Somatopsychische Zusammenhänge bei Diabetespatienten in Psychotherapie Dipl. Psych. Susan Clever Psychol. Psychotherapeutin/Psychodiabetologie Fachpsychologin DDG Diabetespraxis Hamburg-Blankenese Für die Therapie und langfristige Prognose des Diabetes mellitus sind somatische und psychosoziale Faktoren gleichermaßen wichtig. Was ist Diabetes mellitus? Typ1 Diabetes •Tritt meist bei jüngeren Menschen auf, ab Säuglingsalter. In einzelnen Fällen bei älteren Menschen •Autoimmuner Prozess zerstört die Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse •Ohne Insulin kann der Zucker im Blut nicht in die Zellen gelangen. Der Blutzucker steigt an. Die Zellen verhungern. •Insulintherapie durch Injektion meist in eine Bauchfalte ist von Anfang an notwendig Was ist Diabetes mellitus? Typ 2 Diabetes • Tritt meist bei Menschen ab mittleren Alter auf, in einzelnen Fällen schon bei Jugendlichen • Patienten haben eine Insulinresistenz,d.h.ihr körpereigenens Insulin reicht nicht aus, um den Blutzucker in die Zellen zu bringen • Gewichtszunahme und Bewegungsmangel begünstigen die Insulinresistenz • Patienten haben aber auch einen Abbau der insulinproduziernden Zellen in der Bauchspeicheldrüse • Therapie: Bewegung und/oder Gewichtsabnahme und/oder Tabletten und/oder Insulin je nach Verlauf und Dauer der Erkrankung Was ist Diabetes mellitus? Therapie • Die Höhe des Blutzuckers wird durch das Stechen in die Fingerkuppe und das Einlesen des Bluttropfens über ein Teststreifen in ein Gerät gemessen. • Patienten stellen ihre Therapie eigenständig nach diesen Messungen ein. Sie streben Werte zwischen ca. 80 und 140 mg/dl an. • Die Güte der Diabeteseinstellung wird an dem HbA1c-Wert einmal im Quartal abgelesen. Ein Wert zwischen 6,5% und 7,5% ist sehr gut. Je höher der Wert, desto höher das Risiko für diabetesbedingte Komplikationen • Ist die Einstellung wiederum zu niedrig, besteht eine größere Gefahr für schwere Unterzuckerungen • Die Blutzuckerhähe ist nur begrenzt kontrollierbar Auswirkungen der Hyperglykämie • Akut: Durst, Energielosigkeit, Libidoverlust, Schlafstörungen, Polyurie….. • Chronisch: Nephropathie (möglicher Endpunkt Dialyspflicht) Polyneuropathie (möglicher Endpunkt Amputation) Retinopathie (möglicher Endpunkt Erblindung) KHK, Hirninfarkt Infektanfälligkeit……. Wie würde es Ihnen mit der Hyperglykämie gehen? Welche psychische Störungen könnten sich aus diesem Wissen und Erleben entwickeln? Auswirkungen der Hypoglykämie • Akut: 1. Herzrasen, Zittern, Blässe, weiche Knie, Schwitzen…. 2. Verwirrung, Sprach-, Gang- und Sehstörungen……Koma • Chronisch: Hypowahrnehmungsstörung kognitive Veränderungen bei rezividierenden schweren Unterzuckerungen Wie würde es Ihnen mit der Hypoglykämie gehen? Welche psychische Störungen könnten sich aus diesem Wissen und Erleben entwickeln? Clarke WL, Cox DJ, Gonder-Frederick LA, et al. The relationship between non-routine use of insulin, food, and exercise and the occurrence of hypoglycemia in adults with IDDM and varying degrees of hypoglycemic awareness and metabolic control. The Diabetes Educator 1997;23(1):55-8. Spannungsfeld in der Selbstbehandlung des Diabetes Lebensqualität Therapieentscheidungen Folgeerkrankungen (diffuse, längerfristige Bedrohung) Wie würden Sie sich entscheiden? Hypoglykämien (akute Bedrohung) Rückkoppelungsprozess in der Selbstbehandlung Überzeugungen: - subjektive Risikogröße - gesundheitsbezogene Kontrollüberzeugungen - Effizienzerwartungen Gedanken: - hilfreich - dysfunktional kognitive Ebene Gefühle emotionale Ebene Selbstbehandlung Verhaltensebene - Güte der BZ-Einstellung - HbA1c - Hinweise auf Folgeerkrankungen somatische Ebene Somatopsychische Zusammenhänge bei Diabetespatienten in Psychotherapie • Somatische Grundlagen • diabetesspezifische psychische Störungen Patientencharakteristika einer Psychotherapiepraxis in einer Diabetesschwerpunktpraxis: • April 2005 – Januar 2007 (21 Monate) • • • • • • • 133 Patienten im Rahmen des Konsiliardienstes vorgestellt. 52 direkt von der Praxis 40 von anderen regionalen Schwerpunktpraxen 12 von regionalen Hausärzten 18 von Schwerpunktpraxen oder Hausärzten außerhalb Hamburgs 10 auf Empfehlung von Diabeteskliniken 1 von einem Berufsbildungswerk • • Durchschnittalter 41,48 Jahre (12 – 77) Geschlechtsverteilung: Frauen 64% (n=85) • • • • 103 mit Typ 1 Diabetes 27 mit Typ 2 1 pankreopriver Diabetes 2 Paare: Typ 1 mit Komplikationen (schwere Hypos; diabetisches Fußsyndrom). Verteilung der psychologischen Diagnosen • • • • • • • • • • • • • • Depression 38 Anpassungsstörung 36 Phobische Störung 13 (12 vor Hypoglykämien; 1 vor erhöhten Blutzuckerwerten) Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung 13 Essstörung 11 Erschöpfungszustand 10 Zwangsstörung 3 Sucht 3 Soziale Phobie 1 emotional-instabile Persönlichkeit 1 Dissoziative Reaktion 1 Schizoaffektive Psychose 1 Schmerzsyndrom 1 Hirnorganisches Psychosyndrom 1 Themen in der Psychotherapie mit Diabetespatienten • • • • • • • • • Funktionieren müssen, mangelnde Selbstfürsorgefähigkeiten (z.B: frühe Verantwortung der Insulintherapie zur Entlastung der Eltern, jetzt BZ=200mg/dl) Angst vor Folgeerkankungen (z.B. “Hyposurfer” mit rezividierenden schweren Hypoglykämien) Angst vor Hypoglykämien mit phobischer Vermeidung und/oder sehr häufiges BZMessen (ca. > 10 mal tägl.) Hoffnungslosigkeit bei steigendem Gewicht und BZ-Werten (Insulinresistenz) Schlechtes Gewissen bei Therapievernachlässigung Minderwertiges Selbstbild als chronisch Kranke Verarbeitung akuter Stoffwechselentgleisungen (Kontrollverlust) Verarbeitung diabetischer Folgeerkrankungen (Unkontrollierbarkeit aversiver Endpunkte, Reue) Insulintherapie bei Typ 2 Diabetes erlebt als Kränkung