Aus gegebenem Anlass: Pocken, Variola Großtierpraxis 4:03, 30-34 (2003) D ie Pocken, auch als Blattern bezeichnet, sind eine hochgradig ansteckende, lebensgefährliche Infektionskrankheit, die durch Viren verursacht wird. Sie sind durch einen typischen Krankheitsverlauf mit charakteristischen Hautveränderungen gekennzeichnet, wobei zwei Formen der Erkrankung unterschieden werden: die gefährlicheren echten Pocken und die harmloseren weißen Pocken. Die Behandlung der Patienten erfolgt ausschließlich symptomatisch. Die beste Behandlung besteht in einer Vermeidung der Erkrankung durch eine Schutzimpfung, die auf Beschluss der Weltgesundheitsorganisation 1967 weltweit zur Pflicht wurde. Dank dieser Maßnahme trat 1977 weltweit der letzte Pockenfall auf. Leider werden aber nach dem 11. September 2001 die Sorgen größer, dass Pockenviren durch Terroristen als biologische Waffe verwendet werden können, zumal in der ehemaligen Sowjetunion bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts große Mengen von in Hühnereiern gezüchteten Viren hergestellt und gelagert wurden. Allgemeines Die Pocken sind eine durch Viren hervorgerufene, hochgradig ansteckende, lebensgefährliche Infektionskrankheit, die zu typischen Hautveränderungen führt. Auf Grund des hohen Ansteckungspotentials breiteten sich die Pocken in einer ungeschützten Bevölkerung sehr rasch aus. Die Folge waren Pockenepidemien. Als Epide- 30 GROSSTIERPRAXIS 03/2003 mie bezeichnet man das räumlich und zeitlich gehäufte Auftreten einer Erkrankung. Noch im Jahre 1967 wurden von der WHO weltweit bis zu 15 Millionen Pockenerkrankungen registriert. Die Pocken gehörten zu den quarantänepflichtigen Erkrankungen, wie heute noch Pest, Gelbfieber, Ebola und Cholera. Unter Quarantäne versteht man die auf die Inkubationszeit einer Erkrankung befristete strenge Isolierung von Personen, Gebieten und Gegenständen zur Vermeidung einer Ausbreitung der Erkrankung. Die Dauer der Quarantäne betrug bei Pocken 14 Tage. Sie ist heute nicht mehr von praktischer Bedeutung, da die Pocken als ausgerottet gelten. In Deutschland ereignete sich der letzte Fall einer Pockeninfektion im Jahre 1972. Der letzte Pockenfall weltweit trat im Oktober 1977 in Somalia auf. Am 8. Mai 1980 wurde die Welt von der WHO für „pockenfrei“ erklärt. Historisches Die ersten Pockenepidemien waren bereits 1000 v. Chr. in China, auf dem indischen Subkontinent und auf der arabischen Halbinsel bekannt. Aus Arabien kommend wurden die Pocken dann, vor allem durch Teilnehmer an den Kreuzzügen, in Europa verbreitet. Die erste historisch belegte Pockenepidemie in Europa herrschte im 6. Jahrhundert. Weitere Epidemien traten im 13. Jahrhundert in England sowie im 15. Jahrhundert in Deutschland auf. Mit den spanischen Eroberern kamen die Pocken nach Amerika und spiel- ten wahrscheinlich eine wesentliche Rolle beim Untergang der alten Indianerkulturen der Inka und Azteken, mit über 3 Millionen Toten. Die sicherlich prominenteste Person, die an den Pocken erkrankte, war die österreichische Kaiserin Maria Theresia (1717 — 1780), die 1768 im Alter von 50 Jahren erkrankte und die Erkrankung überlebte. Erste Erkenntnisse über eine mögliche Schutzimpfung gegen Pocken waren in China bereits vor dem 10. Jahrhundert. Schon damals hatte man beobachtet, dass das Einbringen von Sekret aus den Hautveränderungen von Pokkenkranken auf die Nasenschleimhaut bzw. in die Haut gesunder Personen zu einer weniger starken Pockenerkrankung führte. Diese Form der Schutzimpfung bezeichnete man als Variolation. Sie wurde 1674 auch in Europa eingeführt, nach Westeuropa gelangte sie 1721 durch den Schottischen Arzt Maitland. Allerdings traten dennoch bei den so geimpften Personen häufig tödlich verlaufende Pockenerkrankungen auf, so dass dieses Verfahren wieder verlassen wurde. 1796 gelang dem Engländer Edward Jenner eine wirksame Schutzimpfung gegen die Pocken. Er beobachtete die Pockenerkrankung bei Rindern und verwendete die aus den Kuhpockenblasen gewonnene Flüssigkeit zur Impfung. Die Entdeckung Jenners bildete die Grundlage für die heute erreichte Ausrottung der Pocken. Die erste weltweit öffentliche Impfstation, vor allem gegen die Pocken, wurde im Jahr 1802 in Berlin durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. und seine Frau Luise unter dem Namen „Königlich-Preußisches Schutzblattern-Impfinstitut“ eröffnet. Der König ließ zu diesem Anlass seinen jüngsten Sohn Wilhelm gegen die Pocken impfen. Am 8. April des Jahres 1874 wurde die Impfung gegen Pocken im damaligen Deutschen Reich durch das Reichsimpfgesetz zur Pflichtimpfung erklärt. Dieses Gesetz wurde durch das Gesetz über die Pockenschutzimpfung vom 18. Mai 1976 abgelöst. Erst am 1. Juli 1983 wurde die Pflichtimpfung gegen die Pocken gesetzlich endgültig beendet. Im Jahre 1977 fanden in der Bundesrepublik die letzten größeren Massenimpfungen statt. In Bayern wurden zum Test eines besser verträglichen Impfstoffs jedoch noch ca. 150.000 Menschen bis Anfang der 80er Jahre geimpft. Die Ergebnisse dieses Tests waren aber wissenschaftlich nicht verwertbar, da ca. 50.000 der geimpften Personen bereits vorher mit dem alten Impfstoff geimpft worden waren. Erreger Der Erreger der Pocken sind Viren der Familie Poxviridae. Zu den Poxviridae gehören die Gattungen Orthopoxvirus und Parapoxvirus. Die Erreger der Pocken beim Menschen sowie die Erreger der Kuhpocken gehören zur Gattung Orthopoxvirus. Bei der Pockenerkrankung des Menschen kann man zwischen den echten Pocken und den ungefährlicheren weißen Pocken unterscheiden. Der Erreger der echten Pocken ist Orthopoxvirus variola, der Erreger der weißen Pocken Orthopoxvirus alastrim. Die Pockenviren sind die größten Viren, die beim Menschen Erkrankungen auslösen können. Sie haben eine ziegel- bzw. backsteinartige Form mit einer Kantenlänge bis zu 400 nm und liegen damit unter der Auflösungsgrenze eines Lichtmikroskops. Pokkenviren sind hoch komplexe Viren, die DNA enthalten und von einer verhältnismäßig resistenten Eiweißhülle umgeben sind. Übertragung Der wichtigste Übertragungsweg der Pockenviren ist die Tröpfcheninfektion. Darunter versteht man die Übertragung der Erreger über feinste Sekrettröpfchen mit der Luft, z.B. beim Sprechen, Niesen oder Husten. Die Erkrankung kann aber auch als Schmierinfektion, also über Gegenstände wie z.B. Kleider oder Türklinken übertragen werden. Die Infektiosität einer Person beginnt mit den ers-ten Symptomen und endet ca. 3 Wochen später mit dem Abheilen des Ausschlags. Inkubationszeit Die Inkubationszeit beträgt 8 bis 14 Tage. Häufigkeit Seit 1977 sind keine Personen mehr an Pocken erkrankt. Symptome Hinsichtlich der Beschwerden der Patienten muss man zwischen den echten Pocken und den weißen Pocken unterscheiden. Echte Pocken Die echten Pocken werden auch als Variola vera oder Variola major bezeichnet. Die Pocken führen zu typischen Hautveränderungen, die mehrere Stadien durchlaufen können. Die Bezeichnung Variola geht auf das lateinische Wort varia für verschieden oder bunt zurück und dürfte durch die vielgestaltigen Hautveränderungen entstanden sein. POCKEN Die Erkrankung beginnt mit einigen uncharakteristischen Beschwerden, wie z.B. Fieber, Kreuz- und Gliederschmerzen sowie einer Entzündung der Atemwege, die ca. 2 bis 4 Tage anhalten. In diesem Stadium tritt bereits ein vorübergehender Hautausschlag auf. Nach einem kurzfristigen Abfall des Fiebers kommt es zu den typischen Hauterscheinungen. Sie treten in der Reihenfolge: Flecken, Knoten, Blasen, Pustel, Krusten auf. Zuerst bilden sich blass-rote, juckende Flecken, die dann in Knoten übergehen. Aus diesen Knoten entstehen flüssigkeitsgefüllte Bläschen, die sich zu Pusteln, also mit Eiter gefüllten Bläschen, umwandeln. Diese Pusteln trocknen dann unter Bildung einer Kruste bzw. eines Schorfes ein. Die Abstoßung dieser Krusten ist mit einem starkem Juckreiz verbunden. Besonders im Gesicht bleiben daher häufig Narben (Pocken-Narben) zurück. Die Hautveränderungen treten zuerst am Kopf auf und breiten sich dann über den gesamten Körper aus. Lediglich die Achselhöhlen sowie die Innenseite der Oberschenkel bleiben frei. Während dieser Zeit leiden die Patienten unter hohem, treppenförmig ansteigendem Fieber mit Verwirrtheit, Desorientierung und Wahnvorstellungen. Rund 40 % der Patienten versterben während dieser Krankheitsphase. Wer die Pocken überlebt, ist dann jedoch lebenslang vor einer erneuten Erkrankung geschützt. Als Schwarze Blattern oder Variola haemorrhagica bezeichnet man eine besondere Verlaufsform der Pocken. Bei ihr ist die Inkubationszeit verkürzt. Innerhalb weniger Tage kommt es zu ausgedehnten schweren Blutungen der Haut, der Schleimhäute sowie innerer Organe. Die Patienten versterben bereits in der ersten ErkrankungswoGROSSTIERPRAXIS 03/2003 31 Weiße Pocken pesviren, wirksame Medikamente, wie z.B. Aciclovir. Die Behandlung beschränkt sich daher auf symptomatische Maßnahmen, wie Bettruhe, Gabe fiebersenkender Medikamente, Flüssigkeitszufuhr, kalorienreiche aber leichtverdauliche Nahrung. Die weißen Pocken oder Variola minor stellen eine weniger gefährliche Erkrankung als die echten Pocken dar. Allerdings kann man auch an den weißen Pocken versterben. Die Sterblichkeitsrate liegt nur bei 1 bis 5 %. Es ist wichtig zu wissen: Wer an den weißen Pocken erkrankt war, besitzt keinen Schutz vor einer Infektion mit dem Erreger der echten Pocken. Um eine weitere Ausbreitung der Erkrankung zu verhindern, müssen die Patienten, das betreuende medizinische Personal sowie Kontaktpersonen strikt isoliert werden (Quarantäne). Wohnräume, Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände der Patienten müssen außerdem desinfiziert werden, um eine weitere Ausbreitung der Erkrankung zu verhindern. Diagnose Komplikationen Die Diagnose ist beim Auftreten der typischen Hautsymptome in Zusammenhang mit hohem Fieber bereits klinisch zu stellen. Der Nachweis der Pockenviren ist auf verschiedene Art und Weise möglich. Die Pockenviren können in Material, das aus den Bläschen und Pusteln gewonnen wurde, mit dem Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden. Eine Anzucht der Viren ist in Hühnerembryonen möglich. Es können aber auch serologische Verfahren angewendet werden, die spezifische Antikörper gegen die Pockenviren nachweisen. Zur Zeit finden in vielen Ländern und auch in Deutschland wegen der Sorge eines terroristischen Anschlags intensive Schulungen von Ärzten statt, um ihr Wissen über die Pocken zu erweitern bzw. aufzufrischen. Die Schwarzen Blattern stellen eine gefürchtete Komplikation der Pocken dar. Im Rahmen einer Erkrankung an diesen Pocken kann es auch zur Beteiligung innerer Organe, z.B. der Leber und des Herzens, aber auch des Gehirns und Rückenmarks kommen. POCKEN che, häufig schon während der ersten 48 Stunden. Therapie Eine ursächliche Behandlung, also eine Bekämpfung des Pockenvirus im menschlichen Körper, ist nicht möglich. Antibiotika sind nur gegen Bakterien aber nicht gegenüber Viren wirksam. Bisher existieren nur gegen wenige Viren, z.B. gegen Her- 32 GROSSTIERPRAXIS 03/2003 Sterblichkeit Wie bereits erwähnt liegt die Sterblichkeit bei den echten Pocken bei etwa 40 %, bei den weißen Pocken immerhin noch bei 1 bis 5 %. Die Schwarzen Blattern verlaufen zu annähernd 100 % tödlich. Man kann davon ausgehen, dass durch das erstmalige Auftreten von Pocken in einer ungeimpften Bevölkerungsgruppe diese Gruppe auf ca. ein Drittel ihrer Ausgangsgröße reduziert wird. Prophylaxe, Impfungen Ein erfolgreicher Schutz vor einer Ansteckung mit Pocken kann nur durch eine Schutzimpfung erreicht werden. Die Pocken sind das bisher einzige Beispiel für die Ausrottung ei- ner Erkrankung durch konsequente Durchimpfung der Bevölkerung weltweit. Dies war nur möglich, da lediglich Menschen und keine Wildtiere von Pockenviren infiziert werden können. In geimpften Personen kann sich das Virus nicht vermehren und stirbt ab. Die letzten größeren Pockenimpfungen fanden in Deutschland im Jahr 1977 statt, weltweit wurden sie im Jahr 1980 ausgesetzt. Ein Impfschutz durch Impfungen aus dieser Zeit ist wahrscheinlich nicht mehr vorhanden, da die Impfungen alle 5 — 10 Jahre aufgefrischt werden müssen. Daher müssten sich auch diese Menschen im Falle eines Terroranschlags mit Pokkenviren erneut impfen lassen. Es ist jedoch möglich, dass der Verlauf einer Pockenerkrankung dieses Personenkreises ohne eine erneute Impfung einen milderen Verlauf nimmt als für ungeimpfte Menschen. Für die Impfung wird das Vacciniavirus verwendet. Die Herkunft dieses Virus ist nicht endgültig geklärt. Es handelt sich um ein Virus, das seine Aktivität zwar erhalten hat, jedoch von sehr geringer Pathogenität ist. Unter Pathogenität versteht man die Fähigkeit eines Erregers, Krankheitserscheinungen auszulösen. Nach einer Impfung mit dem Vacciniavirus kommt es nach 3 — 4 Tagen an der Impfstelle zu einer Hautreaktion mit einer juckenden roten bzw. rötlichen Beulenbildung, die in eine eitrige Pustel oder Blase übergeht und nach 2 — 3 Wochen einen Schorf bildet, der dann unter Bildung einer kleinen bleibenden Narbe abheilt. Während der Dauer der Beule bzw. Pustel ist die geimpfte Person bei einem direkten Kontakt an der Impfstelle für andere Personen infektiös. Aber auch bei einem eigenen Kontakt, z.B. mit den Händen, an der Impfstelle kann es zu einer durchaus folgenschweren Infektion an anderen Körperstellen, wie z.B. den Augen (Erblindung) kommen. Daher sind im Falle eines derartigen Kontakts die Hände, sofern kein geeignetes Desinfektionsmittel zur Verfügung steht, gründlich mit Wasser und Seife zu waschen. Die meisten der heute über 25-Jährigen haben am rechten oder linken Oberarm eine solche Narbe. Geimpft wurde einmal vor Vollendung des 2. Lebensjahres und ein zweites Mal im 12. Lebensjahr. Seit der Ausrottung der Pocken ist die Impfpflicht aufgehoben. Es gibt in Deutschland keinen zugelassenen Impfstoff mehr bzw. noch nicht wieder. Sollte ein Arzt dennoch impfen, z.B. mit einem aus dem Ausland erhaltenen Impfstoff, so geht er im Falle von Impfschäden das Risiko ein, Schadenersatz leisten zu müssen und eventuell sogar mit einer Anklage wegen Körperverletzung rechnen zu müssen! Es gibt in Deutschland einen neu entwickelten Impfstoff, der erheblich nebenwirkungsärmer ist als der alte. Aber im Zuge der Terrorismusprophylaxe wird dieser Impfstoff nicht verwendet, da seine Wirksamkeit im Falle einer Pockenepidemie noch nicht hinreichend getestet wurde. Die Gefahr eines tödlichen Impfzwischenfalls liegt bei den derzeit verfügbaren Impfstoffen etwa bei 1-2 pro 1.000.000 geimpfter Menschen. Das würde bedeuten, dass bei einer Impfung aller Bundesbürger, also von rund 80 Millionen Menschen, mit etwa 80 bis 160 tödlichen Zwischenfällen zu rechen wäre. Schwerere Impfschäden, wie z.B. Hirnhautentzündungen, sind etwas häufiger, dabei müsste bei 80 Millionen geimpften Menschen mit einigen Hundert schweren Impfschäden gerechnet werden. Weltweit existieren offiziell nur noch zwei Laboratorien, wo Pockenviren aufbewahrt werden: • Center of Disease Control and Prevention in Atlanta, Georgia/USA • Russisches Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie (Vektor) in Koltsovo bei Novosibirsk/ Russland. Prognose Die Prognose der Pocken ist insgesamt schlecht, wobei ca. 40 % der Infizierten versterben und die Überlebenden meistens lebenslang durch schwere Narben stark verunstaltet sind. Bedeutung als Biowaffe Es ist leider nicht mehr auszuschließen, dass Terroristen in den Besitz ausreichender Mengen an Pockenviren gelangen können, obwohl die Viren offiziell weltweit nur noch in 2 Laboratorien vorhanden sein sollen. Aber erfahrene Biologen könnten sich die Viren sicherlich besorgen, zumal Tausende von Menschen in der Vergangenheit mit der Erforschung biologischer Waffen befasst waren. Besonders die ehemalige Sowjetunion hat bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts große Mengen von in Hühnereiern gezüchteten Pockenviren hergestellt und gelagert. Ihr Verbleib ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Geheime Tests der Sowjetunion im Jahre 1971 auf einer Insel im Aralsee hatten gezeigt, wie wirkungsvoll das Virus als biologische Waffe eingesetzt werden kann. Der Versuch war damals außer Kontrolle geraten. Die Viren hatten sich über ein Gebiet von vielen Quadratkilometern ausgebreitet und vielen Menschen das Leben gekostet. Besorgnis erregend ist die Tatsache, dass die Viren relativ stabil sind; so bleiben sie bei einer Lagerung bei -20 °C über Jahrzehnte infektiös, bei Raumtemperatur immerhin noch über Wochen oder sogar Monate. Ein Versprühen z.B. aus einem Sportflugzeug oder mit Hilfe von normalen Sprühdosen läge daher durchaus im Bereich des Möglichen. Allerdings ist die Gefahr durch bewusst infizierte Selbstmordattentäter, die sich dazu an zahlreichen belebten Orten aufhalten würden, vernachlässigbar gering. Der Grund ist, dass eine infizierte Person POCKEN erst nach der Bildung der ersten Pokkenbläschen auf der Haut ansteckend wird. Dann aber ist ein Betroffener bereits so krank, dass er kaum noch in der Lage wäre umherzulaufen, um andere Menschen zu infizieren. Außerdem würde eine derart erkrankte Person sofort auffällig werden. Sollte es dennoch zu Pockeninfektionen kommen, könnte die Entstehung einer Pockenepidemie durch sofortige Massenimpfungen stark begrenzt bzw. ganz verhindert werden. Das ist möglich, da eine Impfung noch bis zu etwa 4 Tagen nach einer Infektion mit dem Erreger verabreicht werden kann und dann noch einen sicheren Schutz vor einer Infektion gewährt. Ende Februar 2003 wurde bekannt gegeben, dass die Anzahl der auf Vorrat gehaltenen Impfeinheiten in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit bei ca. 50 Millionen liegt und so schnell wie möglich, spätestens bis Ende September 2003, auf rund 100 Millionen aufgestockt werden soll. Die Bundesregierung empfiehlt aber generelle vorbeugenden Impfungen für die Bevölkerung weiterhin nicht. Das Robert Koch-Institut in Berlin rät jedoch, alle Personen, die mit möglicherweise infizierten Personen in Kontakt treten müssten, wie Impfärzte, Ärzte und sonstiges Personal auf Infektionsstationen, bereits jetzt vorbeugend zu impfen. Das Serum soll ansonsten, vor allem wegen seiner nicht unbeträchtlichen Nebenwirkungen, nur für den Fall eines Anschlags mit dem Virus zur sofortigen Impfung großer Teile der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Im Falle eines Anschlags mit Pocken ist nach dem Infektionsschutzgesetz eine Zwangsimpfung von Teilen der Bevölkerung oder falls erforderlich sogar der gesamten Bevölkerung möglich. Die Impfstoffe werden bei der Fa. Bavarian Nordic Martinsried bei München hergestellt. GROSSTIERPRAXIS 03/2003 33 POCKEN toimmunerkrankungen, außerdem • bei bestehender Schwangerschaft. Am 13. Dezember 2002 erklärte der Präsident der USA, George Bush, dass alle Angehörigen der USStreitkräfte gegen das Pockenvirus geimpft würden, zuerst natürlich alle in der Golfregion stationierten Soldaten und sonstige Militärangehörige. Sehr medienwirksam ließ sich der Präsident bei der Ankündigung selber vor laufenden TV-Kameras gegen die Pocken impfen. All diese Maßnahmen zeigen, wie ernst ein möglicher Terroranschlag mit Pockenviren mittlerweile von den politisch Verantwortlichen genommen wird. Kinder unter 2 Jahren Gegenanzeigen Personen mit folgenden Erkrankungen sollten möglichst nicht geimpft werden, es sei denn, es besteht eine große Wahrscheinlichkeit für eine Infektion: • bei bekannten Allergien gegen Bestandteile des Impfstoffes • bei schweren allergischen Reaktionen, wie z. B. Empfindlichkeitsreaktionen nach einer früheren Pockenimpfung • bei einer Immunschwäche verschiedener Ursache, z.B. durch eine HIVInfektion • bei Ekzemen, Neurodermitis • bei einer Reihe von Hauterkrankungen, wie z. B. Verbrennungen bis zum Abklingen der Symptome • bei akuten behandlungsbedürftigen Erkrankungen, wie fiebrigen Infekten • bei chronischen ZNS-Erkrankungen, wie z. B. Epilepsie oder Lähmungen • bei akuten entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems • bei therapeutisch nicht beherrschten Organerkrankungen, wie z. B. Diabetes, Asthma, schweren HerzKreislauf-Erkrankungen oder Au- 34 GROSSTIERPRAXIS 03/2003 Kinder unter 2 Jahren sind besonders stark in Gefahr, an Nebenwirkungen einer Impfung zu erkranken. Nach Aussagen des Berliner Robert Koch- Instituts ist daher im Fall des Auftretens der Pokken eine sehr genaue Risikoabwägung zwischen der Gefahr einer Pockeninfektion mit den daraus erwachsenden Folgen und den möglichen Risiken einer Impfung vorzunehmen. Eine generelle Empfehlung wird jedoch nicht gegeben. Wichtig für derartige Entscheidungen ist sicherlich u.a. die Tatsache, ob ein Kind mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen ist und wie groß insgesamt das Ausmaß einer möglichen Epidemie im konkreten Fall ist. Meschede, den 14. Jan. 1970 Die letzte Pockenerkrankung in Deutschland mit vier Toten liegt erst 33 Jahre zurück. Der arme Teufel, der die Blattern aus Pakistan mitbrachte, überlebte, war aber dem Hass einer ganzen Region ausgesetzt, wie u. a. ein Leserbrief an die Westfalenpost zeigt: „Die Pockenhippies: Sie ziehen durch die Lande, ganz frei und ungeniert. / Die Haare bis zum Rumpfe, voll Läuse, unrasiert. / Und in den Taschen Rauschgift, die Pest und Cholera. / Und auf dem Balg die Pocken, Moral, für sie Skandal. Am Ende steht: »So langsam, aber sicher geht uns der Ofen aus! / Wir Steuerzahler fordern, BRINGT SIE INS ARBEITSHAUS!“ Das EU-Tiermehlverbot soll gelockert werden In Brüssel mehren sich die Anzeichen für eine schrittweise Lockerung des EU-Tiermehlverbots. Die Verfütterung von Fischmehl an Wiederkäuer könnte schon bis zum Ende dieses Jahres erlaubt werden, und in den kommenden Jahren könnten zunächst die Verfütterung von Geflügelmehl an Schweine und später auch die Verwertung von Fleisch- und Knochenmehlen anderer Säugetiere Über den Futtertrog gestattet werden, skizzierte ein Beamter der Europäischen Kommission im Anschluss an eine Sitzung der EU-Chefveterinäre das weitere Vorgehen. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten habe diese Strategie unterstützt, versicherte der Beamte. Selbst Deutschland und Frankreich hätten für dieses Vorhaben überraschend viel Sympathie gezeigt - auch wenn sie mit Blick auf die Reaktionen der Öffentlichkeit für ein vorsichtiges Vorgehen plädiert hätten; den größten Widerstand habe Italien geleistet. Im Bundeslandwirtschaftsministerium sieht man die Dinge etwas anders. Deutschland habe auf der Sitzung deutlich gemacht, dass es von einer Lockerung des Tiermehlverbots nichts halte. Zum einen wolle man die Verbraucher nicht verunsichern und zum anderen habe man Zweifel, dass die Trennung der Futter- und Knochenmehle verschiedener Tierarten in der Praxis funktioniere. Die Kommission will mit einem entsprechenden Vorschlag warten, bis das Eiweiß verschiedener Tierarten sicher unterschieden werden kann und die Sicherheitsmaßnahmen gegen BSE zuverlässig umgesetzt werden. Die Verfütterung von, Säugetiermehl an Wiederkäuer soll nach dem Willen von Mitgliedstaaten und Kommission hingegen dauerhaft verboten bleiben. Die Wiederzulassung der Tiermehlverfütterung an Wiederkäuer sei auf absehbare Zeit kein Thema, hieß es aus der Kommission. Eine Ausnahme sei allerdings die von Großbritannien geforderte Verwertung von Fischmehl in Wiederkäuerfutter. (AgE)