MEDIZIN ÜBERSICHTSARBEIT Wichtige Aspekte der organerhaltenden Nierentumorchirurgie Indikationsstellungen, neuer Standard und onkologische Ergebnisse Frank Becker, Stefan Siemer, Jörn Kamradt, Ulrike Zwergel, Michael Stöckle ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Die organerhaltende Nierentumorchirurgie hat in den letzten 20 Jahren an Bedeutung gewonnen. Anfangs wurde die Nierenteilresektion nur bei imperativer Indikation durchgeführt – das heißt, bei einem Tumor in anatomischer oder funktioneller Einzelniere oder bei bereits bestehender Niereninsuffizienz. Inzwischen werden Nierentumoren aufgrund guter onkologischer Ergebnisse zunehmend auch unter elektiven Indikationsstellungen, etwa bei gesunder Gegenniere, teilreseziert. Methoden: Basierend auf einer selektiven Literaturrecherche in Medline sowie den Leitlinien der European Association of Urologists (EAU) und eigenen Daten werden die Indikationen für die Nierenteilresektion und deren onkologische Ergebnisse dargestellt und diskutiert. Ergebnisse/Schlussfolgerung: In den neuen EAU-Leitlinien für Nierenzellkarzinome gilt die Nierenteilresektion bei organbegrenzten Tumoren < 4 cm und gesunder kontralateraler Niere als Standardtherapie. Dieses Vorgehen führt zu vergleichbar guten Ergebnissen wie eine Nephrektomie, das heißt zu tumorspezifischen 5-Jahres-Überlebensraten > 90 %. In großen urologischen Zentren wird sogar eine Teilresektion bei Tumoren > 4 cm favorisiert, wenn sie günstig lokalisiert sind. Dennoch ist der geschätzte Anteil an Nephrektomien in Deutschland – analog zu Studien in den USA – auch bei Tumoren < 4 cm noch sehr hoch, obwohl diese in der Regel organerhaltend kurativ operiert werden können. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(8): 117–22 DOI: 10.3238/arztebl.2009.0117 Schlüsselwörter: Nierenkarzinom, chirurgische Therapie, Niereninsuffizienz, Lebenserwartung, Therapieerfolg Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar: Dr. med. Becker, Prof. Dr. med. Siemer, Dr. med. Kamradt, Prof. Dr. med. Zwergel, Prof. Dr. med. Stöckle ⏐ Jg. 106⏐ ⏐ Heft 8⏐ ⏐ 20. Februar 2009 Deutsches Ärzteblatt⏐ ie radikale Nephrektomie, erstmals beschrieben von Robson im Jahre 1969, war lange Zeit Standardtherapie des operablen Nierentumors. Sie umfasst die komplette Entfernung der tumortragenden Niere innerhalb der Gerota-Faszie inklusive der ipsilateralen Nebenniere (1). Bei drohender Niereninsuffizienz wegen anatomischer oder funktioneller Einzelniere, bereits vorbestehender Niereninsuffizienz oder bilateralen Nierentumoren (imperative Operationsindikation) hat sich zunehmend die organerhaltende Operation als Goldstandard durchgesetzt, um den Patienten vor der Dialysepflicht zu bewahren (2). Vorteile dieser Indikationsstellung sind: > niedrige Komplikationsraten (7 bis 11 %) > eine exzellente lokale Tumorkontrolle (Lokalrezidive unter 5 % der Fälle) > onkologische Langzeitergebnisse, die mit der herkömmlichen radikalen Nephrektomie bei ähnlichen Tumorstadien vergleichbar sind (tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 80 bis 95 %). Daher hat sich die organerhaltende Operationsmethode zunehmend auch bei kleinen unilateralen Nierentumoren mit gesunder Gegenniere (elektive Indikation) als Alternative zur radikalen Nephrektomie etabliert und in den letzten Jahren rapide an Stellenwert gewonnen. Auch die Tatsache, dass immer öfter kleinere und asymptomatische Tumoren durch die fortschreitende Entwicklung bildgebender Verfahren wie etwa Sonografie, Computertomografie und Kernspintomografie diagnostiziert werden, hat dazu geführt, dass man in den letzten 20 Jahren eine risikoadaptierte Therapie für gerade diese Patienten mit kleinen asymptomatischen Nierentumoren eingeführt hat (3, 4, 5). Aus diesen Gründen wurde auch in den aktuellen Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU, European Association of Urology) die Nierenteilresektion als Standard in der Behandlung von pT1a-Nierentumoren (lokal auf die Niere begrenzter Tumor mit Durchmesser < 4 cm) aufgenommen. Sie hat damit die klassische Nephrektomie für diese Indikation verdrängt (6). Aktuelle amerikanische Studien haben gezeigt, dass man die Nierenteilresektion zwar zunehmend als D 117 MEDIZIN Relative Operationsindikation Unter der relativen Operationsindikation versteht man eine Ausgangssituation mit einem erhöhtem Risiko für die postoperative Nierenfunktion durch eine Nephrektomie. Beispiele sind: > vorbestehende Steinerkrankung > chronische Pyelonephritiden > Nierenarterienstenosen > vesikouretero(-renaler) Reflux > systemische Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder arterieller Hypertonus mit beginnender Funktionsschädigung der Niere (8). Abbildung 1: CT-Abdomen eines Patienten mit linksseitigem im maximalen Durchmesser großem 5,4 cm, peripher gelegenem Nierentumor (roter Kreis) und unauffälliger rechter Niere, als Beispiel für gute Resezierbarkeit, auch bei Tumoren > 4 cm (erweiterte elektive Indikation); aus Becker F et al.: Organerhaltende Nierentumorchirurgie. Urologe A 2008; 47: 215–23; [22], mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags, Heidelberg Standard-Operationsverfahren nutzt, aber trotz entsprechender Indikation noch viel zu selten durchführt. So ergab eine Analyse der Daten des US-amerikanischen Krebsregisters (SEER Programm = Surveillance, Epidemiology, and End Results), dass der Anteil an Nierenteilresektionen bei Tumoren > 7 cm zwar von 4,6 % (1988) auf 17,6 % (2001) anstieg. Allerdings betrug in den Jahren 2000 bis 2001 der Anteil an Teilresektionen bei Tumoren > 2 cm nur 42 % und bei Tumoren zwischen 2 und 4 cm lediglich 20 % (7). Entsprechend den Leitlinien sollte der Anteil der Nierenteilresektionen bei Tumoren unter 4 cm jedoch bei fast 100 % liegen. Im Folgenden wird ein Überblick gegeben über aktuelle Indikationen, Umfelddiagnostik und operative Techniken sowie Alternativverfahren. Hierzu wurde eine selektive Literaturrecherche aktueller Arbeiten zu dieser Thematik durchgeführt. Die EAU-Leitlinien wurden ausgearbeitet und Ergebnisse aus der retrospektiven Nierentumordatenbank der eigenen Klinik ausgewertet. Indikationen zur Nierenteilresektion laut EAU-Leitlinien Imperative Operationsindikation Die imperative Operationsindikation ist bei der Gefahr einer Niereninsuffizienz mit bestehender Dialysepflicht im Falle einer Nephrektomie der tumortragenden Niere gegeben. Diese Situation liegt vor bei bilateralen Nierentumoren, Tumoren in einer funktionellen oder anatomischen Einzelniere oder bei bereits vorbestehender kompensierter Niereninsuffizienz. Sie wird auch als sogenannte absolute Indikation bezeichnet. 118 Elektive Operationsindikation Aufgrund der guten Ergebnisse nach Teilresektion, die mit den Ergebnissen nach Nephrektomie vergleichbar sind – ähnliche Überlebensraten (tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensrate: 80 bis 95 %) bei nahezu gleicher Komplikationsrate (7 bis 11 %) und nahezu vernachlässigbare Lokalrezidivrate (< 5 %) – wurde die Nierenteilresektion aktuell als Standardverfahren zur Behandlung kleiner Nierentumoren unter 4 cm (entspricht Tumorstadium pT1a) bei gesunder kontralateraler Gegenniere in die aktuellen Leitlinien der EAU für Nierenzellkarzinome integriert (6, 9). Erweiterte elektive Operationsindikation Mehrere Arbeitsgruppen haben in den letzten Jahren auch günstige onkologische Ergebnisse (tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensraten > 90 %) beschrieben – bei technisch gut resezierbaren, operativ günstig gelegenen (periphere Lage, „gestielter“ Tumor mit kleiner Basisfläche), selektierten Tumoren > 4 cm nach Nierenteilresektion –, sodass eine organerhaltende Nierentumorexzision hier ebenfalls erwogen werden sollte (Abbildung 1). Allerdings sollten solche Operationen erfahrenen Zentren vorbehalten bleiben (6, 10, 11). Präoperative Diagnostik und Techniken Trotz zunehmender Inzidenz kleiner, inzidenteller, asymptomatischer Nierentumoren (die weltweite Zunahme der Inzidenz beträgt etwa 2 % jährlich [6]), zählen die körperliche Untersuchung, eine exakte Anamnese sowie eine Laboruntersuchung obligat zur präoperativen Bewertung. Blutwerte sind zwar oft nicht richtungsweisend, geben aber häufig wertvolle Hinweise für die optimale OP-Vorbereitung (zum Beispiel Serum-Kreatinin, Hämoglobin, Gerinnung et cetera). Eine radiologische Bildgebung des Thorax ist essenziell. Hier kann man bereits Aussagen zu möglichen thorakalen Metastasen treffen. Ob eine Computertomografie des Thorax notwendig ist oder ein konventionelles Thorax-Röntgen hinsichtlich der Sensitivität ausreicht, wird momentan noch kontrovers diskutiert (6, 12). Den wichtigsten Anteil bei der präoperativen Diagnostik stellen allerdings bildgebende Verfahren wie Sonografie (als frühes Diagno⏐ Jg. 106⏐ ⏐ Heft 8⏐ ⏐ 20. Februar 2009 Deutsches Ärzteblatt⏐ MEDIZIN stikum) und Computertomografie beziehungsweise Magnetresonanztomografie des Abdomens dar. Mit diesen Instrumenten lassen sich die Tumorgröße, -lokalisation und -invasion ideal beurteilen und eine Metastasierung ausschließen. Zudem können anhand dieser Verfahren mit einer hohen Sensitivität sowohl extrarenales Wachstum, Veneninvasion, Nebennierenbeteiligung und Lymphknotenvergrößerungen als auch Morphologie und Funktion der kontralateralen Niere beurteilt werden (13, 14). Die Wahl des Zugangswegs – offen lumbal, offen transperitoneal, laparoskopisch transperitoneal oder retroperitoneoskopisch – und die operative Methode – warme, kalte, keine Ischämie oder Ex-vivo-Teilresektion – hängen zum einen von der Ausgangssituation und der Operationsindikation ab, zum anderen aber auch von der operativen Schule/Erfahrung des jeweiligen Zentrums. Entscheidend ist allerdings nicht die Vorgehensweise, sondern das postoperative Ergebnis. Man sollte die Methode anwenden, mit der die meiste Erfahrung und somit Sicherheit vorliegt. Wenn aber eine Teilresektion möglich erscheint beziehungsweise entsprechende Indikationen bestehen, dann sollte man bei fehlender Expertise den Patienten an ein erfahrenes Zentrum überweisen, bevor mit einer Nephrektomie wertvolle Nierenfunktion geopfert wird. Die Teilresektion kann ohne Abklemmen des Gefäßstiels (ohne Ischämie) oder unter Ischämie, entweder mit oder ohne hypotherme Perfusion (kalte beziehungsweise warme Ischämie), erfolgen. Alternativ kann bei multilokulären Tumoren oder schwierig resezierbaren beziehungsweise rekonstruierbaren Befunden (häufig bei imperativer Indikation) nach Absetzen der kompletten Niere eine Ex-vivo-Resektion auf einem separaten sterilen OP-Tisch unter Hypothermiebedingungen durchgeführt werden. Danach wird – ähnlich wie bei der Organtransplantation – die Niere in die kontralaterale Fossa iliaca autotransplantiert (15, 16). Ein wichtiger Prädiktor für die postoperative Funktion der operierten Niere ist die Zeit, in der unter Ischämiebedingungen gearbeitet wird. Die normale Ischämietoleranz der Niere liegt bei maximal 30 Minuten; innerhalb dieser Zeit sollten der Tumor entfernt und das Tumorbett versorgt werden (Abbildung 2a und b) (17) . Die laparoskopische Nierenteilresektion sollte nur in Zentren durchgeführt werden, die diese Methode häufig praktizieren und genügend Erfahrung haben. Gerade in der Ischämiephase ist es für die postoperative Nierenfunktion essenziell, den Tumor schnell und sicher zu resezieren und danach das Tumorbett zu versorgen (Gefäß-, Hohlsystems- und Parenchymnähte). Eine Übersichtsarbeit zu vergleichenden Studien (laparoskopische versus offene Nierenteilresektion) konnte Vorteile im laparoskopischen Verfahren bezüglich Blutverlust, Hospitalisations- und Rekonvaleszenzzeit zeigen. Die Nachteile lagen in der verlängerten Ischämiezeit und höheren Komplikationsraten, vor allem intraoperativer Blutverlust. Die onkologi⏐ Jg. 106⏐ ⏐ Heft 8⏐ ⏐ 20. Februar 2009 Deutsches Ärzteblatt⏐ a b Abbildung 2: a) 6 cm großer Nierentumor am Unterpol nach Nierenfreilegung (Tumor: rote Pfeile, gestrichelte Linie: Grenze zwischen gesundem Nierenparenchym und Tumor). Das peritumorale Fettgewebe wird auf dem Präparat belassen. b) Resektionsgrund nach kompletter Entfernung des Tumors im Gesunden und Versorgung des Tumorgrundes mit Gefäßnähten. schen und funktionellen Ergebnisse waren bei beiden Gruppen ähnlich (8). Folgende Therapien besitzen derzeit noch experimentellen Charakter und sollten nur bei Patienten angewendet werden, die nicht operationsfähig sind: > minimal invasive und ablative Verfahren wie Kryoablation, Radiofrequenzablation oder HIFUTherapie (High Intensity Focused Ultrasound) > die sogenannte Surveillance-Strategie (engmaschige Überwachung ohne operative Therapie). Bei den genannte Methoden fehlen bisher insbesondere noch prospektive onkologische Langzeitdaten (6, 18). 119 MEDIZIN TABELLE 5-Jahres-Überlebensraten (5-JÜR), Rezidiv- und Lokalrezidivraten nach imperativer, elektiver sowie erweiterter elektiver Nierenteilresektion bei Nierenzellkarzinom am Beispiel des Homburger Kollektivs tumorspez. 5-JÜR (%) Rezividrate (%) Lokalrezidivrate (%) Gruppe A (imperativ, n = 175) 94,8 18,4 4,4 Gruppe B (elektiv, n = 311) 97,8 5,5 1,2 Gruppe C (erweitert elektiv, n = 69) 100 5,8 0 Aus: Becker F et al.: Organerhaltende Nierentumorchirurgie. Urologe A 2008; 47: 215–23 [22], mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags, Heidelberg Ergebnisse Komplikationsraten Die in der Literatur beschriebenen Komplikationsraten nach einer Nierenteilresektion liegen zwischen 4 bis 30 %. Hier muss man zwischen in elektiver beziehungsweise imperativer Indikation operierten Patienten unterscheiden. Letztere weisen höhere perioperative Komplikationsraten auf. Mit folgenden Problemen muss speziell nach Nierenteilresektion gerechnet werden: > Urinfistel (nach Eröffnen des Hohlsystems) > postoperative Niereninsuffizienz > konsekutive Dialysepflicht (aufgrund Nierenversagen bei zu langer Ischämie oder Nierenschädigung durch Abklemmen der Gefäße). Andere Probleme wie Milzverletzungen, Infektionen/Abszesse, (Nach-)Blutungen mit eventuell konsekutiver Re-Operation beziehungsweise perioperative Mortalität zählen zu allgemeinen OP-Komplikationen Vergleich der Überlebensraten nach elektiver Teilresektion beziehungsweise Nephrektomie (p< 0,05); die Patientengruppen wurden zuvor hinsichtlich wesentlicher klinischer Parameter abgeglichen („matched-pairs“Technik); aus Becker F et al.: Organerhaltende Nierentumorchirurgie. Urologe A 2008; 47: 215–23; [22], mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags, Heidelberg 120 GRAFIK (17). Es konnte nachgewiesen werden, dass die Komplikationsraten – neben den Hospitalisationskosten – nach Nierenteilresektion vergleichbar niedrig wie bei der Nephrektomie ausfallen (10 % versus 3,3 % [p = 0,2]) (19). Überlebensraten Lane und Novick haben in einer aktuellen Übersichtsarbeit die onkologischen Ergebnisse der größten verfügbaren Studien zusammengefasst. Es konnten tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 89 bis 98 % erreicht werden. Dabei wiesen hier ebenfalls die Studien mit überwiegend in imperativer Indikation teilresezierten Nierentumorpatienten – aufgrund der Selektion im Schnitt – ungünstigere Überlebensraten auf (8). In einer aktuellen Arbeit mit 381 Patienten nach elektiver Nierenteilresektion konnten sogar tumorspezifische 10-Jahres-Überlebensraten von 97 % erzielt werden (20). In vergleichenden Studien, in denen die Überlebensraten nach elektiver Nierenteilresektion mit denen nach Nephrektomie bei ähnlichen Patientengruppen retrospektiv verglichen wurden, konnten keine signifikanten Unterschiede zugunsten einer der beiden Operationsmethoden nachgewiesen werden (9, 17). Rezidivraten Die Rezidivraten sind bei vergleichbarer klinischer Konstellation – unter anderem Tumorstadium und -größe, Alter und Geschlecht des Patienten – nach Nierenteilresektion ähnlich gering wie nach Nephrektomie. Es können Rezidivraten zwischen 2 und 17 % erzielt werden. Die Lokalrezidivrate nach Nierenteilresektion liegt bei 0 bis 10 %. Die Gegner der Nierenteilresektion haben lange Zeit die Gefahr für ein Lokalrezidiv als Argument gegen diese Methode angebracht. Die vorliegenden Daten entkräftigen diesen Kritikpunkt zunehmend. Bei genauer Analyse der einzelnen miteinander verglichenen Studien erreichen diejenigen mit dem höchsten Anteil an imperativ teilresezierten Patienten die durchschnittlich ungünstigsten Progressions- beziehungsweise Lokalrezidivraten (8, 17). ⏐ Jg. 106⏐ ⏐ Heft 8⏐ ⏐ 20. Februar 2009 Deutsches Ärzteblatt⏐ MEDIZIN Eigene Daten Von 2 627 wegen eines Nierentumors operierten Patienten wurden von 1975 bis 2005 insgesamt 486 Patienten (18,5 %) teilreseziert. Die geringe Rate ergibt sich daraus, dass es sich oft (nahezu 50 % der Fälle) um fortgeschrittene und/oder metastasierte Tumoren handelte und dass die Teilresektion bei Urologen erst in den letzten 10 bis 15 Jahren Zuspruch gefunden hat. Derzeit werden günstig lokalisierte Tumoren am Universitätsklinikum des Saarlandes fast immer mit der Intention des Organerhaltes operiert. 175 von diesen 486 Patienten (36 %) wurden in imperativer Indikation behandelt (Gruppe A); die restlichen 311 Patienten (64 %) wurden elektiv teilreseziert (Gruppe B). Insgesamt 69 Patienten mit elektiver Nierenteilresektion wiesen Tumordurchmesser > 4 cm (Gruppe C – erweiterte elektive Indikation) auf. Die tumorspezifischen Überlebensraten und (Lokal)-Rezidivraten sind in der Tabelle aufgeführt. Im direkten Vergleich der elektiv teilresezierten mit Patienten nach Tumornephrektomie („matched-pair“-Analyse; abgeglichene Parameter: Alter, Geschlecht, Tumorstadium, -grading und -größe sowie Tumorentität) konnten sogar signifikante Unterschiede in den Überlebensraten zugunsten der Patienten nach Nierenteilresektion gezeigt werden (92,7 % versus 97,8 %; tumorspezifische 5-JahresÜberlebensraten nach Nephrektomie beziehungsweise Nierenteilresektion, p < 0,05) (Grafik). Der Überlebensvorteil spiegelt sicher einen Selektionsbias zugunsten der teilresezierten Gruppe wieder. Das zeigt einerseits, dass man den für die jeweilige Methode geeigneten Patienten herausfiltern muss und andererseits, dass solche Eingriffe, bei ausreichender Erfahrung, kein erhöhtes Risiko mit sich führen und auch künftig sicher weiter an Bedeutung gewinnen werden (9, 11). Schlussfolgerung Die organerhaltende Nierenteilresektion ist eine onkologisch sichere Operationsmethode, die unter imperativer Indikationsstellung obligat erfolgen sollte. Bei Tumoren < 4 cm und gesunder kontralateraler Niere hat sich die elektive Nierenteilresektion nach neuesten EAU-Leitlinien als Standardverfahren durchgesetzt. Dies begründet sich auf guten onkologischen Langzeitdaten aus großen Übersichtsarbeiten; sie sind vergleichbar mit Ergebnissen nach einer Nephrektomie bei ähnlichen präoperativen Voraussetzungen. Die Komplikationsraten sowie die Hospitalisationskosten sind ähnlich gering wie nach einer Tumornephrektomie. Die Lebensqualität ist nach einer Teilresektion höher im Vergleich zur Nephrektomie (20). Trotz dieses Paradigmenwechsels werden immer noch zu viele Patienten mit kleinen organbegrenzten Tumoren mit einer Nephrektomie übertherapiert. Eine erweiterte elektive Nierenteilresektion bei günstig gelegenen peripheren Tumoren mit > 4 cm Durchmesser wird in urologischen Zentren mittlerweile regulär angeboten; sofern dies technisch durchführbar und onkologisch vertretbar erscheint. ⏐ Jg. 106⏐ ⏐ Heft 8⏐ ⏐ 20. Februar 2009 Deutsches Ärzteblatt⏐ Klinische Kernaussagen > Bei solitären Nierentumoren < 4 cm und gesunder Gegenniere ist die organerhaltende Nierenteilresektion neuerdings Standardtherapie. > Bei solitären Nierentumoren > 4 cm kann bei günstig lokalisierten Tumoren der Organerhalt angestrebt werden. > Nach Nierenteilresektion bei Nierenzellkarzinomen können tumorspezifische 5-Jahres-Gesamtüberlebensraten über 90 % erreicht werden. > Im Vergleich zur Nephrektomie sind bei der Nierenteilresektion ähnlich geringe Komplikations- und Rezidivraten zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit eines Lokalrezidives liegt unter 10 %. > Es sollte vermehrt darauf geachtet werden, dass der Organerhalt bei lokal begrenzten Nierentumoren angestrebt wird. Hierdurch kann Nierenfunktion und somit Lebensqualität erhalten werden. Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht. Manuskriptdaten eingereicht: 20. 5. 2008, revidierte Fassung angenommen: 24. 9. 2008 LITERATUR 1. Fergany A, Hafez K, Novick AC: Long-term results of nephron sparing surgery for localized renal cell carcinoma: 10-year follow up. J Urol 2000; 163: 442–5. 2. Fergany A, Saad I, Woo L, Novick AC: Open partial nephrectomy for tumour in a solitary kidney: Experience with 400 Cases. J Urol 2006; 175: 1630–3. 3. Lindblad P: Epidemiology of renal cell carcinoma. Scand J Surg 2004; 93: 88–96. 4. 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At first, part of the kidney, rather than all of it, was resected only if there was an absolute indication for doing so, i.e., if the tumor was located in an anatomically or functionally solitary kidney or if renal failure was already present. Now that favorable oncological outcomes have been demonstrated, renal tumors are increasingly often removed with only partial resection of renal tissue even when the indications are less stringent, including when the other kidney is healthy. Methods: The indications for, and oncological outcomes of, partial renal resection are presented and discussed on the basis of a selective literature search of Medline as well as the guidelines of the European Association of Urologists (EAU). Results and Conclusions: The EAU, in its new guidelines for renal cell carcinoma, recommends partial renal resection as the standard treatment for tumors less than 4 cm in size that are wholly contained within one kidney when the other kidney is healthy. This practice yields comparable outcomes to those of nephrectomy, with tumor-specific five-year survival rates exceeding 90%. In major urological centers, partial resection is favored even for tumors larger than 4 cm, as long as they are in a favorable location. Nonetheless, the estimated rate of nephrectomy for tumors less than 4 cm in size currently remains very high in Germany, as it does in American studies, even though the organ-preserving resection of such small tumors usually results in cure. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(8): 117–22 DOI: 10.3238/arztebl.2009.0117 Key words: renal cancer, surgery, renal failure, life expectancy, treatment outcomes @ The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de ⏐ Jg. 106⏐ ⏐ Heft 8⏐ ⏐ 20. Februar 2009 Deutsches Ärzteblatt⏐