Wortbildung der Adjektive und Adverbien

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Vorlesung Lexikologie, FS 2006/7
(Pethő Gergely)
Thema 8: Wortbildung der Adjektive und Adverbien
A. ADJEKTIVE
1. Komposition
Das erste Glied bei zusammengesetzten Adjektiven ist in der Regel ein Substantiv, Adjektiv
oder Verb, andere Wortklassen als Erstglieder treten nur selten auf (z.B. selbstsicher;
widernatürlich, vorlaut, mitschuldig; multinational usw.).
Das zweite Glied ist grundsätzlich ein Adjektiv oder adjektiviertes Partizip
(gesundheitsschädigend, hausgemacht), Ausnahmen gibt es nur selten (barfuß).
A → N+A
A → A+A
A → V+A
gast + freundlich, kreis + förmig, wasser + fest
rosa + rot, dunkel + blau, taub + stumm, wild + fremd
treff + sicher, schreib + kundig, rutsch + fest
Es sind vor allem die Adjektive -fähig (zahlfähig, tragfähig), -fest (bügelfest,
rutschfest), -kundig (lesekundig, schreibkundig), -sicher (treffsicher, zielsicher), die mit einem
Verbalstamm als Erstglied Zusammensetzungen bilden. Adjektivische Komposita mit einem
verbalen Erstglied sind weit seltener als die mit einem substantivischen oder adjektivischen
Erstglied.
Bei Bildungen mit einem Partizip als Zweitglied gibt es sehr vielfältige
Kombinationsmöglichkeiten, z.B. praxisbewährt, kräftezehrend, weitreichend, schwerwiegend usw.
Nicht selten treten bei zusammengesetzten Adjektiven tautologische Komposita auf, bei
denen die beiden Glieder bedeutungsgleich oder -ähnlich sind, wodurch ein Glied als
überflüssig erscheint: winzigklein, wildfremd, hellheiter.
1.1. Elativbildung durch Komposition
Komposition dient bei den Adjektiven oft zur Bildung von gesteigerten Adjektivformen,
nämlich von Elativen.
1. Zu diesem Zweck werden oft bestimmte präfixartige Erstglieder verwendet, z.B.
- grund- (grundanständig, grundgütig, grundverschieden),
- extra-, super-, hyper-, ultra- (extrafein, superstark, hypermodern,
ultrakonservativ),
- hoch- (hochfein, hochbegabt, hochoffiziell, hochverehrt),
- tief- (tiefernst, tieferschüttert, tiefschwarz, tieftraurig),
- voll- (vollautomatisch, vollgültig),
- stink- (stinkreich, stinkfaul)
- bitter- (bitterböse, bitterernst)
- ober- (obercool, oberfaul, oberschlau)
- über- (überempfindlich, überglücklich, überlang) usw.
2.
Oft handelt es sich allerdings um Einzelbildungen mit einem Substantiv,
Adjektiv, oder seltener einem Verb, z.B. heilfroh, kerngesund, nagelneu,
splitternackt, wunderschön, klitzeklein, blitzgescheit, bettelarm, knallhart usw.
3.
Zur Verstärkung von Ableitungen kommt auch die Verdoppelung der Wurzel
vor: tagtäglich, wortwörtlich.
1.2. Übergänge zwischen Komposition und Derivation
Es ist oft problematisch, Komposition und Derivation (insbesondere Suffigierung) im
Bereich der Adjektive voneinander zu unterscheiden, da
1. die Zweitglieder sehr oft reihenbildend sind, und
2. ihre ursprüngliche lexikalische Bedeutung in den komplexen Adjektiven verändert
wird.
Bei zahlreichen Zweitgliedern ist es deshalb fragwürdig, ob sie als eigentliche
Kompositionsglieder oder als Affixoide (Suffixoide) betrachtet werden sollten.
Beispiele:
- -frei, -los und -leer (’Nichtvorhandensein von etwas’), z.B. alkoholfrei, fieberfrei;
bodenlos, gnadenlos; gedankenleer, menschenleer
- -arm (’Vorhandensein von etwas in geringem Maß’), z.B. fettarm, menschenarm,
säurearm
- -wert (’Möglichkeit oder Empfohlenheit der Handlung’), z.B. beneidenswert,
sehenswert
- -voll, -reich (’Vorhandensein von etwas’), z.B. gefühlvoll, kraftvoll;
nährstoffreich, regenreich usw.
- -fähig (Fähigkeit zu etwas bzw. Geeignetsein für etwas) anpassungsfähig,
funktionsfähig, lernfähig; dehnfähig, strapazierfähig, ausbaufähig
Weitere ähnliche Elemente sind z.B.: -echt (farbecht, kussecht), -beständig (hitzebeständig,
rostbeständig), -fertig (bezugsfertig, druckfertig), -ähnlich (fischähnlich), -artig (grasartig,
grippeartig), -förmig (etagenförmig, handförmig), -gemäß (auftragsgemäß, regelgemäß), -gerecht (kindgerecht, praxisgerecht), -würdig (glaubwürdig, liebenswürdig), -selig
(armselig, glückselig, rührselig), -trächtig (gewinnträchtig, skandalträchtig), -widrig
(gesetzwidrig, vertragswidrig) usw.
Im Bereich der Präfigierung ist der Status von manchen Elementen ähnlich problematisch,
vgl. die genannten Beispiele zur Elativbildung.
2. Derivation
Adjektiv
Präfix
Suffix
nativ
erz(erzkonservativ),
miss- (missgelaunt), un(unschön, unbekannt),
ur- (uralt)
nicht-nativ
a-/an- (agrammatisch, anorganisch), anti(antidemokratisch), hyper- (hypermodern),
in-/im-/il-/ir- (inaktiv, illegal, immateriell,
irrational), inter- (intergalaktisch), ko-/kon/kor(kongenial,
korrelativ),
non(nonkonformistisch), para- (paranormal,
paramilitärisch), post- (postnatal), prä(pränatal), pro- (prodemokratisch), super(superstark), trans- (transkontinental), ultra(ultrakonservativ)
-bar (begreifbar), -e(r)n -abel/-ibel (akzeptabel, expansibel), -al/-ell
(golden, stählern), -er (national, formell), -ant/-ent (tolerant,
(dreißiger), -fach (zwei- intelligent), -ar/-är (atomar, stationär), -esk
fach, vielfach), -haft (balladesk), -iv (impulsiv), -oid (faschistoid),
(bildhaft, schmackhaft), -os/-ös (rigoros, pompös)
-ig (kitschig), -isch
(städtisch), -lich (sachlich),
-los
(endlos), -mäßig (gesetzmäßig), -sam (biegsam)
2.1. Suffigierung
Die produktivsten Adjektivbildungssuffixe im heutigen Deutsch sind die folgenden:
-bar
Die Basis dieser Derivate ist meistens ein Verb, entweder monomorphematisch
(mach-, dreh-, brauch-) oder komplex (zerleg-, erklär-, abseh-). In sehr vielen Fällen
ist die verbale Basis ein transitives, passivfähiges Verb (heilbar, essbar, befahrbar).
Im Bereich der denominalen (fruchtbar, furchtbar) oder deadjektivischen (offenbar)
Derivation ist das Suffix -bar kaum produktiv, und die Zahl solcher Derivate ist sehr
gering.
-ig
Die Basis ist in der Mehrheit der Fälle ein Substantiv (staubig, kitschig, langweilig,
hügelig, wolkig). Ein bedeutender Teil dieser Derivate zeigt Stammalternation mit
Umlaut: fertig (< Fahrt), mächtig, verdächtig, flüchtig.
-lich
Die Basis ist meistens ein Substantiv oder ein Verbstamm, sie kann ein Simplex oder
komplex sein. Es kommt oft zur Umlautung des Stammvokals: ängstlich, weiblich,
verständlich, erbärmlich, unterschiedlich.
2.2.Präfigierung
Präfigierte Ableitungen unter den Adjektiven sind weit weniger entwickelt bzw. vielfältig
als die Suffixbildungen. Die adjektivischen Präfixe entsprechen zur Mehrheit den
substantivischen Präfixen.
erz- und ur-: Beschränkt produktiv und relativ selten. Sie dienen der Steigerung bzw.
Verstärkung, kommen jedoch bei Adjektiven wesentlich seltener vor als bei
Substantiven: erzkonservativ, uralt, urplötzlich.
unRelativ klar bestimmbare semantische Funktion: Bildung von Antonymen (unweit,
unklug, unsauber) bzw. Negation (ungleichseitig, unbedingt). Recht produktiv.
Formale Besonderheit: bei einer zusammengesetzten Basis wird un- in der Mehrheit
der Fälle als Infix zwischen die Glieder geschoben: arbeitsfähig – arbeitsunfähig,
arbeitswillig – arbeitsunwillig, verkehrstauglich – verkehrsuntauglich, selbstsicher –
selbstunsicher. Da allerdings die entsprechenden un-präfigierten Adjektive im
Deutschen ebenfalls vorhanden sind (unwillig, unfähig usw.), können diese
Wortbildungsprodukte nicht nur als Infixbildungen, sondern auch als Komposita mit
einem un-präfigierten adjektivischen Zweitglied betrachtet werden.
B. ADVERBIEN
Die Wortbildungsmöglichkeiten sind erheblich geringer als bei den anderen Wortklassen.
Auch das Bedürfnis nach Neubildungen ist sehr gering, vor allem weil Adverbien nicht der
Benennung von Gegenständen, Sachverhalten und Individuen dienen.
1. Komposition
Von Komposition sprechen wir bei Adverbien nur dann, wenn das Zweitglied ein Adverb ist
(daraufhin, hierher usw.). In allen anderen Fällen, wo ein Adverb aus einer Konstruktion
gebildet wird, handelt es sich um die Konversion einer Wortgruppe: kurzerhand, nachmittag.
Die meisten adverbialen Zusammensetzungen haben -hin oder -her als Zweitglied. Die
Erstglieder können recht verschieden sein:
(1) Proadverbien: hierhin, dahin, wohin, hierher, dorther
(2) andere Adverbien mit meist lokaler Bedeutung: irgendwoher, linkshin, überallher,
immerhin (idiomatisiert)
(3) Präpositionen: bisher, ohnehin, mithin, hinterher, nachher, umhin – vielfach
idiomatisiert.
(4) Adjektive: fernerhin, weiterhin – das Adjektiv oft als Komparativ. Idiomatisiert:
gemeinhin, schlechthin.
2. Derivation
Aus Substantiven oder substantivischen Wortgruppen können durch Konversion Adverbien
entstehen, z.B. abend, nachmittag; mittlerweile, beizeiten, überhaupt, zuweilen, vorderhand,
hierzulande, querfeldein usw.
Bei der expliziten Derivation ist das verbreitetste Derivationssuffix das -s (stets, rechts, links,
besonders, eingangs, morgens), auch in den Verbindungen -ens (höchstens, bestens,
frühestens, jüngstens, mindestens) und (relativ selten) -lings (bäuchlings, rücklings,
blindlings), -mals (damals, oftmals, niemals, ehemals), -wärts (talwärts, ostwärts, abwärts,
auswärts, stromabwärts).
Produktiv sind vor allem die folgenden sonstigen Suffixe:
-halber
Drückt eine kausale Bedeutung aus, die Basis sind abstrakte Substantive:
anstandshalber, ehrenhalber, vorsichtshalber.
-weise
Die Basis sind meistens Substantive (Bedeutung etwa: ’in der Form von X’,
z.B. monatsweise, beispielsweise, massenweise, andeutungsweise), seltener
Adjektive und Partizipien (Bedeutung etwa: ’in der Art X’, z.B.
bekannterweise, glücklicherweise, freundlicherweise, notwendigerweise),
vereinzelt Verben (leihweise).
-maßen
Bedeutet ’wie X ist’, die Basis sind Partizipien, an die sich immer das
Fugenelement -er- knüpft: bekanntermaßen, erwiesenermaßen, zugegebenermaßen.
Die Präfigierung kennt das Adverb so gut wie nicht.
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