INHALT 14 max hollein Vorwort ESSAYS 20 vinzenz brinkmann Das Frankfurter Athenprojekt und der Stand der Forschung LEIHGEBER Basel (Skulpturhalle Basel), Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung), Eichenzell (Kulturstiftung des Hauses Hessen, Museum Schloss Fasanerie), Frankfurt am Main (Archäologisches Museum; Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität), Göttingen (Archäologisches Institut der Universität und Sammlung der Gipsabgüsse), Kopenhagen (Ny Carlsberg Glyptotek), London (The British Museum), München (Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek), Neapel (Museo Archeologico Nazionale), Paris (Musée du Louvre), Potsdam (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten), Reggio Calabria (Museo Archeologico Nazionale), Rom (Musei Vaticani), Saarbrücken (Universität des Saarlandes, Institut für Archäologie), Wien (Kunsthistorisches Museum), Würzburg (Martin von Wagner Museum der Universität) 28 Der Mythos von Athena und der Triumph der Bilder 52 Die Skulpturen des Parthenon 62 Der Parthenonfries und das attische Jahr 92 oliver primavesi König zwischen zwei Göttern: Die Erechtheus-Tragödie des Euripides 114 vinzenz brinkmann, ulrike koch-brinkmann Das Rätsel der Riace-Krieger – Erechtheus und Eumolpos 128 manolis korres Eine tiefgreifende Planänderung am Parthenon 134 hans rupprecht goette Tempel der Athena Nike, Propyläen und Erechtheion. Strukturelle und chronologische Verbindungen dreier Bauprojekte der perikleischen Zeit 144 GEFÖRDERT DURCH daniel graepler Athen – London – Göttingen: Karl Otfried Müller und die Parthenonskulpturen 150 KATALOG ANHANG MEDIENPARTNER 12 KULTURPARTNER 194 200 205 206 Anmerkungen Literaturverzeichnis Impressum Abbildungsnachweis 13 Vorwort max hollein direktor Die antike griechische Kultur hat einen großen Beitrag für das Fundament der Moderne geleistet. Zunächst hatte sie selbst von ihren Nachbarn, den Ägyptern und den Orientalen, wesentliche Impulse erhalten. Im Fortgang der Entwicklung verstand es der Stadtstaat Athen, den Hauptstrom der mächtigen kulturellen und intellektuellen Kräfte Griechenlands in die eigene Stadt zu lenken. Der Plan, dass die Nachwelt die Stadt Athen als das Epizentrum dieser Entwicklung verstehen sollte, hat sich erfüllt. Athen steht somit im Zentrum unserer Ausstellung. Es ist das Athen im goldenen Zeitalter des Perikles. Die Stadt realisierte zwischen 450 und 400 v. Chr. ein einzigartiges Kulturprogramm, das – nach der totalen Zerstörung durch die Perser – den Wiederaufbau der berühmten Heiligtümer in nie gekanntem Glanz ermöglichte. Athen entwickelte in diesen Jahren das normative Stadtkonzept der westlichen, später der gesamten Welt. Die Frankfurter Ausstellung schickt den Besucher durch ein vollständiges antikes Jahr. Er erlebt die großen Feste, vor allem aber den Mythos von Athen. Dieser Mythos wird in den Bildern der Stadt, also den Skulpturen an den Marmorbauten, aber auch den statuarischen Einzelweihungen erzählt. In der Liebieghaus Skulpturensammlung wird diese vernetzte Bilderwelt wiederbelebt. Wir danken den zahlreichen Kollegen im In- und Ausland für ihre tatkräftige Unterstützung. An erster Stelle sind Salvatore Settis, Gino Famiglietti, Simonetta Bonomi, Carmelo Malacrino und die Fondazione Prada zu nennen, die in ideeller, aber auch finanzieller Weise die spektakuläre Rekonstruktion der beiden Bronzekrieger aus Riace ermöglichten. Darüber hinaus möchten wir den Leihgebern der großen europäischen Antikensammlungen und insbesondere Andreas Scholl (Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin), Florian Knauß (Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München), Giandomenico Spinola (Vatikanische Museen), Ursula Mandel (Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität, Frankfurt), Johannes Bergemann und Daniel Graepler (Archäologisches Institut und Sammlung der Gipsabgüsse, Georg-August-Universität Göttingen), Ella van der Meijden (Antikenmuseum und Skulpturhalle Basel) und Saskia Hüneke (Stiftung 14 Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam) sehr herzlich für ihren Einsatz danken, der nicht unwesentlich zum Erfolg der Ausstellung beigetragen hat. Heinrich Piening (Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, München), Ulrike Koch-Brinkmann (Stiftung Archäologie, München), Lorenzo Campana (Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern) und Konstantin Galanulis (GOM Braunschweig und Mailand) haben durch ihren selbstlosen Einsatz die naturwissenschaftlichen Untersuchungen ermöglicht, ohne die die neuen Rekonstruktionen im Bereich der antiken Bronzeskulptur und der antiken Architekturpolychromie nicht möglich gewesen wären. Ein großer Dank geht zudem an den Bildhauer Christoph Bergmann, der das Rekonstruktionsprojekt des Kriegers B von Riace durch die Umsetzung der Fuchsfellkappe maßgeblich unterstützte. Die Ausstellung wurde in enger Kooperation mit dem Atelier Markgraph entwickelt. An dieser Stelle sei Stefan Weil und der Architektin Sarah Roßbach sehr herzlich für das großartige Engagement gedankt. Ganz besonders möchte ich den kuratorischen Beitrag durch Raimund Ziemer hervorheben, der für die inhaltliche Gestaltung wichtige Impulse geliefert hat. Dieses umfangreiche und in der wissenschaftlichen Vorbereitung aufwendige Projekt zu realisieren, ist uns nur durch die substanzielle Unterstützung der Art Mentor Foundation Lucerne möglich gewesen. Meinen herzlichen Dank möchte ich daher dem Stiftungsrat und der Ge- schäftsleitung aussprechen, die das Vorhaben mit großem Interesse von einem frühen Stadium an mit begleitet haben. Ebenso danke ich unserem Medienpartner, der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main, und unserem Kulturpartner, dem hr2-kultur, durch deren Engagement die Ausstellung mediale Unterstützung erfährt. Ein weiteres Mal haben die Mitarbeiter des Hauses großen Einsatz gezeigt, der ganz wesentlich zum Gelingen des Projektes geführt hat. Ich danke daher besonders allen beteiligten Mitarbeitern des Ausstellungsdienstes, der Restaurierungswerkstätten, der Haustechnik, der Ausstellungsgrafik, von Bildung und Vermittlung, Marketing, Grafik, Presse, Sponsoring, Fundraising, Verwaltung, EDV, Veranstaltungsmanagement, Museumsshop, Bibliothek, Direktionsbüro und Katalogmanagement. An dieser Stelle sei namentlich, stellvertretend für alle Kolleginnen und Kollegen, folgenden Mitarbeitern ein besonderer Dank ausgesprochen: Sandra Adler-Krause, die maßgeblich zur Gestaltung und Umsetzung dieses Kataloges beigetragen hat, sowie dem Team um Olivia Wagner, Sven Lubinus und Harald Theiss, die in bewährter und routinierter Kooperation die Leihgaben betreut haben. Katharina Müller, unterstützt von Anton Zscherpe, hat sich unermüdlich und sehr erfolgreich für die Organisation des Projekts und die Redaktion des Kataloges eingesetzt. Mein ganz besonderer Dank gilt dem Kurator Vinzenz Brinkmann, der durch seine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem hochklassischen Athen ein klares Bild der Stadt und ihrer Religion zeichnen konnte. 15 Die Skulpturen des Parthenon vinzenz brinkmann Der vom Machtpolitiker Perikles, dem Mastermind Phidias und den Stararchitekten Iktinos und Kallikrates um 450 v. Chr. entworfene Parthenon – Tempel der Jungfrau Athena – ist das größte Gebäude der Athener Akropolis. Seine Ausführung ist von außerordentlicher Schönheit und Raffinesse. Das Gebäude negiert den rechten Winkel, der Betrachter verspürt die berauschend subtile Schwingung der Architektur. Der Stufenbau ist gewölbt, Säulen und Cellamauern sind unmerklich nach innen geneigt, selbst die Säulenabstände oszillieren. Mit Fug und Recht gilt dieser Marmortempel heute als das berühmteste Bauwerk der europäischen Antike. Die Giebelfelder auf Vorder- und Rückseite waren knapp 30 Meter lang und im Zentrum 3,50 Meter hoch. Sie waren mit den schönsten antiken Skulpturen ausgestattet und stellen somit einen absoluten Höhepunkt monumentaler Bildkunst dar. der ostgiebel Der Ostgiebel befand sich über dem Eingang des Tempels und war auf diese Weise noch einmal hervorgehoben. Hier standen die Menschen quasi vor dem wichtigsten Bild ihrer Zeit. Die Herstellung hatte gewaltige intellektuelle und finanzielle Ressourcen erfordert! Die gesamte Antike über blieb dieses Bild ohne jede Konkurrenz. Erst die teilweise Zerstörung der Ostfront des Parthenon durch den Einbau einer christlichen Kirche, die der Jungfrau Maria geweiht wurde, nahm diesem „Megascreen“ seine Bedeutung und beschnitt die Story bis zur Unleserlichkeit! Der Ostgiebel berichtete von der Geburt der Athena aus dem Kopf des Zeus. Wie schon an anderer Stelle hervorgehoben (siehe S. 31), ist die Geburt eines Gottes ein Welten erschütterndes Ereignis von ungeheurem Ausmaß. So ist auch das Werden der Zeustochter Teil der Entstehung der Welt. Nach antikem Glauben waren hieran die Urmächte beteiligt. So wirken Raum, Zeit und Schicksal machtvoll in Form der Allegorese. 52 Helios, der Sonnengott, entsteigt dem Urmeer Okeanos, zieht seine Bahn durch die Sphären (Abb. 23), während die Mondgöttin Selene in das furchtbare Dunkel abtaucht (Abb. 24). Diese rahmenden Allegorien werden unmittelbar begleitet von den Mächten der Erde. Rechts neben Helios lagert der Berggott Olymp, unter dessen Körper die Quellen seines Gebirges entspringen (Abb. 25). Gleich links von Selene andererseits lagert Attike, die Nymphe des attischen, also Athener Landes (Abb. 26). Sie lehnt sich in den Schoß des Friedens (Eirene). Eirene, der Frieden, Eunomia, die Gute Ordnung, und Dike, das Recht, sind im philosophischen Verständnis des klassischen Athen die drei Jahreszeiten (Horen). Die Horen haben noch andere, nicht auf abstrakten Kategorien beruhende Namen, nämlich: Thallo, Auxo und Karpo, also „Sprießen“, „Wachsen“ und „Früchtetragen“. Sie setzen die Zeit und garantieren durch ihren Jahreszyklus Reichtum und Frieden. Auf diese personifizierten Kräfte stützt sich die Allegorie von Attika, der Landschaft Athens. Die Horen waren die Schwestern der Schicksalsgöttinnen (Moiren). Die drei Horen und drei Moiren sind die sechs Töchter der Themis. Themis (von gr. τίθημι = setzen, stellen) ist nicht einfach eine Göttin, sie ist die Ordnung, das Gesetz im Sinne des immer schon Gesetzten. Ihre „timé“ (gr. Würde, Ehre) – also die ihr zufallende Aufgabe – ist vielleicht mit dem Gedanken der Naturgesetze in der europäischen Aufklärung zu vergleichen. Die drei Moiren sind Klotho, Lachesis und Atropos (siehe S. 49). Diese Themistöchter messen und bewachen das Schicksal und sind am Ostgiebel des Parthenon unmittelbar neben dem Berggott Olymp dargestellt (Abb. 27). Auf diese Weise rahmen Raum, Zeit und Schicksal das kosmologische Ereignis der Kopfgeburt der Athena ein.1 ein puteal in madrid und ein sarkophag in st. petersburg Das Zentrum des Ostgiebels ist zerstört, nur wenige Fragmente lassen sich mit den verlorenen Figuren verbinden. Glücklicherweise finden sich jedoch Reflexe und Wiederholungen der Komposition des Ostgiebels auf späteren Kunstwerken. Auf einem kleinen Rundaltar, der sich heute im Archäologischen Nationalmuseum in Madrid befindet, wird an die Szene der Geburt der Athena am Parthenon erinnert, indem die wichtigsten Elemente herausgegriffen werden (Abb. 28): Die drei Schicksalsgöttinnen erscheinen neben dem thronenden Zeus. Die Geburt der Athena, die bereits als vollständig gerüstete, ausgewachsene Gottheit dargestellt wird, liegt wenige Augenblicke zurück, noch scheint Hephaist die Axt zu schwingen, mit der er das Haupt des Göttervaters gespalten hatte. Am Deckel eines römischen Sarkophags, der sich heute in der St. Petersburger Eremitage befindet, wird offensichtlich das Vorbild des Athener Ostgiebels getreu wiederholt (Abb. 29). Aufgrund des kleineren Bildraums zeigt der Meister des Sarkophagreliefs verständlicherweise nur einen Auszug. Am rechten Rand steigt der Sonnengott über dem Gebirgsgott des Olymps auf. Auf die Schicksalsgöttinnen folgt unmittelbar die zentrale Trias: Athena, Zeus und Hera sind zum Opfer vereint. Hera, die betrogene Ehefrau des Zeus, hält in ihrer Rechten die Opferschale und vollzieht ein Opfer der Versöhnung. Durch diesen rituellen Vorgang nimmt sie, die nicht die leibliche Mutter ist, den unerhörten Vorgang der Geburt einer fremden Tochter aus dem Körper ihres Mannes an. Dieser politisch eminent bedeutende Akt sichert den Frieden und ist Garant einer prosperierenden Zukunft der Athena und somit der Stadt Athen.2 athena gegen poseidon = athen gegen eleusis Der Westgiebel des Parthenon zeigt den Streit zwischen Athena und Poseidon um das attische Land. Als Jacques Carrey 1674 die Skulpturen des Parthenon zeichnete, war dieses Giebelbild noch weitgehend intakt. Daher kennen wir die Abfolge der Figuren. Unschwer sind die beiden Kontrahenten in der Mitte des gewaltigen Bildes auszumachen. Alle weiteren Figuren sind jedoch nicht so leicht zu benennen. Seit Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Parthenon, die mit James Stuart und Nicholas Revett in der Mitte des 18. Jahrhunderts begann, wurden dazu unzählige Deutungsvorschläge entwickelt. Die hier vorgestellte Deutung trägt dem Konzept der vernetzten Bilder, aber auch der Prämisse Rechnung, dass im Zentrum der realen perikleischen-phidiasischen Bildpolitik der mythische Konflikt zwischen den Nachbarstädten Athen und Eleusis steht, der erst durch das blutige Ende des sogenannten eleusinischen Krieges überwunden werden konnte. Der Westgiebel stellt hiernach den alten politischen Zustand der verfeindeten Städte dar, wobei Athena natürlich Athen und Poseidon das unmittelbar am Meer gelegene Eleusis vertritt (Abb. 30). Das Kampfpaar wird zunächst von den Pferdewagen und deren Lenkern umrahmt, mit denen sie zum Ort des Wettstreits gereist waren. In Richtung der Giebelecken treten jeweils die Urkönige von Athen und Eleusis und deren Familienmitglieder auf. Links ist der schlangenleibige attische Urkönig Kekrops zu erkennen, umgeben von seinen drei Töchtern (Pandrossos, Aglauros und Herse) und seinem Sohn (Erysichthon). In der rechten Giebelhälfte thront Keleos, der alte König von Eleusis. Er wird begleitet von seiner Frau (Metaneira), seinem eigenen Kind (Triptolemos) und der durch die Göttin Demeter, der „Milchamme“ des Triptolemos, erweiterten „Großfamilie“, nämlich die ältere DemeterTochter (Persephone) und die beiden kleinen Zwillinge (Plutos und Bootes). Im Giebel wird Persephone gezeigt, wie sie den jugendlichen nackten „Adoptivbruder“ auf ihren Knien wippt, während Demeter ihre Zwillinge auf dem Schoß hält.3 Der römische Dichter Ovid berichtet in seinem poetischen Festkalender (Fasti) von der Aufnahme der Demeter im Haus des eleusinischen Herrschers. Hades, der König der Unterwelt, hatte Persephone, Demeters Tochter, geraubt. Auf der Suche nach der Tochter irrte Demeter als Bettlerin getarnt durch die Welt und wurde in Eleusis von Keleos und Metaneira aufgenommen und mit der Pflege ihres neugeborenen Sohnes Triptolemos beauftragt. Da Triptolemos die Milch der Göttin in sich aufnahm, erstarkte er selbst zu einem göttlichen Wesen. Als Demeter die verbliebenen sterblichen körperlichen Reste des Triptolemos über dem Feuer ausbrennen wollte, trat die leibliche Mutter Metaneira in den Raum, erschrak und unterbrach den Prozess. So musste Triptolemos ein Sterblicher bleiben. 53 | 23 | 26 | ABB. 23 Der Sonnengott Helios im Ostgiebel des Parthenon, Abguss, Gips, H 35 cm, B 126,5 cm, T 77 cm. Göttingen, Archäologisches Institut und Sammlung der Gipsabgüsse, Inv. A 149 (Kat. 96) | ABB. 24 Die Mondgöttin Selene im Ostgiebel des Parthenon, Abguss, Gips, H 71,5 cm, B 49 cm, T 52 cm. Göttingen, Archäologisches Institut und Sammlung der Gipsabgüsse, Inv. A 156 (Kat. 96) | ABB. 25 Der Berggott Olymp (sog. Dionysos) im Ostgiebel des Parthenon, Abguss, Gips, H 130 cm, B 178 cm, T 114 cm. Göttingen, Archäologisches Institut und Sammlung der Gipsabgüsse, Inv. A 151 (Kat. 96) | ABB. 26 Die Ortsnymphe Attike lehnt im Schoß der Hore Eirene („Frieden“), Ostgiebel des Parthenon, Abguss, Gips, H 122 cm, B 235 cm, T 94,5 cm. Göttingen, Archäologisches Institut und Sammlung der Gipsabgüsse, Inv. A 155 (Kat. 96) | ABB. 27 Die Schicksalsgöttinnen (Moiren) im | 24 54 | 25 | 27 Ostgiebel des Parthenon, Abguss, Gips, H 152 cm, B 170 cm, T 102,5 cm. Göttingen, Archäologisches Institut und Sammlung der Gipsabgüsse, Inv. A 152 (Kat. 96) 55 | 28 | 29 Helios 92 Olymp metopenplatten Der sogenannte Triglyphen-Metopenfries des Parthenon war vollständig mit Reliefplatten ausgeschmückt. Es ergeben sich 92 eigenständige Bilder, da der Parthenon 8 Säulen auf den Schmal- und 17 Säulen auf den Längsseiten besaß, wobei in dieser Zählung die Ecksäulen zweimal erscheinen. Die insgesamt 46 Säulen [(2×8)+(2×15)] verfügen über 46 Zwischenräume (Interkolumnien). Über jedem Interkolumnium waren zwei Metopenplatten angebracht, also 2×46=92. Die 92 Metopen erzählten jedoch nicht einen einzigen Mythos, vielmehr war jeder Gebäudeseite eine eigene Geschichte zugeordnet. Über der Eingangsseite im Osten war die Schlacht der olympischen Götter gegen die Giganten dargestellt. In den Peplos (siehe S. 64), der in zyklischem Rhythmus für die Panathenäen gefertigt wurde, war eben diese Gigantomachie kunstvoll eingearbeitet worden (vgl. Abb. 31). Dieses große Tuch wird nur wenige Meter unterhalb der Ostmetopen im 56 Drei Moiren Zentrum des Ostfrieses – als Höhepunkt des Panathenäenfestzuges – an die Priesterschaft überreicht (siehe Abb. 34). Im Westen kämpften die Athener gegen die Amazonen, die die Burg Athens belagert hatten. Theseus, der König von Athen, hatte die Amazone Antiope geraubt und zur Königin von Athen gemacht. In einem Rachefeldzug gelang es den kämpfenden Frauen vom Schwarzen Meer bis zur Burg des Theseus vorzudringen. Antiope jedoch kämpfte auf der Seite Athens und trug zum Sieg ihres Mannes bei. Im Süden berichteten 32 Figurenreliefs von einer gigantischen Saalschlacht: dem Angriff der pferdeleibigen Kentauren auf eine fürstliche Hochzeitsgesellschaft, die gerade die Vermählung einer Urenkelin des Erechtheus – somit einer „Ururenkelin“ der Athena – feierte. Vater der Braut (Hippodameia) war der berühmte Butes, Sohn des Athener Königs Pandion, Enkel des Erechtheus. Butes war der Gründer des enorm einflussreichen Athener Geschlechts der Eteobutaden. Nur Mitglieder aus diesem Geschlecht durften die Priester der Akropolis stellen.4 Athena Zeus Hera Hephaist Zeus Athena Drei Moiren Selene | ABB. 28 Die Geburt der Athena auf dem Madrider Puteal, Zeichnung nach dem Original in Madrid, Archäologisches Nationalmuseum, Inv. 2691 | ABB. 29 Geburt der Athena nach dem Ostgiebel des Parthenon, Deckel eines römischen Sarkophags, Marmor, 2. Jahrhundert n. Chr., H 116 cm. St. Petersburg, Eremitage, Inv. GR-4222 (A-433) | ABB. 30 Die Figuren im Westgiebel des Parthenon, Parthenon-Modell (Zustand des 17. Jahrhunderts), Basel, Skulpturhalle, Inv. SH 1772 | 30 57 | 32 Aphrodite Helena Palladion die iliupersis und das trojanische palladion | 31 Die 32 Bildplatten der Nordseite des Parthenon schilderten den Untergang der Stadt Troja in aller Ausführlichkeit. Demophon, der Sohn des Theseus und Kronprinz von Athen, tritt in Erscheinung, auch sehen wir Helena, die das allerheiligste Bildwerk der Stadt Troja (Palladion) zum Schutz vor dem Tod umgreift (Abb. 32). Die Athener Version zur Rückkehr der Griechen nach dem Trojanischen Krieg berichtet, dass das von den Griechen geraubte Palladion entweder bereits in Troja dem attischen Thronfolger Demophon überlassen wurde oder aber dass Demophon das Palladion erbeutete, als peloponnesische Schiffe (Diomedes von Argos) auf ihrer Rückreise von Troja in der Bucht vor Athen Rast machten und von den Athenern angegriffen wurden.5 ist das trojanische palladion das alte hölzerne kultbild im tempel der athena? | ABB. 31 Rotfiguriges Fragment eines Weinmisch- gefäßes (Krater) aus Athen mit der Darstellung der Gigantomachie, Ton, um 410 v. Chr., H 15 cm. Würzburg, Martin von Wagner Museum, Inv. H 4729 (Kat. 44) | ABB. 32 Helena und das Palladion, Nordmetope 25 des Parthenon, Marmor, 447–438 v. Chr. Athen, Akropolismuseum 58 Die Darstellungen der Geschichten von Demophon lassen die Vermutung zu, dass das trojanische Palladion als allerheiligstes Kultbild der Athena auch in Athen verehrt wurde. Trifft diese Annahme zu, dann stand das trojanische Palladion im Erechtheion auf der Akropolis, bis es von dort durch Kaiser Augustus nach Rom verschleppt wurde. Tatsächlich bestätigt eine römische Inschrift aus der Regierungszeit des Augustus, die bei den Ausgrabungen auf der Akropolis zum Vorschein kam, diese Annahme. Die Inschrift besagt, dass Augustus einem hohen römischen Beamten Athens den Auftrag erteilte, ein neues Kultbild der Pallas (héteron hédos tes palládos) anfertigen und aufstellen zu lassen.6 59 POSEIDEON POSEIDEON | 48 | ABB. 47 Statuette des Poseidon mit Dreizack (Kat. 54) | ABB. 48 „Poseidon-Tempel“ in Kap Sunion | ABB. 49 Prüfung von Pferd und Reiter, Schale des Dokimasia-Malers, Ton, rotfigurig, 1. Drittel des 5. Jh. v. Chr., H 11,5 cm, Dm 26,5 cm. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung, Inv. F 2296 | ABB. 50 Dokimasia auf dem Westfries des Parthenon (Kat. 51) | 49 | 50 | 47 78 79 MOuNICHION MOuNICHION | 63 | 64 | 62 | ABB. 62 Mädchen übergeben einen Korb auf dem Ostfries des Parthenon (Kat. 72) | ABB. 63 Kampf um den Leichnam des Achill, Westfries des Nike-Tempels auf der Athener Akropolis, Marmor, ca. 425 v. Chr. London, The British Museum, Inv. 1816,0610.161 | ABB. 64 Kampfszene des „eleusinischen“ Krieges auf | 65 der mittleren Platte des Südfrieses vom Athener Nike-Tempel | ABB. 65 Der „eleusinische“ Krieg auf dem Südfries des Nike-Tempels, Athen, Akropolismuseum 86 87 KATALOG vinzenz brinkmann 1. MONAT HEKATOMBAION 2 1 Peplosdedikation, Abschnitt aus dem Cellafries des Athener Parthenon, Platte Ost V (Fig. 33–35), um 435 v. Chr. (moderner Abguss) Schwarzfigurige Preisamphora für die Sieger in den panathenäischen Athletenwettkämpfen, um 470 v. Chr. 3 Weißgrundiges Salbölgefäß (Lekythos) aus Athen mit der Darstellung der Vorbereitung eines Opferrituals, um 450 v. Chr. 4 5 Zum Wurf des Diskus antretender nackter Mann („Diskophoros“), römische Wiederholung eines griechischen Originals des Naukydes aus der Zeit um 390/380 v. Chr. Extrem verkleinerte Kopie der Goldelfenbeinstatue der Athena Parthenos von Phidias (sog. „Athena Lenormant“), aus Athen (moderner Abguss, nach dem Original in Athen, Nationalmuseum, Marmor, um 430 v. Chr., Inv. 128) Ton, H 44,9 cm. Frankfurt am Main, Liebieghaus Gips, H ca. 100 cm. Basel, Skulpturhalle Basel, Skulpturensammlung, Inv. St. V. 2 Ton, H 36 cm. Frankfurt am Main, Institut für Archäolo- Marmor, H 176,5 cm. Frankfurt am Main, Liebieghaus Inv. PFO_05_c Deppert 1968, Taf. 41, 1–2 gische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt Skulpturensammlung, Inv. 2608 am Main, Abt. I, Klassische Archäologie, Inv. 1 Bol 1996; Brinkmann 2013, S. 30 ff., Kat. 20 Gleich mehrere Preisamphoren wurden mit Olivenöl gefüllt, um die Sieger in den athletischen Wettkämpfen der Panathenäen zu ehren. Die Vorderseite dieser „Pokale“ ist immer mit dem Bild der Athena, die in voller Rüstung auftritt, verziert. Auf der Rückseite erscheint eine „Momentaufnahme“, die die jeweilige Sportdisziplin ins Bild setzt. Im Falle der Frankfurter Amphora zeigen drei nackte Läufer die antike Sportart des dromos an. unter dromos verstand man Kurz- und Langstreckenlauf, aber auch den Waffenlauf, der jedoch nicht auf der Amphora wiedergegeben ist. Die Panathenäen waren das wichtigste Fest im antiken Athen und hatten überregionalen Charakter. Neben der feierlichen Prozession, die durch die Stadt auf die Akropolis führte, waren die Festtage durch musische und athletische Wettkämpfe bestimmt. Mayer-Emmerling/Vedder 1994, 1–3; 21, 1 Wesenberg 1995, S. 149–164 Für die Frankfurter Athen-Ausstellung wurden zwölf verschiedene Abschnitte des Parthenonfrieses ausgewählt und in Bezug zu jedem Monat des attischen Jahres gestellt. Dieses Experiment geht von den Beobachtungen verschiedener namhafter Archäologen (Burkhardt Wesenberg, Erika Simon, Joan Boardman, Helga Heintze u. a.) aus, denen bei der Beschäftigung mit dem Fries aufgefallen war, dass zahlreiche Details unterschiedlichen Festen und somit unterschiedlichen Monaten zuzuordnen sind. Am deutlichsten sprach sich Evelyn Byrd Harrison für die mögliche Verbindung zwischen der Frieskomposition und dem Zyklus des attischen Jahres aus. Ein Kind überreicht einem lang gewandeten Erwachsenen ein mehrfach gefaltetes Tuch (Peplos). Dieses Tuch war neun Monate lang gewebt worden, um anlässlich des Panathenäenfestes im Monat Hekatombaion übergeben zu werden. 150 Auf dem Frankfurter Salbölgefäß stehen sich zwei Frauen in einem Innenraum, der durch Hocker und Spiegel gekennzeichnet wird, gegenüber. Im großen und flachen Korb, der von der rechten Frau getragen wird, liegen Kränze und Binden, die für ein kommendes Opferritual bestimmt sind. Gips, H 41 cm. Frankfurt am Main, Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Die nackte männliche, zum Diskuswurf antretende Gestalt ist wahrscheinlich von Naukydes, einem Schüler des Polyklet – Zeitgenosse des Phidias –, geschaffen worden (vgl. Plinius NH 34.80). umstritten ist die Deutung der Figur. Zuletzt wurde eine ältere Deutung als Sportler im Mythos (Hyakinthos oder Apoll) vorgeschlagen. Zumeist ist der antretende Diskobol als Siegerstatue eines Pentathleten verstanden worden. (In Olympia war der Diskuswurf keine eigenständige Disziplin, sondern eine von fünf Sportarten des sog. Pentathlon.) Die panathenäischen Festspiele in Athen, die von Erechtheus eingerichtet worden sein sollen, boten neben den Laufwettbewerben, dem Ringen, Boxen, Speer- und Diskuswurf auch sportliche Wettkämpfe im Pferde- und Wagenrennen. Frankfurt am Main, Abt. I, Klassische Archäologie, Inv. A 232 Kaltsas 2002, S. 106, Kat. 190; Stemmer 1995, S. 174, Kat. B 37 Die winzige römische Kopie des über zehn Meter hohen, kolossalen Kultbildes der Athena Parthenos, das Phidias 437 v. Chr. fertiggestellt hatte, ist sehr flüchtig gearbeitet, gibt jedoch wertvolle Informationen zu den Relieffiguren auf der Basis und der Schildaußenseite des Originals. Auf der Basis war die „Geburt“ der Pandora, der ersten Frau der Menschheit, dargestellt, deren Schöpfer Athena und Hephaist waren. Das Zentrum der Schildaußenseite bestimmt das Haupt der Gorgo Medusa. Das phidiasische Original bestand aus Elfenbein und mehr als 1000 kg Gold. Dieses Gold bildete angeblich einen Teil des Schatzes des delisch-attischen Seebundes (Thukydides 2,13,4–5). Athena hielt in ihrer Rechten Nike, die Siegesgöttin. Der vier Meter hohe Schild lehnte an der linken Seite und wurde von ihrem „Sohn“ Erechtheus (Erichthonios) in seiner Erscheinungsform der Schlange gestützt. 151 6 7 Schildfragment von einer verkleinerten Kopie der phidiasischen Goldelfenbeinstatue der Athena Parthenos (sog. „Strangford Shield“), aus Athen (moderner Abguss, nach dem Original in London, The British Museum, Marmor, 200–300 n. Chr., Inv. 1864,0220.18) Gorgoneion, römische Marmorkopie, vielleicht des Schildzeichens der phidiasischen Goldelfenbeinstatue der Athena Parthenos (sog. „Medusa Rondanini“), (moderner Abguss, nach dem Original in München, Glyptothek, um 120/130 n. Chr., Inv. 252) Gips, H 43 cm. Frankfurt am Main, Institut für Archäolo- Gips, H 39 cm. Göttingen, Archäologisches Institut gische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt der Universität Göttingen, Sammlung der Gipsabgüsse, am Main, Abt. I, Klassische Archäologie, Inv. A 233 Inv. A 230 a Strocka 1967, S. 14 ff., Abb. 2 Brinkmann 2008b; Knauß 2012, Kat. 442 Das Schildfragment zeigt den Angriff der Amazonen auf die Athener Akropolis. Der Machtpolitiker und Kulturstifter Perikles und der Bildhauer und Generalintendant Phidias erscheinen als Krieger des attischen Mythos: unterhalb des Zentrums des Schildes – des Hauptes der Medusa – kämpfen sie Rücken an Rücken, wobei Phidias an seiner Stirnglatze zu erkennen ist. Dieses als römische Kopie überlieferte Gorgonenhaupt zierte womöglich die Mitte des Schildes der Goldelfenbeinstatue der Athena Parthenos, die Phidias, Bildhauer und Generalintendant des perikleischen Kulturprogramms, geschaffen hatte. Die römische Wiederholung in Marmor befand sich im Besitz der römischen Familie Rondanini. Dort konnte sie Johann Wolfgang Goethe bewundern. Später hat sie der bayerische Kronprinz Ludwig erworben und Goethe einen Abguss zukommen lassen. Das „schöne“ Gesicht entspricht nicht mehr der Fratze der archaischen Gorgoneia, es ist jedoch – anstelle der Haare – von Schlangen umgeben. 152 8 Westgriechische Statuette der Göttin Athena, um 450 v. Chr. Bronze, H 14,9 cm. Frankfurt am Main, Liebieghaus Skulpturensammlung, Inv. 1540 9 10 Statuette der Athena, verkleinerte römische Wiederholung eines griechischen Originals aus dem Umkreis des Phidias aus der Zeit um 440 v. Chr., 1. Jahrhundert n. Chr. Rotfiguriges Weingefäß (Pelike) aus Athen mit der Darstellung der Geburt der Athena aus dem Kopf des Zeus, um 450 v. Chr. Bol/Weber 1985, Kat. 52 Bronze, H 13,8 cm. Frankfurt am Main, Liebieghaus Die kleine Figur zeigt Athena im langen Gewand mit Ziegenfell (Ägis) und einem stolenartigen Stoff über den Schultern. In ihrer Linken hielt sie die Lanze, auf dem Kopf trägt sie den korinthischen Helm. Die kleine Figur zeigt Athena im langen Gewand mit Ziegenfell (Ägis). Sie stützt ihre Linke auf die Lanze, während sie in der Rechten eine Schale zum Trinkopfer senkt. Die kleine Figur wiederholt zusammen mit weiteren kleinformatigen Repliken ein griechisches Vorbild, das mit dem Wirken des Phidias in Verbindung steht. Athena des Myron, aus Rom, Gärten des Lucullus, augusteische Wiederholung nach einer klassischen Bronzegruppe aus der Zeit um 450 v. Chr. Ton, H 41,5 cm. London, The British Museum, Inv. 1849,0620.14 Marmor, H 173,5 cm. Frankfurt am Main, Liebieghaus Demargne 1984; Williams 2013, S. 55; Jenkins 2015, S. 150 Skulpturensammlung, Inv. 195 Brinkmann 2013, S. 46 ff. Skulpturensammlung, Inv. 1542a Bol/Weber 1985, Kat. 62 11 Athena entspringt dem Kopf des Zeus in voller Rüstung. Der „Kopfgeburt“ wohnen Poseidon, Artemis und Dionysos bei. Den gebärenden Zeus umgeben Hephaist, der gerade mit seiner Doppelaxt den Schädel des Göttervaters geöffnet hat, und Eileithyia, die göttliche Geburtsamme. Die antiken Schriftsteller berichten von einer bronzenen Statuengruppe, die Myron, der berühmte Bildhauer und Zeitgenosse des Phidias, auf der Athener Akropolis unweit der Westseite des Parthenon aufgestellt hatte. Die Gruppe zeigt den Satyr Marsyas, der die Doppelflöte, die die mädchenhafte Athena gerade fortgeworfen hat, entdeckt und aufheben wird. Zahlreiche römische Marmorskulpturen haben dieses Original wiederholt. Die Frankfurter Statue stellt die schönste erhaltene Wiederholung der Figur der Athena dar. 153