1. Beispiel: Cholesterin ist eine Kohlenstoffverbindung, die eine beherrschende Rolle beim Fettstoffwechsel und bei der Arterienverkalkung spielt. Um seinen Umsatz im menschlichen Körper zu studieren, fassen wir Blut und Organe zu einem Kompartiment K1 zusammen und den Rest des Körpers zu einem Kompartiment K2 ; K3 sei die Außenwelt, in die hinein die Exkretion erfolgt. Für i = 1, 2 bedeute ui (t) die Abweichung vom normalen Cholesterinniveau in Ki , z.B. nach dem Verzehr eines Weihnachtsbratens. Die Exkretion erfolge nur aus K1 . Mit Hilfe eines radioaktiven “Tracers” fand man, daß die Übertragungsrate von K1 nach K2 etwa 0,036, von K2 nach K1 etwa 0,02 und von K1 nach K3 etwa 0,098 beträgt. Von K2 nach K3 findet kein Abbau statt. Bestimmen Sie aus diesen Angaben ein Differentialgleichungssystem für u1 , u2 und bestimmen Sie die allgemeine Lösung. 2. Beispiel: Ein Tank K1 enthalte 100 ` Wasser, in dem 5 kg Salz aufgelöst sind, ein Tank K2 300 ` Wasser mit 5 kg Salz. Beginnend zum Zeitpunkt t0 = 0 werden pro Minute ständig 10 ` Salzlösung von K1 nach K2 und 10 ` von K2 nach K1 gepumpt und sofort verrührt. Wie groß ist der Salzgehalt mi (t) in Ki zur Zeit t > 0? Auf welchem Niveau stabilisiert sich schließlich der Salzgehalt in Ki ? 3. Beispiel: Im Dickdarm befinden sich E-Kolibakterien. Bei schwacher körperlicher Verfassung können sie in eine Niere vordringen und Nierenbeckenentzündung verursachen. Die Infektion macht sich bemerkbar, sobald etwa 108 Kolibakterien in der Niere sind. Kolibakterien verdoppeln ihre Anzahl etwa alle 20 Minuten. Angenommen, 100000 Kolibakterien seien in die linke Niere gelangt. Wieviele Stunden dauert es, bis sie die kritische Größe (108 ) erreicht haben? Dabei soll angenommen werden, daß keine Bakterien durch Harnableitung entfernt werden. 1 4. Beispiel: Laut Aufzeichnungen über Breslau erkrankten um 1700 jährlich 1/8 der suszeptiblen Bevölkerung an Pocken, und rund 1/8 der Krankheitsverläufe endeten tödlich. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug 26 Jahre und 7 Monate. Man fragte sich, in welchem Ausmaß die Einführung einer verpflichtenden Impfung gegen die Pocken die Lebenserwartung vergrößern würde. Hierauf versuchte D. Bernoulli eine Antwort zu finden. Hierfür betrachtete er die Anzahl y(t) der Mitglieder einer Geburtenkohorte (mit ursprünglich y(0) = 1300 Personen), die den tten Geburtstag erleben. Von den das Alter t erlebenden Personen mögen x(t) suszeptibel, d.h. dem Risiko einer Pockeninfektion ausgesetzt sein. Bernoulli faßte sowohl x(t) als auch y(t) als differenzierbare Funktionen auf und stellte für beide Funktionen Differentialgleichungen auf, wobei er das mit der Impfung verbundene Risiko vernachlässigte. Hierfür führte er folgende Notationen ein: p bezeichne den Anteil an Suszeptiblen, der pro Zeiteinheit an Pocken erkrankt. s sei der Anteil der an Pocken Erkrankten, der pro Zeiteinheit an der Erkrankung stirbt. m bezeichne den Anteil an Personen, der pro Zeiteinheit nicht pockenbedingt stirbt. Stellen Sie anhand dieser Informationen jeweils eine Differentialgleichung für die auf die Zeiteinheit bezogene Anzahl an Suszeptiblen und für die Anzahl der Überlebenden auf. Da die Funktion x(t) der Beobachtung nicht zugänglich ist, ist es vorteilhaft zunächst die Funktion v(t) = x(t)/y(t) zu betrachten. Welcher Differentialgleichung genügt v(t)? Bestimmen Sie die Funktion v(t) unter der Annahme, daß v(0) = x(0)/y(0) = 1 ist. Die Werte der Funtkion y(t) konnte Bernoulli aus den Sterbetafeln von Breslau entnehmen. So war z.B. y(1) = 1000. Berechnen Sie mit diesem Wert x(1). Wie groß ist die mittlere Anzahl der Suszeptiblen unter einem Jahr? Wieviele von diesen Personen sterben in dem betrachteten Zeitintervall an Pocken? Bernoulli konnte mit seinen Berechnungen von fiktiven Sterbetafeln “nachweisen”, daß die mittlere Lebenserwartung durch Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen Pocken um rund drei Jahre zunehmen würde. 2