mountain - Festival da Jazz

Werbung
mountain
christian
jott jenny
MIT 35 JAHREN IST DER SCHWEIZER TENOR BEREITS
AUF DEM GIPFEL ANGEKOMMEN: FÜR DAS FESTIVAL DA
JAZZ IN ST. MORITZ HOLT ER DIE STARS AUF 2454 METER.
redaktion CHRISTINE MARIE HALTER-OPPELT
SI STYLE MOUNTAIN: Wie hat das Jahr
für Sie begonnen?
Christian Jott Jenny: Ich geniesse es
momentan, den Tag relativ relaxt anzugehen. Meine Tochter am Morgen zu den
Grosseltern zu bringen, Leute zu treffen.
Bis im Juni stehe ich auf der Bühne am
Theater Rigiblick. Wir hatten am 6. Februar Uraufführung mit der Revue «Euse
Rainer chönnt das au!» – eine liebevollwahnwitzige Hommage an die Schweizer Kabarettistin und Schauspielerin
Margrit Rainer. Und im Hinterkopf bin
ich auch schon dran, das Programm fürs
Festival da Jazz in St. Moritz vom 10. Juli
bis zum 10. August zusammenzustellen.
In Ihrer E-Mail-Signatur steht «Tenor & Seiltänzer». Sie haben Adressen
in Berlin und Zürich. Können Sie uns
das bitte erklären!
Tenor ist der einzige Beruf, den ich gelernt habe. Der Seiltänzer interessiert
mich als Bild – im übertragenen Sinn.
Ich habe Freddy Nock kennengelernt;
was er macht, fasziniert mich. Viele
­meiner Engagements führen mich nach
Berlin, wo ich eine Wohnung habe. Ich
fühle mich als Europäer, aber letztlich
bin ich ein eingefleischter Zürcher.
Foto: Matthias Heyde
Ihre Gesangskarriere begann im
Alter von sechs Jahren. Macht Sie das
zu einem reifen Künstler?
Ich bezeichne mich schon lange nicht
mehr als jung, und reif bin ich dann,
wenn ich ins Grab steige.
Auf welcher Karrierestufe stehen Sie?
Da halte ich mich an das Sprichwort:
«Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört zu werden.» Ich bin lieber auf dem
Weg. Ich habe den grossen Luxus, dass
ich von dem lebe, was ich mache. Ich
kann tun und lassen, was ich will. Das
reicht mir an und für sich.
Das Publikum kennt Sie als Opernsänger, Kabarettist und Festival­
macher. Als was sehen Sie sich?
Ich bin jemand, der versucht, künstle­
rische Fragen in Stücke umzusetzen und
diese auf die Bühne zu bringen. Das
mache ich schon ziemlich lange sehr
­
konsequent, worauf ich stolz bin. Mich
interessieren kurzfristige Dinge nicht.
Die Stimmen, die mich gern totgeredet
hätten, sind langsam verstummt.
Sind Sie ein Star?
Um Gottes willen, nein.
Wer ist Leo Wundergut?
Eine Kunstfigur mit nicht ganz geklärten
Wurzeln: Geboren im Kanton Aargau,
sei­
ne Grossmutter, eine OperettenSoubrette, hat einen Hof im Züribiet,
sein ­Dialekt ist eher im Rheintal und in
der Ostschweiz anzusiedeln.
Ihr Alter Ego tritt mit den JetsetSingers auf.
Das ist eine Hommage an den grossen
Hazy Osterwald und seine Band. Heute
haftet dem Jetset eher etwas Negatives
an, was ich eigentlich schade finde. Das
waren Leute, die in der Welt herumgekommen sind – immer mit sehr viel Stil.
Woher kommt Ihre Liebe zur Nostalgie?
Ich bin ein grosser Fan von Inhalten und
einem gewissen Lebensstil. Leider vergessen wir den heutzutage ein wenig.
Das ist meine bescheidene Kritik. Ich
­liebe die Fünfziger- und Sechzigerjahre,
ihre Architektur, Mode und Musik. Wenn
ich einen Wunsch frei hätte, würde ich
all das gern mal erleben. Aber das geht
natürlich nicht. Also versuche ich, der
Bühnenshow von Leo Wundergut etwas
von diesem Mosaik einzuverleiben.
Würde sich Leo Wundergut in
St. Moritz wohlfühlen?
Natürlich. Dieser Ort hat Grandezza.
Er ist etwas vom Grossartigsten, was ich
auf Erden gesehen habe. So klein, und
doch ist so vieles möglich. Leider sind
gewisse Leute in den Achtzigern stehen
geblieben und denken, der Champa­
gner fliesse noch immer. Sie haben mit
dem echten St. Moritz nichts zu tun. Die,
die wirklich etwas bewegen, die immer
da sind, prägen viel zu wenig das Bild.
Sie bleiben im Hintergrund und wollen
meist auch gar nicht, dass man sie nennt.
Ich geniesse St. Moritz vor allem im Sommer. Dann ist die Klientel angenehm.
Welche Rolle spielt das Geld?
Ganz klar, dass es an einem solchen Ort
wichtig ist. Aber man muss es nicht verteufeln. Zum Beispiel diskutiert man seit
Jahren über ein Kongress- und Kulturzentrum. Einige Leute wären bereit, eine
Schenkung zu machen. Das Potenzial
muss nur richtig orchestriert werden.
Damit liesse sich sehr viel Gutes tun. Ich
sage immer, St. Moritz brauche einen
Konzertsaal, in dem sich auch die Ber­
liner Philharmoniker wohlfühlen.
Die würden Sie holen?
Gar kein Problem.
Und was ist mit Lenny Kravitz?
Der soll anrufen, wenn er kommen will.
Das ist jetzt aber etwas kokettiert.
Ich habe irgendwann damit aufgehört,
Leute zu überreden, zum Festival da Jazz
zu kommen. Gewisse Grössen kann man
gar nicht überzeugen. Dazu sind wir viel
zu klein und zu bescheiden. Die müssen
irgendwo gehört haben: «Da gibt es
­dieses St. Moritz. Das ist toll. Da möchte
ich hin.» Also polieren wir lieber an der
Qualität und machen uns so attraktiv.
Was ist das Besondere am Festival?
Eine gewisse Imperfektion. Ich fahre selber zum Bahnhof und bringe die Künstler ins Hotel. Oder unsere Assistentin
holt Al Jarreau am Flughafen in Zürich
ab und lässt dann Diesel statt Benzin in
den Tank – wirklich passiert! Wir haben
keine Hostessen und keine Schöggeli.
Sobald man das macht, ist man austauschbar. Ich finde es viel spannender,
wenn eine Studentin selbst einen bekannten CEO nach dem Ticket fragt.
Auch Urs E. Schwarzenbach hat uns schon
geholfen, Stühle herumzutragen.
Wie entstand die Idee zum Event?
Das war vor rund zehn Jahren im Keller
des Grand Hotel Kronenhof in Pontre­
51 51
mountain
sina. Dort haben wir in meiner Studen­
tenzeit ein paar Konzerte veranstaltet.
Obwohl ich in klassischem Gesang aus­
gebildet bin, hat mich Jazz stets inte­
ressiert. Ich erachte ihn als innovativste
Musikrichtung; wegen der Improvisation.
Damals ist im Sommer im Engadin noch
nicht so viel gelaufen. Ganz entscheidend
war auch, dass wir immer an der Basis
aktiv waren. Das Festival da Jazz war ur­
sprünglich kein Gäste-Event, sondern
für die Einheimischen gedacht.
Und warum im Dracula Club?
Irgendwann habe ich eine neue Location
gesucht, und man hat mir vom Dracula
Club erzählt. Ich habe gefragt, wer denn
zuständig sei und ob es eine Telefonnum­
mer gebe. Da hiess es, Herrn Rolf Sachs
könne man nicht einfach so anrufen. Ich
habe ihn gegoogelt und festgestellt,
dass er ein sehr humorvoller Mensch ist.
Also habe ich ihm dieses Mail mit dem
Betreff «Asylantrag» geschrieben. Binnen
zwei Stunden hatte ich eine Antwort. So
waren wir im Sommer 2007 mit einem
Budget von 10 000 Franken zum ersten
Mal vor Ort.
Ein geschichtsträchtiger Ort.
Er ist ähnlich wie wir: auch nicht ganz
perfekt. Seit den Siebzigerjahren hat sich
kaum etwas verändert, und man könnte
meinen, irgendwo in der Ecke liegen
noch die letzten Zigarettenstummel von
Gunter Sachs. Einige sportbegeisterte
Freunde haben das Nachtlokal vor vier­
zig Jahren neben dem Start der Bob­
bahn und des Cresta Run gebaut. Jeder
hat etwas dazu beigetragen. Es stimmt
einfach alles, und man spürt, dass das
Gebälk lebt. Der «Dracula» ist das beste
Beispiel dafür, dass man einen Trendklub
nicht künstlich herstellen kann.
Normalerweise kommt man da gar
nicht rein.
Zum Festival da Jazz schon. Die Karten
kosten zwischen 80 und 135 Franken. Es
gibt auch noch ein Restaurant, das wir
zusammen mit dem Kulm Hotel während
der Konzerte betreiben.
Die Anzahl Sitzplätze ist allerdings
begrenzt.
Der Raum fasst nur 150 Leute. Wir haben
keine Stuhlreihen mit Beinfreiheit, es ist
eng, im Zweifelsfall sieht man nichts, und
wer zu spät kommt, hat Pech und muss
auf dem Boden Platz nehmen, unter
Um­ständen direkt zu Füssen der Band.
Manchmal setzen sich die Gäste sogar
auf den Bassverstärker. Es ist ein wenig
wie mit Richard Wagner und Bayreuth.
Man muss sich bemühen, um auf den
grünen Hügel zu gelangen. Heute haben
wir etwa siebzig Prozent Unterländer
und internationale Gäste. Die kommen
wegen uns und zelebrieren das.
Es gab sogar ein Gratiskonzert.
Auf dem 2454 Meter hohen Muottas
Muragl. Der neuralgische Punkt im Enga­
din. Den Musikern von Earth Wind & Fire
ist die Spucke weggeblieben. Die haben
schon fast alles gesehen, aber solch
­einen Berg bei Sonnenuntergang noch
nie. Sie wollen auch unbedingt wieder
kommen.
Ihr Budget deckt doch niemals die
Kosten, um diese vierzehnköpfige
Band in die Schweiz zu holen.
Natürlich nicht. Die sind normalerweise
auf Europatour, und wir sind die glück­
liche Rosine, die sie herauspicken. Auch
wenn wir nicht an erster Stelle stehen,
kommt es am Ende immer gut.
Wie entsteht Ihr Programm?
Das ist wie Memory spielen: Geht, geht
nicht, geht – bum. Sobald Datum und
Gage geklärt sind, schaltet sich das
«Amt für Ideen» ein. Ein vierköpfiges
Team, das alle meine Projekte realisiert.
CHRISTIAN JOTT JENNY
Ihr künstlerisches Highlight 2013?
Das ist schwierig bei fünfzig Konzerten.
Für mich persönlich sind die unkäuflichen
Momente eigentlich die schönsten. Als
ich mit der grössten lebenden Jazzklavier­
legende, Chick Corea, nach dem Konzert
in der Bar des Kulm Hotels gesessen bin,
hat es der Pianist gewagt, einen Standard
von ihm zu spielen. Chick Corea hat sich
umgedreht, ist zum Piano gegangen,
und sie haben eine Stunde vierhändig
gespielt. Oder Randy Crawford. Sie hat
ein paar Tage Ferien in St. Moritz ange­
hängt. Eines Morgens ist sie mit ­ihren
weissen Frotteepantoffeln in die Hotel­
lobby gekommen, hat sich an den Flü­
gel gesetzt, gespielt und gesungen. Das
war gigantisch. Diese Nebenschauplät­
ze machen unser Festival aus. Das Pub­
likum erlebt die Künstler hautnah.
Ihr Handy summt.
Ein SMS aus New York. Unsere Szene
ist klein. Letztlich gibt es zehn seriöse
Agenturen und genauso viele seriöse
Managements. Die besuche ich einmal
im Jahr. Gerade in Zeiten von Mail und
Facebook ist es ganz wichtig, zu wissen,
wer auf der anderen Seite sitzt.
Die beste Adresse für Jazz im Big
Apple?
Das «Blue Note» oder das «Birdland».
Deren Groove wollen wir nun auch im
Winter ins Engadin holen. In die Sunny
Bar im Kulm Hotel – die älteste Bar von
St. Moritz mit Blick auf den See und Es­
sen bis morgens um zwei. Matt Bianco
hat im Januar den Auftakt gemacht. Die
Sessions dauern noch bis Ende März.
Kann man mit Jazzmusik eine Frau
verführen?
Natürlich. Aber das muss schon der
Weichspüler sein, sonst geht nichts! Ich
würde Chet Baker oder seinen Nach­
ahmer Till Brönner empfehlen.
Ihr Beziehungsstatus?
Ledig. Oder sagt man geschieden?
Partytiger oder Salonlöwe?
Mir gefällt Löwe und Salon.
Sie sagen von sich, Sie seien harmonie­
süchtig. Ist das nicht langweilig?
Total. Das ist eine Unart. Ich mag zwar
den konstruktiven Streit, aber der muss
irgendwann auch wieder ein Ende ha­
ben. Sonst ist es mir zu anstrengend.
Viele Verschnaufpausen haben Sie
tatsächlich nicht.
Das ist mein Leben. Bei mir wurde schon
als Kind Hyperaktivität diagnostiziert. Ich
bin sogar an der Universität als Muster­
beispiel vorgestellt worden. Das hat aber
auch seine Vorteile. Wenn ich auf der
Bühne mal nichts zu tun habe und mein
lieber Kollege Bruno Brandenberger ein
Lied singt, kann es durchaus sein, dass
ich mir überlege, wer nun in St. Moritz
spielen soll. Oder ich bastle gedanklich
am nächsten Bühnenprogramm von Leo
Wundergut.
Zurück zu Ihrer aktuellen Produktion
«Euse Rainer chönnt das au!», einem
Liederabend mit viel Theater.
Die Stimme von Margrit Rainer und die
Musik dazu sind noch in den Köpfen
vieler und begeistern noch heute –
man muss sie einfach wieder positiv
in Erinnerung rufen. Ich erachte sie als
grösste Schweizer Schauspielerin ihres
Genres im zwanzigsten Jahrhundert.
Zudem hat sie eine eigene Strasse. Aller­
dings eine Sackgasse …
Fotos: Keystone (1)
Warum dann das Stück?
Es gibt zwei Frauenstimmen, die mich
wirklich zu Tränen rühren: Das sind Maria
Callas und Margrit Rainer. Die nenne ich
in einem Atemzug. Ich habe auch her­
ausgefunden, warum. Beide singen
nicht ganz rein. Die Callas schwebt im­
mer e
­ twas daneben, die Rainer auch.
Was können wir von ihr lernen?
Heute kann doch jeder alles: jede Miss
Schweiz schauspielern, jede Busfahrerin
singen. Mit zwanzig ist man Redaktorin
beim «Blick am Abend», gleichzeitig hat
man noch eine Eventagentur, eröffnet ein
Café an der Börsenstrasse und macht
beim Elite Model Look mit. Man braucht
die alten Stars nicht mehr. Castingshows
müssen her, sonst schaut keiner mehr in
die Kiste. Das wollen wir hinterfragen.
Haben Sie als Jugendlicher nicht auch
vor dem Fernseher gesessen?
Wir hatten keinen. Stattdessen gab es
Hauskonzerte. Wahrscheinlich wollten
meine Eltern Kurt Felix nicht sehen – ich
mochte ihn und verehre sein Werk.
Welche war die erste CD, die Sie sich
selbst gekauft haben?
Als ich mit elf Jahren zum ersten Mal
zum Jazzklavierunterricht ging, musste
ich eine Stunde im Restaurant Strozzi’s
im Seefeld warten. Ich wollte wissen, was
da für M
­ usik läuft, und der Bartender hat
mir die CD gezeigt. Es war Dave Grusin.
Ich habe nachher mein ganzes Geld da­
für aus­gegeben, 38 Franken 50. Und so
schliesst sich der Kreis. Dieser Musiker,
der mich bis heute begleitet, feiert am
26. Juli 2014 seinen achtzigsten Ge­
burtstag. Wo? Auf unserem Festival da
Jazz in St. Moritz.
DIE WELT
VON
CHRISTIAN
JOTT
JENNY
Festival da Jazz St. Moritz
Er hatte die Idee, Rolf Sachs die Un­
terkunft. Im Juli und August spielt die
Musik im Dracula Club, diesen Winter
bis 30. März erstmals in der Sunny Bar
des Kulm Hotels. festivaldajazz.ch
St. Moritz wirbt mit 322 Sonnen­
stunden im Jahr. Wie viele dürfen Sie
erleben?
Wahrscheinlich ähnlich viele. Zumin­dest
im Herzen. Aber ich bin für unsere Jah­
res­
zeiten dankbar. Ich war neulich in
Kali­fornien. Dort ist es unglaublich ein­
tönig ohne Regen und Schnee.
Leo Wundergut Alter Ego von
DAS LEBEN VON
CHRISTIAN JOTT JENNY
GEBOREN 8. August 1978, Zürich
KINDHEIT Mit sechs Jahren Zürcher
Sängerknabe; Knabensolist am Zürcher
Opernhaus und bei den Salzburger
Festspielen unter Herbert von Karajan
AUSBILDUNG Zürcher Hochschule für
Musik und Theater; ab 2000 Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin
ENGAGEMENTS Opernsänger, Gesell­
schaftstenor «Leo Wundergut», eigene
Produktionen mit dem «Amt für Ideen»,
Direktor des Festival da Jazz St. Moritz
Christian Jott Jenny. Schlüpft er in die
Rolle des gepflegten Gesellschafts­
tenors, treffen Sangeskraft und Humor
aufeinander. wundergut.ch
«Euse Rainer chönnt das au!»
2014 wäre Margrit Rainer hundert
gewor­den. Grund genug, der Schwei­
zer Schauspielerin und Kabarettistin
eine Revue zu widmen. Bis 7. Juni
im Theater Rigiblick. margritrainer.ch
53
Herunterladen