epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 Pocken »Triumph! Getilget ist des Scheusals lange Wuth« erschienen in epoc 01/2010 Vor 30 Jahren erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pocken für ausgerottet. Jahrtausendelang hatte das Virus gewütet, Millionen von Menschen getötet – und den Lauf der Geschichte beeinflusst. von Angelika Friedl Die Körpertemperatur steigt, die Glieder schmerzen, der Ausschlag breitet sich zuerst auf der Zunge und im Rachen aus. Dann bedecken übel riechende Eiterbläschen den ganzen Körper. Wer Glück hat, übersteht die Pockeninfektion, nur Narben bleiben zurück. Doch rund ein Drittel aller Erkrankten sterben, noch in den 1960er Jahren sind es jährlich zwei Millionen Menschen weltweit. Dreizehn Jahre lang kämpft die WHO mit Schutzimpfungen gegen das Virus – in Indien, Afrika und überall dort, wo es noch keine Zwangsimpfungen gibt. Alle Kranken werden konsequent unter Quarantäne gestellt. 1977 gibt es nur noch einen infizierten Mann in Somalia. Er überlebt die Pocken. Doch die Viren, die unter dem Mikroskop wie winzige Ziegel aussehen, schlagen ein Jahr später noch einmal zu: Über den Kabelschacht eines Labors in Birmingham gelangen sie in das darüber liegende Stockwerk und töten eine Frau. Seitdem ist niemand mehr erkrankt. Am 8. Mai 1980 erklärt die WHO das Pockenvirus Variola major, auch Variola vera genannt, für 1 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 ausgerottet. Eine der gefährlichsten Seuchen der Menschheit gibt es nicht mehr. Die Anfänge der Krankheit verlieren sich im Dunkeln. Forscher glaubten lange, dass sich das tödliche Virus aus den harmlosen Pockenviren von Haustieren entwickelt habe. Aktuelle Analysen legen jedoch nahe, dass es in Afrika Nagetiere mit befallenen Vorfahren des Virus gab. „Es ist umstritten, wann die Krankheit zum ersten Mal auftrat und ob und wie stark sie in Antike und Mittelalter verbreitet war“, erklärt Karl-Heinz Leven. Er ist Medizinhistoriker am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg und weiß durch eigenes Studium, dass die Beschreibungen der Krankheit in den Quellen vage bleiben. Anscheinend haben die Pocken die Menschheit aber schon jahrtausendelang bedroht. So weisen einige Mumien ägyptischer Pharaonen die typischen Ausschläge auf. Besonders bei Ramses V., der 1157 v. Chr. starb, vermuten Wissenschaftler als Todesursache eine Pockeninfektion. Auch Aufzeichnungen der Hethiter erinnern an die Seuche: König Suppiluliuma (1380 – 1346 v. Chr.), sein Sohn und Nachfolger sowie viele andere Untertanen starben den Quellen zufolge an der Krankheit. Ein möglicher Hinweis auf die Pocken findet sich auch in der Susruta Samhita, einem medizinischen Lehrbuch aus Indien, das vermutlich in der Zeit um 400 v. Chr. entstand: „... in dieser Krankheit hat der Körper eine bläuliche Farbe und die Haut erscheint wie mit Reis bedeckt. Die Pusteln 2 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 werden schwarz und flach, sind in der Mitte eingedrückt und verursachen Schmerzen. Sie reifen langsam...“ Die berühmte „attische Pest“ (430 v. Chr.), die in den Jahren 430 bis 426 v. Chr. in Athen wütet und deren Verlauf – zusammen mit den Ereignissen des Peloponnesischen Krieges – der griechische Geschichtsschreiber Thukydides aufzeichnete, lässt sich wahrscheinlich nicht auf die Pocken zurückführen. Doch sollen auch einige antike Herrscher an Variola vera gestorben sein. Ob der römische Kaiser Marc Aurel zu den Opfern zählt, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Fast sicher sind sich die Forscher dagegen heute, dass es sich bei der Seuche, die 581/82 n. Chr. in Tours im Frankenreich ausbrach, um die Pocken handelte. Bischof Gregor von Tours schildert in seinem Geschichtswerk Historia Francorum die Symptome der Kranken: Die Fiebernden seien am ganzen Körper, bis zu den Händen, Füßen und Augen, von schmerzenden, eitrigen Bläschen und Pusteln bedeckt. „Um zu einer sicheren Diagnose zu gelangen, fehlen aber in den Quellen wesentliche Angaben, etwa über die Verbreitung der Krankheit, Symptome und Zahlen über die Sterblichkeit“, bewertet Medizinhistoriker Leven die Quellenlage. Erst seit dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit erhöht sich für das Gebiet des heutigen Europas die Zahl der verlässlichen Quellen. Das liegt nicht zuletzt an den Berichten über die Kaiser und Könige, die an Pocken erkranken und zum Teil 3 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 daran sterben: Nur knapp überlebt die junge englische Königin Elisabeth I. im Oktober 1562 die Seuche. Der römisch-deutsche Kaiser Joseph I. übersteht 1711 die Krankheit nicht. Auch Zar Peter II. von Russland (1730) und Ludwig XV. von Frankreich (1774) sterben an der Infektion. Der französische König hat sich angeblich bei einem Hirtenmädchen angesteckt. Die österreichische Kaiserin Maria Theresia infiziert sich 1786 mit den Blattern, wie die lebensgefährlichen Pusteln auch genannt wurden. Ihre glückliche Genesung feiert man seinerzeit mit einer eigenen Gedenkmedaille. Maria Theresia regiert von 1740 bis 1780, in einem Jahrhundert, das als Zeitalter der Aufklärung bekannt ist. Aus medizinhistorischer Sicht könnte man das 18. Jahrhundert aber auch noch ganz anders nennen: das Jahrhundert der Pocken. Die Zeit der Pest ist vorbei, die vom 14. bis zum 17. Jahrhundert verheerend wütete. Nun bedrohen die Blattern die Menschen. Die Seuche unterscheidet nicht zwischen Arm und Reich, Adeligen oder Bauern. Jährlich sollen ihr auf dem Gebiet des heutigen Europa rund 500 000 Menschen zum Opfer gefallen sein, schätzen Historiker. Allein in den deutschen Staaten sterben jährlich – vor allem in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts – mehr als 60 000 Menschen. Für das Königreich Preußen, dem größten deutschen Flächenstaat, hat man eine Zahl von etwa 40 000 Toten jährlich errechnet. „Die Pocken waren, wie in früheren Zeiten die Pest, eine Art Skandalkrankheit“, sagt Eberhard Wolff, Kulturwissenschaftler und Medizinhistoriker am 4 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 Medizinhistorischen Institut der Universität Zürich: „Vor allem waren sie eine typische Kinderkrankheit.“ Wahrscheinlich als Sechsjähriger infiziert sich auch Johann Wolfgang von Goethe 1755, erholt sich aber wieder. Anders als drei seiner Geschwister, die sterben. Auch zwei Töchter der Kaiserin Maria Theresia überleben die Pocken nicht. Eine weitere Tochter, Marie Elisabeth, erkrankt kurz vor ihrer Heirat mit dem französischen König Ludwig XV. Die angeblich hübscheste Tochter Maria Theresias übersteht die Infektion am Ende zwar, ist jedoch durch Narben verunstaltet. Eine Infektionskrankheit beeinflusst den Geschichtsverlauf: Marie Elisabeth tritt in ein Kloster ein, und die österreichische Kaiserin bestimmt nun eine andere Tochter zur Ehefrau des französischen Thronfolgers Ludwigs XVI. – Marie Antoinette. So sehr die Bevölkerung im Bereich des heutigen Europa im 18. Jahrhundert unter der Krankheit leidet, für die Indianer Südamerikas ist sie außerdem noch mitverantwortlich für den Erfolg der spanischen Invasoren: Denn den Konquistadoren helfen vor allem mitgebrachte Krankheiten bei ihrem Siegeszug. Den Anfang machen die Pocken. 1518 tötet die Seuche viele Eingeborene auf der Insel Hispaniola, die heute aus Haiti und der Dominikanischen Republik besteht. Zwei Jahre später dezimiert sie die Truppen der Azteken so stark, dass Montezuma, der die Hauptstadt Tenochtitlán von den Spaniern befreit hat, die spanischen Soldaten nicht weiter verfolgen kann. Die weißen Einwanderer bleiben von der Krankheit 5 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 weitestgehend verschont, weil viele von ihnen sie bereits überstanden hatten und daher vor weiteren Infektionen geschützt waren. Die Indianer glauben deshalb, dass der Gott der Christen ihren Untergang billigt. Von Mexiko breiten sich die Pocken nach Guatemala aus. Von dort gelangen sie 1525 nach Peru, wo der Inkaherrscher Huayna Cápac und viele seiner Untertaten daran sterben. In den folgenden Jahrzehnten verbreiten sich auch andere Seuchen: Masern, Typhus und die Grippe, die für Millionen Indianer den Tod bedeuten. Schätzungen zufolge lebten in Mexiko und Peru vor der Eroberung rund 30 Millionen Menschen, 1568 ist die Bevölkerungszahl in Mexiko auf drei Millionen gesunken. Eine ähnliche Entwicklung vermutet man für ganz Südamerika. Das Massensterben in der Neuen Welt übertrifft in seinem Ausmaß teilweise sogar die Pestepidemien des 14. Jahrhunderts in Eurasien. Bereits früh beschäftigen sich Ärzte in ihren Schriften mit dem Krankheitsphänomen. Einer der Ersten ist der persische Mediziner Ar-Razi (zirka 865 bis 925 n. Chr.), den man im Abendland Rhazes nennt. Er unterscheidet die Seuche von den Masern. Bei der Ursachenforschung stützt er sich auf die antike Säftelehre (Humoralpathologie), die Hippokrates, seine Schüler und der griechische Arzt Galen (um 129 bis 201 n. Chr.) entwickelt hatten. Danach müssen die vier Säfte – Blut, Schleim, weiße und schwarze Galle – im Gleichgewicht sein, damit der Mensch gesund bleibt. 6 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 In verunreinigter Luft (griechisch „miasmata“) erkennt man den Auslöser für Seuchen. In schlechter Luft sehen die antiken Ärzte auch den Grund, warum viele Menschen gleichzeitig erkranken. Rhazes zufolge trifft es vor allem Kinder – weil ihr Blut unreif sei. Er vergleicht es mit Traubensaft, in dem die Gärung noch nicht begonnen hat. Wenn das Blut aufwallt, um zu reifen, könnten sich die Pocken entwickeln. Daher erkranken nach Rhazes fast alle Kinder daran. Vor allem Jungen seien gefährdet. Der antiken Vorstellung zufolge ist ihr Blut wärmer als das von Mädchen. Weil verunreinigte Luft den Krankheitsausbruch noch verstärken konnte, sind nach Rhazes’ Theorie auch Erwachsene betroffen. „Bei Rhazes sieht man deutlich den Unterschied zwischen vormoderner und naturwissenschaftlicher Krankheitslehre“, erklärt der Medizinhistoriker Leven. „Die moderne Medizin bestimmt die Krankheit durch den viralen Erreger, Orthopoxvirus variola, das klinische Bild und mit Hilfe der Epidemiologie, der Lehre von den Ursachen und Verbreitung einer Krankheit.“ In Rhazes Zeit und noch viele Jahrhunderte später sieht man dagegen die Ursache der djudari, wie die Pocken auf arabisch heißen, in natürlichen Veränderungen – im mangelnden Gleichgewicht des menschlichen, vor allem des kindlichen Körpers. So fremd Rhazes’ Auffassung auch anmutet: Nur wenige medizinische Schriften der Geschichte hatten eine so weitreichende Wirkung wie die 7 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 Abhandlung des persischen Arztes. Sie wird Anfang des 14. Jahrhunderts aus dem Arabischen ins Griechische übersetzt, zu Beginn der Renaissance ins Lateinische später auch in englische, französische und deutsche Sprache übertragen. Noch zu Beginn des 19. Jahrhundert glauben die Mediziner, dass die individuelle Anlage eines Menschen darüber entscheide, ob jemand an den Pocken erkrankt. Wie schon in der Antike diskutieren die Mediziner über eine mögliche Ansteckung. Aber wie und wodurch ein Mensch sich anstecken konnte, bleibt lange Zeit unklar. Der Nachweis, dass Viren für Krankheiten verantwortlich sind, gelingt der modernern Mikrobiologie erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Entscheidenden Anteil daran hatten der französische Chemieprofessor Louis Pasteur und der deutsche Bakteriologe Robert Koch. Viele Jahrhunderte lang sind die Menschen den gefährlichen Blattern schutzlos ausgeliefert. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird jedoch in Europa immer öfter eine Behandlung angewandt, die zumindest einen gewissen Schutz verspricht: Die Impfmethode, Variolation genannt, stammt vermutlich aus China oder Indien. Die Schriftstellerin und Frau des britischen Botschafters in Konstantinopel, Lady Mary Wortley Montagu, berichtet 1717 über die Praxis der „Einpropfung“ („ingrafting“): Mehrere Familien mit Kindern treffen sich und ritzen einige Venen der Kinder an. Mit der Spitze einer Nadel drücken sie dann die Pusteln pockeninfizierter Menschen in deren 8 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 Blutbahn. Als Lady Mary feststellt, dass die so behandelten Kinder später nur an einer milden Form der Krankheit leiden, kämpft sie energisch dafür, diese Impftechnik auch in England zu verbreiten. In Deutschland kannte man in der Volksmedizin ein ähnliches Verfahren, das so genannte „BlatterBeltzen“. Die Variolation war jedoch eine risikoreiche Methode. Schließlich handelte es sich um eine künstlich erzeugte Infektion mit echten Viren. Zum einen konnten die Geimpften schwer erkranken, zum anderen Epidemien ausgelöst werden. Wie riskant die Variolation war, zeigt die Statistik des englischen Arztes Robert Sutton. Von den 30 000 Menschen, die er in den 1760er Jahren impft, sterben mit 1 200 – vier Prozent. Zum Vergleich: Bei einer Pockeninfektion beträgt die Todesrate 20 Prozent, in manchen Jahren 30 Prozent. Nach Impfversuchen unter anderem von Benjamin Jesty 1774, gelingt Edward Jenner 1796 der Durchbruch. Der englische Arzt glaubt, dass Infektionskrankheiten übertragen werden, weil Kranke ein „poison“ oder „virus“ (Gift) absondern. Am 14. Mai 1796 impft er den achtjährigen James Phipps mit Kuhpocken. Der Junge erkrankt zwar leicht, erholt sich aber schnell. Sechs Wochen später infiziert Jenner den Jungen mit Menschenpocken. Einige Monate später wiederholt er diesen Versuch – aber James Phipps bleibt gesund. Bis die Vakzination, wie Jenners Impfung mit Kuhviren bezeichnet wurde, sich in ganz Europa 9 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 verbreitet, dauert es Jahrzehnte. Viele Ärzte sind zwar von den Erfolgen der Impfung begeistert. „Triumph! Getilget ist des Scheusals lange Wuth“, lautet die Umschrift einer Gedenkmedaille auf Jenners Entdeckung. Aber andere Menschen, darunter auch einige Ärzte, lehnen das Verfahren kategorisch ab. Manche glauben, dass die Krankheit den Körper von schlechten Säften reinigten. Eine Impfung würde diesen Prozess verhindern. Papst Leo XII. spricht sich 1824 gegen die Impfung aus, weil die Krankheit eine Gottesstrafe sei, in die man nicht eingreifen dürfe. Auch andere Schwierigkeiten beschwören Kritik herauf: Weil Kuhpocken selten auftraten, wurde vielerorts das Impfmaterial knapp. Bei der Impfung mit diesen Erregern übertrug man außerdem gelegentlich auch die echten Viren oder das Syphilisbakterium. Besonders groß war die Enttäuschung, als man feststellte, dass eine einmalige Impfung nicht in jedem Einzelfall vor einer erneuten Ansteckung schützte. Trotz aller Probleme erkrankten jedoch viel weniger Menschen als zuvor. Das war auch ein Erfolg der staatlichen Impfgesetze. „Mit der Pockenschutzimpfung wurde zum ersten Mal ganze Bevölkerungen zum Objekt einer staatlichen bzw. von der Medizinalbürokratie betriebenen Maßnahme“, berichtet der Züricher Medizinhistoriker Eberhard Wolff. So führt Bayern schon 1807 einen Impfzwang für Kinder ein, 1818 folgt das Königreich Württemberg. In Preußen gibt es in dieser Zeit zwar kein Impfgesetz, doch eine 10 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 Reihe von Verordnungen sorgt auch hier für flächendeckende Impfungen. Vor allem Schulanfänger, Bergarbeiter und Soldaten wurden in Deutschland geimpft. Daher bleiben deutsche Soldaten von der Epidemie weitgehend verschont, die 1870/71 während des Deutsch-Französischen Krieges ausbricht. Über 23 000 französische Soldaten sterben, weil sie nicht geimpft sind. Durch französische Kriegsgefangene gelangt die Epidemie auch nach Deutschland. In den folgenden drei Jahren sterben 181 000 Menschen an der Seuche. Ab 1874 verpflichtet das Reichsimpfgesetz alle Kinder zur Schutzimpfung. Zunächst waren es Kuhpocken, die geimpft wurden. Später jedoch enthielt der Impfstoff Vacciniaviren. „Wann dieser Wechsel stattfand, ist bis heute nicht klar“, erklärt der Leiter des Konsiliarlabors für Pockenviren am Robert Koch-Institut Andreas Nitsche: „Bis jetzt wissen wir auch noch nicht, woher der Vacciniavirus stammt. Aufgrund von molekularen Analysen wird zurzeit ein Pferdevirus diskutiert.“ Seit fast 30 Jahren gibt es weltweit zwar keine Infektion mehr. Aber das Virus Variola vera existiert noch: Aufbewahrt in flüssigem Stickstoff, lagern Proben in den amerikanischen "Centers of Disease Control and Prevention" in Atlanta und in einem Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie bei Nowosibirsk in Russland – angeblich zu Forschungszwecken. Es ist nicht auszuschließen, dass noch weitere Staaten illegal Virenbestände lagern. Seit den Anschlägen auf das 11 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 World Trade Center am 11. Septembers 2001 kursieren immer wieder Gerüchte, dass Terroristen oder andere Kriminelle die Viren als biologische Waffe einsetzen könnten. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihren Vorrat an Impfstoffen daher erheblich aufgestockt. Laut Robert Koch-Institut soll der Vorrat im Ernstfall für die gesamte Bevölkerung ausreichen. Kasten: Bei den Pocken werden die Krankheitserreger entweder durch Atemluft (Tröpfcheninfektion) übertragen oder durch Kontakt mit den Krusten oder der Haut eines Infizierten. Die Blattern zeigen in den meisten Fällen eine typische Verlaufsform: In den ersten zehn bis 14 Tagen nach einer Infektion spüren die Infizierten kaum Anzeichen der Krankheit. Dann aber packt sie hohes Fieber. Kopf und Glieder schmerzen, die Atemwege entzünden sich. Manchen Patienten ist dauernd übel, andere leiden an Albträumen. Die ersten Hautauschläge mit kleinen roten Punkten bilden sich auf der Zunge und im Rachen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Ansteckungsgefahr am größten. Nach einigen Tagen erscheint der typische Hautauschlag. Rötliche Flecken befallen zuerst das Gesicht und verbreiten sich schnell auf Rumpf, Arme und Beine. Innerhalb von Tagen entstellt das Virus die Kranken, besonders das Gesicht schwillt oft stark an. Das Fieber kann sich bis zum Delirium steigern. Die Flecken werden zu Knoten, aus denen Bläschen 12 epoc 1/10 Mocek/Friedl (Pocken) 16.04.10 und schließlich eitrige Pusteln wachsen. Diese trocknen allmählich aus, nach etwa drei Wochen fällt der Schorf ab. Dabei quält die Überlebenden der Juckreiz. Viele Infizierte behalten vor allem im Gesicht Narben zurück, wie zum Beispiel die Büste Ludwig van Beethovens zeigt, die der Wiener Bildhauer Franz Klein 1812 schuf. Die Sterblichkeitsrate nach einer Infektion schwankte zwischen zehn und 30 Prozent. Wenn das Virus die Augen angriff, führten die Geschwüre auf der Hornhaut häufig zur Erblindung. Eine besonders schwere Krankheitsform bezeichnete man als „Schwarze Blattern“. Die Erkrankten starben dabei häufig bereits nach wenigen Tagen an Blutungen in Haut, Schleimhäuten und den inneren Organen. Doch wer die Blattern überlebte, war für den Rest seines Lebens vor einem erneuten Angriff der Viren geschützt. Angelika Friedl arbeitet als freie Journalistin im Berliner Medienbüro „Pressesyndikat“. 13