Corvey eine römische Civitas! Ist diese These diskutabel? Diese Frage habe ich in meinem Beitrag vom 19. Dezember 2005 gestellt und klar mit „ja“ beantwortet. Heute gehe ich ein Stück weiter und sage, man muss darüber diskutieren. Angesprochen sind alle bezahlten und unbezahlten Forscher aller in Frage kommenden Fachrichtungen, auch die Denkmalpfleger und Archäologen. Hier eine brandaktuelle Nachricht, die das untermauert: Im DOM vom 18.12.2005 auf Seite 4 ist unter der Überschrift „Karolingische Kirche entdeckt“ folgende Mitteilung zu lesen: Nassenfels (KNA). Archäologen haben bei Ausgrabungen in der großen römischen Villa von Nassenfels bei Ingolstadt die Überreste einer karolingischen Kirche entdeckt. Diese wurde im achten Jahrhundert über einem römischen Landgut errichtet. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege sprach von einem in Bayern einzigartigen Fall für die Frühmittelalterliche Archäologie. Diese Einzigartigkeit würden die Profiforscher auch nördlich des Mainz finden, wenn sie den Argumenten des Forschers Heribert Klabes nachgingen und unvoreingenommen seine Thesen prüfen würden. Sie würden feststellen: Das Benediktinerkloster Corvey wurde auf römischen Fundamenten errichtet und Teile des Westwerks sind römisch. Ohne die Grundaussagen von Klabes revidieren zu wollen stelle ich im Nachfolgendem zu einem Detail eine Gedankenkette vor, die die Diskussion um Corvey neu anregen soll. Klabes sieht die Ursprünge Corveys und Tom Roden’s in augusteischer Zeit (von 11 v. Chr. bis 9 n. Chr.). An diesem Zeitfenster habe ich Zweifel, weil es zu dieser Zeit in ganz Germanien noch keine römischen Steinbauten gab. Dieser Umstand und die frappierenden Ähnlichkeit der Schrifttafel (aus Sollinger Sandstein) in Corvey mit der Schrifttafel (aus Marmor) am Titusbogen in Rom lassen mich an eine spätere Zeit denken. Am Westwerk in Corvey am Titusbogen in Rom Beide Schrifttafeln tragen eine lateinische Schrift ohne Wortzwischenräume. Die Buchstabenform û Capitalis Quadrata û ist gleich und ergibt ein Schriftbild von vollendeter Schönheit, Klarheit und Ausgewogenheit wie es nur kurzzeitig, im Rom der frühen Kaiser, verwandt wurde. Auch die Steinumrandungen sind fast identisch (s. vorstehende Abbildungen). Gerade die Wortkürzung als Ligatur in der corveyschen Tafel û DOMINE in DNE (= Herr).- am wichtigsten Wort des Textes bestätigt einen späteren Zeitpunkt. Diesen Titel hatte Augustus für den öffentlichen Gebrauch abgelehnt. Klabes’ Vermutung, dass er in den Provinzen auf einer Tafel erlaubt gewesen sei, ist eventuell nicht haltbar. Ganz anders sah es bei dem Kaiser Domitian (regierte von 81-96 n. Chr.) aus. Domitian wurde von seinem Bruder Titus zum Mitkaiser gemacht und damit zum Nachfolger designiert, und der Senat legitimierte sofort nach Titus’ Tod Domitians Ausrufung zum Kaiser durch die Prätorianer. Tatsache, und keine böswillige Verzerrung ist nun, dass Domitian alsbald den Autokraten herauskehrte. Wenn er den Senat betrat, trug er nicht die senatorische Toga sondern das purpurne Triumphalgewand des siegreichen Feldherrn, darin Jupiter, nicht den Senatoren gleich. Er ließ 24 Liktoren statt der bescheidenen 12, mit denen sich alle Kaiser seit Augustus begnügt hatten, vor sich hergehen, und ließ sich mit dominus et deus (Herr und Gott) anreden, allerdings nicht göttlich verehren. Auf keinen anderen römischen Kaiser passt deshalb der Inschriftentext der corveyschen Schrifttafel besser als auf Domitian. Das zeigen auch die Übersetzungsmöglichkeiten. Ich bin kein Lateiner und muss mich deshalb zurückhalten. Klabes übersetzt folgendermaßen: „Diese CIVITAS umfasse du, Herr, und deine Boten mögen ihre Mauern bewahren“ Diese Übersetzung begründet er ausführlich (s. Klabesbuch S 176 ff), schlüssig und einleuchtend. Die Mönche aus Corvey übersetzten: „Behüte o Herr diese Stadt und lass Deine Engel die Wächter ihrer Mauern sein“ Beides frei übersetzt: römisch: „Der Kaiser (Domine = Herr) möge die Civitas dem Imperium eingliedern und seine Boten (Soldaten) ihre Befestigung bewachen“ christlich: „Gott möge die Bürgerschaft schützen und seine Engel die Befestigung bewachen“ Sonst war Domitian ein sachlicher Politiker, energisch und tüchtig. Was die Außenpolitik betraf, oder besser die Militärpolitik an den Grenzen des Reiches, hat er nicht Unbedeutendes geleistet. Das geschah z. B. in Germanien. Domitian drang an Lahn und Dill erstmals wieder gegen einen germanischen Stamm, die Chatten, vor (83 n. Chr.) und eroberte deren Gebiet (Taunus und Wetterau). Er begann mit der Anlage eines zusammenhängenden Verteidigungssystem, dem Limes. Wohl 89 n. Chr. wurden die bisherigen Heeresabschnitte Ober - und Niedergermanien in reguläre Provinzen umgewandelt. Die Chatten waren Nachbarn der Cherusker und hatten gemeinsam mit diesen unter der Führung von Arminius gegen die Legionen des Varus gekämpft. Ist es da nicht nahe liegend, dass Domitian bis Corvey und Tom Roden vordrang und dort hölzerne Castell û und Lagergebäude des Drusus (vermutlich auch von Varus genutzt) durch Steinbauten ersetzte? Ich meine, in diese Zeit kann die Errichtung des Prätorialpalastes (UrWestwerk) fallen. Domitian veränderte Rom völlig durch ein ungeheures Bauprogramm (nur in Rom?). Er vollendete das von seinem Vater Vespasian begonnene und von seinem Bruder Titus fortgeführte „Amphitheatrum Flavium“ das heute unter dem Namen „Kolosseum“ berühmt ist. Und genau dort findet man auch lateinische, goldene Intarsienbeschriftungen wie auf der corveyschen Schrifttafel. Zufall? Nachdem Domitian am 18. 9. 96 n. Chr. ermordet wurde û die Mordgeschichte ist nachzulesen in „DIE ZEIT“ Welt- und Kulturgeschichte Band 5 Seiten 565 ff û reagierte der Senat, das alte Machtzentrum des Reiches, mit Begeisterungsstürmen und riss die Ehrenschilde des Kaisers herunter und warf seine Statuen um. Seine Gesetze und Verordnungen wurden für null und nichtig erklärt und alle seine Inschriften und Bildnisse ausgetilgt. Da ist es doch möglich, dass sich solches auch auf germanischem Boden fortsetzte. Hat in der Konche des „Ur-Westwerks“ (Prätorialpalast?) in Corvey eine Statue von Domitian gestanden und wurde diese nach seinem Tode, wie in Rom, ausgetilgt (zerschlagen)? Zahlreiche zerschlagene Teile einer Kalk-Stuck-Plastik fanden sich in der Auffüllung eines Gewölbes über dem Erdgeschoss des Westwerks im südlichem Umgang. Auch das würde passen. Wenn Steine reden könnten!!!!! 30. Dezember 2005 Gerhard Kroos www.arminiusforschung.de