Aus der Jüdischen Welt: Sendung vom

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Aus der Jüdischen Welt:
Sendung vom März 2012
Daniel Neumann
Ethischer Monotheismus – Leuchtfeuer für die Menschheit
Es ist nun gut ein Jahrhundert her, da revolutionierte ein jüdischer Wissenschaftler unser Verständnis von Raum und Zeit. Und mit dem physikalischen Nachweis der von Albert Einstein zu
Beginn des 20. Jahrhunderts erarbeiteten Relativitätstheorie sickerte auch eine weitere vermeintliche Erkenntnis in die Köpfe der Menschen ein, nämlich die, wonach alles in der Welt relativ ist.
Dabei ging es Einstein nicht im Entferntesten darum, die Relativitätstheorie als Nachweis für die
Eingeschränktheit gesellschaftlicher, politischer, kultureller oder religiöser Modelle zu gebrauchen. Vielmehr bezog sich seine Theorie ausschließlich auf die Relativität von Zeit und Raum
unter Berücksichtigung unterschiedlicher Standpunkte des Beobachters.
Das änderte jedoch nichts daran, dass fortan eine Form des Denkens Einzug hielt, die alles als
relativ erachtete. Alles sei lediglich eine Frage des Standpunktes.
Politische Modelle sind relativ, kulturelle Errungenschaften sind relativ und wie wir alle wissen,
liegt Schönheit ja schließlich auch im Auge des jeweiligen Betrachters.
Und was ist mit den zumindest in der westlichen Welt so viel gepriesenen unveräußerlichen
Menschenrechten? Alles eine Frage des Standpunktes. Das dürften auch die theokratischen oder
diktatorischen Herrscher der meisten arabischen oder afrikanischen Staaten unterschreiben. Und
da wir ja alle so tolerant und weltoffen sind, tolerieren wir das natürlich auch.
Und die Moral? Gibt es denn keine universelle Moral? Sofern Sie die Relativisten fragen, können
Sie sich die Antwort selbst geben. Alles ist eben relativ, richtig?
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Stellen Sie diese Frage einem traditionellen Juden und Sie bekommen als Antwort ein vehementes „Falsch!“. Für einen Juden sind diese Ideen, Konzepte und Erklärungsversuche vollkommen
abwegig. Denn für uns gibt es ein elementares und tiefgreifendes Konzept, das im krassen Widerspruch zu allen Relativierungsversuchen steht. Es ist absolut und unteilbar, zeitlos und universell:
Der ethische Monotheismus.
Es ist die untrennbare Verknüpfung des Glaubens an den einen und einzigen G“tt und seine ethische und sittliche Ausprägung. Der Ewige ist einzig, allmächtig und unendlich und deshalb nicht
nur Schöpfer des Universums, der Welt und alles Lebenden, sondern konsequenterweise auch
Schöpfer und Quelle einer absoluten Moral.
Kritiker und Relativisten dieser jahrtausendealten Vorstellung führen allerlei Erklärungsmodelle,
Ideologien und Philosophien ins Feld, um die Idee von absoluten Werten, von unveräußerlichen
Rechten und von G“tt als dem einzigen Ursprung moralischer Grundüberzeugungen zu torpedieren und für veraltet und überkommen zu erklären.
Doch um ehrlich zu sein, ist mir bis heute noch keine Erklärung zu Ohren gekommen, die in der
Lage gewesen wäre, ernsthafte Zweifel an den Grundfesten dieser universellen Idee zu wecken.
Denn wenn wir den ethischen Monotheismus ablehnen, woher kommt dann Moral?
Sicher, es gibt Erklärungsversuche. Etwa den, wonach Moral sich während der Evolution entwickelt hat, also quasi eine evolutionäre Begleiterscheinung sei. Oder den, wonach Moral ein dem
Menschen schon seit jeher innwohnender Wert sei.
Doch wenn sie sich entwickelt hat, woraus hat sie sich dann entwickelt?
Und wenn sie ein dem Menschen innewohnender Wert ist, wie und weshalb ist sie dort entstanden? Woher wissen wir, was gut oder schlecht, was richtig oder falsch ist?
Ein Mensch, der nicht an eine absolute Moral glaubt, kann unmöglich an „das Richtige“ und „das
Falsche“ glauben. Er kann sich Meinungen darüber bilden, was er für richtig oder falsch hält. Er
kann etwas subjektiv für gut oder schlecht erachten, aber für ihn gibt es keine objektive Wirklichkeit, die ihm absolute Werte vermittelt.
Ob etwas für gut oder schlecht erachtet wird, hängt dann nämlich von persönlichen Empfindungen, von Meinungen und gesellschaftlichen Stimmungen ab.
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Die Geschichte aber hat uns gelehrt, dass wir uns auf die Gesellschaft in dieser Frage nicht verlassen können. Ideologien wie der Kommunismus und insbesondere der Nationalsozialismus haben uns im vorigen Jahrhundert auf erschreckende Weise vor Augen geführt, wozu Gesellschaften fähig sind, deren Moral auf einem eigenen Welt- und Werteverständnis beruht.
Aus Sicht der Nazis und ohne objektives Werte-Korrelativ fühlten sie sich im Recht, als sie damit
begannen, den größten industrialisierten Völkermord der Geschichte auszuführen.
Sie bewerteten die Reinheit der arischen Rasse schlicht höher, als das Recht eines Juden auf
Würde, körperliche Unversehrtheit und Leben. Warum auch nicht, wenn es keinen objektiven
moralischen Maßstab gibt, an dem sich diese Entscheidung messen muss?
Und obwohl Deutschland seinerzeit als Kulturnation galt, hinderte es die deutsche Gesellschaft
nicht daran, alle Grundlagen zivilisierten Zusammenlebens durch millionenfachen Mord über
Bord zu werfen und diese Monstrosität schließlich auch noch vor sich selbst und der Welt zu
rechtfertigen. Warum auch nicht, wenn es kein anerkanntes und als absolut verstandenes
g“ttliches Gebot gibt, das uns das systematische Morden von Unschuldigen verbietet?
Kultur, Zivilisation und eine hoch gebildete Gesellschaft allein sind keine Garanten dafür, das
Gute, das Richtige zu tun.
Oft wird noch bis heute die Frage gestellt, wie eine Kulturnation wie Deutschland, die Goethe,
Schiller und Beethoven hervorgebracht hat, etwas wie Auschwitz habe schaffen können.
Eine Antwort lautet, dass Ausschwitz gerade deshalb möglich war. Denn Kultur und Bildung
sind nicht gleichbedeutend mit Moralität und ethischem Verhalten. Kultur, Bildung und Wissen
sind nicht aus sich heraus moralisch. Oder wie es Rabbi Joseph Soloveitchik, einer der bedeutendsten Rabbiner des vorigen Jahrhunderts ausdrückte: „Die größte Lektion des 20. Jahrhunderts
ist, dass wir aufhören müssen, Zivilisation mit Anstand, Wissen mit Weisheit und Kultur mit Moral zu verwechseln.“
Wir Juden haben dies seit tausenden von Jahren verinnerlicht und wissen, dass wir in dem Moment, in dem wir den Ursprung moralischer Werte von seiner eigentlichen Quelle trennen, der
Amoralität Tür und Tor öffnen.
Der amerikanische Theologe Will Herberg schrieb darüber in seinem Buch „Judaism and Modern
Man“:
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„Der Versuch, der in den letzten Jahrzehnten von säkularen Denkern gemacht wurde, die moralischen Prinzipien der westlichen Zivilisation von ihrem auf den Schriften basierenden religiösen
Kontext zu lösen, in der Gewissheit, sie könnten ein Eigenleben als humanistische Ethik leben,
hat zu unserer sog. Schnittblumen-Kultur geführt. Schnittblumen behalten ihre ursprüngliche
Schönheit und ihren Duft zunächst. Allerdings nur so lange, wie sie die Lebenskraft behalten, die
sie aus ihren mittlerweile abgeschnittenen Wurzeln ziehen. Wenn diese erschöpft ist, verwelken
und sterben sie. Genau so ist es mit Freiheit, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und persönlicher Würde - die Werte, die das moralische Fundament unserer Zivilisation darstellen. Ohne die belebende
Kraft des Glaubens, aus der sie entstanden sind, besitzen sie weder Sinn noch Vitalität.“
Ein Jude, zumindest ein traditioneller, läuft so schnell nicht Gefahr, die ethischen Grundlagen
unserer Zivilisation abzustreifen und deren Ursprung zu verleugnen. Dafür sorgt nicht nur sein
unbedingtes Vertrauen in den Schöpfer, sondern auch ein weiteres Werkzeug, dessen er sich dauernd bedienen kann, um die moralischen Grundlagen unserer Zivilisation nicht zu verwässern.
Mit der Tora hat G“tt uns ein Handbuch mit auf den Weg gegeben, um ein moralischer Mensch
zu werden. Eine Anleitung, um uns und der Welt ethisches Verhalten zu vermitteln. Oder einfacher gesagt: ein guter Mensch zu sein.
Denn „Gutsein“ erklärt sich nicht aus sich selbst heraus.
Um wirklich gut zu sein und Gutes zu tun, bedarf es einer Gebrauchsanweisung.
Das heißt nicht, dass es nicht auch möglich wäre, abseits der Kenntnis der Tora und sämtlicher
g“ttlicher Gebote moralisch zu handeln und Gutes zu tun.
Doch um eine konsequente Umsetzung dieser Ideale und Prinzipien zu erreichen, ist es einfach
notwendig, dass diese zusammengefasst, systematisiert und als Gesetze mit verbindlichem Charakter verstanden werden.
Als G“tt mit uns Juden den Bund am Berg Sinai schloss und uns sein Gesetz offenbarte, hat er
uns gleichzeitig den Auftrag erteilt, uns auf eine Mission zu begeben. Die Mission, die g“ttlichen
Gesetze zu leben und zu verkünden. Als Vorbild für die Menschheit zu dienen und die Vision
eines friedlichen Zusammenlebens zu fördern. Ein Licht unter den Nationen zu sein und so elementare Grundwerte wie das Verbot des Mordens, des Stehlens oder des Ehebruchs zu verbreiten. Und wir Juden verpflichteten uns, die Idee des ethischen Monotheismus in die Welt zu tragen. Als Leuchtfeuer für die ganze Menschheit.
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Sicher, es lässt sich kaum leugnen, dass es auch unter Juden Mörder, Diebe und Ehebrecher gibt.
Deshalb: Wenn sie sich mit einem Blick auf unsere Welt nun fragen, wie weit wir denn mit der
Verbreitung unseres jüdischen Leuchtfeuers bisher gekommen sind, so kann die Antwort nur lauten: noch nicht weit genug. Relativ gesehen zumindest.
Ich wünsche Ihnen einen guten Shabbat. Shabbat Shalom.
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