Auszug aus dem Buch 'Drehleier spielen'von Riccardo Delfino und Matthias Loibner erschienen im Verlag der Spielleute (www.spielleute.de) ISBN 978-3-927240-47-6 AN H A N G ZUR N O TAT I O N DER DREHLEI ER Durch das Aufschreiben eines Musikstückes kann dessen äußere Form festgehalten werden. Die Notation ist daher eine große Hilfe zur Erinnerung und Weitergabe von Stücken oder Ideen. Ist man mit der Notation von Musik vertraut, wird es oft leichter, sich mit anderen Musikern über Ideen und Interpretation von Musik zu verständigen. Da die Notation von Musik nicht direkt mit deren Ausführung verbunden ist, eignet sie sich hervorragend zum Entwickeln neuer Ideen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß Noten nie den Gehalt von Musik wiedergeben können. Daher ist das eigene Gehör und Gefühl das einzige Vorbild zum Erlernen und Wiedergeben von Musik. Die wichtigste Anforderung an die Notation ist eine möglichst gute Lesbarkeit. Es ist vernünftig, ein Musikstück nicht bis in die kleinste Einzelheit zu notieren, sondern möglichst sparsam und übersichtlich alles Notwendige aufzuschreiben, um so einen verständlichen Gesamteindruck zu vermitteln. Abgesehen von der gängigen Notation gibt es für alle Instrumente zusätzliche Zeichen, die vor allem die spieltechnische Ausführung betreffen. Wir haben hier anhand von bereits gebräuchlichen und etablierten, sowie einigen neu erfundenen Zeichen eine Notationsform für die Drehleier zusammengestellt, die möglichst viele Eventualitäten abdeckt. N OTATION DER D REH LEI ER Das Notensystem Die Drehleier wird in zwei Systemen notiert, wobei das erste für die Melodie-, das zweite für die Schnarrstimme steht. Die Melodiestimme wird in einem 5-zeiligen System im Violinschlüssel, eine Oktave tiefer oder loco (nicht transponierend) notiert. Die Schnarrstimme wird in einem einzeiligen System, oder bei Verwendung mehrerer Schnarren, in einem mehrzeiligen System dargestellt. Die Stimmung Vor dem System wird die Stimmung der einzelnen Saiten am Rad angegeben. Sollen mehrere verschieden gestimmte Melodiesaiten klingen, reicht es, eine Stimme zu notieren. Dabei wird die notierte Saite, die vor dem Notensystem angegeben wird, durch einen Kreis markiert. z.B.: Melodie: g’ d Schnarre: c’ Bordun: c 140 AN H A N G ZUR N O TAT I O N Sollen in einem Stück Saiten ein- oder ausgehängt werden, wird dies in einer eckigen Klammer dargestellt. g’ c’/ g c’/g Dynamik, Phrasierung etc. Für die Bezeichnung der Dynamik, Phrasierung, Artikulation oder des Charakters eines Musikstückes werden die in Klassik und Jazz üblichen Zeichen verwendet. Pausen in der Melodie Als übliche Ausführung eines Drehleierstückes wird angenommen, daß die Kurbel ständig bewegt wird, d. h. es klingen ständig alle eingehängten Saiten. Bei Pausen in der Melodie wird also die Kurbel weitergedreht, die Phrasierung wird von der linken Hand ausgeführt. Dabei klingt in den Pausen (auch staccato und Atempausen) die leere Melodiesaite, die aber in den meisten Fällen als Bordun wahrgenommen wird (siehe auch Kapitel II.2, S. 33 und S. 35 Ü35b und Ü35c). Ebenso bedeuten Pausen in der Schnarrstimme lediglich, daß kein Schnarrton gespielt wird, der Ton der Schnarrsaite klingt weiter. Soll die Drehbewegung kurz unterbrochen werden, verwendet man ein Atemzeichen , sowohl im Melodie- als auch im Schnarrsystem. Will man bei längeren Passagen darstellen, daß Pausen oder die Phrasierung der Melodie durch Unterbrechungen in der Drehbewegung ausgeführt werden sollen (bogentechnisch), wird folgendes Zeichen über dem Notensystem verwendet: Um darzustellen, daß die Kurbel wieder ohne Unterbrechungen gedreht werden soll, wird als Gegenstück dazu dieses Zeichen verwendet: Diese Zeichen können sich in einem Musikstück abwechseln. Schlagarten Schlagarten werden unter dem System durch die Abkürzung „c“ für „coup“ (frz.: Schlag), und einer Zahl zur Bezeichnung der jeweiligen Schlagart notiert. Nach einem Schrägstrich steht der Notenwert der mit einem Abschnitt der Schlagart zu spielen ist. z. B.: c.4/¤ bedeutet: im Viererschlag, eine viertel Umdrehung entspricht einer Achtelnote. Werden in einem Stück mehrere Schlagarten verwendet, können sie zusammen am Anfang eines Stückes notiert werden. z. B.: c.4/¤ & c.3/¢ oder: c.4/¤ (= c.8/¦ ) AN H A N G ZUR N O TAT I O N 141 Schnarrtöne Da ein Schnarrton üblicherweise kurz gespielt wird, ist es meist zu umständlich, dessen genaue Dauer festzuhalten. Daher stehen üblicherweise schwarze Noten für kurze Töne und weisse Noten für lange Töne, außer wenn die Phrasierung durch weitere Zeichen anders angegeben wird. kurze Schnarrtöne lange Schnarrtöne Flageolet-Töne Flageolets werden durch zwei übereinanderliegenden Noten dargestellt. Der gegriffene Ton wird von einer gewöhnlichen Note, der leicht angetippte durch einen Rhombus dargestellt. Notation Klang Bordune, Resonanzsaiten Sollen zusätzliche Ereignisse dargestellt werden, wie z.B. Zupfen von Bordun- oder ResonanzSaiten, sind je nach Komplexität weitere Zeichen oder zusätzliche Systeme (eventuell nur passagenweise) erforderlich. z.B.: g’ alle Resonanzsaiten zupfen g G Bordun zupfen g’ Resonanzsaiten g Bordune pizz. 142 AN H A N G ZUR N O TAT I O N Z EICH EN FÜR DI E LI N KE H AN D Fingersatz 0 1 2 3 4 D oder P -- leere Saite Zeigefinger Mittelfinger Ringfinger kleiner Finger Daumen („pouce“ = frz.: Daumen) (zwischen zwei Ziffern des Fingersatzes) Lagenwechsel (unter dem Fingersatz) Finger bleibt liegen dasselbe über mehrere Takte Schnarre Z EICH EN mit dem Finger die Schnarre abdämpfen FÜR DI E RECHTE H AN D Schnarre c.1, c.2, etc. Schlagarten (frz.: „coup“ = Schlag) c.4/¤ Ein Abschnitt der Schlagart entspricht dem angegebenen Notenwert (hier c.4/ 1/4Umdrehung = ¤ r.1, r.2, etc. Richtung 1, Richtung 2 in der jeweiligen Schlagart r.3/6 Richtung 3 im Sechserschlag etc. Pfeile in verschiedene Richtungen mit oder ohne Kreis, (Drehrichtung = Uhrzeigersinn) geben die Richtung eines Schnarrimpulses an Ein Schnarrton wird mit der angegebenen Anzahl an Umdrehungen gespielt unisono die Schnarre spielt im Rhythmus der Melodie c.libre frei, ohne Schlagart c.4/¤ s.t. eine Schlagart ausführen ohne Schnarrsaite am Rad („sans trompette“ = frz.: ohne Schnarre) Bogentechnik Atempause; bei Atemzeichen in beiden Systemen wird die Drehbewegung auf Kosten des vorhergehenden Tones kurz unterbrochen das Rad wird ständig gedreht, auch bei Pausen in den Noten (die linke Hand führt die Phrasierung aus) die Drehbewegung wird bei Pausen und der Phrasierung entsprechend unterbrochen (die rechte Hand führt die Phrasierung aus) hit bzw. geschlagen shake bzw. schütteln in Drehrichtung gegen die Drehrichtung AN H A N G ZUR N O TAT I O N 143 Zur Arbeit mit diesem Buch mit Drehleiern in anderen Stimmungen Will man mit diesem Buch arbeiten, spielt aber eine Drehleier, die nicht in C/G gestimmt ist, sind alle Übungen so zu spielen, als ob die Melodie-Saite auf g’ gestimmt ist (s. a. T ÖNE DER TASTATUR , S. 14). Vor dem Notensystem ist außerdem die Stimmung der verwendeten Schnarr- und Bordunsaiten angegeben. Folgende Tabelle mag beim Übertragen der angegebenen Bordun- und Schnarrsaiten in die eigene Stimmung helfen. Stimmung: C/G G/D D/A A/E F/C B/F c g d a f b g d a e c f d a e h g c Die Drehleier für Komponisten Die Entwicklung der Drehleier ist heute sowohl bau- als auch spieltechnisch auf einem Stand angelangt, an dem es für Komponisten interessant wird, ihre vielfältigen Klangmöglichkeiten (unter anderem im elektro-akustischen Bereich) zu nutzen. Hier soll für interessierte Komponisten und Arrangeure eine kurze Zusammenfassung über die Funktionsweise der Drehleier gegeben werden. Da es keinen Standard für Bau und Stimmung der Drehleier gibt, und somit jeder Musiker über sein individuelles Instrument verfügt, ist es unumgänglich, für einen bestimmten Musiker zu schreiben und sich mit dessen Instrument und seinen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Die Drehleier verfügt über drei bis vier unterschiedliche Klang-Komponenten. 1. Die Melodiesaiten: bis zu 5, mindestens 1, sehr häufig 2 Saiten, in unterschiedlicher Stimmung, die vom Rad gestrichen werden, und allein oder in allen Kombinationen in Realmixtur gleichzeitig gespielt werden können. Sie werden mit der linken Hand über eine - sich nach oben verengende - chromatische Tastatur und eine damit verbundene Tangenten-Mechanik abgegriffen. Der Tonumfang beträgt je nach Bauart bis zu drei Oktaven, meist jedoch nur zwei, wobei oft der Halbton unter der zweiten Oktave fehlt. Das dynamische Spektrum der Melodiesaiten ist kleiner als bei anderen Streichinstrumenten (etwa p bis mf). Mit der durch wechselnde Drehgeschwindigkeit erzeugten Dynamik geht auch eine klangliche Veränderung einher (je höher die Drehgeschwindigkeit, desto mehr werden die tieferliegenden Obertöne hörbar). Auf den Melodiesaiten sind künstliche flageolets (nicht im piano) und stufenlose glissandi bis zu einer kleinen Terz spielbar (je höher, desto leichter). 2. Die Schnarre: je nach Bauart 1 bis 4 bewegliche Stege, die durch Impulse oder Beschleunigen der Drehbewegung durch die rechte Hand über eine ständig in gleicher Tonhöhe klingende Saite in Vibration versetzt werden und so ein perkussives oder andauerndes Geräusch erzeugen. Die Schnarren sind rhythmisch und dynamisch von der Melodie unabhängig spielbar. Durch ihre längere Einschwingzeit können sie nach Pausen nicht gleichzeitig mit dem Ansatz der Melodie gespielt werden. Ihre Dynamik ist vor allem unter Verwendung mehrerer Schnarren grösser als die der Melodiesaiten. Durch Festhalten mit der linken Hand können sie auch unabhängig voneinander gespielt werden (dabei ist keine Melodie möglich). Auf den durch das Rad gestrichenen Saiten können mit der linken Hand verschiedene Töne gespielt werden (Intonation kann je nach Bauart sehr schwierig sein). Schnarrsaiten können, wenn sie nicht am Rad sind, je nach Bauart in verschiedenen Tonhöhen pizzicato gespielt werden. 3. Die Bordune: 1 - 5 Saiten, die vom Rad gestrichen werden und mit geringer Dynamik tiefe Pedaltöne erzeugen. Unterschiedliche Tonhöhen können zusätzlich durch das Abgreifen mit der linken Hand erzeugt werden (nur bedingt möglich beim gleichzeitigen Spiel auf der Tastatur, Intonation kann je nach Bauart sehr schwierig sein). Sie können ausgehängt in derselben Tonhöhe wie ihr gestrichener Klang gezupft werden. 4. Die Resonanzsaiten: 0 - 12 durch die Resonanz des Instrumentes mitschwingende Saiten, die nicht am Rad liegen. Sie können auch pizzicato gespielt werden. Zum Ein- und Aushängen einzelner Saiten, muß mit 1-2 Sekunden gerechnet werden. 144 AN H A N G ZUR N O TAT I O N