekt nicht auf jeden
anderen Cholesterolsenker übertragen
werden. Dies hat das Beispiel Torcetrapib
eindrucksvoll belegt (10).
Im Fall des HbA1c zeigt sich darüber
hinaus, dass eine selbst mit überwiegend
evidenzbasierten Arzneistoffen erreichbare intensive Senkung nicht unbedingt
mit einer Verbesserung der Prognose bei
Diabetes mellitus verbunden sein muss,
aber nahezu immer mit einem größeren
Risiko von Nebenwirkungen einhergeht
und nahezu immer deutlich teurer als die
Standardbehandlung ist. So zeigte die
VADT-Studie (HbA1c-Reduktion um 1,5 %
auf 6,9 %, 1791 Patienten) keinen Effekt
auf mikro- und makrovaskuläre Komplikationen (11), während eine Nachbeobachtung der UKPDS-Studie (3.277
Patienten) eine Verminderung mikround makrovaskulärer Komplikationen
durch intensive antidiabetische Therapie
ergab, obwohl sich die HbA1c-Werte der
beiden Behandlungsgruppen bereits nach
einem Jahr auf etwa 8,5 % angeglichen
hatten (12).
Die erst kürzlich veröffentlichten großen
klinischen Studien ACCORD und ADVANCE verdeutlichen diesen Zusammenhang
sehr anschaulich (13,14). In der ACCORD-Studie (HbA1c<6%, 10.251 Patienten) zeigte sich eine vermehrte Mortalität in der Behandlungsgruppe, während
in der ADVANCE-Studie (HbA1c<6,5%,
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11.140 Patienten) eine Verringerung
beobachtet wurde, die im Wesentlichen
auf einer Verminderung der diabetischen
Nephropathie beruhte. In keiner der
beiden Studien kam es zu einer Absenkung makrovaskulärer Komplikationen
gegenüber der Standardtherapie, d.h.
dass eine agressive antidiabetische
Therapie die Inzidenz kardiovaskulärer
Erkrankungen nur wenig beeinflußt. Ein
Kommentar zu den Studienergebnissen
betont, dass Unterschiede zwischen den
Studien wie das Ausmaß und die Geschwindigkeit der HbA1c-Senkung, die
antidiabetische Pharmakotherapie und
variierende Gewichtszunahme kaum als
Erklärung für die unterschiedlichen
Ergebnisse herangezogen werden können (15).
reagibilität, Hyperlipidämie und Hypertonie entsprechend aggressiv behandelt
werden. Trotz des möglichen schädlichen
Effektes einer aggressiven Senkung des
HbA1c auf kardiovaskuläre Morbidität und
Mortalität bleibt die weniger aggressive
konsequente Einstellung des HbA1c vor
allem wegen der Verhinderung mikrovaskulärer Komplikationen unverzichtbar. Dies zeigen nicht nur die Ergebnisse
der ADVANCE Studie, deren geringe
Senkung des kombinierten Endpunktes
im Wesentlichen auf der Verminderung
der
mikrovaskulären
Komplikation
„diabetische Nephropathie“ beruht (13).
Auch verschiedene Daten aus der
UKPDS-Studie sprechen für eine Verminderung mikrovaskulärer Komplikationen
nach Therapie mit Metformin, Sulfonylharnstoffen und Insulin (12).
Die Ergebnisse der beiden Megastudien ACCORD und ADVANCE lassen
vermuten, dass eine aggressive Senkung kardiovaskulärer Risikofaktoren
nützlicher und sicherer sein kann als
eine agressive HbA1c-Senkung.
Die pharmakotherapeutischen Optionen
zur Erreichung einer HbA1c-Senkung
(Abb. 4) zeigen viele Unterschiede, die
teilweise auch therapeutisch bedeutsam
sind. Ein wichtiger Unterschied ist die
bislang
nachgewiesene
prognostisch
günstige Wirkung (Weblink 6):
Denkbar wäre jedoch, dass die Therapie
von Komorbiditäten eine Rolle gespielt
hat. Daten der UKPDS-Studie haben
gezeigt, dass die strikte Einhaltung der
antihypertensiven Therapie bei Typ 2
Diabetes zu günstigen prognostischen
Effekten wie der Reduktion von Diabetes-assoziierter Mortalität um 32 %, von
Schlaganfällen um 44% und von mikrovaskulären Komplikationen um 37 %
führt (16). Diese günstigen Effekte
blieben bei einer Nachbeobachtung für 5
Jahre nicht erhalten, wenn die Unterschiede
hinsichtlich
des
Blutdrucks
zwischen den beiden Gruppen verloren
gingen (17).
Zu Beginn der ADVANCE Studie erhielten
etwa 37 % der Teilnehmer einen Lipidsenker (hauptsächlich Statine), während
dies bei etwa 62 % der Teilnehmer der
ACCORD-Studie der Fall war. Auch bei
der Therapie mit Antihypertensiva und
Acetylsalicylsäure zeigen sich solche
Unterschiede, wenn auch weniger deutlich ausgeprägt. Somit wäre denkbar,
dass auf eine agressive antidiabetische
Therapie verzichtet werden kann, wenn
die Komorbiditäten mit kardiovaskulärem
Risikopotential wie Thrombozytenhyper-
• Antidiabetika, die die Mortalität
senken
Metformin (bei Adipositas, (18))
• Antidiabetika, die die Morbidität
senken
Insulin, Metformin, Sulfonylharnstoffe (bei Übergewicht (19))
• Antidiabetika, die den HbA1c
senken
Insulin, Metformin, Sulfonylharnstoffe, α-Glukosidasehemmer,
Glitazone, Inkretinmimetika (meist
bei Übergewicht und Adipositas)
In den letzten drei Jahren sind insgesamt
fünf neue Arzneistoffe der Klasse der
Inkretin-Mimetika für die Therapie des
Diabetes mellitus Typ 2 verfügbar geworden, die über einen neuen Mechanismus zur Wirkung kommen (20).
Hierzu zählen:
• Inkretinanaloga
Exenatid (Byetta®)
Liraglutid (Victoza®)
• Inkretinmimetika
Sitagliptin (Januvia®)
Vildagliptin (Galvus®)
Saxagliptin (Onglyza®)
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Abb. 5: Effekte einer oralen und einer intravenösen Gabe von Glukose auf die Freisetzung von Insulin bei gesunden Probanden (links) und Patienten mit Typ-2 Diabetes
(rechts). Die durch Inkretine vermittelte Steigerung der Freisetzung von Insulin nach
oraler Gabe von Glukose ist bei Typ-2 Diabetes stark eingeschränkt. Dies bedeutet, dass
eine gegebene Menge oral aufgenommener Glukose bei Patienten mit Typ-2 Diabetes zu
höheren Glukosespiegeln im Plasma führt (nach (21)).
Das Inkretinsystem
Das Inkretinsystem verstärkt die Ausschüttung von Insulin aus den Inselzellen des Pankreas bei oraler Aufnahme
von Glukose, während es bei intravenöser Gabe nicht aktiviert wird (Abb. 5).
Die Aufnahme von Nahrung löst die
Sekretion vieler verschiedener gastrointestinaler Hormone aus, die an der
Regulation der Darmmotilität, der Sekretion von Magensäure, der Ausschüttung
von Gallensäuren oder der Absorption
von
Nahrungsbestandteilen
beteiligt
sind. Inkretine gehören zu diesen
gastrointestinalen Hormonen (Abb. 6)
(22). Es handelt sich um Polypeptide, die
in enteroendokrinen K- (GIP) und LZellen (GLP-1) von Duodenum, Jejunum
und aszendierendem Kolon gebildet
werden (23). Bereits Mitte der 70er
Jahre wurde die insulinotrope Wirkung
des Inkretins „Glucose-dependent insulinotropic polypeptide“ GIP entdeckt (24).
Etwa 10 Jahre später folgte das zweite
und bislang letzte Inkretin, das „Glucagon-like peptide-1“ GLP-1 (22). Die
Freisetzung dieser Inkretine erfolgt nicht
nur durch Glukose selbst sondern auch
durch neuronale Signale (25).
Einmal gebildet, binden GIP und GLP-1
an G-Protein gekoppelte Rezeptoren der
ß-Zellen des Pankreas und bewirken
über eine cAMP-abhängige Erhöhung der
zytosolischen Ca++-Konzentration eine
Potenzierung
der
glukoseabhängigen
Freisetzung von Insulin (20). Bei länger
andauernder Rezeptorstimulation kommt
es auch zu einer durch Proteinkinase A
vermittelten Steigerung der Insulinsynthese. Darüber hinaus sind weitere
Wirkungen der Inkretine bekannt, wie
hier am Beipiel von GLP-1 dargestellt:
• Glukose-abhängige Steigerung der
Insulinsekretion
• Steigerung der Insulinsynthese
• Glukose-abhängige Hemmung der
Glukagonsekretion
• Steigerung der pankreatischen ß-
Zell-Masse
• Hemmung Toxin-induzierter Apop-
tose pankreatischer ß-Zellen
• Verlangsamung der Magenentlee-
rung
• Appetithemmung, Verstärkung des
Sättigungsgefühls
• Gewichtsverlust
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Abb. 6: Strukturen des natürlichen Polypeptides GLP-1 sowie der artifiziellen rekombinanten GLP-1-Analoga Exenatid und Liraglutid. Ebenfalls dargestellt ist der rasche
Abbau von GLP-1 durch die Protease Dipeptidylpeptidase IV (DPP IV), der durch Manipulationen wie dem Austausch des Alanins (Exenatid) oder raumfordernden Substituenten
(Liraglutid) deutlich verzögert wird und so die Halbwertszeit und Wirkdauer der rekombinanten Polypeptide deutlich verlängert.
Inkretine werden durch die Protease
Dipeptidylpeptidase IV (DPP IV) rasch
abgebaut (Abb. 6). Dabei entstehen
inaktive Fragmente, die beipielsweise
80-90 % des detektierbaren PlasmaGLP-1 ausmachen (25).
Wie in Abb. 5 dargestellt, ist das Inkretinsystem bei Diabetes Typ 2 stark
eingeschränkt. Eine Erklärung hierfür
könnte sein, dass vor allem GIP, aber in
geringem Maß auch GLP-1, bei Diabetes
Typ 2 eine eingeschränkte insulinotrope
Wirkung auslösen. Daher wurde die
klinische Entwicklung der Inkretinanaloga auf GLP-1 beschränkt. Aus dem
gleichen Grund beruht die antidiabetische Wirkung der oben genannten
Inkretinmimetika auf einer Hemmung
der Proteolyse von GLP-1.
Liraglutid
Struktur Liraglutid ist ein teilweise
gegen die Proteolyse durch DPP IV
resistentes GLP-1 Analogon, welches sich
durch einen Arg34Lys-Austausch, einen
an Lys26 gebundenen GlutaminsäureSubstituenten sowie einen daran gebun-
denen Palmitoylsäurerest, der in-vivo an
Plasmaalbumin bindet, von GLP-1 unterscheidet.
Wirkungsmechanismus
Liraglutid
besitzt denselben Wirkungsmechanismus
wie GLP-1 (siehe Abb. 7). Dementsprechend hängen die Wirkungen von Liraglutid überwiegend von der GlukosePlasmakonzentration
ab.
Während
Glukose selbst nach Aufnahme in die ßZellen des Pankreas zur vermehrten
Bereitstellung von ATP führt, bewirkt die
Stimulation der GLP-1-Rezeptoren eine
vermehrte Aktivierung der Adenylatzyklase mit konsekutiver Bildung von
cAMP, welches sowohl die Insulinsekretion als auch die Insulinsynthese anregt.
Pharmakokinetik
Liraglutid
besitzt
nach subkutaner Gabe eine deutlich
längere Halbwertszeit (10-14 Stunden)
und Wirkdauer (24 Stunden) als GLP-1
(25). Dies beruht auf einer verzögerten
Resorption, der hohen Plasmaeiweißbindung (> 98 %) sowie einer höheren
Stabilität gegen die Proteolyse durch DPP
IV (Weblink 7). Die absolute Bioverfügbarkeit nach subkutaner Gabe erreicht
etwa 55%. Liraglutid wird auf ähnliche
Weise wie andere Proteine hauptsächlich
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Inkretinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 2
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Abb. 7: Glukose selbst führt nach Aufnahme in die ß-Zellen des Pankreas durch den
Transporter GLUT-2 und Metabolisierung zur vermehrten Bereitstellung von ATP. Dagegen bewirkt die Aktivierung der GLP-1-Rezeptoren eine vermehrte Aktivierung der Adenylatzyklase (AC) mit konsekutiver Bildung von cAMP, welches sowohl die Insulinsekretion als auch die Insulinsynthese anregt. Insofern verstärkt die Aktivierung des GLP-1Rezeptors durch Liraglutid die Reaktion der ß-Zellen auf den Glukosespiegel im Plasma.
durch Proteolyse metabolisiert. In Harn
und Fäces ließ sich kein intaktes Liraglutid nachweisen und nur ein geringer
Prozentsatz der Dosis sind Liraglutidverwandte Metabolite.
Wirkungen Auch die Wirkungen von
Liraglutid sind mit denen von GLP-1
vergleichbar (siehe oben). Diese Effekte
lassen sich klinisch zur Verbesserung der
glykämischen Kontrolle bei Patienten mit
Diabetes Typ 2 nutzen. Es ist bislang
nicht bekannt, ob die Wirkungen von
Liraglutid, die über die Senkung von
Nüchternblutzucker und HbA1c hinausgehen, für Typ 2-Diabetiker einen patientenrelevanten Vorteil darstellen. Dies gilt
auch für die geringe Reduktion des
Körpergewichtes (siehe oben).
Indikationen Liraglutid ist zugelassen
zur Behandlung des Diabetes mellitus
Typ 2 bei Erwachsenen, um eine Blutzuckerkontrolle zu erreichen. Der Arzneistoff darf nur in Kombination eingesetzt
werden (Weblink 7):
• In Kombination mit Metformin oder
einem Sulfonylharnstoff bei Patienten mit unzureichender Blutzuckerkontrolle trotz maximal verträglicher Dosis bei Monotherapie mit
Metformin oder Sulfonylharnstoff
• In Kombination mit Metformin und
einem Sulfonylharnstoff oder Metformin und einem Thiazolidindion
bei Patienten mit unzureichender
Blutzuckerkontrolle trotz Therapie
mit 2 oralen Antidiabetika
Die Zulassung beruht auf den Ergebnissen eines Teils des LEAD-Studienprogramms, in welchem die Wirkung von
Liraglutid auf die glykämische Kontrolle
bei Patienten mit Typ 2-Diabetes untersucht wurde (Tab. 1). Nur eine dieser
Studien dauerte 52 Wochen und in
keiner dieser Studien sind patientenrelevante Endpunkte wie Mikro- und Makroangiopathien sowie die Mortalität erfasst
worden. Eine im Interesse der Patienten
unbedingt erforderliche Prognosestudie
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Inkretinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 2
sowie eine randomisierte prospektive
Langzeitstudie sind auch heute noch
nicht dem internationalen Studienregister „National Institute of Health“ in den
USA gemeldet worden (Weblink 8). In
keiner der dort registrierten und noch
laufenden 7 Studien mit Liraglutid (Stand
2. März 2010), bei welchen der Hersteller als Sponsor fungiert, sind Morbidität
oder Mortalität als Endpunkt definiert.
Allerdings soll eine Erweiterung der
LEAD-3-Studie
(NCT00853359)
im
Rahmen eines nicht randomisierten,
„open-label“-Designs die Sicherheit von
Liraglutid über eine Dauer von dann 104
bis 260 Wochen als sekundären Endpunkt erfassen.
- 13 -
Insgesamt zeigen die Studienergebnisse
des LEAD-Programms, dass Liraglutid
geeignet ist, die glykämische Kontrolle
bei Typ 2 Diabetikern zu verbessern. In
den derzeitigen Empfehlungen ist der
Einsatz von GLP-1-Analoga erst nach
nicht ausreichendem Erfolg von Lebensstilintervention, Metformin und Sulfonylharnstoffen
vorgesehen,
wenn
die
Empfehlungen der Richtlinien eingehalten sind (Abb. 8). Insofern entspricht
die Indikation „Kombination mit Metformin oder einem Sulfonylharnstoff nach
erfolgloser Monotherapie“ (siehe oben)
zwar
den
LEAD-Studienergebnissen,
nicht aber den derzeitigen Richtlinien,
die im Wesentlichen auf den vorliegenden Evidenzen für Antidiabetika beruhen,
die patientenrelevante Endpunkte günstig beeinflussen können.
Es ist bislang nicht bekannt, ob das
spezielle Spektrum der Wirkungen von
Inkretinanaloga wie Liraglutid für
Typ 2-Diabetiker einen patientenrelevanten Vorteil darstellen.
Nebenwirkungen Liraglutid löst häufig
bis sehr häufig eine Reihe von Nebenwirkungen aus (siehe Weblink 7):
• häufig bis sehr häufig (>1/10):
Hypoglykämie
Kopfschmerz
Übelkeit
Durchfall
Erbrechen
• häufig (>1/100, <1/10)
Abb. 8: Pharmakotherapieschema zur
Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2.
1: evtl. Sulfonylharnstoff für nicht
Übergewichtige oder bei hohem Glukosespiegel, 2: evtl. ein Glinid bei Diabetikern mit außergewöhnlichem Lebensrhythmus zur Verbesserung des individuellen Therapieziels, nur Thiazolidindion
bei problematischer Hypoglykämie unter
Sulfonylharnstoffen, 3: evtl. Exenatide
nur bei besonders problematischem
Körpergewicht und Einhaltung der Richtlinien-Empfehlungen (nach Weblink 6).
Nasopharnygitis
Bronchitis
Anorexie
verminderter Appetit
Schwindel
Dyspepsie
Oberbauchschmerzen
Obstipation
Gastritis
Flatulenz
abominelles Spannungsgefühl
gastroösophagale Refluxkrankheit
abdominelle Schmerzen
Zahnschmerzen
virale Gastroenteritis
Erschöpfung
Fieber
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Inkretinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 2
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Das Studienprogramm “Liraglutid Effect and Action in Diabetes (LEAD)”
Studie
Primärer
Endpunkt
(Ergebnis)
Vergleichstherapie
Patienten
Effekt einer
GlimepiridLiraglutidKombination
HbA1c-Änderung
nach 26 Wochen
(-0,6 bis -1,1 %)
GlimepiridPlacebo,
1041
Gewichtszunahme:
Liraglutid 0,6 mg: 0,7 kg,
Liraglutid 1,2 mg: 0,3 kg,
Rosiglitazon 4 mg: 2,1 kg
Gewichtsabnahme:
Placebo:
0,1 kg
Liraglutid 1,8 mg: 0,2 kg,
Effekt einer
MetforminLiraglutidKombination
HbA1c-Änderung
nach 26 Wochen
(-0,7 bis -1,0 %)
MetforminPlacebo,
1091
Gewichtszunahme:
Glimepirid 4 mg: 1,0 kg
Gewichtsabnahme:
Placebo:
1,5 kg
Liraglutid 0,6 mg: 1,8 kg,
Liraglutid 1,2 mg: 2,6 kg,
Liraglutid 1,8 mg: 2,8 kg,
LEAD 3
Effekt einer
LiraglutidMonotherapie
HbA1c-Änderung
nach 52 Wochen
(-0,8 bis -1,1 %)
Glimepirid
746
Gewichtszunahme:
Glimepirid 8 mg: 1,1 kg
Gewichtsabnahme:,
Liraglutid 1,2 mg: 2,1 kg,
Liraglutid 1,8 mg: 2,5 kg,
LEAD 4
Effekt einer
MetforminRosiglitazonLiraglutidKombination
HbA1c-Änderung
nach 26 Wochen
(-0,9 bis -1,1 %)
MetforminRosiglitazonPlacebo
533
Gewichtszunahme:
Placebo:
0,6 kg
Gewichtsabnahme:,
Liraglutid 1,2 mg: 1,0 kg,
Liraglutid 1,8 mg: 2,0 kg,
LEAD 5
Effekt einer
MetforminGlimepiridLiraglutidKombination
HbA1c-Änderung
nach 26 Wochen
(-1,1 %)
MetforminGlimepiridPlacebo,
581
Gewichtszunahme:
Insulin glargin:
1,6 kg
Gewichtsabnahme:,
Placebo:
0,4 kg
Liraglutid 1,8 mg: 1,8 kg,
Effekt einer
Metforminund/oder
GlimepiridLiraglutidKombination
HbA1c-Änderung
nach 26 Wochen
(-1,1 %)
464
Gewichtsabnahme:,
Exenatide (20 µg): 2,9 kg,
Liraglutid 1,8 mg: 3,2 kg
LEAD 1
LEAD 2
LEAD 6
Studienziel
GlimepridRosiglitazon
MetforminGlimipirid
MetforminGlimepiridInsulin glargin
Metforminund/oder
GlimepiridExenatideKombination
Kommentar
Tabelle 1: Das LEAD-Studienprogramm (26-31), mit welchem die Wirksamkeit von
Liraglutid als Mono- und Kombinationstherapie im Sinne einer Reduktion der Surrogatparameter HbA1c und Gewichtsreduktion mit Metformin, Sulfonylharnstoffen, Rosiglitazon
und/oder Insulin glargin gegenüber Placebo belegt wurde.
Weitere weniger häufige jedoch ernsthafte Nebenwirkungen betreffen:
• Pankreatitis:
In klinischen Studen wurden Fälle
von akuter Pankreatitis mit einer
Häufigkeit von <0,2 % beobachtet.
Ob ein kausaler Zusammenhang
mit der Liraglutidbehandlung besteht ist, derzeit nicht bekannt.
• Struma und Neoplasmen der
Schilddrüse
Im Rahmen der Liraglutid-Behandlung sind teilweise schwerwiegende
unerwünschte Ereignisse im Bereich der Schilddrüse aufgetreten.
Dabei sind Neoplasmen (0,5 %)
und Struma der Schilddrüse
(0,8 %) sowie erhöhte Calcitoninkonzentrationen im Blut (1 %) als
häufigste unerwünschte Ereignisse
im Bereich der Schilddrüse berichtet worden.
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• Angioödeme
Angioödeme sind in den Studien
mit Liraglutid mit einer Häufigkeit
von 0,05 % beobachtet.
bei Patienten mit Herzinsuffizienz
der NYHA-Stadien I-II und keine
Erfahrungen bei NYHA-Stadien IIIIV vor.
• Reaktionen an der Injektions-
• Entzündliche Darmkrankheiten
stelle
Mit einer Häufigkeit von etwa 2 %
sind nicht näher spezifizierte Reaktionen an der Injektionsstelle aufgetreten, die üblicherweise gering
ausgeprägt waren und nicht zum
Absetzen von Liraglutid führten.
Insbesondere die teilweise schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse im
Bereich der Schilddrüse sowie die Gefahr
einer Pankreatitis belasten die NutzenRisiko-Relation von Liraglutid vor dem
Hintergrund fehlender Prognosedaten
erheblich.
Besondere
Patientenpopulationen,
besondere Vorsichtsmaßnahmen und
besondere Warnhinweise: Die bisherigen klinischen Erfahrungen mit Liraglutid sind noch begrenzt. Wichtig erscheint, dass Liraglutid bei Einschränkungen der Nieren- und Leberfunktion
sowie einem Lebensalter unter 18 Jahren
oder über 75 Jahren Anwendungsbeschränkungen unterliegt:
• Nierenfunktionsstörungen
Bei Patienten mit mittelschwerer
Einschränkung der Nierenfunktion
(Kreatinin-Clearance 30-59
ml/min) liegen nur wenig, bei
Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance
<30 ml/min) überhaupt keine Erfahrungen vor. Daher kann Liraglutid bei diesen Nierenfunktionsstörungen und terminaler Niereninsuffizienz nicht empfohlen werden.
• Leberfunktionsstörungen
fehlende Erfahrungen sind auch der
Grund, dass Liraglutid bei allen
Schweregraden einer Leberfunktionsstörung nicht empfohlen werden kann.
• Lebensalter
Typ 2 Diabetikern >75 Jahre oder
< 18 Jahre wird die Behandlung
mit Liraglutid nicht empfohlen.
• Herzinsuffizienz
es liegen nur wenige Erfahrungen
und diabetische Gastroparese
Für Patienten mit diesen Komorbiditäten wird eine Behandlung mit
Liraglutid nicht empfohlen.
• Diabetes mellitus Typ 1
Liraglutid soll nicht bei Patienten
mit Diabetes mellitus Typ 1 oder
zur Behandlung der diabetischen
Ketoazidose angewendet werden.
Fazit
Liraglutid ist ein weiteres insulinotropes
Antidiabetikum zur Kombinationsbehandlung des Typ-2 Diabetes, das bei den
zugelassenen Indikationen mit Exenatide, DPP IV-Hemmern und Glitazonen
konkurriert. Bei Patienten mit noch
ausreichender beta-Zellreserve reduziert
der Arzneistoff den HbA1C im Mittel um
etwa 1 %.
Geringfügig vorteilhaft sind 1. gegenüber
Exenatid die einmal tägliche Gabe und
die geringere Häufigkeit von Übelkeit
und Erbrechen (verbessertes Wirkprinzip), 2. gegenüber Sulfonylharnstoffen
die etwas geringere Gefahr leichter
Hypoglykämien und 3. gegenüber Insulin
die Reduktion des Körpergewichtes. Der
prognostische Stellenwert dieser geringfügigen Vorteile gegenüber evidenzbasierten
Antidiabetika
wie
Sulfonylharnstoffen und Insulin ist unklar.
Nachteilig sind 1. die Notwendigkeit der
parenteralen Applikation, 2. die vielen
Einschränkungen
bei
Komorbiditäten
sowie 3. das Fehlen von Langzeit- und
Endpunktstudien mit dem Nachweis der
der therapeutischen Langzeitsicherheit
und 4. der Verminderung von Morbidität
(Mikro- und Makroangiopathien) und
Mortalität. Damit ist Liraglutid ein Reservetherapeutikum und gehört zu den
Mitteln der letzten Wahl, d.h. es sollte
erst eingesetzt werden, wenn alle anderen Maßnahmen (einschließlich Diät und
Bewegung) nachweislich ausgeschöpft
sind.
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management in primary and secondary care (update). London: Royal College of Physicians, 2008.
http://guidance.nice.org.uk/CG66
7) Fachinformationen online (Registrierung mit Approbation erforderlich!)
http://www.fachinfo.de/data
Danksagung
Der Autor dankt Frau Apothekerin Charlotte Both für die aufmerksame Durchsicht des
Manuskriptes sowie die Erstellung der Fortbildungsfragen.
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Impressum:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2010;4(1):1-18
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