Institut für Theoretische Physik Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften Technische Universität Dresden Mechanismen der Ionisation atomarer Systeme in intensiven Laserpulsen Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Naturwissenschaften (Doctor rerum naturalium) vorgelegt von Christian Siedschlag geboren am 12.10.1973 in Freiburg Dresden 2002 Eingereicht am 16.4.2002 1. Gutachter: Prof. Dr. Jan-Michael Rost 2. Gutachter: Prof. Dr. Rüdiger Schmidt 3. Gutachter: Prof. Dr. Paul-Gerhard Reinhard Verteidigt am Inhaltsverzeichnis 1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 I 7 Edelgascluster in starken Laserfeldern 2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1 Was sind Cluster? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1.1 Erzeugung von Clustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.1.2 Theoretische Beschreibung von Clustern . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3 Ein 3.1 3.2 3.3 Modell für Edelgascluster in starken Feldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Grundzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der inneren Ionisation und Propagation . . . . . . . . . . . . . Vergleich mit ähnlichen Modellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Das onion model . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Tunneln über die Landau-Rate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Verwendung des vollen Coulombpotentials . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Ein typischer Einzelrun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 13 14 18 18 18 19 19 4 Enhanced ionization“ in H+ 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 ” 4.1 Kurze Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4.2 Enhanced ionization im Rahmen unseres Clustermodells . . . . . . . . . . . . 26 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ” 5.1 Enhanced ionization bei festgehaltenen Kernen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Verschiedene Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Unterschiedliche Clustergrössen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Veränderung der Laserintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Zirkulare Polarisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Enhanced ionization“ bei freier Kernexpansion . . . . . . . . . . . . . . . . ” 5.2.1 Verschiedene Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Unterschiedliche Clustergrössen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Veränderung der Energienormierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Zirkulare Polarisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Ein einfaches Modell zur Clusterexpansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Skalierung der optimalen Pulslänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Pulslängenvariationen mit kleinen Metallclustern . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Experimentelle Resultate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 29 29 33 37 38 40 41 44 46 46 50 51 52 53 4 II Inhaltsverzeichnis Anwendungen Bohmscher Mechanik in der Atomphysik 57 6 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 7 Kurze Einführung in die Bohmsche Mechanik 7.1 Die Bohmschen Bewegungsgleichungen . . 7.1.1 Der Einteilchenfall . . . . . . . . . 7.1.2 Der Mehrteilchenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ” 8.1 Numerische Implementation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Beispiel 1: H+ 2 im starken Laserfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Entkopplung klassischer und quantenmechanischer Freiheitsgrade in der Bohm-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Der Einfluss der Kernbewegung im Bohm-Bild . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Coulomb Explosion Imaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld . . . . . . . . . 8.3.1 Bisherige Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Doppelionisation eines Helium-Modellatoms . . . . . . . . . . . . . . 67 67 68 70 73 79 83 83 92 9 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Anhang A Die klassische Hamilton-Jacobi-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 A.1 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 A.2 Zeitentwicklung als kanonische Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 A.3 Beschreibung eines klassischen Ensembles durch eine Dichteverteilung . . . . 114 Anhang B Split-Operator-Methode zur Wellenpaketpropagation . . . . . . . . . . . . . . . 115 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1 Überblick Diese Arbeit befasst sich mit der Ionisation atomarer Systeme (d.h. von Atomen, Molekülen und Clustern) in kurzen, intensiven Laserpulsen. Wir betrachten dabei den Intensitätsbereich von I = 1013 bis I = 1016 W/cm2 ; damit ist das elektrische Feld des Lasers so hoch, daß es nicht mehr als Störung angesehen werden kann, aber auch noch keine relativistische Behandlung erforderlich macht. Bereits bei der Wechselwirkung eines Atoms/Ions mit nur einem aktiven Elektron mit einem solchen Puls können, abhängig von den Pulsparametern wie Intensität und Frequenz sowie der Bindungsenergie des Elektrons, unterschiedliche Mechanismen wie Tunneleffekt oder Multiphotonabsorption zur Ionisation führen. Bei mehreren aktiven Elektronen in einem Atom wird deren Wechselwirkung untereinander den Ionisationsprozess weiter verkomplizieren; in einem Molekül wird der Einfluss mehrerer Kerne auf ein zu ionisierendes Elektron wiederum zu neuen Effekten führen. Im Cluster schliesslich sind eine Vielzahl von Elektronen und Kernen am Ionisationsprozess beteiligt und sorgen für eine hochkomplexe Dynamik. Von theoretischer Seite her ist es natürlich äusserst wünschenswert, die Beschreibung auf möglichst wenige Grössen zu reduzieren, mit deren Hilfe die wesentlichen Charakteristika solcher Prozesse erfasst werden können. Dies wird im ersten Teil dieser Arbeit bei der Behandlung der Ionisation kleiner Edelgascluster in intensiven Laserfeldern geschehen. Ein eigens entwickeltes Modell für einen solchen Cluster wird verwendet, um zu zeigen, daß die Ionisationsausbeuten im wesentlichen durch den Clusterradius bestimmt werden. Dessen zeitliche Änderung im Laufe eines Laserpulses sowie die damit verbundene Korrelation mit der Pulslänge wird eingehend untersucht. Der zweite Teil der Arbeit zeigt einige Möglichkeiten zur Anwendung der Bohmschen Interpretation der Quantenmechanik in der theoretischen Behandlung atomarer Prozesse auf. In der Bohmschen Sichtweise ist es möglich, die zeitabhängige Entwicklung einer Wellenfunktion mittels eines Testteilchenensembles mikroskopisch zu betrachten. Damit kann beispielsweise der Verlauf eines Ionisationsereignisses detaillierter betrachtet werden, als es im integralen Bild der orthodoxen Interpretation der Quantenmechanik, die die Kenntnis der Wellenfunktion als die maximal mögliche Information ansieht, welche man über ein System erlangen kann, möglich wäre. Am Beispiel der Ionisation von H+ 2 und Helium im starken Laserfeld werden wir zeigen, wie durch die Verwendung der Bohmschen Mechanik neue Einblicke in die Ionisationsmechanismen gewonnen werden können. Die Gliederung der Arbeit ist wie folgt: in Kapitel 2 wird eine kurze Einführung in die Clusterphysik, insbesondere in den Bereich von Clustern in intensiven Laserfeldern, gegeben. Kapitel 3 stellt das zur Behandlung dieser Problematik entwickelte Modell vor und enthält erste Beispielrechnungen. In Kapitel 4 wird die Clusterphysik dann kurz verlassen, um einen Ionisationsmechanismus zu erläutern, der für den Fall von H+ 2 im intensiven Laserfeld entdeckt wurde. Dieser Mechanismus wird anschliessend in Kapitel 5 auf die Ionisation kleiner Edelgascluster übertragen. Dabei werden zunächst Rechnungen mit unbeweglichen Kernen 6 1 Überblick gezeigt; anschliessend wird untersucht, wie sich diese Ergebnisse auf die Ionisationsdynamik bei freier Kernexpansion auswirken. Mit Kapitel 6 beginnt der zweite Teil der Arbeit. Nach einigen allgemeinen Bemerkungen zur Bohmschen Mechanik und deren Interpretation folgt in Kapitel 7 eine kurze Einführung in die technischen Aspekte dieser Theorie. Kapitel 8 behandelt schliesslich die Ionisation von H+ 2 und Helium aus dem Blickwinkel der Bohmschen Mechanik. Die Arbeit schliesst in Kapitel 9 mit einer Zusammenfassung. Technische Details, die für das Verständnis der Arbeit nicht unbedingt nötig sind, sind in zwei Anhängen aufgeführt. Soweit nicht anders vermerkt, werden in dieser Arbeit durchgängig atomare Einheiten verwendet. Teil I Edelgascluster in starken Laserfeldern 2 Einführung Im folgenden wird eine Einführung in den aktuellen Forschungsstand auf dem Gebiet von Clustern in starken Laserfeldern gegeben. Dazu werden zunächst einmal die allgemeinen Grundlagen der Clusterphysik, insbesondere einige Möglichkeiten zur theoretischen Beschreibung von Clustern, kurz erläutert. Im Anschluss daran werden wir uns speziell auf das Verhalten von Clustern in starken Feldern konzentrieren. 2.1 Was sind Cluster? Das Gebiet der Clusterphysik liegt gewissermassen auf der Grenzlinie zwischen Atom- und Festkörperphysik. Unter Clustern versteht man in der Physik ganz allgemein Anhäufungen von Atomen, wobei die Zahl der Konstituenten von ca. zehn bis zu ca. einer Million reichen kann. Der Übergang von der Molekül- zur Clusterphysik ist relativ fliessend, und selbst ein Cluster mit sechzig Atomen wie z.B. das wohl berühmteste Beispiel, das C60 -Fulleren, kann sowohl als Molekül wie auch als Cluster gesehen werden. Im allgemeinen wird man immer dann eher von einem Cluster als von einem Molekül sprechen, wenn die physikalischen Eigenschaften nicht so sehr von der genauen Zahl der Atome oder der Struktur des Systems abhängen, sondern im Wesentlichen durch die Angabe der Atomsorte(n), aus denen der Cluster besteht, bereits festgelegt sind. Cluster sind aus mehreren Gründen von Interesse: so lässt sich etwa mit steigender Clustergrösse der Übergang vom Atom zum Festkörper nachvollziehen. Viele Untersuchungen an Clustern gehen deshalb der Frage nach, wie sich Konzepte der Festkörpertheorie, die unter der Annahme unendlich vieler Teilchen entwickelt wurden, nach und nach immer besser auf immer grössere Cluster anwenden lassen. So wurde z.B. untersucht, wie sich die Wärmekapazität oder der Schmelzpunkt von Clustern mit der Zahl der Atome ändert [SKH+01, SvIH98] oder inwieweit Konzepte wie das der Temperatur oder des Phasenübergangs im Bereich endlicher Systeme überhaupt anwendbar ist [Gro97]. Cluster lassen sich auch zur Oberflächenbehandlung [Kli00] oder für mikroelektronische Anwendungen [GGKS01] verwenden. Hohle Cluster wie die Fullerene schliesslich können aufgrund ihrer speziellen Struktur in der Medizin dazu verwendet werden, in sie eingeschlossene Moleküle in der Blutbahn zu transportieren [Wil99, TQH + 00]. Vom Standpunkt der Atom- und Molekülphysik aus, der in der vorliegenden Arbeit eingenommen werden soll, bieten Cluster ein ideales Anwendungsfeld für den Test und die Verbesserung von Vielteilchentheorien. Neben der Bestimmung von Grundzustandseigenschaften sind es hier insbesondere dynamische Prozesse, die von experimenteller wie theoretischer Seite her grosses Interesse erfahren haben. Dazu zählen die Photoabsorption von Clustern, Kollisionen von Clustern mit Elektronen, Atomen, anderen Clustern,. . . , die Wechselwirkung von Clustern mit intensiven Laserfeldern etc.. In dieser Arbeit werden wir uns auf den 10 2 Einführung letztgenannten Aspekt, und dabei insbesondere auf die Wechselwirkung von kleinen Edelgasclustern mit kurzen, intensiven Laserpulsen, konzentrieren. Interessant an diesem Prozess ist die im Vergleich zu einzelnen Atomen stark erhöhte Energieabsorption eines Clusters, die letztlich zur kompletten Fragmentation führt. Dadurch entstehen schnelle Elektronen mit Energien im keV-Bereich, hochgeladene Ionen mit einer kinetischen Energie von einigen MeV und harte Röntgenstrahlen. Die Energie der entstehenden Ionen kann dabei sogar gross genug sein, um Kernfusion zu erzeugen [DZY+ 99]. Die Dauer der typischerweise verwendeten Pulse liegt im Bereich von T ≈ 5 fs bis T ≈ 1 ps und damit auf der selben Zeitskala wie die Bewegung der Kerne. Durch Veränderung der Pulslänge bzw. durch Verwendung zweier um eine Zeit ∆t verschobener Pulse ist es also möglich, die Kernbewegung zeitlich aufzulösen. Damit kann der Einfluss der Kernbewegung (eines zusätzlichen Freiheitsgrades, der in der Laser-Atom-Wechselwirkung nicht vorhanden ist) auf das Absorptionsverhalten eines Clusters untersucht werden. Mit dieser Fragestellung wird sich der erste Teil der vorliegenden Arbeit hauptsächlich beschäftigen. 2.1.1 Erzeugung von Clustern Cluster werden hauptsächlich aus der Gasphase heraus erzeugt; dazu wird das gewünschte Clustermaterial verdampft und unter hohen Druck gesetzt. Durch eine kleine Düse kann das Gas entweichen, wodurch die thermische Bewegung der Atome stark abgebremst wird. Durch die resultierende Temperaturreduzierung lassen sich Cluster relativ effektiv erzeugen. Experimente an neutralen Clustern leiden notorisch unter der Schwierigkeit der Massenselektion; es lässt sich hier lediglich eine ungefähre Massenverteilung mittels des HagenaParameters [dH93] angeben, welcher vom Druck und von der Temperatur des Gases abhängt, aus dem die Cluster enstanden sind. Das führt dazu, dass das Verhalten von ein- oder mehrfach ionisierten Clustern teilweise besser verstanden ist als das der entsprechenden neutralen Spezies, da in diesem Fall durch die Verwendung von Massenspektrometern eine genaue Massenselektion erfolgen kann. 2.1.2 Theoretische Beschreibung von Clustern Stationäre Eigenschaften Bei der theoretischen Beschreibung der stationären Clustereigenschaften ist es momentan nur für sehr kleine Systeme möglich, die zeitunabhängige Schrödingergleichung in allen Freiheitsgraden explizit zu lösen. Für grössere Systeme bedient man sich verschiedenster quantenchemischer Methoden. Cluster bis zu einer Grösse von etwa zehn Atomen lassen sich noch mittels Hartree-Fock-Verfahren behandeln (siehe z.B. [KFK91]); für grössere Cluster wird man zu einer Beschreibung mittels der Dichtefunktionaltheorie (DFT) übergehen müssen [DG90]. In beiden Fällen können zudem meist nicht alle Elektronen explizit berücksichtigt werden, so daß man sich auf einige wenige Valenzelektronen beschränken und den Einfluss der tiefergebundenen Coreelektronen durch geeignete Pseudopotentiale modellieren muss. Weitere Näherungen führen schliesslich für Metallcluster zum Jelliummodell, bei dem sich die über den gesamten Cluster delokalisierten Valenzelektronen vor einem homogen verschmierten, ionischen Hintergrund bewegen [Eka84]. 2.1 Was sind Cluster? 11 Dynamik unter Einwirkung äusserer Störungen Bei der Beschreibung der Dynamik von Clustern dienen die für den stationären Fall entwickelten Techniken meist als Ausgangspunkt. Während dabei im Bereich sehr schwacher Störungen noch mit der Linearen-Antwort-Theorie gearbeitet werden kann, wird man sich im nichtlinearen Regime mehr oder weniger ausgefeilter Techniken bedienen müssen. Wieder sind voll quantenmechanische ab-initio-Rechnungen nur für sehr kleine Systeme möglich; zur näherungsweisen Beschreibung grösserer Systeme wird meist die zeitabhängige Dichtefunktionaltheorie (TDDFT) in einer ihrer Variationen verwendet (eine aktuelle Einführung findet sich beispielsweise in [CRSU00]). Dabei können bei schwachen Störungen die Kerne noch als unbeweglich angesehen werden; bei der Wechselwirkung mit hochgeladenen Ionen oder intensiven Laserpulsen muss jedoch auch die Kerndynamik explizit berücksichtigt werden. Die Beschreibung der elektronischen Freiheitsgrade gestaltet sich im nichstationären Fall sehr viel aufwändiger als in stationären Rechnungen, da eine grössere Zahl von Basisfunktionen verwendet werden muss, um die möglichen auftretenden Kanäle berücksichtigen zu können. Die Beschränkung auf die Valenzelektronen gilt hier also in noch stärkerem Masse, so daß mit diesen Methoden und den heute zur Verfügung stehenden Computerressourcen nur Prozesse behandelt werden können, bei denen die Innerschalenelektronen keine aktive Rolle spielen. In kurzen, intensiven Laserpulsen ist das aber nicht mehr der Fall. Cluster in starken Feldern Die Entwicklung der Lasertechnik erlaubt es seit einigen Jahren, kurze, intensive Laserpulse mit Intensitäten von I = 1020 W/cm2 und Pulsdauern von nur wenigen Femtosekunden zu erzeugen. Bereits bei I = 1016 W/cm2 befindet man sich dabei in einem Bereich, in dem die durch den Laser auf ein Elektron eines Wasserstoffatoms ausgeübte Kraft der mittleren Kraft entspricht, die dieses Elektron durch die Kernanziehung erfährt. Schon einzelne Atome können durch solche Pulse bereits bei Intensitäten von 1014 − 1015 W/cm2 ohne weiteres doppelt ionisiert werden; bei entsprechenden Experimenten mit Clustern wurden für Cluster aus 10-50 Atomen teilweise schon bis zu zwanzigfach geladene Ionen beobachtet [KSK + 99]; die Verwendung noch grösserer Cluster ergab Ionenladungen von 40+ [DST+ 98]. Es ist offensichtlich, daß zur theoretischen Beschreibung solcher Prozesse die Vernachlässigung der Innerschalenelektronen nicht mehr zulässig ist. Daher muss man aufgrund der Vielzahl der zu behandelnden Teilchen auf quasiklassische Methoden zurückgreifen. Damit ist gemeint, daß nicht nur die Kerne, sondern auch die Elektronen als klassische Punktteilchen simuliert werden, die den Newtonschen Bewegungsgleichungen gehorchen. Lediglich zur Beschreibung der Bindungszustände werden quantenmechanische Konzepte verwendet. Solche vereinfachten Clustermodelle erlauben zwar keinen exakten Einblick in hoch differentielle Grössen, aber zur Berechnung hinreichend integraler Observablen wie z.B. der Gesamtenergieaufnahme eines Cluster und insbesondere zur Untersuchung prinzipieller Mechanismen sind sie momentan sicherlich deutlich besser geeignet als die zur Verfügung stehenden Dichtefunktionalmethoden, da die Mitnahme der Coreelektronen den durch die klassische Näherung gemachten Fehler mit steigender Laserfeldstärke mehr als wettmacht. Zudem erlauben gerade relativ einfache Modelle die Entwicklung einer guten Intuition für die Natur der ablaufenden Prozesse, was beim hohen technischen Aufwand der DFT-Verfahren sicherlich eher schwierig ist. Ein solches Modell wurde auch 12 2 Einführung in der vorliegenden Arbeit entwickelt; wir werden es im nun folgenden Kapitel vorstellen und erste Einblicke in den Prozess der Absorption von intensivem Laserlicht durch kleine Edelgascluster gewinnen. 3 Ein Modell für Edelgascluster in starken Feldern Wie im letzten Kapitel kurz erläutert, ist eine voll quantenmechanische Beschreibung von Clustern in starken Feldern (womit implizit gesagt sein soll, daß die Mitnahme der jeweils äussersten Elektronenschale alleine keine gute Näherung mehr darstellt) wohl auf absehbare Zeit unmöglich. Man muss also entsprechend vereinfachte Modellsysteme betrachten, um theoretische Aussagen über das Verhalten von Clustern unter solchen Bedingungen machen zu können. In der vorliegenden Arbeit haben wir uns auf Edelgascluster konzentriert und ein Modell entwickelt, welches zum einen die uns wesentlich erscheinenden Aspekte der Dynamik von Clustern in starken Feldern beinhaltet, zum anderen aber noch hinreichend einfach ist, um den numerischen Aufwand in Grenzen zu halten. Die Propagation aller Teilchen (und nicht nur der Ionen) erfolgt im Rahmen unseres Modells über die klassischen Newtonschen Bewegungsgleichungen; der atomare Ionisationsprozess wird durch ein quantenmechanisches Tunnelverfahren beschrieben. Die Verwendung der klassischen Mechanik auch zur Beschreibung der elektronischen Freiheitsgrade erscheint dabei angesichts der hohen Energien, die experimentell beobachtet werden, als vertretbar; davon abgesehen existieren zur Zeit keine wirklichen Alternativen zu diesem Vorgehen. Im folgenden werden wir die Einzelheiten des Modells darlegen und eine Einordnung bezüglich bereits existierender Verfahren vornehmen. 3.1 Der Grundzustand Aufgrund der geringen Reaktivität von Edelgasen können wir die Clusterelektronen vor Einsetzen des Laserpulses als bei ihren jeweiligen Mutteratomen“ lokalisiert annehmen; ” die Bindungen zwischen den Atomen erfolgen ausschliesslich durch Multipolkräfte. Wir beschreiben dabei die Clusteratome als Gesamtheit, d.h. als ein Teilchen mit Ladung Z = 0 und Masse M = MAtom + NElektronen . Die Elektronen sind also zu Beginn nur virtuell vorhanden und treten erst im Verlauf des Pulses als klassische Teilchen in Erscheinung (wir werden darauf gleich noch näher eingehen). Die Bindungsverhältnisse zwischen zwei Atomen ~ 1 und R ~ 2 modellieren wir durch Lennard-Jones-Potentiale: mit den Ortsvektoren R !12 !6 σ σ ~ 1, R ~ 2) = Escale V (R (3.1) − ~1 − R ~ 2| ~1 − R ~ 2| |R |R Dabei bestimmt Escale die Bindungsstärke, σ legt den Gleichgewichtsabstand R0 fest (R0 = σ 1/6). Die beiden Parameter werden an die Ergebnisse von Strukturuntersuchungen angepasst. Die Bindungsenergien bewegen sich im meV-Bereich, weshalb wir die Lennard-Jones- 14 3 Ein Modell für Edelgascluster in starken Feldern Element He σ [a.u.] 4.971 Ne 5.266 Ar 6.435 Kr 6.878 Xe 7.488 Tabelle 3.1: Parameter für Lennard-Jones-Potentiale Potentiale ab dem Beginn des Laserpulses vernachlässigen können. Aus diesem Grund ist der genaue Wert der Bindungsenergie für uns nicht von Interesse, da wir nur an den Gleichgewichtsabständen interessiert sind und diese nicht von Escale abhängen. Für σ findet man für die verschiedenen Edelgase die folgenden Werte: Ein lokales Potentialminimum für einen Cluster mit N Atomen, CN , kann beispielsweise bestimmt werden, indem die Kerne aus einer näherungsweise sphärisch symmetrischen Anfangskonfiguration heraus unter dem Einfluss von (3.1) zusammen mit einem zusätzlichen Reibungsterm mit dem Reibungskoeffizienten γ propagiert werden: ~¨ i = −∇V ~ (R ~ 1, R ~ 2, . . . , R ~ N ) − γR ~˙ MR (3.2) Globale Minima für das Potential (3.1) sind allerdings für eine Vielzahl von Clustergrössen bereits berechnet worden und sogar im Internet verfügbar 1). Sie wurden auch in dieser Arbeit verwendet. 3.2 Beschreibung der inneren Ionisation und Propagation Nachdem die anfängliche Struktur des Clusters fixiert ist, folgt nun die Beschreibung der zeitlichen Entwicklung nach Einschalten des Laserpulses. Diese besteht, was die Elektronen angeht, aus zwei Teilen: zum einen aus der Modellierung des Bindungszustandes in einem Clusteratom und der Ionisation aus diesem Bindungszustand heraus, zum anderen aus der Propagation nach der Ionisation aus dem Clusteratom. Den Prozess der Ionisation eines Elektrons aus einem Clusteratom oder -ion heraus bezeichnen wir im Folgenden als innere Ionisation, im Gegensatz zur äusseren Ionisation, bei der das Elektron den Cluster insgesamt verlässt. Für die innere Ionisation werden im Rahmen unseres Modells Annahmen gemacht, die über die klassische Mechanik hinausgehen; somit können die Energielevelstrukturen der Clusterkonstituenten berücksichtigt werden und damit insbesondere eine Unterscheidung zwischen z.B. einem Neon- und einem Argoncluster erfolgen. Die Propagation nach der inneren Ionisation wird dann, wie bereits angesprochen, über die Lösung der Newtonschen Bewegungsgleichungen erfolgen. Die innere Ionisation kann im Prinzip über zwei Mechanismen erfolgen: Feldionisation und Stossionisation. Bei der Feldionisation sorgt das elektrische Feld im Cluster (zunächst das des Lasers, später auch das der Ionen und Elektronen) für eine Absenkung der Potentialbarrieren, so daß ein Elektron ein Atom durch Tunneln [ADK86] oder sogar over-the-barrier [BM99] verlassen kann. Durch bereits innerionisierte, sich aber noch im Innern des Clusters befindliche Elektronen kann darüber hinaus Stossionisation stattfinden, wenn ein solches Elektron ein noch an einem Atom gebundenes weiteres Elektron befreit. Dieser Mechanismus spielt in kleinen Clustern aber praktisch keine Rolle [IB00], da die mittlere freie Weglänge bezüglich Elektronenstossionisation bei diesen Clustern viel grösser ist als der Clusterradius. 1 http://brian.ch.cam.ac.uk/ jon/structures/LJ/ 3.2 Beschreibung der inneren Ionisation und Propagation 15 Deshalb ist in unserem Modell nur der erste Ionisationsmechanismus berücksichtigt. Wir werden nun die Details der Implementation dieses Ionisationsmechanismus diskutieren: • Wie bei der Diskussion des Grundzustandes bereits erwähnt, sind die Elektronen eines Clusters zu Beginn des Laserpulses lediglich virtuell vorhanden und treten erst im Laufe der Zeit durch innere Ionisation explizit als klassische Teilchen in Erscheinung. Das bedeutet aber, daß sich die Anzahl der klassisch zu propagierenden Teilchen mit der Zeit ändert. Aus diesem Grund haben wir zu einer effektiven numerischen Behandlung eine objektorientierte Listendarstellung des Clusters verwendet, in der der Cluster als ein Ensemble von Teilchen variabler Anzahl angesehen wird, die jedes für sich Eigenschaften wie Ladung oder Masse tragen [Fra97]. Dadurch wird das Hinzufügen bzw. Entfernen von Teilchen aus diesem Ensemble stark vereinfacht. • Zwei Teilchen mit Ortsvektoren ~r1 und ~r2 wechselwirken miteinander durch das Potential Z1 Z2 V (~r1 , ~r2) = q 2 (3.3) |~r1 − ~r2 | + a(Z1 ) + a(Z2 ) wobei ~r1, ~r2 , Z1 , Z2 Ortsvektor bzw. elektrische Ladung der beiden Teilchen sind. Die a(Zi ) sind sog. Softcoreparameter, durch die die Coulombsingularität geglättet wird. Damit wird die zwar prinzipiell mögliche, bei den hier betrachteten Teilchenzahlen jedoch äusserst aufwändige Kustaanheimo-Stiefel-Regularisierung [KS65] umgangen. Wir verwenden ein Z-abhängiges a; damit kann die Tiefe des Kernpotentials an die jeweilige Bindungsenergie Ebind (Z) angepasst werden (siehe Abb. 3.1). Konkret wurde zur Bestimmung von a(Z) das folgende Verfahren gewählt: – Für Elektronen gilt: a = 0.1, d.h. a(−1) = 0.1 – Für ein Elektron im Minimum des Potential eines Kerns mit der Ladung Z soll gelten (siehe auch Abb.3.1): −Z p = Ebind (Z) + a(Z) + a(−1) (3.4) mit > 0 (aus technischen Gründen, um das Tunnelintegral genau bestimmen zu können; wir haben = 0.01 gewählt). Somit muss gelten: a(Z) = Z2 − a(−1) 2 Ebind + 2Ebind + 2 (3.5) • Für das jeweils am schwächsten gebundene Elektron eines Atoms der Ladung ~ wird zu jedem Zeitschritt dt zunächst die Richtung des insgesamt ZAtom 2 am Ort RAtom ~ bestimmt an diesem Elektron angreifenden Feldes B X Zi ~ · f(t), ~ R ~ Atom ) = ∇ ~R +A q (3.6) B( Atom 2 ~ Atom − R ~ i ) + a(Zi ) + 0.1 i (R 2 Dieses Elektron sieht“also eine Ladung von ZAtom + 1 ” 16 3 Ein Modell für Edelgascluster in starken Feldern PSfrag replacements x [a.u.] V (x) [a.u.] Abbildung 3.1: Die ersten drei Energieniveaus von Xe mit den entsprechenden Potentialkurven welches sich aus dem Coulombfeld aller bereits klassisch vorhandenen Teilchen (Ionen ~ und zeitabhängiger und Elektronen) sowie dem Laserfeld mit Polarisationsvektor A ~ vorgegebenen Richtung wird dann das Amplitude f(t) zusammensetzt. In der durch B folgende, effektiv eindimensionale Tunnelintegral berechnet: Z r2 p I(t) = exp −2 2(V (r) − En ) dr (3.7) r1 Die Lage von r1 und r2 ist schematisch in Abb. 3.2 dargestellt. V (r) beinhaltet alle Potentialterme, sowohl die Coulombpotentiale als auch das Laserfeld. Das Energieniveau En ist wie folgt definiert: ZAtom + 1 a(ZAtom ) + 0.1 En := EnAtom + V (0) − p (3.8) Das atomare Energieniveau wird also durch die umliegenden Ladungen sowie den Laser verschoben; der Potentialterm des Atoms, aus dem das Elektron ionisiert werden soll, muss wieder abgezogen werden, da dessen Einfluss bereits in E nAtom enthalten ist. Die Lagen von r1 und r2 , in denen das verschobene Bindungsniveau E n die Potentialkurve V (r) schneidet, werden numerisch bestimmt; die Suche nach r 2 wird dabei abgebrochen, sobald I(t) < 10−10 ist. Ist die atomare Barriere so stark nach unten gebogen, das over-the-barrier-Ionisation ermöglicht wird, so muß an einer Stelle r 0 entlang der ~ B-Richtung En > V (r0 ) und dV/dr|r=r0 = 0 gelten. In diesem Fall ist I(t) = 1. • Von der so berechneten Tunnelwahrscheinlichkeit I(t) gelangt man auf die folgende, semiklassische Art und Weise zu einer Tunnelrate w: die Tunnelwahrscheinlichkeit pro 3.2 Beschreibung der inneren Ionisation und Propagation 17 0 Energie V(r) En −0.5 r1 r2 PSfrag replacements −1 0 5 10 15 20 r Abbildung 3.2: Tunneln aus einem Bindungszustand der Energie E n im Potential V (r) Zeiteinheit, also die Rate für den Tunnelprozess, ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Elektron tunnelt, wenn es sich gerade bei r1 befindet, multipliziert mit der Frequenz, mit der dieses Elektron bei r1 auf die Barriere auftrifft [Sch88]. Diese Frequenz ist im halbklassischen Bild gerade durch die zur Bindungsenergie E n gehörende Keplerfrequenz 1/Tn gegeben: s 1 . (3.9) Tn = π(ZAtom + 1) 2En3 Die Tunnelrate ist somit w(t) = 1 I(t) Tn (3.10) • Die Tunnelwahrscheinlichkeit pro Zeitschritt dt ist dann P (t) = w(t) dt. Durch Vergleich mit einer Zufallszahl z (d.h: ist P (t) > z )wird entschieden, ob tatsächlich getunnelt wird oder nicht. Falls ja, wird das fragliche Elektron unter Energieerhaltung als reales klassisches Teilchen bei r2 plaziert, die Atomladung ZAtom um eins erhöht und das nächste virtuelle Elektron demselben Procedere unterworfen. Wird over-thebarrier ionisiert, wird das Elektron bei r 0 mit dV/dr|r=r0 = 0 plaziert. • Die Energieerhaltung ist nicht automatisch garantiert, wenn das getunnelte Elektron einfach ohne kinetische Energie bei r2 plaziert wird, wie man es anhand von Abb. 3.2 vielleicht vermuten könnte. Der Grund liegt darin, daß der Softcoreparameter eines Ions vom Ladungszustand abhängig ist (a ≡ a(Z)) und sich zudem auch noch vom Softcoreparameter eines Elektrons unterscheidet. Dadurch kann beim Übergang eines Elektrons vom virtuellen in den realen Zustand ein Sprung ∆V in der potentiellen Energie des Clusters auftreten, falls dieses Elektron exakt bei r = r 2 plaziert wird. Dieses ∆V muss kompensiert werden, entweder durch kinetische Energie des Elektrons, falls ∆V < 0 ist, oder durch Plazierung bei r̃ = r2 + δr, falls ∆V > 0 ist. 18 3 Ein Modell für Edelgascluster in starken Feldern Die Propagation der klassischen Teilchen erfolgt dann einfach durch die Integration der Newtonschen Bewegungsgleichungen unter dem Einfluss von (3.3) sowie des Laserfeldes. Dazu wurde ein symplektischer Integrator benutzt [CS90]; die Schrittweite dt betrug 0.1 a.u.. 3.3 Vergleich mit ähnlichen Modellen Von der Struktur her ähnliche Modelle wurden bereits einige Male zur theoretischen Behandlung von kleinen Edelgasclustern in starken Feldern verwendet. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie im wesentlichen auf der klassischen Mechanik beruhen; die hauptsächlichen Unterschiede liegen in der Behandlung der inneren Ionisation. 3.3.1 Das onion model Dieses Modell [RPSWB97] verwendet keine Tunnelraten zur Beschreibung der inneren Ionisation, sondern propagiert das jeweils äusserste Elektron eines Atoms auf einer Keplerbahn mit einer Energie, die der quantenmechanischen Bindungsenergie entspricht. Durch das Laserfeld sowie die umgebenden Ladungen wird diese Keplerellipse deformiert, und es kann zur inneren Ionisation kommen. Diese ist definiert durch das Überschreiten eines bestimmten Abstandes rc vom Ausgangsatom; hat sich das Elektron weiter als rc entfernt, wird es als ionisiert angenommen und das nächste Elektron auf einer entsprechend stärker gebundenen Keplerbahn gestartet. Gemeinsam mit unserem Modell ist die sequentielle Ionisation sowie die klassische Beschreibung der Propagation der bereits innerionisierten Elektronen. Durch die Vernachlässigung des Tunnelmechanismus in diesem Modell wird allerdings die erste Innerionisation eine gewisse Zeit ∆t später auftreten als in unserem Fall. Wie wir im Laufe dieser Arbeit noch sehen werden, kann eine solche zeitliche Verschiebung durchaus einen wichtigen Einfluss auf die weitere Clusterdynamik haben, so daß die Nichtberücksichtigung des Tunneleffekts auf jeden Fall als Nachteil dieses Modells angesehen werden muss. 3.3.2 Tunneln über die Landau-Rate In diesem Ansatz [Dit98] wird der Tunnelmechanismus berücksichtigt; allerdings wird das Tunnelintegral nicht explizit ausgerechnet, sondern statt dessen die Tunnelwahrscheinlichkeit aus der feldabhängigen Landaurate [LL60] bestimmt, die für ein Atom im elektrischen Feld berechnet wurde. Dazu wird das insgesamt am Atomort anliegende elektrische Feld (Laser + Ionen + Elektronen) verwendet. Der Nachteil bei dieser Methode liegt darin, daß die Feldstärke nur an einem Punkt, nämlich gerade dem Atomort, gross genug sein muss, um Tunnelionisation zu ermöglichen. Somit wird beispielsweise ein genügend nahe vorbeifliegendes Elektron immer ein so grosses Feld erzeugen, daß auf jeden Fall ionisiert wird. Demgegenüber muss in unserem Modell die gesamte Umgebung eines Atom ionisationsgeeignet sein. Wir erhalten somit folgerichtig im Vergleich zu [Dit98] eine etwas kleinere Ionisationsausbeute. 3.4 Ein typischer Einzelrun 3.3.3 19 Verwendung des vollen Coulombpotentials Parallel zum Entstehen der vorliegenden Arbeit wurde ein Modell entwickelt [IB00], welches, ebenso wie in unserem Fall, das volle Tunnelintegral zur Bestimmung der Innerionisationswahrscheinlichkeiten verwendet. Anstelle eines Softcorepotentials wird dabei jedoch das volle Coulombpotential für die Zweiteilchenwechselwirkung benutzt; die singulären Bewegungsgleichungen wurden nach dem Kustaanheimo-Stiefel-Verfahren regularisiert [KS65]. Die Verwendung des echten“ Coulombpotentials mag zunächst als Vorteil erscheinen, allerdings ” kann es so zur klassischen Autoionisation kommen: ein Elektron kann in einem singulären Coulombpotential klassisch beliebig tief gebunden werden und somit Energie zur Ionisation anderer Elektronen bereitstellen. Dieser Prozess wird in unserem Modell dadurch vermieden, daß das Potentialminimum jeweils mit der quantenmechanischen Grundzustandsenergie zusammenfällt (siehe Abb. 3.1). In [IB00] musste zur Vermeidung der klassischen Autoionisation hingegen ein Wiedereinfangmechanismus eingebaut werden, der klassisch behandelte Elektronen wieder in den quantenmechanischen Bindungszustand zurückversetzt. Abgesehen davon, daß die Festlegung der Wiedereinfangkriterien problematisch ist, resultiert, zusammen mit der Regularisierung, ein höherer numerischer Aufwand als bei unserem Modell. Die mit diesem Verfahren berechneten Ionisationsausbeuten stimmen mit unseren Ergebnissen aber gut überein. 3.4 Ein typischer Einzelrun Im folgenden soll das typische Verhalten unseres Clustermodells im starken Laserfeld diskutiert und die für die spätere Diskussion wichtigen Phänomene erläutert werden. Obwohl wir später zur Berechnung experimentell observabler Grössen ein Monte-Carlo-Ensemble verwenden werden, genügt es zum qualitativen Verständnis der auftretenden Phänomene bereits, sich ein Einzelereignis genauer anzuschauen, da die Ensemblemitglieder sich insgesamt doch recht ähnlich verhalten. Als exemplarisches Beispiel betrachten wir das Verhalten eines Ne16-Clusters. Der verwendete Puls hat eine maximale Feldstärke von F = 0.168 a.u. (entspricht einer Intensität von I = 1015 W/cm2) bei einer Frequenz von ω = 0.055 a.u. (780 nm) und einer Pulsdauer von 20 Zyklen, also ca. T = 55 fs. Als Einhüllende wurde eine sin2 -Funktion gewählt, d.h. der Puls hat die Form πt 2 f(t) = F sin sin(ωt) (0 ≤ t ≤ T ) (3.11) T Abb 3.3 zeigt die insgesamt vorhandenen klassischen Teilchen sowie die Clusterladung, d.h. die Zahl der Elektronen, die den Cluster verlassen haben. Nach einer Zeit von t ≈ 750 fs reicht die Intensität des Lasers aus, um zur ersten Innerionisation zu führen. Was folgt, ist ein sehr schneller Anstieg sowohl der klassischen Teilchen als auch der Clusterladung; es finden also eine Vielzahl von inneren und äusseren Ionisationsereignissen statt. Dabei führt die Ionisation der ersten paar Elektronen offenbar zu einem Lawineneffekt“: die neu hinzukom” menden Ladungen sorgen im Clusterinneren für ein starkes zusätzliches elektrisches Feld, welches die Ionisation weiterer Elektronen erleichtert (dies entspricht der in [RPSWB97] vorgeschlagenen ionization ignition). Wir werden im Laufe dieser Arbeit noch darauf eingehen, wie dieser Prozess im Einzelnen abläuft. 20 3 Ein Modell für Edelgascluster in starken Feldern frag replacements 30 a) 50 b) Clusterladung Anzahl klassischer Teilchen 60 40 30 20 10 20 10 PSfrag replacements 1000 klassischer2000 Anzahl Teilchen t [a.u.] 0 0 0 1000 2000 t [a.u.] Abbildung 3.3: a) Anzahl der real vorhandenen Teilchen; b) Gesamtladung des Clusters Abb. 3.4 zeigt die absorbierte Energie sowie den mittleren Ionenabstand im Cluster, ebendie Menge der Kerne, mit die Menge falls als Funktion der Zeit. Bezeichnet man mit der bereits als klassische Teilchen repräsentierten Elektronen und mit die Menge der noch gebundenen Elektronen, so ist die Clusterenergie wie folgt definiert: X p2 X X P2 X X X i i ~ · ~ri f(t) ~ ·R ~ i f(t) − + + Vij + Eibind + Zi A A 2Mi i∈ 2mi i,j∈ ∪ i∈ i∈ i∈ i∈ (3.12) ~ bezeichne wieder die Polarisationsrichtung des Lasers). Die absorbierte Energie ist nun (A einfach die Differenz von Gesamtenergie nach dem Puls und Gesamtenergie vor dem Puls. Obwohl der Tunnelprozess energieerhaltend geschieht, kann durch die anschliessende Dynamik im Laserfeld bereits von diesem relativ kleinen Cluster eine beträchtliche Menge an Energie absorbiert werden. Die Oszillationen in der Kurve kommen durch das Abbremsen und Beschleunigen der geladenen Teilchen im Laserfeld zustande (ponderomotive Energie) und sind für die Nettoenergieaufnahme nicht von Bedeutung. Durch die Aufladung des Clusters beginnt dieser schliesslich zu expandieren, d.h. der mittlere Ionenabstand vergrössert sich allmählich. Dieser ist definiert als R(t) = N 1 X ~i − R ~ j |2 } min{|R N i=1 i6=j !1/2 (3.13) Man beachte, daß das Auseinanderdriften der Ionen im Vergleich zur Zeitskala der elektronischen Bewegung und der Laserfrequenz adiabatisch geschieht und eher auf der Zeitskala der Pulsdauer passiert. Damit bietet sich, wie bereits in der Einleitung angedeutet, die Möglichkeit an, durch Variation der Pulslänge die radiusabhängigen Eigenschaften des Clusters abzufragen, was im weiteren Verlauf der Arbeit noch geschehen wird. 3.4 Ein typischer Einzelrun 21 8000 abs. Energie [eV] a) 6000 4000 2000 PSfrag replacements 0 0 1000 2000 t [a.u.] 16 mittl. Ionenabstand [a.u]. b) 14 12 10 8 PSfrag replacements 6 abs. Energie [eV] 0 1000 2000 t [a.u.] Abbildung 3.4: a) Absorbierte Energie; b) mittlerer Ionenabstand als Funktion der Zeit 4 Enhanced ionization“ in H+ 2 ” In diesem Kapitel verlassen wir kurz die Clusterphysik und wenden uns dem einfachsten linearen Molekül zu, dem H+ 2 -Ion. Wir werden einen Ionisationsmechanismus für dieses Molekül im starken Laserfeld erläutern, der später auf den Fall kleiner Cluster übertragen werden wird. 4.1 Kurze Übersicht Von Ende der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre wurde an linearen diatomaren Molekülen wie H2,N2 oder I2 eine Reihe von Experimenten durchgeführt[FCH+87, SBDC92], welche die Wechselwirkung von kurzen, starken Laserpulsen (Pulslänge in der Grössenordnung von Femtosekunden, Intensitäten ab ca. 1014 W/cm2) mit diesen Molekülen untersuchten, insbesondere die Rolle der verschiedenen Ionisationskanäle. Die Idee dabei war die folgende: wenn ein solches Molekül zwei oder mehr Elektronen durch den Laserpuls verliert, werden die resultierenden Ionen durch ihre Coulombabstossung auseinandergetrieben. Aus den resultierenden kinetischen Energien der Ionen kann dann durch Energieerhaltung auf den Abstand zurückgeschlossen werden, den die Ionen beim Verlust der Elektronen gehabt haben müssen. Dabei stellte sich heraus, daß unabhängig vom Ladungszustand die Ionen eine kinetische Energie hatten, die immer dem gleichen interatomaren Abstand entsprach (im Fall von I2 z.B. 2.66 Å). Der Ionisationsprozess musste also wie folgt verlaufen (die entsprechende Atomsorte sei im folgenden mit A bezeichnet: a) Das Molekül A2 verliert in einer frühen Phase des Pulses ein Elektron und wird somit zu A+ 2 . Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit befindet sich das Molekülion dann in einem dissoziativen elektronischen Zustand. b) Falls sich das Molekülion in einem dissoziativen Zustand befindet, werden sich die Kerne langsam auseinanderbewegen. Die experimentellen Resultate legen nahe, daß die Dissoziation bis zu einem kritischen Abstand Rc erfolgt, bei dem dann die Ionisation + zu A+ 2 , A3 etc. vor sich geht. Bis hierhin ist natürlich noch nicht klar, auf welchen Mechanismus die Existenz von R c zurückzuführen ist. Dieser wurde 1995 von drei Gruppen unabhängig voneinander entdeckt [ZB95, SYC95, PFGC95]. Die einzelnen Erklärungen unterscheiden sich zwar im Detail etwas voneinander, das zugrundeliegende Prinzip jedoch ist in allen Fällen dasselbe: als entscheidend für das Verständnis von enhanced ionization erwies sich die Lage der Energieniveaus des aktiven (äusseren) Elektrons im kombinierten Feld der beiden Kerne und des Laserfelds. Letzteres wird dabei als quasistatisch angesehen, eine gerechtfertigte Näherung, solange die Laserfrequenz klein gegenüber der Schwingungsfrequenz des aktiven Elektrons ist. 24 4 Enhanced ionization“ in H2 ” R = 12 a.u. R = 8 a.u. R = 4 a.u. PSfrag replacements −15 −10 −5 0 5 10 15 20 Elektronkoordinate x Abbildung 4.1: Das 1σ+ -Niveau für das H+ 2 -Modell im statischen Feld der Stärke F = 0.04 a.u. (drei verschiedene Kernabstände). Wir wollen das Prinzip von enhanced ionization hier an einem eindimensionalen H 2+ Modell nachvollziehen. Der Hamiltonoperator des Systems lautet Ĥ = − 1 ∂2 1 1 p p − − + x · f(t). 2 ∂x2 (x − R/2)2 + a (x + R/2)2 + a (4.1) Dabei bezeichnet x die Elektronkoordinate und R den Kernabstand. Der Softcoreparameter a, der zur Vermeidung der Coulombsingularität eingeführt wird, ist in unserem Fall a = 2. Damit beträgt die Grundzustandsenergie eines eindimensionalen Wasserstoffatoms mit dem Potential 1 V (x) = − √ (4.2) 2 x +2 gerade E0h = −0.5 a.u.. Der Gleichgewichtskernabstand R0 beträgt 2.86 a.u. und die elektronische Grundzustandsenergie bei diesem Kernabstand E 0 = −0.56 a.u.. Wie im 3D-H+ 2 , so lässt sich auch für dieses eindimensionale Modell der Grund- und der erste angeregte Zustand im feldfreien Fall näherungsweise als Superposition von jeweils an einem Kern lokalisierten Wasserstoffgrundzustandsfunktionen schreiben: 1 1σg = √ (φ(x − R/2) + φ(x + R/2)) 2 1 1σu = √ (φ(x − R/2) − φ(x + R/2)) 2 (4.3) (4.4) Sowohl für 1σg als auch für 1σu beträgt die Aufenthaltswahrscheinlichkeit an einem der beiden Kerne jeweils 1/2.Wird nun ein (quasi)-statisches elektrisches Feld der Stärke F 4.1 Kurze Übersicht 25 angelegt, so wird einer der beiden Kerne energetisch angehoben, der andere entsprechend abgesenkt, und die beiden Zustände 1σg und 1σu gehen in zwei Resonanzzustände 1σ+ und 1σ− über, wobei die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für 1σ+ um den energetisch höherliegenden Kern bzw. die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für 1σ− um den energetisch tieferliegenden Kern lokalisiert ist. Die zu 1σ+ und 1σ− gehörenden Quasienergien E+ und E− können dabei näherungsweise wie folgt berechnet werden: 1 R E+ = E0h − √ 2 + ·F 2 R +a 1 R E− = E0h − √ 2 − ·F 2 R +a (4.5) (4.6) Der Grundzustand eines isolierten Wasserstoffatoms wird also durch die Anwesenheit des zweiten Kerns sowie durch das angelegte äussere Feld energetisch verschoben. Die Lage des 1σ+ -Niveaus bei Anlegung eines statischen Feld der Feldstärke F = 0.04 a.u. ist für drei verschiedene Kernabstände in Abb. 4.1 gezeigt. Anhand dieser Darstellung lässt sich nun das Auftreten eines für die Ionisation optimalen Kernabstandes Rcrit qualitativ leicht begründen: • Bei kleinen Kernabständen liegt das 1σ + -Niveau oberhalb der Barriere, die die beiden Kerne voneinander trennt, aber unterhalb der Barriere, die es überwinden müsste, um das Molekül zu verlassen. Um die im vorigen Kapitel eingeführten Begriffe zu verwenden: innere Ionisation ist sehr leicht, äussere Ionisation aber nur schwer möglich. • Bei grossen Kernabständen hingegen liegt das obere Niveau auf jeden Fall oberhalb der äusseren Barriere; jetzt ist allerdings die innere Ionisation durch die zwischen den Kernen aufgebaute Barriere erschwert. • Daraus folgt“, daß es bei einem mittleren Kernabstand Rcrit ein Maximum in der ” Ionisationswahrscheinlichkeit für den höhergelegenen Zustand gibt, wenn sowohl innere als auch äussere Ionisation relativ leicht zu bewerkstelligen sind. Der numerische Wert von Rcrit lässt sich ziemlich genau bestimmen, wenn man verlangt, daß das 1σ + -Niveau gerade auf der inneren Barriere aufliegt [PFGC95]. In Abb. 4.1 ist diese Bedingung für R ≈8 a.u. gerade erfüllt. Rcrit sollte also in diesem Fall bei etwa 8 a.u. liegen. Wie wir gleich sehen werden, ist das in der Tat der Fall. In einem komplett statischen und adiabatisch eingeschalteten Feld würde sich allerdings die gesamte Population im 1σ− -Zustand befinden. Für eine nennenswerte Besetzung von 1σ + ist also eine gewisse Nichtadiabatizität erforderlich: die Laserfrequenz muss zumindest so gross sein, daß die mittlere Zeit, die zum Übergang zwischen 1σ+ und 1σ− benötigt wird, grösser ist als die halbe Laserperiode. Wir werden gleich anhand eines numerischen Beispiels sehen, daß diese Bedingung für optische Frequenzen gut erfüllt ist. Für Mehrelektronenmoleküle wie N2, I2 etc. findet man, daß der kritische Kernabstand relativ unabhängig ist vom Grad der Ionisierung; bei gleichem Kernabstand kann also sequentielle Mehrfachionisation stattfinden. Das liegt daran, daß zwar mit steigendem Ionisationsgrad die Energieniveaus der noch zu ionisierenden Elektronen tiefer und tiefer liegen; allerdings nimmt ja auch die Kernladung immer mehr zu, so daß der Potentialverlauf in Abb. 4.1 seine Form kaum ändert, sondern lediglich als Ganzes zu tieferen Energien hin verschoben wird. Damit bleibt natürlich auch der kritische Kernabstand ungefähr gleich. 26 4 Enhanced ionization“ in H2 ” Bandrauk und Mitarbeiter erweiterten das Konzept von enhanced ionization von diatomaren auch auf triatomare Moleküle, zunächst ebenfalls noch in linearer Konfiguration [YB97], später auch in dreieckiger Anordnung [BR99, KKB01]. In beiden Fällen funktioniert der Mechanismus völlig analog zum diatomaren Fall; insbesondere liegt R crit wieder im Bereich von 7-10 a.u.. Vor allem durch das Vorhandensein von enhanced ionization im triangulären System ist somit der erste Schritt zum Cluster schon getan, da es offenbar nicht zwingend notwendig ist, daß alle Kerne in einer Reihe liegen. 4.2 Enhanced ionization im Rahmen unseres Clustermodells Wir werden im Laufe dieser Arbeit zeigen, daß enhanced ionization auch für kleine Cluster in starken Laserfeldern eine wichtige Rolle spielen kann. Da die Beschreibung dieser Cluster mittels des im letzten Kapitel vorgestellten Clustermodells erfolgen wird, ist es zunächst notwendig, sich davon zu überzeugen, daß dieses Modell im Fall von 1D-H 2+ , der noch ohne grossen Aufwand voll quantenmechanisch gerechnet werden kann, im Vergleich zu dem Ergebnis einer solchen QM-Rechnung sinnvolle Resultate liefert, um später gerechtfertigterweise vom Wirken desselben Mechanismus in diesen unterschiedlichen Systemen sprechen zu können. Dazu wurde die zeitabhängige Schrödingergleichung i ∂Ψ = ĤΨ ∂t (4.7) mit dem Hamiltonian aus (4.1) numerisch gelöst und mit dem Ergebnis einer Rechnung verglichen, für die das im vorigen Kapitel vorgestellte Clustermodell auf dieses lineare H 2+ System angewendet wurde. Die quantenmechanische Rechnung wurde dabei unter Verwendung der Split-Operator-Methode ([FFS82], siehe auch Anhang B) durchgeführt; damit kann die zeitabhängige Schrödingergleichung auf einem Gitter gelöst werden. Durch Verwendung von absorbing boundary conditions wurden die ionisierten Teile der Wellenfunktion an den Rändern des Gitters abgesaugt, so daß der Verlust an Norm mit der Ionisationswahrscheinlichkeit gleichgesetzt werden kann. Für die semiklassische Rechnung wurde, dem bereits vorgestellten Clustermodell entsprechend, das Elektron zu Beginn als virtuelles Teilchen zufällig einem der beiden Kerne zugeordnet. Dieser Kern trägt dann insgesamt keine Ladung, während der andere Kern einfach positiv geladen ist. Im Laufe der Rechnung wurde dann instantan die Tunnel- bzw. over-the-barrier-Wahrscheinlichkeit für das Elektron aus dem zeitabhängigen Gesamtpotential berechnet. Das Elektron kann also entweder a) die ganze Zeit als virtuelles Teilchen bei einem Kern verharren, b) innerionisiert werden, aber dennoch, nun als klassisches Teilchen, im Molekül gefangen bleiben oder aber c) innerionisiert werden und sofort oder auch zu einem späteren Zeitpunkt die äussere Barriere verlassen und somit endgültig ionisiert werden. Durch Mittelung über ein Monte-Carlo-Ensemble konnte so die semiklassische Ionisationswahrscheinlichkeit bei verschiedenen Kernradien bestimmt werden. In Abb. 4.2 ist der Vergleich dieser beiden Rechnungen gezeigt (die Pulsparameter sind in der Bildunterschrift aufgelistet). Für die halbklassische Rechnung wurde dabei über 1000 Trajektorien gemittelt. Die Übereinstimmung ist erstaunlich gut; offenbar sind die wesentlichen Features des enhanced-ionization-Prozesses in unserem Modell enthalten. Im Prinzip 27 ements 4.2 Enhanced ionization im Rahmen unseres Clustermodells 0.8 QM halbklassisch Ionisationswsk. 0.6 0.4 0.2 0 0 5 10 15 20 R [a.u.] Abbildung 4.2: Ionisation in H+ 2 : Abhängigkeit vom interatomaren Abstand. Puls wie in (3.11) mit ω = 0.055 a.u., F =0.04 a.u., T = 10 · 2π ω war das auch zu erwarten, wenn man bedenkt, daß sich die Lage von R crit mit halbklassischen Argumenten berechnet werden kann (man beachte, daß R crit in der Tat bei etwa 8 a.u. liegt, wie eben vorhergesagt). Wir können also erwarten, daß dieser Mechanismus, falls er denn überhaupt für Cluster in starken Feldern eine Rolle spielt, durch unser Modell gut beschrieben werden kann. Zum besseren Verständnis der quantenmechanischen Ergebnisse haben wir noch die zeitabhängigen Aufenthaltswahrscheinlichkeiten in den Umgebungen der Kerne berechnet. Diese sind (etwas willkürlich) definiert als Z 0 Plinks (t) = |Ψ(x; R, t)|2 dx (4.8) −2R Z 2R Prechts (t) = |Ψ(x; R, t)|2 dx (4.9) 0 Abb. 4.3 zeigt den zeitlichen Verlauf von P links und Prechts für zwei verschiedene Kernabstände: zum einen für den Grundzustandsabstand R = R0 = 2.86 a.u., zum anderen für den kritischen Kernabstand R = Rcrit = 8 a.u.. Bei R = R0 oszillieren die Populationen einfach mit dem angelegten Laserfeld, ohne dabei nennenswert zu ionisieren. Bei R = R crit hingegen nimmt die Gesamtwahrscheinlichkeit im Laufe des Pulses, wie erwartet, stark ab. Wichtig ist dabei, daß sich in beiden Fällen immer ein substantieller Anteil der Wellenfunktion im 1σ+ -Zustand, eine wichtige Voraussetzung für enhanced ionization. Dies liegt, wie bereits diskutiert, daran, daß die Zeitskala für den Übergang von 1σ+ nach 1σ− grösser ist als die halbe Laserperiode. 28 4 0.8 Plinks Prechts 0.6 0.5 PSfrag replacements 0.4 0.3 0 500 1000 t [a.u.] 1500 2000 Wahrscheinlichkeit replacements Wahrscheinlichkeit 0.7 Enhanced ionization“ in H2 ” Plinks Prechts 0.6 0.4 0.2 0 0 500 1000 1500 2000 t [a.u.] Abbildung 4.3: Zeitabhängige Aufenthaltswahrscheinlichkeiten bei einem der beiden Kerne für zwei verschiedene Kernabstände 5 Enhanced ionization“ in kleinen ” Edelgasclustern In diesem Kapitel werden wir zeigen, daß der ursprünglich an diatomaren Molekülen entdeckte enhanced-ionization-Mechanismus auch für kleine Edelgascluster funktioniert. Dieser Befund ist nicht ohne weiteres zu erwarten, schliesslich fehlt im Vergleich zum Molekül die ausgezeichnete Richtung entlang des Relativvektors der beiden Kerne; ausserdem kommt noch eine beträchtliche Anzahl von Elektronen ins Spiel, die das einfache Bild aus Abb. 4.1 in zunächst nicht mehr überschaubarer Weise zumindest verändern, wenn nicht ganz zerstören. So ist es denn auch nicht weiter verwunderlich, daß über die Möglichkeit von enhanced ionization in kleinen Clustern bisher bestenfalls spekuliert wurde. In der vorliegenden Arbeit werden wir nun zum einen erstmals zeigen, daß dieser Mechanismus in der Tat für die Existenz eines kritischen Clusterradiusses Rcrit ≥ Requil. sorgt, d.h. daß bei festgehaltenen Kernen die Ionisationswahrscheinlichkeit bei einer bestimmten Clustergrösse maximal ist; zum anderen wird sich herausstellen, daß der Effekt von R crit auch im Experiment beobachtet werden kann, wenn die im Rahmen unserer numerischen Simulation gegebene Möglichkeit des Einfrierens der Kernbewegung nicht mehr gegeben ist. 5.1 Enhanced ionization bei festgehaltenen Kernen Wir wollen untersuchen, inwieweit sich der mittlere Kernabstand in einem kleinen Edelgascluster auf dessen Verhalten in einem kurzen, intensiven Laserpuls auswirkt. Zu diesem Zweck skalieren wir die Grundzustandspositionen der N Atome gemäss {~r1, ~r2 , . . . , ~rN } → {λ~r1 , λ~r2 , . . . , λ~rN } , 0.5 ≤ λ ≤ 5.0 (5.1) und untersuchen dann Energieabsorption sowie Ionisation des Clusters bei verschiedenen, aber jeweils festen Clusterradien. Als zum Kernabstand in einem diatomaren Molekül äquivalente Grösse verwenden wir in diesem Zusammenhang den in (3.13) definierten mittleren Abstand R zwischen zwei Clusteratomen. Den Gleichgewichtsabstand bezeichnen wir dabei mit R0 . 5.1.1 Verschiedene Elemente Abgesehen von Heliumclustern, die sich aufgrund ihrer niedrigen Elektronenzahl von vornherein nicht zur Untersuchung der Entstehung hochgeladener Ionen im Laserfeld eignen, werden wir uns im folgenden mit Neon-, Argon-, Krypton- und Xenonclustern beschäftigen. Die für unser Modell wichtigen Elementeigenschaften sind in Tab. 5.1 aufgeführt. 30 5 Element Atommasse Elektronen Erstes IP [eV] Zweites IP [eV] Drittes IP [eV] Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” Ne 20.18 10 21.56 40.96 63.45 Ar 39.99 18 15.76 27.63 40.74 Kr 83.80 36 14.0 24.36 36.95 Xe 131.3 54 12.13 21.21 32.12 Tabelle 5.1: Elementeigenschaften: Ne,Ar,Kr,Xe 40 Clusterladung ω = 0.055 a.u. ω = 0.11 a.u. ω = 0.075 a.u. 30 20 PSfrag replacements 10 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.1: Ne16: Clusterladung als Funktion von R, normiert auf R 0 =5.6 a.u. Puls wie in (3.11) mit F = 0.16 a.u., ω = 0.055, T = 20 2π ω Man beachte, wie die Energieniveaus von Neon über Argon und Krypton zu Xenon immer höher liegen. Damit ist zu erwarten, daß die Ionisationsausbeuten mit der Atommasse ansteigen. Ne16 Ne16 hat ein R0 von ca. 5.6. a.u. In Abb. 5.1 ist gezeigt, wie die Ladung des skalierten Clusters nach Einwirkung eines kurzen, intensiven Pulses von dessen mittlerem Kernabstand abhängt.1 Dabei wurden drei verschiedene Frequenzen untersucht. Es zeigt sich ein deutliches Maximum bei Rcrit > R0, und zwar bei allen drei Frequenzen. Wichtig für den weiteren Verlauf dieser Arbeit wird sein, daß . . . • a). . . sich die Lage des Maximums von Frequenz zu Frequenz kaum unterscheidet; dies ist insbesondere wichtig, um einen eventuellen Plasmaeffekt ausschliessen zu können. 1 In dieser und allen folgenden Rechnungen wurde, soweit nicht anders angegeben, über ein Ensemble von 20 Clustern gemittelt. 5.1 Enhanced ionization bei festgehaltenen Kernen 31 4000 ω = 0.055 a.u. ω = 0.11 a.u. ω = 0.075 a.u. abs. Energie [eV] 3000 PSfrag replacements 2000 1000 0 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.2: Absorbierte Energie als Funktion von R: Ne 16 Wir werden darauf später noch eingehen • b). . . Rcrit grösser ist als R0 ; dadurch kann in einem Experiment, in dessen Verlauf der Cluster fragmentiert, Rcrit auch tatsächlich durchlaufen werden. Wäre Rcrit < R0 , so könnten dessen Auswirkungen nie experimentell beobachtet werden. 2 Die Ionisation des Clusters steigt mit der Frequenz an; das liegt daran, daß die bereits aus dem Cluster befreiten Elektronen bei niedrigeren Frequenzen schneller die Umgebung des Clusters verlassen als bei höheren Frequenzen. Die lässt sich aus der Bewegungsgleichung eines freien Elektrons im Laserfeld f(t) ∼ sin(ωt) begründen: mẍ = − sin(ωt) 1 1 sin(ωt) + (p(0) − )t + x(0) → x(t) = 2 mω ω (5.2) (5.3) Die Amplitude der Oszillationen des Elektrons im Feld ist also proportional zu ω12 . Somit werden sich in höheren Frequenzen die bereits ionisierten Elektronen im Mittel länger in der Clusterumgebung aufhalten und für erhöhte Feldionisationsraten sorgen. W Für R → ∞ wird der Limes isolierter Atome erreicht; ein Ne-Atom kann bei 10 15 cm 2 also praktisch nur einfach ionisiert werden; In der Tat ist aus entsprechenden Experimenten bekannt, daß die Doppelionisationswahrscheinlichkeit von Neon bei dieser Intensität um Grössenordnungen unterhalb der Einfachionisationswahrscheinlichkeit liegt. Es wird hier also noch einmal deutlich, wie die benachbarten Ladungsträger im Cluster Einfluss auf die Ionisationswahrscheinlichkeiten nehmen. Insgesamt wirkt sich allerdings der bereits erwähnte Lawineneffekt“ auf Ne16 noch nicht ” so stark aus; insbesondere liegen die berechneten Clusterladungen noch weit unterhalb der 2 Zumindest ist uns keine Möglichkeit bekannt, einen Cluster kontrolliert kontraktieren zu können. 32 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” 80 Clusterladung ω = 0.055 a.u. ω = 0.11 a.u. ω = 0.075 a.u. 60 40 PSfrag replacements 20 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.3: Clusterladung als Funktion von R: Ar 16. Pulsparameter wie in Abb. 5.1 experimentellen Resultate, wie sie beispielsweise für grosse Xenoncluster erzielt wurden. Dafür gibt es zwei Gründe: zum einen liegen die Energieniveaus in Neon deutlich höher als in den schwereren Edelgasen, so daß also der Lawineneffekt schwerer in Gang zu setzen ist. Zum anderen wird sich für grössere Cluster der Einfluss kooperativer Effekte verstärken, bis schliesslich, für bereits sehr festkörperartige“ Cluster von einigen zehntausend Atomen, ” sogar kollektive Effekte wie Plasmaresonanz eine Rolle spielen werden. In Abb. 5.2 ist anstatt der Clusterladung die insgesamt vom Cluster absorbierte Energie gezeigt (bei ansonstem identischem Setting). Ladung und absorbierte Energie zeigen also im wesentlichen dasselbe Verhalten, nämlich einen optimalen Clusterradius Rcrit . Ein Unterschied besteht lediglich darin, daß Rcrit für die Energieaufnahme etwas kleiner ist als Rcrit für die Clusterladung (bei ω = 0.11 a.u. fällt Rcrit sogar mit dem Gleichgewichtsabstand zusammen). Der Grund dafür ist in der Definition der insgesamt absorbierten Energie (3.12) zu finden, in die auch die Coulombabstossung der Kerne eingeht, was für einen Shift zu kleineren Clustergrössen hin sorgt. Ar16 Das nächstschwerere Edelgas ist Argon; hier liegt R0 bereits bei 7.0 a.u., es stellt sich also die Frage, ob durch die im Vergleich zu Neon durchweg höher liegenden Energieniveaus und den somit zu erwartenden höheren Ionisationsgrad die Lage von Rcrit günstigstenfalls so verändert wird, daß wieder Rcrit. >R0 gilt. Dies ist in der Tat der Fall, wie Abb. 5.3 entnommen werden kann. Man beachte, daß die Ergebnisse von Abb. 5.1 und Abb. 5.3 mit denselben Laserparametern erhalten wurden. Für Argon kommt jetzt allerdings der Lawineneffekt voll zum Tragen: obwohl im Falle isolierter Atome Argon nur etwa ein Elektron mehr verlieren würde als Neon, liegt die durchschnittliche Ladung der Clusterionen für Argon für R=Rcrit. und ω = 0.11 a.u. bei fast fünf, bei Neon jedoch nur knapp über zwei. Durch eine relativ 5.1 Enhanced ionization bei festgehaltenen Kernen 80 100 70 a) b) 80 Clusterladung Clusterladung 33 60 50 60 40 40 frag replacements PSfrag replacements 30 0 1 2 3 4 5 20 R/R0 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.4: Clusterionisation bei festgehaltenen Kernen und ω = 0.055 a.u.: a)Kr 16; b)Xe16 geringe Veränderung der Ausgangslage kann sich also der Ionisationsprozess in eine völlig andere Richtung entwickeln. Weiterhin bestätigt sich auch für den Argoncluster der Trend, daß bei höheren Frequenzen stärker absorbiert wird. Kr16 und Xe16 Abbildung 5.4 zeigt die Clusterladung für Krypton bzw. Xenon bei festgehaltenen Kernen, wieder dargestellt als Funktion des auf den Gleichgewichtszustands normierten mittleren interatomaren Abstands. Der bereits für Argon zu sehende Trend setzt sich für die noch schwereren und damit noch leichter zu ionisierenden Edelgase weiter fort: die Vergrösserung des Gleichgewichtsabstandes wird mehr als wettgemacht durch die Verschiebung von R crit. Die Ionisationsausbeute steigt mit der Atommasse weiter an, für Xe16 wird schliesslich ein Clusteratom im Schnitt sechsfach ionisiert. 5.1.2 Unterschiedliche Clustergrössen Nach der Untersuchung von enhanced ionization für verschiedene Edelgase wollen wir nun eventuelle Auswirkungen der Clustergrösse auf den Mechanismus studieren. Grössere Cluster: Ne20 , Ne25, Ne30 Wie im Fall von Ne16 haben wir auch für die grösseren Cluster den Ladungszustand und die absorbierte Energie als Funktion des auf den Gleichgewichtsabstand normierten mittleren Kernabstandes untersucht. Dieser Gleichgewichtsabstand ändert sich mit der Clustergrösse nur sehr wenig: er variiert lediglich um 0.01 a.u. und liegt in allen untersuchten Neonclustern bei etwa 5.7. a.u. Es wurde derselbe Puls wie bisher verwendet. Wie Abb. 5.5 entnommen werden kann, zeigen die etwas grösseren Cluster Ne20, Ne25 und Ne30 kaum einen Unterschied zu Ne16, wenn die relevanten Observablen auf die Zahl der Clusteratome normiert werden. Von einem Übergang zu wirklich kollektivem Verhalten ist bei diesen Clustergrössen offenbar noch nichts zu sehen. Das war auch nicht unbedingt zu 34 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” PSfrag replacements Ladung pro Atom 2 Ne16 Ne20 Ne25 Ne30 1.5 1 0.5 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.5: Durchschnittlicher Ladungszustand eines Clusteratoms für vier verschiedene Clustergrössen: Neon PSfrag replacements abs. Energie pro Atom [eV] 300 Ne16 Ne20 Ne25 Ne30 200 100 0 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.6: Absorbierte Energie pro Clusteratom für vier verschiedene Clustergrössen: Neon 5.1 Enhanced ionization bei festgehaltenen Kernen 35 erwarten: schliesslich ist aus klassischen Plasmasimulationen bekannt, daß für eine kollektive klassische Plasmaschwingung 3 grössenordnungsmässig mehr als hundert Atome benötigt werden. Wenn wir uns also die Clusterphysik als Übergangsbereich zwischen Atom- und Festkörperphysik vorstellen, befinden wir uns mit den hier betrachteten Clustergrössen noch deutlich auf der atomaren Seite“. ” Daß die Aufladung pro Atom bei den hier betrachteten Clustergrössen praktisch unabhängig von der Zahl der Clusteratome ist4 , lässt den Schluss zu, daß am enhanced-ionizationMechanismus im wesentlichen nur die jeweils nächsten Nachbarn beteiligt sind; ansonsten sollte sich die Effektivität des Ionisationsprozesses mit der Clustergrösse ändern. Die absorbierte Energie pro Atom hingegen hängt offenbar von der Clustergrösse ab. Dieser Effekt lässt sich leicht erklären, wenn man sich überlegt, wie sich die potentielle Energie U eines Clusters aus N Ionen mit einer Ladung pro Atom Z und einem Radius R ändert, wenn ein weiteres Ion, ebenfalls mit Ladung Z, zum Cluster hinzugefügt wird. Wenn man dabei annimmt, daß das neu hinzukommende Ion am Rand des Clusters angebaut“wird, so ist ” NZ2 (5.4) UN +1 = UN + R Ist 4/3πrs3 das Volumen pro Atom, so gilt R = N 1/3 rs und somit N 2/3 Z 2 (5.5) rs Fasst man nun N als kontinuierliche Variable auf, so lässt sich obige Gleichung in eine Differentialgleichung umschreiben: UN +1 = UN + dU N 2/3Z 2 = , dN rs (5.6) so daß schliesslich U(N ) = 3 N 5/3 Z 2 5 rs (5.7) wird. Die potentielle Energie pro Atom muss also mit N 2/3 ansteigen, selbst wenn die Ladung pro Atom unabhängig von N ist. Geht man von Neon- zu Argonclustern über und untersucht wieder die Abhängigkeit der durchschnittlichen Ladung und Energieabsorption pro Atom (Abb. 5.7 und 5.8), findet man ebenfalls, daß sich die Effektivität des Ionisationsmechanismus im Bereich von Rcrit mit der Clustergrösse kaum ändert; die pro Atom absorbierte Energie steigt hingegen aus den eben dargelegten Gründen, wie bereits im Fall der Neoncluster gesehen, an. Während allerdings die Neoncluster nur eine geringe Verschiebung des kritischen Clusterradius als Funktion der Clustergrösse zeigten, wächst das Verhältnis von Rcrit zu R0 bei den Argonclustern mit der Anzahl der Atome etwas stärker an. Dies liegt höchstwahrscheinlich daran, daß die Energieniveaus eines Clusteratoms umso stärker abgesenkt werden, je mehr Ladung in seiner Umgebung vorhanden ist. Wie man sich anhand von Abb. 4.1 leicht klarmacht, führt eine Absenkung des Energieniveaus aber zu einer Vergrösserung von Rcrit . Bei den höhergeladenen Argonatomen fällt dieser Effekt natürlich stärker ins Gewicht. 3 nicht zu verwechseln mit der Plasmonschwingung, die bereits für Metallcluster aus wenigen Atomen auftreten kann; dazu später mehr 4 Für R → 0 konzentrieren sich allerdings die ionischen Ladungen letzlich in einem Punkt, so daß die Ionisation grösserer Cluster in diesem Limes erschwert ist 36 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” PSfrag replacements Ladung pro Atom 4 Ar16 Ar20 Ar25 Ar30 3 2 1 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.7: Durchschnittlicher Ladungszustand eines Clusteratoms für vier verschiedene Clustergrössen: Argon PSfrag replacements abs. Energie pro Atom [eV] 800 Ar16 Ar20 Ar25 Ar30 600 400 200 0 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.8: Absorbierte Energie pro Clusteratom für vier verschiedene Clustergrössen: Argon 5.1 Enhanced ionization bei festgehaltenen Kernen 37 Ne16 Ar16 50 100 PSfrag replacements I1 I2 40 Clusterladung Clusterladung I1 I2 PSfrag replacements 30 20 10 0 1 2 3 4 R/R0 Ne16 5 80 60 40 20 0 1 2 Kr16 4 5 4 5 120 I1 I2 I1 I2 100 80 Clusterladung Clusterladung 3 Xe16 100 PSfrag replacements R/R0 PSfrag replacements 60 40 80 60 40 20 0 1 2 R/R0 3 4 Kr16 5 20 0 1 2 R/R0 3 Abbildung 5.9: Intensitätsabhängigkeit der statischen Ionisationsausbeute: I 1 = 8.99 · 1014 W/cm2 , I2 = 2.19 · 1015 W/cm2. Die durchgezogenen Linien dienen der besseren Orientierung. 5.1.3 Veränderung der Laserintensität Eine Veränderung der Laserintensität I im H+ 2 -Fall, wenn nur ein Elektron zur Verfügung steht, hat zur Folge, daß sich Rcrit vergrössert, wenn I kleiner wird, und verkleinert, wenn I grösser wird (siehe Kapitel 4). Für Cluster wird die Situation allerdings dadurch verkompliziert, daß mit grösserem I tieferliegende Energieniveaus ionisiert werden können. Es ist also a priori nicht klar, in welcher Weise (wenn überhaupt) sich die Lage von Rcrit verschieben wird. Da wir uns im Laufe dieser Arbeit noch mit der Clusterexpansion aus dem Gleichgewichtszustand heraus beschäftigen werden, wäre es natürlich wünschenswert, wenn auch für grössere Intensitäten Rcrit > R0 gelten würde. Abb. 5.9 zeigt für Ne16, Ar16, Kr16 und Xe16 die statischen Ionisationsausbeuten bei der bisher betrachteten Intensität von I1 = 8.99 · 1014 W/cm2, verglichen mit dem Resultat einer Rechnung mit I2 = 2.19 · 1015 W/cm2 (in beiden Fällen wurde ein Puls der Form (3.11) mit ω = 0.055 a.u. und 20 Zyklen Länge verwendet). In allen vier Fällen ist Rcrit > R0 , kann also durch Expansion der Kerne erreicht werden. Die Lage von R crit verschiebt sich, wenn 38 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” Abbildung 5.10: N2 in kurzen, intensiven Laserpulsen: Abhängigkeit der Dissoziation von der Elliptizität des Laser (aus [BKM99] überhaupt, dann nur leicht zu kleineren Werten; durch die grosse Anzahl von Elektronen ist offenbar die Geometrie des Problems nicht so sensitiv auf die Feldstärke des Lasers wie im H+ 2 -Fall. 5.1.4 Zirkulare Polarisation In den bisher gezeigten Beispielen war der eingestrahlte Laserpuls linear polarisiert. Für zirkular polarisiertes Licht ist die einfache Erklärung von enhanced ionization anhand von Abb. 4.1 nicht direkt übertragbar, und in der Tat findet man experimentell für diatomare Moleküle in zirkular polarisiertem Licht eine deutliche Abschwächung des Effekts gegenüber dem linear polarisierten Fall ([BKM99], siehe auch Abb. 5.10) Die hier beobachtete Verringerung der Ionenausbeute lässt sich dadurch erklären, daß für ein lineares Molekül die Laserpolarisation parallel zur Molekülachse liegen muss, um den enhanced-ionization-Mechanismus optimal auszunutzen. Der Grad der Barrierenabsenkung in Laserrichtung wird schliesslich umso geringer, je grösser der Winkel zwischen Molekülachse und Laserfeld ist (demzufolge sollte der Effekt bei linearer Polarisation senkrecht zur Molekülachse gänzlich verschwinden, wie auch in [BR99] gezeigt wurde). Im Cluster existiert nun zunächst einmal keine Vorzugsrichtung, jedenfalls dann nicht, wenn man in erster Näherung von sphärischer Symmetrie ausgeht. Daher sollte sich der Ionisationsgrad beim Übergang von linearer zu zirkularer Polarisation, wenn überhaupt, dann nur sehr wenig ändern. Um diese Hypothese zu überprüfen, haben wir die Rechnungen des vorhergehenden Abschnitts noch einmal für zirkulare Polarisation durchgeführt. Dabei wurde die Feldstärke des Lasers so gewählt, daß der Energiegehalt des Pulses beim Übergang von linearer zu zirkularer Polarisation gleich blieb; wenn also f(t) = F0 sin2 (π/T t) sin(ωt) (5.8) für den linearen Fall gilt, so ist 1 1 f(t) = F0 sin (π/T t) √ sin(ωt) + √ cos(ωt) 2 2 2 (5.9) für den zirkular polarisierten Laser. Diese Definition entspricht auch der experimentellen Vorgehensweise, bei der ein λ/2-Plättchen im Strahl eines linear polarisierten Lasers positioniert wird, um zirkular polarisiertes Licht zu erhalten. Dadurch wird die Feldstärke um 5.1 Enhanced ionization bei festgehaltenen Kernen 30 39 60 linear zirkular linear zirkular Sfrag replacements 50 Clusterladung Clusterladung 25 20 PSfrag replacements 15 10 0 1 2 3 4 40 30 20 5 0 1 R/R0 4 5 100 linear zirkular linear zirkular Clusterladung 70 Clusterladung 3 R/R0 80 Sfrag replacements 2 60 50 40 PSfrag replacements 80 60 40 30 20 0 1 2 3 R/R0 4 5 20 0 1 2 3 4 5 R/R0 Abbildung 5.11: Vergleich der Clusterionisation in linear bzw. zirkular polarisierten Pulsen: a) Ne16, b) Ar16, c) Kr16 und d) Xe16. Die durchgezogenen Linien dienen der besseren Orientierung. 40 5 Prozess: Elektronbewegung Zeitskala: 1 a.u. Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” Laserperiode 102 a.u. Pulsdauer Kernexpansion 103 a.u. 103 a.u. Tabelle 5.2: Verschiedene Zeitskalen bei der Laser-Cluster-Wechselwirkung √ 2 verringert. In Abb. 5.11 ist die Clusterionisation in einem linear polarisierten Laserpuls im Vergleich zu der in einem zirkular polarisierten Laserpuls für die vier Edelgascluster Ne16, Ar16, Kr16 und Xe16 gezeigt. In allen vier Fällen wird deutlich, daß im Clusterbereich“, d.h. für Kern” abstände, welche kleiner sind als ca. der doppelte Gleichgewichtsabstand, in der Tat kaum ein Unterschied in der Effektivität des linear polarisierten gegenüber dem zirkular polarisierten Licht besteht. Unsere These, daß sich in den in erster Näherung sphärisch symmetrischen Clustern durch das Fehlen einer Vorzugsrichtung die Elliptizität des Lichtes nicht auswirken sollte, ist also bestätigt worden. Im kritischen Bereich scheint darüberhinaus nicht so sehr die Feldstärke, sondern vielmehr die Pulsenergie den Ionisationsgrad zu bestimmen. Für grössere Ionenabstände nähern wir uns hingegen schon dem Limes getrennter Atome; hier ist zu sehen, daß der linear polarisierte Laserstrahl zu stärkerer Ionisation führt als der zirkular polarisierte Strahl. Für einzelne Atome macht sich also die geringere Maximalfeldstärke durchaus bemerkbar. 5.2 Enhanced ionization“ bei freier Kernexpansion ” Bisher haben wir im Verlaufe des Laserpulses die Kerne festgehalten, um zunächst einmal zu sehen, ob enhanced ionization“ für Cluster überhaupt existiert. Nun wollen wir uns die ” Tatsache zunutze machen, daß für alle untersuchten Elemente und unter allen betrachteten Bedingungen (Intensität, Clustergrösse etc.) R0 > Rcrit. galt, so daß der Mechanismus also auch bei freier Kernexpansion eine Rolle spielen sollte. Schliesslich kann aufgrund der im Vergleich zur elektronischen Bewegung viel grösseren Zeitskala der Kernexpansion davon ausgegangen werden, daß eine adiabatische Betrachtung gerechtfertigt ist und ein Cluster dann am besten ionisiert werden kann, wenn er sich im Verlaufe seiner Expansion gerade bei Rcrit. befindet (in Abb. 5.2 ist das Verhältnis der relevanten Zeitskalen gezeigt). Es stellt sich nun die Frage, wie das Wirken des Mechanismus bei freier Kernexpansion, möglichst in experimentell nachvollziehbarer Weise, sichtbar gemacht werden kann. Da im Prinzip der Einfluss der Kernbewegung auf die Ionisation untersucht werden soll, liegt es nahe, über Veränderungen der Pulsdauer die Kernbewegung abzutasten; schliesslich liegen Pulslänge und Kernexpansion auf der selben Zeitskala. In der Molekülphysik werden zur Untersuchung von Einflüssen der Kernbewegung häufig sogenannte pump-probe-Pulse verwendet; dabei regt ein erster Puls die Dissoziation an, ein in variablem zeitlichem Abstand folgender zweiter Puls frägt dann die zu untersuchende Moleküleigenschaft als Funktion des Kernabstandes ab. In der vorliegenden Arbeit werden wir dagegen nur einen einzigen Puls mit variabler Länge verwenden und die aufgenommene Energie sowie den Ionisationsgrad als Funktion der Pulslänge und somit der Radialexpansion untersuchen. Die verwendeten Pulse sollen allerdings energienormiert sein, daß heisst der Energiegehalt 5.2 Enhanced ionization“ bei freier Kernexpansion ” 41 zweier verschieden langer Pulse, definiert durch E(T ) := Z T f 2 (t) dt (5.10) 0 soll jeweils gleich sein. In der vorliegenden Arbeit verwenden wir durchgehend Pulse der Form 3.11; deren Energiegehalt ist, bei maximaler Feldstärke F und Pulslänge T , gerade E(T ) = 3F 2 T , 16 (5.11) ist also insbesondere nicht frequenzabhängig. Für den Referenzpuls wählten wir die bereits für die stationären Rechnungen verwendeten Parameter: F = 0.16 a.u., ω = 0.055 a.u., T = 2284 a.u. (20 Zyklen). Kürzere Pulse haben also dementsprechend eine höhere maximale Feldstärke, während längere Pulse über geringere Intensität verfügen. 5.2.1 Verschiedene Elemente Ne16 Die Resultate für einen Ne16-Cluster sind in Abbildung 5.12 gezeigt5. Es wurden, wie schon im statischen Fall, die absorbierte Energie und die Clusterladung als Observable gewählt. Aufgetragen ist die Abhängigkeit dieser Grössen von der Pulslänge der energienormierten Pulse. Für den Neoncluster zeigen die Kurven noch keinen expliziten Hinweis auf die Wirkung von enhanced ionization bei freier Kernexpansion. Die absorbierte Energie fällt mit steigender Pulslänge monoton ab; die Clusterladung zeigt zwar ein Plateau zwischen T =2000 a.u. und T =4000 a.u., von einer klaren Signatur von enhanced ionization kann jedoch nicht die Rede sein. Da das Maximum in Abb. 5.2 und 5.1 allerdings auch nicht sehr stark ausgeprägt ist, kann man schon vermuten, daß der Effekt erst für die schwereren Edelgase sichtbar werden wird. Ar16 Die Situation ändert sich bereits beim Übergang von Neon zu Argon, wie Abb. 5.13 entnommen werden kann: sowohl die absorbierte Energie als auch die Clusterladung zeigen ein Maximum bei T ≈ 4000 a.u.; dabei ist das Maximum in der Clusterladung deutlich stärker ausgeprägt. Das Auftreten eines Maximums in diesen Murven ist mittels enhanced ionization wie folgt zu verstehen: • Ist der Laserpuls sehr kurz, so hat der Cluster praktisch keine Zeit, sich auszudehnen, wodurch Effekte der Radialexpansion noch nicht sichtbar werden können. Daraus resultiert ein Absinken der Ladung, wie sie auch ein einzelnes Atom in energienormierten Laserpulsen zeigt (wir werden die Unterschiede zwischen Atom einerseits und Cluster andererseits noch ausführlicher untersuchen). 5 In dieser und allen folgenden Abbildungen dienen die durchgezogenen Linien der besseren Orientierung; die Ergebnisse unserer Rechnungen sind immer in diskreter Darstellung aufgetragen 42 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” 50 40 15000 Clusterladung abs. Energie [eV] 20000 10000 5000 PSfrag replacements 30 20 10 g replacements 0 0 2000 4000 abs. 6000 T [a.u.] Energie [eV] 8000 10000 0 0 2000 4000 6000 8000 10000 T [a.u.] Abbildung 5.12: Energieaufnahme und Clusterladung von Ne 16 für energienormierte Pulse variabler Länge • In den immer länger werdenden Pulsen wird der Cluster dann nach und nach in den Bereich des kritischen Radius hinein expandieren, bis für eine bestimmte Pulslänge das Maximum des Pulses und das Erreichen von Rcrit. in etwa zusammenfallen. Diese Situation führt zu optimaler Absorption. • Für noch längere Pulse wird Rcrit zwar immer erreicht, aber mit immer schwächerer Intensität. Dies erklärt den (langsamen) Abfall zu längeren Pulsen hin. Dabei muss allerdings beachtet werden, daß durch den langsameren Intensitätsanstieg der langen Pulse der Ionisationsprozess und somit auch die Clusterexpansion langsamer verläuft als in den kürzeren Pulsen. Es kann somit einen ganzen Bereich von Pulslängen geben, für die Pulsmaximum und Erreichen von Rcrit ungefähr zusammentreffen. Dadurch eklärt sich die assymetrische Form des Maximums. Das Maximum in der absobierten Energie ist aus zwei Gründen schwächer ausgeprägt als das Maximum in der Clusterladung: zum einen fällt die Coulombabstossung der Kerne bei kürzeren Pulsen stärker ins Gewicht als bei längeren, da bei letzteren die Kernabstände zum Ende des Pulses grösser sind als bei ersteren. Zum anderen erhalten die Elektronen, die aus dem Cluster heraus ionisiert worden sind, bei kürzeren Pulsen durch die aus der Energienormierung resultierenden höheren Laserintensität mehr kinetische Energie als bei längeren Pulsen. Kr16 In Abb. 5.14 ist die Energieabsorption sowie die Clusterladung von Kr 16 zu sehen, unter ansonsten unveränderten Bedingungen. Wie aufgrund der schwächer gebundenen Elektronen zu erwarten war, ergibt sich eine im Vergleich zum Ar16-Cluster wiederum erhöhte Aufladung. Dennoch ist die optimale Pulslänge mit ca. 7000 a.u. deutlich grösser als im Fall von Ar16 (4000 a.u.), so daß offenbar die höhere Aufladung durch das grössere Atomgewicht überkompensiert wird, was die Geschwindigkeit der Expansion betrifft. Die Abhängigkeit der Expansionsgeschwindigkeit von diesen Clustergrössen wird in Abschnitt 5.3 noch näher untersucht werden. 5.2 Enhanced ionization“ bei freier Kernexpansion ” 75 30000 Clusterladung abs. Energie [eV] 40000 43 20000 10000 70 65 PSfrag replacements 60 abs. Energie [eV] 15000 20000 55 PSfrag replacements 0 0 5000 10000 T [a.u.] 0 5000 10000 T [a.u.] 15000 20000 Abbildung 5.13: Energieaufnahme und Clusterladung von Ar 16 für energienormierte Pulse variabler Länge 50000 40000 90 Clusterladung absorbierte Energie [eV] 100 30000 20000 80 70 10000 PSfrag replacements g replacements 0 0 10000 absorbierte T[a.u] 20000 [eV] Energie 60 0 10000 20000 T[a.u] Abbildung 5.14: Energieaufnahme und Clusterladung von Kr 16 für energienormierte Pulse variabler Länge 44 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” 60000 110 40000 Clusterladung absorbierte Energie [eV] 120 20000 PSfrag replacements 100 90 80 g replacements 0 0 10000 absorbierte T[a.u] 20000 [eV] Energie 70 0 10000 20000 T[a.u] Abbildung 5.15: Energieaufnahme und Clusterladung von Xe 16 für energienormierte Pulse variabler Länge Xe16 Noch deutlicher wird der Effekt bei dem in Abbildung 5.15 abgebildeten Xe 16-Cluster. Der Kontrast zwischen Minimum und Maximum der Clusteraufladung beträgt jetzt schon beinahe 40 Elektronen, was einem Unterschied von ∆Z = 2.5 pro Atom entspricht. Die dementsprechend höhere Coulombexplosionsenergie sorgt somit jetzt auch für ein deutlicher ausgeprägtes Maximum in der absorbierten Energie. 5.2.2 Unterschiedliche Clustergrössen In Abschnitt 5.1.2 wurde bereits gezeigt, daß der enhanced-ionization-Mechanismus bei festgehaltenen Atomkernen auch für etwas grössere Cluster unverändert funktioniert. Wir wollen nun auch für diese Cluster die freie Kernexpansion untersuchen. Ne20,Ne25 und Ne30 Abb. 5.16 zeigt die Ergebnisse für Ne20, Ne25 und Ne30 (Gesamtclusterladung und Ladung pro Atom); zum Vergleich ist auch der bereits vorgestellte Ne 16-Cluster noch einmal mit aufgeführt. In der Gesamtclusterladung scheint sich bei den grösseren Clustern aus dem Plateau ein Maximum zu entwickeln; dies ist jedoch teilweise durch den besseren Kontrast aufgrund der höheren Anzahl an Atomen bedingt. Betrachtet man den Ionisationsgrad eines einzelnen Clusteratoms, so ist das Verhalten, was die erreichten Ionisationsgrade angeht, beinahe unabhängig von der Grösse des Clusters. Allerdings wird die maximale Ionisation mit steigender Clustergrösse bei gerinfügig längeren Pulsen erreicht. Da sich die Verhältnisse bei festgehaltenen Kernen als unabhängig von der Clustergrösse erwiesen haben, muss also die Expansion der grösseren Cluster etwas langsamer erfolgen als die der kleineren Cluster. Auf diesen Aspekt werden wir gleich noch eingehen, wenn wir mittels eines einfachen Modells der Clusterexpansion genauere Aussagen 5.2 Enhanced ionization“ bei freier Kernexpansion ” 45 80 Ne16 Ne20 Ne25 Ne30 Clusterladung 60 40 20 PSfrag replacements 0 0 2000 4000 6000 8000 10000 T[a.u] 3 PSfrag replacements Ladung pro Atom Ne16 Ne20 Ne25 Ne30 2 1 Clusterladung 0 0 2000 4000 6000 8000 10000 T[a.u] Abbildung 5.16: Clusterladung und Ladung pro Atom für Ne16, Ne20, Ne25 und Ne30 46 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” über den Zusammenhang zwischen der Expansionszeit und Grössen wie Clusterladung, masse und -grösse treffen können. Ar20,Ar25 und Ar30 Das eben beschriebene Bild ändert sich auch nicht wesentlich, wenn wir grössere Argoncluster betrachten. In Abbildung 5.17 sind Gesamtladung sowie die Ladung pro Atom für Ar20, Ar25, Ar30 und den bereits vorgestellten Ar16-Cluster gezeigt. Wieder zeigt sich, daß die Ladung pro Atom im Bereich des enhanced-ionization-Maximums unabhängig von der Clustergrösse ist; ebenso wie bei den Neonclustern steigt allerdings die optimale Pulslänge mit der Clustergrösse an. Neu ist nun, daß im Bereich des Minimums die Aufladung pro Atom mit der Clustergrösse abnimmt. Dies lässt sich wieder auf den Raumladungseffekt zurückführen, der ja mit abnehmendem Clusterradius und zunehmender Clustergrösse an Bedeutung gewinnt. So muß beispielsweise zur Ionisation eines weiteren Elektrons aus einem Ar30-Cluster, dessen Atome im Schnitt bereits dreifach positiv geladen sind, eine höhere Barriere überwunden werden als bei der Ionisation aus einem Ar 16-Cluster mit durchschnittlich vierfacher Atomladung. Die mit abnehmender Clustergrösse zunehmende Aufladung in einem Bereich, in dem der Cluster sich im gesamten Verlauf des Pulses praktisch noch in der Gleichgewichtskonfiguration befindet, lässt zusätzlich den Schluss zu, daß auch bei längeren Pulsen die Aufladung pro Atom in der frühen Phase des Pulses für kleinere Cluster grösser sein wird als für grössere. Dies trägt zusätzlich dazu bei, daß der kritische Radius von kleinen Cluster früher erreicht wird als von grossen. 5.2.3 Veränderung der Energienormierung In Abschnitt 5.1.3 haben wir gesehen, daß sich mit festgehaltenen Kernen bei höherer Pulsintensität wohl die Höhe, nicht aber die Position des enhanced-ionization-Peaks ändert (zumindest nicht nennenswert). Wie wird sich nun eine Veränderung der Pulsnormierung auf die Situation bei freier Kernexpansion auswirken? Abb. 5.18 zeigt den Vergleich der Ionisationsausbeute bei zwei verschiedenen Energienormierungen. Während natürlich, wie im statischen Fall, eine höhere Pulsintensität generell eine stärkere Ionisation zur Folge hat, ist zusätzlich die Position des Maximums (bzw. im Fall von Ne16 des Plateaus) zu kürzeren Pulslängen hin verschoben. Dieses Verhalten ist konsistent mit unserem Bild des Ionisationsprozesses: die höhere Aufladung bewirkt eine schnellere Expansion, so daß Rcrit bereits mit kürzeren Pulsen in etwa im Pulsmaximum erreicht werden kann. Die Struktur der Kurven bleibt aber, davon abgesehen, dieselbe. 5.2.4 Zirkulare Polarisation Nachdem wir in Abschnitt 5.1.4 bereits gezeigt haben, daß der enhanced-ionization-Mechanismus bei festgehaltenen Kernen, anders als bei linearen Molekülen, relativ unabhängig von der verwendeten Polarisation des Laserpulses ist, sollten sich bei freier Kernexpansion auch bei der Ionisation durch einen zirkular polarisierten Puls ähnliche Resultate wie im vorangegangenen Abschnitt ergeben. Die Abbildung 5.19 zeigt den Vergleich zwischen den Rechnungen mit linearer Polarisation aus dem vorigen Abschnitt und den Resultaten, die sich bei zirkularer Polarisation in Pulsen mit dem selben Energiegehalt ergeben (das bedeutet, 5.2 Enhanced ionization“ bei freier Kernexpansion ” 47 Ar16 140 Ar20 Ar25 Ar30 Clusterladung 120 100 80 PSfrag replacements 60 40 0 5000 10000 15000 10000 15000 T[a.u] 5 Ar16 Ar20 Ar25 PSfrag replacements Ladung pro Atom 4.5 Ar30 4 3.5 Clusterladung 3 0 5000 T[a.u] Abbildung 5.17: Clusterladung und Ladung pro Atom für Ar16, Ar20, Ar25 und Ar30 48 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” Ne16 Ar16 PSfrag replacements 120 I1 I2 60 Clusterladung Clusterladung 80 I1 I2 100 PSfrag replacements 40 20 0 0 2000 4000 6000 8000 Ne 16 10000 80 60 40 0 5000 T 15000 20000 T Xe16 Kr16 140 120 130 Clusterladung I1 I2 Clusterladung 10000 100 PSfrag replacements PSfrag replacements 80 I1 I2 120 110 100 90 80 70 60 0 5000 10000 T 15000 Kr 16 20000 60 0 5000 10000 15000 20000 T Abbildung 5.18: Abhängigkeit der Ionisationsausbeute von der Pulsnormierung: I 1 = 8.99 · 1014 W/cm2 , I2 = 2.19 · 1015 W/cm2 , jeweils bei 20 Zyklen Pulslänge und ω = 0.055 a.u. 5.2 Enhanced ionization“ bei freier Kernexpansion ” 50 49 80 linear zirkular Ne16 linear zirkular Ar16 40 g replacements Clusterladung Clusterladung 70 30 20 PSfrag replacements 10 0 0 2000 4000 6000 8000 60 50 40 10000 0 5000 T [a.u.] 10000 15000 T [a.u.] 130 100 linear zirkular Kr16 linear zirkular Xe16 120 Clusterladung Clusterladung 90 80 70 g replacements PSfrag replacements 110 100 90 80 60 70 50 0 5000 10000 T [a.u.] 15000 60 0 5000 10000 15000 T [a.u.] Abbildung 5.19: Clusteraufladung in energienormierten Pulsen: Vergleich zwischen linearer und zirkularer Polarisation daß wie in Abschnitt √ 5.1.4 die Peakfeldstärke bei gleicher Pulslänge im zirkularen Fall um einen Faktor von 2 im Vergleich zum linearen Fall erniedrigt ist). Wie nicht anders zu erwarten, ergibt sich qualitativ das gleiche Bild, wenn von linearer zu zirkularer Polarisation übergegangen wird. Für Ne16 reicht der Kontrast für ein Maximum wiederum nicht aus; der enhanced-ionization-Mechanismus wird von den Auswirkungen der Energienormierung überlagert. Durch die niedrigere Peakintensität wird für zirkulare Polarisation nun schon für Pulslängen von etwa 6000 a.u. der Bereich erreicht, in dem die Mehrzahl der Cluster in einem Monte-Carlo-Ensemble überhaupt nicht mehr ionisiert wird. Für den Ar16-Cluster zeigt sich ein ähnlicher Effekt: auch wenn die durchschnittliche Atomladung bei einer Pulslänge von T = 12500 a.u. immer noch grösser als zwei ist, so ist doch bereits deutlich zu erkennen, daß die Triggerfunktion des Lasers bei zirkularer Polarisation ab etwa T = 10000 a.u. durch die schwächer werdende Intensität an Wirkung verliert. Kr16 und Xe16 hingegen werden, bedingt durch die höherliegenden Bindungsniveaus, auch bei den längsten betrachteten Pulslängen bei zirkularer Polarisation immer noch beinahe genauso stark ionisiert wie bei linearer Polarisation. Insgesamt lässt sich für alle vier betrachteten Cluster sagen, daß der Unterschied in der Ionisationsausbeute beim Übergang von linearer zu zirkularer Polarisation auch bei freier Kernexpansion deutlich geringer ausfällt als im 50 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” molekularen Fall [BKM99]. Wie bereits in Abschnitt 5.1.4 diskutiert, ist der Grund dafür in der fehlenden Vorzugsrichtung im Cluster im Vergleich zum linearen Molekül zu suchen. 5.3 Ein einfaches Modell zur Clusterexpansion In diesem Abschnitt wollen wir die Coulombexplosion kleiner Cluster mittels eines stark vereinfachten Expansionsmodells beschreiben. Dadurch werden wir in der Lage sein, die Abhängigkeit der optimalen Pulslänge von der Atommasse, der Clusteraufladung und der Clustergrösse anzugeben. Zu diesem Zweck muss zunächst der Expansionsprozess in zwei Abschnitte aufgeteilt werden: der erste Abschnitt ist die Zeitspanne vom Beginn des Pulses, also t = 0, bis zur Innerionisation des ersten Elektrons. Wir wollen diesen Zeitpunkt im folgenden mit T 0 bezeichnen. Da unmittelbar nach der ersten Innerionisation auch die ersten Elektronen den Cluster verlassen, kann T0 als Startzeitpunkt der Expansion angesehen werden. Die zweite Phase beinhaltet dann die Expansion von T0 bis zum Erreichen des kritischen Clusterradius. Diesen Zeitpunkt bezeichnen wir mit Tcrit, die reine Expansionszeit mit Texp . Es gilt also: Tcrit = T0 + Texp (5.12) Der Zeitpunkt der ersten Ionisation hängt von der Pulslänge und vom betrachteten Element ab. Für ein einzelnes Atom ergibt sich die zeitabhängige Wahrscheinlichkeit, daß das äusserste Elektron zum Zeitpunkt t noch nicht ionisiert ist, aus der feld- und energieniveauabhängigen Rate w(f(t), E1 ) als Z t 0 0 Pneutral(t) = exp − w(f(t ), E1 ) dt (5.13) 0 Die Wahrscheinlichkeit, daß in einem Cluster aus N Atomen zum Zeitpunkt t noch kein Elektron ionisiert worden ist, ist demzufolge Cluster Pneutral (t) = [Pneutral (t)]N (5.14) Cluster (t) = 21 ist. Durch Für den Zeitpunkt T0 haben wir nun die Zeit t gewählt, für die Pneutral Cluster (t) praktisch eine Stufenfunktion, so daß die exponentielle Abhängigkeit von N ist Pneutral die explizite Wahl der Schwellenwahrscheinlichkeit unkritisch ist. Mit t = T0 beginnt dann die Clusterexpansion, begleitet von einer Aufladung des Clusters von Z = 0 auf Z = Zfinal. Wir nehmen nun an, daß die Ausdehnung vom Clusterradius αZf inal R = R0 zu R = Rcrit mit einer mittleren Ladung pro Atom von Z̄ = N erfolgt (α gibt damit also indirekt an, wie effektiv der enhanced-ionization-Mechanismus ist). Weiterhin soll diese Expansion alleine durch die Coulombwechselwirkung der Kerne verursacht werden; damit werden sowohl der Einfluss des Laserfeldes als auch der Elektronendynamik auf die Kernexpansion vernachlässigt. Damit können wir also schreiben N X 1 i=1 2 MVi2 + N X Z̄ 2 =E ~ ~ R − R j (i6=j)=1 i (5.15) 5.3 Ein einfaches Modell zur Clusterexpansion 51 Als weitere Näherung nehmen wir nun an, daß die Clusterexpansion homogen und isotrop ~ i (t) = erfolgt und durch einen allen Ionen gemeinsamen Expansionsparameter λ(t) mit R ~ i (0) beschrieben werden kann. Man erhält somit λ(t)R N X 1 i=1 2 M Vi2 (t) + N X Z̄ 2 2 N X 1 = λ̇ (t) ~ 2 ~ R (t) − R (t) i=1 i j (i6=j)=1 = Definiert man nun T0 := N X 1 i=1 2 M R2i (0) M R2i (0) N X N Z̄ 2 1 X + ~ λ(t) ~ R (0) − R (0) i j (i6=j)=1 Z̄ 2 ~ ~ (i6=j)=1 Ri (0) − Rj (0) und V0 := N X Z̄ 2 ~ ~ R (0) − R (0) i j (i6=j)=1 (5.16) (5.17) so ergibt sich die folgende Differentialgleichung für λ(t): dλ(t) = dt 1/2 1 V0 , 1− λ(t) T0 (5.18) die durch Trennung der Variablen gelöst werden kann und einen Ausdruck für Texp ergibt: r h √ √ iλ T0 p Texp = x(x − 1) + log x − 1 + x (5.19) V0 x=1 Das Verhältnis T0/V0 stellt dabei so etwas wie eine Zeitskala eines Clusters für die Expansion dar. Ersetzt man in der Summe über die Potentialterme in V0 die Abstände zweier Ionen ~ i (0) − R ~ j (0)| näherungsweise durch den Clusterradius R6 , so lässt sich angeben, wie diese |R Zeitskala von den Kenngrössen“ eines Clusters abhängt: ” M R3 T0 (5.20) ≈ V0 (N − 1)Z̄ 2 Daraus lässt sich nun beispielsweise ablesen, wie sich der Expansionsprozess ändert, wenn, bei gleicher Atomsorte, die Anzahl N der Atome eines CLusters verändert wird: ist VAtom = 4 πrs3 das Volumen, das ein Atom im Cluster einnimmt, so gilt R3 = Nrs3 . Die Zeitskala der 3 Expansion wird somit durch den Faktor N/(N −1) bestimmt, hängt also nur schwach von N ab. Daß, wie in Abb. 5.17 zu sehen, die optimale Pulslänge dennoch mit der Clustergrösse zunimmt, liegt also nicht am Expansionsprozess, sondern daran, daß das Verhältnis von optimalem zu Gleichgewichtsradius für grössere Cluster ansteigt (siehe Abb. 5.7). 5.3.1 Skalierung der optimalen Pulslänge Mittels Gl. (5.19) lässt sich nun eine Beziehung zwischen den optimalen Pulslängen für verschiedene Cluster aufstellen, wenn man zusätzlich zu den bereits gemachten Näherungen noch die folgenden Annahmen macht: der Faktor α, der das Verhältnis der mittleren Ladung 6 Diese Näherung wäre exakt, wenn sich die Ionen alle an der Oberfläche des Clusters befinden würden 52 5 Ar16 Ar20 Ar25 Ar40 Kr16 Xe16 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” λ 1.25 1.3 1.35 1.4 1.35 1.4 Zf inal 75 95 115 140 90 110 Tabelle 5.3: Expansionsparameter und Clusteraufladung zur Berechnung der optimalen Pulslänge pro Atom vor Erreichen des kritischen Radius (Z̄) und der Atomladung nach Abklingen des Pulses (Zf inal /N) darstellt, ist für alle betrachteten Cluster derselbe. Falls diese Hypothese zuträfe, würde 1 − α also so etwas wie einen universellen Wirkungsgrad des enhancedionization-Mechanismus darstellen. Ausserdem soll die optimale Pulslänge Tmax dadurch definiert sein, daß der kritische Radius Rcrit gerade im Pulsmaximum erreicht wird. Es gilt also Tcrit = Tmax/2. Zur Überprüfung dieser Annahme stellen wir Gl. (5.19) wie folgt um: s T0 N f(λ) (5.21) Texp = Tcrit − T0 = αZf inal V0 (Z = 1) mit f(λ) := hp x(x − 1) + log √ √ iλ x−1+ x x=1 (5.22) Ist α nun für alle Cluster gleich, so muss es also nur einmal aus den abgelesenen Daten eines Referenzclusters bestimmt werden und sollte dann Vorhersagen über den Wert der kritischen Pulslänge für alle anderen Cluster machen. Wir haben Ar16 als diesen Referenzcluster gewählt und erhielten anhand der Daten aus den Abb. 5.3 und 5.13 einen Wert von α = 0.36 (siehe Tab. 5.3). Daraus wurden dann gemäß Gl. (5.21) die optimalen Pulslängen für fünf andere Cluster berechnet. Das Ergebnis ist in Abb. 5.20 dargestellt, zusammen mit den bereits in den Abschnitten 5.2.1 und 5.2.2 gezeigten Resultaten. Zur besseren Vergleichbarkeit der Kurven wurden dabei die y-Achse für Kr16 und Xe16 um einen konstanten Faktor geshiftet. Die Lagen der Maxima für die anderen Cluster werden offenbar durch dieses einfache Coulombexplosionsmodell gut wiedergegeben. Die von uns gemachten Näherungen können damit als sinnvoll angesehen werden; insbesondere ist α in der Tat clusterunabhängig. Somit haben wir mit Gl. (5.21) einen allgemeinen analytischen Ausdruck zur Hand, der angibt, welche Faktoren in die Expansion eines kleinen Edelgasclusters eingehen und wie diese Faktoren miteinander in Beziehung stehen. 5.4 Pulslängenvariationen mit kleinen Metallclustern Wir haben in den letzten Abschnitten gezeigt, wie sich für kleine Edelgascluster das Auftreten einer optimalen Pulslänge (bei energienormierten Pulsen) mit der Existenz eines kritischen Clusterradius in Verbindung bringen lässt. Interessanterweise wurde ein zu unseren 5.4 Pulslängenvariationen mit kleinen Metallclustern 53 Clusterladung (arb. units) 200 PSfrag replacements 150 100 50 0 5000 10000 15000 T (a.u.) Abbildung 5.20: Vorhersagen von Gl. (5.21) im Vergleich mit den numerischen Resultaten (von unten nach oben: Ar16, Ar20, Ar25, Ar30, Kr16, Xe16; schräg vertikal verlaufende Linie: Vorhersage der Lage von Tmax gemäß Gl. (5.21)) numerischen Experimenten beinahe völlig analoges reales Experiment bereits durchgeführt, allerdings nicht mit Edelgas-, sondern mit Metallclustern [KSK + 99]. Auch die erhaltenen Resultate sind den unseren sehr ähnlich, allerdings wird zu ihrer Interpretation ein völlig anderes Modell herangezogen: die Plasmontheorie. Im folgenden werden wir das Experiment zunächst kurz erläutern und dann die vorgeschlagene Erklärung der Resultate einer näheren Untersuchung unterziehen. 5.4.1 Experimentelle Resultate Bei dem Experiment von Koeller et. al. [KSK+ 99] wurden kleine Platincluster intensiven Laserpulsen unterschiedlicher Länge ausgesetzt. Die verwendete Clusterquelle lässt keine genaue Massenselektion zu; man kann lediglich eine ungefähre Grössenverteilung der Cluster angeben, deren Maximum bei ungefähr 20 Atomen liegt und die, laut Koeller et.al., nicht über 100 Atome hinaus reichen soll. Das verwendete Ti:sapphire-Lasersystem arbeitet bei einer Wellenlänge von 800 nm, was einer Frequenz von ω = 0.057 a.u. entspricht. Die Pulslänge lässt sich von ca. 140 fs bis etwa 1 ps wobei der Gesamtenergiegehalt R variieren, 2 der Pulse immer gleich bleibt (es ist also auch f (t) dt = const.). Mittels eines time-of-flight-Massenspektrometers konnten die entstehenden Fragmente hinsichtlich Ladung und Masse analysiert werden. Dabei konnte zunächst eine stark verbesserte Energieabsorption der Cluster im Vergleich zum Einzelatom beobachtet werden: während ein einzelnes Pt-Atom in einem 600-fs-Puls mit I = 2 × 10 15 W/cm2 maximal vierfach ionisiert werden konnte, wurden im Clusterexperiment bis zu zwanzigfach geladene Pt-Ionen gemessen. Eine Veränderung der Pulslänge ergab dann das in Abb. 5.21 gezeigte Resul- 54 5 Enhanced ionization“ in kleinen Edelgasclustern ” Abbildung 5.21: Die maximalen beobachteten Ladungszustände von PtN + -Ionen in Abhängigkeit von Pulsenergie und -dauer (aus [KSK + 99]) tat: für alle verwendeten Pulsenergien erhielt man maximale Ionisation bei einer Pulslänge von ca. 600 fs. Dieser experimentelle Befund stimmt qualitativ völlig mit unseren Ergebnissen an kleinen Edelgasclustern überein; leider können unsere Resultate aber aus dem folgenden Grund nicht direkt auf Metallcluster übertragen werden: in unserem Modell wird davon ausgegangen, daß die noch gebundenen Elektronen gut bei ihren jeweiligen Atomen lokalisiert sind. Dies ist für die Valenzelektronen eines Metallclusters nicht mehr der Fall. Dichtefunktionalrechnungen zeigen vielmehr, daß sich diese Elektronen im Metallcluster vor dem Hintergrund einer homogenen positiven Ladungsverteilung quasifrei bewegen können. Dies führt zu einer kollektiven Resonanz der Clusterelektronen, der sogenannten Plasmonresonanz [dH93, Bra93]. Sie liegt für einen Cluster aus N Atomen mit Radius R bei s N ωP lasmon = , (5.23) (R + δ)3 wobei das Auftreten von δ der Tatsache Rechnung trägt, daß die Schwingung der Elektronen etwas über den eigentlich Clusterradius hinausführen kann. Die Plasmonfrequenz liegt, je nach Clustergrösse und Metallsorte, bei ca. 3 − 5 eV; sie bestimmt für Laser mit geringer Intensität das Absorptionsverhalten eines Metallclusters fast vollständig. Dieses Absorptionsverhalten wird durch Dichtefunktionalrechnungen (DFT), welche nur die Valenzelektronen explizit berücksichtigen, für Intensitäten I < 1013 W/cm2 gut reproduziert (einige Beispiele finden sich in [dH93, Bra93, Hab94]). Bei grösseren Intensitäten sind die schwach gebundenen Valenzelektronen praktisch sofort ionisiert, und die Innerschalenelektronen müssten berücksichtigt werden, was momentan in einer DFT-Rechnung noch zu aufwändig ist. Dennoch wird in [KSK+ 99] das Auftreten einer optimalen Pulslänge mit der Plasmonresonanz erklärt. Abb. 5.22 zeigt, wie sich ωP lasmon durch die Expansion des Clusters rotver- 5.4 Pulslängenvariationen mit kleinen Metallclustern 55 Abbildung 5.22: Zeitabhängige Plasmonresonanz, aus [KSK+ 99] schieben und nach einer gewissen Zeit mit der eingestrahlten Laserfrequenz zusammenfallen würde. Dadurch wird ebenfalls ein Rcrit definiert, und ein Puls, dessen Maximum ungefähr mit dem Erreichen der kritischen Clustergrösse zusammenfallt, sorgt dann für erhöhte Ionisation, völlig analog zu unseren Rechnungen für die Edelgascluster. Diese Argumentation weist allerdings unserer Ansicht nach den folgenden Fehler auf: für das Vorhandensein einer Plasmonresonanz dürfen die Valenzelektronen den Cluster noch nicht verlassen haben. Andererseits müssen aber die Valenzelektronen ionisiert werden, um die Expansion des Clusters und damit das Erreichen der Plasmonresonanz überhaupt erst zu ermöglichen. Dies wird bei den verwendeten Intensitäten von I > 1015 W/cm2 auch bereits in der ansteigenden Flanke des Pulses passieren. Sind die Valenzelektronen aber erst einmal ionisiert, sollte sich ein Metallcluster nicht mehr wesentlich von einem Edelgascluster unterscheiden, so daß die Erklärung der experimentellen Resultate mittels enhanced ionization schlüssig erscheint.7 7 Daß der in [KSK+ 99] vorgeschlagene Mechanismus prinzipiell funktioniert, wurde übrigens in [RS01] in einer DFT-Rechnung für einen Na+ 9 -Cluster gezeigt; allerdings betrug die Laserintensität dort lediglich 1011W/cm2 , also 4 Grössenordnungen weniger als in [KSK+ 99]. Teil II Anwendungen Bohmscher Mechanik in der Atomphysik 6 Einführung Im zweiten Teil dieser Arbeit beschäftigen wir uns mit der Anwendung der Bohmschen Mechanik auf die Untersuchung atomphysikalischer Prozesse. Wir werden zeigen, wie diese alternative Formulierung der Quantenmechanik benutzt werden kann, um Reaktionsmechanismen detailliert zu beleuchten. Die Bohmsche Mechanik wurde 1952 von David Bohm formuliert [Boh52a, Boh52b], in mathematischer Ausarbeitung einer physikalischen Idee, die bereits 1927 von Louis de Broglie vorgebracht wurde ( de Brogliesche Führungswellen“). Es handelt sich bei ihr um eine alter” native Formulierung der Quantenmechanik, die deren statistische Vorhersagen unverändert lässt, aber auf dem individuellen Niveau durchaus Unterschiede zur orthodoxen Interpretation Kopenhagener Schule aufweist. Ziel der Bohmschen Mechanik (BM) war es ursprünglich, der üblichen Ansicht, daß Resultate erst durch Messungen erzeugt werden und von daher die Annahme einer physikalischen Welt unabhängig vom Beobachter sinnlos ist, eine Alternative entgegenzustellen. In der BM haben quantenmechanisch zu behandelnde Teilchen wie z.B. Elektronen zu jedem Zeitpunkt einen genau definierten Ort und Impuls; Messungen ändern zwar die Teilchentrajektorien, doch man muss nicht erst eine Messung vornehmen, um einem Teilchen einen definitiven Ort zusprechen zu können. Sämtliche quantenmechanischen Effekte werden durch ein sogenanntes Quantenpotential verursacht, welches durch die Form der Wellenfunktion hervorgerufen wird. Die Wellenfunktion hat in der BM also nicht die überragende Bedeutung wie in der üblichen QM-Formulierung in dem Sinn, daß in ihr alle Information enthalten ist, die man prinzipiell über ein System erlangen kann; stattdessen wird sie zu einer physikalisch agierenden Grösse, die, ähnlich wie beispielsweise ein elektromagnetisches Feld, die Trajektorien der betrachteten Teilchen beeinflusst und so zu Effekten wie Interferenz, Tunneln, Nichtlokalität etc. führt. Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß sich die Diskussion über die Bohmsche Mechanik, so sie denn überhaupt stattfand, bisher hauptsächlich mit eher philosophischen Fragen befasste. In dieser Arbeit wollen wir weitere Beiträge zu diesem Thema soweit als möglich vermeiden und statt dessen zeigen, wie die BM als Werkzeug verwendet werden kann, um mit ihrer Hilfe Aussagen über physikalische Prozesse zu machen. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, daß alle erlangten Resultate unabhängig davon sind, ob die BM nun richtig“oder falsch“in interpretatorischer Hinsicht ist. Wir verwenden die BM lediglich ” ” als mathematisch zum üblichen Schrödingerformalismus absolut äquivalente Theorie, die es, im Gegensatz zur üblichen Betrachtung der Wellenfunktion als Ganzes, erlaubt, den Weg einzelner Bestandteile der Wellenfunktion in der zeitlichen Entwicklung beobachten und somit verfolgen zu können, in welcher Weise sich die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines bestimmten Endresultates im Laufe der Zeit aufbaut. Dieser eher pragmatische Zugang zur BM ist erst in jüngster Zeit etwas häufiger gewählt worden [NW01, Wya99, LW99], dort unter dem Gesichtspunkt einer Alternative zu bereits existierenden Techniken, um die zeitabhängige Schrödingergleichung zu lösen. Hierin liegt sicherlich ein grosses Potential der 60 6 Einführung BM: während sich beispielsweise die Untersuchung differentieller Querschnitte in Mehrelektronensystemen mit konventionellen Methoden mangels Vorhandensein der exakten Endzustandswellenfunktionen im Allgemeinen schwierig gestaltet, könnten mit einer effektiven BM-Propagationstechnik, ganz analog zur experimentellen Situation, einfach die Anzahl an Bohmschen Teilchen gezählt werden, die beispielsweise in ein bestimmtes Raumwinkelelement mit einer gewissen Energie gestreut werden. Hier sind, weitere Fortschritte auf der algorithmischen wie auf der Computerhardwareseite vorausgesetzt, sicherlich interessante Entwicklungen zu erwarten. Wir werden in den anschliessenden Kapiteln nun zunächst eine kurze Einführung in die Bohmsche Mechanik geben, um anschliessend deren Anwendung auf zwei quantenmechanische Modellsysteme zu untersuchen. Die Einführung ist weitestgehend in knapper Form gehalten; für weitergehende Ausführungen zu den eher formalen Aspekten sei der Leser z.B. auf [Hol93] oder [Due01] verwiesen. Grundlegende Überlegungen zur Interpretation der BM bzw. QM finden sich in [Boh93] und [Bel87]. 7 Kurze Einführung in die Bohmsche Mechanik In diesem Kapitel wollen wir in aller Kürze in die Bohmsche Formulierung der nichtrelativistischen Quantenmechanik einführen. Wie bereits erwähnt, wollen wir uns dabei aller philosophischen Fragen weitestgehend enthalten und unser Augenmerk rein auf die formalmathematischen Gesichtspunkte richten. Die Grundlagen der Hamilton-Jacobi-Theorie, die zum Verständnis der Bohmschen Theorie benötigt werden, sind in Anhang A zusammengestellt. 7.1 7.1.1 Die Bohmschen Bewegungsgleichungen Der Einteilchenfall Wir gehen aus von der nichtrelativistischen Schrödingergleichung1 ∂Ψ(~r) h̄2 ih̄ = − ∆ + V (~r ) Ψ(~r) ∂t 2m (7.1) Dabei interessiert uns zunächst nur der Einteilchenfall; die Mehrteilchentheorie ergibt sich daraus ohne weitere Komplikationen. Schreibt man die Wellenfunktion Ψ in der Form Ψ = R exp(iS/h̄) (7.2) und setzt (7.2) in (7.1) ein, erhält man nach der Aufspaltung in Real- und Imaginärteil das folgende gekoppelte Paar von Gleichungen: ~ 2 ~ 2R h̄2 ∇ ∂S (∇S) + − +V =0 ∂t 2m 2m R ! ~ ∂R2 ~ R2 ∇S +∇· =0 ∂t m (7.3) (7.4) Gl. (7.3) und (7.4) sind die Bohmschen Gleichungen für die Amplitude R und die Phase S. Man erkennt leicht, daß Gl. (7.3) von der Form (A.18), also einer Hamilton-JacobiGleichung, und Gl. (7.4) von der Form (A.22), also der einer Kontinuitätsgleichung, ist. Der 1 In diesem Abschnitt werden h̄ und m in der Notation berücksichtigt, um auch auf den Übergang zur klassischen Mechanik (bewerkstelligt durch h̄ → 0) eingehen zu können. 62 7 Kurze Einführung in die Bohmsche Mechanik einzige Unterschied besteht im Auftreten eines zusätzlichen Terms Q=− ~ 2R h̄2 ∇ 2m R (7.5) in Gleichung (7.3). Die Bewegungsgleichungen für eine einzelne Trajektorie erhält man, ~ auf (7.3) anwendet. Das ergibt indem man zunächst den Operator ∇ ~ · ∇] ~ ∇S ~ = −∇(V ~ [∂/∂t + (1/m)∇S + Q) (7.6) ~ ~ resultiert schliesslich Wegen ~r˙ = ∇S/m und d/dt = ∂/∂t + ~r˙ · ∇ d ~ (m~r˙) = −∇(V + Q). dt (7.7) Es liegt nun nahe, Q als Zusatzpotential aufzufassen, welches zusätzlich zum klassischen Potential V (~r) wirkt. Von Bohm wurde für Q der Begriff Quantenpotential“ geprägt. Da ” das Auftreten dieses Potentials der einzige Unterschied zwischen den klassischen HamiltonJacobi-Gleichungen und deren quantenmechanischem Gegenstück ist, muss es offenbar für alle Quanteneffekte, die in der nichtrelativistischen Theorie auftreten, verantwortlich sein (Interferenz, Energiequantisierung, Unschärferelation etc.). Es würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, auf diese natürlich hochinteressanten Aspekte einzugehen; der Leser sei hier einmal mehr auf die Literatur verwiesen, insbesondere auf das Buch von P. Holland, The quantum theory of motion“ [Hol93]. ” Die Bohmsche Theorie sieht also, im Gegensatz zur orthodoxen Interpretation der Quantenmechanik, die vollständige Kenntnis der Wellenfunktion eines Systems nicht als die maximale Information, die man über dieses System erlangen kann, an; sie ermöglicht es, von Trajektorien zu sprechen, die völlig deterministischen Bewegungsgleichungen folgen (wohingegen in anderen mikroskopischen Ansätzen wie z.B. der Nelsonschen Stochastischen Mechanik [Nel66] ein nichtdeterministischer Term in den Bewegungsgleichungen auftritt). Sie ist somit eine hidden variable theory2; gleichzeitig aber trifft sie exakt die gleichen statistischen Aussagen wie die orthodoxe Quantenmechanik, da die Dichteverteilung ja in beiden Fällen identisch ist. Es ist eine immer noch weit verbreitete Fehlinformation, daß eine solche Theorie nach einem Theorem von J. von Neumann [vN32] prinzipiell unmöglich sei; dies ist offenbar nicht der Fall, wie durch die Existenz der Bohm-Theorie gezeigt ist. Vielmehr verwendete von Neumann für seinen Beweis die Annahme, daß für zwei Operatoren  und B̂ die Eigenwerte additiv sind, d.h., wenn a Eigenwert zu  und b Eigenwert zu B̂ ist, soll auch a + b Eigenwert zu Ĉ =  + B̂ sein. Dies ist jedoch nur für kommutierende Operatoren mit [Â, B̂] = 0 der Fall; von Neumann hat somit (erstaunlicherweise) einen ganz wesentlichen Grundzug der Quantenmechanik in seinem Beweis nicht berücksichtigt. Auch die Bellschen Ungleichungen [Bel87] besagen nicht, daß eine hidden variable theory nicht existieren kann; durch ihre experimentelle Verifikation wurde lediglich gezeigt, daß die Quantenmechanik nicht durch eine lokale hidden variable theory beschrieben werden kann. Die Bohmsche Theorie ist aber nichtlokal, wie wir bei der Behandlung des Mehrteilchenfalls gleich sehen werden. 2 Wenngleich J.S. Bell mit dem folgenden Satz sicherlich nicht unrecht hat: The most hidden of all variables in the pilot wave picture is the wavefunction, which manifests itself only by its influence on the complementary variables (aus: J.S. Bell, Speakable and unspeakable in quantum mechanics, S. 202) 7.1 Die Bohmschen Bewegungsgleichungen 63 Unterschiede zwischen der orthodoxen Interpretation der Quantenmechanik und der Bohmschen Version treten allerdings auf, wenn man die Vorhersagen bezüglich individueller Ereignisse, z.B. hinsichtlich der Korrelationen zweier verschränkter Elektronen in speziell angeordneten Experimenten, miteinander vergleicht. So wurde beispielsweise ein modifiziertes Doppelspaltexperiment mit einem Elektronenpaar vorgeschlagen [GA01], in welchem Unterschiede zur Standard-QM auf der individuellen Ebene“ auftreten sollten. Von daher wird ” wohl schon bald experimentell entschieden werden können, ob den Bohmschen Teilchen tatsächlich eine reale Existenz zugebilligt werden kann oder ob sie als bloße mathematische Konstrukte zu betrachten sind. Eigenschaften der Bohmschen Bewegungsgleichungen Wir wollen kurz die für die Anwendung wichtigsten Eigenschaften der Bohmschen Gleichungen (7.3,7.4) zusammenfassen: • Ein physikalisches System besteht aus den entsprechenden klassischen Teilchen und der Wellenfunktion, die über das Quantenpotential Einfluss auf die zeitliche Entwicklung des Systems nimmt. Somit wird der Welle-Teilchen-Dualismus aufgelöst. • Die Bohmschen Gleichungen sind, im Gegensatz zu den Newtonschen Bewegungsgleichungen, von erster Ordnung in der Zeitvariablen. Von daher können sich zwei Bohmsche Teilchen nicht gleichzeitig am selben Ort befinden, d.h. ihre Trajektorien dürfen sich nicht schneiden. • Über das Quantenpotential findet eine Wechselwirkung zwischen den Ensemblemitgliedern statt; eine Eigenschaft, welche die klassische (Liouvillesche) Ensembleformulierung nicht aufweist. • Q hängt nicht vom Betrag der Wellenfunktion ab, sondern nur von deren Krümmung (es ist invariant unter der Transformation Ψ → λΨ) • Formal besitzt Q eine Singularität bei R = 0; für die praktische Anwendung der Bohmschen Theorie ist diese Singularität jedoch nicht wesentlich, da ja die Wahrscheinlichkeit, ein Ensemblemitglied dort zu finden, gleich null ist. • Der klassische Grenzfall h̄ → 0, für den in der Standardinterpretation ein nicht unerheblicher Aufwand betrieben werden muss, ergibt sich in der Bohmschen Theorie in völlig zwangloser Weise: falls h̄ vernachlässigt werden kann, kann, wegen Q ∼ h̄2 , auch Q vernachlässigt werden, und wir erhalten die klassischen Hamilton-JacobiGleichungen. Als exemplarisches Beispiel sei im Folgenden einmal kurz illustriert, wie der Grundzustand des Wasserstoffatoms in der Bohmschen Sichtweise betrachtet wird. Der Wasserstoffgrundzustand Der Grundzustand zum Wasserstoffhamiltonoperator (in atomaren Einheiten) 1 1 H =− ∆− 2 |~r| (7.8) 64 7 Kurze Einführung in die Bohmsche Mechanik ist bekanntermassen Ψ(~r ) ∼ e−|~r| (7.9) Schreibt man nun Ψ = ReiS , so ist offenbar R = Ψ und S ≡ 0, so daß sich für das Grundzustandsensemble das folgende Bild ergibt: • Die Ensemblemitglieder sind gemäß ρ(~r ) = |Ψ|2 im Ortsraum verteilt, und . . . ~ ≡ 0)! • . . . ihr Impuls ist, unabhängig vom Aufenthaltsort, identisch Null (wegen ∇S • Jedes Ensemblemitglied hat somit null kinetische Energie und eine potentielle Energie von U(~r) = V (~r ) + Q(~r) = −1/r + 1/r − 1/2 = −1/2. Die zweite Eigenschaft ist sicher kontraintuitiv, wenn man sich unter einer mikroskopischen Theorie vorstellt, daß das Elektron in irgendeiner Weise einer mehr oder weniger klassischen Trajektorie folgt. Sie tritt immer dann auf, wenn der Grundzustand eines Potentials keinen Imaginärteil hat (also praktisch immer). Interessanterweise wird jedoch gerade durch die Bewegungslosigkeit des Elektrons das Problem der Stabilität der Materie bzgl. strahlendem Zerfall auf simpelste Art und Weise gelöst (keine Beschleunigung→ keine Abstrahlung). Darüber hinaus besteht natürlich a priori kein Grund, warum das Elektron nicht stillstehen sollte. 7.1.2 Der Mehrteilchenfall Wie angekündigt, ergibt sich der Mehrteilchenfall völlig analog zum Einteilchenfall: wir gehen aus von der Schrödingergleichung für n Teilchen, " n # X ∂Ψ ih̄ = (−h̄2 /2mi )∆i + V (~r1 , ~r2 , . . . , ~rn ; t) Ψ, (7.10) ∂t i=1 und schreiben wieder Ψ = ReiSh̄ , wobei jetzt R = R(~r1 , ~r2 , . . . , ~rn ) und S = S(~r1, ~r2 , . . . , ~rn ) ist. Wie beim Einteilchenfall erhalten wir dann n ~ iS)2 ∂S X (∇ + +Q+V =0 (7.11) ∂t 2mi i=1 ! n ~ ∂R2 X ~ 2 ∇i S + ∇i · R =0 (7.12) ∂t mi i=1 mit Q= n X i=1 − ~ 2i R h̄2∇ , 2mi R (7.13) dem Mehrteilchen-Quantenpotential. Die Gleichungen (7.11) und (7.12) bestimmen die zeitlichen Entwicklung eines Mehrteilchenensembles; komplementär dazu erhält man wieder, ~ i S und Anwendung von ∇ ~ i auf (7.11), die Gleichungen für nach Identifikation von p~i mit ∇ die Einzeltrajektorien, d ˙i = −∇ ~ i(Q + V ), (m~r) dt (7.14) 7.1 Die Bohmschen Bewegungsgleichungen 65 d.h. Q kann ebenfalls wieder als zusätzliches Quantenpotential aufgefasst werden. Zusätzlich zu den bereits für den Einteilchenfall abgehandelten Eigenschaften von Q sind für Mehrteilchensysteme noch die folgenden Punkte erwähnenswert: • Wie in der klassischen Mechanik auch, erfolgt die Wechselwirkung zwischen den Teilchen durch ein Potential, welches zunächst einmal von allen Teilchenpositionen abhängt: statt V (~r1 , ~r2, . . . , ~rn ) ist es jetzt eben Q(~r1, ~r2 , . . . , ~rn ) + V (~r1, ~r2 , . . . , ~rn ). Allerdings wird dieses Potential nicht bereits durch die Angabe der Teilchenart völlig spezifiziert (wie z.B. ein Proton und zwei Elektronen“), sondern erst durch die zusätzliche ” Festlegung der Wellenfunktion Ψ(~r1 , ~r2 , . . . , ~rn ) des Systems. • Die Bewegung eines Teilchens hängt ab von den Koordinaten aller anderen Teilchen; soweit ist die Situation die gleiche wie in der klassischen Mechanik. Während dort aber alle Wechselwirkungen mit zunehmendem Teilchenabstand gegen Null gehen, ist dies in der Bohmschen Mechanik nicht der Fall: vielmehr kann, da Q vom Betrag der Wellenfunktion unabhängig ist, auch zwischen zwei sehr weit entfernten Teilchen noch eine starke Wechselwirkung statt finden. Diese Nichtlokalität der Bohmschen Mechanik (und somit der Quantenmechanik) wurde in jüngster Zeit mehrfach durch die Verschränkung eines Photonenpaares über grosse Entfernungen hinweg eindrucksvoll bestätigt (siehe z.B. [WJS+ 98] 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” Der Begriff Reaktionsmikroskop“ wurde erstmals 1997 in [MUK+ 97] verwendet und ” bezeichnete dort eine bestimmte experimentelle Technik zur Durchführung kinematisch vollständiger Experimente, welche es erlaubt, die komplette Impulsinformation aller im Endzustand eines Stoss- oder Laserexperimentes auftretenden Fragmente aufzuzeichnen. Dadurch lassen sich oft Rückschlüsse auf den Reaktionsmechanismus ziehen, z.B. auf die Art und Weise, in der Ladungsaustausch beim Beschuss von neutralen Atomen mit Ionen stattfindet. Da in einem solchen Experiment z.B. für ein ionisiertes Elektron der Impulsbetrag sowie der Raumwinkel, unter dem es auf den Detektor trifft, im Rahmen der Detektorauflösung exakt gemessen werden können, liegt es nahe, sich dieses Elektron bereits vor dem Auftreffen auf den Detektor als klassisches Teilchen vorzustellen. Dementsprechend finden sich in den Publikationen auch Sätze wie The second or more electrons are ionized ” when the first electron revisits the parent ion“ [MFS + 00] oder From then on both electrons ” will be accelerated, one starting with zero momentum, the other with the left-over energy from the excitation process“ [WHC+ 01]. In der orthodoxen Interpretation der Quantenmechanik sind solche Formulierungen ohne Bedeutung; alle derartigen anschaulichen Vorstellungen müssten strenggenommen erst in die Wellenfunktionssprache“ übersetzt werden, wodurch ” sie in den meisten Fällen völlig unverständlich würden. Die Bohmsche Mechanik hingegen erlaubt es ohne weiteres, von Dingen wie dem ersten Elektron“ oder der Reihenfolge von ” Ionisationsereignissen zu sprechen; sie bietet somit eine sehr gute Möglichkeit zum intuitiven Verständnis physikalischer Mechanismen, ohne dabei auf semiklassische Näherungen zurückgreifen zu müssen. In diesem Kapitel wollen wir exemplarisch zeigen, wie mittels Bohmscher Mechanik quantenmechanische Prozesse unter die Lupe“ genommen werden können. Dabei werden zunächst ” einige technische Details erläutert, anschliessend werden wir uns mit einem bereits in Kapitel 4 vorgestellten System, nämlich dem H+ 2 -Ion im starken Laserfeld, sowie der Doppelionisation von Helium, ebenfalls durch ein starkes Laserfeld, beschäftigen. 8.1 Numerische Implementation Zur numerischen Realisierung der Bohmschen Mechanik bestehen prinzipiell zwei Möglichkeiten: man kann entweder versuchen, die Bohmschen Gleichungen nur durch ein Ensemble Bohmscher Teilchen zu lösen, aus deren Propagation sich dann die quantenmechanische Dichte R2 ({~ri }, t) sowie die Phase S({~ri }, t) ergeben, oder aber den Umweg über die Wellenfunktion gehen, d.h. mittels eines geeigneten Propagationsverfahrens ψ({~r i}, t) berechnen, so daß durch die Kenntnis von S({~ri }, t) die Zeitentwicklung eines Bohmschen Ensembles 68 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” ~ i S({~ri }, t)) ermöglicht wird. Zur ersten Möglichkeit wurde ein der Hydro(mittels ~r˙i = ∇ dynamik entlehnter Algorithmus entwickelt [LW99, Wya99] und zeigte erste ermutigende Resultate; insbesondere die Bildung der Ableitungen der Teilchendichte bereitet in diesem Ansatz aber noch immer grosse Schwierigkeiten, so daß wir uns in dieser Arbeit für die zweite Möglichkeit entschieden haben. Der Hamiltonoperator der von uns betrachteten Systeme ist jeweils von der Form Ĥ = Ĥ0 + Ô(t), wobei Ĥ0 der ungestörte Hamiltonoperator ist und Ô(t) die Kopplung an das Laserfeld beschreibt. Alle Rechnungen gingen vom Grundzustand ψ 0 des ungestörten Systems aus; es musste also zunächst ψ0(r) berechnet werden1 und davon ausgehend dann die zeitabhängige Schrödingergleichung i ∂ψ(r, t) = Hψ(r, t) mit ψ(r, 0) = ψ0 ∂t (8.1) gelöst werden. Dies geschah mit Hilfe der split-operator-Methode (siehe Anhang B). Parallel dazu wurde ein Ensemble von Bohmschen Teilchen zur Zeit t = 0 mit einer Dichteverteilung von ρ0 (r) = |ψ0(r)|2 im Konfigurationsraum verteilt; vor Beginn des Laserpulses haben dabei alle Ensemblemitglieder einen Impuls von Null, da die Grundzustandswellenfunktion ψ0 jeweils rein reell ist. Die Propagation der Bohmschen Teilchen erfolgt dann direkt über ∂S(r, t) , d.h. ∂r ∂S(r, t) r(t + ∆t) = r(t) + ∆t ∂r ṙ = (8.2) (8.3) Dieses Verfahren erwies sich bei einem Zeitschritt von ∆t = 0.05 a.u. als genügend genau; als RP δ(r − ri(t)) dr, Mass für die Genauigkeit kann dabei der Unterschied zwischen ρ̃(r, t) = i also der Dichteverteilung der Bohmschen Teilchen, und der wahren“ Verteilung ρ(r, t) = ” |ψ(r)|2 verwendet werden. Der Gradient der Phase S wurde aus der Wellenfunktion ψ in analoger Weise zur splitoperator-Methode bestimmt: da Z ∂ψ(r) = ip ψ̃(p) eipr dp (8.4) ∂r gilt, lässt sich die Ableitung einer Funktion mit hoher Genauigkeit über deren Fouriertransformierte berechnen. Für die Zeitpropagation muss die Fouriertransformation sowieso durchgeführt werden, so daß diese Methode der Gradientenbestimmung für unsere Zwecke die öko ∂S(r,t) . nomischste darstellt. Die Ableitung der Phase ergibt sich dann aus ∂r = Im ∂ψ(r,t)/∂r ψ(r,t) Wie bereits früher erwähnt, bereitet eine Singularität an einem Ort rS mit ψ(rS ) = 0 keine Probleme, da die Aufenthaltswahrscheinlichkeit bei r = r S dann auch gleich Null ist. 8.2 Beispiel 1: H+ 2 im starken Laserfeld Der erste Mechanismus, den wir mittels Bohmscher Mechanik genauer untersuchen wollen, ist das bereits aus dem ersten Teil dieser Arbeit bekannte enhanced ionization, jetzt aber 1 wir fassen die Raumkoordinaten wieder einfach mit r zusammen 8.2 Beispiel 1: H2 im starken Laserfeld 69 r R Abbildung 8.1: Koordinaten für 1D-H+ 2 nicht mehr für einen Cluster, sondern für das Original“ H+ 2 . Wir haben dazu ein eindimen” + sionales Modell des H2 -Ions verwendet, allerdings mit voll quantenmechanischer Behandlung sowohl der Elektron- als auch der Kernkoordinate. Nach Abspaltung der Schwerpunktsbewegung lautet der Hamiltonoperator dieses Systems: H= 1 ∂2 1 1 1 −1 ∂ 2 p p − − − + + r · f (t) 2M̃ ∂R2 2 ∂r2 (r − R/2)2 + a (r + R/2)2 + a R (8.5) mit der Kernrelativkoordinate R, der Elektronkoordinate r (siehe Abb. 8.1) und der reduzierten Kernmasse M̃ = M2 . Der in unseren Rechnungen verwendete Softcoreparameter betrug a = 1.5; für die Kern-Kern-Wechselwirkung wurde das reine Coulombpotential verwendet. Die Grundzustandsenergie beträgt mit diesen Parametern E0 ≈ −0.64 a.u.. Der eingestrahlte Laserpuls hatte eine Frequenz von ω = 0.11 a.u.. Es wurden Pulse unterschiedlicher Länge und Feldstärke verwendet. Die quasiklassische Vorstellung von enhanced ionization, wie sie z.B. in [SYC95, PFGC95] beschrieben wird, lässt sich wie folgt zusammenfassen: • Das H+ 2 -Molekül wird zu Beginn des Laserpulses in einen dissoziativen Zustand angeregt; demzufolge driften die Kerne auseinander. • Bei Erreichen eines kritischen Kernabstandes Rcrit erfolgt die Ionisation des Elektrons. Aus diesem Grund ist die Coulombexplosionsenergie der Kerne gerade 1/R crit . In diesem Bild stellt man sich die Kerne als klassische Teilchen vor, was sie sowohl in der Natur als auch in dem verwendeten Hamiltonian (8.5) natürlich nicht sind. Vielmehr hat die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Kernabstandes R, gegeben durch Z P (R) = |ψ(r, R)|2 dr, (8.6) eine endliche Breite (siehe Abb. 8.2). (Gezeigt ist R 1 − R2, daher ist die Verteilung symmetrisch um den Ursprung). Mit einer voll quantenmechanischen Beschreibung ist also die Vorstellung, daß bei einem bestimmten Kernabstand bevorzugt ionisiert wird, nicht ohne weiteres aufrechtzuerhalten, da die Breite der Kernabstandsverteilung bereits im Grundzustand zu gross ist, um noch von einem gut definierten Kernabstand sprechen zu können. In der Bohmschen Mechanik ist diese Möglichkeit prinzipiell gegeben; dabei stellt sich allerdings die Frage, ob und wie beispielsweise der für den Fall klassischer Kerne entwickelte enhanced-ionization-Mechanismus auf die Bohmschen Ensemblemitglieder übertragbar ist, 70 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 0.5 0.4 P(R) 0.3 0.2 0.1 PSfrag replacements 0 −10 −8 −6 −4 −2 0 R 2 4 6 8 10 Abbildung 8.2: Wahrscheinlichkeitsverteilung des Kernabstandes für den Grundzustand von Hamiltonian (8.5) d.h.: kann man sich die Kerne der Bohmschen Mechanik (zumindest näherungsweise) als ein Ensemble von klassischen Kernen vorstellen und somit erwarten, daß auch das Bohm-H + 2 bei einem bestimmten R bevorzugt ionisiert wird? Zur Klärung dieser Frage muss offenbar untersucht werden, ob die Bohmsche Mechanik eine Entkopplung zweier Koordinaten r und R erlaubt, wenn R als klassische“ Koordinate betrachtet werden kann. Ein entsprechender ” Ansatz wurde in [GMB00] entwickelt; er soll hier kurz vorgestellt werden. Dabei werden wir vorübergehend von dem Koordinatenpaar (r, R) zu (x, X) übergehen, um Verwechslungen mit der Amplitude von ψ = R exp(iS) zu vermeiden. 8.2.1 Entkopplung klassischer und quantenmechanischer Freiheitsgrade in der Bohm-Theorie Die Wellenfunktion eines Systems mit einem quantenmechanischen“ Freiheitsgrad x und ” einem klassischen“Freiheitsgrad X mit den zugehörigen Massen m und M , wobei M m ” gelten soll, sei gegeben durch ψ(x, X) = R(x, X) exp(iS(x, X)). Einsetzen in die Schrödingergleichung liefert zu (7.11) und (7.12) analoge Ausdrücke, die sich nach kurzer Umstellung folgendermassen schreiben lassen: ∂R2 + ∂t 1 ∂S m ∂x ∂R2 + ∂x 1 ∂S M ∂X ∂R2 = −R2 ∂X 1 ∂ 2S 1 ∂ 2S + m ∂x2 M ∂X 2 (8.7) 8.2 Beispiel 1: H2 im starken Laserfeld und ∂ ∂t ∂S ∂x + 1 ∂S m ∂x ∂ 2S ∂x2 71 + 1 ∂S M ∂X ∂ 2S ∂x∂X =− ∂ (V + Q) ∂x (8.8) wobei 1 1 ∂ 2R 1 1 ∂ 2R − (8.9) 2m R ∂x2 2M R ∂X 2 wieder das Quantenpotential ist. Die Näherung für die klassische Koordinate X besteht nun darin, die Dispersion in X-Richtung zu vernachlässigen. Dazu müssen der Term M1 (∂ 2S/∂X 2 ) in (8.7) sowie der zweite Term des Quantenpotentials (8.9) weggelassen werden. Die verbleibenden Ausdrücke, die proportional zu M1 sind, beschreiben die dispersionsfreie Bewegung in X-Richtung [Hol93]; diese soll ja durchaus in der Beschreibung enthalten bleiben. Wenn nun X = X(t) als zeitabhängiger Parameter aufgefasst wird und die Zeitentwicklung entlang der Trajektorie X(t) betrachtet wird, so ist die totale Zeitableitung einer Funktion f(x, X(t), t) gegeben durch df/dt = ∂f/∂t + Ẋ∂f/∂X (analog zur konvektiven Ableitung in der Hydrodynamik). Es ergeben sich dann die folgenden Gleichungen für die genäherte Amplitude R̃ und Phase S̃: ! dR̃2 1 ∂ ∂ S̃ =0 (8.10) R̃2 + dt ∂x m ∂x Q(x, X, t) = − und d dt ∂ S̃ ∂x ! + 1 ∂ S̃ m ∂x ! ∂ 2S̃ ∂ = − (V + Q). ∂x2 ∂x (8.11) Die Gleichungen (8.10) und (8.11) entsprechen aber umgekehrt wieder einer Schrödingergleichung für eine genäherte Wellenfunktion ψ̃(x, X(t), t): 1 ∂2 dψ̃ = − + V (x, X(T )) ψ̃ (8.12) i dt 2m ∂x2 Für x(t) und X(t) findet man: ẋ = 1 ∂ S̃(x, X) |x=x(t),X=X(t) m ∂x (8.13) sowie 1 ∂(V (x, X) + Q̃(x, X)) |x=x(t),X=X(t) (8.14) M ∂X In dieser Näherung ist jeder Trajektorie Xi (t) eine eigene Wellenfunktion ψi (x, X(t), t) zugeordnet; die quantenmechanische Koordinate x wird also, abhängig vom Wert der klassischen Koordinate X, von unterschiedlichen Quantenpotentialen beeinflusst. Jede der einzelnen Wellenfunktionen wird sich aber nun im H2+ -Fall genauso verhalten wie die Wellenfunktion eines Elektrons unter dem Einfluss zweier klassischer Kerne, d.h. es wird bei Einkopplung eines intensiven Lasers auch einen kritischen Kernabstand geben, der zu enhanced ionization führt. Da die X(t) aber eine gute Näherung für die wahren Bohmschen Trajektorien sein sollen, ist es in der Tat sinnvoll, das für klassische Kerne entwickelte Konzept auf die Bohmschen Kerne zu übertragen. Ẍ = − 72 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” Zusammenhang mit der Born-Oppenheimer-Näherung Wir wollen noch kurz darauf eingehen, in welchem Verhältnis die eben vorgestellte approximative Separation von klassischen und quantenmechanischen Koordinaten zur BornOppenheimer-Näherung für den Grundzustand eines Moleküls steht. Die Born-Oppenheimer-Näherung für den Grundzustand eines molekularen Systems mit dem allgemein formulierten Hamiltonian H = Te + TK + Vee + VeK + VKK X p2 X P2 K i Te = , TK = 2m 2M i K mit (die Terme bezeichnen die kinetische Energie der Elektronen bzw. Kerne sowie die ElektronElektron, Elektron-Kern und Kern-Kern-Wechselwirkung) besteht darin, zunächst die Kern~ als eingefroren gegenüber den elektronischen Koordinaten ~x anzusehen und koordinaten X ~ als parametrisch abhängig von den Kernlagen X ~ die elektronische Wellenfunktion ψ(~x| X) anzusehen. Die Grundzustandswellenfunktion bestimmt sich dann aus (Te + Vee + VeK + VKK )ψ(x|X) = (X)ψ(x|X). (8.15) Die Wellenfunktion des gesamten Moleküls wird dann als Ψ(x) = ψ(x|X)Φ(X) (8.16) angesetzt. Für die Kernwellenfunktion Φ(X) findet man die Born-Oppenheimer-Gleichung (TK + (X))Φ(X) = EΦ(X) (8.17) Bei festgehaltenen Kernen ist Gl. (8.15) äquivalent zu der zeitunabhängigen Schrödingergleichung, die man aus Gl. (8.13) erhalten würde. Schreibt man nun Φ(X) als Φ(X) = R(X) exp(i/h̄S(X)) und betrachtet die Kernwellenfunktion im Bohmschen Bild, so erhält man Ẍ = − 1 ∂((X) + QΦ (X)) M ∂X (8.18) mit QΦ (X) = − h̄2 1 ∂ 2R(X) , 2M R(X) ∂X 2 (8.19) dem durch die Kernwellenfunktion gebildeten Quantenpotential. Dieser Term soll, analog zu Gl. (8.9), vernachlässigt werden. Im Grundzustand der elektronischen Wellenfunktion ψ(X) ist aber nun in der Bohmschen Sichtweise gerade (X) = V (x, X) + Qψ (x, X) für alle x, wenn wir in V (x, X) = Vee + VeK + VKK alle Potentialterme zusammenfassen. Damit ist Gl. (8.18) äquivalent zu Gl. (8.14). Für den Grundzustand eines Moleküls sind der Born-Oppenheimer-Ansatz und die Näherung aus [GMB00] also identisch; letztere muss allerdings nicht auf die adiabatische Situation beschränkt bleiben, sondern ist allgemein anwendbar. 8.2 Beispiel 1: H2 im starken Laserfeld 73 1 1 I= 1.26 · 10 14 W/cm 2 0.8 0.8 0.6 PSfrag replacements 0.4 0.2 2.84 · 1014 W/cm2 5.05 · 1014 W/cm2 7.9 · 1014 W/cm2 0 2 4 1 Pstat(R) frag replacements Pstat (R) I= 2.84 · 1014 W/cm2 0.6 0.4 I= 1.26 · 1014 W/cm2 0.2 2 I=6 5.05 · 10814 W/cm 10 R I= [a.u.]7.9 · 1014 W/cm2 0 2 4 6 8 10 R [a.u.] 1 0.8 0.8 1.26 · 1014 W/cm2 2.84 · 1014 W/cm2 7.9 · 10 14 W/cm 2 0.6 PSfrag replacements 0.4 0.2 0 2 4 I= 1.26 · 1014 W/cm2 I= 2.84 · 1014 W/cm2 2 I=6 5.05 · 10814 W/cm 10 R [a.u.] Pstat(R) frag replacements Pstat (R) I= 5.05 · 1014 W/cm2 I= 7.9 · 1014 W/cm 2 0.6 0.4 0.2 2 4 6 8 10 R [a.u.] Abbildung 8.3: Statische Ionisationswahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit des Kernabstandes R (ω = 0.1 a.u., Pulslänge 10 Zyklen) 8.2.2 Der Einfluss der Kernbewegung im Bohm-Bild Wir haben nun für verschiedene Pulslängen sowie unterschiedliche Kernmassen untersucht, inwieweit die Bewegung der Bohmschen Kerne während eines Laserpulses Einfluss auf die Ionisationsdynamik hat; insbesondere wurde die Frage untersucht, wie sich Ionisationswahrscheinlichkeiten, die mit festgehaltenen Kernen berechnet wurden, auf die Ionisationsdynamik bei freier Kernbewegung auswirken. Zunächst haben wir eine Kernmasse von M = 1836 a.u. verwendet; der Laserpuls hatte eine Frequenz von ω = 0.1 a.u. und eine Dauer von 10 Zyklen. Die Einhüllende des Pulses war dabei wieder von der Form sin 2 πt . Die IonisaT tionswahrscheinlichkeiten bei festgehaltenen Kernen bei Verwendung dieses Pulses sind für vier verschiedene Intensitäten in Abb. 8.3 gezeigt. Hier befinden wir uns lediglich bei der niedrigsten Intensität, I = 1.26 · 1014 W/cm2, noch im enhanced-ionization-Regime. Der kritische Kernabstandsbereich erstreckt sich jedoch bereits von R = 4.4 a.u. bis R = 7.4 a.u. (in diesem Bereich kann das 1σ + -Regime oberhalb der inneren wie auch der äusseren Barriere, siehe Kap. 4). Bei den höheren Intensitäten steigt die Ionisationswahrscheinlichkeit zwar zunächst mit dem Kernabstand an, um dann aber bei R = 4 − 5 a.u. stationär zu werden. Das Ansteigen liegt an der mit wachsendem Kernabstand schwächer werdenden Bindung 74 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” Bindungsenergie [a.u.] −0.6 −0.8 −1 −1.2 PSfrag replacements −1.4 0 5 10 15 20 R [a.u.] Abbildung 8.4: Elektronische Bindungsenergie des H + 2 -Modells (4.1) (a = 1.5 a.u.) in Abhängigkeit des Kernabstandes R des Elektrons: in Abb. 8.4 ist die kernabstandsabhängige elektronische Bindungsenergie im Grundzustand für den Hamiltonoperator (4.1) mit a = 1.5 gezeigt. Der Limes der Bindungsenergie für R → ∞ beträgt -0.565 a.u.; für die drei höchsten gezeigten Intensitäten kann dieses Niveau jeweils over-the-barrier ionisiert werden. Dies ist auch noch für einen ganzen Bereich endlicher Kernabstände der Fall, und zwar gerade für den Bereich, in dem die Ionisationswahrscheinlichkeiten für die drei höchsten Intensitäten in Abb. 8.3 praktisch stationär ist. Das Umknicken bei niedrigeren Kernabständen markiert dann den Übergang vom over-the-barrier- zum Tunnelregime. Der enhanced-ionization-Peak kann also spätestens dann nicht mehr gesehen werden, wenn die Laserintensität ausreicht, um die Grundzustandsniveaus der separierten Atome über die Schwelle zu heben. Dann kann nur noch der Einfluss der kernabhängigen Bindungsenergie beobachtet werden, aber nicht mehr der Einfluss der geometrischen Struktur des Moleküls. In der voll zeitabhängigen Rechnung, d.h. mit freier Kernexpansion, wurde nun für jedes ionisierte Elektron der Kernabstand R zu dem Zeitpunkt t 0 aufgezeichnet, zu dem es zum letzten Mal einen der beiden Kerne überquert hat. In den in 8.5 verwendeten Koordinaten lautet dieses Kriterium R(t0 ) R(t) und |r(t)| > |r(t0 )| = (8.20) 2 für t > t0 2 Die Verteilung dieser Kernabstände für vier verschiedene Pulsintensitäten ist in Abb. 8.5 zu sehen. Es zeigt sich, daß, beinahe unabhängig von der Intensität, die meisten Ionisationsereignisse bei etwas weniger als 4 a.u. stattfinden, obwohl sich in den statischen Rechnungen ( Abb. 8.3) die Ionisationswahrscheinlichkeiten zwischen 4 und 8 a.u. kaum ändern. Das liegt natürlich daran, daß in der zeitlichen Entwicklung die kleineren Kernabstände vor den grösseren liegen: ist Γ(R, f(t)) die Ionisationsrate bei festem Kernabstand R und der momentanen Feldstärke f(t) sowie P (R; t) die Verteilung der Kernabstände zur Zeit t, so ist Z T w(R) = P (R; t) Γ(R, f(t)) dt (8.21) 0 8.2 Beispiel 1: H2 im starken Laserfeld 75 300 5000 I= 1.26 · 1014 W/cm2 4000 I= 2.84 · 1014 W/cm2 PSfrag replacements counts frag replacements counts 200 3000 2000 100 counts counts I= 1.26 · 1014 W/cm2 2 2.84 · 10 W/cm 5.05 · 1014 W/cm2 7.9 · 1014 W/cm2 0 0 2 4 10000 frag replacements counts 8000 1000 2 14 I= 5.05 6 · 10 8 W/cm 10 2 RI= [a.u.] 7.9 · 1014 W/cm 0 PSfrag replacements 2 4 6 8 10 R [a.u.] 15000 I= 5.05 · 1014 W/cm2 6000 0 I= 7.9 · 1014 W/cm2 10000 counts 14 4000 5000 1.26 · 1014 2.84 · 1014 7.9 · 10 14 counts W/cm2 W/cm2 2000 0 W/cm 2 0 2 counts I= 1.26 · 1014 W/cm2 I= 2.84 · 1014 W/cm2 2 I= 5.056 · 10148 W/cm 4 10 R [a.u.] 0 0 2 4 6 8 10 R [a.u.] Abbildung 8.5: Verteilung der Kernabstände bei der Ionisation durch einen 10-Zyklen-Puls (siehe Text) 76 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 3000 6000 I= 2.84 · 1014 W/cm2 I= 1.26 · 1014 W/cm2 PSfrag replacements counts 1000 I= 2.84 · 1014 W/cm2 I= 5.05 · 1014 W/cm2 I= 7.9 · 1014 W/cm2 0 counts I= 1.26 · 1014 W/cm2 0 2 8000 2 I=4 5.05 6· 1014 8W/cm 10 R [a.u.] I= 7.9 · 1014 W/cm2 I= 5.05 · 1014 W/cm counts I= 1.26 · 1014 W/cm2 I= 2.84 · 1014 W/cm2 I= 7.9 · 10 14 W/cm 2 0 0 2 4 6 R [a.u.] 8 10 10000 I= 7.9 · 1014 W/cm2 8000 6000 PSfrag replacements 4000 counts 2000 0 2000 2 counts counts PSfrag replacements 4000 counts 2000 counts PSfrag replacements 0 2 I= 1.26 · 1014 W/cm2 I= 2.84 · 1014 W/cm2 2 I=4 5.05 6· 1014 8W/cm 10 R [a.u.] 6000 4000 2000 0 0 2 4 6 R [a.u.] 8 10 Abbildung 8.6: Verteilung der Kernabstände bei der Ionisation durch einen 20-Zyklen-Puls (siehe Text) die über die Dauer des Pulses summierte Wahrscheinlichkeit, bei R zu ionisieren. P (R; 0) ist dabei gerade die in Abb. 8.2 gezeigte Grundzustandsverteilung, die auf den Bereich zwischen zwei und vier a.u. konzentriert ist. Die Bohmschen Moleküle werden also grösstenteils bereits in der ansteigenden Flanke der Kurven aus Abb. 8.3 ionisiert und haben somit gar nicht mehr die Möglichkeit, als Ganzes zu grösseren Kernabständen vorzudringen. Was wird nun passieren, wenn, bei gleicher Peakintensität, die Pulslänge verdoppelt wird? Es ist zu erwarten, daß die Kerne mehr Zeit haben, sich auseinanderzubewegen, bevor die Intensität für die Ionisation ausreicht. Die Peaks sollten also etwas zu grösseren Kernabständen hin verschoben sein. Abbildung 8.6 zeigt die Ergebnisse einer Rechnung mit 20 Zyklen. Der Hauptpeak ist in der Tat etwas zu grösseren Kernabständen hin verschoben; auffallend ist aber vor allem die Ausbildung mehrerer Seitenpeaks“. Diese lassen sich wieder auf die zeitliche Reihen” folge des Erreichens der verschiedenen Kernabstände zurückführen: die meisten Bohmschen Moleküle werden zwar bereits bei etwa 4 a.u. ionisiert, einige aber gelangen zu grösseren Kernabständen, allerdings bereits in einer späteren Phase des Pulses, wenn die Intensität schon wieder abklingt. Abb. 8.8 zeigt, wie stark sich die Ionisationswahrscheinlichkeiten bei festgehaltenen Kernen ändern, wenn die Pulsintensität absinkt. Während bei einer Intensität von I = 2.84 · 1014 W/cm2 über einen breiten Bereich von Kernabständen (zwischen 4 und 10 a.u.) eine Ionisationswahrscheinlichkeit von nahezu eins besteht, spalten die entsprechenden Kurven bei niedrigeren Intensitäten in Unterpeaks auf, die dem enhanced- 8.2 Beispiel 1: H2 im starken Laserfeld 77 −0.1 Energie [a.u.] −0.3 PSfrag replacements −0.5 −0.7 E0 E1 E2 E3 −0.9 −1.1 −1.3 −1.5 2 4 6 8 10 R [a.u.] Abbildung 8.7: Abhängigkeit der untersten vier H+ 2 -Niveaus vom Kernabstand R sowie Resonanzen mit der Laserfrequenz ω = 0.1 a.u. ionization-Mechanismus sowie Multiphotonprozessen zugeordnet werden können. Wir haben zur Untermauerung dieser Hypothese die vier untersten Energieniveaus des Hamiltonian (8.5) als Funktion des Kernabstandes R berechnet. Dazu wurde die Autokorrelationsfunktion einer zur Zeit t = 0 in der Gegend um die Kerne lokalisierten Wellenfunktion berechnet: c(t) = hψ(0) | ψ(t)i Entwickelt man ψ(0) nach den Eigenzuständen des Hamiltonians, X ψ(0) = bn φn (8.22) (8.23) n mit Ĥφn = En φn , (8.24) so ist c(t) = X bn e−iEn t . (8.25) n Die Fouriertransformierte liefert dann die Eigenwerte von Ĥ: Z σ(ω) = c(t)eiωt X = bn δ(ω − En ) n (8.26) (8.27) 78 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 0 10 I = 3.51 · 1012 W/cm2 I = 7.9 · 1012 W/cm2 I = 1.404 · 1013 W/cm2 I = 2.84 · 1014 W/cm2 −2 10 c) Ionisationswsk. b) c) −4 10 b) a) c) a) PSfrag replacements −6 10 b) a) −8 10 2 4 6 8 10 R [a.u.] Abbildung 8.8: Ionisationswahrscheinlichkeiten in einem 20-Zyklen-Puls bei festgehaltenen Kernen und verschiedenen Intensitäten. Peaks a) und b): Multiphotonresonanzen (siehe Abb. 8.7); Peak c): enhanced ionization Die so errechneten Kurven (in Abhängigkeit von R) sind in Abb. 8.7 gezeigt; eingezeichnet sind ausserdem die Einphotonresonanz zwischen E 0 und E1 bei R ≈ 4.5 a.u. sowie die Multi-Multiphotonresonanz“ bei R ≈ 7.6 a.u, wo E 2 bzw. E3 von E0 aus mit drei bzw. vier ” Photonen erreicht werden können. Diese beiden Resonanzen entsprechen den Peaks a) und b) in Abb. 8.8; die genaue Lage der Resonanzpositionen ist dabei durch die Starkverschiebung der Niveaus noch etwas von der Feldstärke abhängig. Diese Resonanzen, wenn sie in der bereits wieder abklingenden Phase des Pulses erreicht werden, sind nun dafür verantwortlich, daß beispielsweise das Histogramm der Kernabstände bei I = 2.84 · 1014 W/cm2 viel mehr Struktur zeigt als die statische Ionisationswahrscheinlichkeit bei gleicher Intensität aus Abb. 8.8. Neben der Pulslänge spielt als weitere kritische Grösse sicher die Kernmasse eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, wie weit die Kerne während der Dauer des Pulses in den kritischen Kernabstandsbereich vordringen können. In Abb. 8.9 ist die Verteilung der Kernabstände im Moment der Ionisation gezeigt, wenn die Kernmasse von M = 1836 a.u. auf M = 5 · 1836 a.u. erhöht wird. Dabei wurde jetzt wieder eine Pulslänge von 10 Zyklen verwendet. Wie erwartet, ist die Ionisationsausbeute unter diesen Bedingungen geringer als bei den beiden vorher betrachteten Beispielen. Aus Abb. 8.9 lassen sich zwei Gründe dafür ablesen: zum einen findet, sowohl durch die jetzt wieder kürzere Pulslänge wie auch durch die höhere Kernmasse, keine Ionisation bei Kernabständen R > 5 a.u. statt, wie dies in Abb. 8.5 und insbesondere in Abb. 8.6 noch der Fall war. Zum anderen weist die Verteilung der Kernabstände im Grundzustand durch die höheren Massen eine geringere Breite auf, so daß bereits ohne jegliche Dynamik der Überlapp mit den für die Ionisation besser geeigneten, grösseren Kernabständen für M = 5 · 1836 a.u. kleiner ist als für M = 1836 a.u. Die 8.2 Beispiel 1: H2 im starken Laserfeld 79 15 I= 1.26 · 1014 W/cm 3000 2 I= 2.84 · 1014 W/cm2 10 PSfrag replacements counts counts frag replacements 2000 5 1000 I= 1.26 · 1014 W/cm2 2.84 · 1014 W/cm2 5.05 · 1014 W/cm2 7.9 · 1014 W/cm2 0 0 2 4 15000 2 14 I= 5.05 6 · 10 8 W/cm 10 R I= [a.u.]7.9 · 1014 W/cm2 I= 5.05 · 10 14 W/cm 0 0 2 4 6 8 10 R [a.u.] 20000 I= 7.9 · 1014 W/cm2 2 15000 PSfrag replacements counts frag replacements counts 10000 10000 5000 1.26 · 1014 W/cm2 2.84 · 1014 W/cm2 7.9 · 1014 W/cm 2 0 0 2 5000 I= 1.26 · 1014 W/cm2 I= 2.84 · 1014 W/cm2 2 I= 5.056 · 10148 W/cm 4 10 0 R [a.u.] 0 2 4 6 8 10 R [a.u.] Abbildung 8.9: Verteilung der Kernabstände bei der Ionisation durch einen 10-Zyklen-Puls mit einer Kernmasse von M = 5 · 1836 a.u. Kernmasse kann somit bereits einen Einfluss auf die Ionisationsdynamik haben, ohne daß die Kerne sich überhaupt nennenswert bewegen müssen. 8.2.3 Coulomb Explosion Imaging Experimentell kann der Kernabstand eines Moleküls im Moment der Ionisation nur indirekt bestimmt werden. Dazu wird angenommen, daß sich die Kerne mit vernachlässigbarer kinetischer Energie zu R = Rcrit bewegt haben, wo die Ionisation des Elektrons erfolgt. Die Kerne werden sich dann durch Coulombexplosion auseinanderbewegen; die potentielle Energie, die dabei zur Verfügung steht, ist, im Falle von H+ 2 , gerade 0 Epot = 1 Rc (8.28) Diese potentielle Energie geht in kinetische Energie der Kerne über, die experimentell gemessen werden kann [WMS+ 00]. Bei Energieerhaltung muss für den zum Kernabstand R konjugierten Relativimpuls P gelten: P2 0 = Epot , M (8.29) 80 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” so daß aus den gemessenen kinetischen Energien auf den Kernabstand zum Zeitpunkt der Ionisation zurückgeschlossen werden kann.2 Wie verhalten sich nun in unseren Rechnungen die Impulse der Kerne lange Zeit nach der Ionisation zu den gezeigten Kernabständen zum Zeitpunkt der Ionisation? Dazu muss die Impulsverteilung der Kerne Z w(P ) = |ψ̃(p, P )|2 dp (8.30) mit der fouriertransformierten Wellenfunktion ψ̃(p, P ) nach Abklingen des Pulses untersucht werden. Die Wellenfunktion ist dabei so lange zu propagieren, bis w(P ) konvergiert ist, d.h. die Kerne quasifrei sind. Bei einer Rechnung auf einem numerischen Gitter, wie sie von uns durchgeführt wurde, ist dies strenggenommen nie der Fall; der begrenzende Faktor ist dabei nicht die Gittergrösse in R−Richtung, sondern die in r-Richtung: ein ionisiertes Elektron bewegt sich weitaus schneller als die coulombexplodierenden Kerne. Daher wird die Gesamtenergie der Kerne neben ihrer kinetischen Energie immer auch noch aus einem Rest an potentieller Energie bestehen: P2 f 0 + Epot = Epot . M (8.31) Diese potentielle Energie lässt sich wie folgt abschätzen: die mittlere Driftenergie eines Elektrons im Laserfeld, die ponderomotive Energie (siehe auch Gl. (5.2)), beträgt F2 4ω 2 (8.32) p F 2Edrif t = √ 2ω (8.33) Lr 2vdrif t (8.34) Epond = Dies ergibt eine mittlere Geschwindigkeit von vdrif t = Ist Lr die Gittergrösse in r-Richtung, so ist tdrif t = die Zeit, die zum Erreichen des Gitterrandes benötigt wird. Der Relativimpuls P hingegen kann höchstens (im Limes t → ∞) p P = M Epot betragen; die Vergrösserung des Kernabstandes, ∆R, in der Zeit tdrif t muss also r r Epot Epot Lr ∆R < tdrif t = M M 2vdrif t r Epot Lr ω √ = M 2F (8.35) (8.36) (8.37) 2 Man beachte, daß dieses halbklassische Bild des Ionisationsvorganges strenggenommen wieder nur im Rahmen der Bohmschen Mechanik ausgedrückt werden kann. 8.2 Beispiel 1: H2 im starken Laserfeld 81 erfüllen. Bei der von uns verwendeten Gittergrösse in r-Richtung von Lr = 512 a.u. lässt f sich so abschätzen, daß ∆R nicht grösser als 10 a.u. sein sollte, so daß Epot etwa 10% von 0 Epot beträgt. Dies bedeutet auch eine Unsicherheit von ca. 10% in der Bestimmung des Kernabstandes aus der Impulswellenfunktion der Kerne. Nach diesen Vorbemerkungen kann nun die Verteilung der Kernabstände bei der Ionisation, analog zur experimentellen Situation, aus der Verteilung der Kernimpulse nach dem Puls berechnet werden. Wir gehen aus von Gl. (8.29) und erhalten Rcrit = M P2 (8.38) Um die Verteilung der Kernabstände aus der Impulsverteilung (8.30) zu berechnen, wird w(Rcrit ) dRcrit = w(P ) dP (8.39) verwendet, so daß w(Rcrit ) = √ M 2R3/2 crit w(P [Rcrit ]) (8.40) gilt. Die so berechneten Verteilungen sind in Abb. 8.10 gezeigt, zusammen mit den Kernverteilungen aus Abb. 8.5, die mittels Bohmscher Mechanik erhalten wurden. Die Anzahl von Trajektorien in einem Bin der Breite ∆R = 0.1 a.u. aus Abb. 8.5 wurde dabei über die Anzahl der Gesamttrajektorien (N = 100000) in Wahrscheinlichkeiten umgerechnet. Für die beiden niedrigsten Intensitäten ist die Übereinstimmung zwischen den über das Coulombexplosionsmodell berechneten Kurven und den Histogrammen aus der Bohmschen Rechnung eher schlecht; mit steigender Intensität nähern sich aber die Resultate der beiden Rechnungen immer mehr an. Bei der höchsten Intensität unterscheiden sich sowohl die Peakpositionen als auch die Formen der Kurven nur noch wenig voneinander. Dies ist zu verstehen, wenn man die möglich Gründe für die Unterschiede noch einmal betrachtet: • Wie diskutiert, können sich Abweichungen durch die endliche Gittergrösse ergeben. Diese sollten aber mit der Intensität zunehmen, da das Elektron mit steigender Feldstärke mehr Driftenergie aus dem Feld aufnehmen kann und somit schneller zum Gitterrand gelangt (siehe Gl. (8.36)). Wir beobachten aber gerade den umgekehrten Trend. • Ein weiterer Grund für Abweichungen liegt in der Ungenauigkeit der Modellannahme, daß die Kerne sofort nach der Ionisation nicht mehr mit dem Elektron wechselwirken (und insbesondere nicht mehr abgeschirmt werden), sondern nur noch über ihre reine Coulombwechselwirkung auseinandergetrieben werden. Dies ist im Prinzip eine sudden approximation, ähnlich wie beispielsweise der Shake-Off-Prozess in der Photodoppelionisation von Atomen, der gleich noch diskutiert werden wird (siehe Abschnitt 8.3.1). Diese Näherung ist aber eigentlich nur gültig, wenn der Ionisationsprozess sehr schnell verläuft; sie sollte also gerade mit steigender Intensität immer besser werden. Wir interpretieren die Unterschiede bei geringen Intensitäten und ihr graduelles Verschwinden bei höheren Feldstärken also dahingehend, daß die Modellannahme, die hinter dem Coulomb Explosion Imaging steckt, erst bei höheren Intensitäten gerechtfertigt wird. Die restlichen Abweichungen bei I3 und I4 schliesslich liegen noch im Bereich der Unsicherheit, 82 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 0.4 I1 = 1.26 · 1014 W/cm2 Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit 0.02 0.01 frag replacements I2 = 2.84 · 1014 W/cm2 0.2 PSfrag replacements 0 0 2 4 6 R [a.u.] 8 0 10 2 4 6 R [a.u.] 8 10 0.8 I3 = 5.05 · 1014 W/cm2 Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit 0.6 0 0.4 0.2 frag replacements I4 = 7.9 · 1014 W/cm2 0.6 0.4 0.2 PSfrag replacements 0 0 2 4 6 R [a.u.] 8 10 0 0 2 4 6 8 10 R [a.u.] Abbildung 8.10: Verteilung der Kernabstände zum Zeitpunkt der Ionisation für den Puls aus Abb. 8.5: Vergleich zwischen Bohmscher Mechanik (Histogramme) und Coulomb Explosion Imaging Abbildung 8.11: Verteilung der Kernabstände bei der Ionisation: Vergleich von Experimenten (•, 4) mit Rechnungen von Zuo und Bandrauk (aus [WMS + 00]) 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 83 f die durch die endliche Gittergrösse und damit das Restpotential Epot gegeben ist. Eine experimentelle Arbeit, in der die Methode des Coulomb Explosion Imaging angewendet wurde, um den Anschluss an theoretische Vorhersagen bezüglich der Ionisationsraten von H+ 2 bei festen Kernabständen herzustellen, ist [WMS+ 00]. Das zentrale Resultat dieser Veröffentlichung ist in Abb. 8.11 gezeigt. Die verwendete Intensität betrug dabei I = 3 · 1015 W/cm2 , die Wellenlänge des Lasers betrug λ = 790 nm, was in atomaren Einheiten einer Frequenz von ω = 0.058 a.u. entspricht. Während in der theoretischen Arbeit von Zuo und Bandrauk [ZB95] bei festgehaltenen Kernen zwei Peaks vorhergesagt werden (bei 7 a.u. und bei 10 a.u.), wird experimentell lediglich ein Maximum bei 7 a.u. beobachtet. In [WMS + 00] wurde diese Diskrepanz auf mögliche statistische Schwankungen zurückgeführt; nach den in den vorangegangenen Abschnitten gewonnenen Erkenntnissen scheint uns der Grund für dieses Verhalten allerdings, wie beim Vergleich der statischen Wahrscheinlichkeiten aus Abb. 8.3 mit den Kernabständen aus den dynamischen Rechnungen (Abb. 8.5), wieder in der zeitlichen Reihenfolge zu liegen, in der die beiden theoretisch vorhergesagten Peakpositionen von den expandierenden Kernen erreicht werden: die aus den experimentell erhaltenen Ionenenergien rückgeschlossenen Kernabstände, bei denen Ionisation erfolgte, werden ihren Hauptpeak immer bei den kleinsten Kernabständen haben, bei denen mit festgehaltenen Kernen nennenswerte Ionisationswahrscheinlichkeiten erreicht werden können. Dies führte in unseren Rechnungen sogar dazu, daß selbst bei Intensitäten, bei denen die statische kernabstandsabhängige Ionisationswahrscheinlichkeit über einen weiten Bereich praktisch konstant ist (wie bei den höheren Intensitäten in Abb. 8.3), dennoch ein deutlich ausgeprägter Peak gesehen werden kann, wenn die Verteilung der Kernabstände berechnet wird, bei denen die Ionisationsereignisse mit frei beweglichen Kernen tatsächlich passieren (z.B. Abb. 8.5). 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld Ein System, welches bereits seit einiger Zeit Gegenstand intensiver Untersuchungen ist, ist die Ionisation des Grundzustandes von Helium im starken Laserfeld. Während die Einfachionisation dabei relativ gut verstanden ist, wirft die Doppelionisation einige Fragen auf, die bis heute nicht endgültig geklärt werden konnten. Wir wollen zunächst eine kurze Einführung in den aktuellen Stand der Forschung geben und anschliessend an einem Helium-Modellatom die Doppelionisation mittels Bohmscher Mechanik untersuchen. 8.3.1 Bisherige Arbeiten Bis gegen Ende der siebziger Jahre wurde die Wechselwirkung von Laserlicht mit einzelnen Atomen hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Einfachionisation untersucht. Bei Ionisation aus dem Grundzustand heraus befand man sich mit Intensitäten von I < 1013 W/cm2 normalerweise im Multiphotonbereich3, d.h. die Ionisation erfolgt im Feld der Frequenz ω 3 Man unterscheidet in der Laser-Atom-Wechselwirkung den√ Multiphotonbereich vom Tunnelbereich. Entscheidender Parameter ist dabei der Keldysh-Parameter γ = ω F2E , der für ein Elektron mit Bindungsenergie E im Feld der Stärke F und Frequenz ω das Verhältnis von Tunnelzeit zu Laserperiode angibt. Ist γ < 1, befindet man sich im Tunnelregime, für γ > 1 hingegen im Multiphotonregime [Kel65]. 84 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” durch die Absorption einer genügend grossen Anzahl von Photonen N, so daß die insgesamt aufgenommene Energie N ω (wir verwenden nach wie vor atomare Einheiten) grösser ist als der Betrag der Bindungsenergie Ebind. Die theoretische Beschreibung des Ionisationsprozesses erfolgt dann in N -ter Ordnung der Störungstheorie und liefert für die Intensitätsabhängigkeit der Ionisationsrate den Ausdruck w+ ∼ I N . (8.41) Zu dieser einfachen Grundregel exisieren allerdings einige Ausnahmen; so ändert sich z.B. die I-Abhängigkeit, wenn resonant ionisiert wird, d.h. über einen Zwischenzustand mit Energie Eres < 0, so daß Eres − Ebind = N 0 ω gilt. Mit wachsender Feldstärke muss in langen Pulsen ausserdem das sog. ponderomotive Potential eines ionisierten Elektrons im Laserfeld berücksichtigt werden. Dieses trägt der Tatsache Rechnung, daß ein Elektron, welches dem Atom entkommen ist, immer noch das oszillierende Laserfeld spürt und daher eine periodengemittelte kinetische Energie von Upond = 4ωI 2 besitzt, welche ihm zusätzlich zur Bindungsenergie zugeführt werden muss (die Ionisationsgrenze wird also um Epond verschoben). Tiefergehende Darstellungen dieser Problemgebiete finden sich z.B. in [DK99]. Ab etwa einer Laserintensität von 1012 (für Alkalimetalle) bis 1013 W/cm2 (für Edelgase) kann ein Atom von einem Laser mit einer Frequenz im optischen bis infraroten Bereich nicht nur einfach, sondern zwei- oder sogar mehrfach ionisiert werden. Für die theoretische Beschreibung dieser Prozesse bieten sich, wenn man die für die Einfachionisation erfolgreiche Multiphoton-Störungsrechnung beibehalten will, die folgenden beiden Möglichkeiten: • Sequentielle Ionisation: ein Elektron absorbiert eine genügende Anzahl N1 von Photonen, um die erste Bindungsenergie E1 zu überwinden. Zurück bleibt ein Ion mit der Bindungsenergie E2, welches nun durch die Absorption von N2 weiteren Photonen ebenfalls ionisiert wird. Die Raten für diese beiden Prozesse sind, sofern keine Sättigung der Einfachionisation eintritt, voneinander unabhängig; daher sollte gelten ++ ∼ I N1 +N2 . wseq (8.42) • Simultane Ionisation: Beide Elektronen werden aus dem Grundzustand mit Gesamtbindungsenergie E0 = E1 +E2 direkt ins Kontinuum gehoben; dazu müssen N > E0 /ω Photonen absorbiert werden. Die Ionisationsrate ist dann ++ wsim ∼ IN (8.43) Man beachte dabei, daß nicht unbedingt N = N 1 +N2 gelten muss, obwohl E0 = E1 +E2 ist. Abbildung 8.12 zeigt exemplarisch die intensitätsabhängige Ionenausbeute nach der Bestrahlung von Xenonatomen mit einem Laserpuls von 50 ps Dauer und einer Wellenlänge von λ = 1064 nm (entspricht ω = 0.043 a.u.). Da die Ionisierungsenergie von Xenon 12.1 eV beträgt, sind 11 Photonen notwendig, um das erste Elektron zu ionisieren. Die Ionenausbeute für die Einfachionisation sollte im doppelt logarithmischen Plot also eine Steigung von 11 aufweisen. Dies ist in der Tat der Fall, wie in Abb. 8.12 durch die durchgezogene Linie angedeutet wird. Die vertikale gestrichelte Linie markiert die Sättigugsintensität Isat 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 85 Abbildung 8.12: Mehrfachionisation von Xenon in einem 50-ps-Puls bei λ = 1064 nm (aus [LLMM83]). Durchgezogene Linie: 11-Photonen-Absorption; gestrichelte Linie: Sättigungsintensität für Einfachionisation (siehe Text) 86 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” der Einfachionisation. Bei dieser Intensität hat die Wahrscheinlichkeit für Einfachionisation im Fokus des Lasers 100 Prozent erreicht; die weiter steigende Ionenausbeute geschieht dann lediglich durch die Aufweitung des Laserfokus mit weiter steigender Intensität, was zu einer I 3/2-Abhängigkeit für I > Isat führt. Es ist deutlich zu sehen, daß die Zweifachionisation bei I = Isat ebenfalls abknickt. Dieses Verhalten ist sowohl mit dem sequentiellen als auch mit dem simultanen Mechanismus kompatibel: im ersten Fall werden die einfach ionisierten Xenonatome als Vorstufe für die Doppelionisation benötigt, so daß eine Sättigung in der Einfachionisation direkt auf die Doppelionisation durchschlagen muss; im zweiten Fall hingegen werden neutrale Xenonatome benötigt, die aber ab der Sättigung nur noch durch die Aufweitung des Laserfokus zur Verfügung gestellt werden. Auch die Steigung der Doppelionisationskurve liefert bei der hier vorliegenden experimentellen Genauigkeit keinen Aufschluss darüber, ob es sich um einen 29-Photonen-Prozess (simultaner Mechanismus) oder um einen 30-Photonen-Prozess (sequentieller Mechanismus) handelt. Mit weiter steigender Laserintensität bricht schliesslich das störungstheoretische Bild zusammen, und man kommt in einen Bereich, in dem (zumindest für die Einfachionisation) die Feldstärke des Lasers von der selben Grössenordnung ist wie das Coulombfeld des Kerns. Der Keldyshparameter ist dann (bei optischen Frequenzen) für die erste Ionisierungsenergie auch nicht mehr grösser als 1, so daß die Einfachionisation über einen Tunnelmechanismus geschieht. Das wohl bekannteste Experiment in diesem Regime wurde 1994 von Walker et. al. durchgeführt [WSD+ 94]. Abb 8.13 zeigt die über einen Bereich von 12 Grössenordnungen gemessenen Einfach- und Doppelionisationsausbeute von Helium in einem linear polarisierten 160-fs-Puls mit λ = 780nm (ω = 0.058 a.u.) im Intensitätsbereich von 5 · 1013 W/cm2 bis 2 · 1016 W/cm2. Die durchgezogenen Linien wurden mittels ADK-Tunnelraten berechnet [ADK86]; dabei wurde ein rein sequentielles Ratenmodell für die zeitliche Änderung der Anzahl von neutralen (N0 ), einfach ionisierten (N1 ) und doppelt ionisierten (N2 ) Heliumatomen angenommen: dN0 = −N0 · wADK (f(t), E1) dt dN1 = N0 · wADK (f(t), E1 ) − N1 · wADK (f(t), E2) dt dN2 = N1 · wADK (f(t), E2 ) dt (8.44) (8.45) (8.46) Während die Einfachionisation über einen grossen Intensitätsbereich gut durch die ADKRate beschrieben wird4 , wird die Doppelionisation für Intensitäten I < 4 · 1015 W/cm2 um Grössenordnungen unterschätzt. Dieses Abweichen von der sequentiellen Vorhersage wurde bereits in einem früheren Experiment von Fittinghoff et.al. [FBCK92] gefunden, wobei allerdings nicht über so viele Grössenordnungen hinweg gemessen wurde. Bei einem solchen Verhalten spricht man von nichtsequentieller Doppelionisation“. Seiner charakteristischen ” Form wegen wird die Doppelionisationskurve häufig auch als Knie“ bezeichnet. ” Die Kniestruktur wurde seither auch an anderen Elementen experimentell gesehen (z.B. [LTC98, TCL+ 97]), so daß der zugrundeliegende Mechanismus weitestgehend unabhängig von der detaillierten Atomstruktur sein muss (insbesondere ist die Rolle von etwaigen Multiphotonresonanzen wohl zu vernachlässigen). Weiterhin zeigte sich z.B. bei Messungen an 4 her Die Abweichungen für kleinere Intensitäten rühren vom Übergang vom Multiphoton- zum Tunnelregime 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 87 Abbildung 8.13: Einfach- und Doppelionisation von Helium, aus [WSD + 94] (siehe Text). Xenon [LTC98], daß die Kniestruktur nicht auf die Doppelionisation beschränkt ist, sondern bis zur Sechsfachionisation hin beobachtet und somit als universelles Phänomen in der Laser-Atom-Wechselwirkung angesehen werden kann. Theoretische Modelle Zur Erklärung der nichtsequentiellen Doppelionisation wurde eine ganze Reihe von theoretischen Modellen vorgeschlagen, von denen die wichtigsten im folgenden erläutert werden sollen. a) Das Shake-Off-Modell: In [FBCK92] wurde der von der Ein-Photonen-Doppelionisation her bereits bekannte Shake-Off-Mechanismus [KS57, BJ67, Åbe70, DS92] auf die Tunnelionisation in starken Feldern übertragen. In diesem Modell wird davon ausgegangen, daß (bei der Doppelionisation) eines der beiden Elekronen ionisiert wird und den Kern so schnell verlässt, daß sich das andere Elektron durch die plötzliche Änderung des Gesamtpotentials mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einem Kontinuumszustand des einfach ionisierten Atoms befindet (sudden approximation). Im Falle der Ein-PhotonIonisation lautet die mathematische Formulierung des Shake-Off-Prozesses wie folgt: 88 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” ist ψ(~r1, ~r2 ) die Grundzustandswellenfunktion, so ist in dieser Näherung die Wahrscheinlichkeit für (o.B.d.A.) Elektron 1, sich in einem Zustand φn (~r1 ) wiederzufinden, nachdem Elektron 2 praktisch instantan in eine ebene Welle mit Impulsvektor ~k übergegangen ist, proportional zu D E2 ~ (8.47) σ(n, k) ∼ φn | ψ̃ mit 1 ψ̃ = (2π)3/2 Z ~ ψ(~r1, ~r2)eik~r2 d~r2 (8.48) In [FBCK92] wurde nun angenommen, daß oberhalb einer kritischen Intensität Ic die Shake-Off-Voraussetzungen erfüllt sind (schnelles erstes Elektron)5; die Projektion des zweiten Elektrons auf ionische Kontinuumszustände wurde dadurch simuliert, daß in die Ratengleichungen (8.44) für Intensitäten I > Ic ein direkter Übergang vom neutralen zum zweifach ionisierten Atom eingebaut wurde. Damit konnten die in [FBCK92] aufgeführten experimentellen Daten gut reproduziert werden. Bereits die Messung von Walker et. al. [WSD+ 94], die sich über weitaus mehr Grössenordnungen erstreckte, zeigte jedoch keine Anzeichen einer kritischen Intensität Ic . Selbst bei Intensitäten von nur knapp über 1014 W/cm2, bei denen sicher von einer instantanen Einfachionisation nicht mehr die Rede sein kann, bleibt das nichtsequentielle Doppelionisationssignal unverändert mehrere Grössenordnungen über der sequentiellen ADK-Rechnung. Dies war das erste Indiz dafür, daß der Shake-Off-Mechanismus wahrscheinlich nicht den dominierenden Beitrag liefert. Ein weiteres Argument gegen das Shake-Off-Modell ist die falsche Polarisationsabhängigkeit: bereits kurz nach der Vorstellung des Shake-Off-Modells wurde in [WMY + 93] eine deutliche Unterdrückung der Helium-Kniestruktur gemessen, wenn anstatt eines linear polarisierten Lasers ein zirkular polarisierter Laser verwendet wurde. Im Rahmen der damals möglichen experimentellen Genauigkeit lag bei Verwendung von zirkular polarisiertem Licht die Doppelionisationsausbeute exakt auf der sequentiellen Vorhersage. Jüngste Messungen an Magnesium [GWW01] zeigen zwar auch für zirkulare Polarisation eine im Vergleich zum sequentiellen Modell leicht erhöhte Ausbeute; der Effekt ist aber gegenüber der Messung mit linear polarisiertem Licht deutlich reduziert. Im Rahmen des Shake-Off-Modells ist dieses Verhalten nicht zu erklären, denn strenggenommen wird für die Ionisation des zweiten Elektrons überhaupt kein Feld mehr benötigt, da die Doppelionisation einzig und allein durch die Projektion auf die ionischen Kontinuumszustände erfolgt. Der Laser wird zwar sicherlich eine Rolle spielen, wenn es darum geht, den Anteil an Elektronen, die nicht im Kontinuum, aber in hochangeregten Zuständen landen, zu ionisieren; dabei sollte aber die Polarisation des Lichtes ebenfalls keine allzugrosse Rolle spielen. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, daß der Shake-Off-Mechanismus als dominanter Beitrag zur nichtsequentiellen Doppelionisation auszuschliessen ist. b) Kollektives Tunneln Unter kollektivem Tunneln versteht man die simultane Tunnelionisation von N Elektronen. Der Mechanismus wurde sowohl in einer recht elaborierten Rechnung von B. 5 Die kinetische Energie ionisierter Elektronen skaliert mit der ponderomotiven Energie E pond = I/4ω2 , ist also proportional zur Intensität 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 89 Zon untersucht [Zon99] als auch in einem eher einfachen Modell [EDM + 00] durchgerechnet. Beide Veröffentlichungen kommen zum gleichen Ergebnis. Das Prinzip wird deutlich, wenn man sich die Struktur der ADK-Formel für die Tunnelrate eines einzelnen Elektrons mit Bindungsenergie E i im quasistatischen Feld der Stärke F [ADK86] anschaut: ! p 2 2m|Ei |3 w(F, Ei ) ∼ exp − (8.49) 3eF Dabei sind m und e Masse und Ladung des Elektrons. Beim kollektiven Tunneln stellt man sich nun die N Elektronen als Quasiteilchen mit Masse Nm, Ladung Ne und P Bindungsenergie Etot = i Ei vor. Damit ergibt sich ! p 2 2m|Etot |3/N wcoll (F, Etot) ∼ exp − (8.50) 3eF Leider liegen die Vorhersagen für die Mehrfachionisation, die man mittels der Rate (8.50) erhält, teilweise noch unterhalb der sequentiellen Vorhersage und somit natürlich auch um mehrere Grössenordnungen unterhalb der experimentellen Resultate. Der Grund, warum der Mechanismus des kollektiven Tunnelns trotzdem noch eine gewisse Rolle in der aktuellen Diskussion spielt, liegt in einem in [EDM + 00] gemachten empirischen Befund begründet: verwendet man nämlich nicht die Rate (8.50), sondern ersetzt in der Rate (8.49) einfach Ei durch Eef f := Etot/N, so erhält man in praktisch allen Fällen eine erstaunlich gute Übereinstimmung mit dem Experiment. Dies gilt sowohl bei der Verwendung unterschiedlichster Atomsorten als auch für die Beschreibung von Drei- oder Vierfachionisationsausbeuten! Der Grund für dieses Verhalten ist bis heute unklar; die N Elektronen scheinen nicht als Quasiteilchen zu tunneln, sondern so, als müsste nur eines von ihnen die Tunnelbarriere überwinden, um simultan alle anderen mit freizusetzen. c) Das Rückstreumodell Das Rückstreumodell wurde von Corkum [Cor93] als genereller Mechanismus in der Laser-Atom-Wechselwirkung vorgeschlagen. Es kann nicht nur auf die Doppelionisation, sondern auch auf die Erzeugung höherer Harmonischer angewendet werden. Das physikalische Bild hinter dem Rückstreuprozess lässt sich in einem Dreistufenprozess zusammenfassen: i) Das äussere Elektron des Atoms wird durch Tunnelionisation freigesetzt. Die Tunnelwahrscheinlichkeit pro Zeitschritt dt kann wieder über eine Tunnelrate w(f(t), E) berechnet werden: P = w dt. ii) Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt im Verlauf einer Laserperiode das Elektron freigesetzt wird, wird es das Atom zunächst nicht gleich verlassen, sondern beim Vorzeichenwechsel des Laserfeldes einen Streuprozess am zurückbleibenden Ion ausführen. iii) Bei diesem Streuprozess kann ein weiteres Elektron ionisiert werden (e − 2eProzess) und/oder durch die Beschleunigung, die das zurückgetriebene Elektron im Feld des Kernes erfährt, hohe Harmonische erzeugt werden. 90 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” PSfrag replacements PSfrag replacements PSfrag replacements -10 -8 -6 -4 -2 -10 -8 -6 -4 -2 PSfrag replacements 0 2 4 6 8 10 -10 -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10 0 2 4 6 8 10 -10 -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10 Abbildung 8.14: Schematische Darstellung des Rückstreuprozesses Der Rückstreuprozess ist in Abb. 8.14 schematisch dargestellt. Mit diesem Modell kann die Polarisationsabhängigkeit der nichtsequentiellen Mehrfachionisation einfach erklärt werden: im zirkular polarisierten Laserfeld wird das erste Elektron nicht zum Ion zurück, sondern in seitlicher Richtung wegbeschleunigt, so daß ein e − 2e-Prozess nicht stattfinden kann. Im Rahmen einer S-Matrix-Theorie von Becker und Faisal [BF99a, BF99b, BDM94, BF96] gelang es, den Wirkungsquerschnitt für die Doppelionisation in eine Reihe von Elementarprozessen (Feynmandiagrammen) zu entwickeln. Es konnte gezeigt werden, daß die Berücksichtigung von nur zweien dieser Diagramme die experimentellen Resultate bereits sehr gut reproduziert: zum einen die Wechselwirkung eines Elektrons mit dem Laserfeld, zum anderen die Coulombwechselwirkung dieses Elektrons mit dem anderen Elektron. Dies sind aber genau die Terme, die mathematisch das Rückstreumodell beschreiben. Weiterhin wurden in COLTRIMS-Experimenten die Impulse der bei der Mehrfachionisation von Neon entstehenden Rückstossionen vermessen [MFS+ 00, MFLU+ 02]. Eine qualitative Analyse der Impulsbilanz beim Rückstreuprozess ergab, daß im Gegensatz zur Einfach- oder sequentiellen Doppelionisation die Ionenimpulse eine Doppelpeakstruktur aufweisen sollten. Genau diese Doppelpeakstruktur wurde experimentell nachgewiesen (siehe Abb. 8.15). Bei Laserwellenlängen von λ ≈ 800 nm und linear polarisierten Laserstrahlen, wie sie in den eben erwähnten theoretischen und experimentellen Arbeiten verwendet wurden, darf also inzwischen davon gesprochen werden, daß der Rückstreumechanismus als dominanter 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 91 Abbildung 8.15: Impulsverteilung der Rückstossionen bei der Doppel- und Dreifachionisation von Neon (aus [MFS+00]). 92 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” Prozess in der nichtsequentiellen Doppelionisation eindeutig identifiziert ist. Noch nicht geklärt ist hingegen der Mechanismus in zirkular polarisierten Lasern [GWW01] sowie in Pulsen höherer Frequenz [Bau97, LEHG99, LvL98]. Diesen zweiten Fall werden wir im nächsten Abschnitt näher untersuchen. 8.3.2 Doppelionisation eines Helium-Modellatoms In diesem Abschnitt stellen wir Resultate vor, die mittels eines eindimensionalen HeliumModellatoms berechnet worden sind. Dabei wird die Einfach- und Doppelionisation dieses Systems wieder unter dem Gesichtspunkt der Bohmschen Mechanik untersucht. Eindimensionale Heliummodelle wurden bereits mehrfach in der Literatur untersucht [DvL01, EDM+ 00, WSL+ 97, PGB91, PRG97, Bau97, LGE00, LEHG99, LvL98]. Der Grund dafür liegt natürlich in dem im Vergleich zu vollen 3D-Rechnungen relativ geringen numerischen Aufwand, der dabei zu betreiben ist. Zudem sollten alle im vorigen Abschnitt vorgestellten Mechanismen der nichtsequentiellen Doppelionisation auch für eindimensionales Helium funktionieren; lediglich die Polarisationsabhängigkeit kann nicht untersucht werden. Und in der Tat beobachtet man auch in den eingangs erwähnten Publikationen ausnahmslos die Kniestruktur in der Doppelionisationsausbeute. Auch die bereits angesprochene Impulsverteilung der Rückstossionen konnte in [LGE00] reproduziert werden. Es scheint also, als ob die wesentlichen Features der atomaren Doppelionisation in einem solchen dimensionsreduzierten Modell enthalten sind. Technisches Das im folgenden verwendete Heliummodell wird beschrieben durch den Hamiltonoperator Ĥ(x, y) = − 1 ∂2 2 2 1 ∂2 − −√ 2 −p 2 2 2 2 ∂x 2 ∂y x +1 y +1 1 + (x + y) · f(t) +p (x − y)2 + 1 (8.51) Man erhält eine Grundzustandsenergie von E0 =-2.237 a.u.; das erste Ionisationspotential beträgt |E1|=0.754 a.u. Der Laserpuls ist von der Form (3.11), die Frequenz ω betrug 0.1837 a.u., die Pulsdauer T 6 Laserzyklen. Parallel zur Propagation der Wellenfunktion wurden 10 6 Bohm-Trajektorien mitberechnet. Nach Abklingen des Pulses wurde die Zeitentwicklung noch für Tadd = 500 a.u. weitergeführt. Die Wahrscheinlichkeiten für die Einfach- und die Doppelionisation wurden nach dem folgenden Kriterium berechnet: P + = P (|x| > 10 a.u. ∧ |y| < 10 a.u.) + (x ↔ y) P ++ = P (|x| > 10 a.u. ∧ |y| > 10 a.u.) (8.52) Die Ionisationsgrenze bei 10 a.u. wurde dabei so festgesetzt, daß bezüglich weiterer Vergrösserung Konvergenz vorlag. 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 93 1e+00 Ionisationswsk. 1e−01 1e−02 einfach doppelt He+ → He++ 1e−03 1e−04 PSfrag replacements 1e−05 1e−06 1e+14 1e+15 2 1e+16 Intensität [W/cm ] Abbildung 8.16: Einfach- und Doppelionisationswahrscheinlichkeit bei einem 6-Zyklen-Puls der Frequenz ω = 0.1837 a.u. Einfach- und Doppelionisationswahrscheinlichkeit Für einen Laserpuls der Frequenz ω = 0.1837 a.u. und einer Länge von 6 Zyklen (' 205.2 a.u.) wurden die Einfach- und Doppelionisationswahrscheinlichkeiten berechnet. Das Resultat ist in Abb. 8.16 dargestellt, zusammen mit der Ionisationswahrscheinlichkeit von He +. Es ist deutlich eine Kniestruktur in der Doppelionisationskurve zu erkennen, mit einem Sattel bei ca. 7·1014 W/cm2 , wo die Kurve in die sequentielle Vorhersage übergeht. Bei der gleichen Intensität findet sich bei genauem Hinsehen auch eine leichte Delle“ in der Einfachionisa” tionskurve, so daß die Vermutung nahe liegt, daß diese beiden Strukturen eine gemeinsame Ursache haben könnten. Dies ist in der Tat der Fall, wie wir gleich sehen werden. Wie bereit angesprochen, sollte der Rückstreuprozess bei den hier verwendeten Pulsparametern keine Rolle spielen: wenn man sich klarmacht, daß zur Ionisation von He + in unserem Modell eine Energie von E1 =0.75 a.u. benötigt würde, die von der ponderomotiven Energie Epond = I/4ω 2 des rückstreuenden Elektrons aufzubringen wäre, so müsste I = 3.51 · 1015 W/cm2 betragen, also im Vergleich zur verwendeten Intensität eine ganze Grössenordnung höher sein. In unserem Fall muss also ein anderer Mechanismus für die nichtsequentielle Doppelionisation verantwortlich sein. Abhängigkeit des Ionisationsereignisses vom Anfangsort Prinzipiell stünden uns die Orte und Impulse aller Bohmschen Elektronen (im folgenden kurz BEs genannt) zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung. Diese Menge an Information muss nun in möglichst wenigen, dabei aber auch möglichst aussagekräftigen Observablen kondensiert werden, um etwas über den Verlauf des Einfach- und Doppelionisationsprozesses herausfinden zu können. Wir haben uns in dieser Arbeit dafür entschieden, die Anfangsorte der BEs als eine solche Observable zu verwenden. Die Fragestellung lautete also: welche 94 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 400 400 b) a) 300 Counts Counts 300 200 200 100 100 PSfrag replacements 0 −7.5 −2.5 2.5 x0 [a.u.] 7.5 0 −7.5 −2.5 2.5 7.5 x0 [a.u.] Abbildung 8.17: Histogramm der Anfangskoordinaten ionisierter BEs in einem 1DWasserstoff-Modell [Intensität in a): I = 8.77 · 1013 W/cm2,, in b): I = 3.51 · 1014 W/cm2 ]. Zum Vergleich ist die entsprechend normierte Grundzustandswahrscheinlichkeit eingezeichnet (durchgezogene Linie). Anfangskoordinaten (x, y) führen zur Einfach-, welche zur Doppelionisation? Zur Einführung wollen wir zunächst die gleiche Fragestellung an einem eindimensionalen Wasserstoffmodell mit dem Hamiltonoperator Ĥ = − 1 1 ∂2 −√ + x · f(t) 2 2 ∂x x2 + 1 (8.53) untersuchen. Dazu wurde die Grundzustandswellenfunktion von (8.53) zusammen mit 10000 BEs unter Einwirkung des in Abb. 8.16 verwendeten Laserpulses propagiert und die Anfangsorte der ionisierten Teilchen in Bins von ∆x = 0.1 a.u. aufgezeichnet. Das Ergebnis für zwei verschiedene Intensitäten ist in Abb. 8.17 dargestellt, zusammen mit der durch die Grundzustandswellenfunktion gegebenen Aufenthaltsverteilung N(x; ∆x) = |ψ(x)|2 · 10000 · ∆x. Offenbar erfolgt die Ionisation in diesem einfachen Modell auf beinahe triviale Weise: die BEs werden einfach nacheinander vom Rand der Wellenfunktion her abgesaugt. Daß der Ionisationsprozess in einer Dimension nur so verlaufen kann, folgt aus der in Kapitel 7 bereits angesprochenen Eigenschaft der Bohmschen Trajektorien, sich im Ortsraum nicht überschneiden zu können, da die Bohmsche Bewegungsgleichung mẋ = ∇S(x) von erster Ordnung in der Zeit ist. Deshalb müssen zur Ionisation eines BE mit Anfangskoordinaten x0 zuerst alle BEs mit Anfangskoordinate x > x0 ionisiert werden. Aus dem gleichen Grund wird auch ein BE mit Anfangskoordinate x0 > 0 (< 0) ausser bei den allergrössten Feldstärken immer zu positiven (negativen) x-Werten hin ionisiert werden, da dann die Anzahl der vorher zu ionisierenden BEs viel geringer sein wird. Mit steigender Intensität wird schliesslich das Loch“in der Verteilung, welches gerade den nicht ionisierten BEs entspricht, ” immer mehr aufgefüllt, da die Ionisationswahrscheinlichkeit für I → ∞ gegen 1 geht. Obwohl diese Befunde im Prinzip sofort aus den Bohmschen Bewegungsgleichungen folgen, 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld e2 e1 Kernort y [a.u.] Kernort 5 4 3 2 1 0 −1 −2 −3 −4 −5 95 e1 e2 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x [a.u.] Abbildung 8.18: Verteilung der Anfangskonfigurationen, die bei I = 2.25 · 10 14 W/cm2 zu Einfachionisation führen (logarithmische Skala, normiert auf den Maximalwert) sind sie dennoch zunächst ein Stück weit kontraintuitiv und von daher zumindest erwähnenswert. Natürlich schlägt die Tatsache, daß sich zwei Bohmsche Trajektorien im Raum nicht schneiden dürfen, in einer eindimensionalen Rechnung voll zu Buche und sorgt für eine relativ uninteressante Ionisationsdynamik. In zwei Dimensionen ist die topologische Situation eine ganz andere; dennoch werden wir sehen, daß gewisse Strukturen aus der eindimensionalen Rechung erhalten bleiben, wenn die Ionisation in guter Näherung auf eindimensionalen Untermannigfaltigkeiten stattfindet. Für den Fall des zweidimensionalen Heliums besteht die Abb. 8.17 entsprechende Darstellung nun aus zwei zweidimensionalen Histogrammen, getrennt nach Einfach- und Doppelionisation. Ein Beispiel für diese Art der Auftragung ist in Abb. 8.18 zu sehen. Gezeigt ist die Häufigkeitsverteilung aller Anfangsorte von BE-Paaren, die bei einer Pulsintensität von I = 2.25 · 1014 W/cm2 zur Einfachionisation führen (Frequenz und Pulsdauer wie oben beschrieben). Zur Farbcodierung wurde eine logarithmische Skala verwendet. Es sind deutlich vier Häufungspunkte zu erkennen; die Konfigurationen zu zweien dieser vier Häufungspunkte sind schematisch mit eingezeichnet, die der anderen beiden Häufungspunkte erhält man einfach durch Vertauschen der Elektronen. Zum besseren Verständnis ist in Abb. 8.19 zusätzlich die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Grundzustandes gezeigt. Das zweite auffallende Feature an Abb. 8.18 ist der nahezu quadratische Bereich in der Mitte, aus dem keine Einfachionisationsereignisse stammen. Es ist offensichtlich, daß Längsschnitte entlang einer der beiden Koordinaten ein zu Abb. 8.17 analoges Bild ergeben würden. Man kann also jetzt schon die These aufstellen, daß die Einfachionisation bei dieser Intensität im wesentlichen auf einen eindimensionalen Prozess reduziert werden kann, mit 96 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 8 6 4 2 0 −2 −4 −6 −8 −8 −6−4 −2 0 2 4 6 8 Abbildung 8.19: Der Grundzustand von Hamiltonian (8.51) in logarithmischer Darstellung, normiert auf den Maximalwert einem aktiven“ Elektron, welches ionisiert wird, während das zweite Elektron eher eine ” Zuschauerrolle einnimmt. Von daher erscheinen auch die Positionen der Häufungspunkte logisch: wenn nur relativ wenig Intensität zur Verfügung steht, werden zunächst diejenigen BE-Anfangskoordinaten zur Einfachionisation führen, die dem angestrebten Endzustand schon bei Pulsbeginn möglichst nahe sind. Das sind aber gerade solche Konfigurationen, bei denen sich ein Elektron nahe am Kern und das andere möglichst weit entfernt vom Kern befindet (die also grösstmögliche Asymmetrie aufweisen). Mit steigender Intensität können dann auch symmetrischere und insgesamt näher am Kern liegende Konfigurationen einfachionisiert werden. Somit sollte man also erwarten, daß die Doppelionisation bei niedrigen Intensitäten bevorzugt von möglichst symmetrischen Konfigurationen aus passiert. Diese Erwartung wird durch Abb. 8.20 voll bestätigt: hier sind, in analoger Weise zur Einfachionisation, die Anfangskonfigurationen gezeigt, die bei der selben Intensität zur Doppelionisation führen. Abgesehen davon, daß insgesamt sehr viel weniger Doppel- als Einfachionisationsereignisse gesehen werden: die Beiträge kommen praktisch ausschliesslich aus den symmetrischen bzw. antisymmetrischen Konfigurationen, die in der Abbildung zur Orientierung schematisch mit dargestellt sind. Dieses Resultat erinnert stark an die Wannier-Theorie [Wan53, Pat98] über den vollständigen Mehrteilchenaufbruch: die Idee dabei ist, daß zur kompletten Fragmentation eines Systems an der Schwelle, wenn also gerade genug Energie vorhanden ist, um völlige Fragmentation zu ermöglichen, die vorhandene Überschussenergie ε nicht zur internen Umordnung des Systemsp verschwendet werden darf, sondern vollständig zur Vergrösserung des Hyper2 radius R = r12 + r22 + . . . + rN benutzt werden muss. Daher können im Limes ε → 0 nur die völlig symmetrischen Anfangskonfigurationen (in der Wannier-Theorie allerdings in einem klassischen Konfigurationsraum) zur vollständigen Fragmentation beitragen; jegliche Asymmetrie würde zum Zurückbleiben“ eines oder mehrerer Teilchen führen und somit ” nicht mehr zur kompletten Fragmentation. Diese Argumentation lässt sich im Prinzip auf den von uns betrachteten Fall übertragen: bei relativ geringer Laserintensität scheint es auch hier für die Doppelionisation am günstigsten zu sein, die absorbierte Laserenergie lediglich in die Vergrösserung des Hyperradius zu stecken und den Hyperwinkel α = arctan xy möglichst konstant zu halten. Wie sehen nun die Bohmschen Trajektorien, die aus den symmetrischen bzw. assymetrischen 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld Kernort y [a.u.] Kernort 5 4 3 2 1 0 −1 −2 −3 −4 −5 97 Kernort −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x [a.u.] Abbildung 8.20: Verteilung der Anfangskonfigurationen, die bei I = 2.25 · 10 14 W/cm2 zu Doppelionisation führen (logarithmische Skala, normiert auf den Maximalwert) Gebieten stammen, typischerweise aus? Zwei generische Beispiele sind in Abb. 8.21 gezeigt. In beiden Fällen findet die Doppelionisation offenbar ohne jegliche dynamische Interaktion zwischen den beiden BEs statt. Insbesondere findet man in diesen (und in allen weiteren von uns untersuchten) Beispielen wie erwartet keine Anzeichen für einen Rückstreuprozess. Die statische Wechselwirkung zwischen den beiden Elektronen spielt aber sicherlich eine wichtige Rolle: schliesslich ist die Bindungsenergie jedes einzelnen Elektrons im Vergleich zum He+ -Fall erniedrigt, so daß die Ionisation durch die Anwesenheit des jeweils anderen Elektrons erleichtert wird. Der Doppelionisationsprozess, so wie er sich in den in Abb.8.21 gezeigten exemplarischen Trajektorien darstellt, scheint aber dennoch so zu verlaufen, als verhielten sich die beiden BEs im wesentlichen unabhängig voneinander. Es lässt sich also vermuten, daß ein Modell unabhängiger, äquivalenter“ Elektronen mit ” ψ(x, y) = φ(x)φ(y) (8.54) in dem hier betrachteten Intensitätsbereich eine gute Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse bieten könnte. Wir werden auf diesen Aspekt gleich noch eingehen. Besonders bemerkenswert ist darüber hinaus sicherlich das Verhalten der symmetrischen Trajektorie: hier sitzen die BEs praktisch aufeinander und verlassen als Quasiteilchen“ den ” Kern. Dies ist exakt die Situation, wie sie im Modell des kollektiven Tunnelns ([EDM + 00], siehe auch S. 88) angenommen wird. Und auch in unserem Modell finden wir, daß der Beitrag dieses kollektiven Mechanismus sehr gering ist (man beachte die logarithmische Auftragung in Abb. 8.20). Die Möglichkeit, daß sich zwei BEs gleichzeitig an einem Ort aufhalten können, liegt in unserem Modell an der Verwendung eines Softcorepotentials auch zur Beschreibung der Elektron-Elektron-Wechselwirkung. Dadurch wird der Effekt des Fehlens zweier Raumdimensionen teilweise wieder kompensiert. In den Abbildungen 8.22 und 8.23 sind die zu Einfach- bzw. Doppelionisation führenden Anfangsbedingungen nun systematisch als Funktion der Intensität gezeigt. Während dabei 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 60 0 40 −10 x,y [a.u.] x,y [a.u.] 98 20 0 −20 −20 −30 −40 frag replacements PSfrag replacements −40 0 50 t [a.u.] 100 150 −50 0 50 100 t [a.u.] 150 200 Abbildung 8.21: Generische Trajektorien mit antisymmetrischen bzw. symmetrischen Anfangsbedingungen, die zur Doppelionisation führen für die niedrigsten betrachteten Intensitäten die Einfach- und die Doppelionisationsereignisse noch deutlich aus unterschiedlichen Bereichen kommen, vermischen sich die Strukturen mit steigender Intenstität immer mehr; für I > 1015 W/cm2 liegen schliesslich die Regionen, die bevorzugt zu Doppelionisation führen, eng verzahnt mit den Regionen, die bevorzugt zu Einfachionisation führen. Die dabei auftretenden komplexen Formen konnten leider im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr interpretiert werden. Angesichts der Tatsache, daß man sich mit I > 1015 W/cm2 bereits im sequentiellen Bereich befindet, hätte man u.U. eine einfachere Struktur der Anfangsbedingungen erwartet, bzw. eine grössere Ähnlichkeit zwischen den Einfach- und den Doppelionisationsergebnissen (wenn man sich den sequentiellen Prozess als zwei praktisch unabhängig voneinander erfolgende Ionisationsereignisse vorstellt, deren einziger Unterschied in der höheren Kernladung bei der zweiten im Vergleich zur ersten Ionisation besteht). Dies scheint offensichtlich nicht der Fall zu sein, muss aber, wie gesagt, Gegenstand zukünftiger Untersuchungen bleiben. Das Verhalten bei niedrigen Intensitäten kann hingegen, wie bereits angedeutet, durch die Verwendung eines Hartree-Ansatzes mit zwei äquivalenten Elektronen und der Wellenfunktion ψ̃(x, y; t) = φ(x; t)φ(y; t) (8.55) mit der zeitlichen Entwicklung Z ∂ 1 ∂2 + VKern (x) + Vel−Las + Vel−el (x, y) |φ(y)|2 dy i φ(x; t) = − 2 ∂t 2 ∂x i h = Ĥ0 (x) + x · f(t) + VW W (x) φ(x) =: Ĥ1 (x) φ(x) (8.56) (8.57) (8.58) (sowie einer analogen Gleichung mit x ↔ y) erklärt werden. Gl. (8.56) folgt aus dem Variationsansatz Z δ φ∗ (x; t)φ∗(y; t)[i∂/∂t − Ĥ]φ(x; t)φ(y; t) dx dy (8.59) δφ(x; t) 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld Doppelionisation Einfachionisation 5 4 3 2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 5 4 3 2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 5 4 3 2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 I = 2.25 · 1014 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x I = 5.05 · 1014 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x I = 8.99 · 1014 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x 99 5 4 3 W 2 cm2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 5 4 3 W 2 cm2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 5 4 3 W 2 cm2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x Abbildung 8.22: Verteilung der Anfangskonfigurationen, die zu Einfach- bzw. Doppelionisation in einem 6-Zyklen-Puls führen (Teil 1) 100 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” Doppelionisation Einfachionisation 5 4 3 2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 5 4 3 2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 5 4 3 2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 I = 1.7 · 1015 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x I = 3.16 · 1015 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x I = 7.11 · 1015 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x 5 4 3 W 2 cm2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 5 4 3 W 2 cm2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 5 4 3 W 2 cm2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x Abbildung 8.23: Verteilung der Anfangskonfigurationen, die zu Einfach- bzw. Doppelionisation in einem 6-Zyklen-Puls führen (Teil 2) 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 101 mit der Nebenbedingung hφ | φi x,y = 1 [BJWM00]. Die Gesamtenergie des Grundzustandes, definiert durch Ẽ0 =< Ĥ1 >0 + < Ĥ2 >0 − < VW W >0 , (8.60) beträgt, wenn, wie in 8.51, ein Softcoreparameter von a = 1 sowohl für die Kern-Elektron als auch für die Elektron-Elektron-Wechselwirkung verwendet wird, Ẽ0 = −2.22 a.u. und liegt somit sehr nahe an der exakten Grundzustandsenergie des verwendeten Modells von E0 = −2.237 a.u.. Die Einteilchenenergie 0 =< Ĥ1 >0 + < VW W >0 liegt bei -0.749 a.u., liegt also betragsmässig in der Grössenordnung der ersten Ionisierungsenergie des vollen Hamiltonians (8.51). Die symmetrische Struktur von ψ̃(x, y) mit den identischen Orbitalen für die beiden Elektronen erzwingt nun gerade die Struktur für die Anfangsbedingungen der Einfach- bzw. Doppelionisation, wie wir sie im voll korrelierten Fall bei niedrigen Intensitäten auch beobachten (ein Beispiel für die Anfangsbedingungen bei Verwendung von identischen Orbitalen ist in Abb. 8.24 gezeigt). Anders ausgedrückt: das Auftreten einer Struktur wie in Abb. 8.18 und 8.20 lässt den Schluss zu, daß die Einfach- und Doppelionisation in diesem Intensitätsbereich bereits wie in (8.56) durch die Verwendung eines und desselben Orbitals für beide Elektronen beschrieben werden kann. Es muss also nur noch die zeitliche Entwicklung einer eindimensionalen Wellenfunktion φ(x) berechnet werden; ist diese mit einer Wahrscheinlichkeit p ionisiert, so gilt für die Einfach- und Doppelionisationswahrscheinlichkeiten P + und P ++ von ψ̃(x, y) = φ(x)φ(y): P + = 2p(1 − p) P ++ = p2 (8.61) Bei näherer Betrachtung von Gl. (8.61) erkennt man leicht, daß diese Art der Beschreibung ab einer gewissen Intensität auf jeden Fall zusammenbrechen wird: es gilt immer P + ≤ 50%. Für Intensitäten, die in einer wesentlich geringeren Einfachionisationswahrscheinlichkeit resultieren, liefert dieses einfache Modell jedoch eine recht gute Beschreibung der Einfachund Doppelionisationswahrscheinlichkeiten, wie in Abb. 8.25 gezeigt ist. Damit steht aber ein weiterer Mechanismus zur nichtsequentiellen Doppelionisation zur Verfügung; wir wollen ihn, da er auf der Verwendung des Modells äquivalenter Elektronen basiert, den Mechanismus äquivalenter Elektronen nennen. Die höhere Ionisationsausbeute basiert hier darauf, daß das Einteilchenorbital φ(x, t) mit seiner effektiven Bindungsenergie 0, die betragsmässig in der Grössenordnung des ersten Ionisierungspotentials im voll korrelierten Modell liegt, für die Doppelionisation praktisch zweimal ionisiert werden muss (wg. P ++ = p2 )6 . Beim sequentiellen Prozess muss hingegen zunächst ein äusseres Orbital mit Bindungsenergie E1 ≈ 0 und anschliessend ein inneres Orbital mit Bindungsenergie E2 < E1 ionisiert werden, was zu einer im Vergleich zu P ++ geringeren Doppelionisationswahrscheinlichkeit führt. Beim Betrachten von Abb. 8.25 fällt nun zunächst auf, daß die Kniestruktur bereits in der Ionisationswahrscheinlichkeit des Einteilchenorbitals auftritt (Abb. 8.25 a)). Es handelt sich dabei um den Übergang von einem 4-Photonen- zu einem 5-Photonenprozess. Die ungestörte Grundzustandsenergie des Einteilchenorbitals beträgt 0 = −0.749 a.u.. Die zentrale 6 Es sei noch einmal extra angemerkt, daß es sich bei 0 um eine Pseudoenergie handelt, die a priori keine physikalische Bedeutung hat. 102 5 4 3 2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 5 4 3 2 1 y 0 −1 −2 −3 −4 −5 −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x −5−4−3−2−1 0 1 2 3 4 5 x Abbildung 8.24: Verteilung der Anfangskonfigurationen, die zu Einfach- bzw. Doppelionisation führen: Hartree-Rechnung, I = 2.25 · 1014 W/cm2 I[1015 W/cm2 ] 0.0 |˜0| [a.u.] 0.749 Epond [a.u.] 0 |˜0| + Epond [a.u.] 0.749 0.0219 0.751 0.0046 0.756 0.0878 0.754 0.0185 0.7725 0.197 0.761 0.042 0.803 0.351 0.77 0.074 0.844 0.548 0.784 0.116 0.9 Tabelle 8.1: Verschiebung des Grundzustands durch Starkshift und ponderomotives Potential (siehe Text) Frequenz des verwendeten Pulses ist ω = 0.1837 a.u., somit ist ω = | 0|/4.07. Zieht man die Verbreiterung des Pulsfrequenzspektrums durch die kurze Pulsdauer in Betracht, kann das Einteilchenorbital also durch die Absorption von 4 Photonen ionisiert werden (Abb. 8.26 zeigt die Fouriertransformierte, also das Frequenzspektrum, des verwendeten Pulses). Mit steigender Intensität I wird nun zum einen die Grundzustandsenergie durch den Starkshift abgesenkt, zum anderen durch das ponderomotive Potential E pond = I/4ω 2 die Schwellenenergie angehoben. Die Addition dieser beiden Effekte führt, wie aus Tab. 8.1 ersichtlich ist, bereits bei einer Intensität von 3.51 · 1014 W/cm2 zu einer Gesamtabsenkung von 0 = 0.749 a.u. auf ˜0 = 0.844 a.u., so daß für eine 4-Photonen-Ionisation bereits eine Frequenz von ˜ ω̃ = 0.211 a.u. benötigt würde, deren Beitrag in der Fouriertransformierten f(ω) in Abb. 8.26 bereits deutlich geringer ist als der der zentralen Frequenz. Eine weitere Steigerung der Intensität auf 5.48 · 1014 W/cm2 , womit wir uns gerade im abknickenden Bereich des Knies befinden, erfordert für eine 4-Photonen-Ionisation ein ω̃ von 0.225 a.u., mit einem ˜ noch geringeren Anteil in f(ω). 14 Obwohl bei I ≈ 5 · 10 W/cm2 die Meanfieldbeschreibung bereits keine gute Näherung 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 10 103 0 a) PSfrag replacements Ionisationswsk. 10 −1 10 −2 10 einfach doppelt He+ → He++ 2p(1 − p) p2 −3 10 −4 10 14 15 10 Intensität [W/cm2 ] 10 16 1e+00 PSfrag replacements Ionisationswsk. 1e−01 b) 1e−02 einfach doppelt He+ → He++ 2p(1 − p) p2 1e−03 1e−04 1e−05 1e−06 1e+14 1e+15 1e+16 2 Intensität [W/cm ] Abbildung 8.25: Ionisationswahrscheinlichkeit p des Einteilchenorbitals φ (a) sowie die daraus resultierenden Einfach- und Doppelionisationswahrscheinlichkeiten im Vergleich mit der voll korrelierten Rechnung (b) 104 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” 50 40 f˜(ω) 30 20 10 PSfrag replacements 0 0 0.1 0.2 0.3 0.4 ω [a.u.] Abbildung 8.26: Fouriertransformierte eines 6-Zyklen-Pulses der Form (3.11) mit ω = 0.1837 a.u. mehr darstellt, ist dieser Übergang dennoch in den Einfach- und Doppelionisationswahrscheinlichkeiten des voll korrelierten Heliums zu sehen. Er sorgt, zusätzlich zum Mechanismus der äquivalenten Elektronen, für eine noch stärkere Ausprägung der Kniestruktur. Insgesamt lässt sich sagen, daß die Einfach- und Doppelionisationswahrscheinlichkeiten in unseren Rechnungen bis zu einer Intensität von I ≈ 3 · 1014 W/cm2 durch den Ansatz äquivalenter Elektronen gut erklärt werden können7 . Dies wurde bereits in [LvL98] beobachtet, wobei in der erwähnten Arbeit neben ω = 0.1837 a.u. auch ω = 0.057 a.u. verwendet wurde. Bei der niedrigeren Frequenz war die Übereinstimmung zwischen der voll korrelierten Rechnung und dem Hartree-Ansatz deutlich schlechter als bei der hohen Frequenz, was mit der zunehmenden Bedeutung des rescattering-Mechanismus mit kleiner werdender Frequenz erklärt werden kann. Für die Übereinstimmung bei ω = 0.1836 konnte in [LvL98] keine Begründung gefunden werden; wir können nun anhand von Abb. 8.18 und 8.20 sehen, daß die Einfach- und Doppelionisation im niedrigen Intensitätsbereich in der Tat über ein effektives Einteilchenorbital verläuft; die gute Beschreibbarkeit durch den Hartree-Ansatz in diesem Bereich ist also nicht nur Zufall. Wir wollen den Gang der Argumentation noch einmal zusammenfassen: • Aus den Strukturen in Abb. 8.18 und 8.20 ist ersichtlich, daß die Einfach- und Doppelionisation bei niedrigen Intensitäten durch einen Produktansatz beschrieben werden kann. • Die bestmögliche Beschreibung eines Systems mit dem Hamiltonoperator Ĥ durch einen Produktansatz Ψ(x, y) ≈ φ(x) φ(y) erfolgt durch Variation von Z φ∗ (x)φ∗(y)|i∂/∂t − Ĥ|φ(x)φ(y) dx dy (8.62) (8.63) 7 Dieser Bereich niedriger Intensitäten ist es auch gerade, der im Rahmen eines Rückstreumodells bei der hier verwendeten Frequenz am schlechtesten nachvollzogen werden könnte. 8.3 Beispiel 2: Doppelionisation von Helium im starken Laserfeld 105 Abbildung 8.27: Die Grundzustandsorbitale des EHF-Modells (8.65) (aus [DvL01]) nach dem Einteilchenorbital φ. Daraus ergibt sich die Meanfieldgleichung (8.56) • Für die Überhöhung der Doppelionisationsausbeute im Vergleich zur sequentiellen Vorhersage sind in diesem Fall zwei Mechanismen verantwortlich: zum einen die Tatsache, daß die beiden Elektronen bei niedrigen Intensitäten durch äquivalente Einteilchenorbitale beschrieben werden können, deren effektive Bindungsenergien durch die statische Coulombwechselwirkung für beide Elektronen in der Grössenordnung der ersten Ionisierungsenergie liegen; eine simultane Ionisation ist also gegenüber dem sequentiellen Mechanismus erleichtert. Zum anderen weist die Ionisationswahrscheinlichkeit dieses Einteilchenorbitals zusätzlich gerade im Bereich des Knies einen Knick durch den Übergang von einer 4-Photonen- zu einer 5-Photonenionisation des Einteilchenorbitals auf. Der letztgenannte Prozess kann auch bei der Ionisation des dreidimensionalen Heliums eine Rolle spielen, wenn man sich von den Laserparametern her im Multiphotonbereich befindet und beispielsweise der Grundzustand bei niedrigen Intensitäten mit N Photonen, bei höheren Intensitäten aber erst mit N + 1 Photonen ionisiert werden kann. So können knieartige Strukturen auftreten, die gar nichts mit nichtsequentieller Mehrfachionisation zu tun haben. In unserem Modell ist das allerdings nicht so, da die Resonanz bereits bei der Ionisation eines effektiven Einteilchenorbitals auftritt. Die Tatsache aber, daß sich der Ionisationsvorgang in einem gewissen Intensitätsbereich durch ein effektives Einteilchenorbital beschreiben lässt, sorgt aber bereits für sich genommen für eine Erhöhung der Doppelionisationsrate im Vergleich zum sequentiellen Modell. Allerdings ist die Beschreibbarkeit durch ein effektives Einteilchenorbital eine spezielle Eigenschaft der eindimensionalen Beschreibung, die somit für einen Mechanismus zur nichtsequentiellen Doppelionisation sorgt, der zumindest nicht ohne weiteres auf den dreidimensionalen Fall übertragbar ist: geht man nämlich in einer Dimension von der auf ein beiden Elektronen gemeinsames Orbital eingeschränkten Har- 106 8 Bohmsche Mechanik als Reaktionsmikroskop“ ” treenäherung Ψ(x, y) = φ(x)φ(y) (8.64) 1 Ψ(x, y) = √ (φ1 (x)φ2(y) + φ2(x)φ1(y)), 2 (8.65) einen Schritt weiter zu (unrestricted Hartree-Fock), so erhält man für den Grundzustand in dieser Näherung zwei nach wie vor sehr symmetrische Orbitale φ1 und φ2 (siehe Abb. 8.27). Setzt man hingegen für das dreidimensionale Helium mit Hamiltonian 1 1 2 2 1 Ĥ = − ∆1 − ∆2 − − + 2 2 |~r1 | |~r2 | |~r1 − ~r2 | (8.66) für den Grundzustand eine analoge Kombination wasserstoffartiger Orbitale an: Ψ3D (~r1, ~r2 ) ∼ exp (−a|~r1|) exp (−b|~r2|) + exp (−b|~r1|) exp (−a|~r2|) (8.67) und variiert den Energieerwartungswert E= D E Ψ3D Ĥ Ψ3D hΨ3D | Ψ3D i (8.68) nach den Parametern a und b, so erhält man a = 1.1885 und b = 2.1832 [Eck30, Tol99]. Während das 1D-Helium also in der EHF-Näherung aus einem linken“ und einem rechten“ ” ” Orbital mit gleicher Einteilchenbindungsenergie besteht, ist das dreidimensionale Helium aus einem inneren“ und einem äusseren“ Orbital zusammengesetzt. Dies ist ein fundamentaler ” ” Unterschied zwischen dem 3D-Helium und einfachen Modellen wie (8.51), der dazu führt, daß eine Beschreibung der Mehrfachionisation mit äquivalenten Elektronen in drei Dimensionen nicht angebracht ist. Wir müssen also zu dem Schluss kommen, daß die näherungsweise Beschreibung der Doppelionisation von Helium in starken Laserfeldern durch eindimensionale Modelle nicht unproblematisch ist, da in einer Dimension ein Mechanismus zur nichtsequentiellen Doppelionisation vorhanden ist, der so in drei Dimensionen nicht existiert. Die in diesem Abschnitt erzielten Resultate haben also, was die Vergleichbarkeit mit experimentellen Daten angeht, eher akademischen Charakter. Die Methode der Anwendung der Bohmschen Mechanik zur mikroskopischen Untersuchung atomarer Prozesse hat sich aber dennoch bewährt, da die Identifikation des Mechanismus, der in dem (nicht nur) in dieser Arbeit verwendeten Modell zur nichtsequentiellen Doppelionisation führt, gelungen ist. 9 Zusammenfassung und Ausblick Im ersten Teil dieser Arbeit wurde zunächst ein Modell zur Beschreibung kleiner Edelgascuster in intensiven Laserpulsen vorgestellt, welches klassische Dynamik mit der Möglichkeit des Tunnelns verbindet. Dieses Modell wurde dann verwendet, um das Ionisationsverhalten solcher Cluster in starken Feldern zu untersuchen. Dazu wurden zunächst für eine Vielzahl verschiedener Cluster und bei unterschiedlichen Laserparametern die Ionisation in Abhängigkeit des Clusterradius bei festgehaltenen Kernen untersucht. Wir haben gesehen, wie sich die Ionisationsausbeuten bei einem solchen zusammengesetzten System durch die Anwesenheit benachbarter Ladungsträger im Vergleich zum einzelnen Atom ändern können. Der Ionisationsprozess besteht dabei aus dem Zusammenspiel zwischen innerer und äusserer Ionisation, dessen Optimierung zur Existenz eines für die Ionisation optimalen Clusterradius Rcrit führt. Es konnte gezeigt werden, daß es sich dabei um die Verallgemeinerung des an linearen diatomaren Molekülen entdeckten enhanced-ionization-Mechanismus handelt. Anschliessend wurden die Auswirkungen von enhanced ionization bei freier Kernexpansion untersucht. Bei Verwendung energienomierter Pulse ergab sich eine bezüglich der Clusterionisation optimale Pulslänge, die durch das Zusammenfallen des Pulsmaximums mit dem Erreichen des kritischen Radius Rcrit bestimmt wird. Qualitativ bleibt die Situation dabei dieselbe, wenn man die Energienormierung des Pulses ändert oder von linearer zu zirkularer Laserpolarisation übergeht. Letzteres bildet einen wichtigen Unterschied im Vergleich zu linearen Molekülen: das Fehlen einer Vorzugsrichtung in den näherungsweise sphärisch symmetrischen Clustern lässt den Wirkungsgrad des Ionisationsmechanismus unabhängig von der Art der Polarisation werden. Unter der Annahme eines einfachen Coulombexplosionsszenarios konnte eine analytische Formel angegeben werden, die das Verhältnis der jeweils optimalen Pulslängen bei der Verwendung unterschiedlicher Clustergrössen oder Atomsorten angibt. Die Vorhersagen aus diesem einfachen Modell stimmen mit unseren numerischen Resultaten gut überein; der Mechanismus der Ionisation in kleinen Edelgasclustern kann damit auch quantitativ als verstanden angesehen werden. Schliesslich wurde Bezug genommen auf ein Experiment, in welchem ebenfalls intensive, energienormierte Laserpulse, statt Edelgas- allerdings Metallcluster verwendet wurden. Dabei wurde die von experimenteller Seite gegebene Erklärung für die unseren Resultaten sehr ähnlichen Messergebnisse in Frage gestellt; vielmehr sollte auch für Metallcluster im Bereich starker Intensitäten der enhanced-ionization-Mechanismus für die Existenz einer optimalen Pulslänge verantwortlich sein. In diesem Bereich liegt sicher eine der Möglichkeiten für zukünftige Weiterentwicklungen des Modells: es wäre von grossem Interesse, die Möglichkeit delokalisierter Valenzelektronen mit einzubauen, so daß bei niedrigen Intensitäten beispielsweise die Plasmonresonanz reproduziert werden kann, ohne jedoch bei hohen Intensitäten die energetisch tieferliegenden Elektronen zu vernachlässigen. Weiterhin sollte durch eine Implementation von Vielteilchen- 108 9 Zusammenfassung und Ausblick propagationsverfahren wie z.B. dem tree coding [BH86] die Untersuchung grösserer Cluster aus mehreren hundert Atomen ermöglicht werden. Interessant wäre in diesem Zusammenhang ein zu erwartender Übergang zu kollektivem, plasmaartigem Verhalten (dies jedoch auf rein klassischer Basis), welches bei den in dieser Arbeit verwendeten Clustergrössen noch nicht zu beobachten war. Darüber hinaus wurde das in dieser Arbeit entwickelte Modell bereits auf Kollisionen hochgeladener Ionen mit atomaren und molekularen Targets angewendet. [Zar]. Auch in diesem Bereich ist mit weiteren Ergebnissen und Entwicklungen zu rechnen. Der zweite Teil dieser Arbeit befasste sich mit der Anwendung der Bohmschen Mechanik (BM) auf zwei Systeme der Atom- und Molekülphysik. Dabei haben wir uns die Möglichkeit zunutze gemacht, mittels BM die zeitliche Entwicklung von Wellenfunktionen auf mikroskopischer Ebene quasi unter die Lupe“ nehmen zu können. ” Nach einer knapp gehaltenen Einführung in die Bohmsche Mechanik wurde ein eindimensionales H+ 2 -Modell in kurzen, intensiven Laserpulsen untersucht. Wie im ersten Teil der Arbeit, haben wir uns auch in diesem Fall wieder die Frage gestellt, inwieweit sich die Kernbewegung während der Wechselwirkung mit dem Laserpuls auf die Ionisationswahrscheinlichkeiten auswirkt (dabei wurden die Kerne jetzt allerdings voll quantenmechanisch behandelt). Durch die Verwendung von BM konnte der Kernabstand zum Zeitpunkt der Ionisation angegeben werden. Wir konnten zeigen, daß sich die Verteilung dieser Kernabstände stark von den Verteilungen unterscheiden kann, die man anhand von Ionisationswahrscheinlichkeiten bei festgehaltenen Kernabständen zunächst erwarten würde. Der Einfluss der Pulslänge sowie der Kernmasse wurde untersucht; da letztere auch die Verteilung der Kernorte im Grundzustand beeinflusst, hat sie bereits ohne jegliche Kernexpansion einen Einfluss auf die Ionisationsdynamik. Der Anschluss an die experimentell zugänglichen kinetischen Energien der Kerne wurde hergestellt. Dabei stellte sich heraus, daß die Kernabstände, die aus den Impulsen der Kerne weit nach Ende des Pulses aus einem einfachen Coulombexplosionsmodells rückgerechnet werden können, erst im Limes hoher Feldstärken, wenn die Ionisation des Elektrons sehr schnell erfolgt, gut mit den tatsächlichen Kernabständen zum Zeitpunkt der Ionisation übereinstimmen. Der zweite Themenkreis in diesem Teil der Arbeit war die Doppelionisation eines (ebenfalls eindimensionalen) Heliummodells im starken Laserfeld. Hier wurde die Abhängigkeit der Ionisationsereignisse vom Anfangsort der Bohmschen Elektronen benutzt, um den in diesem Fall für das Auftreten nichtsequentieller Doppelionisation verantwortlichen Mechanismus zu identifizieren. Anhand der Verteilung dieser Anfangsorte konnte gezeigt werden, daß sich die Einfach- und Doppelionisationswahrscheinlichkeiten bei niedrigen Intensitäten, d.h. über einen grossen Teil des nichtsequentiellen Bereiches, durch die Annahme äquivalenter Elektronen und damit durch die Verwendung eines effektiven Einteilchenorbitals beschreiben lassen. Aufgrund der unterschiedlichen topologischen Situation in drei Dimensionen lässt sich dieses Resultat allerdings nicht ohne weiteres auf die Interpretation experimenteller Resultate anwenden. Wir sind der Ansicht, das Potential, das in der Verwendung der BM zur Untersuchung solcher Prozesse liegt, demonstriert zu haben. In beiden von uns untersuchten Systemen erlaubte es die BM, die Prozesse unter einem Blickwinkel zu betrachten, der in der üblichen quantenmechanischen Behandlung nicht zugänglich gewesen wäre. Von daher ist zu hoffen, daß sich 109 die BM als alternatives Werkzeug“ in der Atomphysik weiter durchsetzt. Dazu wäre insbe” sondere die Verbesserung der bisher existierenden standalone-Methoden [LW99, Wya99], die ein Bohmsches Ensemble ohne die parallele Berechnung der zeitabhängigen Wellenfunktion propagieren können, wünschenswert. Anhang A Die klassische Hamilton-Jacobi-Theorie In der Bohmschen Mechanik wird die Verbindung zwischen der klassischen und der quantenmechanischen Welt formal über den Hamilton-Jacobi-Formalismus hergestellt. Im folgenden wollen wir in aller Kürze die Grundelemente dieser Theorie wiederholen; für ausführlichere Darstellungen sei auf die entsprechenden Lehrbücher der klassischen Mechanik verwiesen. A.1 Kanonische Transformationen Wir beschreiben in diesem Abschnitt ein völlig allgemeines klassisches System mit N Freiheitsgraden; die konjugierten Koordinaten q 1 , q2, . . . , qN und p1 , p2 , . . . , pN werden wir, sofern nicht anders vermerkt, einfach unter q und p zusammenfassen. Bekanntlich ergeben sich die Bewegungsgleichungen eines solchen klassischen Systems aus der Variation der Wirkung Z t I(q, t; q0, 0) = L(q, q̇, t) dt (A.1) 0 über alle möglichen Pfade, die die bei der Variation festgehaltenen Bahnendpunkte q 0 = q(0) und q(t) in einer Zeit t miteinander verbinden. L(q, q̇, t) ist dabei die zum System gehörige Lagrangefunktion. Die Forderung lautet also δI = 0, (A.2) d ∂L ∂L − =0 dt ∂ q˙i ∂qi (A.3) was auf die Euler-Lagrange-Gleichungen führt. Alternativ zur Lagrangetheorie lässt sich nach Einführung der zu den qi konjugierten Impulse pi := ∂L ∂ q̇i (A.4) pi qi − L(q, q̇, t) (A.5) und der Hamiltonfunktion H(q, p, t) = X i 112 Anhang A Die klassische Hamilton-Jacobi-Theorie die Wirkung I auch schreiben als I= Z X i pi q̇i − H ! dt. (A.6) Variation nach den qi und den pi liefert dann die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen q̇i = H ∂H und ṗi = − . ∂pi ∂qi (A.7) Zur Lösung der Bewegungsgleichungen wird es oft zweckmässig sein, eine Koordinatentransformation auf neue Koordinaten Q = Q(q, p, t) und P = P (q, p, t) (A.8) vorzunehmen. Die Transformation (A.8) bezeichnet man als kanonisch, wenn die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen dabei forminvariant bleiben: wenn also K = K(Q, P, t) die Hamiltonfunktion in den neuen Koordinaten ist, soll Q̇i = ∂K ∂K sowie Ṗi = − ∂Pi ∂Qi (A.9) gelten. Die Bewegungsgleichungen (A.9) lassen sich dann natürlich wieder aus der Variation einer neuen Wirkungsfunktion I˜ mit ! Z X I˜ = Pi Q̇i − K dt (A.10) i herleiten, die sich von I, der alten Wirkungsfunktion, um höchstens eine Konstante unterscheiden kann. Damit unterscheiden sich die Integranden in (A.6) und (A.10) um die totale Zeitableitung einer Funktion F : X i Pi Q̇i − K = X i pi q̇i − H − dF . dt (A.11) F kann dabei zunächst in beliebiger Weise von q, p, Q, P und t abhängen; durch die Beziehungen (A.8) lässt sich F dann z.B. in die Form F = F (q, Q, t) bringen. In diesem Fall erhält man aus (A.11): ∂F , ∂qi ∂F Pi = − , ∂Qi ∂F K=H+ ∂t pi = (A.12) (A.13) (A.14) Analoge Ausdrücke lassen sich für die Fälle F = F (q, P, t), F = F (p, Q, t) und F = F (p, P, t) herleiten. Die Funktion F wird als Erzeugendenfunktion der Transformation (q, p) → (Q, P ) bezeichnet. Sie stellt ein wertvolles Hilfmittel dar, um Koordinatentransformationen von einem Satz kanonischer Koordinaten auf einen anderen Satz durchzuführen. Möchte man A.2 Zeitentwicklung als kanonische Transformation 113 beispielsweise eine reine Ortskoordinatentransformation der Form Q = Q(q) durchführen und den zu Q konjugierten Impuls bestimmen, so wird man die Erzeugendenfunktion F (q, P ) verwenden. Die (A.12) entsprechenden Relationen lauten dann pi = ∂F ∂F und Qi = ; ∂qi ∂Pi (A.15) damit ergibt sich aus der zweiten Gleichung F (q, P ) = Q(q)P ; durch die Umkehrung der ersten Gleichung lässt sich dann P als Funktion von p und q bestimmen. Die Bewegungsgleichungen (A.7) sind auf jeden Fall dann vollständig gelöst, wenn die Transformation auf neue Koordinaten Q und P gelingt, so daß Q̇ = Ṗ ≡ 0 gilt. Mit Blick auf (A.9) lässt sich dieses Ziel z.B. dann erreichen, wenn K(Q, P ) ≡ 0 ist. Für die entsprechende Erzeugendenfunktion F muss dann gelten: ∂F + H(q, p, t) = 0 (A.16) ∂t Für den Fall, daß F eine Funktion von q und Q ist, gilt also dann unter Ausnutzung von (A.15) (es ist üblich, diese spezielle Erzeugendenfunktion mit S(q, Q, t) zu bezeichnen): ∂S(q, Q, t) ∂S(q, Q, t) + H q, , t = 0. (A.17) ∂t ∂q Gleichung (A.17) ist die Hamilton-Jacobi-Gleichung der klassischen Mechanik. Ihre Lösung beinhaltet N Konstanten, nämlich gerade die neuen Koordinaten Qi . Die konstanten Impulse ergeben sich aus Pi = ∂S(q, Q, t)/∂Qi; damit lassen sich dann durch Umkehrung (zumindest formal) die qi (t) und über pi = ∂S(q, Q, t)/∂qi auch die konjugierten Impulse als Funktion der Zeit bestimmen, so daß (A.7) vollständig gelöst ist. p2 ~ + V (~r ) lautet die Hamilton-Jacob-Gleichung somit Für den generischen Fall H(q, p) = 2m ∂S(q, Q, t) (∇S)2 + + V (~r) = 0. ∂t 2m A.2 (A.18) Zeitentwicklung als kanonische Transformation Gegeben sei eine Menge von Anfangsbedingungen {q(0), p(0)}, welche man sich als Ausgangspunkte für einen Schwarm von Trajektorien im Phasenraum vorstellen kann, sowie eine Hamiltonfunktion H(q, p), die die Zeitentwicklung dieser Trajektorien gemäss (A.7) bestimmt. Schreibt man nun die klassische Wirkung als Z q S(q, t; q0) = S(q0) + p dq 0 (A.19) q0 wobei S(q0) durch die Forderung p(0) = ∂S(q0 ) ∂q0 festgelegt ist, so lässt sich leicht sehen, daß ) und die zugehörige kaS(q, t; q0) eine spezielle Erzeugendenfunktion (wg. p(t) = ∂S(q(t)) ∂q(t) nonische Transformation gerade die Zeitentwicklung von {q(0), p(0)} nach {q(t), p(t)} ist. Die klassische Wirkungsfunktion erfüllt somit auch die Hamilton-Jacobi-Gleichung (A.17). Man kann sich die klassische Zeitentwicklung eines Hamiltonschen Systems also auch so vorstellen, daß der Teilchenschwarm gewissermassen von der überall im Ortsraum gegebenen Funktion S(q, t; q0) geleitet“ wird. Diese Art der Anschauung tritt in der Bohmschen ” Mechanik noch stärker in den Vordergrund. 114 A.3 Anhang A Die klassische Hamilton-Jacobi-Theorie Beschreibung eines klassischen Ensembles durch eine Dichteverteilung Wie eben kurz dargelegt, legt die Hamilton-Jacobi-Theorie eine Ensemblebeschreibung eines klassischen mechanischen Systems nahe. Ein solches Ensemble kann entweder durch die Verfolgung aller Trajektorien seiner Mitglieder beschrieben werden oder aber, auf elegantere Weise, durch die Einführung einer Verteilungsfunktion f(~q, p~) im Phasenraum (üblicherweise R wird dabei f(~q, p~) auf f(~q, p~) d~q d~p = 1 normiert). Die zeitliche Entwicklung einer solchen Verteilungsfunktion ist dann bekanntermassen durch die Liouville-Gleichung ∂f(q, p) ~ qf ∇ ~ pH − ∇ ~ pf ∇ ~ qH = {f, H} = ∇ ∂t (A.20) Rgegeben. Eine weniger detaillierte Beschreibung erfolgt durch die Dichte im Ortsraum ρ(~q) = f(~q, p~) d~p. Im Sinne der Hamilton-Jacobi-Theorie könnte man sich z.B. vorstellen, daß durch die Vorgabe einer Lösung der Hamilton-Jacobi-Gleichung die Impulse der Ensemblemitglieder bereits für alle Zeiten festgelegt sind und die einzige Freiheit in der Auswahl der Dichte im Ortsraum zur Zeit t = 0 besteht. Für ρ(~q, t) gilt dann natürlich ebenfalls eine Bewegungsgleichung, die sogenannte Kontinuitätsgleichung, welche sich relativ einfach aus der Forderung nach Wahrscheinlichkeitserhaltung ergibt (siehe z.B. [Arn88]). Sie lautet ∂ρ ~ + ∇ · (ρ~v ) = 0 ∂t ~ q)/m, bzw., mit ~v = p~/m = ∇S(~ ∂ρ ~ +∇· ∂t ~ ρ∇S m ! =0 (A.21) (A.22) Erst die Verbindung von Gl. (A.22) mit Gl. (A.17) ermöglicht die vollständige Beschreibung eines klassischen Ensembles im Rahmen der Hamilton-Jacobi-Theorie. Anhang B Split-Operator-Methode zur Wellenpaketpropagation Die Split-Operator-Methode wurde von Feit und Fleck entwickelt [FFS82]; sie bietet eine einfach zu implementierende Möglichkeit, die zeitabhängige Schrödingergleichung numerisch zu lösen, falls der Hamiltonoperator keine Mischterme in Orts- und Impulskoordinaten enthält. Das Prinzip beruht auf einer Näherung der Zeitentwicklung für einen kurzen Zeitschritt ∆t. Es gilt zunächst ψ(t + ∆t) = exp(−iĤ∆t)ψ(t) (B.1) mit dem Hamiltonoperator Ĥ = T̂ + V̂ . Für kleine ∆t lässt sich die Zeitentwickung wie folgt aufspalten: 1 1 ψ(t + ∆t) = exp(−i V̂ ∆t) exp(−iT̂∆t) exp(−i V̂ ∆t)ψ(t) + O(∆t3) (B.2) 2 2 Falls nun V̂ nur orts- und T̂ nur impulsabhängige Terme enthält, entspricht die Anwendung von exp(−i 21 V̂ ∆t) gerade einer einfachen Multiplikation im Ortsraum, die Anwendung von exp(−iT̂ ∆t) hingegen einer Multiplikation im Impulsraum, denn Z Z ∂ ∂ ipx ˜ f(x) = f(x)e dp = ipf˜(x) dp (B.3) ∂x ∂x Der Wechsel zwischen Orts- und Impulsraum erfolgt dabei zweckmässigerweise über eine schnelle Fouriertransformation (FFT). Das obige Propagationsschema lässt sich problemlos auf mehrere Dimensionen erweitern. Allerdings wächst der numerische Aufwand (wie bei allen exakten“ quantenmechanischen ” Propagationsverfahren) exponentiell mit der Anzahl der Dimensionen an. Die Splitoperatormethode lässt sich auch zur Berechnung der Grundzustandswellenfunktion eines zeitunabhängigen Hamiltonoperators Ĥ verwenden: dazu wird zu einer komplexen Zeitvariablen übergegangen (τ = it). Dann wird die Propagation in der komplexen Zeitrichtung mit einer beliebigen Startwellenfunktion ψ(x; 0) gestartet. Entwickelt man ψ(x; 0) nach den Eigenfunktion φi (x) von Ĥ (mit Ĥφi (x) = Ei φi (x)), so lautet die Zeitentwicklung von ψ(x; τ ) X ψ(x; τ ) = ci φi (x)e−Ei τ . (B.4) i Nach einiger Zeit wird das φi (x) mit dem niedrigsten Eigenwert übrigbleiben; das ist aber gerade (bis auf Normierung) der Grundzustand von Ĥ. Literaturverzeichnis [Åbe70] T. Åberg. Phys. Rev. A 2, 1726 (1970). [ADK86] M. Ammosov, N. Delone und V. Krainov. JETP 64, 1191 (1986). [Arn88] V. Arnold. Mathematical methods of classical mechanics (Springer, 1988). [Bau97] D. Bauer. Phys. Rev. A 56, 3028 (1997). [BDM94] W. Becker, L. Davidovich und J. McIver. Phys. Rev. A 49, 1131 (1994). [Bel87] J. Bell. 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Etliche Diskussionen mit Andreas Becker haben das Niveau dieser Arbeit positiv beeinflusst. . . Zu Dank verpflichtet bin ich weiterhin all denjenigen, die die Zeit in Dresden auf die ein oder andere Weise geprägt haben, insbesondere bei den getreuen Mensabegleitern Tobias Schneider, Ivo Häring und Peter Chocian, bei Andreas Buchleitner, Thomas Wellens und allen anderen Buchis“, bei meiner letzten und liebsten Zimmerkollegin Martina Hentschel, bei ” Gabriele Makolies, bei den Fussballern vom MPIPKS und MPICPfS sowie bei den Freunden des Badmintonsports Frank Grossmann, Markus Porto, Juyeon Yi et. al. ... Zuguterletzt ein grosses Dankeschön an meine Freunde und vor allem meine Familie, ohne die diese Arbeit wohl niemals vollendet worden wäre. Versicherung Hiermit versichere ich, daß ich die vorliegende Arbeit ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt. Die Arbeit wurde am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in der Abteilung Endliche Systeme“ angefertigt und von Prof. Dr. Jan-Michael Rost betreut. ” Ich erkenne die Promotionsordnung der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften der Technischen Universität Dresden vom 20. März 2000 an.