2.5 Das Quark-Parton Modell Wir haben bisher festgestellt, dass Nukleonen aus punktförmigen Spin ½ Teilchen aufgebaut ist. Da das Nukleon ebenfalls Spin ½ besitzt, benötigt man mindestens drei Valenzquarks, die zu diesem Gesamtspin koppeln können. Außerdem sollte die Gesamtladung der Nukleonen sich aus den Ladungen der drei Valenzquarks ergeben, also +1 für das Proton und 0 für das Neutron. Da keine Hadronen mit Ladungen größer als 2 entdeckt wurden (Δ++) ergeben sich daraus drittelzahlige elektrische Ladungen für die Quarks. Ferner müssen Proton und Neutron mindestens zwei verschiedene Sorten von Quarks enthalten, da sie unterschiedliche Gesamtladung tragen. u (up) elektrische Ladung Spin d (down) p(uud) n(udd) +2/3 -1/3 1 0 ½ ½ ½ ½ Eine Überprüfung der Hypothese drittelzahliger Quarkladungen erhält man aus dem Vergleich von Elektron-und Neutrino-Streudaten. Für die Strukturfunktionen von Proton und Neutron in tiefinelastischer Elektronstreuung erhält man unter Annahme drittelzahliger Quarkladungen: F2 ( x ) = x ⋅ ∑ zf2 (qf ( x ) + qf ( x )) f ⇒ 1 4 1 ⎡4 ⎤ F2e,p ( x ) = x ⋅ ⎢ (uvp ) + (dvp ) + (us + us ) + (d s + d s ) + K⎥ 9 9 9 ⎣9 ⎦ 4 1 4 ⎡1 ⎤ F2e,n ( x ) = x ⋅ ⎢ (dvn ) + (uvn ) + (d s + d s ) + (us + us ) + K⎥ 9 9 9 ⎣9 ⎦ Nimmt man an, dass die Seequarkverteilungen für alle Quarkflavors in Proton und Neutron gleich sind, und dass die u-Valenzquarkverteilung im Proton gleich der d-Valenzquarkverteilung im Neutron ist und umgekehrt, so erhält man für das „Nukleon“ das Mittel: e,N 2 F [ ] F2e,p + F2e,n 5 = ≈ x ⋅ ⋅ u( x ) + d ( x ) + u ( x ) + d ( x ) 2 18 Wir wollen dieses Ergebnis für die Elektron-Nukleon Streuung mit der NeutrinoNukleon Streuung vergleichen. Die Kopplung der Neutrinos an die Quarks erfolgt durch die schwache Wechselwirkung. Experimentell sind solche Ereignisse von Interesse, bei denen ein geladenes Teilchen im Endzustand vorliegt, das (Myon-)Neutrino also zu einem geladenen Myon geworden ist. Dabei muss ein geladenes Feldquant ausgetauscht werden, ein W-Boson: μ q W q νμ Neutrinos koppeln an die „schwache Ladung“ der Quarks, die für alle Quarks und Leptonen gleich groß ist: Man erhält deshalb einfach: [ ] F2ν ,N = x ⋅ u( x ) + d ( x ) + u ( x ) + d ( x ) Falls unsere Annahme drittelzahliger Quarkladungen korrekt ist, sollten sich die Strukturfunktionen aus Neutrino- und Elektronstreuung gerade um einen Faktor 5/18 unterscheiden. Dies wird vom Experiment bestätigt. Gargamelle F2(x) x Gargamelle 2005 Gargamelle (CERN) 1970 2.6 Neutrino-Nukleon Streuung Aus der Neutrino-Nukleon Streuung lassen sich noch detailliertere Informationen über die Quarkverteilungen gewinnen, insbesondere ermöglichen es Neutrino-Streuexperimente, zwischen Quark- und Antiquarkverteilungen zu unterscheiden. Neutrino- und Antineutrinostrahlen kann man herstellen, indem ein intensiver Protonstrahl auf ein nukleares Target geschossen wird. Dabei entstehen geladene Pionen, die in ein Myon und ein Neutrino zerfallen: - π + → μ + +ν μ π − → μ − +ν μ Richtet man den Neutrinostrahl wiederum auf ein Target, so streuen die Neutrinos an den Quarks der Targetnukleonen. Dies entspricht dem vorher skizzierten Prozess mit W-Austausch. Im folgenden sollen die möglichen Prozesse näher diskutiert werden. Betrachtet man zunächst die Streuung von Neutrinos an Quarks, so gibt es nur einen möglichen Prozess unter W-Austausch, nämlich die Streuung an einem d-Quark: μu (z =+2/3) W+ d (z =-1/3) νμ An einem u-Quark kann ein Neutrino unter W+ -Austausch aufgrund von Ladungserhaltung nicht streuen (das auslaufende Quark müsste z=+5/3 tragen, solche Quarks gibt es nicht). Austausch eines W- ist ebenfalls nicht möglich, denn dabei müsste aufgrund der Ladungserhaltung ein positives Myon entstehen, was aus Gründen der Leptonzahlerhaltung nicht erlaubt ist (das Neutrino ist ein Teilchen, das μ+ ist ein Antiteilchen). Dieselbe Argumentation gilt für Antineutrinos, die nur an u-Quarks, aber nicht an d-Quarks streuen können: μ+ d (z =-1/3) W- _ νμ u (z =+2/3) Gäbe es im Nukleon nur Quarks, wären dies die beiden einzigen möglichen (Anti-)neutrinostreuprozesse. Falls es im Nukleon auch Antiquarks gibt, kommen zwei weitere Prozesse hinzu: _ d (z =+1/3) μW+ νμ _ u (z =-2/3) μ+ W- _ u (z =-2/3) _ νμ _ d (z =+1/3) Falls alle Energien groß sind gegen die beteiligten Ruhemassen können Phasenraumfaktoren beim Vergleich der Wirkungsquerschnitte vernachlässigt werden. Prozesse, bei denen alle Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt wurden haben gleiches Matrixelement und dann damit auch gleichen Wirkungsquerschnitt (crossing symmetry): σ νd = σ ν d σ νu = σ ν u Allerdings gilt: σ νd ≠ σ ν u σν u ≠ σν d Dies lässt sich leicht einsehen, wenn man wieder Helizitäts- und Drehimpulserhaltung beachtet: Bei der Neutrino-Quark (bzw. Antineutrino-AntiquarkStreuung) sind die Spins der Teilchen im Schwerpunktsystem antiparallel, also S=0. Bei 180° Streuung (rechts) drehen sich beide Spins um und stehen dann wieder antiparallel, der Drehimpuls bleibt also erhalten. Man erhält deshalb auch keine Winkelabhängigkeit des WQ, die Streuung ist isotrop. ν q μ- q Im Gegensatz dazu stehen bei der Neutrino-Antiquark (bzw. AntineutrinoQuark) Streuung die Spins parallel, so dass sich bei der 180°-Grad Streuung (rechts) der Gesamtdrehimpuls ändern müsste. ν _ q μ- _ q Dies führt dazu, dass der WQ winkelabhängig ist σ νu ∝ (1 + cos θ cm )2 σ ν u ∝ (1 + cos θ cm )2 und somit insbesondere bei 180° Streuung verschwindet. Hierbei bezeichnet θcm den Streuwinkel im Schwerpunktsystem der Reaktion. Im Labor, in dem das Targetnukleon in Ruhe ist, ergibt sich daraus ein Faktor (1-y)2 , mit ν E − Eν y= = ν Eν Eν ' Das Verhältnis der Wirkungsquerschnitte ergibt sich durch Integration über y: σ νd =3 σν u Gäbe es im Nukleon nur Quarks und keine Antiquarks, wäre dies gerade das σ erwartete Verhältnis für σνν . N N Tatsächlich findet man experimentell: ⎛ σ νN ⎜⎜ ⎝ σν N ⎞ ⎟⎟ ≅ 2 ⎠ exp Dies deutet darauf hin, dass sich im Nukleon auch Antiquarks befinden, wie erwartet. Der Anteil a lässt sich nun bestimmen: σ νN = (1 − a ) ⋅ σ νd + a ⋅ σ νu σ ν N = (1 − a ) ⋅ σν u + a ⋅ σ ν d Es gilt: σ νN / σ ν N = 2 σ νd / σ νu = 3 σν d / σν u = 3 σ νd = σ ν d Durch Einsetzen ergibt sich a=1/6, der Antiquark-Anteil im Nukleon beträgt also etwa 10-20%. Natürlich lässt sich der Antiquark-Anteil auch differentiell als Funktion von x bestimmen. Damit erhält man dann auch die Verteilungen der Valenz- und der Seequarks. Nimmt man nämlich an, dass die x-Verteilung der Seequarks gleich derjenigen der See-Antiquarks ist, so ergibt sich die Valenzquarkverteilung, indem man die Antiquarkverteilung von der Quarkverteilung subtrahiert. Aus der Abbildung erkennt man, dass Antiquarks (und damit Seequarks) bei sehr kleinen x zu x(q(x)) finden sind, sie tragen also nur einen relativ kleinen Anteil des Nukleonimpulses. Allerdings steigt ihre Anzahl mit abnehmendem x stark an. Die Valenzquarks hingegen tragen im Mittel einen größeren Anteil des Nukleonimpulses. Man findet für Valenz- und Seequarks: xValenz ≈ 0.12 xSee ≈ 0.04 x Indem man die Valenzquarkverteilung über den gesamten x – Bereich integriert, erhält man die Gesamtzahl der Valenzquarks im Nukleon. Aus der NeutrinoNukleon-Streuung ergibt sich experimentell: 1 ∫q 0 v ,exp ( x ) dx = 2,8 ± 0.5 also konsistent mit unserer Annahme, dass das Nukleon drei Valenzquarks trägt. Aus diesen Messungen kann man auch den Anteil des Gesamtimpulses des Nukleons abschätzen, der insgesamt von allen Quarks getragen wird. Man erhält dies durch Integration über die Strukturfunktion: 1 ∫ 0 F2ν ,N ( x ) dx ≈ 18 1 e,N F2 ( x ) dx ≈ 0.5 ∫ 0 5 Demnach wird insgesamt nur die Hälfte des Gesamtimpulses des Nukleons von Quarks getragen. Die andere Hälfte muss demnach von Teilchen getragen werden, die weder elektromagnetisch noch schwach wechselwirken, also nicht durch Elektron- oder Neutrinostreuung sichtbar sind. Dabei handelt es sich um die Gluonen. Die Gluonen sind die Austauschteilchen der starken Wechselwirkung, also das Analogon zum Photon in der elektromagnetischen Wechselwirkung. Auf die besonderen Eigenschaften der Gluonen kommen wir noch zu sprechen. Das Nukleon ist demnach aufgebaut aus Valenzquarks, Seequarks und Gluonen. Für die Eigenschaften des Nukleons (und aller Hadronen) wie etwa Ladung, Masse und Spin ist aber nur die Zusammensetzung der Valenzquarks verantwortlich. Man spricht daher auch häufig von Konstituentenquarks und meint damit die Valenzquarks plus die sie umgebende Wolke von Seequarks und Gluonen. Seequarks und Gluonen tragen nicht zu den (Netto-) Quantenzahlen bei, wohl aber zur Masse des Hadrons, da sie Energie und Impuls tragen. Während die nackte Masse der Valenzquarks nur einige MeV/c2 beträgt, tragen die Konstituentenquarks den jeweiligen Bruchteil der Hadronenmasse, im Falle des Nukleons also etwa 300 MeV/c2. Diese wird also überwiegend durch die Gluonen und Seequarks aufgebracht. Mit anderen Worten: Der überwiegende Teil der Hadronmassen (und damit der sichtbaren Masse im Universum) wird nicht durch die nackten Massen der Konstituenten getragen, sondern dynamisch durch die Energie der Wechselwirkung generiert!