Physikalische y und chemische Grundlagen der Keramik Spannun ng Teil II: Eigenschaften keramischer Werkstoffe 2. Auflage, 2005 Jürgen G. Heinrich Dehnung INHALTSVERZEICHNIS SEITE 1. EINFÜHRUNG 3 2. MECHANISCHES VERHALTEN 5 2.1. Elastizität [1; 4; 5; 6; 7; 8, 23] 5 2.2. Anelastizität [1; 8] 34 2.3. Bruchverhalten [8; 9; 10] 42 2.4. Weibull-Statistik [8;10] 80 2.5. Hochtemperatur-Plastizität [8; 11] 86 3. THERMISCHE EIGENSCHAFTEN 115 3.1. Spezifische Wärme [8; 12] 115 3.2. Thermische Ausdehnung [8; 12] 126 3.3. Thermische Leitfähigkeit [8; 12; 13] 136 3.4. Thermoschockverhalten [8; 12; 14] 150 4. CHEMISCHE EIGENSCHAFTEN 160 4.1. Korrosion [1; 8; 13; 15] 160 5. ELEKTRISCHE EIGENSCHAFTEN 180 5.1. Elektrische Leitfähigkeit [8; 12; 17; 18] 180 5.2. Dielektrizität [8; 17; 18; 19] 196 5.3. Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen [8; 19] 211 6. MAGNETISCHE EIGENSCHAFTEN 225 6.1. Magnetismus [8; 12; 17; 19] 225 6.2. Keramische Magnetwerkstoffe 232 7. LITERATUR 236 1. Einführung -3- 1. Einführung Keramischer Werkstoffe zeigen eine völlig anderes Eigenschaftsprofil als Metalle und Polymere. Die Ursachen hierfür sind auf atomistische Gegebenheiten zurückzuführen, die in Teil 1 dieser Vorlesung: „Struktureller Aufbau keramischer Werkstoffe“ diskutiert werden. Die für das Verständnis der Eigenschaften keramischer Materialien notwendigen Grundlagen werden in dieser Vorlesungsreihe kurz wiederholt. Beim Kauf von Porzellan wird im wesentlichen das Design, die Dekoration und natürlich der Preis als Kriterium herangezogen. Aber schon bei Ziegeln und Steinzeugrohren, Gleitringen oder Tuborladerrotoren aus Keramik spielt die mechanische Belastbarkeit für den erfolgreichen Einsatz eine wesentliche Rolle. Die mechanischen Eigenschaften bei Raumund Hochtemperatur, wo Keramik deutliche Vorteile gegenüber Metallen aufweist, werden daher gleich zu Beginn dieser Vorlesung besprochen. Der Einsatz bei hohen Temperaturen, wo Metalle häufig bereits schmelzen, erfordert u. a. die Kenntnis der Temperaturabhänigkeit der thermischen Eigenschaften, die in Kapitel 3 diskutiert werden. Die chemische Beständigkeit keramischer Werkstoffe gegenüber metallischen Schmelzen in Hochöfen macht die feuerfeste Werkstoffgruppe zu einem unerläßlichen Bestandteil z.B. bei der Stahlerzeugung. Das Korrosionsverhalten oxidischer und das Oxidationsverhalten nichtoxidischer keramischer Werkstoffe wird daher in Kapitel 4 besprochen. Dass die elektrische Leitfähigkeit von Keramik in der Regel mit steigender Temperatur zu, bei Metallen dagegen abnimmt, hat mit dem Bindungscharakter zu tun. Diese Zusammenhänge sind u.a. Inhalt von Kapitel 5, in dem auch die meisten supraleitenden Keramiken vorgestellt werden. Ohne keramische Magnetwerkstoffe würde sich heute kein Auto über unsere Straßen bewegen. Die Besprechung magnetischer Eigenschaften bildet daher den Abschluss dieser Vorlesungsreihe. Die wesentlichen Kapitel sind der zitierten Literatur entnommen. Textauszüge sind zum Teil wörtlich übernommen. -4- 1. Einführung Ich danke Frau Dipl.-Ing. Sabine Meier für die kritische Durchsicht des Manuskripts und Herrn Dipl.-Ing. Jung-Wook Kim für die Überarbeitung des Entwurfs und die Erstellung der CD-ROMs sowie Herrn Daniel Raschke für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die Überarbeitung der ersten Auflage. Jürgen G. Heinrich Clausthal, 2005 2. Mechanisches Verhalten -5- 2. Mechanisches Verhalten 2.1. Elastizität 2.1.1 Bindungsarten Um den Elastizitätsmodul als Materialeigenschaft verstehen zu können, soll zunächst das Verständnis auf atomarem Niveau geschaffen werden. Dafür sind zwei Punkte von Bedeutung: 1. Die atomaren Bindekräfte, d.h. die Kräfte, die zwischen benachbarten Atomen wie kleine Federn wirken (Abbildung 2.1.1). Schematische Darstellung der Bindekräfte zwischen Atomen [4] Abb. 2.1.1 2. Die Atompackung, d.h. die Art und Weise, wie Atomschichten aufeinander liegen. Mit der Atompackung wird angegeben, wieviele Federchen pro Einheitsvolumen vorkommen und unter welchem Winkel sie beansprucht werden (Abbildung 2.1.2). Schematische Darstellung verschiedener Atompackungen [4] Abb. 2.1.2 -6- 2.1. Elastizität Atomare Bindungen kann man unterteilen in: 1. Primärbindungen: Die ionische, kovalente und metallische Bindung, die als relativ stark anzusehen sind. 2. Sekundärbindungen: Die Van-der-Waals- und Wasserstoffbrückenbindung, die beide als relativ schwach gelten. Diese Bindungen treten selten in reiner Form auf, es handelt sich in realen Werkstoffen meist um Mischtypen. Primärbindungen Keramische Werkstoffe und Metalle werden vollkommen von Primärbindungen zusammengehalten und zwar von Ionenbindung und kovalenter Bindung bei Keramik, von Metallbindung und kovalenter Bindung bei Metallen. Diese starken Bindungsarten bewirken große Elastizitätsmoduln. Ein typisches Beispiel für die Ionenbindung ist das Natriumchlorid. Alkalihalogenide, Oxide sowie bestimmte Zementbestandteile (Carbonate und Oxide) haben ganz oder teilweise Ionenbindungscharakter. Der Kern des Natriumatoms besteht aus 11 Protonen (und 11 Neutronen), die von 11 Elektronen umgeben sind (Abb. 2.1.3). Die Ionenbindung am Beispiel von NaCl [4] Abb. 2.1.3 -7- 2. Mechanisches Verhalten Die Elektronen werden durch elektrostatische Kräfte vom Kern angezogen, haben also negative Energien. Aber nicht alle Elektronen haben die gleiche Energie. Die entfernteren haben die geringste negative (höchste) Energie. Das Elektron, das am leichtesten vom Natriumatom entfernt werden kann, ist demnach das am weitesten außen gelegene. Zu seiner Entfernung benötigt man eine Arbeit von 5,14 eV. Wenn wir dieses Elektron einem Chloratom zuführen, gewinnen wir 4,02 eV zurück. Wir können also Na+- bzw. Cl--Ionen isolieren, indem wir eine Arbeit Ui von 5,14 eV - 4,02 eV ist gleich 1,12 eV verrichten. Zur Ionenbildung müssen wir also Energie aufwenden. Andererseits ziehen sich das positive und negative Ion gegenseitig an. Wenn wir sie zusammenbringen, gewinnen wir Arbeit durch die Anziehungskraft, die den Kräften zwischen Punktladungen entspricht: F= q2 4πε r2 (2.1.1) 0 q ist dabei die Ladung der Ionen, ε0 die Dielektrizitätskonstante im Vakuum und r der Ionenabstand. Die gewonnene Arbeit bei Annäherung der Ionen (aus dem Unendlichen) ist daher ∞ U = ∫ F dr = r q2 . 4π ε0 r Energiebilanz der Ionenbindung [4] (2.1.2) Abb. 2.1.4 -8- 2.1. Elastizität Abb. 2.1.4 zeigt, wie der Arbeitsgewinn mit abnehmendem r zunimmt bis bei ungefähr r = 1 nm, ein für Ionenbindungen typischer Wert, der Energieaufwand für die Ionenbildung von 1,12 eV wieder wettgemacht ist. Unterhalb von r = 1 nm können wir nur noch gewinnen, d.h., dass die Bindungsstärke mehr und mehr zunimmt. r kann aber nicht unendlich abnehmen und immer mehr Energie freisetzen bis zur Verschmelzung der beiden Kerne. Wenn sich die Ionen immer mehr annähern, würden sich irgendwann die Verteilungsfelder ihrer elektrischen Ladungen überlappen, was zu einer starken Abstoßung führen würde. Abb. 2.1.4 zeigt den Anstieg der potentiellen Energie, der damit verbunden ist. Die Ionenbindung hat ihre größte Stabilität im Minimum der U(r) Funktion. Den Verlauf der Kurve kann man näherungsweise angeben mit U = Ui − q2 B + n. 4πε 0 r r (2.1.3) Dort, wo die potentielle Energie ihr Minimum aufweist, ist die Bindung am stabilsten. Die Elektronenverteilungen jedes der beiden Ionen sind kompliziert geformte räumliche Gebilde (Orbitale) um den Atomkern herum. In erster Näherung können die Ionen als Kugeln betrachtet werden. Von daher lassen sich die Ionen beliebig anordnen, wodurch zum Ausdruck kommt, dass die Ionenbindung nicht gerichtet ist. Trotzdem müssen Ionenpackungen unterschiedlichen Vorzeichens so zueinander geordnet sein, dass sich positive und negative Ladungen zu Null kompensieren. Der kovalente Bindungstyp liegt in reiner Form beim Diamant, beim Silicium und Germanium vor, die allesamt sehr große Elastizitätsmoduln aufweisen (der von Diamant ist der höchste überhaupt). Ferner überwiegt dieser Bindungstyp bei Silicatkeramiken und Gläsern. Er trägt außerdem in nennenswertem Maße zur Bindung hochschmelzender Metalle, wie Wolfram, Molybdän und Tantal bei. Schließlich findet man kovalente Bindungsanteile auch in Polymeren, wo Kohlenstoffatome zu langen Ketten verbunden sind. Da aber in Polymeren auch andere deutlich schwächere Bindungstypen vorkommen, wird man im allgemeinen eher kleine Elastizitätsmoduln erwarten. Der einfachste Fall kovalenter Bindungen ist der des Wasserstoffmoleküls. Durch die enge Nachbarschaft der beiden Atomkerne entsteht ein gemeinsames Elektronenorbital (Abb. 2.1.5). -9- 2. Mechanisches Verhalten Kovalente Bindung [4] Abb.2.1.5 - hier zwischen zwei Wasserstoffatomen unter Bildung eines Wasserstoffmoleküls Der Energiegewinn, der dadurch hervorgerufen wird, ist Ursache einer stabilen Bindung, wie Abb. 2.1.6 zeigt. Die Energie der kovalenten Bindung läßt sich empirisch angeben als U= −A B + ( m < n) . rm rn Energiebilanz der kovalenten Bindung [4] (2.1.4) Abb. 2.1.6 Ein typisches Beispiel kovalenter Bindung stellt der Diamant dar. Der Diamant ist eine extrem harte Kohlenstoffmodifikation. Im Falle des Diamants besetzen die gemeinsamen Elektronen die Ecken eines Tetraeders (Abb. 2.1.7). - 10 - 2.1. Elastizität Gerichtete kovalente Bindung der Diamantstruktur [4] Abb. 2.1.7 Die symmetrische Form dieser Orbitale führt beim Diamant zu einer stark gerichteten Bindung. Je nach Orbitalmuster weisen auch andere kovalente Bindungstypen eine starke Ausrichtung auf, die dann ihrerseits Einfluss auf die Atompackung im Kristall hat. Die metallische Bindung ist, wie der Name schon sagt, die vorherrschende Bindungsart in Metallen und Metalllegierungen. In Metallen geben die Atome ihre äußeren Elektronen ab (wobei Ionen entstehen), die dann einen See freibeweglicher Ladungsträger bilden (Abb. 2.1.8). Die zugehörige Energiekurve ist derjenigen der kovalenten Bindung sehr ähnlich und damit durch Gleichung 2.1.4 hinreichend definiert. Metallische Bindung [4] Abb. 2.1.8 - 11 - 2. Mechanisches Verhalten Das hohe Maß an Beweglichkeit der Elektronen ist Ursache für die sehr gute elektrische Leitfähigkeit der Metalle. Die metallische Bindung ist in keiner Weise gerichtet, so dass sich die Metallionen zu sehr dichten Strukturen zusammenlagern können, etwa wie kleine Stahlkugeln, die man in einer Schachtel so lange schüttelt, bis sie ein Minimum an Raum einnehmen. Sekundärbindungen Sekundärbindungen sind ungleich schwächer als Primärbindungen. Sie stellen z.B. die Verbindung zwischen Makromolekülen in Polyethylen und anderen Kunststoffen her, wodurch diese erst zu Festkörpern werden. Van-der-Waals-Bindung [4] Abb. 2.1.9 Die Van-der-Waals-Bindung beschreibt eine Dipolanziehung zwischen an sich ungeladenen Atomen. Die zu jedem Zeitpunkt in Bezug auf den Atomkern unsymmetrische Ladungsverteilung bewirkt ein Dipolmoment. Das Moment erzeugt bei einem benachbarten Atom ein ebensolches, so dass sich beide anziehen können (Abb. 2.1.9). Die Energie der Anziehung nimmt mit r6 ab. Die Gesamtenergie der Van-der-Waals-Bindung lässt sich angeben als U= −A B + n ( n ~ 12) . r6 r (2.1.5) - 12 - 2.1. Elastizität Als gutes Beispiel lässt sich flüssiger Stickstoff anführen, der bei -198°C von Van-der-WaalsKräften, die die kovalent gebundenen N2-Moleküle aufeinander ausüben, in flüssigem Zustand gehalten wird. Dabei reicht die Wärmebewegung bei Raumtemperatur schon aus, um die schwachen Van-der-Waals-Bindungen aufzubrechen. Durch die Wasserstoffbrückenbindung bleibt Wasser bei Raumtemperatur flüssig und manche polymeren Molekülketten verbinden sich zu Festkörpern. Auch die Bindung von Eis ist von diesem Typ (Abb. 2.1.10). Die Bindung entsteht, wenn jedes Wasserstoffatom seine Ladung an ein unmittelbar benachbartes Sauerstoffatom abgibt (das dann negativ geladen ist). Das positiv geladene H-Atom wirkt dabei als eine Brücke zwischen benachbarten O-Atomen. Die Ladungsumverteilung resultiert schließlich in einem Dipolmoment für jedes H2O-Molekül, das dadurch zwei andere H2O-Moleküle anziehen kann. Die Anordnung von H2O-Molekülen in Eis [4] Abb. 2.1.10 Die Wasserstoffbindungen halten die Moleküle auf Abstand; daher hat Eis eine geringere Dichte als Wasser Atomare Bindekräfte und physikalische Ursache des E-Moduls Mit den Potentialen der verschiedenen Bindungstypen lassen sich die Kräfte zwischen den Atomen abschätzen. Ausgehend von der U(r)-Kurve errechnet sich die Kraft F, die erforderlich ist, um zwei Atome in einen Abstand r zu bringen, durch F= dU . dr In Abb. 2.1.11 ist dieser Sachverhalt grafisch dargestellt: (2.1.6) - 13 - 2. Mechanisches Verhalten Abschätzung der Kräfte zwischen Atomen [4] Abb. 2.1.11 U r0 F (=dU/dr) Fmax dU/dr wird maximal am Wendepunkt der U/r-Kurve Abstossung Anziehung r dU/r -> 0 dU/r = 0 r0 Ionenradius 1. F ist Null im Gleichgewichtsabstand r0; wenn Atome um eine Strecke (r-r0 ) verrückt werden sollen, so ist dazu eine bestimmte Kraft erforderlich. Bei kleinen Beträgen ist für alle Stoffe die Kraft dem Abstand nahezu proportional, und zwar unter Zug- und unter Druckbeanspruchung. 2. Die Steifigkeit S der Bindung ergibt sich aus S= dF . dr (2.1.7) Ist die Auslenkung klein, so bleibt S konstant und ist dann ⎛ d2U⎞ S0 = ⎜ 2 ⎟ ⎝ dr ⎠ bei r = r0, (2.1.8) d.h. die Bindung verhält sich elastisch. S0 entspricht der Federkonstanten der Bindung. Die Kraft zwischen zwei Atomen, die um eine Strecke r entfernt werden (wobei r ∼ r0) beträgt F = S 0 ( r − ro ) . (2.1.9) Abb. 2.1.12 zeigt schematisch einen Festkörper, der von Federchen zusammengehalten ist. - 14 - 2.1. Elastizität Der Einfachheit halber hat man sich hier darauf beschränkt, die Atome an den Ecken eines Würfels mit der Kantenlänge r0 anzuordnen. In der Realität folgen zwar nur wenige Stoffe dieser einfachen Struktur, das Verständnis wird dadurch aber erheblich erleichtert. Abschätzung des Elastizitätsmoduls aus der Steifikeit einzelner Atombindungen [4] Abb. 2.1.12 Die Gesamtkraft, die durch die Fläche hindurchgreift, wenn die beiden Seiten auseinandergezogen werden, ist definiert als die Spannung σ = N S 0 ( r − r0 ) , (2.1.10) wobei N die Zahl der Bindungen pro Einheitsfläche darstellt, also 1/r02 ist (r02 ist die mittlere Fläche pro Atom). N r0 = 1 2 (2.1.11) Wird die Auslenkung (r-r0) in eine Dehnung εn umgerechnet, indem man durch den Ausgangsabstand r0 dividiert, so ergibt sich εn = r − r0 r0 (2.1.12) - 15 - 2. Mechanisches Verhalten damit gilt: σ= 1 r0 2 ⋅ S 0 ⋅ ε n ⋅ r0 (2.1.13) σ= S0 ⋅εn r0 (2.1.14) E= S0 . r0 (2.1.15) Der E-Modul ist dann S0 lässt sich aus den theoretisch hergeleiteten Kurven U(r) berechnen. Für die Ionenbindung ist U(r) durch Gleichung 2.1.3 gegeben. Durch Differenzierung dieser Gleichung nach r erhält man die Kraft zwischen den Atomen. Bei r = r0 muss sie Null sein. Aus dieser Bedingung erhalten wir die Konstante n −1 B= q 2 r0 . 4 π n ε0 (2.1.16) S0 können wir dann angeben als S0 = α q2 4 π ε 0 r0 3 (2.1.17) mit α = (n - 1). Die Coulomb-Anziehung reicht sehr weit und hängt von 1/r ab. Daher steht ein bestimmtes Na+-Ion nicht nur mit seinen 6 nächsten Cl--Ionen in anziehender Wechselwirkung, sondern erfährt darüber hinaus eine abstoßende Kraft von seinen 12 übernächsten etwas weiter entfernten Na+-Nachbarn. Auch die nächsten 8 Cl--Ionen und die übernächsten 6 Na+-Ionen spürt es noch. Um also S0 genau zu berechnen, müssen alle diese Bindekräfte, anziehende und abstoßende, addiert werden. Das Ergebnis ist Gleichung 2.1.17 mit α = 0.58. Aus Tabellen für physikalische Konstanten können die Werte für q und ε0 abgelesen werden. Der Atomabstand r0 liegt bei etwa 2,5x10-10 m. Setzt man diese Werte in Gleichung 2.1.17 ein, - 16 - 2.1. Elastizität so ergibt sich S 0 = 9 ,5 Nm −1 , für NaCl. Die Steifigkeit anderer Bindungstypen errechnet sich in ähnlicher Weise. Einen Überblick über Bindungssteifigkeiten gibt Tabelle 2.1.1. Bindungssteifigkeiten verschiedener Werkstoffe [4] Bindungsart Tab. 2.1.1 S0 in N / m-1 E angenähert aus (S0 / r0) in GN m-2 180 1000 Rein ionisch, z.B. Na – Cl 9 – 21 30 – 70 Rein Metallisch, z.B. Cu – Cu 15 – 40 30 – 150 H – Bindung, z.B. H2O – H2O 2 8 Van-der-Waals, z.B. Wachse; viele Polymere 1 2 Kovalent, z.B. C – C Kovalent / ionisch, z.B. Al2O3; Si3N4 200 - 300 Vergleicht man die berechneten E-Modul-Werte mit gemessenen Werten, stellt man für Metalle und keramische Werkstoffe durchaus akzeptable Übereinstimmungen fest. Die Vorstellung einer Federauslenkung beschreibt die Steifigkeit in diesen Werkstoffen also ganz gut. Eine Reihe von Polymeren und Gummiarten haben aber E-Moduln, die bis zu 100 mal kleiner als der kleinste berechnete sind. Dieses Phänomen hängt damit zusammen, dass Gummi wie viele weitere Polymere aus langen spagettiähnlichen Kohlenstoffketten zusammengesetzt ist. Außerdem liegen die Ketten kreuzweise übereinander. Die Kreuzverbindungen sind wie bei den Bindungen entlang der Ketten kovalente, also sehr steife Bindungen. Sie tragen jedoch zur Gesamtsteifigkeit nur wenig bei. Vielmehr sind es die viel weicheren Van-der-Waals-Bindungen, die sich dehnen, wenn die Struktur belastet wird. Der Gesamtmodul resultiert also in der Hauptsache aus den Van-der-Waalschen-Bindungen und nicht von den kovalenten Bindungen. Bei tiefen Temperaturen entsprechen die beobachteten Moduln dem für diese Bindungsart berechneten Wert von knapp 1 GN/m2. Sobald sich Gummi auf Raumtemperatur erwärmt, schmelzen die Van-der-Waals-Bindungen. Tatsächlich ist die Bindungssteifigkeit eines Stoffes proportional zu seinem Schmelzpunkt. Aus diesem Grund hat auch Diamant den - 17 - 2. Mechanisches Verhalten höchsten Schmelzpunkt und den höchsten E-Modul (Abb. 2.1.13). Anstieg des E-Moduls in Polymeren mit zunehmender Dichte an kovalenten Bindungen [4] Abb. 2.1.13 2.1.2 Die elastischen Moduln Der E-Modul ist ein Maß für den Widerstand eines Materials gegenüber elastischer Verformung. Werkstoffe mit kleinem E-Modul haben eine geringe Steifigkeit; wenn sie belastet werden, geben sie stark nach (Federn, Polstermaterial, Stabhochsprungstab). Keramische Werkstoffe haben einen sehr hohen E-Modul, bei Belastung zeigen sie nur sehr geringe elastische Verformung. Zu weiteren Erläuterungen müssen zunächst die Begriffe Spannung und Dehnung definiert werden. Spannung Eine Kraft F soll auf einen Quader wirken wie in Abb. 2.1.14 dargestellt. Die Kraft greift durch den Quader hindurch. Sie erfährt eine Gegenkraft, die die Unterlage auf den Quader ausübt (andernfalls würde sich der Quader bewegen). Der Unterseite kann man also eine gleichgroße entgegen gerichtete Kraft zuschreiben. F wirkt auf alle Querschnitte des Quaders, die parallel zur Oberfläche liegen. Der gesamte Quader befindet sich im so genannten Spannungszustand. - 18 - 2.1. Elastizität Definition der Spannungsgrößen σ und τ [4] Abb. 2.1.14 F Zugspannung σ = F/S0 Schubspannung τ = Fs/S0 Zugspannung σ = Fl/S0 Gleichgewicht bedingt Scherung Die Spannung σ wird angegeben durch die Kraft F geteilt durch die Querschnittsfläche S0 des Quaders σ= F . S0 (2.1.18) Wird die Spannung durch eine Zugkraft senkrecht zur Oberfläche hervorgerufen, spricht man von Zugspannung. Wirkt die Kraft nicht normal zur Oberfläche, sondern in einem bestimmten Winkel dazu (Abb. 2.1.14b), kann die Kraft in zwei Komponenten zerlegt werden, in eine normal zur Oberfläche und in eine parallel dazu. Die Normalkomponente bewirkt eine reine Zugbeanspruchung. Ihre Größe ist, wie oben, Ft/S0. Die andere Kraftkomponente Fs belastet den Quader ebenfalls, jedoch in Form von Scherung. Die durch die Scherung erzeugte Spannung parallel zu Fs heißt Schubspannung τ und ist gegeben durch τ= Fs . S0 (2.1.19) Die Größe der Spannung ist immer gleich der Kraft geteilt durch die Fläche, auf die diese - 19 - 2. Mechanisches Verhalten wirkt. Gebräuchliche Einheiten sind Mega-Newton pro Quadratmeter oder auch Mega-Pascal (MN/m2 oder MPa). Spannungszustände [4] Einachsiger Zug σ = F/S0 Abb. 2.1.15 Einachsiger Druck σ = F/S0 Reine Scherung τ = Fs/S0 Zweiachsiger Zug σ = F/S0 Hydrostatischer Druck p = -F/S0 Man unterscheidet gewöhnlich vier Spannungszustände, die in Abb. 2.1.15 illustriert sind. Der einfachste ist reiner Zug oder reiner Druck (wie in einer Zugvorrichtung bzw. in einer Säule unter Druckbelastung). Die Spannung errechnet sich als Kraft geteilt durch die Querschnittsfläche. Der zweite Spannungszustand ist der unter zweiachsigem Zug. Wenn eine kugelförmige Hülle (z.B. ein Ballon) von innen mit Gasdruck beaufschlagt wird, wird die Hüllenwand in zwei Richtungen gleichermaßen beansprucht. (Es gibt auch zweiachsige Spannungszustände, in denen die beiden Zugspannungen unterschiedlich sind.) Der dritte Spannungszustand ist der hydrostatische Druck. Hydrostatischer Druck tritt tief im Erdinnern auf oder in großen Ozeantiefen, wo ein Festkörper von allen Seiten gleich stark zusammengedrückt wird. Nach einer Konvention werden Spannungen positiv angegeben, wenn es sich um Zugspannungen handelt. Drucke in Druckrichtung sind allerdings ebenfalls positiv anzugeben, so dass sich Druck und Druckspannungen in ihren Vorzeichen - 20 - 2.1. Elastizität unterscheiden. Ansonsten ist der Druck ebenso wie die Druckspannung als Kraft geteilt durch Fläche definiert. Der vierte Spannungszustand ergibt sich bei reiner Scherbeanspruchung. Wenn man ein dünnwandiges Rohr verdreht, dann sind die Wandelemente reiner Scherung unterworfen. Die Schubspannung ist einfach die Scherkraft geteilt durch die Fläche, auf die sie wirkt. Umgekehrt ist klar, dass, wenn man eine Spannung kennt, man die Kraft auf einen bestimmten Querschnitt berechnen kann als Spannung mal Fläche. Dehnung Werkstoffe, auf die eine Spannung wirkt, dehnen sich. Steife Werkstoffe (wie Stahl) dehnen sich nur wenig, nachgiebige Werkstoffe (wie Polyethylen) mehr. Dieser Sachverhalt drückt sich im E-Modul aus. Aber bevor wir diesen angeben können, definieren wir zunächst, was Dehnung ist. 1. Eine Zugspannung ruft eine Dehnung in Zugrichtung hervor. Wenn ein zugbeanspruchter Würfel mit Ausgangskantenlänge l (Abb. 2.1.16) sich um den Betrag u parallel zur Zugrichtung verlängert, definieren wird die zugehörige Dehnung als εn = u . l (2.1.20) Dabei wird der Würfel gewöhnlich auch dünner. Das Verhältnis, um das er sich zusammenzieht, heißt Poissonzahl oder Querkontraktionszahl ν. ν gibt das negative Verhältnis von Querschnittsverminderung zu Längsdehnung an: ν = - Querkontraktion/Längsdehnung. - 21 - 2. Mechanisches Verhalten Definition der Dehnungsgrößen: εn, γ und Δ [4] Abb. 2.1.16 σ u/2 u/2 v/2 -v/2 σ τ w technische Längenänderung εn = u / l technische Querkontraktion εn = -v / l Poissonzahl, ν = - Querdehnung / Längsdehnung p w technische Scherung γ = w / l = tan θ = θ für kleine Dehnungen p Kompression (Verdichtung) ΔV Δ = ΔV / V V − ΔV p p l τ 2. Eine Schubspannung bewirkt eine Scherung. Wenn ein Würfel um den Betrag w geschert wird, definiert sich die Scherung als γ= W = tan θ , l (2.1.21) wobei θ der Scherwinkel ist (Abb. 2.1.16). Da elastische Dehnungen i.a. sehr klein sind, können wir in guter Näherung auch schreiben γ =θ. (2.1.22) 3. Hydrostatischer Druck führt zu einer Volumenänderung, die auch Kompression genannt wird. Bei einer Volumenänderung ΔV eines Würfels mit Volumen V ist die Kompression definiert als Δ= ΔV . V Dehnungen sind dimensionslos, da sie ein Verhältnis angeben. (2.1.23) - 22 - 2.1. Elastizität Das Hookesche Gesetz Die mathematischen Zusammenhänge zwischen Spannungen und Dehnungen sind bereits um 1680 vom englischen Physiker HOOKE aufgrund von Experimenten beschrieben worden (unabhängig von ihm auch vom französischen Physiker MARIOTTE um die gleiche Zeit). Das heute noch für die Elastizitätslehre fundamentale HOOKEsche Gesetz ist bei festen Körpern bis zur Grenze der Proportionalität zwischen Normalspannungen und Dehnungen im elastischen (reversiblen) Bereich anwendbar. Das Hookesche Gesetz stellt zunächst eine Beschreibung einer experimentellen Beobachtung dar, nämlich, dass für kleine Dehnungen die Dehnung der angelegten Spannung mit sehr guter Näherung proportional ist. So ist z.B. die Dehnung nominal zur Zugrichtung der angelegten Zugspannung proportional: σ = Eεn, (2.1.24) wobei E der E-Modul ist. Die gleiche Beziehung gilt natürlich auch für Spannung und Dehnung in Druckrichtung. Auch die Scherung ist proportional zur Schubspannung: τ=Gγ (2.1.25) mit G als Schubmodul. Und schließlich ist die Kompression Δ proportional zum Druck: p = K Δ; (2.1.26) K heißt Kompressionsmodul. Da die Dehnung dimensionslos ist, müssen die Moduln die gleiche Dimension wie die Spannung haben: Kraft pro Fläche (N/m2). In der Praxis ist man übereingekommen, die Moduln in Einheiten von Giga-Newton pro Quadratmeter anzugeben (GN/m2 oder GPa). Ein - 23 - 2. Mechanisches Verhalten Giga-Newton sind 109 Newton. Mit der linearen Beziehung zwischen Spannung und Dehnung lässt sich die Reaktion eines Festkörpers auf eine angelegte Spannung im linear-elastischen Bereich auf einfache Weise berechnen. Jedoch muss man sich im Klaren darüber sein, dass die meisten Festkörper nur bis zu sehr kleinen Dehnungen elastisch reagieren (bis etwa 0,1%). Bei höheren Dehnungen verformen sich die meisten Werkstoffe plastisch, andere wiederum brechen spröde. Aber davon soll noch in späteren Kapiteln die Rede sein. Einige wenige Festkörper, wie etwa Gummi, sind noch bei Dehnungen von mehreren 100% elastisch. Jedoch hören sie schon nach etwa 1% auf, linear-elastisch zu sein, d.h. die Spannung ist dann der Dehnung nicht mehr direkt proportional. Die Poissonzahl als das negative Verhältnis von Querkontraktion und Längsdehnung ist eine dimensionslose elastische Konstante. Insgesamt verfügt man also über vier elastische Konstanten: E, G, K und ν. Dabei ist es aber nützlich zu wissen, dass für zahlreiche Metalle gilt K = E, (2.1.27 a) 3 E, 8 (2.1.27 b) ν = 0,33. (2.1.27 c) G= Gleichwohl können für viele Stoffe diese Beziehungen ungleich komplizierter ausfallen. - 24 - 2.1. Elastizität Der E-Modul nach Werkstoffgruppen [4] Abb. 2.1.17 Die Elastizitätsmoduln polymerer Werkstoffe sind im allgemeinen kleiner als diejenigen von Metallen. Höchste Elastizitätsmoduln besitzen carbidkeramische Werkstoffe (Abb. 2.1.17). Mit der Temperatur nehmen alle elastischen Eigenschaftskenngrößen in der Regel ab, weil sie von der Stärke der atomaren Bindung abhängen. Da diese infolge der mit wachsender 2. Mechanisches Verhalten - 25 - Temperatur zunehmenden mittleren Atomabstände im allgemeinen abnimmt, zeigen auch z.B. die Elastizitätsmoduln mit steigender Temperatur fallende Tendenz (Abb. 2.1.18). Temperaturabhängigkeit von Elastizitätsmoduln keramischer und metallischer Werkstoffe [5] Abb. 2.1.18 Dieser Zusammenhang zwischen Bindung und elastischen Eigenschaftskenngrößen ist es auch, der Elastizitätsmodul und Schmelzpunkt korreliert. So haben beispielsweise hochschmelzende Werkstoffe i.a. auch hohe Elastizitätsmoduln. Für Metalle ist dies in Abb. 2.1.19 wiedergegeben. Schmelzpunkt und Elastizitätsmodul von Metallen [5] Abb. 2.1.19 - 26 - 2.1. Elastizität Die Veränderung der Konzentration der Komponenten in einem mehrkomponentigen Werkstoff oder die Lösung einer zweiten Bausteinart in einem Einkomponentenwerkstoff führt immer zu einer Veränderung der Bindungskräfte. Dies kann allerdings sowohl zu einer Erhöhung als auch zu einer Erniedrigung der elastischen Eigenschaftskenngrößen führen (Abb. 2.1.20). Beziehung zwischen E-Modul und Zustandschaubild von Mg-Sn-Legierungen [5] Abb. 2.1.20 Durch die Gefügestruktur werden die elastischen Eigenschaftskenngrößen einphasiger Werkstoffe dann beeinflusst, wenn in polykristallinen Werkstoffen die Kristallite Vorzugsorientierungen haben. Der Elastizitätsmodul eines Einkristalls z.B. ist anisotrop, da die Bindungen in den verschiedenen Richtungen unterschiedlich stark sind. Besitzen die Kristallite im polykristallinen Werkstoff eine Orientierung (Textur), so ist auch der Elastizitätsmodul des polykristallinen Werkstoffes anisotrop. Ein ähnliches Verhalten ist bei amorphen einphasigen Werkstoffen denkbar, wenn bestimmte Bindungen bevorzugt in bestimmte Richtungen wirken. - 27 - 2. Mechanisches Verhalten Verbundwerkstoffe Verbundwerkstoffe weisen häufig höhere Moduln auf als die Matrix. Verbundwerkstoffe verhalten sich außerdem mechanisch ausgesprochen anisotrop. Z.B. beträgt der E-Modul von Holz längs der Faser etwa 10 GN/m2, quer dazu jedoch nur etwa 10% davon. Zur Bestimmung des E-Moduls von faserverstärkten Verbundwerkstoffen gibt es eine einfache Methode. Nimmt man an, dass ein Verbundwerkstoff mit einem Volumenanteil Vf an Fasern längs zur Faser beansprucht wird (Abb. 2.1.21a) und geht man davon aus, daß sich Fasern (f) und Matrix (m) gleichviel dehnen, dann ist die Spannung, die dem Werkstoff aufgeprägt wird, σ = Vf σ f + (1− Vf )σ m (2.1.28) = Vf E f ε n + (1 − Vf )E m ε n . Da aber der Gesamtmodul EVwst = σ/εn ist, können wir andererseits schreiben E Vwst = Vf E f + (1 − Vf ) E m . (2.1.29) Diese Beziehung stellt offenbar eine obere Grenze des E-Moduls unseres Faserverbundwerkstoffes dar. Größer als dieser Wert kann EVwst nicht werden. Belastet man den Verbundwerkstoff quer zur Faser (Abb. 2.1.21b) dann sieht man, dass die Spannungen in den beiden Komponenten gleich sind und nicht die Dehnungen. In diesem Fall ergibt sich dann die Gesamtdehnung als die mit dem Volumenanteil gewichtete Summe der Einzeldehnungen: ε n = Vf ε n f + (1 − Vf ) ε nm = Vf Aus Evwst = σ Ef + (1 − Vf ) σ . (2.1.30) Em σ 1 . berechnet sich ein Gesamtmodul von Evwst = Vf 1 − Vf εn + Ef Em (2.1.31) - 28 - 2.1. Elastizität Unterschiedliche Belastung eines faserverstärkten Verbundwerkstoffes zur Erzielung eines (a) maximalen E-Moduls (b) minimalen E-Moduls [4] Abb. 2.1.21 Abb. 2.1.22, die die beiden Beziehungen 2.1.29 und 2.1.31 in grafischer Darstellung gegenüberstellt, macht deutlich, dass faserverstärkte Werkstoffe ihren größten Zuwachs an Steifigkeit haben, wenn man sie längs zur Faser belastet. Quer zur Faser steigt der Gesamtmodul erst nennenswert an, wenn der Faseranteil schon relativ groß ist. Faserverbundwerkstoffe verhalten sich also in der Tat sehr anisotrop. E-Modul von Verbundwerkstoffen mit verschiedenen Volumenanteilen an Steifmachern [4] Abb. 2.1.22 Auch Poren können prinzipiell als zweite Phase betrachtet werden. Der Einfluß der Porosität auf den E-Modul ist mit folgenden Gleichungen beschrieben worden: E = E 0 e − bP . (2.1.32) 2. Mechanisches Verhalten - 29 - Dieser Zusammenhang ist in Abb.2.1.23 graphisch dargestellt. Relativer E-Modul von Al2O3 in Abhängigkeit der Porosität [8] Abb. 2.1.23 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der E-Modul von Metallen, keramischen Werkstoffen und glasartigen Kunststoffen bei Temperaturen unterhalb Tg der Steifigkeit der Atombindungen entspricht. Gläser und glasartige Kunststoffe werden oberhalb Tg leder- oder gummiartig bzw. verwandeln sie sich in viskose Flüssigkeiten, wobei der Modul stark abnimmt. Die Moduln von Verbundwerkstoffen stellen ein gewichtetes Mittel der Moduln der einzelnen Komponenten dar. Besteht die zweite Komponente in Form von regellos verteilten kompakten Teilchen, so ist die Theorie dazu sehr komplex. Allerdings ist es z.B. sehr preiswert, Sand in einer Polymermasse einzubringen, anstatt dünne Glasfasern feinsäuberlich darin auszurichten. Der Modulgewinn durch Teilchenzusätze ist wirtschaftlich also durchaus lohnend. Außerdem verhält sich der Werkstoff mechanisch isotrop. Man findet derartige Werkstoffe in Automodellen als Stoßstangen, Kühlergrill oder als Auskleidung von verschleißbeanspruchten Oberflächen. 2.1.3 Das Spannungs-Dehnungs-Diagramm Trägt man die Spannungen mit den zugehörigen Dehnungen oder entsprechenden Formänderungen wie Stauchungen oder Schiebungen in Prozent der Ausgangslänge in ein Diagramm ein (Spannungs-Dehnungs-Diagramm), so ergibt sich eine charakteristische Kurve (Abb. 2.1.24). - 30 - 2.1. Elastizität Spannungs-Dehnungs-Kurve einer Aluminium-Legierung [23] Abb. 2.1.24 Da Spannungen spezifische Kräfte (N/m2), Dehnungen (m/m) dagegen von diesen Kräften zurückgelegte Wege darstellen, entspricht die Fläche unter dieser Kurve der Formänderungsarbeit (Volumenarbeit = Formänderungsenergie in Nm/m3). Bei den mit zunehmender Spannung auftretenden Formänderungen lassen sich drei Stadien unterscheiden: 1. das elastische Stadium: die Formänderung ist reversibel; sie verschwindet, wenn die Krafteinwirkung aufhört, und zwar − entweder unmittelbar, d.h. zeitunabhängig (spontanelastisches Verhalten) − oder nach einer gewissen Zeit (viskoelastisches Verhalten) 2. das plastische Stadium: die Formänderung ist irreversibel; sie bleibt auch nach Beendigung der Krafteinwirkung erhalten und wird erreicht − entweder unmittelbar mit Aufbringung der Kraft, d.h. zeitunabhängig (spontanplastisches Verhalten) − oder nachdem die Kraft bereits eine zeitlang eingewirkt hat (viskoplastisches Verhalten) 2. Mechanisches Verhalten - 31 - 3. das Bruchstadium: der Werkstoff wird in makroskopische Bereiche getrennt, was sowohl unmittelbar im Anschluss an eine elastische Formänderung als auch an eine elastische und plastische Formänderung erfolgen kann. Im Spannungs-Dehnungs-Diagramm steigen Spannung und Dehnung zunächst proportional an. Erfolgt unterhalb der Streckgrenze Entlastung, so kehrt der Körper in den völlig spannungsfreien und dehnungsfreien Zustand zurück. Bei der Streckgrenze beginnt das plastische Fließen, ohne dass die Spannung wesentlich ansteigt, bis zum Bruch. Nimmt man die Belastung vor dem Bruch zurück, geht der reversible Anteil der bisher erfolgten Gesamtdehnung zurück. Der plastische Anteil der Gesamtdehnung stellt die „bleibende Dehnung“ dar. Die Streckgrenze teilt das Widerstandsverhalten eines Werkstoffs in einen elastischen und einen plastischen Bereich. Wenn die Spannungsbeanspruchung die Streckgrenze übersteigt, setzen Bewegungsvorgänge von Versetzungen ein; das Material wird plastisch verformt. Dieses Verhalten wird bei den meisten metallischen Werkstoffen beobachtet. Bei keramischen Materialien wird bei Raumtemperatur vor erreichen der Streckgrenze bereits die Bruchfestigkeit erreicht. Der Werkstoff bricht daher spröde, also ohne jegliche plastische Verformung (Abb. 2.1.25). Vergleich des Spannungs-Dehnungs-Verhaltens Abb. 2.1.25 von Materialien unterschiedlicher Duktilität [23] Dies ist der Grund, warum eine Porzellantasse, wenn sie auf eine Steinplatte fällt, in viele - 32 - 2.1. Elastizität Scherben zerspringt, ein Blechbecher dagegen nur eine Beule erhält, ansonsten aber einigermaßen „funktionsfähig“ bleibt. Dieses Verhalten hat beim Konstruieren mit keramischen Werkstoffen unter mechanischer Belastung erhebliche Konsequenzen (siehe auch Kapitel 2.3 und 2.4) 2.1.4 Messung des E-Moduls Zur Bestimmung des E-Moduls kann man z.B. einfach einen Block eines Materials mit einer bestimmten Kraft zusammendrücken und die resultierende Dehnung (Stauchung) messen. Der E-Modul ist dann gegeben durch die Beziehung E = σ/εn. Häufig wird auch die Durchbiegung eines Probestabes in 3 Punkt- oder 4 Punkt- Biegeversuch ermittelt und in eine Dehnung bzw. in den E-Modul umgerechnet. Bei sehr großem E-Modul, wie bei Keramik üblich, ist die Längenänderung häufig zu klein, um mit hinreichender Genauigkeit gemessen zu werden. Auf der anderen Seite kann der Wert auch durch andere Beiträge verfälscht sein, etwa durch Kriechvorgänge (auf die wir in einem späteren Kapitel noch zu sprechen kommen). Eine wesentlich bessere Methode beruht auf der Messung der Eigenschwingungsfrequenz eines Stabes, der an seinen Enden auf zwei Lagern aufliegt und in der Mitte von einem Gewicht M in Schwingung versetzt wird, welches groß sein muß im Verhältnis zum Eigengewicht des Stabes. Die Schwingungsfrequenz f eines Stabes der Länge l und des Querschnitts π·d2/4 ergibt sich (in Schwingungen pro Sekunde (Hertz)) als f= 1 3πEd 4 . 2π 4l 3 M (2.1.33) E= 16πMl 3f 2 . 3d 4 (2.1.34) Der E-Modul bestimmt sich zu Durch den Gebrauch eines Stroboskopes sowie sehr sorgfältig konstruierter Aufbauten führt - 33 - 2. Mechanisches Verhalten diese Methode schon zu recht genauen Ergebnissen. Die beste Methode zur Messung von E erfolgt zweifellos über die Messung der Schallgeschwindigkeit in einem Material. Die Geschwindigkeit vl von Longitudinalwellen hängt vom E-Modul und der Dichte in folgender Form ab: vl = E ϕ (2.1.35) vl wird gemessen, indem man einen Stab an einem Ende „anstößt“ (durch Anlegen einer Ladungsdifferenz zwischen einem auf das Stabende geklebten Piezokristall und dem Stabende selbst) und die Zeit misst, die der Schall benötigt, um am anderen Ende anzukommen (ebenfalls über einen Piezokristall). - 34 - 2.2 Anelastizität / Innere Reibung 2.2. Anelastizität / Innere Reibung Alle realen Werkstoffe verhalten sich in Wirklichkeit auch bei kleinen Verformungen nicht nach den Voraussetzungen der Elastizitätstheorie. Das bedeutet, sie folgen nicht der strengen Gültigkeit des Hookeschen Gesetzes mit der zeitunabhängigen Proportionalität zwischen mechanischen Spannungen und Dehnungen. Auch bei sehr kleinen Verformungen treten nach dem zeitlichen Ende einer Krafteinwirkung auf ein Werkstück bleibende und auch zeitabhängig nachwirkende Verformungen auf. Entsprechend sind die elastischen Konstanten (E-Modul, Schubmodul, Querkontraktionszahl, Kompressibilität) nicht zeitunabhängig. Der mit dynamischen, d.h. durch Schwingungsmethoden gemessene E-Modul zeigt typischerweise eine Zunahme mit verwendeter Messfrequenz. Bei keramischen Werkstoffen sind die Effekte bei Raumtemperatur sehr gering, so dass sie mit statischen Methoden nur schwer nachweisbar sind. Bei Raumtemperatur sind verlässliche Aussagen nur mit besonders empfindlichen Methoden der Schwingungsdämpfung mit dynamischer Belastung möglich. Folgende Gründe sind für die stofflich bedingten Ursachen der Relaxation (hierunter wird die durch innere Energieumsetzungen im Festkörper [innere Reibung] verzögerte Einstellung eines neuen Gleichgewichtszustandes bei Einwirkung oder Aufhebung äußerer Kräfte verstanden) in ein- oder polykristallinen Werkstoffen verantwortlich: a) Wärmeaustausch mit der Umgebung durch Ausbildung von Temperaturunterschieden bei verschiedenen Spannungszuständen. b) Platzwechsel von beweglichen Einzelbausteinen, die auf Zwischengitterplätzen zu einer Gitterverzerrung führen. c) Orientierungssprünge von Punktfehlerpaaren (z.B. Leerstellen). d) Versetzungsbewegungen. e) Kristallumwandlungen. f) Korngrenzengleitvorgänge. g) Schmelzen von kristallinen Anteilen. h) Poren, innere Oberflächen, Grenzflächen. - 35 - 2. Mechanisches Verhalten 2.2.1 Verhalten bei statischer Beanspruchung Hierbei unterscheidet man die Verhaltensweise eines linearen Standardkörpers unter statischer Beanspruchung bei Vorgabe von konstanter Last oder konstanter Dehnung (Abb. 2.2.1). Verhalten des linearen Standardkörpers [1] Abb. 2.2.1 t t t=0 t=0 t t=0 t t=0 a) beim Fließversuch, b) beim Spannungsrelaxationsversuch σ0 = Spannung zur Zeit 0, ε0 = Dehnung zur Zeit 0, εu = Anfangsdehnung, σu= Angangsspannung, εf = Dehnung nach einer gewissen Zeit, σR = Spannung nach einer gewissen Zeit, Eu = unrelaxierter Modul, Ef und ER = Modul nach einer gewissen Zeit Zur Zeit t = 0 wird schlagartig die Spannung σ0 an die Modellschaltung angelegt, wobei die Dehnung von einem Anfangswert σ0/Eu auf einen Endwert zunimmt. Aus der Abbildung 2.2.1 wird deutlich, dass man zwei Dehnungen angeben kann, εu aus der sofortigen Ablesung und εf nach einer gewissen Wartezeit. Bringt man zur Zeit t = 0 die Dehnung ε0 auf und hält diese konstant ( ε& = 0), so relaxiert die Spannung von einem Höchstwert, gegeben durch den unrelaxierten Modul nach einer Exponentialfunktion, auf einen niedrigeren Endwert. Bei konstanter Spannung ergibt sich - 36 - 2.2 Anelastizität / Innere Reibung ε(t) = 1 − τσ ⎛ 1 1⎞ σ0 +σ⋅⎜ − ⎟ ⋅ e Eu ⎝ Eu Ef ⎠ . (2.2.1) Bei konstanter Dehnung ergibt sich − σ( t ) = Eu ⋅ ε 0 + ε 0 ⋅ ( Eu − ER ) ⋅ e t τ M . (2.2.2) τσ ist die Retardationszeit bei vorgegebener Spannung, τM die Relaxationszeit bei Vorgabe der Deformation. 2.2.2 Verhalten unter dynamischer Beanspruchung Zyklisch wechselnde Beanspruchungen sind für die Werkstoffforschung zur Erfassung auch kleiner innerer Energiedissipationen von Interesse, da diese in der Amplitude kleingehalten und aus der Phasenlage und Amplitudengröße systematische Schlüsse gezogen werden können. Legt man z.B. eine sinusförmige Spannung an einen Standardkörper an und führt diese in die Verhaltensgleichung σ = σ o ⋅ sin (ω ⋅ t ) ( ω = 2π f , f = Frequenz ) (2.2.3) ein, ergibt sich - hier ohne Rechnung angegeben -, dass das Modell im eingeschwungenen Zustand ein Nacheilen der ebenfalls mit gleicher Frequenz sich ändernden Deformation zeigt (siehe auch Abb.2.2.5). Der Phasenwinkel ϕ ist von den Modellgrößen und von der Frequenz abhängig: tgϕ = bei ωτ = 1 gilt E u − E f ⎛ ϖτ ⎞ ⋅⎜ ⎟ ⎝ 1 + ϖ2 τ 2 ⎠ E tgϕ = max . Für die Frequenzabhängigkeit des Elastizitätsmoduls gilt: bei (2.2.4) 1 Eu − E f 2 E - 37 - 2. Mechanisches Verhalten E (ω ) = E U − EU − EF 1 + ωτ 2 (2.2.5) mit τ = τ σ ⋅τ M (2.2.6) E = EU ⋅ EF (2.2.7) und In Analogie zum dielektrischen Verhalten (siehe Kap.5.2) wird der Zusammenhang von tgδ = f(ω) auch als Debye-Verhalten bezeichnet. Abb. 2.2.2 zeigt schematisch die Frequenzabhängigkeit des Elastizitätsmoduls und des Verlustwinkels Abhängigkeit des Elastizitätsmoduls E und des mechanischen Verlustwinkels tg ϕ von der Schwingungsfrequenz ϖ [8] Abb. 2.2.2 Der Verlustwinkel durchläuft in einem bestimmten Messfrequenzbereich ein Maximum, aus dessen Lage auf die dem Vorgang innewohnende typische Relaxationszeit geschlossen werden kann. Auch der Wendepunkt im Modul-Frequenzgang ergibt – meist weniger empfindlich – diesen Hinweis. Zur Untersuchung der Frequenzabhängigkeit des Verlustwinkels hat sich das Torsionspendel bewährt. Abb. 2.2.3 zeigt schematisch Aufbau und Wirkungsweise eines umgekehrten - 38 - 2.2 Anelastizität / Innere Reibung Torsionspendels. Zur Vereinfachung wurden Vakuumglocke und Ofen weggelassen. Die Probe S besteht üblicherweise aus einem Draht oder Band mit 0,5 mm bis 1,2 mm Dicke und 40 mm bis 100 mm Länge. Entsprechend dem Prinzip des umgekehrten Pendels ist das untere Probenende fest eingespannt. Das obere Ende ist über eine vertikale Stange A, die mit einem Querbalken B (mit trägen Massen B1, B2) verbunden ist, über Rollen R aufgehängt. Das Gegengewicht G wird so eingestellt, dass nur eine geringe Zugkraft nach oben (ca. 0,1 N) auf die Probe wirkt. Mit Hilfe des Permanentmagneten P, der mit der vertikalen Achse A verbunden ist, und dem Helmholzspulenpaar C lässt sich ein Torsionsmoment erzeugen, womit die Probe zu Torsionsschwingungen angeregt wird. Die Schwingungen werden über ein optisches System, bestehend aus Halogenlampe L, Spiegel M und optischem Sensor D (Schottky Diode) aufgenommen. Der mechanische Verlustwinkel φ (bzw. tg φ =Q-1) wird nach folgender Beziehung aus dem freien Abklingen der Torsionsspannungen bestimmt. Q-1 = tg φ = δ / π (2.2.8) δ = Abklingkonstante Für höhere Dämpfungswerte ist die genauere Beziehung Q-1 = d/p(1-d/2p) zu verwenden. Diese enthält einen Korrekturterm für die Anharmonizität der gedämpften Schwingung. Das Torsionspendel erlaubt Messungen der inneren Reibung Q-1 (T) und der Schwingfrequenz f(T) in Abhängigkeit von der Temperatur. Hierzu sind entsprechende Kühl- und Aufheizeinrichtungen (mit T bezeichnet) vorhanden. Die Messfrequenz kann durch unterschiedliche träge Massen (B1, B2) im Bereich von etwa 0,5 Hz bis 20 Hz variiert werden. Torsionspendel[10] Abb. 2.2.3 2. Mechanisches Verhalten - 39 - (2.2.9) Eine periodisch mit einer Sinusfunktion angeregte linear-viscoelastische Probe ergibt eine Verformungsantwort im Sinne einer gleichen Frequenz nur mit einer Phasenverschiebung (Abb.2.2.4). Man kann auch die Verformung als Abszisse und die sich einstellende Kraft als Ordinate abbilden. Die letztere Verfahrensweise führt nach dem Einschwingvorgang zu einer Hystereseschleife, die sich als Ellipse ausbildet und deren Flächeninhalt ein Maß für die Energieverluste je Zyklus im zu prüfenden Material darstellt. In Abb. 2.2.4 sind einige typische Hystereseschleifen der Wechsellastprüfung dargestellt. Untersuchungstechniken dieser Art wurden von Astbury für die Kennzeichnung von Ton/Wasser-Mischungen herangezogen. Phasenverschiebung bei erzwungenen Schwingungen [1] Abb. 2.2.4 Erzwungene Schwingungen führen im eingeschwungenen Zustand bei linear viskoelastischen Verhalten zu einer Phasenverschiebung von Spannungs- und Dehnungsfunktion, die in der Auftragung gegeneinander eine elliptische Hysteresisschleife mit schräger Hauptachse ergeben. c) zeigt ideal-elastisches Verhalten an, d) reinviskose Flüssigkeit mit waagerechter Hauptachse der Hysteresisellipse, e) nichtlineares Verhalten eines Ton/Wasser-Gemisches Temperatureinfluss auf das anelastische Verhalten Die Temperaturabhängigkeit der Anelastizität wird üblicherweise bei konstanter Frequenz verfolgt. Das experimentelle Problem besteht in der Realisierung einer störungsfreien Halterung der Prüfkörper in einem Ofen und der temperaturbeständigen Zuführung der - 40 - 2.2 Anelastizität / Innere Reibung Schwingungsanregung und Abfuhr der Amplitudeninformation. In Abb. 2.2.5 sind zwei Versuchsaufbauten schematisch dargestellt. Da bei atomaren Vorgängen die Temperaturabhängigkeit der inversen Relaxationszeit nach einer Arrhenius-Beziehung τ −1 = τ 0 −1 exp ( −Q ) RT (2.2.10) angenommen werden darf, verschiebt steigende Temperatur die Vorgänge der inneren Veränderungen zu kürzeren Zeiten. Biegeschwingapparaturen zur Resonanzerregung von Prüfstäben bis zu 1400°C [1] Abb. 2.2.5 links: Starre Ankopplung mit Hilfe dünner Oxidkeramikstäbe (geeignet für Werkstoffe mit hoher Ausgangsdämpfung) rechts: Ankopplung mit Schallwellen (für Werkstoffe mit geringer Eigendämpfung) Die Zunahme der Atomabstände mit steigender Temperatur und die damit verbundene abnehmende Attraktion der Gitterbausteine führt zu einer Abnahme des E-Moduls mit steigender Temperatur. Der Effekt der Anelastizität äußert sich in einer Stufe innerhalb einer abfallenden Kurve. Wesentlich empfindlicher erfassbar ist das bei der gleichen Temperatur des Wendepunkts des ΔE-Effekts auftretende Maximum der Verlustgrößen. Bild??? Meist erlaubt erst die Hinzunahme der Dämpfungsmessung eine eindeutige Zusage, ob ein Relaxationsvorgang mit thermisch aktiviertem Zeitverhalten vorliegt. - 41 - 2. Mechanisches Verhalten Messungen der mechanischen Verluste von TZP-2-Mol% Y2O3 3Hz, 3kHz [10] Abb. 2.2.6 Abbildung 2.2.6 zeigt Messungen der mechanischen Verluste von TZP-2-Mol% Y2O3 für Messfrequenzen von 3 Hz (Torsionsschwingungen) und 3 kHz (Biegeschwingungen). Die Probenabmessungen betrugen 50 x 50 x 1 mm³. Der mechanische Verlustwinkel wurde aus der Dämpfung von abklingenden Schwingungen bestimmt und ist in Abhängigkeit von der Temperatur aufgetragen. Die Messungen zeigen ein ausgeprägtes Maximum, dessen Temperaturlage frequenzabhängig ist (370 K bzw. 480 K). - 42 - 2.3 Bruchverhalten 2.3. Bruchverhalten 2.3.1 Theoretische Festigkeit fester Körper Ein fester Körper wird durch Bindungskräfte zwischen den Atomen zusammengehalten. Dies ist schematisch in Abb. 2.3.1 an einem Ausschnitt aus einem idealen Kristallgitter dargestellt. Eine Zerstörung der Bindungen längs einer Gitterebene (angedeutet durch die Schlangenlinie in Abb. 2.3.1) hat eine Zertrennung des festen Körpers zur Folge, die mit einer Schaffung neuer Oberflächen verbunden ist. Zur mikrostrukturellen Erklärung des Bruchvorgangs [9] Abb. 2.3.1 Als theoretische oder ideale Zerreißfestigkeit (Kohäsionsfestigkeit) bezeichnet man die Spannung, die erforderlich ist, um die Atome längs dieser Gitterebene voneinander zu trennen. - 43 - 2. Mechanisches Verhalten Zwischenatomare Energie und Kraftverteilung [9] Abb. 2.3.2 In Abb. 2.3.2 ist die potentielle Energie der Wechselwirkung zwischen zwei Atomen im Kristallgitter in Abhängigkeit von ihrem Abstand, sowie der sich daraus ergebende Verlauf der Kohäsionskraft dargestellt. Der atomare Abstand d für die Gleichgewichtslage der Atome entspricht dem Minimum der potentiellen Energie (Abb. 2.3.2 a). Die Verschiebung aus dem Gleichgewichtsabstand d sei x, dann ist σth die maximale Spannung, die aufgebracht werden muss, um die Atome zu trennen. Man bezeichnet diese Spannung als theoretische Zerreißfestigkeit oder Kohäsionsfestigkeit (Abb. 2.3.2 b). Gemäß Abb. 2.3.2 c kann die Kraft- Abstandskurve durch eine Sinuskurve σ = σ th sin 2πx λ (2.3.1) approximiert werden. Für kleine Verschiebungen x gilt näherungsweise σ = σ th 2πx λ (2.3.2) - 44 - 2.3 Bruchverhalten (linearer Anstieg der Kurve in Abb. 2.3.2 c), andererseits ist nach dem Hookeschen Gesetz σ=E x d (2.3.3) wobei E den Elastizitätsmodul bedeutet. Aus den letzten beiden Gleichungen folgt σ th = E⋅λ 2 πd (2.3.4) und eine Berechnung von σth ist möglich unter der Annahme, dass die gesamte zur Trennung der Atome aufgebrachte Arbeit in Oberflächenenergie übergeht. Es wird also nur elastische, keine plastische Formänderung in Betracht gezogen. Die Arbeit beim Auseinanderreißen der Atome pro Flächeneinheit ergibt sich als die schraffierte Fläche unter der Kurve in Abb. 2.3.2 c), sie wird vollständig in Oberflächenenergie der zwei neugebildeten Oberflächen übergeführt. Es gilt also λ/2 ∫ σ dx = x =0 σ th λ = 2γ 0 π (2.3.5) wobei γ0 die spezifische Oberflächenenergie (Oberflächenenergie pro Flächeneinheit) bedeutet. Setzt man λ = 2 γ0 π / σth in Gleichung 2.3.4 ein, so folgt σ th = E⋅γ0 d (2.3.6) zur Abschätzung der theoretischen Zerreißfestigkeit kristalliner Körper. Die spezifische Oberflächenenergie γ0 ist eine Größe, die gemessen werden kann, sie beträgt größenordnungsmäßig γ0 ≈ 10-4 MPa·cm - 45 - 2. Mechanisches Verhalten für Metalle und keramische Materialien. Mit den weiteren Daten E ≈ 100 GPa sowie d ≈ 2.5. 10-8 cm ergibt sich eine theoretische Zerreißfestigkeit σth = 2 · 104 MPa, d.h. σth ≈ E 5 Demgegenüber liegen gemessene Zerreißfestigkeiten fester Körper um zwei bis drei Größenordnungen niedriger. Sehr große Festigkeiten werden z.B. ermittelt bei Klavierseitendraht E , 70 Eisenwhisker E 25 Wolframdraht E , 50 Silicawhisker E 4 Die gemessenen Zerreißfestigkeiten normaler fester Körper sind im allgemeinen geringer. Die Unterschiede zwischen gemessenen und theoretischen Festigkeiten werden durch das Vorhandensein von Fehlordnungen im Kristallgitter, durch Gefügefehler wie beispielsweise Korngrenzen oder durch das Auftreten anderer Bruchmechanismen z.B. infolge plastischer Verformung erklärt. Da die Größe derartiger Gefügefehler statistisch verteilt ist, beobachtet man auch eine Streuung der gemessenen Festigkeitswerte keramischer Werkstoffe (Abb. 2.3.3, siehe auch Kap.2.3.2). Auf die statistische Verteilung von Gefügefehlern und die damit verbundene Streuung der Festigkeit wird an anderer Stelle ausführlich eingegangen. Typische Festigkeitswerte einiger keramischer Werkstoffe zeigt Tabelle 2.3.1. Typische Bruchflächenenergien von Einkristallen sind aus Tabelle 2.3.2 ersichtlich. - 46 - 2.3 Bruchverhalten Festigkeit einiger spröder Werkstoffe [8] Abb. 2.3.3 1 Kg/cm2 ≈ 10-1 Mpa 1 Kg/mm2 ≈ 10 MPa Festigkeit einiger keramischer Werkstoffe [8] Tab. 2.3.1 (psi = 0,006895MPa) - 47 - 2. Mechanisches Verhalten Bruchflächenenergie von Einkristallen [8] Tab. 2.3.2 (1 erg/cm2 = 10-1 Pa·cm) 2.3.2 Grundlagen der Bruchmechanik Der Bruch von keramischen Werkstoffen geht von Fehlern aus. Diese können während der Werkstoffherstellung in Form von Poren, Rissen oder Einschlüssen oder während der Oberflächenbearbeitung entstehen. Das Versagen erfolgt durch die Ausbreitung von Rissen, die von diesen Fehlern ausgehen. Die Sprödigkeit der keramischen Werkstoffe wird durch den geringen Widerstand gegen die Rissausbreitung verursacht. Die große Streuung der mechanischen Eigenschaften ist auf die Streuung der Fehlergröße zurückzuführen. Die Bruchmechanik befasst sich mit den Gesetzmäßigkeiten der Ausbreitung von Rissen. Dabei wird von der Idealvorstellung eines flächenhaften Fehlers mit einer unendlich scharfen Spitze ausgegangen. Ein solcher Fehler wird als Riss bezeichnet. Reale Fehler dagegen sind häufig Volumenfehler. Für die Belange der Bruchmechanik sind die singulären Spannungsfelder in der Umgebung einer Rissspitze von grundlegender Bedeutung. Die Stärke dieser Spannungsfelder lässt sich mit einem einzigen Faktor, der nur von der Geometrie der Rissanordnung und der äußeren Belastung abhängt, kennzeichnen. - 48 - 2.3 Bruchverhalten Nach Irwin lassen sich drei grundlegende Arten des Rissöffnungsverhaltens festlegen, die drei voneinander unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten der beiden Rissoberflächen gegeneinander entsprechen (Abb. 2.3.5). Die drei grundlegenden Rissöffnungen I, II, III [9] Abb. 2.3.5 Der Fall 1 ist charakteristisch für Zugbelastung, wenn sich die Rissoberflächen bezüglich der Rissebene symmetrisch voneinander entfernen. Der Fall 2 tritt bei ebener Schubbelastung in Rissrichtung auf. Der Fall 3 entspricht dem nicht ebenen Schubspannungszustand. Die Rissoberflächen werden quer zur Rissrichtung gegeneinander verschoben. Dies tritt bei Schub- und Torsionsproblemen auf. Außenriss in Platte [10] Abb. 2.3.6 - 49 - 2. Mechanisches Verhalten In Abb. 2.3.6 wird der Außenriss der Länge a in einer Platte der Dicke B und der Breite W betrachtet. Die wichtigste Beanspruchung ist die Belastungsart 1, also Zugbeanspruchung senkrecht zur Rissebene. Ein Punkt vor der Rissspitze wird durch die Koordinaten x und y oder r und θ charakterisiert. Der Verlauf der Spannungen in Rissspitzennähe bei Belastungsart 1 ist gegeben durch σx = KI θ θ 3θ cos (1 − sin sin ) 2 2 2 2πr (2.3.7 a) σy = KI θ θ 3θ cos (1 + sin sin ) 2 2 2 2πr (2.3.7 b) τ xy = KI θ θ 3θ sin cos cos 2 2 2 2πr (2.3.7 c) σz = 0: für z = + B/2 und z = - B/2 (am Probenrand, Abb. 2.3.6) ebener Spannungszustand (ESZ) σz = ν (σx + σy): in der Mitte genügend dicker Proben ebener Dehnungszustand (EDZ) Für die Belastungsarten II und III sind die Gleichungen wesentlich kompliziertr. KI ist der Spannungsintensitätsfaktor, der von der Höhe der Belastung σ, der Größe des Risses a und der Geometrie des Bauteils Y(a, W) abhängt. Er kann geschrieben werden als KI = σ· a ·Y(a, W) (Spannungsbetrachtung) (2.3.8) Die Spannungen vor der Rissspitze sind also eindeutig durch die Größe des Spannungsintensitätsfaktors KI bestimmt. Das Rissausbreitungsverhalten ist von dieser Größe abhängig. Wird ein Bauteil oder eine Probe mit Riss belastet, dann nimmt KI mit zunehmender Belastung zu, bis bei einem kritischen Wert instabile Rissausbreitung einsetzt. Dieser kritische Wert ist die Risszähigkeit KIc, die auch als Bruchzähigkeit bezeichnet wird. Die Risszähigkeit ist eine Werkstoffkenngröße und kann experimentell ermittelt werden. - 50 - 2.3 Bruchverhalten Die Dimension des Spannungsintensitätsfaktors bzw. der Risszähigkeit ist Nmm-3/2 oder MNm-3/2 = MPa m. σC = K IC a ⋅Y (2.3.9) Die Beschreibung des Rissausbreitungsverhaltens mit dem Spannungsintensitätsfaktor basiert somit auf der Betrachtung der Spannungen vor der Rissspitze. Alternativ dazu kann die Rissausbreitung mit Hilfe von Energiebetrachtungen erfolgen. Als Risswiderstand GIC wird die Energie bezeichnet, die aufzubringen ist, um den Riss um die Flächeneinheit zu vergrößern. Die Dimension des Risswiderstandes in N/m oder N/mm. Die spezifische Bruchflächenenergie γf ist die notwendige Energie, um die Flächeneinheit einer Bruchfläche zu erzeugen. Da bei der Rissausbreitung zwei Bruchflächen entstehen, ist GIC = 2γf (2.3.10) Der Belastungszustand eines Risses kann somit alternativ durch den Spannungsintensitätsfaktor KI oder durch die Energiefreisetzungsrate GI charakterisiert werden. Instabile Rissausbreitung erfolgt bei KI = KIC (2.3.18 a) GI = GIC (2.3.18 b) oder Irwin hat gezeigt, dass zwischen GI und KI eine Beziehung besteht KI2 = GI E´, (2.3.19) mit ebener Spannungszustand ⎧E E′ = ⎨ 2 ⎩E / (1 − ν ) ebener Dehnungszustand (2.3.20) - 51 - 2. Mechanisches Verhalten Gl. (2.3.19) führt damit die beiden Versagensbedingungen ineinander über. Es muß somit auch gelten 2 K IC = G IC E 2 γ f E = 1 − ν2 1 − ν2 (Energiebetrachtung) (2.3.21) wobei der ebene Dehnungszustand vorausgesetzt wurde. Aus der Energiebetrachtung lässt sich die höhere Bruchzähigkeit von Metallen gegenüber keramischen Werkstoffen erläutern. An der Rissspitze tritt bei Metallen in Gegensatz zur Keramik in der Regel plastische Verformung auf, die spezifische Bruchflächenenergie nimmt zu. Die Bruchzähigkeit erhöht sich damit gemäß 2 K IC = 2( γ f + γ plastisch ) ⋅ E 1 −ν 2 (2.3.22 ) Den Spannungsverlauf in Abhängigkeit der bruchauslösenden Fehlergröße zeigt Abb.2.3.7 Spannungsverlauf in Abhängigkeit der bruchauslösenden Fehlergröße bei Keramik und Metall σc = Abb. 2.3.7 K IC ac ⋅ Y Wegen der geringen Bruchzähigkeit keramischer Werkstoffe wird die Bruchspannung schon bei relativ kleinen Fehlergrößen (im µm-Bereich) erreicht. Aufgrund der Bindungsarten (ionisch, kovalent) liegen die zur plastischen Verformung notwendigen Spannungen wesentlich höher als die Bruchspannung. Keramik bricht daher spröde. Da die - 52 - 2.3 Bruchverhalten bruchauslösenden Fehler (Korngrenzen, Poren, Oberflächenrauhigkeiten, Bearbeitungsfehler) stark streuen, streut auch die Festigkeit keramischer Werkstoffe entsprechend (Abb. 2.3.8). Streuung der bruchauslösenden Fehlergröße und der Bruchspannung bei keramischer Werkstoffen Abb. 2.3.8 Die Rissgröße, die notwendig wäre, damit der Werkstoff vor erreichen der Streckgrenze bricht, liegt bei metallischen Werkstoffen wegen der höheren KIC-Werte im Bereich einiger Millimeter. Diese Fehlergrößen treten in Metallen praktisch nicht auf. Die Festigkeit wird daher von den Bindekräften des Werkstoffs bestimmt und die Streuung ist sehr gering (Abb. 2.3.9). Festigkeitsstreuung keramischer und Metallischer Werkstoffe Abb. 2.3.9 - 53 - 2. Mechanisches Verhalten 2.3.3 Bestimmung der Festigkeit Die Festigkeit keramischer Werkstoffe wird üblicherweise durch den Widerstand des Materials gegenüber Zugspannungen charakterisiert. Die Druckfestigkeit ist demgegenüber von geringerer Bedeutung, auch wenn sie wesentlich größer ist als die Zugfestigkeit. 2.3.3.1 Zugfestigkeit Der Zugversuch ist wegen seiner homogenen Spannungsverteilung und des rein einachsigen Spannungszustandes das übersichtlichste Verfahren zur Bestimmung der Zugfestigkeit. Seine Probleme liegen in der schwierigen Krafteinleitung und in der Vermeidung überlagerter Biegespannungen. Als Prüfkörperformen werden fast ausschließlich kreisförmige Probenquerschnitte verwendet. Die Einspannbereiche sind als zylindrische und konische Schultern ausgebildet. Die Vorteile der Keramik gegenüber Metallen zeigt sich vor allem im Hochtemperaturbereich. Bei diesen Temperaturen können die Einspanngestänge nicht mehr aus metallischen Werkstoffen hergestellt werden. Es sind dann Keramikeinspannungen zu verwenden, die zur Reduzierung der Zugspannungen mit relativ großen Querschnitten ausgeführt werden. Die beiden wichtigsten Ursachen für das Auftreten störender Biegespannungen sind seitlicher Versatz der unteren Einspanneinheit relativ zur oberen und ein exzentrischer Einbau bei ansonsten fluchtenden Einspannklemmen (Abb. 2.3.10). Die Festigkeit im Zugversuch errechnet sich zu σ= F F L tan α ± 2 Wb S (2.3.23) wobei F die Zugkraft, S den Probenquerschnitt, L die Probenlänge und Wb das Widerstandsmoment gegen Biegung bedeutet. Die Exzentrizität lässt sich durch Vergrößerung des Probenquerschnitts beträchtlich verringern. In manchen Fällen ist neben der reinen Festigkeitsangabe auch noch eine Aussage über die Bruchdehnung von Interesse. Bei Raumtemperatur und Temperaturen, wie sie bei der Metallprüfung üblich sind, genügt das Ansetzen von mechanisch-elektrischen Wegaufnehmern. Im Hochtemperaturbereich wird in den einfachsten Ausführungen die - 54 - 2.3 Bruchverhalten Änderung des Abstandes der Einspanneinheiten gemessen. Im Hochtemperatureinsatzbereich sind optische Dehnungsmessvorrichtungen von Vorteil. Einspannfehler beim Zugversuch [10] Abb. 2.3.10 Um den hohen versuchstechnischen Aufwand der so einfach erscheinenden Zugversuche zu umgehen und um die aufwendige Probenvorbereitung (Schleifen von Rundstäben) zu vermeiden, wurden andere Methoden zur Ermittlung der Zugfestigkeit entwickelt. 2.3.3.2 Der Biegeversuch Abb. 2.3.11 zeigt die Abmessungen und die Belastungsanordnung am Beispiel des 4-PunktBiegeversuchs. Die Biegezugfestigkeit berechnet sich aus der Versagenslast F zu σC = 3(S1 − S2 )F 2W 2 B (2.3.24) wobei S1 und S2 die Abstände der Belastungsrollen, W die Probenhöhe und B die Probenbreite sind. Diese Versuchsanordnung hat den Vorteil, dass die Herstellung entsprechender Proben im Vergleich zum Zugversuch relativ einfach ist. Darüber hinaus ist der Biegeversuch hinsichtlich seiner Messfehlerbeurteilung der am umfassendsten untersuchte Festigkeitstest. - 55 - 2. Mechanisches Verhalten Vierpunkt-Biegeprobe [10] Abb. 2.3.11 2.3.3.3 Versuche an Rohrabschnitten Während die mechanische Prüfung zur Materialcharakterisierung keramischer Werkstoffe oft an Proben erfolgt, die aus speziell gesinterten Keramikplatten herausgearbeitet wurden oder sogar als Einzelprobe hergestellt werden, müssen in der Praxis oft die Probekörper aus Produktionsteilen entnommen werden. Liegen Produkte in Form von Rohren vor, sind zwei Versuche anwendbar: a) Der Kreisring-Test Kreisringtest [10] Abb. 2.3.12 Im Kreisringtest (Abb. 2.3.12) werden Ringe, die von rohrförmigen Fertigteilen abgeschnitten wurden, diametral zwischen zwei planparallelen Platten durch eine Linienlast auf Druck belastet. Dabei treten an den Ringinnenseiten direkt an der Lastlinie sowie auf den Ringaußenseiten in maximalem Abstand von der Lastlinie maximale Zugspannungen auf. Bedeutet t die Ringdicke, r den mittleren Radius und B die Länge des Rohrabschnitts, dann folgt aus der Versagenslast F die Zugfestigkeit zu - 56 - 2.3 Bruchverhalten ⎛ ⎜1 − Fr ⎝ σC = B t2 ⎛ ⎜1 − ⎝ t⎞ ⎟ 6r ⎠ 6 ⋅ t⎞ π ⎟ 2r ⎠ (2.3.25) Um den effektiv belasteten Probenanteil zu erhöhen, ist in einer für Steinzeug entwickelten Norm (DIN 1230) die Krafteinleitung in die Probe durch flächige Belastungselemente homogener in die Probe eingeleitet worden (Abb. 2.3.12 b). Aus der beim Probenbruch vorliegenden Scheiteldruckkraft F resultiert als Zugfestigkeit σC = 1,8 Fr ⎛ t ⎞⎛ t⎞ 1 + ⎟ ⎜1 + ⎟ 2 ⎜ 2r ⎠ ⎝ 3r ⎠ Bt ⎝ (2.3.26) b) Der C-Ring-Test Im C-Ring-Test wird ein Ringsegment auf Druck oder Zug belastet. Abb. 2.3.13 zeigt die Probe als Hälfte eines Kreisrings und schematisch die beiden Belastungsanordnungen. Durch Anwendung des Druckversuchs kann die Zugfestigkeit im Bereich der äußeren Rohroberfläche gemessen werden. Im Zugversuch, der eine etwas kompliziertere Lasteinleitung erfordert, geht das Versagen von der inneren Rohroberfläche aus. Bezeichnet F die Versagenslast, B die Breite und t die Dicke der Probe, dann berechnet sich die Versagensspannung zu σc = K F Bt (2.3.27) Nach Timoshenko und Young ist im Druckversuch mit dem „aktuellen Hebelarm“ q K= 1 t ) ( r0 − L) 2 −1 r0 ( r − L) (q − (2.3.28) und im Zugversuch K= (q − 1 t − d )( L − ri ) 2 +1 ri ( r − L) (2.3.29) mit ri = r - t/2, ro = r + t/2, L = t/[ln(r0/ri)]. Bei exakt diametraler Belastung sind die in Abb. 2.3.13 definierten Größen q = r0 und d = 0. - 57 - 2. Mechanisches Verhalten Die größten Fehlermöglichkeiten entfallen auf die Dickenmessung. Eine typische Messgenauigkeit von 5% in t führt zu ca. 10% Fehler der Festigkeit. Aufgrund der relativ großen Dickentoleranz der unbearbeiteten Keramikprodukte empfiehlt sich die nachträgliche Messung direkt an der Versagensstelle. C-Ring-Test [10] Abb. 2.3.13 2.3.3.4 Messung der Druckfestigkeit Unter Druckbeanspruchung ertragen keramische Werkstoffe sehr viel höhere Belastungen als unter Zugbeanspruchung. Beim Druckversuch an zylindrischen Proben erfolgt die Belastung zwischen planparallelen Druckstempeln. Als Bruchfestigkeit wird die auf dem Zylinderquerschnitt bezogene Prüfkraft im Moment des Versagens bezeichnet. Die Problematik dieses Versuchs liegt in der Kraftanleitung in die Probe. Es treten Störeffekte im Bereich des Übergangs von den Druckstempeln auf die Probe auf. a) Der Druckversuch an zylindrischen Proben Im allgemeinen ist der Probendurchmesser kleiner als der Durchmesser der Druckstempel. Dadurch kommt es entlang der äußersten Kontaktlinie zu einer linienförmigen Spannungssingularität. Im Extremfall kann die sich einstellende Spannungsverteilung aus dem elastizitätstheoretisch wohlbekannten Problem des Eindrückens eines starren Zylinders vom Radius R in einen unendlich ausgedehnten elastischen Körper abgeschätzt werden. Man - 58 - 2.3 Bruchverhalten erhält dann die Spannungen im Abstand r von der Symmetrieachse zu σ= F 2 π R ( R 2 − r 2 )1/ 2 (2.3.30) und folglich für r = R unendliche Spannungen. Die Spannungsverteilung wird homogener, wenn man berücksichtigt, dass auch die Keramikproben einen endlichen E-Modul besitzen und die Belastungsstempel eine mit dem Probenquerschnitt vergleichbare Größe haben. Die Spannungssingularität bleibt jedoch erhalten. b) Der Druckversuch am Hohlzylinder Hohlzylinder für Druckversuche [10] Abb. 2.3.14 Abb. 2.3.14 zeigt eine rohrförmige Probe, deren tragender Querschnitt im Mittenbereich auf ca. ein Viertel des Endquerschnitts verjüngt ist. Durch die Rohrform werden einige der bei Vollzylindern auftretenden Schwierigkeiten eliminiert. Die Belastung erfolgt über „Compliance-Rohre“, die aus dem gleichen Material wie der Prüfling bestehen. Ihre eigentliche Bedeutung finden die Hohlzylinderproben jedoch bei hydrostatistischen Druckversuchen (Abb. 2.3.14 b). In diesem Belastungszustand sind Biegemomente und axiale Exzentrizitäten ohne Bedeutung. Ein Nachteil der Hohlzylinderproben gegenüber den Vollzylinderproben ist der wesentlich höhere Aufwand bei der Probenherstellung. 2. Mechanisches Verhalten - 59 - Druckfestigkeit in MPa von polykristallinen Keramiken nach Rice [10] Tab. 2.3.3 Verhältnis der Druckfestigkeit zur Biegefestigkeit bei Raumtemperatur [10] Tab. 2.3.4 Die Druckfestigkeit keramischer Werkstoffe (Tab. 2.3.3) liegt um Faktor 4 - 30 höher als die Biegefestigkeit, was mit der Rissempfindlichkeit von Keramiken zu erklären ist. Tab. 2.3.4 zeigt das Verhältnis der Druckfestigkeit zur Biegefestigkeit einiger Werkstoffe. - 60 - 2.3 Bruchverhalten 2.3.4 Experimentelle Methoden zur Ermittlung der Risszähigkeit Die prinzipielle Vorgehensweise bei der Ermittlung der Risszähigkeit KIC besteht in folgenden Schritten: − Erzeugung eines Risses in einer Probe, − Messung der Bruchlast bzw. Bruchspannung − Berechnung von KIC aus der Bruchspannung und der Risslänge nach der Beziehung K IC = σ aY (2.3.31) oder KIC = F Y* B W (2.3.32) Bei der Schreibweise nach Gl. 2.3.32 ist die Risslängenabhängigkeit vollständig in der Funktion Y* (a/W) enthalten. Das Problem besteht in der Erzeugung eines Anrisses und in der Vermessung der Risslänge. An dieser Stelle soll lediglich die Biegeprobe mit durchgehendem Riss und die Methode der Vickers-Härteeindrücke beschrieben werden. 2.3.4.1 Biegeprobe mit durchgehendem Riss Die Probe wird üblicherweise im Vierpunktbiegeversuch belastet (Abb. 2.3.15). Die Kantenlängen der Proben betragen einige Millimeter für den Querschnitt und 40-50 mm für die Probenlänge. Die üblichen Auflagerlängen sind S1 = 40 mm und S2= 20 mm. - 61 - 2. Mechanisches Verhalten Biegeprobe mit einseitigem Außenriss [9] Abb. 2.3.15 Der Riss wird häufig als feiner Schlitz eingesägt, wobei die relative Risslänge α = a/W meistens 0.5 beträgt. Die Risszähigkeit berechnet sich aus der maximalen Kraft Fmax und der relativen Risslänge α nach K IC = Fmax S1 − S 2 3ΓM α ⋅ ⋅ W 2(1 − α )3/ 2 B W (2.3.33) mit ΓM = 19887 . − 1326 . α− (3.49 − 0.68α + 135 . α 2 )α(1 − α ) (1 + α ) 2 (2.3.34) Der Vorteil dieser Methode besteht in der relativ einfachen Erzeugung der Kerbe. Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss der Kerbbreite bzw. des Kerbradius haben den in Abb. 2.3.16 angegebenen Zusammenhang ergeben. - 62 - 2.3 Bruchverhalten Einfluss des Kerbradius auf die gemessene Risszähigkeit [9] Abb. 2.3.16 Der gemessene Wert von KIC nimmt oberhalb eines kritischen Kerbradius ρC linear mit der Wurzel aus dem Kerbradius zu. Nur für ρ < ρC wird ein korrekter KIC Wert gemessen. Dabei hängt der kritische Wert ρc vom Werkstoff ab. Es muss daher für jeden Werkstoff überprüft werden, ob mit der kleinsten herstellbaren Schlitzbreite ein korrekter KIC-Wert ermittelt werden kann. Die übliche Methode der Risserzeugung ist das Kerben mit dünnen diamantbeschichteten Scheiben oder mit diamantbeschichteten Drähten. Dabei können ohne große Schwierigkeiten Kerbbreiten von 0.1 mm gefertigt werden. Mit größerem Aufwand ist die Erzeugung von Kerbbreiten von 60 μm in Extremfällen bis zu 10 μm möglich. 2.3.4.2 Vickers-Härteeindrücke Entwicklung von Vickers-Rissen [10] Abb. 2.3.17 - 63 - 2. Mechanisches Verhalten Bei der Ermittlung der Risszähigkeit mit Hilfe von Vickers-Härteeindrücken wird die Risszähigkeit aus der Belastung beim Härteeindruck und aus der Länge der sich auf der Oberfläche ausbildenden Risse ermittelt (Abb. 2.3.17). Unterhalb des pyramidenförmigen Härteeindrucks bildet sich eine Deformationszone aus. Während der Belastung und der anschließenden Entlastung entstehen zwei senkrecht aufeinander stehende Risse, die von der tiefsten Stelle ausgehen, sich bis zur Oberfläche ausbreiten und etwa halbkreisförmige Gestalt haben. Die Oberflächenrisslänge ist 2c, die Länge der Diagonale des Härteeindrucks 2a (Abb. 2.3.18). Palmquist-Risse [10] Abb. 2.3.18 Aufgrund von theoretischen Überlegung folgt K IC ⎛ E⎞ = H a ⋅⎜ ⎟ ⎝ H⎠ 1/ 2 ⎛ c⎞ ⋅⎜ ⎟ ⎝ a⎠ 3/ 2 (2.3.35) wobei sich die Härte H aus der Belastung F und der Größe a berechnet. H= F 2 a2 (2.3.36) Der Exponent E/H wird in der Literatur mit 0.4 angegeben. Für die praktische Anwendung wird in Munz [10] die Beziehung KIC = 0.032 H a ( E 1/ 2 c −3/ 2 ) ( ) H a (2.3.37) - 64 - 2.3 Bruchverhalten empfohlen, da sie die beste theoretische Grundlage besitzt und das umfangreichste Datenmaterial beschreibt. Risszähigkeit in MPa·m1/2 [10] Tab. 2.3.5 Tab. 2.3.5 zeigt Risszähigkeitswerte einiger keramischer Werkstoffe. Die Risszähigkeit hängt von den angewandten Meßmethoden aber auch vom Reinheitsgrad und dem Herstellungsverfahren der Keramik ab. Deshalb enthält Tabelle 2.3.5 in einigen Fällen Bereiche von KIC. Sind nur Einzelwerte angegeben, so sind diese als Anhaltswerte zu betrachten. Die Risszähigkeit ist wie alle Werkstoffgrößen temperaturabhängig. Bei einer Erhöhung der Temperatur ändert sich bei den meisten Keramiken die Risszähigkeit zunächst nicht oder nur gering. Ein deutlicher Einfluss der Temperatur wird beobachtet, wenn Kriecheffekte auftreten. Dies wird z.B. bei Siliciumnitrid beobachtet (Abb. 2.3.19). - 65 - 2. Mechanisches Verhalten Kritische Werte des Spannungsintensitätsfaktors in Abhängigkeit Abb. 2.3.19 von der Temperatur für heißgepresstes Siliciumnitrid [10] Bis zu etwa 1000°C zeigt die Kraftverlängerungskurve rein lineares Verhalten. Die Bruchkraft Fc ist mit der maximalen Kraft Fmax identisch. Oberhalb von 1100 °C gibt es eine auf stabiles Risswachstum Kraftverschiebungskurve. In zurückzuführende diesem Abweichung Temperaturbereich von der linearen erweicht die amorphe Korngrenzenphase und ermöglicht Kriechvorgänge. Dies führt zu einem Anstieg des Spannungsintensitätsfaktors. Vergleichsweise einfach ist das Verhalten von Materialien ohne oder mit nur geringer viskoser Korngrenzenphase, wie dies in Abb. 2.3.20 für heißgepresstes SiC wiedergegeben ist. Einer bis 1000°C nahezu konstanten Risszähigkeit folgt eine stetige Abnahme. - 66 - 2.3 Bruchverhalten Einfluss der Temperatur auf die Risszähigkeit von heißgepresstem Siliciumcarbid [10] Abb. 2.3.20 Ähnlich wie bei der Betrachtung des E-Moduls kann dies mit der Abnahme der Bindekräfte zwischen den elementaren Bausteinen in der Materie gedeutet werden. 2.3.5 Unterkritisches Risswachstum und Lebensdauer Bei vielen Keramiken geht dem instabilen Bruch ein unterkritisches Risswachstum voraus. Dabei verlängert sich ein Riss der Anfangsgröße ai langsam bis zu der von der Belastung abhängigen kritischen Größe ac, bei der dann instabiler Bruch einsetzt. Im Bereich der Gültigkeit der linear-elastischen Bruchmechanik wird die Risswachstumsgeschwindigkeit v eines Werkstoffs in einem bestimmten Umgebungsmedium ausschließlich durch den Spannungsintensitätsfaktor bestimmt. v= da = f (K I ) dt In Abb. 2.3.21 ist ein typischer Verlauf einer v-KI-Kurve aufgezeichnet. (2.3.38) - 67 - 2. Mechanisches Verhalten Typische v - KI - Kurve [10] In der doppeltlogarithmischen Darstellung Abb. 2.3.21 tritt in einem großen Bereich der Rissgeschwindigkeit ein linearer Bereich auf, der durch das Potenzgesetz da n = AK I dt (2.3.39) mit den temperaturabhängigen Materialkonstanten A und n beschrieben wird. In einigen Fällen wurde ein unterer Grenzwert des Spannungsintensitätsfaktors KI0 gemessen, unterhalb dessen kein unterkritisches Risswachstum auftritt. Bei großen Rissgeschwindigkeiten kann ein Plateau (II) auftreten, in dem die Rissgeschwindigkeit unabhängig von KI ist. Nach einem weiteren Anstieg der Rissgeschwindigkeit (III) setzt bei KI = KIC instabile Rissausbreitung ein. Die Lebensdauer eines keramischen Bauteils bei vorgegebener Belastung kann aus dem Zusammenhang zwischen der Rissgeschwindigkeit und dem Spannungsintensitätsfaktor berechnet werden. Abb. 2.3.22 zeigt den Zusammenhang zwischen Spannungsintensitätsfaktor am Beispiel von Porzellan. Rissgeschwindigkeit und - 68 - 2.3 Bruchverhalten Rissgeschwindigkeit bei statischer und zyklischer Belastung für Porzellan [10] Abb. 2.3.22 2.3.5.1 Lebensdauer unter statischer Last Aus der Definition des Spannungsintensitätsfaktors nach Gl. (2.3.8) und der Risswachstumsgesetzmäßigkeit nach Gl. (2.3.39) ergibt sich bei Annahme einer konstanten Geometriefunktion Y für das Zeitdifferential dt = 1 da Aσ Y n a n / 2 n (2.3.40) Integration der Gl. (2.3.40) von der Anfangsrisstiefe ai bis zum kritischen Wert ac liefert für beliebige zeitabhängige Spannungen σ (t) t ⎡ 2−n 2− n ⎤ 2 2 ⎢ ∫0 σ( t ) dt = AY n ( n − 2) ⋅ ⎢a i − a c 2 ⎥⎥ ⎣ ⎦ B n (2.3.41) Die Anfangsrisstiefe ai eines Werkstoffs lässt sich indirekt aus der sogenannten Inertfestigkeit σc und der Risszähigkeit KIC berechnen: - 69 - 2. Mechanisches Verhalten ⎡K ⎤ a i = ⎢ IC ⎥ ⎣σC Y ⎦ 2 (2.3.42) Dabei ist σC die Versagensspannung, die sich bei einem Versuch ohne vorausgehendes unterkritisches Risswachstum ergibt. Dies wird durch eine sehr hohe Belastungsgeschwindigkeit erreicht. Durch ein inertes Umgebungsmedium oder durch tiefe Temperaturen kann unterkritisches Risswachstum zusätzlich unterdrückt werden. Zwischen der kritischen Risslänge aC und der Spannung σB im Moment des Bruches besteht die Beziehung ⎡K ⎤ a C = ⎢ IC ⎥ ⎣ σ BY ⎦ 2 (2.3.43) Durch Einsetzen in Gleichung (2.3.41) ergibt sich für den Fall der statischen Belastung σ = const. t B = Bσ C d.h. eine starke n−2 σ − n (Lebensdauer im statischen Versuch) Spannungsabhängigkeit der Bruchzeit aufgrund des (2.3.44) hohen Spannungsexponenten n. Die Konstante B fasst die bruchmechanischen Daten KIC, Y und A zusammen. B= 2 K 2IC− n A Y ( n − 2) 2 (2.3.45) - 70 - 2.3 Bruchverhalten Lebensdauer im statistischen Biegeversuch an Al2O3 Abb. 2.3.23 in einer konzentrierten Salzlösung bei 70°C [10] Abb.2.3.23 zeigt den Zusammenhang zwischen Festigkeit und Lebensdauer am Beispiel von Al2O3. 2.3.5.2 Lebensdauer bei wechselnder Belastung In der Praxis wichtig sind Belastungsfälle mit zeitlich veränderlichen Spannungen σ(t). Bei einer periodischen Belastung (Abb. 2.3.24) mit der Periodendauer T und somit σ(t + T) = σ(t) gilt im Falle der Überlagerung einer konstanten Mittelspannung σm und einem reinen zyklischen Anteil σa . f (t) σ(t) = σm + σa f(t), f(t) = f (t + T) (2.3.46) - 71 - 2. Mechanisches Verhalten Verlauf von Spannung und Spannungsintensitätsfaktor bei zyklischer Belastung [10] Abb. 2.3.24 Die Lebensdauer im zyklischen Versuch und die durch TBz = NBT (2.3.47) definierte Zyklenzahl bis zum Bruch resultieren durch Einsetzen von Gl.(2.3.46) in Gl. (2.3.44) zu t Bz = 1 n −2 −n Bσ c σ m (Lebensdauer im zyklischen Versuch) g( n, σ a / σ m ) (2.3.48) wobei die Funktion g(n, σa/σm) durch n ⎤ 1 T⎡ σ g ( n , σ a / σ m ) = ∫ ⎢1 + a f ( t )⎥ dt T 0 ⎣ σm ⎦ (2.3.49) definiert ist. 2.3.5.3 Methoden zur Bestimmung von Risswachstumsgeschwindigkeiten Es existieren eine Reihe von Bestimmungen des unterkritischen Risswachstums an makroskopischen Rissen. Hier soll lediglich auf die Bestimmung des unterkritischen Risswachstums an natürlichen Rissen eingegangen werden. - 72 - 2.3 Bruchverhalten a) Der dynamische Biegeversuch Der dynamische Biegeversuch wurde erstmals von Charles zur Bestimmung der Risswachstumsparameter vorgeschlagen. In diesem Versuch werden Proben mit jeweils konstanter Belastungsgeschwindigkeit σ& = dσ/dt bis zum Bruch belastet und die von σ& abhängige Festigkeit σB registriert. Einen formelmäßigen Zusammenhang erhält man durch Einsetzen von dt = dσ/ σ& (2.3.50) in das Integral auf der linken Seite von Gl. (2.3.41). Nach Ausführung der Integration folgt σBn+1 = B σcn-2 σ& (n+1) [1 - (σB/σc) n-2] (2.3.51) Diese implizite Abhängigkeit σB = f ( σ& ) ist in Abb.2.3.25 dargestellt. Abhängigkeit der Biegefestigkeit von der Beanspruchungsgeschwindigkeit [10] Abb. 2.3.25 Zwei asymptotische Grenzfälle sind aus Gl. (2.3.51) zu erkennen. Für kleine Beanspruchungs-geschwindigkeiten ( σ& → 0) ergibt sich σ nB+ 1 = B σ& cn-2 (n + 1) σ& (2.3.52) Diese Beziehung eignet sich zur Ermittlung des Risswachstumsparameters n und der Größe B - 73 - 2. Mechanisches Verhalten und damit nach Gl. (2.3.45) des Parameters A. Der Exponent n ergibt sich aus der Steigung der lg(σB) - lg( σ& )-Abhängigkeit. Der Wert Bσcn-2 folgt aus dem Ordinatenabschnitt. Im Grenzfalle extrem hoher Belastungsgeschwindigkeit strebt die Festigkeit σB gegen die Inertfestigkeit, d.h. σB → σc bei ( σ& → ∞) (2.3.53) Zur Auswertung dynamischer Biegeversuche nach Gl. (2.3.52) muss daher immer sichergestellt werden, dass diese Abhängigkeit in einem hinreichend großen σ& - Bereich erfüllt ist. Hierzu sind Messungen über mehrere Zehnerpotenzen von σ& erforderlich, wobei nur der bei doppelt-logarithmischer Auftragung von σB gegen σ& auftretende lineare Bereich auszuwerten ist. In Abb. 2.3.26 sind Ergebnisse dynamischer Biegeversuche an heißgepresstem Siliciumnitrid bei hohen Temperaturen dargestellt. Bei diesen Ergebnissen ist deutlich der Übergang in die Inertfestigkeit zu sehen. Biegefestigkeit von heißgepresstem Siliciumnitrid bei hohen Temperaturen [10] Abb. 2.3.26 - 74 - 2.3 Bruchverhalten Vorteile dieser Prozedur sind: − Die Durchführung der Versuche ist einfach und ohne aufwendige Testapparaturen möglich. − Das Risswachstum wird an Proben mit natürlichen Fehlern untersucht, wodurch Übertragungsprobleme entfallen. Nachteilig sind folgende Faktoren: − Der Typ der v - KI-Kurven muss bekannt sein, um eine Integration von Gl. (2.3.38) zu gestatten. Er muss bei Verwendung von Gl. (2.3.52) durch ein Potenzgesetz gegeben sein. − Die Biegefestigkeit wird hauptsächlich durch das Risswachstum bei relativ hohen Risswachstumsgeschwindigkeiten beeinflusst. Dieses ist aber für Lebensdauervorhersagen von geringerem Interesse. b) Bestimmung der Risswachstumsparameter im statistischen Biegeversuch Eine einfache Bestimmung der Parameter des Potenzgesetzes - Gl. (2.3.39) kann aus Lebensdauermessungen erfolgen. Führt man statische Versuche bei unterschiedlichen Lastniveaus mit den Spannungen σ durch und misst die bis zum Bruch vergehende Zeit tB, dann ist eine Bestimmung von n und B (bzw. A) aus Gl. (2.3.44) möglich. Trägt man - wie in Abb. 2.3.22 für Versuche an einer Al2O3-Keramik in konzentrierter Salzlösung dargestellt - die Belastungsgröße σ gegen die Lebensdauern tB in doppeltlogarithmischer Weise auf, dann resultiert nach Gl. (2.3.44) der Exponent n aus der Steigung der erhaltenen Geraden und der Wert Bσcn-2 aus dem Ordinatenabschnitt. Bei Kenntnis der Inertfestigkeit σc und der Risszähigkeit KIC kann auch der Parameter A aus Gl. (2.3.45) berechnet werden. Die Bestimmung von n und A ist aufgrund der größeren Streuungen relativ unsicher. Aus diesem Grund wird die Lebensdauerauswertung auch mit Hilfe der Weibull-Statistik durchgeführt, die im folgenden Kapitel beschrieben ist. - 75 - 2. Mechanisches Verhalten Zyklische Ermüdung an heißgepresstem Siliciumnitrid mit MgO - Zusätzen bei 1200°C [10] Abb. 2.3.27 Bei einigen Werkstoffen kann das Verhalten bei zyklischer Belastung aus den Ergebnissen der statischen Belastung vorhergesagt werden (wenn z.B. Gl. 2.3.48 erfüllt ist). Beispielhaft sind Ergebnisse für das Ermüdungsverhalten von Si3N4 in der Abb. 2.3.27 dargestellt. 2.3.6 Bruchverhalten von Faserverbundwerkstoffen Die Faserverstärkung in einem keramischen Verbundwerkstoff hat allgemein zum Ziel, die Duktilität und die Bruchzähigkeit des Werkstoffs zu erhöhen. Aufgrund der vielfältigen Einflüsse kann von der Summe der Festigkeiten der Einzelkomponenten nicht auf die Festigkeit des Composites geschlossen werden. Der Grund dafür ist im so genannten Faser/Matrix-Interface-Verhalten zu suchen. Die Wechselwirkungen zwischen Verstärkungsfaser und Matrix beeinflussen das mechanische Verhalten des Composites entscheidend. Da Faser und Matrix meist unterschiedliche Bruchspannungen haben, kommt es abhängig davon zu verschiedenartigem Bruchverhalten. Im Falle eines Composites, dessen Faser-Bruchdehnung niedriger ist als die MatrixBruchdehnung (z.B. keramikfaserverstärktes Metall MMC) kommt es zu einem einfachen Bruchverhalten - 76 - 2.3 Bruchverhalten σƒuVƒ > σmuVm-σ’mVm (2.3.54) Vƒ = Volumenanteil Faser Vm = Volumenanteil Matrix Aus Gleichung 2.3.54 wird mit der zur Bruchdehnung der Faser gehörenden Matrixspannung σ’m und der maximalen Bruchspannung von Faser σƒu und Matrix σmu wird deutlich, dass im Falle des Faserbruchs die Matrix der eingeleiteten Spannung nicht mehr standhalten kann. In diesem Fall brechen Fasern und Matrix in einer Ebene. Die Bedingung 2.3.55 ist erfüllt, wenn die maximale Faserfestigkeit geringer als die der Matrix ist. Die Fasern werden bereits vor dem Versagen der Matrix zerstört und haben keinen Verstärkungseffekt. σƒuVƒ < σmuVm-σ’mVm (2.3.55) Ist die Bruchdehnung der Faser hingegen größer als die der Matrix (z.B. im C/SiC), so kommt es zum multiplen Bruch. Für diesen Fall gilt Gleichung 2.3.56. σƒuVƒ > σmuVm+σ’ƒVƒ (2.3.56) Mit der Faserspannung σ’ƒ, die bei der entsprechenden Matrix-Bruchdehnung auftritt. Die mechanischen Eigenschaften der faserverstärkten Verbundwerkstoffe werden hauptsächlich von zwei Faktoren bestimmt: 1. Die eigenen mechanischen Eigenschaften der Komponenten selbst (Fasern, Matrix), 2. Wechselwirkung zwischen Fasern und Matrix, die wiederum durch die Volumenanteile, die Haftung, die chemische sowie mechanische Kompatibilität - 77 - 2. Mechanisches Verhalten zwischen beiden Komponenten beeinflusst werden. Zwei vereinfachende Modelle beschreiben die Faserverstärkung von Werkstoffen: 1. Spröde Matrixkomponenten mit Fasern hohen Elastizitätsmoduls (z.B. Hochmodul-(HM)-Fasern) und eine vollständige (ideale) Haftung zwischen Fasern und Matrix: Die Bruchdehnung des Composites wird hier nur durch die Bruchdehnung der Matrix bestimmt. Bei Überschreitung dieser Matrix-Bruchdehnung pflanzen sich die primär entstandenen Risse transkristallin über die Fasern fort. Es ergibt sich dann ein einfaches Bruchverhalten, bei dem die Zugfestigkeit der Fasern nicht mehr von Bedeutung ist. 2. Spröde Matrixkomponenten mit Fasern niedrigen Elastizitätsmoduls und eine unvollständige Haftung zwischen Fasern und Matrix: Wenn der Volumenanteil der Fasern einen kritischen Wert überschreitet, wobei die Biegefestigkeit des Verbundwerkstoffs nur von der Faserfestigkeit abhängt, tritt ein so genanntes „multiples Bruchverhalten“ auf. Durch die unvollständige Haftung zwischen Fasern und Matrix können Mikrorisse, die in der Matrix beginnen, umgeleitet und teilweise an den Fasergrenzen abgelenkt oder zum Stillstand gebracht werden. Hierbei tritt eine Delamination oder ein teilweiser „Pull-Out“ der Fasern auf. Die Bruchdehnung der Fasern spielt hier insofern eine Rolle, als diese Fasern zusätzlich oder gänzlich die Matrixrisse überbrücken können. Es gibt also eine grundlegende Bedingung für die Zähigkeitssteigerung des faserverstärkten Verbundwerkstoffs, den so genannten „Debonding-Effekt“. Das bedeutet, die Fasern müssen zunächst von der Matrix abgelöst werden. Durch das Ablösen kann Bruchenergie abgebaut werden, was einen erneuten Anstieg der Bruchspannung und die Erhöhung der Bruchdehnung zur Folge hat. Abb. 2.3.28 zeigt schematisch den Faser-Pull-Out in einem endlos-faserverstärkten Composite. In Abb. 2.3.29 ist der Faser-Pull-Out in der Bruchfläche eines C/CSiCVerbundwerkstoffs zu sehen. - 78 - 2.3 Bruchverhalten Pull-Out-Schema in einem endlosfaserverstärkten Composite Abb. 2.3.28 Pull-Out in C/C-SiC (Dissertation R.Goller 1996) Abb. 2.3.29 Durch eine Beschichtung der Fasern wird die Faser/Matrix-Anbindung beeinflusst. Die Beschichtung muss so ausgelegt sein, dass möglichst viel Debonding-Energie verbraucht wird. Bei zu schwacher Anbindung wird die Festigkeit vermindert, bei zu starker tritt kein Debonding auf und der Werkstoff bricht spröde. Es ist also neben der Auswahl der Fasern und der Herstellungsverfahren des Composites zusätzlich eine genaue Auslegung der Faserbeschichtung von besonderer Bedeutung für die 2. Mechanisches Verhalten - 79 - mechanischen Eigenschaften des Endprodukts. Spannungs/Dehnungs-Diagramm für monolithische Keramik, Abb. 2.3.30 faserverstärkte Keramik und Stahl (schematisch). Dies kann prinzipiell am unterschiedlichen Spannungs/Dehnungs-Verhalten von Composites im Vergleich zur monolithischen Keramik verdeutlicht werden. Während bei monolithischer Keramik ein sprödes Bruchverhalten mit nahezu linearem Spannungs/Dehnungs-Verlauf bis zum Bruch beobachtet wird, verläuft die Kurve bei den faserverstärkten Keramiken meist nichtlinear (Abb. 2.3.30). - 80 - 2.4. Weibull-Statistik 2.4. Weibull-Statistik Die Streuung der Festigkeit von keramischen Werkstoffen ist wesentlich größer als diejenige von metallischen Werkstoffen. Dies hängt mit der Bruchursache zusammen. Wie in Kapitel 2.3 besprochen, geht der Bruch keramischer Materialien von kleinen, im Werkstoff vorhandenen Fehlern aus. Die Streuung der Festigkeit ist daher auf die Streuung der Fehlergröße (Korngrenze, Poren, Einschlüsse, kleine Risse) zurückzuführen. Dies ist auch die Ursache eines ausgeprägten Einflusses der Bauteilgröße auf die Festigkeit Der Bruch kann sowohl von Oberflächenfehlern als auch von Volumenfehlern ausgehen. Abb. 2.4.1 zeigt die typische Streuung der Festigkeit keramischer Werkstoffe. Histogramm der Festigkeit [10] Abb. 2.4.1 Nach Weibull errechnet sich die Überlebenswahrscheinlichkeit Pü bei einer wirkenden Spannung σ zu ⎡ ⎛σ ⎞m Pü = exp ⎢-V ⎜ c ⎟ ⎢⎣ ⎝ σ 0 ⎠ ⎤ ⎥ ⎥⎦ (2.4.1) mit den Weibull-Parametern m und σ0 und dem Einheitsvolumen V. Zwischen Überlebenswahrscheinlichkeit Pü und Versagenswahrscheinlichkeit F gilt der Zusammenhang Pü = 1 - F. (2.4.2) 2. Mechanisches Verhalten - 81 - Mit dem Einheitvolumen V = 1 ergibt sich ⎡ ⎛σ ⎞m⎤ 1 − F = exp ⎢−⎜ c ⎟ ⎥ ⎢⎣ ⎝ σ 0 ⎠ ⎥⎦ (2.4.3) Gleichung 2.4.3 wird allgemein zur Beschreibung der Verteilung der Festigkeit von keramischen Bauteilen verwendet. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt in einem sog. Weibull-Diagramm. Aus Gl. 2.4.3 folgt durch zweimaliges logarithmieren ln ln 1 = m ln σ c − m ln σ 0 1− F (2.4.4) Dies bedeutet, dass sich bei der Auftragung von ln ln 1/(1-F) über ln σc eine Gerade mit der Steigung m ergibt, deren Lage durch dem Parameter σ0 bestimmt ist. Bei σ = σ0 ist ln ln 1/(1-F) = 0 oder F = 0,632 (Abb.2.4.2). Darstellung der Streuung der Festigkeit von Al2O3 im Weibull-Diagramm [10] Abb. 2.4.2 Bei der graphischen Ermittlung vom m und σ0 werden die gemessenen Bruchfestigkeiten der Größe nach geordnet und von 1 bis n durchnummeriert. Dann werden den einzelnen Festigkeiten Überlebenswahrscheinlichkeiten zugeordnet. Dies geschieht mit der Beziehung - 82 - 2.4. Weibull-Statistik Pü ( k ) = n +1− k n +1 n = Anzahl der Proben (2.4.5) k = k-te Probe Schließlich wird ln ln 1/(1-F) gegen ln σi aufgetragen (Abb. 2.4.2) Anschaulicher ist die doppeltlogarithmische Darstellung der Versagenswahrscheinlichkeit F als Funktion der Bruchspannung (Abb. 2.4.3). Hieraus kann m ebenfalls aus der Steigung der Gerade und σ0 bei F=0,632 ermittelt werden. In Abb. 2.4.3 wurden die Geraden mit den experimentell gemessenen Festigkeitswerten von Si3N4-Ventilwerkstoffen extrapoliert und die notwendige Festigkeit ermittelt, um eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 10-6 zu garantieren. Um sicherzustellen, dass von 1Million Ventilen max. 1 Stück versagt, dürfen die maximalen Spannungen in den Bauteilen 460 MPa (bei HCT 90) bzw. 670 MPa (bei HOE 120) nicht übersteigen. Versagenswahrscheinlichkeit von Si3N4-Ventilwerkstoffen (m >> 1 bedeutet sehr geringe Streuung, m klein bedeutet große Streuung.) Abb. 2.4.3 2. Mechanisches Verhalten - 83 - 2.4.1 Größeneinfluss Für eine vorgegebene Versagenswahrscheinlichkeit verhalten sich die Festigkeiten zweier Komponenten mit den Volumina V1 und V2 wie σ 1 ⎛ V2 ⎞ =⎜ ⎟ σ 2 ⎝ V1 ⎠ 1/ m (2.4.6) Abb. 2.4.4 zeigt diesen Einfluss im Weibull-Diagramm. Einfluss des Volumens auf die Verteilung der Festigkeit [10] Abb. 2.4.4 Die Wahrscheinlichkeit, dass im Bereich der maximalen Belastung ein bruchauslösender Fehler auftritt, nimmt mit zunehmender Bauteilgröße zu, die Festigkeit nimmt daher ab. Diesem Phänomen ist nur mit extrem sorgfältiger Kontrolle aller Herstellungsbedingungen zu begegnen. 2.4.2 Streuung der Lebensdauer Der Zusammenhang zwischen der Lebensdauer eines Bauteils und den Kenngrößen des unterkritischen Risswachstums lässt sich bei zeitlich konstanter Spannung herleiten nach Gleichung tB = Bσ c n − 2 σn (2.4.7) - 84 - 2.4. Weibull-Statistik mit B = 2 ( n − 2) A Y 2 K Ic n −2 (2.4.8) (siehe Kap. 2.3.5) σ war dabei eine charakteristische Spannung im Bauteil und σc die inerte Festigkeit des Bauteils. Die Lebensdauer verschiedener identisch belasteter Bauteile streut, da die Ausgangsfehlergröße, welche die Lebensdauer bestimmt, ebenfalls streut. Die Streuung der Lebensdauer lässt sich aus der Streuung der inerten Festigkeit herleiten. Wie in Abb. 2.4.5 schematisch gezeigt wird, hängen die Verteilungsdichten der Lebensdauer und der Verteilungsdichte des maximalen Fehlers zusammen. Zusammenhang zwischen Verteilungsdichte von Festigkeit und Lebensdauer [10] Abb. 2.4.5 Für die Verteilungsfunktion der Lebensdauer gilt eine Weibull-Verteilung mit den Parametern t0 und m* ⎡ ⎛ t ⎞ m∗ ⎤ F( t B ) = 1 − exp ⎢−⎜ B ⎟ ⎥ ⎢ ⎝ t0 ⎠ ⎥ ⎣ ⎦ (2.4.9) m n−2 (2.4.10) mit m* = 2. Mechanisches Verhalten - 85 - n− 2 und t 0 = Bσ 0 σn (2.4.11) . Für verschiedene Spannungen ergeben sich in einem Weibull-Diagramm, in dem ⎛ 1 ⎞ ln ln ⎜ ⎟ gegen ln tB aufgetragen ist, Geraden mit der Steigung m*. Diese Steigung ist ⎝ 1- F ⎠ nach Gl. (2.4.10) vom Weilbull-Parameter der Festigkeit und vom Risswachstumsexponenten n abhängig. Die Lage der Weibull-Gerade hängt nach Gl. (2.4.11) von der Spannung σ, dem Weibull-Parameter σ0, vom Exponenten n der Rissgeschwindigkeitsbeziehung sowie von der Größe B ab. In Abb. 2.4.6 ist die Lebensdauer von Al2O3 für verschiedene Biegespannungen im WeibullDiagramm dargestellt. Darstellung der Lebensdauer von Al2O3 im Weibull-Diagramm [10] Abb. 2.4.6 Mit zunehmender Belastung der Proben nimmt die Lebensdauer erwartungsgemäß ab. Ausfallwahrscheinlichkeiten und Lebensdauervorhersagen sind wichtige Kriterien für mechanisch belastete keramische Konstruktionsbauteile. Weil Konstrukteure im Umgang mit Keramiken noch sehr wenig Erfahrung besitzen und bislang nur geringe praktische Überprüfungsmöglichkeiten des vorhergesagten Bauteilverhaltens vorliegen, haben sich keramische Konstruktionswerkstoffe nur in Ausnahmefällen in der Anwendung durchgesetzt. Meist sind es zusätzliche Eigenschaften wie z.B. thermische oder chemische Beständigkeit im Vergleich zu Metallen, die den Einsatz von Keramik notwendig machen. - 86 - 2.5. Hochtemperaturplastizität 2.5. Hochtemperaturplastizität Das Werkstoffverhalten unter mechanischer Beanspruchung bei hoher Temperatur ist Gegenstand dieses Kapitels. Die Beanspruchung kann entweder bei vorgegebener Spannung σ erfolgen, wobei eine zeitabhängige Dehnung der Probe beobachtet wird, oder durch das Erzwingen einer bestimmten Verformungsgeschwindigkeit dε / dt = ε& , wozu eine zeitabhängige Spannung σ erforderlich ist. In beiden Fällen spielen die Temperatur und die jeweilige Struktur des Werkstoffs eine maßgebliche Rolle. Die plastische Verformung eines Werkstoffs wird häufig gemessen, indem man die Belastung einer Probe mit konstanter Geschwindigkeit erhöht und die dazugehörige Verformung misst. Die Ergebnisse dieser Versuche führen zu einer Spannungs-Dehnungs-Kurve (Abb. 2.5.1). Diese Kurve kann beschrieben werden mit dem E-Modul E, der Streckgrenze Y und der Bruchspannung S. Der E-Modul ist das Verhältnis von Spannung zu Dehnung im linearelastischen Bereich. Die Streckgrenze ist diejenige Spannung, die zu einer Dehnung von beispielsweise 0,05% führt (Abb. 2.5.1). Spannungs-Dehnungskurve für KBr- und MgO-Kristalle im Biegeversuch bei 25 °C [8] Abb. 2.5.1 2. Mechanisches Verhalten - 87 - Die starke Temperaturabhängigkeit der Verformungsgeschwindigkeit bei konstanter Spannung, die insbesondere für feuerfeste Werkstoffe von Bedeutung ist, hat zum Druckerweichungsversuch geführt. Bei diesen Untersuchungen wird bei einer konstanten Last die Temperatur der Probe mit konstanter Geschwindigkeit erhöht. Die resultierende Verformung setzt sich aus thermischer Ausdehnung und Kriechprozessen zusammen (Abb. 2.5.2). Verformung einer MgO-Probe bei konstanter Last (0,2N/mm²) und steigender Temperatur [8] Abb. 2.5.2 Derartige Untersuchungen lassen zwar keinen Schluss auf den Verformungsmechanismus zu, geben aber gute Anhaltspunkte für die praktische Anwendung feuerfester Materialien. Beim Druckerweichen handelt es sich um eine Art Kompressionsversuch, bei dem eine konstante Nennspannung von 0,2 N/mm2 auf die kalte Probe aufgebracht wird. Die zylindrische Probe ist wegen des oft heterogenen Gefüges keramischer Stoffe relativ groß. Sie hat nach DIN51053 einen Durchmesser von 50 mm bei einer Höhe von ebenfalls 50 mm. Eine zentrale Bohrung nimmt den Dehnungsfühler auf. Bei der beschriebenen konstanten Belastung wird linear mit 5 K/min aufgeheizt, wobei die Änderung der Probenlänge l kontinuierlich gemessen wird. l/l0 wird als Höhenänderungs-Temperaturkurve über der Temperatur aufgetragen. Wie bereits erwähnt, überlagert sich die thermische Dehnung des Werkstoffs mit der Verkürzung durch plastische Verformung, die wegen der starken Temperaturabhängigkeit der Kriechrate allerdings erst bei hoher Temperatur einsetzt. Als Kenngrößen werden die Temperaturen T0,5 und T1 ermittelt, welche 0,5 bzw. 1% Verkürzung der Probe - gemessen vom Maximum der Kurve - entsprechen. - 88 - 2.5. Hochtemperaturplastizität Der charakteristische Verlauf von ε(T) lässt sich durch Gleichung 2.5.1 beschreiben. T ε( T) = α( T − T ) − ( A / B) ∫ exp( − Q / RT) dT , 0 T 0 (2.5.1) wobei α der Ausdehnungskoeffizient ist, A und B Konstanten darstellen und Q die Aktivierungsenergie der Kriechverformung ist. Die Gesamtdehnung errechnet sich also aus der Summe des Ausdehnungskoeffizienten des Werkstoffes und der temperatur- und spannungsabhängigen Kriechverformung. In den folgenden Abschnitten werden zunächst die Grundeigenschaften des Kriechprozesses und danach die mikrostrukturellen Verformungsmechanismen diskutiert. 2.5.1 Grundeigenschaften des Kriechprozesses Das Kriechverhalten keramischer Werkstoffe beschreibt Ilschner nach folgenden Gesichtspunkten: 1. Die Kriechkurve ε(t), Abb. 2.5.3, beschreibt die Dehnung als Funktion der Zeit bei konstanter Temperatur und Belastung. Grundform der Kriechkurve ε(t) [11] Abb. 2.5.3 2. Mechanisches Verhalten 2. - 89 - Die Kriechkurve lässt sich in der Regel in drei Bereiche gliedern: primäres oder Übergangskriechen (engl.: transient creep) - sekundäres oder stationäres Kriechen (engl. steady-state creep) - tertiäres Kriechen (engl.: ternary creep). Vor dem Einsetzen der zeitabhängigen Dehnung wird eine Anfangsdehnung ε0 (engl.: instantaneous strain) festgestellt. 3. Bei Belastung setzt im Regelfall der Kriechvorgang mit großer Geschwindigkeit ein; die Geschwindigkeit nimmt im Übergangsbereich ab, erreicht im stationären Bereich einen konstant bleibenden Minimalwert ε& = ε& min und steigt im tertiären Bereich abermals an, bis der Bruch eintritt. 4. Die Temperaturabhängigkeit von ε& kann innerhalb nicht zu großer σ-Bereiche durch eine Exponentialfunktion (ARRHENIUS- Funktion) angenähert beschrieben werden: ε& s = A (S, σ) exp( − Q c / RT) , (2.5.2) wobei die Konstante A von einem Strukturparameter S, der Gefügeeinflüsse berücksichtigt, und der Spannung σ abhängig ist. 5. Die Spannungsabhängigkeit von ε& s kann innerhalb nicht zu großer σ-Bereiche durch eine Potenzfunktion angenähert beschrieben werden: ε& s = B (S, T) σ n , (2.5.3) wobei die Konstante B von dem Strukturparameter S und der Temperatur T abhängig ist. Für einfach aufgebaute Werkstoffe ist der Spannungsexponent häufig n = 4. Bei höheren Spannungen nimmt n zu, so dass sich anstelle von Gleichung (2.5.3) eine angenähert exponentielle Spannungsabhängigkeit ergibt. Mit zunehmender Spannung bzw. Temperatur nimmt die Kriechgeschwindigkeit zu (Abb. 2.5.4). 6. Bei Beanspruchung durch eine vorgegebene Verformungsgeschwindigkeit ε& ist der Spannungsverlauf durch die Spannungs-Dehnungs-Kurve σ( ε ) gegeben. Deren Form und Wertebereich hängt wiederum von T und von ε& ab. Für vergleichbare Dehnungen - 90 - 2.5. Hochtemperaturplastizität gilt dabei oft σ = Cε& m (2.5.4) mit typischen Werten für m von 0,1 bis 0,3. Die Konstante C ist wiederum vom Strukturparameter S und der Temperatur abhängig. Einfluss von Temperatur und Spannung auf die Kriechkurve [8] 7. Abb. 2.5.4 Der Strukturparameter S umfasst Angaben über Korngröße und Kornform, Volumenanteil, Dispersionsgrad, Form, Größe, Textur und Anordnung der verschiedenen Phasen, ggf. von Poren, über Lage und Winkelunterschied von Zellgrenzen, Zahl, Dichte und Form isolierter Versetzungen sowie die Konzentration von Punktfehlstellen. 2.5.2 Messgrößen und Messverfahren Als vergleichbarer Messwert wird im Kriechversuch die relative Dehnung gemessen. Am einfachsten ist die Normierung mit der Ausgangslänge l0 der Messstrecke ε 0 (t) = l − l0 . l0 Die Dehnungsgeschwindigkeit berechnet sich zu (2.5.5) 2. Mechanisches Verhalten - 91 - dε 0 1 dl = ε&0 = . dt l 0 dt (2.5.6) Dehnungsgeschwindigkeiten werden bei Kriech- und Warmverformungsversuchen meist in der Maßeinheit s-1 angegeben. Für Zeitstandsversuche ist die kleinere Einheit %/h=2,78.10-6s-1 üblich. Zur Bestimmung der Kriechgeschwindigkeit ist bei metallischen Werkstoffen neben dem Zugversuch der Stauchversuch und der Torsionsversuch üblich. Keramische Werkstoffe zeigen sehr viel geringere Verformungen als metallische Materialien. Aus diesem Grunde und wegen der einfacheren Probenform (einfache Bearbeitung) werden keramische Werkstoffe häufig im Vierpunkt-Biegeversuch charakterisiert. Bei sehr kleinen Verformungsraten und flachen Proben zeigt sich hier eine wesentlich höhere Messempfindlichkeit. Man unterscheidet zwischen dem Dreischneiden- und dem Vierschneiden-Versuch, je nachdem, ob die Last als Einzellast zwischen den Stützen der frei aufliegenden Probe oder durch zwei Schneiden symmetrisch zur Probenmitte aufgebracht wird. Im VierpunktBiegeversuch (Abb. 2.5.5 und 2.5.6) ergibt sich zwischen den beiden mittleren Schneiden ein konstantes Biegemoment, nahezu kreisbogenartige Verformungen und gleichartige Beanspruchung aller Gefügequerschnitte im Bereich des maximalen Biegemoments. Schema der Versuchsanordnung und Erläuterung der Messgrößen im Vierschneiden-Biegeversuch [11] Abb. 2.5.5 - 92 - 2.5. Hochtemperaturplastizität Versuchsanordnung und Messgrößen im 4-Punkt-Biegekriechversuch (schematisch) [11] Abb. 2.5.6 Der Biegeradius r des Mittelstückes der Probe mit dem Schneidenabstand lp ist gegeben durch 2 2 lp fp lp r= . + ≈ 8fp 2 8fp (2.5.7) Dabei wird fp üblicherweise als Durchbiegung des Mittelteiles bezeichnet. Die Näherung gilt für Durchbiegungen, die relativ zum Abstand lp der mittleren Schneiden klein sind (fp < lp/2). Eine Beziehung zu der im Zugversuch verwendeten Messgröße Dehnung ε0 lässt sich herstellen, wenn man annimmt, dass trotz der Quetscheffekte infolge des hohen Auflagedruckes der Schneiden die Mittelebene der Probe als „neutrale Faser“ keine Dehnung erleidet. Dann gilt wegen Gl. 2.5.7 für die Zugfaser Δl Δr 8 f p = = 2 ⋅ Δr; l0 r lp (2.5.8) setzt man für Δ r die halbe Probendicke, also h/2, so folgt ε0 = 4h f p. 2 lp (2.5.9) In der Regel wird fp nicht direkt ermittelt; vielmehr liefert die Maschine die gesamte Durchbiegung fs zwischen den Stützen,(vgl. Abb. 2.5.5). fp lässt sich jedoch aus dem Verhältnis von ls und lp ableiten, wenn fs gemessen ist. Ist z.B. lp = ls/3 wie in Abb. 2.5.6, so ist fp = 0,13 fs. 2. Mechanisches Verhalten - 93 - 2.5.3 Der Kriech-(Zeitstand-)Versuch Beim Kriechversuch wird die Probe bei konstanter Temperatur einer gleichbleibenden Beanspruchung unterworfen, und zwar im Sinne von Zug, Druck, Biegung oder Verdrehung. Die resultierende Formänderung - Dehnung, Stauchung usw. - wird in der Regel als Funktion der Zeit t kontinuierlich oder aber nach bestimmten Beanspruchungsintervallen t1, t2, t3, ... gemessen. Eine erhebliche Verringerung des Aufwandes stellt es dar, wenn man sich darauf beschränkt, die Zeit tB bis zum Bruch der Probe (Zug- oder Biegebeanspruchung) sowie die bis dahin erzielte Formänderung εB zu messen. Auswertung des Kriechversuches [11] Abb. 2.5.7 Die Kriechkurve ε(t) stellt die Basisinformation dieses Versuchstyps dar. Von hier aus erfolgt in der Praxis ein Prozess der numerischen oder graphischen Auswertung, der in Abb. 2.5.7 - 94 - 2.5. Hochtemperaturplastizität dargestellt ist. Dieser Weg gabelt sich in zwei Äste. Der eine - a, b, c - entspricht dem in der technischen Werkstoffprüfung üblichen Zeitversuch. Er führt auf Grenzwerte der Belastung, welche innerhalb einer vorgegebenen Zeitdauer gerade noch nicht zum Bruch bzw. zu einer vorgeschriebenen maximal zulässigen Dehnung bzw. Biegung usw. - führen. Im Falle der technischen Werkstoffprüfung wird aus den Messdaten a, die aus Kriechversuchen bei verschiedener Nominalspannung gewonnen wurden, nur eine Teilmenge entnommen, nämlich diejenigen Zeiten tB oder tε, zu denen bei gegebener Belastung entweder der Bruch eintritt oder eine vorgegebene Maximaldehnung erreicht ist. Durch Interpolation zwischen diesen Wertetripeln ( σ, ε, t) entsteht unter Verzicht auf einen erheblichen Teil der in a enthaltenen Information das Zeitstandschaubild b. Dass die darin enthaltenen Zeitbruchlinien (σ, tB) bzw. Dehngrenzlinien (σ, tε) bei der üblichen doppelt-logarithmischen Auftragung die Form von Geraden annehmen, soll hier zunächst als empirischer Befund hingenommen werden. In einem zweiten Schritt wird nun das Zeitstandschaubild, wie Abb. 2.5.7 andeutet, auf einzelne Werkstoffkennwerte reduziert, insbesondere auf die Zeitstandfestigkeit σB/t und auf die Zeitkriechgrenze σε/t. Der andere Weg - a, d, e, f - entspricht mehr dem wissenschaftlichen Interesse an einem Verständnis der Grundlagen derjenigen Vorgänge, welche das Fließen oder Kriechen der Festkörper bei hohen Temperaturen ermöglichen. Er führt auf andere Kennwerte, die solchen Funktionen der Zeit, der Spannung und der Temperatur zugeordnet sind, welche einer theoretischen Deutung fähig erscheinen. In der wissenschaftlichen Analyse des Kriechversuchs wird in neuerer Zeit das Basisdatenmaterial a zunächst durch Differenziation nach der Zeit in das Kriechdiagramm d überführt. Dieses stellt die Kriechgeschwindigkeit ε& logarithmisch als Funktion der Dehnung ε w (εw = wahre Dehnung, berücksichtigt die Querschnittsveränderung bei metallischer Werkstoffe) dar. Dadurch wird ein fundamentalerer Zusammenhang zweier Größen herausgestellt, als es die anwendungstechnisch wichtigere Funktion ε ( t ) ist. Ferner lassen sich in einem solchen ε& (ε ) -Diagramm primäre, sekundäre und tertiäre Kriechbereiche, vgl. Abb. 2.5.3, sowie Überlagerung von Rekristallisationsprozessen besser voneinander trennen. Eine „Informationsverdichtung“ führt nun von d zu e: Auftragung der zu einem bestimmten Wert von ε oder zu einem bestimmten Stadium der Kriechkurve a - z.B. dem stationären Bereich - gehörenden Kriechgeschwindigkeiten ε& über dem Parameterwert σ . Dass auch hier 2. Mechanisches Verhalten - 95 - wie bei b doppeltlogarithmische Auftragung zu einer angenähert linearen Darstellung führt, soll wiederum als empirischer Befund vorgemerkt werden. Ein weiterer Schritt führt von der Kurve e zu einem Kennwert, dem Spannungsexponenten n. Ganz analog würde die Auswertung einer Schar von Kriechkurven, die bei gleicher Spannung, aber verschiedener Temperatur gewonnen wurden, verlaufen. In der zu d entsprechenden Stufe wäre log ε& über 1/T - statt über log σ - aufzutragen. Als Kennwert würde sich analog zu n die Aktivierungsenergie Q ergeben. 2.5.4 Verlauf der Kriechkurve Anfangsdehnung Ein Kriechversuch findet zwar bei konstanter Spannung σ statt, jedoch wird der Soll-Wert σ wegen der Trägheit des Systems nicht momentan, sondern innerhalb eines endlichen Zeitintervalls Δt aufgebracht. Δt ist relativ zur Dauer des Kriechversuchs sehr klein. Am Ende von Δt - unmittelbar nach Lastaufgabe - wird eine Anfangsdehnung ε0 gemessen. Da die Spannung σ von der gesamten Probe getragen wird, enthält ε0 einen elastischen (reversiblen) Anteil von der Größenordnung σ/E und ferner einen plastischen Anteil, wie er sich auch bei einem Verformungsversuch mit der vorgegebenen Geschwindigkeit ε& ≈ ε 0 / Δt eingestellt hätte. ε0 ist experimentell schwer festzulegen, zumal dann, wenn die Kriechgeschwindigkeit im anschließenden Übergangsbereich mit ε0/Δt vergleichbar ist. Es bleibt dann nur die Möglichkeit, die innerhalb von 1 bis 2 s nach Lastaufgabe gemessene Dehnung als ε0 auszuwerten, wobei erhebliche Streuungen auftreten können. ε0 hängt naturgemäß auch vom Probenzustand unmittelbar vor der Lastaufgabe und vom Verlauf von σ(t) zwischen t = 0 und Δt ab. Vom atomistischen Standpunkt aus kann ε0 als diejenige Dehnung verstanden werden, welche durch die Summe von elastischer Verzerrung, sowie athermischen und thermisch aktivierten Versetzungsbewegungen unter Einschluss von Gleit- und Schneidprozessen innerhalb der Lastaufgabezeit Δt bewirkt wird. Die thermisch aktivierten Prozesse sind naturgemäß zeitabhängig. Dies führt nicht nur zur Geschwindigkeitsabhängigkeit von ε0, - 96 - 2.5. Hochtemperaturplastizität sondern auch dazu, dass diese Prozesse für t > Δt weiterlaufen: Die Anfangsdehnung setzt sich im Übergangskriechen fort. Übergangskriechen Ein „klassischer“ Ansatz zur empirischen Beschreibung des Verlaufs der Kriechkurve zwischen ε0 und ε1 (Abb. 2.5.3) geht auf Andrade zurück (sog. „β-flow“) l( t ) = l 0 (1 + ß ⋅ t ) exp( k ⋅ t ) 1/3 l(t) = Länge zur Zeit t l0 = Ausgangslänge (2.5.10) ß und x = Konstanten t = Zeit Der Exponentialterm sollte das Aufsteigen der Kriechkurve im sekundären und tertiären Bereich erfassen. Nachdem später der Begriff des stationären Kriechens entwickelt war, formten Cottrell und Ayetekin obigen t1/3-Ansatz so um, daß er eine zeitproportionale Dehnung enthält: ε( t ) = ε 0 + ß ′ ⋅ t 1/ 3 + ε& s ⋅ t. (2.5.11) Der 2. Term erlaubt in der Tat eine gute Beschreibung von Messergebnissen im Übergangsbereich, z.B. an Cu, an Ni-Co-Legierungen, und an niedrig legierten ferritischen Stählen (Abb.2.5.8). Proportionalität der Kriechdehnung εc von gesintertem Siliciumnitrid bei 1250 °C im Übergangsbereich entsprechen εc~tm mit m = 0,7 [10] Abb. 2.5.8 2. Mechanisches Verhalten - 97 - Stationäres Kriechen Kriechverformung mit konstanter Geschwindigkeit ε& s ist über einen längeren Dehnbereich nur bei konstanter Spannung zu erwarten. Bei Kriechversuchen mit konstanter Last ist insbesondere bei metallischen Werkstoffen wegen der laufenden Querschnittsveränderungen keine konstante Kriechgeschwindigkeit zu erwarten. Wegen der geringen Verformungsraten keramischer Werkstoffe stellt sich dort dieses Problem in der Regel nicht. In vielen Fällen stellt sich kein wirkliches stationäres Kriechen ein, weil bei den hohen Untersuchungstemperaturen Gefügeveränderungen wie z.B. Oxidation, Glasphasenbildung oder Kristallumwandlungen auftreten. Bei metallischen Werkstoffen kann es darüber hinaus zur Bildung stabiler Substrukturen durch Ausscheidungspartikel oder Versetzungsaufspaltungen kommen. Abb. 2.5.9 zeigt am Beispiel einer Ni-Cr-Legierung mit steigender Spannung die Zunahme der Kriechgeschwindigkeit. Gleiches gilt übrigens für zunehmende Temperatur, wie später noch gezeigt wird. Schwach ausgeprägter stationärer Kriechbereich von SRBSN bei σ = 160 MPa und verschiedenen Temperaturen [10] Abb. 2.5.9 - 98 - 2.5. Hochtemperaturplastizität Tertiärer Kriechbereich Der Übergang vom sekundären in den tertiären Kriechbereich läuft ebenso kontinuierlich wie der vom primären in den sekundären Bereich. Der tertiäre Kriechbereich leitet den Kriechbruch ein. Das Ende des Tertiärbereiches - der Bruch - wird durch εB und tB gekennzeichnet (Abb. 2.5.3). Zahlreiche Messungen haben gezeigt, dass tB und ε& s durch die einfache Beziehung t B = c / ε& s (2.5.12) verknüpft sind, wobei in der Konstante c u. a. Strukturparameter des Werkstoffs vereinigt sind. Diese empirische Beziehung findet sich u.a. bestätigt an Kupfer, austenitischem Stahl, Nickel- und Nickelchromlegierungen und an α-Eisen (Abb. 2.5.10). Diese Abbildung zeigt, dass alle Kriechkurven eines Werkstoffs untereinander ähnlich sind. Proportionalität zwischen der Zeit tf bis zum Bruch und dem Kehrwert Abb. 2.5.10 der stationären Kriechgeschwindigkeit von Al2O3 mit 4% Glasphase [10] 2.5.5 Einflussgrößen auf die stationäre Kriechgeschwindigkeit Spannung Die Spannungsabhängigkeit der Kriechgeschwindigkeit wird am häufigsten mit der Potenzfunktion ε& s ( σ ) = B1 σ n . (2.5.13) beschrieben. In der Konstante B sind wiederum Strukturparameter des Werkstoffs enthalten. 2. Mechanisches Verhalten - 99 - Für den Spannungsexponenten n ergeben sich insbesondere für metallische Werkstoffe häufig Werte zwischen 3 und 5, keramische Werkstoffe zeigen häufig einen Spannungsexponenten n zwischen 1 und 2. (Abb. 2.5.11) Wie später noch gezeigt wird, sind hierfür Diffusionsvorgänge bzw. Korngrenzengleitvorgänge verantwortlich. Spannungsabhängigkeit von ε& nach dem Potenzgesetz Abb. 2.5.11 für verschiedene HIP-Si3N4 Werkstoffe Temperatur Experimentell ergibt sich für die stationäre Kriechgeschwindigkeit nicht zu großer Temperaturbereiche häufig eine Arrheniusfunktion - 100 - 2.5. Hochtemperaturplastizität ε& s = f 1 ( σ, S) exp( −Q c / RT) (2.5.14) mit einer konstanten (scheinbaren) Aktivierungsenergie Qc. Aus der Auftragung von log ε& s über 1/T lässt sich aus der Steigung dieser Geraden die Aktivierungsenergie der Reaktion ermitteln (Abb. 2.5.12). Arrhenius-Darstellung verschiedener HPSN-Werkstoffe bei 70,5 MN/m2 [14] Abb. 2.5.12 Statio näre Kriec hgesc hwind igkeit Diese Funktion ähnelt sehr dem funktionalen Verhalten des Diffusionskoeffizienten und es liegt schon hier nahe, die Qc-Werte mit Selbstdiffusionskoeffizienten zu korrelieren. Auf diese Zusammenhänge wird an anderer Stelle noch einmal eingegangen (siehe Kap. 2.5.6). 2. Mechanisches Verhalten - 101 - 2.5.6 Kriechmechanismen Die Verformung keramischer Werkstoffe bei hohen Temperaturen wird durch Versetzungsbewegungen sowie Diffusions- und Korngrenzengleitvorgänge bestimmt. Um die Entstehung von Verformungsdiagrammen und Gefügeeinflüsse auf das Verformungsverhalten verstehen zu können, werden die atomistischen Zusammenhänge im folgenden kurz beschrieben. Versetzungen Die plastische Verformung in Kristallen findet statt durch die Bewegung von Versetzungen in den Kristallstrukturen. Neben den Punktdefekten existieren in realen Kristallen Liniendefekte, die Versetzungen genannt werden. Wird ein Kristall mechanisch belastet, findet die Verformung statt durch relative Scherung von zwei Teilen dieses Kristalls entlang einer Gleitebene, die parallel zu einer Gitterebene verläuft. Reine (a) Stufen- und (b) Schraubenversetzung bei plastischer Deformation [8] Abb. 2.5.13 Die Grenze zwischen den verschobenen und unverschobenen Teilen des Kristalls wird Versetzungslinie genannt. Die Versetzungslinie kann senkrecht zur Gleitrichtung verlaufen (Stufenversetzung) oder parallel zur Gleitebene (Schraubenversetzung) (Abb. 2.5.13). Die Struktur einer Stufenversetzung ist gleichzusetzen mit der Einführung einer zusätzlichen Ebene von Atomen in den Kristall. Dies wird in Abb. 2.5.14 am Beispiel von Seifenblasen deutlich gemacht. - 102 - 2.5. Hochtemperaturplastizität Versetzungen in einem Netzwerk von Seifenblasen [8] Abb. 2.5.14 Charakteristisch für die Versetzung ist der Burgers-Vektor b, der die Einheit des Gleitabstandes für die Versetzung darstellt und immer parallel zur Gleitebene verläuft (Abb. 2.5.15). Kombination von Stufen- und Schraubenversetzung mit Burgers-Vektoren [8] Abb. 2.5.15 Er wird bestimmt, indem man beim Punkt A startet und eine bestimmte Anzahl von Gitterabständen in eine Richtung zählt. Eine weitere Anzahl von Gitterabständen wird nun in eine Richtung senkrecht dazu gezählt usw. bis der komplette Kreis geschlossen ist. Der Endpunkt liegt in einem bestimmten Abstand von A, dem sogenannten Burgers-Vektor. Bei einer Stufenversetzung verläuft der Burgers-Vektor immer senkrecht zur Versetzungslinie, bei einer Schraubenversetzung parallel zur Versetzungslinie. Im allgemeinen sind Versetzungen nicht auf diese beiden Typen beschränkt, meistens kommen sie in Kombination vor (gemischte Versetzungen). Um Versetzungen zu erzeugen, sind sehr große Spannungen 2. Mechanisches Verhalten - 103 - notwendig. Sie entstehen in der Regel bei der Kristallisation, Kühlprozessen oder bei der Bearbeitung als thermische und mechanische Spannungen, durch Ausscheidungen und durch Entstehung von Sekundärphasen. Versetzungen mit kleinen Burgers Vektoren benötigen geringe Energien zu ihrer Bildung. Dies wird deutlich am Vergleich von Versetzungen in Metallen und ionisch gebundenen Werkstoffen (Abb. 2.5.16). Schematische Darstellung einer Stufenversetzung in einem Metall und in NaCl [8] Abb. 2.5.16 Um die Regelmäßigkeit von Ionen oberhalb und unterhalb der Gleitebene zu erhalten, müssen z.B. in Na-Cl-Kristallen zwei Halbebenen von Atomen bewegt werden, in einem Metallkristall nur eine. Um Versetzungen in Ionenkristallen zu erzeugen, sind daher wesentlich höhere Spannungen notwendig als in Metallen. Abb. 2.5.17 zeigt die schematische Darstellung von makroskopischen und mikroskopischen Gleiten und Zwillingsbildung. - 104 - 2.5. Hochtemperaturplastizität Schematische Darstellung von makroskopischem (a) und Abb. 2.5.17 mikroskopischem (b) Gleiten und Zwillingsbildung [8] Die erforderliche Spannung für plastische Deformation von Einkristallen ist die notwendige Schubspannung in Gleitrichtung auf der Gleifläche (Abb. 2.5.18). Bestimmung der kritischen Schubspannung [8] Abb. 2.5.18 2. Mechanisches Verhalten - 105 - Wenn die Normale zur Gleitebene einen Winkel von φ zur angelegten Spannung aufweist, dann ist die Spannung in dieser Ebene (F/A)·cos φ. Wenn die Gleitrichtung in einen Winkel von ψ zur Belastungsrichtung verläuft, beträgt die kritische Scherspannung τ krit = F cos φ cos ψ A (2.5.15) Im allgemeinen sind die Unterschiede zwischen den kritischen Scherspannungen für verschiedene Gleitsysteme sehr groß. In Natrium-Chlorid-Strukturen ist das Gleiten auf {110}-Ebenen und in [110] − Richtungen schon bei niedrigen Temperaturen möglich (Abb. 2.5.19). Gleitmöglichkeiten in Kristallen mit NaCl-Struktur [8] Abb. 2.5.19 Derartige Verschiebungen führen zu Verformungsmarkierungen auf der Oberfläche der deformierten Kristalle (Abb. 2.5.20). Verformungsmarkierungen auf der Oberfläche von verformten MgO-Kristallen [8] Abb. 2.5.20 - 106 - 2.5. Hochtemperaturplastizität Begrenzungen in den Gleitsystemen und Gleitrichtungen resultieren sowohl aus geometrischen als auch aus elektrostatischen Betrachtungen. Dort wo Versetzungen an die Oberfläche treten, können sie mit Ätztechniken sichtbar gemacht werden (Abb. 2.5.21). Ätzgruben von Versetzungen in LiF Kristallen [8] Abb. 2.5.21 Einmal entstandene Versetzungen bewegen sich unter Belastung in sogenannte Gleitbänder, die viele Versetzungen enthalten, wie in Abb. 2.5.22 dargestellt ist. Versetzungen an der Oberfläche von LiF Kristallen [8] Abb. 2.5.22 Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Kristall bei Belastung plastisch verformt, hängt davon ab, wie viele Versetzungen sich bewegen und wie hoch ihre Geschwindigkeit ist. 2. Mechanisches Verhalten - 107 - In realen Kristallen findet die plastische Deformation nicht nur durch das Gleiten von Versetzungen statt. Eine Vielzahl von Hindernissen müssen von Versetzungen umgangen werden, um den Gleitmechanismus in Bewegung zu setzen bzw. in Bewegung zu halten. Größere Hindernisse, wie Ausscheidungen, können nur schwer überwunden werden, kleinere Kristallfehler, wie z.B. Punktdefekte, können insbesondere durch thermische Aktivierung umgangen werden. Versetzungsklettern Versetzungsklettern ist die Bewegung von Versetzungen aus ihren Gleitebenen heraus; es erfordert die Diffusion von Atomen oberhalb der Versetzungslinie (Abb. 2.5.23). Versetzungsklettern beim Überwinden eines Hindernisses [8] Abb. 2.5.23 Dies entspricht einer Bewegung der Versetzung in eine angrenzende Ebene entsprechend der Volumendiffusion von Leerstellen. Dieser Kletterprozess hängt also ab von der Diffusion von Gitterleerstellen, und die Deformationsgeschwindigkeit wird durch Diffusion kontrolliert. Die stationäre Kriechgeschwindigkeit für kleine Spannungen ist gegeben durch π 2 Dσ 4.5 ε& ≈ 0.5 3.5 0.5 b G N kT (2.5.16) wobei D der Diffusionskoeffizient der Spezies ist, G der Schubmodul, b der Burgers-Vektor und N ist die Dichte der Versetzungen. - 108 - 2.5. Hochtemperaturplastizität Diffusionskriechen Bei diesem Prozess erlaubt die Selbstdiffusion innerhalb der Körner eines polykristallen Festkörpers, dass er sich unter einer angelegten Spannung plastisch verformt. Die Deformation resultiert aus dem Diffusionsfluss innerhalb eines Korns weg von jenen Grenzen, an denen Druckspannungen herrschen, hin zu Korngrenzen, an denen Zugspannung vorherrscht (Abb. 2.5.24). Spannungsinduzierte Wanderung an Korngrenzen führt zur Kornverlängerung [8] Abb. 2.5.24 Z.B. erhöht die Zugspannung an der Korngrenze die Leerstellenkonzentration c nach c = c 0 exp(σΩ / kT) , (2.5.17) wobei Ω das Leerstellenvolumen darstellt und c0 die Gleichgewichtskonzentration. Eine Druckspannung reduziert die Konzentration nach c = c 0 exp( −σΩ / kT). (2.5.18) Die resultierende Verformung ist immer begleitet von Korngrenzengleitvorgängen. Unter stationären Bedingungen wird die Kriechgeschwindigkeit nach F.R.N. Nabarro und C. Herring berechnet nach 2. Mechanisches Verhalten - 109 - ε& = 13,3 ΩDσ , kTd 2 (2.5.19) wobei d die Korngröße ist. Die Kriechgeschwindigkeit ist also proportional zur angelegten Spannung, das bedeutet, der Spannungsexponent ist 1. Wenn die geschwindigkeitsbestimmende Diffusion entlang der Korngrenzen erfolgt, hat R.L. Coble die stationäre Kriechgeschwindigkeit berechnet zu ε& = 47 ΩδD b σ , kTd 3 (2.5.20) wobei δ die Korngrenzenbreite und Db der Diffusionskoeffizient in der Korngrenze ist. Auch hier ist die stationäre Kriechgeschwindigkeit linear abhängig von der angelegten Spannung. Korngrenzengleiten Häufig finden sich an Korngrenzen glasig erstarrte Sekundärphasen. Bei höheren Temperaturen können sie wie Flüssigkeiten betrachtet werden. Bei niedrigen Geschwindigkeiten bewegt sich die Flüssigkeit in parallelen Schichten (Abb. 2.5.25). Für einfache Flüssigkeiten ist die Verformungsgeschwindigkeit direkt proportional zur angelegten Schubspannung. Kraft pro Einheitsfläche (τ) und Geschwindigkeitsgradient sind über die Viskosität miteinander verknüpft [8] Abb. 2.5.25 - 110 - 2.5. Hochtemperaturplastizität η= τ , dv / dx dv τ = dx η (2.5.21) Die Viskosität η ist also definiert als das Verhältnis von Schubspannung zu Geschwindigkeitsgradient, τ ist die angelegte Spannung an eine Einheitsfläche A parallel zur Fließrichtung und dv/dx ist der Geschwindigkeitsgradient. Der Viskositätskoeffizient η besitzt die Einheit Schubspannung pro Geschwindigkeitsgradient (g/cm ⋅ sec oder Poise). Die Viskosität variiert in sehr weiten Grenzen. Wasser bei Raumtemperatur und flüssige Metalle haben Werte in der Größenordnung von 0,01 P. Natron-Kalk-SiO2-Gläser haben bei Liquidustemperatur Werte von ∼ 1000 P. Bei Anlegen einer Schubspannung verhält sich also die Dehnung proportional zur angelegten Spannung. Die Kriechgeschwindigkeit jedoch wird begrenzt durch die Änderung der Gestalt der individuellen Körner. Wenn die erforderlichen Akkommodationsprozesse diffusionskontrolliert ablaufen, kann die Kriechgeschwindigkeit ebenfalls nach Gleichung 2.5.19 und 2.5.20 berechnet werden. Umgekehrt sind Korngrenzengleitvorgänge notwendig, wenn der Kriechvorgang diffusionsgesteuert ist. Verformungsdiagramme M. Ashby hat Verformungsdiagramme eingeführt, aus denen die Verformungsmechanismen abgelesen werden können. An den Achsen ist die homologe Temperatur T/Tm aufgetragen, wobei Tm die absolute Schmelztemperatur darstellt und die normalisierte Spannung σ/G mit G als Schubmodul dargestellt ist. Verschiedene stationäre Verformungsmechanismen, die in einem bestimmten Spannungs-Temperaturgebiet dominant sind, sind als Felder dargestellt. Die Diagramme sind mit den Gleichungen 2.5.16, 2.5.19 und 2.5.20 berechnet. 2. Mechanisches Verhalten - 111 - Verformungsdiagramm von MgO [8] Abb. 2.5.26 Wenn z.B. die Dehnungsgeschwindigkeiten für Magnesiumoxid nach Gleichungen 2.5.16 2.5.19 und 2.5.20 berechnet werden, ergeben sich die Grenzen zwischen versetzungs- und diffusionskontrollierten Kriechbereichen (Abb. 2.5.26). Bei keramischen Werkstoffen sind die diffusionsbestimmten Bereiche wesentlich ausgeprägter als bei metallischen Werkstoffen (s. Diskussion über Versetzungskriechen). Gefügeeinflüsse Neben der Temperatur und der Spannung wird die Kriechgeschwindigkeit keramischer Werkstoffe auch durch das Gefüge (Korngröße und Porosität), die chemische Zusammensetzung und die Atmosphäre beeinflusst. So nimmt z.B. die Kriechgeschwindigkeit zu, wenn die Porosität ansteigt. Abb. 2.5.27 zeigt den Einfluss der Porosität auf die Kriechgeschwindigkeit von Aluminiumoxid. Zunehmende Porosität reduziert den Probenquerschnitt, was zu einem Anstieg der Kriechgeschwindigkeit führt. - 112 - 2.5. Hochtemperaturplastizität Einfluss der Porosität auf das Kriechverhalten von polykristallinem Al2O3 [8] Abb. 2.5.27 Das Verhältnis der Kriechgeschwindigkeiten des porösen ( ε& p ) und des dichten Werkstoffes ( ε& d ) lässt sich mit folgender empirischen Beziehung beschreiben: ε& p 2 = 1 + a[ Vv ( P)] , ε& d (2.5.21) wobei Vv(P) Volumenanteil der Porosität ist. Dieser Zusammenhang ist in Abb. 2.5.28 am Beispiel von RBSN graphisch dargestellt. Porositätsabhängigkeit der Kriechgeschwindigkeit von RBSN [12] Abb. 2.5.28 2. Mechanisches Verhalten - 113 - Das Kriechverhalten von Magnesiumoxid mit Eisenverunreinigungen wird bei niedrigen Spannungen durch Diffusionskriechen bestimmt. Dies wird dokumentiert durch den linearen Zusammenhang zwischen der Verformungsgeschwindigkeit und der Spannung und der (d)-2Abhängigkeit von der Korngröße (Abb. 2.5.29). Bei höheren Spannungen nimmt der Spannungsexponent zu, was auf den Mechanismus des Versetzungskriechens hinweist. Kriechgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Korngröße von polykristallinem MgO [8] Abb. 2.5.29 In feuerfesten Werkstoffen finden sich in der Regel größere Mengen an Glasphase im Gefüge. Diese Glasphase kontrolliert häufig den Verformungsmechanismus. Die Verformungsgeschwindigkeit hängt dann linear ab von der Spannung und hat eine Aktivierungsenergie, die ähnlich der Temperaturabhängigkeit der Viskosität des Glases ist. Mit zunehmender Reinheit verändern sich die Verformungsmechanismen. Für hochaluminiumoxidhaltige feuerfeste Werkstoffe wird als Verformungsmechanismus neben Korngrenzengleiten Versetzungskriechen beobachtet. Wenn in den Kristallstrukturen der kovalente Bindungsanteil zunimmt, nehmen die Diffusionskoeffizienten und die Versetzungsmobilität ab. Carbide und Nitride beispielsweise sind aus diesen Gründen äußerst kriechbeständige Materialien. Sekundäre Phasen an den Korngrenzen, die zur Beschleunigung der Sintermechanismen zugegeben werden, erhöhen - 114 - 2.5. Hochtemperaturplastizität allerdings die Kriechgeschwindigkeit bei hohen Temperaturen. Kriechdehnung als Funktion der Zeit für verschiedene HIP-Si3N4 Werkstoffe Abb. 2.5.30 So nimmt z.B. die Kriechgeschwindigkeit in dichtem Si3N4 mit zunehmendem Glasphasenanteil im Gefüge (hervorgerufen durch zunehmenden Anteil an Sinteradditiven MgO oder Y2O3) bzw. mit abnehmender Viskosität der gebildeten Korngrenzenphase (Ersatz von Y2O3 durch MgO) zu (Abb.2.5.30). 3. Thermische Eigenschaften - 115 - 3. Thermische Eigenschaften 3.1. Spezifische Wärme Die spezifische Wärme ist in der Technik diejenige Wärmemenge, die notwendig ist, um 1 kg eines Stoffes um 1K zu erwärmen. Bei Gasen wird die spezifische Wärme meistens auf einen Normkubikmeter bezogen, d.h. auf 1 m3 des Gases bei 0°C und 760 Torr. Ihre Einheit ist kJ/m3·K. In der Chemie wird die spezifische Wärme oft auf das kmol bezogen (= Molwärme). Ihre Einheit ist dann kJ/kmol·K. Bei Elementen spricht man von der Atomwärme bezogen auf ein Kilogrammatom, also kJ/kg-Atom·K. Spezifische Wärmen sind immer temperaturabhängig. Für Gase sind sie außerdem noch druckabhängig. Bei festen Stoffen beobachtet man praktisch keine Druckabhängigkeit und auch bei Flüssigkeiten kann sie meistens vernachlässigt werden. Die spezifische Wärme ist eine Energiegröße, die einem Stoff zwecks Temperaturerhöhung zugeführt werden muss. Es gilt: spezifische Wärme bei konstantem Druck: dH ⎛ dQ ⎞ cp = ⎜ ⎟ ≡ ⎝ dT ⎠ p dT (3.1.1) spezifische Wärme bei konstantem Volumen: dU ⎛ dQ ⎞ cv = ⎜ ⎟ ≡ ⎝ dT ⎠ v dT (3.1.2) H ist die Enthalpie, U die innere Energie eines Stoffes. Da sich Körper mit steigender Temperatur ausdehnen, wird bei einer Energiezufuhr unter konstantem Druck noch eine Volumenarbeit geleistet, d.h. cp ist größer als cV. H = U + pxV ⎛ dH ⎞ ⎛ dU ⎞ d ( p ⋅ V) , ⎜ ⎟ =⎜ ⎟+ ⎝ dT ⎠ ⎝ dT ⎠ dT (3.1.3) (3.1.4) pxV=RxT (3.1.5) d ( p ⋅ V) =R dT (3.1.6) - 116 - 3.1. Spezifische Wärme cp = cv + R (3.1.7) R = allgemeine Gaskonstante = Volumenarbeit (für ideales Gas). Bei Festkörpern ist dieser Unterschied klein und kann lediglich bei sehr hohen Temperaturen nicht mehr vernachlässigt werden. Spezifische Wärme von Gasen Die spezifische Wärme vergrößert wie jede andere Wärmemenge die Bewegungsenergie der Gasmoleküle. Diese haben drei verschiedene Bewegungsmöglichkeiten: 1. Translation = fortschreitende Bewegung: Sie kann nach den drei Richtungen des Raumes erfolgen, hat also drei Freiheitsgrade. 2. Rotation = Drehbewegung: Die Anzahl der Freiheitsgrade richtet sich nach der Anzahl der Atome im Molekül, es muss also unterschieden werden: 2.1 Einatomige Moleküle: Die für die Rotation benötigte Energie ist im Vergleich zur Energie, die für die Translation notwendig ist, so gering, dass sie hier vernachlässigt werden kann, also kein Freiheitsgrad. 2.2 Zweiatomige Moleküle (Hantelmodell): Sie besitzen zwei Freiheitsgrade der Rotation. Das Rotieren um die Längsachse benötigt fast keine Energie, so dass sie hier vernachlässigt werden kann. 2.3. Dreiatomige Moleküle: Hier muss zwischen zwei Molekülarten unterschieden werden: 2.3.1 Gestreckte Moleküle (z.B. CO2): Für sie gilt dasselbe wie für zweiatomige Moleküle, d.h. sie besitzen zwei Freiheitsgrade der Rotation. 2.3.2 Gewinkelte Moleküle (z.B. H2O): Da das Rotieren um alle drei Drehachsen Energie erfordert, besitzen sie drei Freiheitsgrade der Rotation. 3. Oszillation = Schwingungsbewegung: Hierunter versteht man das Schwingen der 3. Thermische Eigenschaften - 117 - Atome innerhalb des Moleküls, d.h. ein elastisches Hin- und Herschwingen der Atome gegeneinander, entsprechend einer fortlaufenden Speicherung von kinetischer und potentieller Energie. Deshalb zählt auch jede Schwingung doppelt, d.h. zwei Freiheitsgrade der Oszillation. Die Anzahl der Freiheitsgrade richtet sich auch hier nach der Anzahl der Atome im Molekül. 3.1 Einatomige Moleküle: Sie haben null Freiheitsgrade der Oszillation. 3.2 Zweiatomige Moleküle: Sie haben zwei Freiheitsgrade der Oszillation. 3.3 Dreiatomige Moleküle: Hier können zwei mal zwei Atome gegeneinander schwingen, d.h. sie haben vier Freiheitsgrade der Oszillation. Ganz allgemein gilt jedoch, dass die Oszillation erst bei höheren Temperaturen (etwa ab 700°C) zum Tragen kommt. Nach dem „Gesetz über die Gleichverteilung der Energie“ benötigt jeder Freiheitsgrad die gleiche Energiemenge. Diese beträgt nach der kinetischen Gastheorie R/2 pro Freiheitsgrad R 8,314 pro Freiheitsgrad = = 4,157 kJ / Freiheitsgr.⋅kmol ⋅ K 2 2 oder 0,993 kcal / Freiheitsgr.·kmol·K (3.1.8) R = allgemeine Gaskonstante, hier: 8,314 kJ/kmol·K. Das bedeutet, dass die schnellere Bewegung der Gasmoleküle, welche die Erwärmung von einem Kilomol eines Gases um 1 K bei konstantem Volumen erfordert, eine Energiezufuhr von 0,993 kcal pro angeregtem Freiheitsgrad bedingt. Auf diese Weise lässt sich die Molwärme eines Gases bei konstantem Volumen (cv) berechnen. Der berechnete Wert stimmt mit dem experimentell gefundenen Wert umso besser überein, je mehr das untersuchte Gas einem idealen Gas gleicht. Zum Beispiel: 1. Ein einatomiges Edelgas hat insgesamt nur drei Freiheitsgrade: cv = 3· R = 3·0,993 kcal/kmolxK = 2,979 kcal/kmol·K 2 cp = cv + R = 5· R = 4,97 kcal/kmol·K 2 - 118 - 3.1. Spezifische Wärme Experimentell ermittelt: Ar. cv = 2,98 kcal/kmolxK He: cv = 2,98 kcal/kmol·K; 2. Ein zweiatomiges Gas hat insgesamt fünf Freiheitsgrade: cv = 5· R = 5·0,993 kcal/kmol·K = 4,965 kcal/kmol·K 2 cp = cv + R = 7· R =6,951 kcal/kmol·K 2 Experimentell ermittelt: H2: cv = 4,91 kcal/kmol·K; N2: cv = 4,97 kcal/kmol·K; CO: cv = 4,97 kcal/kmol·K; O2: cv = 5,03 kcal/kmol·K 3. Ein dreiatomiges Gas mit gewinkeltem Molekül hat insgesamt sechs Freiheitsgrade: cv = 6· R = 6·0,993 kcal/kmol·K = 5,958 kcal/kmol·K 2 cp = cv + R = 8·0,993 kcal/mol·K = 7,944 kcal/kmol·K Experimentell ermittelt: H2O: cv = 6,01 kcal/kmol·K; H2S: cv = 6,10 kcal/kmol·K; SO2: cv = 7,55 kcal/kmol·K. Das Verhältnis der spezifischen Wärmen ist also von der Anzahl der Atome im Gasmolekül abhängig. k = cp/cv einatomige Gasmoleküle: (3.1.9) k = 1,667 zweiatomige Gasmoleküle: k = 1,40 dreiatomige Gasmoleküle: k = 1,40 (gestreckte Moleküle) dreiatomige Gasmoleküle: k = 1,33 (gewinkelte Moleküle). Die Unabhängigkeit der Molwärme von der Temperatur ist nur bei einatomigen Gasen streng gegeben. Bei zwei- und mehratomigen Gasen treten mit steigender Temperatur auch Schwingungen innerhalb des Moleküls (Oszillation) auf, so dass die Molwärme zunimmt. Die 3. Thermische Eigenschaften - 119 - Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärme kann für verschiedene Temperaturbereiche berechnet werden etwa nach cp = a + bT (3.1.10) oder cp = a + bT + cT-2. (3.1.11) Die Formeln gelten meist nur für verschiedene Temperaturbereiche. Die Konstanten a, b und c sind tabellarisiert. Spezifische Wärme von Festkörpern Die Differenz cp - cv fester Körper ist mit dem Volumenausdehnungskoeffizient ß, dem MolVolumen V0 der Dichte ϕ und der Kompressibilität χ verbunden nach: cp − cv = cp − cv = ß 2 V0 T χ (3.1.12 a) mit ß = 1 dV V0 dT (3.1.12 b) und χ = 1 dV V0 dp (3.1.12 c) 1 dV 2 V0 T V0 dp 2 V0 dT2 dV ⎛ dV ⎞ ⎛ dp ⎞ =⎜ ⎟ T ⎜ ⎟ ⎝ dT ⎠ p ⎝ dT ⎠ V (3.1.13) Bei Festkörpern ist der Unterschied zwischen cp und cv sehr klein und kann üblicherweise vernachlässigt werden. Die zur Temperaturerhöhung eines Kristalls erforderliche Energie wird ausgehend von einem Zustand am absoluten Nullpunkt für folgende Veränderungen aufgenommen: a) Aufnahme als Schwingungsenergie der Atome um ihre Ruhelagen, wobei Frequenz und Amplitude von der jeweiligen Temperatur abhängen, - 120 - 3.1. Spezifische Wärme b) Erhöhung des Energieniveaus der Elektronen, c) Wechsel von Atomlagen im Gitter (zur Bildung von Defekten, Unordnungsvorgängen, magnetische Orientierung oder auch strukturelle Vorgänge z.B. Einfrieren einer Flüssigkeitsstruktur = Übergang zu einem Glas). Einstein legte 1907 den ersten Lösungsvorschlag zur Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärme vor, indem er die Schwingungsfrequenz der Atome als konstanten Wert ν E annahm und erhielt ⎤ ⎡ h⋅ ν E ⎥ ⎢ 2 k ⋅T ⎥ ⎢ h ⋅ ν e dU ⎛ E ⎞ . cV = = 3Nk ⎜ ⎟ ⎢ h⋅ ν 2 ⎥ ⎝ k ⋅ T ⎠ ⎢⎛ dT E ⎞ ⎥ k ⋅T − 1⎟ ⎥ ⎢⎜e ⎝ ⎠ ⎦ ⎣ (3.1.14) N = Anzahl Atome/Mol k = Boltzmann Konstante h = Planck´sches Wirkungsquant νE = Schwingungsfrequenz der Atome T = Temperatur Man sieht, dass bei T→0: cV→0 bei T→∞: cV→3 R Durch Einsetzen von praktischen Messergebnissen kann man die „Einsteinfrequenz“ berechnen. Jedoch nähern sich im Tieftemperaturgebiet die so errechneten Werte der spezifischen Wärme stärker dem Wert Null, als es die experimentell ermittelten tun. Debye führte später wesentliche Verbesserungen in der Theorie ein. Er betrachtete einen kristallinen Festkörper als ein Kontinuum von Schwingern mit einer Frequenzverteilung bis zu einer Maximalfrequenz νD, wobei die Gesamtzahl der erlaubten Frequenzen den Wert 3 N 3. Thermische Eigenschaften - 121 - (N Atome im Gesamtkristall eines Mols schwingen in 3 Raumrichtungen) nicht überschreiten kann. Mit der oberen Grenzfrequenz ist eine „Mindestwellenlänge“ nach λD ≡ cs νD (3.1.15) gegeben, die nicht unterschritten werden kann. Darin ist cs die Schallgeschwindigkeit im Festkörper. Die Mindestwellenlänge ist durch den kürzesten Abstand der Atome im Gitter bestimmt. Man kann nun den Quotienten h ⋅ νD = θD k (3.1.16) als Debye-Temperatur θD definieren, die eine Stoffkonstante darstellt (auch „charakteristische Temperatur“ genannt). Nach Debye ergibt sich für die spezifische Wärme: ⎡ ⎛ T ⎞ 3 θ/ T x θ 1 ⎤ ⎥. c v = 9 R ⎢4⎜ ⎟ ⋅ ∫ x dx − ⋅ θ / T T e − 1⎥ ⎢⎣ ⎝ θ D ⎠ 0 e − 1 ⎦ mit x = (3.1.17) h⋅ν k⋅T (3.1.18) Für T → 0 ergibt sich: 3 3 ⎛ T ⎞ π4 ⎛ T⎞ c V = 9 R ⋅ 4⎜ ⎟ ⋅ = 234 R⎜ ⎟ . ⎝ θ D ⎠ 15 ⎝ θD ⎠ (3.1.19) Bei tiefen Temperaturen ist cv ∼ T3. (3.1.20) Andererseits besitzen nach Boltzmann die Atome fester Körper bei ihrer Oszillation um die Ruhelage und bei voller Anregung, also bei hoher Temperatur, je drei Freiheitsgrade der kinetischen und potentiellen Energie, d.h. insgesamt 6. Damit ergibt sich nach dem - 122 - 3.1. Spezifische Wärme Gleichverteilungssatz der Energie cV = 6 R = 3 R = 25 J/g-atom·K bzw. 6 cal/g-atom·K. 2 (3.1.21) Dies bedeutet, dass sich die spezifische Wärme von Festkörpern bei hohen Temperaturen einem konstanten Grenzwert von 3R nähert (Dulong-Petit-Regel). Tab. 3.1.1: Spezifische Wärme einiger Elemente bei 20°C in J/g-atom·K Ag Al Au Ca Cd Cr Cu K Li Mg Mo Na Pb Pt W cV cP 24,27 23,03 24,47 24,21 24,57 22,78 23,63 24,80 22,53 23,46 23,06 24,58 24,85 24,95 23,59 25,49 24,34 25,35 26,28 26,04 23,35 24,47 29,51 23,46 24,81 23,75 28,12 26,82 26,57 24,08 Allgemein gilt das Gesetz von Dulong Petit bei metallischen Elementen mit Atomgewichten oberhalb 40 recht gut (Tab. 3.1.1). Eine Reihe stark positiver Metalle (also solche, die eine Tendenz zur Elektronenabgabe haben) wie Na, Cs, Ca und Mg zeigen eine starke Wertzunahme auf Werte über 3 R mit zunehmender Temperatur. Diese hohe spezifische Wärme kann durch einen Beitrag der Elektronen erklärt werden. Man kann zeigen, dass sich die spezifischen Wärme aller Stoffe in ihrem Temperaturverlauf auf eine einzelne Kurve reduzieren lassen, wenn man cV gegen T/θD aufträgt (Abb. 3.1.1). 3. Thermische Eigenschaften - 123 - Spezifische Wärme einiger Materialien als Funktion von T/θD Abb. 3.1.1 Als grobe Nährung für die Debye-Temperatur kann gelten θ D ≈ (0,2-0,5)Ts (3.1.22) (Ts = Schmelztemperatur). Tabelle 3.1.2: Beispiele für Debye-Temperaturen in K Mg0 946 Ag 220 Cr 405 SiO2 470 Al 380 Cu 310 CaF2 510 Au 185 K 99 TiO2 760 Ca 230 Mo 375 Fe2O3 660 Cd 165 Pb 86 Bei keramischen Systemen erreicht die spezifischen Wärme einen Wert von 3 R erst bei sehr hohen Temperaturen (Abb. 3.1.2). Die Temperatur, bei der die spezifische Wärme einen konstanten Wert einnimmt oder sich nur gering mit der Temperatur ändert, ist von der Bindungsfestigkeit, elastischen Konstanten und dem Schmelzpunkt der Werkstoffe abhängig und unterscheidet sich sehr stark für verschiedene Materialien (Tab. 3.1.2). - 124 - 3.1. Spezifische Wärme Spezifische Wärme einiger keramischer Werkstoffe Abb. 3.1.2 in Abhängigkeit von der Temperatur [8] Für die analytische Darstellung der Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärmen fester Werkstoffe verwendet man für thermodynamische Berechnungen wie bei Gasen Ansätze, die stets nur für einen bestimmten Temperaturbereich gelten (siehe Gl. 3.1.10 und 3.1.11). Wie in Abb. 3.1.2 zu sehen ist, steigt die Wärmekapazität bei Temperaturen über der charakteristischen Debye-Temperatur geringfügig an. Dafür sind die Entwicklung von Frenkel- und Schottky-Fehlstellen, magnetischen Umordnungen und Elektronenenergieverteilungen verantwortlich. In den meisten keramischen Werkstoffen steigt die spezifische Wärme von Null bei niedrigen Temperaturen zu einem Wert in der Größenordnung von 5,96 kJ/g-Atom·K bei Temperaturen um 1000°C (für die meisten Oxide und Carbide). Kristallumwandlungen aller Art äußern sich durch Unstetigkeiten im Temperaturgang der spezifischen Wärmen. Eine abrupte Änderung der spezifischen Wärme ist z.B. bei der Änderung von Gitterstrukturen, also z.B. bei der α/ßQuarzumwandlung zu beobachten (Abb.3.1.3). 3. Thermische Eigenschaften Spezifische Wärme verschiedener CaO + SiO2 Varianten (Mol-Verhältnis 1:1) [8] - 125 - Abb. 3.1.3 Der Verlauf der spezifischen Wärme bei einer Ordnung-Fehlordnung-Umwandlung ist in Abb. 3.1.4 zu sehen. Ähnliche Veränderungen der spezifischen Wärme beobachtet man bei magnetischen und ferroelektrischen Umwandlungen. Spezifische Wärme bei Fehlordnungsübergängen [8] Abb. 3.1.4 a) Wasserstoffbindungen in KH2PO4, b) Fe3+-Ionen in Fe3O4 Während die Gefügeeinflüsse auf die spezifische Wärme gering sind, ist der Einfluss der Porosität eines Werkstoffs sehr groß, da die Masse in einem Einheitsvolumen mit zunehmendem Porenanteil abnimmt. Dies bedeutet, dass die Energie, die notwendig ist, um z.B. die Temperatur in einem Feuerleichtstein zu erhöhen, wesentlich geringer ist als diejenige für einen dichten Schamottestein. Auch verkleinert man bei Laboröfen gern deren Wärmekapazität durch leichte Strahlungsschutzbleche, Faser- oder Pulverisolation. - 126 - 3.2. Thermische Ausdehnung 3.2 Thermische Ausdehnung Das spezifische Volumen eines Kristalls nimmt mit steigender Temperatur zu, und der Kristall tendiert dazu, symmetrischer zu werden. Die generelle Volumenzunahme mit der Temperatur ist im wesentlichen bestimmt durch die Zunahme der Amplitude von Schwingungen der Gitterbausteine um ihre mittlere Lage. Die abstoßende Kraft zwischen Atomen ändert sich bei Vergrößerung des Abstandes zweier Atome schneller als die anziehende Kraft. Als Konsequenz daraus ergibt sich, dass der Energieverlauf in Abhängigkeit vom Atomabstand unsymmetrisch ist (Abb. 3.2.1). Wenn die Gitterenergie zunimmt, führt die zunehmende Amplitude der Gitterschwingungen zu einem größeren Atomabstand, was einer Gitterexpansion gleichkommt. Aus thermodynamischer Sicht nimmt die Energie der Struktur zu und die Entropie nimmt ab. Gitterenergie als Funktion des Atomabstandes [8] Abb. 3.2.1 Die Änderung des Volumens, hervorgerufen durch Gitterschwingungen, ist also eng verbunden mit einem Anstieg der inneren Energie. Konsequenterweise verlaufen Veränderungen des thermischen Ausdehnungskoeffizienten mit steigender Temperatur parallel zu Veränderungen der spezifischen Wärme (Abb. 3.2.2). 3. Thermische Eigenschaften Parallele Veränderung der spezifischen Wärme und des WAK - 127 - Abb. 3.2.2 von Al2O3 über einen großen Temperaturbereich [8] Der thermische Ausdehnungskoeffizient nimmt bei niedrigen Temperaturen schnell zu und erreicht einen nahezu konstanten Wert bei der charakteristischen Debye-Temperatur θD. Oberhalb dieser Temperatur ist eine Zunahme des thermischen Ausdehnungskoeffizienten verbunden mit der Bildung von Frenkel- und Schottky-Defekten. Die Konzentration dieser Defekte kann direkt überführt werden in Ausdehnungsverhalten. Einige typische Ausdehnungskoeffizienten sind in Abb. 3.2.3 dargestellt. WAK als Funktion der Temperatur für einige keramische Oxide [8] Abb. 3.2.3 - 128 - 3.2. Thermische Ausdehnung Der Wärmeausdehnungskoeffizient (WAK) für die Volumendehnung ist gegeben durch β= 1 ⎛ dV ⎞ ⎜ ⎟ V ⎝ dT ⎠ (3.2.1) und für die Längenausdehnung durch 1 ⎛ dl ⎞ α= ⎜ ⎟ l ⎝ dT ⎠ (3.2.2) Bei der praktischen Ermittlung des WAK bestimmt man endliche Differenzen (Differenzenquotient) und erhält mittlere Wärmeausdehnungskoeffizienten, die dann zweckmäßigerweise mit dem Temperaturbereich angegeben werden: β 20,T = ΔV V ΔT (3.2.3) α 20,T = Δl l ΔT (3.2.4) Bei isotropen Körpern gilt für den Zusammenhang zwischen α und β näherungsweise 1 + β ΔT = 1 + 3 α Δ T + 3 α 2 Δ T2 + α 3 Δ T3 β ≈ 3α . (3.2.5) (3.2.6) Bei anisotropen Kristallen unterscheidet sich der Wärmeausdehnungskoeffizient in Richtung der unterschiedlichen kristallographischen Achsen. Kristalle streben fast immer bei höheren Temperaturen eine höhere Symmetrie an. In tetragonalen Kristallen z.B. nimmt das Verhältnis der kristallographischen Achsen c/a mit steigender Temperatur ab. Auch das Verhältnis der Ausdehnungskoeffizienten αc/αa nimmt in der Regel mit steigender Temperatur ab. Einige Werte für anisotrope Materialien zeigt Tabelle 3.2.1. 3. Thermische Eigenschaften - 129 - WAK einiger anisotroper Kristalle ( α x 106/K) [8] Tab. 3.2.1 Ein typisches Beispiel für anisotropes Ausdehnungsverhalten ist z.B. der Graphit mit seiner Schichtstruktur, in der die Bindekräfte stark gerichtet sind. Der Ausdehnungskoeffizient parallel zur c-Achse ist viel größer als senkrecht dazu. Für stark anisotrope Kristalle kann der Ausdehnungskoeffizient in einer kristallographischen Richtung negativ sein und der resultierende Gesamtausdehnungskoeffizient kann sehr klein sein. Typische Beispiele sind Aluminiumtitanat, Cordierit und verschiedene Lithium/Aluminium-Silicate. β-Eukriptit (LiAl[SiO4]) besitzt sogar einen negativen Wärmeausdehnungskoeffizienten. Der Wärmeausdehnungskoeffizient ist also von der Kristallstruktur und den Bindungskräften abhängig. Werkstoffe mit hoher Bindungsfestigkeit wie Wolfram, Diamant oder Siliciumcarbid haben sehr niedrige Wärmeausdehnungskoeffizienten. Verständlich werden auch Beziehungen zwischen Wärmedehnung und Schmelzpunkt von Werkstoffen. Mit zunehmender Schmelztemperatur von Elementen und Verbindungen nimmt der Wärmeausdehnungskoeffizient ab (Abb. 3.2.4 und 3.2.5). WAK in Abhängigkeit vom Schmelzpunkt der Elemente Abb. 3.2.4 - 130 - 3.2. Thermische Ausdehnung WAK einiger Halogenide und Oxide in Abhängigkeit vom Schmelzpunkt Abb. 3.2.5 Aus solchen Betrachtungen ist es verständlich, dass sich der lineare WAK auch aus der Debyeschen Theorie des Festkörpers ableiten lässt als α=γ cv ⋅χ 3⋅ V (3.2.7) darin ist cv die spezifische Wärme, χ die Kompressibilität, V das Volumen pro g bei 0 K und γ die Grüneisenkonstante, die sich aus der Theorie nach γ=− d ln ν d ln Va (3.2.8) ergibt, worin ν eine jeweilige Eigenfrequenz des Festkörpers ist und Va das Volumen (γ liegt zwischen 1 und 3). In der Gleichung zur Definition der Grüneisenkonstante muss anstelle einer einzigen Schwingungsfrequenz eigentlich das gewogene Mittel über das ganze Schwingungsspektrum nach der Debyeschen Theorie eingesetzt werden. Demnach ändert sich auch γ, wenn man zu niedrigeren Temperaturen kommt (T<1/3·θD), bei denen die höherfrequenten Schwingungen keinen Beitrag mehr zur spezifischen Wärme leisten. Die Transversalschwingungen ergeben dann manchmal negative Werte von γ, weshalb bei niedrigeren Temperaturen auch der WAK negativ werden kann. Dies ist z.B. bei SiO2-Glas, Zinkblende und Indiumantimonit 3. Thermische Eigenschaften - 131 - beobachtet worden. Eine niedrigere Koordinationszahl begünstigt diesen Effekt dadurch, dass eine größere Zahl von Zwischengitterplätzen entsteht, die den Atomen die Querschwingungen zur Bindung zwischen zwei Nachbaratomen besser ermöglicht. Bei einigen Metallen (z.B. Plutonium) beeinflusst auch eine besondere Elektronenverteilung das Ausdehnungsverhalten in negativer Richtung. 3.2.1 Thermische Ausdehnung von mehrphasigen Keramiken Beim Sinterprozess mehrphasiger Werkstoffe entsteht bei hohen Temperaturen ein dichtes Gefüge bestehend aus mehreren kristallinen Phasen oder einer Mischung aus kristallinen und glasigen Phasen. Wenn sich die Wärmeausdehnungskoeffizienten der unterschiedlichen Phasen unterscheiden, ziehen sie sich beim Abkühlen unterschiedlich zusammen und es entstehen Spannungen und Mikrorisse zwischen einzelnen Körnern. Der resultierende Ausdehnungskoeffizient des Werkstoffverbundes kann berechnet werden, wenn man annimmt, dass nur reine Zug- und Druckspannungen entstehen und keine Risse gebildet werden. Die Spannungen in jedem Teilchen sind dann gegeben durch σ i = K(α r − α i )ΔT , (3.2.9) wobei α r der durchschnittliche Volumenausdehnungskoeffizient ist, α i der Volumenausdehnungskoeffizient des Teilchens i, ΔT die Temperaturdifferenz zwischen dem spannungsfreien und dem abgekühlten Zustand und K der Kompressionsmodul K = - P/ (Δ V / V) = E / 3 (1-2μ) (3.2.9 a) wobei P der isotrope Druck ist, V das Volumen, E der E-Modul und μ die Poissonzahl). Mit dem Massenanteil F und der Dichte ρ einer Phase ergibt sich nach Turner[8] für den mittleren Wärmeausdehnungskoeffizienten α eines zweiphasigen Werkstoffes: F1 F + α 2 ⋅ K 2 2 + ⋅⋅⋅ ρ1 ρ2 F F K1 1 + K 2 2 + ⋅⋅⋅ ρ1 ρ2 α 1 ⋅ K1 α= (3.2.10) - 132 - 3.2. Thermische Ausdehnung Unter Einbeziehung des Volumenanteils und des Schubmoduls ergibt sich nach Kerner [8] die Gleichung α r = α 1 + V2 (α 2 − α 1 ) K (3K + 4G ) 2 + ( K 2 − K 1 )(16G 1 2 + 12G 1 K 2 ) 1 2 1 (4G 1 + 3K 2 )[4 V2 G 1 ( K 2 − K 1 ) + 3K 1 K 2 + 4G 1 K 1 ] (3.2.11) wobei G1 der Schubmodul der Phase1 ist. Für ein Li2O-B2O3-System mit 20 g-Atom % Li2O ergibt sich nach diesen Beziehungen die Abbildung 3.2.6. Die Werte der Einzelkomponenten sind: α1 K1 = 1,5x10" dyn/cm2 G1 = 0,8x10" dyn/cm2 ρ1 = 1,86 g/cm3 α2 K2 = 4,5x10-6/K = 12x10-6/K G2 = 3,6x10″ dyn/cm2 = 2x10" dyn/cm2 ρ2 = 2,09 g/cm3 Vergleich der vorhergesagten WAK´s eines zweiphasigem Werkstoffs [8] Abb. 3.2.6 3. Thermische Eigenschaften - 133 - 3.2.2 Thermische Ausdehnung von Aluminiumtitanat (Tialit) Die hervorstechendste Eigenschaft des Tialits ist eine ausgeprägte Anisotropie der Wärmedehnung, die beim Abkühlen zu einer Ausdehnungshysterese führt (Abb. 3.2.7). Ausdehnungsverhalten von Aluminiumtitanat Abb. 3.2.7 Infolge der sehr unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten in den drei Kristallachsen entstehen beim Abkühlen starke Gefügespannungen. Die a- und die b-Achsen zeigen zwischen 20°C und 600°C einen positiven und deutlich unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten (αa = 10·10-6 K-1, αb = 20x10-6 K-1) während die c-Achse einen negativen Wert aufweist (αc = -1,4 ⋅ 10-6 K-1). Wird ein Bauteil nach dem Sinterbrand im Ofen abgekühlt, so überschreiten die Gefügespannungen bei etwa 500 °C die Zugfestigkeit des Materials, wodurch Risse im Gefüge entstehen, insbesondere senkrecht zur a- und b-Achse (Abb. 3.2.8). - 134 - 3.2. Thermische Ausdehnung Riss- und Porenstruktur in Aluminiumtitanat Abb. 3.2.8 Zur Erklärung des Ausdehnungsverhaltens von Al2TiO5 sollte Abb. 3.2.7 zum besseren Verständnis von rechts nach links gelesen werden. Beim Abkühlen von hohen Temperaturen entspricht die Kontraktion zunächst etwa dem mittleren Ausdehnungskoeffizienten aller kristallographischen Achsen. Bei etwa 500 °C führt der geschilderte Vorgang der Rissbildung, was zu einer Zunahme der Gesamtporosität und damit zu einer Volumenzunahme führt. Das Entstehen dieser Risse ab etwa 500°C konnte durch Schallemissionsmessungen nachgewiesen werden. Wird nun ein solcher Körper wieder erhitzt, so wirkt nach außen zunächst nur die thermische Dehnung der c-Achse, da in Richtung der a- und b-Achse die Tialit-Körner in die vorhandenen Risse hineinwachsen. Bei ca. 600°C ist dieser Vorgang abgeschlossen, d.h. der Werkstoff dehnt sich bis zu dieser Temperatur vorerst nicht aus. Bei höheren Temperaturen entspricht der WAK wieder der Summe der Ausdehnungskoeffizienten aller kristallograpischen Achsen. 3.2.3 Thermische Ausdehnung von ZrO2 ZrO2 zeigt bei etwa 1100 °C eine reversible Umwandlung von der monoklinen in die tetragonale Modifikation, was mit einer theoretischen Volumenschrumpfung von etwa 12% verbunden ist. Dies macht sich deutlich in der Dilatometerkurve bemerkbar, wie die 3. Thermische Eigenschaften ausgezogene Kurve - 135 - in Abb. 3.2.9 zeigt. Monoklines ZrO2 hat einen -6 -1 Ausdehnungskoeffizienten von etwa 8⋅10 K während tetragonales ZrO2 zwischen 1150 °C -6 -1 und 1700 °C einen Ausdehnungskoffizienten von etwa 21x10 K verzögerte Umwandlung tetragonal-monoklin sind aufweist. Für die Keimbildungsschwierigkeiten verantwortlich zu machen. Durch Zusätze geeigneter Oxide lässt sich die kubische Hochtemperaturmodifikation von ZrO2 stabilisieren und damit die störende Umwandlung bei 1000 bis 1200 °C vermeiden. Sehr gute Thermoschockeigenschaften lassen sich mit teilstabilisiertem Zirkonoxid und damit durch Einstellung eines sehr niedrigen Ausdehnungskoeffizienten erzielen. Dilatometerkurven von ZrO2 [12] Abb. 3.2.9 - 136 - 3.3 Thermische Leitfähigkeit 3.3 Thermische Leitfähigkeit Für den Wärmetransport in keramischen Werkstoffen ist vor allem die Wärmeleitung verantwortlich. Bei höheren Temperaturen ist daneben die Wärmestrahlung zu berücksichtigen. Der Beitrag der Konvektion zum Wärmetransport kann im allgemeinen vernachlässigt werden. Herrscht in einem Medium das Temperaturgefälle dT/dx, dann fließt in der Zeit t senkrecht zur Fläche F die Wärmemenge Q nach Q dT = λF . t dx (3.3.1) In Gleichung 3.3.1 stellt der Proportionalitätsfaktor λ die Wärmeleitfähigkeit dar. Die physikalische Dimension von λ ist cal cm-1 sec-1 K-1, die technische Dimension kcal m-1 h-1 1 K- , die Si-Einheit ist W/mK. Aus Versuchen erhält man meist einen Wert λ g, der sich aus den Beiträgen der reinen Wärmeleitfähigkeit λ l und der Wärmestrahlung λ st zusammensetzt nach λ g = λ l + λ st . (3.3.2) Ist die Temperatur in irgendeiner Ortskoordinate zeitlich nicht konstant, hängt die Geschwindigkeit der Wärmeleitung von dem Verhältnis der Wärmeleitfähigkeit zur Wärmekapazität pro Volumen (also dem Produkt aus Dichte ρ und spezifischer Wärme cp) ab. Dieses Verhältnis heißt Temperaturleitfähigkeit (thermal diffusivity) und hat die gleiche Dimension wie der Diffusionskoeffizient (cm2 /s). Aus der Wärmeleitfähigkeit lässt sich die Temperaturleitfähigkeit α ermitteln nach α= λ , cρ (3.3.3) worin c = spezifische Wärme und ρ = Dichte. α ist bestimmend für die Geschwindigkeit des Temperaturausgleichs. In Gasen wird die Wärme durch gegenseitigen Stoß der Moleküle übertragen, woraus sich 3.3 Thermische Leitfähigkeit - 137 - ergibt 1 λ gas = c v l, 3 (3.3.4) mit c = spezifische Wärme pro Volumeneinheit, v = Geschwindigkeit der Moleküle und l = mittlere freie Weglänge der Moleküle. In Festkörpern sind die Teilchen nicht frei, führen aber Gitterschwingungen aus. Da diese nicht harmonisch sind, können sie die Wärme nach Debye in Form von Gitterwellen übertragen. Eine einfache Deutung der reinen Wärmeleitfähigkeit in Festkörpern ergibt sich, wenn man in Analogie zu den Photonen bei den elektromagnetischen Wellen die Gitterwellen als Phononen auffasst. Dann erhält man eine der Gleichung 3.3.4 entsprechende Gleichung 1 λ l , fest = c v p l p , 3 (3.3.5) in der jetzt vp = Geschwindigkeit der Phononen und lp = deren mittlere freie Weglänge der Phononen ist. Mit Hilfe von Gleichung 3.3.5 ist es möglich, die Temperaturabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit zu erklären, wobei zunächst der Einfluss der spezifischen Wärme betrachtet werden soll. Diese ist am absoluten Nullpunkt gleich Null, steigt zunächst proportional T3 und dann nach einer Funktion an, in die die sog. charakteristische oder Debyetemperatur θ = h·ν/k eingeht (h = Plancksches Wirkumsquantum, k = Boltzmannsche Konstante, ν = Frequenz der Eigenschwingung). Bei hohen Temperaturen geht nach der Dulong-Petitschen Regel cp gegen x · 6,2 cal mol-1K-1 = x · 25,96 J mol-1K-1, wobei x die Zahl der Elemente in einer Verbindung darstellt (vgl. Kap. 3.1). Dieser konstante Wert wird um so eher erreicht, je kleiner θ, je geringer also die Schwingungsfrequenz ν ist. Diese wiederum ist um so geringer, je schwerer die schwingenden Atome sind. So liegt θ für Graphit bei 1700 °C, für BeO bei 900 °C und für Al2O3 bei 650 °C. - 138 - 3.3 Thermische Leitfähigkeit WLF eines Al2O3-Einkristalls über einen weiten Temperaturbereich [8] Abb. 3.3.1 Der Anstieg der Wärmeleitfähigkeit bei tiefen Temperaturen muss also zunächst entsprechend Gleichung 3.1.19 auch proportional T3 erfolgen, jedoch gilt diese Abhängigkeit nur für T << θ. Bei höheren Temperaturen strebt die spezifische Wärme einem konstanten Wert zu, hat also dann keinen ändernden Einfluss mehr auf λ. Für die meisten Oxide wird im Bereich um 1000 °C die spezifische Wärme nahezu unabhängig von der Temperatur. In dem für die Praxis interessanten Bereich haben theoretische Betrachtungen ergeben, dass mit steigender Temperatur die Dichte der Phononen zunimmt und dadurch sich deren mittlere Weglänge l verringert, so dass l und damit auch λ proportional 1/T wird. Dazwischen muss ein Maximum von λ liegen, das bisher erst wenig untersucht wurde. Für MgO und Al2O3 liegt es bei 40 K (Abb. 3.3.1). Bei allen hier interessierenden Verbindungen befindet man sich oberhalb Raumtemperatur im Bereich der mit steigender Temperatur fallenden λ-Werte, wie es auch die meisten Kurven der Abb. 3.3.2 zeigen [12]. 3.3 Thermische Leitfähigkeit - 139 - WLF von Kieselglas und einiger, auf 0% Porosität korrigierter Werkstoffe [12] Abb. 3.3.2 In Abb. 3.3.2 treten einige bemerkenswerte Ausnahmen auf. Der Wiederanstieg von λ bei hohen Temperaturen für z.B. MgO und Al2O3 ist durch den beginnenden Strahlungseinfluss bedingt, der weiter unten diskutiert wird. Die anderen Erscheinungen lassen sich mit der mittleren freien Weglänge der Phononen erklären. Es wurde bereits gesagt, daß diese wegen der zunehmenden Phononendichte mit steigender Temperatur abnimmt, da dann mehr Stöße untereinander erfolgen. Überschlagsrechnungen von Kingery haben für Raumtemperatur Werte von l in der Größenordnung von 50 Å ergeben. l kann aber höchstens bis zur Größe der Gitterdimension abnehmen, was bei etwa 1200 °C erreicht ist, so dass dann λ unabhängig von der Temperatur wird. Daneben wird aber l noch durch Stöße an Kristallgrenzen und an Fehlstellen verringert, ein Effekt, der temperaturunabhängig ist. Hohe Fehlstellenkonzentration, wie sie im stabilisierten ZrO2 vorliegt, hat geringe l-Werte und damit auch λ-Werte zur Folge. Ähnliches gilt für das Kieselglas, das wegen der fehlenden Fernordnung in der Struktur nur eine geringe mittlere freie Weglänge der Phononen erlaubt (etwa 5 Å), so dass dessen Temperaturabhängigkeit von λ nur noch von der spezifischen Wärme bestimmt wird. Der Beitrag der Wärmestrahlung bei hohen Temperaturen wurde bereits erwähnt. Für ihn gilt λ st = 16 2 3 σn T l st 3 (3.3.6) - 140 - 3.3 Thermische Leitfähigkeit mit σ = Stefan-Boltzmannsche Konstante, n = Brechungsindex und lst = mittlere freie Weglänge, jetzt der Photonen. Dieser Beitrag steigt wegen der T3-Abhängigkeit bei hoher Temperatur rasch an. Bei mittlerer Temperatur hängt er vom Brechungsindex für die Wellenlänge der Temperaturstrahlung ab, die im infraroten Gebiet liegt. Deshalb zeigt das Kieselglas den Anstieg von λg oberhalb 500 °C. Das Elektroporzellan in Abb. 3.3.2 zeigt wegen des hohen Anteils an Glasphase ebenfalls steigende λ-Werte. Die sich aus Gleichung (3.3.6) ergebenden lst-Werte sind relativ groß. Lee und Kingery [8] haben sie für Al2O3Einkristalle bei 750 °C zu 10 cm abgeschätzt. Die Photonen können daher an Poren leicht gestreut werden, wodurch lst stark erniedrigt wird und z.B. bei einer Porosität von 0,25 Vol.% in Al2O3 bereits auf 0,04 cm absinkt. Die Folge ist, dass sich der Strahlungseinfluss bei nicht vollkommen dicht gesintertem Material erst bei höherer Temperatur bemerkbar machen kann und oft erst oberhalb 1200 °C erkennbar wird. 3.3.1 Wärmeleitfähigkeit von mehrkomponentigen keramischen Werkstoffen Die meisten keramischen Werkstoffe sind Mischungen aus einer oder mehreren festen Phasen mit glasigen Anteilen und Porosität. Die resultierende Wärmeleitfähigkeit des Werkstoffs ist abhängig von der Menge und der Anordnung der einzelnen Phasen sowie von ihren individuellen Wärmeleitfähigkeiten. Idealisierte Phasenanordnungen [8] a) parallele Schichten, b) kontinuierliche Hauptphase, c) kontinuierliche Nebenphase Abb. 3.3.3 3.3 Thermische Leitfähigkeit - 141 - Modellbetrachtungen gehen von Grenzfällen über die geometrische Anordnung der Phasen im Werkstoff aus (Abb. 3.3.3). 1. Plattenförmige Phasenanordnung a) Fluss parallel zur Plattenrichtung b) Fluss senkrecht zur Plattenrichtung 2. Kugelige Teilchen in einer umgehenden Matrix. (Die Effekte der Matrix können sich umkehren in die der eingebetteten Teilchen.) Zu 1a): Bei einem Wärmefluss parallel zur Plattenrichtung liegt eine einfache Analogie einer parallelen Schaltung von Widerständen vor. Alle Platten liegen im gleichen Temperaturgradienten und der größte Wärmefluss wird unter Berücksichtigung des Volumenanteils relativ gesehen durch die Phase mit der größten WLF fließen. Es gilt: λ M = λ 1 ⋅ V1 + λ 2 ⋅ V2 (3.3.7) worin V1 und V2 die Volumenanteile der beiden Phasen sind, die man bei einem entsprechend richtig gelegten Schnitt auch gleich den Flächenanteilen setzen kann. Ist λ1 viel größer als λ2 dann gilt die Näherung: λ M ≈ λ 1 ⋅ V1 (3.3.8) (zum Beispiel für porige Güter bzw. Werkstoffe). Zu 1b): Liegen die plattenförmigen Phasen senkrecht zum Wärmefluss, entsprechend einer elektrischen Serienschaltung von Widerständen, dann ist der Wärmefluss durch jede Platte hindurch gleich und für die WLF gilt V V 1 = 1+ 2 λ M λ1 λ 2 (3.3.9) bzw. λM = λ1 ⋅ λ 2 V1λ 2 + V2 λ 1 (3.3.10) - 142 - 3.3 Thermische Leitfähigkeit In diesem Fall wird die Gesamt-WLF durch die Komponente mit der niedrigsten WLF des Mischkörpers bestimmt. Ist λ1 viel größer als λ2 so ergibt sich als Näherung: λM ≈ λ2 V2 (3.3.11) Zu 2): Im Falle der Dispersion einer kugeligen Phase in einer Matrix, muss man festlegen, welcher Stoff die Matrixrolle übernimmt. Eine quantitative Formel von Eucken lautet: λM = λ2 λ2 ⎞ ⎛ ⎜1− ⎟ λ1 ⎟ ⎜ 1 + 2 V1 ⎜ 2 λ2 ⎟ ⎜ ⎟ ⎝ λ1 + 1⎠ λ2 ⎞ ⎛ ⎟ ⎜1− λ1 ⎟ ⎜ 1 − V1 ⎜ λ2 ⎟ ⎟ ⎜ ⎝ λ1 + 1⎠ λ2 = WLF der Matrixphase λ1 = WLF der kugelig dispergierten Phase V1 = (3.3.12) Volumenanteil der kugeligen Phase Für den Fall λ2»λ1 (d.h. z.B. λ1 = Poren) kann man die Eucken-Formel vereinfachen zu λM ≈ λ2 1 − V1 , 1 1 + V1 2 (3.3.13) woraus man in grober Nährung erhält λM = λ2 (1-V1) mit V1 = Volumenanteil der Porosität. (3.3.14) Für den Fall λ2 « λ1 (z.B. Metall in Kunststoffmatrix) gilt: λM ≈ λ2 1 + 2 V1 1 − V1 (3.3.15) 3.3 Thermische Leitfähigkeit - 143 - WLF im System MgO - MgSiO4 [8] Abb. 3.3.4 Abb. 3.3.4 zeigt Ergebnisse im System MgO-MgSiO4. Neben den Messpunkten stellen die jeweiligen dünnen Linien den Verlauf der Wärmeleitfähigkeit dar, wenn die entsprechende Endphase die kontinuierliche Phase darstellen würde. Einfluss der Porosität Bei heterogenen feuerfesten Werkstoffen interessieren Wärmeleitungsvorgänge in der Gasphase der Poren neben denen in der Feststoffphase. Wärme wird in einem Gas transportiert, indem die Gasmoleküle im heißen Gebiet des Temperaturfeldes durch Stoß eine zusätzliche Energie aufnehmen. Diese zusätzliche Energie diffundiert zur kalten Seite, indem sie bei unzähligen Stößen auf immer wieder andere Gasmoleküle übertragen wird. Wärmeleitfähigkeit von Gasen in Abhängigkeit von der Temperatur [13] Abb. 3.3.5 - 144 - 3.3 Thermische Leitfähigkeit Die Wärmeleitfähigkeit von Gasen steigt mit der Temperatur, wie Abbildung 3.3.5 zeigt. Die meisten technisch bedeutsamen Gase haben mit Ausnahme des Wasserstoffes eine ungefähr gleich große Wärmeleitfähigkeit, die wesentlich kleiner als die der festen Stoffe ist. Der Wärmetransport durch Stoßprozesse ist der alleinige Transportmechanismus, wenn das Gas in den Poren der feuerfesten Werkstoffe in relativ kleine Räume eingeschlossen ist, in denen keine Strömung auftreten kann. Ist die Porengröße kleiner als die freie Weglänge der Gasmoleküle (bei Raumtemperatur etwa ≤ 50 nm), so werden die Stöße der Gasmoleküle behindert, und die Wärmeleitfähigkeit der Gase sinkt sprunghaft ab. Nach gewissen Vereinfachungen ergibt sich für die Wärmeleitfähigkeit durch Strahlung innerhalb der Poren nach Loeb: λs = 4 γ d σ ε T3 (3.3.16) mit d = Porendurchmesser, γ = Formfaktor, σ = Strahlungskonstante, ε = Gesamtemissionsgrad Die Wärmeleitfähigkeit nimmt danach linear mit der Porengröße ab (vgl. auch Gl. 3.3.14). Wenn die Poren groß genug sind, so dass die mittlere freie Weglänge der Photonen kleiner ist als die Porengröße, nimmt die Wärmeleitfähigkeit poröser Werkstoffe mit zunehmender Temperatur zu, weil die Wärmestrahlung in den Gasen der Poren zunimmt (Abb. 3.3.6). Wärmeleitzahl in Abhängigkeit von der Temperatur für zwei feuerfeste Baustoffe Abb. 3.3.6 mit unterschiedlicher Porengrößenverteilung [13] (dabei ist der mittlere Porendurchmesser für 2 kleiner gegenüber 1 bei gleichem Porenvolumenanteil) 3.3 Thermische Leitfähigkeit - 145 - Feuerfeste Werkstoffe sind heterogene poröse Mehrphasenkörper. Der Wärmetransport in diesen feuerfesten Werkstoffen, wie z.B. in einem Schamottestein, erfolgt durch Wärmeleitung im Feststoff und durch Strahlung in den Poren. Zunächst senkt die Porosität die Wärmeleitfähigkeit stark, da die Wärmeleitfähigkeit in den Gasen der Poren deutlich geringer ist als die Wärmeleitfähigkeit im Feststoff. Eine diskontinuierliche in den Poren verteilte Gasphase senkt die Wärmeleitfähigkeit etwa linear mit der Porosität (siehe Gl. 3.3.14). Die effektive Wärmeleitfähigkeit besitzt immer dann ein Minimum in Abhängigkeit von der Porosität, wenn die Strahlung bzw. die Konvektion am Wärmetransport beteiligt sind. Das Minimum liegt mit steigender Temperatur bei geringeren Porositäten, weil der Strahlungswärmetransport gegenüber dem Leitungswärmetransport stärker in Abhängigkeit von der Temperatur zunimmt. Das Auftreten einer minimalen Wärmeleitfähigkeit in Abhängigkeit von der Porosität bedeutet, dass es für Wärmedämmstoffe eine optimale Porosität bzw. Rohdichte gibt, die den größten Wärmedämmeffekt hervorruft. Das Minimum wurde experimentell an Schamotteleichtsteinen, Calciumsilicat-Materialien und feuerfesten Phasen etwa bei folgenden Porositäten gefunden: bei 25 °C bei 200 °C bei 400 °C bei 600 °C bei 800 °C bei 1000 °C 98% Porosität 95% Porosität 92% Porosität 90% Porosität 85% Porosität 80% Porosität Verschiedene Autoren haben versucht, die Wärmeleitfähigkeit poröser Werkstoffe mathematisch zu erfassen (Tab. 3.3.1). Aufgrund der komplizierten Zusammenhänge sind die Formeln in Tab. 3.3.1 üblicherweise jeweils nur unter bestimmten Voraussetzungen gültig (Art des Werkstoffs, Porengrößenverteilung usw.). - 146 - 3.3 Thermische Leitfähigkeit Wärmetransportmodelle für feuerfeste Werkstoffe [13] Tab. 3.3.1 Abb. 3.3.7 enthält eine Übersicht über die Wärmeleitfähigkeit repräsentativer feuerfester Werkstoffe. Es ist auffallend, dass die Wärmeleitfähigkeit mit der Temperatur steigt, wenn sie bei Raumtemperatur unter 1 W/mK liegt, und fällt, wenn sie bei Raumtemperatur wesentlich höher als 1 W/mK ist. Dieses Verhalten erklärt sich aus den unterschiedlichen Anteilen an Poren und Feststoff und dem erhöhten Strahlungswärmetransport in hochporösen, d.h. bei Raumtemperatur wenig leitenden, bei hohen Temperaturen aber wärmedurchlässigen Materialien. Umgekehrt besitzen niedrigporöse Werkstoffe wegen der hohen Wärmeleit- 3.3 Thermische Leitfähigkeit - 147 - fähigkeit der Feststoffphase bei Raumtemperatur eine große Wärmeleitfähigkeit, bei hohen Temperaturen wegen des negativen Temperaturkoeffizienten der Feststoffe eine geringere Wärmeleitfähigkeit. WLF einiger Typen feuerfester Baustoffe in Abhängigkeit von der Temperatur [13] Abb. 3.3.7 Für poröse feuerfeste Werkstoffe gelten folgende wesentliche Aussagen [13]: • Der innere Strahlungstransportanteil nimmt mit steigender Temperatur wesentlich schneller zu als der Leitungsanteil. Bei hohen Temperaturen findet der Wärmetransport weitgehend durch innere Wärmestrahlung statt. • Der Leitungsanteil wird bei konstanter Temperatur mit steigender Gesamtporosität geringer. • Der Strahlungsanteil wird bei gleicher Temperatur mit kleinerem mittlerem Porendurchmesser geringer. Er wird wesentlich von der Porengrößenverteilung beeinflusst. • Bei gleicher Ausgangsporosität wird ein feuerfester Werkstoff mit kleinerem mittlerem Porendurchmesser einen geringeren Anstieg der effektiven Wärmeleitfähigkeit in - 148 - 3.3 Thermische Leitfähigkeit Abhängigkeit von der Temperatur zeigen. • Bei Anisometrien bzw. Texturen, besonders bei der Porenvolumenstruktur, kann die effektive Wärmeleitfähigkeit richtungsabhängig sein. Fasst man alle dargestellten Aussagen zusammen, so kann man die Anforderungen an einen feuerfesten Werkstoff mit minimaler bzw. maximaler Wärmeleitfähigkeit formulieren. Ein Wärmedämmstoff mit optimalen Eigenschaften wird durch folgende Maßnahmen erhalten: • Die Porosität ist auf die Einsatztemperatur bzw. das zu dämmende Temperaturgefälle abzustimmen. Die für die minimale Wärmeleitfähigkeit erforderliche Porosität sinkt mit steigender Einsatztemperatur. • Die Poren sollen möglichst klein sein. • Das Feststoffgerüst soll aus locker gepackten Kristallstrukturen aus Atomen mit hoher relativer Atommasse aufgebaut sein, komplizierte Verbindungen enthalten, feinkristallin sein, eine hohe Fehlstellendichte, großen Brechungsindex und geringe Transparenz aufweisen. • Risse und Grobporen, die einen konvektiven Wärmetransport ermöglichen, sind zu vermeiden. • Den Wärmedämmstoffen können Stoffe zugesetzt werden, die den Strahlungstransport behindern. Diese Maßnahme hat erfahrungsgemäß nur bis zu Temperaturen von unter 1000 °C einen Effekt. Ein feuerfester Werkstoff mit maximaler Wärmeleitfähigkeit wird durch folgende Maßnahmen erreicht: • Der feuerfeste Werkstoff soll weitgehend porenfrei sein. • Die Feststoffphase soll aus einer dichtgepackten Kristallstruktur aus Atomen mit einer geringen relativen Atommasse aufgebaut sein, aus möglichst großen Kristallen mit einer hohen Ordnung im Gitter, ohne Mikrorisse oder amorphe Anteile bestehen, möglichst einphasig sein und eine hohe Transparenz besitzen. • Der Zusatz von Graphit oder SiC erhöht die Wärmeleitfähigkeit üblicher feuerfester Werkstoffe. Für Sonderfälle ist BeO das Material mit der höchsten Wärmeleitfähigkeit. • 3.3 Thermische Leitfähigkeit - 149 - Korngrenzeneinflüsse Bei sehr niedrigen Temperaturen ist die mittlere freie Weglänge von Phononen sehr groß, was zu dem Maximum in der Wärmeleitfähigkeit in Abb. 3.3.1. führt. Bei Raumtemperatur liegt die mittlere freie Weglänge von Phononen in der Größenordnung von 100 Å, mit zunehmender Temperatur nehmen diese Werte weiter ab. Die Kristallitgröße, die notwendig ist für Phononenstreuung an den Korngrenzen, müsste also extrem klein sein. Ein Vergleich der Wärmeleitfähigkeit von Einkristallen und polykristallinen Proben unterschiedlicher Korngröße im Mikrometerbereich sind in Abb. 3.3.9 dargestellt. WLF von Einkristallen und polykristallinem Al2O3, TiO2 und CaF2 [8] Abb. 3.3.8 Für alle diese Materialien ist die Wärmeleitfähigkeit bei Temperaturen um etwa 200 °C in den polykristallinen Materialien und in den Einkristallen identisch. Bei höheren Temperaturen weichen diese Werte aufgrund der Photonenleitfähigkeit voneinander ab, polykristalline Werkstoffe haben dann eine niedrigere Wärmeleitfähigkeit als Einkristalle (mittlere freie Weglänge der Photonen liegt in der Größenordnung der Korngrößen und nimmt mit steigender Temperatur zu). - 150 - 3.4 Thermoschockverhalten 3.4 Thermoschockverhalten Thermische Spannungen, d.h. durch thermische Behandlung hervorgerufene mechanische Spannungen, können in einem Festkörper auf folgende Arten entstehen: 1. Durch ein Temperaturgefälle innerhalb des Körpers entstehen ohne äußere Kräfte Zugund Druckspannungen (außer bei Werkstoffen deren thermischer Ausdehnungskoeffizient Null ist). 2. Wenn das Ausdehnen oder Zusammenziehen eines Körpers beim Aufheizen oder Abkühlen durch äußere Kräfte verhindert wird. 3. Durch verschiedene Ausdehnungskoeffizienten verschiedener Phasen in Werkstoffen (z.B. Glasphase, Mullitkristalle usw.) entstehen an den Phasengrenzen Spannungen, die sich bei Temperaturänderungen schädlich auswirken können. Übersteigen die thermischen Spannungen an irgendeiner Stelle im Körper die Zugfestigkeit des Werkstoffs, so entstehen an dieser Stelle Risse, die u.U. zum vollständigen Bruch führen. Da sich keramische Werkstoffe auch bei höheren Temperaturen nur gering plastisch verformen, können sie thermische Spannungen nicht abbauen. Sie sind daher besonders durch zeitliche oder örtliche Temperaturwechsel gefährdet. Drei Faktoren bestimmen die Temperaturwechselbeständigkeit keramischer Werkstoffe: 1. Faktoren der äußeren Beanspruchung: Darunter versteht man die Temperaturdifferenz, d.h. die Höhe des Temperaturwechsels, der ein Körper ausgesetzt ist, und den Wärmeübergangskoeffizienten, der ein Maß für die Heftigkeit des Thermoschocks ist. 2. Geometrische Faktoren: Durch diese Faktoren werden die Größe und die Form eines Werkstücks berücksichtigt. 3. Materialeigenschaften: Dies sind vor allem die elastischen Konstanten wie E-Modul, GModul, Poissonkonstante, Bruchfestigkeit, Ausdehnungskoeffizient und Wärmeleitfähigkeit. Die Faktoren der beiden ersten Gruppen bestimmen die Bedingungen und Heftigkeit des 3. Thermische Eigenschaften - 151 - Thermoschocks, während von den Faktoren der dritten Gruppe die Höhe der entstehenden Spannungen und die Fähigkeit des keramischen Werkstoffes, diesen Spannungen zu widerstehen, abhängt. Der Ausdehnungskoeffizient keramischer Werkstoffe variiert in einem weiten Bereich. Typischerweise erhöht sich die Länge eines 25 cm langen Rohres um etwa 0,25 cm, wenn es auf 1000 °C erhitzt wird. Wenn das Bauteil homogen und isotrop ist, entstehen keine Spannungen durch diese thermische Ausdehnung. Wenn allerdings die Ausdehnung verhindert wird, z.B. durch kalte Einspannungen, können beträchtliche Spannungen entstehen. Unter diesen Bedingungen sind die entstehenden Spannungen ähnlich, als würde man die Probe frei ausdehnen lassen und dann durch von außen einwirkende Kräfte auf die ursprüngliche Dimensionen komprimieren. Zwischen Spannung, E-Modul, elastischer Verformung und Ausdehnungskoeffizient bestehen die folgenden Beziehungen: σ = E⋅ε (3.4.1) ε= Δl l0 (3.4.2) α= Δl l 0 ⋅ ΔT (3.4.3) ε = α ΔT (3.4.4) Aufheizen: σ = E α ΔT (3.4.5) Abkühlen: σ = -E α (T´-T0) (3.4.6) wobei E der E-Modul ist, α der lineare Ausdehnungskoeffizient, ε die plastische Dehnung, l0 die Ausgangslänge der Probe, T0 die Ausgangstemperatur, T´ die neue Temperatur und ΔT=T´-T0. Für ein Rohr aus Al2O3 mit α (T´-T0) = 0,01 cm/cm und E = 390 GPa ergeben sich bei ΔT = 1000 °C Spannungen von 390 MPa , die höher sind als die Zugfestigkeit der meisten keramischen Werkstoffe. Beim Aufheizen entstehen Druckspannungen, da der Körper dazu tendiert, sich gegen die zurückgehaltenen Gefügebestandteile auszudehnen, beim Abkühlen können entsprechende Zugspannungen entstehen. - 152 - 3.4 Thermoschockverhalten Neben den aus thermischer Ausdehnung resultierenden Spannungen können Spannungen auch aufgrund von Temperaturgradienten innerhalb eines Bauteils entstehen, wenn die freie Ausdehnung eines jeden Volumenelements nicht gewährleistet ist. Die Behinderung der freien Ausdehnung führt in diesem Falle zu Spannungen. Temperaturgradienten entlang eines Aluminiumoxidrohres in einem Rohrofen dagegen führen nicht zu thermischen Spannungen, da sich das Rohr entlang der Achse frei ausdehnen kann. Wäre dies nicht gegeben, würden sehr große Spannungen auftreten, und das Rohr würde zerstört werden. Dort, wo diese Freibewegung nicht gegeben ist, entstehen Spannungen, die wie oben aus dem Elastizitätsmodul, dem Ausdehnungskoeffizienten und der Temperaturverteilung berechnet werden können. Im folgenden sollen die Spannungen in einer großen Glasplatte berechnet werden, die zunächst in kochendem Wasser auf 100 °C erhitzt wird und dann in einem Eisbad bei 0 °C abgekühlt wird. Unter diesen Bedingungen ist die Geschwindigkeit des Wärmeübergangs von der Oberfläche sehr groß. Die Oberfläche erreicht die neue Temperatur sehr schnell, während das Innere der Glasplatte auf dem ursprünglichen Wert bei T0 = 100 °C verbleibt. Wenn sich die Oberfläche frei bewegen könnte, würde sie sich um den Wert α (T0-T´) = 100 α zusammenziehen. Da die Temperatur im Innern der Probe nach wie vor T0 = 100°C beträgt, entstehen Zugspannungen an der Oberfläche. Um das Spannungsgleichgewicht zu erhalten, müssen im Innern der Probe entsprechende Druckspannungen entstehen. Die entstehenden durchschnittlichen Spannungen lassen sich berechnen zu σy = σz = Eα (T∅ − T) 1− μ (3.4.7) mit T∅ = durchschnittliche Temperatur der Probe. T = Temperatur an einer beliebigen Stelle der Probe. Die maximal zulässig Temperaturdifferenz, der die Probe ohne Rissbildung ausgesetzt werden kann, ergibt sich dann zu σ (1 − μ ) (3.4.8) E ⋅α Zu Beginn des Versuches, wenn die Temperatur im Innern 100 °C und die OberflächenΔTmax = temperatur 0 °C beträgt, errechnen sich für ein Glas mit E = 107 psi, α=10.10-6 cm/(cm K) und 3. Thermische Eigenschaften - 153 - ν = 0,20 Spannungen σy bzw. σz zu 12 500 psi. Dies liegt deutlich über der Bruchspannung von ca. 10 000 psi, so dass erwartet werden kann, dass dieses Glas unter den genannten Bedingungen beim Thermoschock bricht. Bei Gläsern mit niedrigeren Ausdehnungskoeffizienten entstehen dagegen sehr viel niedrigere Spannungen, so dass z. B. Pyrex- oder Silicagläser unter diesen Bedingungen nicht zerstört würden. Die resultierenden Spannungen, die beim Heizen oder Kühlen von Proben unterschiedlicher Geometrie entstehen, sind in Tabelle 3.4.1 dargestellt. Spannungen an Oberflächen und im Zentrum verschiedener Formkörper [8] Tab. 3.4.1 Ta=mittlere Probentemperatur, Ts=Oberflächentemperatur und Tc=Temperatur im Probeninneren Man erhält ein unterschiedliches Spannungsbild, je nachdem, ob der Wärmeübergang zwischen dem äußeren Medium und dem keramischen Körper groß oder klein ist. In ersterem, - 154 - 3.4 Thermoschockverhalten gerade oben betrachteten Fall, z.B. beim Tauchen in Wasser bei 0° (mit einer Wärmeübergangszahl h ∼ 0,2 cal/cm2 sec °C), besteht wegen der relativ geringen Wärmeleitung zwischen Oberfläche und der darunter liegenden Schicht ein großer Temperaturunterschied. Ist der Wärmeübergang dagegen klein, z.B. beim Abkühlen in Luft (h ∼ 0,002 cal/cm2 sec °C), dann findet ein Temperaturausgleich statt, und die Temperaturwechselbeständigkeit wird abhängig von der Temperaturleitfähigkeit des keramischen Werkstoffs, dem Wärmeübergangskoeffizienten und der Probendimension. Dieses dimensionslose Verhältnis wird Biot-Zahl genannt β= rm h λ (3.4.9) mit rm = Radius eines erhitzten Stabes. Für relativ niedrige Übergangskoeffizienten, die üblicherweise unter den Bedingungen auftreten, bei denen der Wärmeübergang durch Konvektion und Strahlung gegeben ist, gilt σ max = σ f (1 − ν) r h = 0.31 m Eα (T0 − T' ) max λ (3.4.10) σf = Bruchspannung ΔTmax = σ f (1 − ν) λ ⋅ 0.31rm h Eα (3.4.11) ΔTmax=maximale Temperaturdifferenz beim Abschrecken Aus dem Gezeigten wird klar, dass die Temperaturwechselbeständigkeit nicht durch einen einzigen Parameter charakterisiert werden kann. Sie ist abhängig von den Abschreckbedingungen und der Geometrie des Bauteils. Die maximale Abschrecktemperatur, der ein Körper in Abhängigkeit Wärmeübergangsbedingungen widerstehen kann, ist in Abb. 3.4.1 dargestellt. von den 3. Thermische Eigenschaften Maximale Abschrecktemperaturen einiger Werkstoffe - 155 - Abb. 3.4.1 in Abhängigkeit von der Wärmeübergangszahl h [12] Man erkennt, dass bei hohen Übergangskoeffizienten die Kurven parallel zur Abszisse laufen, also keine Abhängigkeit von der Form besteht. Bei geringen h-Werten ist dagegen auch eine Abhängigkeit von b, also von der Form vorhanden. Die ΔTmax-Werte sind aber in ruhender Luft sehr hoch, so dass nur bei sehr dicken Gegenständen ein Reißen zu befürchten ist. Die Wärmeübergangszahl nimmt mit steigender Strömungsgeschwindigkeit der Luft zu (Tab.3.4.2) und kann Werte bis zu h = 0,03 cal/cm2 sec °C erreichen. Dadurch wird ΔTmax stark erniedrigt. Aus Abb. 3.4.1 ist außerdem zu erkennen, dass sich einige Kurven überschneiden. Man kann daher keine bestimmte Reihenfolge für die TWB verschiedener Werkstoffe angeben, da diese von der Art der Beanspruchung abhängt. Wärmeübergangskoeffizienten für verschiedene Abschreckbedingungen [8] Tab. 3.4.2 - 156 - 3.4 Thermoschockverhalten Die Temperaturwechselbeständigkeit kann auch vom Standpunkt der Bruchmechanik aus betrachtet werden. Wenn die thermischen Spannungen in einem Bauteil die theoretische Zugfestigkeit überschreiten, entstehen Risse, was zu einer spontanen Abnahme der Festigkeit führt (Abb. 3.4.2). Thermoschockverhalten von Keramik [8] Abb. 3.4.2 Die neu entstandene Risslänge ist zunächst unterkritisch, die Temperaturdifferenz beim Thermoschock muss zur weiteren Rissverlängerung über eine neue kritische Temperaturdifferenz erhöht werden (Abb. 3.4.2). Bei einer weiteren Temperaturerhöhung bei Thermoschockuntersuchungen kommt es zu einem quasi-statischen Risswachstum und entsprechender weiterer Abnahme der Festigkeit (Abb. 3.4.2). Je nach Abkühl- und Wärmeübergangsbedingungen wird das Verhalten keramischer Werkstoffe häufig durch die beiden Thermoschockparameter 3. Thermische Eigenschaften - 157 - R= σ f (1 − μ ) E⋅α (3.4.12) R′ = σ f (1 − μ ) ⋅λ E ⋅α (3.4.13) oder beschrieben, die lediglich eine Vereinfachung von Gl. 3.4.11 darstellen. Kurven in der Form von Abb. 3.4.2 sind der Praxis häufig beobachtet worden, so z.B. an polykristallinen Aluminiumoxidproben mit unterschiedlicher Korngröße (Abb. 3.4.3). Thermoschockverhalten von Al2O3 [8] Abb. 3.4.3 Die elastischen Konstanten und die thermischen Eigenschaften keramischer Werkstoffe lassen sich durch Variation von Gefügeparametern in weiten Grenzen beeinflussen Abb. 3.4.4, 3.4.5 und 3.4.6 zeigen dies am Beispiel von Si3N4-Werkstoffen. - 158 - 3.4 Thermoschockverhalten Temperaturleitfähigkeit von HPSN als Funktion des β-Gehaltes Abb. 3.4.4 Morphologie der a- und ß-Phase in RBSN Abb. 3.4.5 Einfluß der Gefügeparameter auf die TWB von RBSN Abb. 3.4.6 3. Thermische Eigenschaften - 159 - Dies hat zur Folge, dass auch das Thermoschockverhalten keramischer Werkstoffe sehr stark durch die Gefügeparameter beeinflusst werden kann, was sich in der starken Streuung der kritischen Temperaturdifferenz nach Wasserabschreckung verschiedener keramischer Werkstoffe bemerkbar macht (Abb. 3.4.7). Festigkeit (RT) als Funktion der Abschrecktemperaturdifferenz nach Wasserabschreckung Abb. 3.4.7 (22°C) für verschiedene Konstruktionskeramiken Abb. 3.4.8 zeigt, dass auch durch Variation der Abschreckbedingungen und damit durch Variation der Wärmeübergangszahl die kritische Temperaturdifferenz von RBSN in weiten Bereichen variiert werden kann. Festigkeit von RBSN als Funktion der Temperaturdifferenz beim Abschrecken in H2O und Öl Abb. 3.4.8 - 160 - 4.1 Korrosion 4. Chemische Eigenschaften 4.1 Korrosion Korrosionsvorgänge sind in der Keramik, der Glastechnologie und der Metallurgie von großer Bedeutung. Dabei spielen Reaktionen zwischen Festkörpern (z.B. in Ofenausmauerungen), Gas-Festkörper-Reaktionen (Verdampfung und chemische Reaktionen oder Oxidation) und Flüssigkeit-Festkörper-Reaktionen (z.B. Angriff feuerfester Substanzen durch Schlacken und Glasschmelzen) eine große Rolle. Die Hauptschwierigkeiten bei der Beschreibung von Korrosionsprozessen liegen zum einen in der großen Zahl an Variablen (Temperatur, Dichte, Konzentration, Viskosität, Benetzung, Grenzflächenspannung, Porosität usw.) und z.a. in der Kinetik der zeitlich und räumlich gleichzeitig ablaufenden und sich gegenseitig beeinflussenden Elementarprozesse (Diffusion, Lösungsvermögen, Reaktion, Phasenneubildung, thermische- und Grenzflächenkonvektionen, Verdampfung, Zersetzung, Kondensation usw.). Die grundlegendsten dieser Prozesse werden im folgenden einzeln und teilweise in ihrer Wechselwirkung dargestellt. 4.1.1 Reaktionen zwischen Feststoffen Betrachten wir eine Reaktion, bei der zwei Feststoffe (in diesem Fall NiO und Al2O3) bei erhöhten Temperaturen eine Reaktionsschicht bilden, in diesem Fall einen Nickelaluminatspinell (NiAl2O4). Es gibt viele mögliche Reaktionswege, fünf davon sind schematisch in Abb. 4.1.1 gezeigt. Die Spinellbildung könnte durch die Diffusion von A2+Ionen, B3+-Ionen oder O2--Ionen, durch den Transport von Elektronen (Leerstellen), durch den Transport von O2-Gas oder durch Reaktionen an der Grenzfläche AO-AB2O4 oder AB2O4-B2O3 kontrolliert werden. 4. Chemische Eigenschaften - 161 - Schematische Darstellung von Festkörperreaktion zur Spinellbildung [8] Abb. 4.1.1 Wenn Diffusionsvorgänge die Reaktionsgeschwindigkeit bestimmen, gelten folgende Beziehungen: x = gebildete Schichtdicke D = Diffusionskoeffizient K = Konstante t = Zeit dx k ⋅ D = dt x (4.1.1) ∫ x dx = k ⋅ D dt (4.1.2) x = ( k ' t ) 1/ 2 (4.1.3) x2 = k' t (4.1.4) - 162 - 4.1 Korrosion Die Reaktionsgeschwindigkeit ist also reziprok abhängig von der Dicke der gebildeten Schicht und es wird eine parabolische Abhängigkeit der Bildung des Reaktionsprodukts von der Zeit beobachtet, bzw. eine lineare Abhängigkeit zwischen dem Quadrat der Reaktionsschichtdicke und der Zeit (Abb. 4.1.2). Schichtdicke von NiAl2O4 als Funktion der Reaktionszeit (Argonatmosphäre) [8] Abb. 4.1.2 Abb. 4.1.3 zeigt eine NiAl2O4-Schicht, die sich zwischen einer NiO- und einer Al2O3-Schicht bei 1400°C nach 73 Stunden gebildet hat. Schnittbild einer NiAl2O4-Schicht gebildet nach 73h bei 1400°C [8] Abb. 4.1.3 4. Chemische Eigenschaften - 163 - In der Praxis werden häufig sehr anwendungsnahe Untersuchungen zur Beobachtung der Korrosionsneigung der Materialien durchgeführt. Schamotteerzeugnisse zeigen beispielsweise oberhalb 1500°C intensive zerstörende Reaktionen im Kontakt mit MgO- und kieselsäurereichen Erzeugnissen. Für den praktischen Ofenbau ist die Kenntnis solcher korrodierender Kontaktwirkungen wesentlich, weil davon die Kombinationsfähigkeit verschiedener feuerfester Werkstoffe in einer Anlage bestimmt wird. In Abb. 4.1.4 ist schematisch die Kontaktwirkung verschiedener feuerfester Baustoffe miteinander dargestellt. Diese empirischen Untersuchungen sind für den Anwendungstechniker ebenfalls von großer Bedeutung. Kontaktwirkung verschiedener feuerfester Baustoffe miteinander [16] Abb. 4.1.4 4.1.2 Gas-Festkörper-Reaktionen Die einfachste Art von Gas-Festkörper-Reaktionen sind Verdampfungs- und thermische Zersetzungsvorgänge eines Festkörpers. Die Zersetzungsgeschwindigkeit ist abhängig von thermodynamischen treibenden Kräften, von der Kinetik der Oberflächen-Reaktionen, dem Zustand der reagierenden Oberfläche und von der jeweiligen Atmosphäre. Hochtemperaturoxide verdampfen beispielsweise in Vakuum sehr viel schneller als in Luft. - 164 - 4.1 Korrosion a) Verdampfung von SiO2 Der Verlust von SiO2 aus Gläsern und feuerfesten keramischen Werkstoffen in reduzierender Atmosphäre ist ein wichtiger Faktor, der die Anwendung dieser keramischen Produkte limitiert. Betrachten wir zunächst die Reaktion, die die Verdampfung von SiO2 bestimmt: 2 SiO2 (s) ⇔ 2 SiO (g) + O 2 (g). (4.1.5) Bei 1320°C berechnet sich die Gleichgewichtskonstante nach Keq = P 2 S i O ⋅ PO 2 a 2 = 10 −25 . (4.1.6) SiO 2 Nimmt man an, dass die Aktivität a von SiO2 konstant ist, wird offensichtlich, dass der Sauerstoffpartialdruck den Partialdruck von SiO (g) und daher die Geschwindigkeit der Verdampfung kontrolliert. In reduzierenden Atmosphären (inerte Atmosphäre, H2- oder COAtmosphäre) beträgt PO 2 = 10-18 atm, der SiO-Druck beträgt 3 ⋅ 10-4 atm. Die Verdampfungsgeschwindigkeit in der Nähe des Gleichgewichts ist nach Knudsen A Pi α i dn i = dt 2 π M i RT (4.1.7) wobei dni/dt den Verlust der Komponente i in mol/Zeiteinheit darstellt, A die Probenoberfläche, αi der Verdampfungskoeffizient (≤ 1), M das Molekulargewicht von i und Pi der Dampfdruck von i über der Probe ist. Bei hoher Gasgeschwindigkeit über der Probe oder bei Verdampfung im Vakuum stellt sich über der Probe kein Gleichgewichtsdampfdruck ein und die Verdampfungsgeschwindigkeit wird durch die Reaktionsgeschwindigkeit an der Grenzfläche bestimmt. Für die Verdampfung von SiO2 nach Gleichung 4.1.5 errechnet sich mit Gleichung 4.1.7 eine Verlustrate von ungefähr 5 ⋅ 10-5 mol SiO2/cm2 sec bei 1320°C. 4. Chemische Eigenschaften - 165 - Abb. 4.1.5 zeigt den Gewichtsverlust von Ziegeln mit unterschiedlichen SiO2-Gehalten bei 1425°C in Wasserstoffatmosphäre. Die Zersetzungsreaktion lautet: H2 (g) + SiO2 (s) = SiO (g) + H2O Gewichtsverlust von Ziegeln mit unterschiedlichen SiO2-Gehalten (4.1.8.) Abb. 4.1.5 beim Glühen in Wasserstoffatmosphäre [8] b) Oxidation 1) Thermodynamische Überlegungen Am Beispiel von Siliciumnitrid ist in Abb. 4.1.6. gezeigt, dass dieser Werkstoff nur bei moderaten Stickstoff- und sehr niedrigen Sauerstoffpartialdrücken stabil ist. Die thermodynamischen Daten lassen erkennen, dass Siliciumnitrid zu festem SiO2 oxidiert und dabei gasförmigen Stickstoff freisetzt, nach der Gleichung: Si 3 N 4 (s) + 3 O 2 (g) → 3 SiO 2 (s) + 2 N 2 (g) (4.1.9) - 166 - 4.1 Korrosion Stabilität von Si3N4 und anderen Phasen [18] Abb. 4.1.6 Unter oxidierenden Bedingungen führt diese Reaktion zu einer passivierenden SiO2-Schicht auf der Siliciumnitridoberfläche, die eine weitere Oxidation verhindert. Bei sehr niedrigen Sauerstoffpartialdrucken ist es möglich, dass sich festes Si3N4 unter Bildung von gasförmigem SiO zersetzt. Dies geschieht nach der Gleichung: 2Si3N4 (s) + 3O2 (g) → 6SiO (g) + 4N2 (g) (4.1.10) In diesem Fall entsteht keine passivierende Oxidationsschicht und die Korrosionsgeschwindigkeit hängt im wesentlichen vom SiO-Dampfdruck und der Strömungsgeschwindigkeit des Gases ab. Ein weiteres Beispiel für die thermodynamische Betrachtung der Zersetzung ist Urandioxid (UO2), Kernbrennstoff in den meisten Kernreaktoren. Die thermodynamischen Eigenschaften dieses Oxids zeigen, dass es als Kernbrennelement in Kontakt mit Sauerstoff zu U3O8 oder UO3 oxidiert wird. Diese Oxidation ist mit einer großen Volumenveränderung und damit Rissbildung und Abplatzungen verbunden, so dass sie in Reaktoren durch Kapselung oder die Verwendung einer inerten Gasatmosphäre verhindert werden muss. Darüber hinaus reagiert Urandioxid mit Wasser oder wässrigen Lösungen zu Uranhydroxiden, was hier aber nicht näher betrachtet werden soll. 4. Chemische Eigenschaften - 167 - 2) Zersetzungsmechanismus Die Oxidation von nichtoxidischen, keramischen Festkörpern kann prinzipiell nach drei grundsätzlichen Reaktionsmechanismen erfolgen. a) Die Auflösungsgeschwindigkeit wird kontrolliert durch die direkte Reaktion an der Festkörperoberfläche mit dem strömenden Gas. Nimmt man an, dass sich der Oberflächenzustand nicht wesentlich ändert, so folgt diese Zersetzung einer linearen Abhängigkeit, wobei dQ = kc dt (4.1.11) Q = Gesamtmasse der aufgelösten Bestandteile pro Einheitsfläche des Festkörpers kc = lineare Geschwindigkeitskonstante t = Zeit b) Die Zersetzungsgeschwindigkeit wird durch Diffusion chemischer Spezies aus der Matrix des Festkörpers in die gasförmige Umgebung kontrolliert. Die Bildung des Reaktionsprodukts an der Oberfläche folgt dann einer parabolischen Gleichung gemäß Q = ( k p ⋅ t ) 1/ 2 (4.1.12) kp ist darin die parabolische Geschwindigkeitskonstante. c) In vielen Fällen kommt es zu einer Überlagerung der unterschiedlichen Zersetzungsmechanismen und in Abhängigkeit von der Zeit können sowohl lineare als auch parabolische Abhängigkeiten beobachtet werden. Darüber hinaus kommt es bei zyklischer Beanspruchung zu Oberflächenabplatzungen, wodurch keine stationären Bedingungen mehr gegeben sind und sich die verschiedenen Zersetzungsmechanismen ebenfalls überlagern können. - 168 - 4.1 Korrosion 3) Temperatureinfluss auf die Reaktionskinetik Die Reaktionsgeschwindigkeiten sind im allgemeinen von der Temperatur abhängig. Wenn sich die Reaktionsmechanismen in Abhängigkeit der Temperatur nicht ändern, dann kann die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten k durch den bekannten ArrheniusAnsatz beschrieben werden: ⎛ E ⎞ k = k 0 exp ⎜ − a ⎟ ⎝ RT ⎠ (4.1.13) wobei Ea die Aktivierungsenergie des geschwindigkeitsbestimmenden Prozesses, R die Gaskonstante und T die absolute Temperatur darstellen. Die Aktivierungsenergie Ea wird ermittelt, indem man ln k gegen 1/T aufträgt. Die Zusammenhänge sollen im folgenden am Beispiel der Oxidation von Siliciumnitrid näher erläutert werden. Die Gewichtszunahme von Si3N4 während der Oxidation läuft für die meisten Werkstoffe diffusionskontrolliert ab und kann durch die parabolische Funktion Q2= (Δm / A)2 = kp..t (4.1.14) beschrieben werden, wobei Δm/A die Gewichtszunahme pro Flächeneinheit, t die Oxidationszeit und kp die parabolische Geschwindigkeitskonstante darstellt. Oxidationskinetik von HPSN mit unterschiedlichen Arten und Mengen an Sinterhilfsmitteln Abb. 4.1.7 4. Chemische Eigenschaften - 169 - Die Geraden in Abb. 4.1.7 zeigen, dass dieses Gesetz für verschiedene Gehalte an Magnesiumoxid, bzw. Yttriumoxid als Sinteradditiv Gültigkeit besitzt. Bei der Verwendung von MgO oder Yttriumoxid als Sinteradditiv kommt es zur Diffusion von Mg2+-bzw. Y3+-Kationen vom Innern der Probe an die Oberfläche (Abb. 4.1.8). Schematische Darstellung der Oxidationsmechanismen von HPSN [15] Abb. 4.1.8 Dies ist dadurch bedingt, dass die Glasphase bestrebt ist mit dem an der Oberfläche durch Oxidation entstandenem SiO2 ins Gleichwicht zu kommen. Gleichzeitig ist die Glasphase der Diffusionspfad von Sauerstoff bzw. gasförmigen Oxidationsprodukten (z.B. N2). Mit steigendem MgO-Gehalt kann nun entweder der Anteil der während der Verdichtung entstandenen Glasphase erhöht und/oder deren Viskosität erniedrigt werden. Beide Vorgänge können zu einem Anstieg der parabolischen Geschwindigkeitskonstanten kp führen, wie in Abb. 4.1.9 zu sehen ist. - 170 - 4.1 Korrosion Oxidationsgeschwindigkeitskonstanten verschiedener Si3N4-Qualitäten Abb. 4.1.9 Bei der Verwendung von Y2O3 wird angenommen, dass der Anteil der gebildeten Glasphase geringer ist, da nach der Oxidation kristalline Phasen aufgetreten sind und die Viskosität der Glasphase wegen der höheren eutektischen Temperaturen in diesem System größer ist als bei MgO-haltigen Proben. Beides führt zu einer geringeren Gewichtszunahme, was in Abb. 4.1.7 bestätigt wird. Die parabolische Geschwindigkeitskonstante kp liegt für die Oxidation von MgO-haltigen Materialien je nach Temperatur zwischen 10-9 und 10-12 kg2 m-4s-1. Bei der Verwendung von Yttriumoxid als Sinteradditiv liegt die Geschwindigkeitskonstante aufgrund der höheren Viskosität der entstehenden Glasphase deutlich niedriger. Aus der Steigung der Geraden in Abb. 4.1.9 lassen sich die Aktivierungsenergien der Oxidationsreaktionen ermitteln. 4. Chemische Eigenschaften - 171 - 4.1.3 Flüssig-Festkörperreaktionen Ein wichtiges Beispiel der Kinetik von Flüssig-Festkörperreaktionen ist die Auflösungsgeschwindigkeit der Festkörper in Flüssigkeiten, was besonders wichtig ist bei der Korrosion von feuerfesten keramischen Werkstoffen durch Schlacken und Gläser. Für die Auflösung eines Festkörpers in einer Flüssigkeit ist kein Keimbildungsschritt notwendig. Der geschwindigkeits-bestimmende Schritt der Gesamtreaktion ist die Reaktionsgeschwindigkeit an der Phasengrenze. Die Reaktion an dieser Phasengrenze jedoch führt zu einer zunehmenden Konzentration in der Grenzfläche. Material muss von der Grenzfläche wegdiffundieren, um die Reaktion weiterlaufen zu lassen. Die Geschwindigkeit des Materialtransports, also die Auflösungsgeschwindigkeit, wird durch Massetransport in der Flüssigkeit kontrolliert, der durch molekulare Diffusion, freie und erzwungene Konvektion ablaufen kann. Im folgenden werden verschiedene Einflussgrößen dieser Arte der Korrosion und ihre empirischen Bestimmungsmethoden diskutiert. a) molekulare Diffusion Für einen stationären Zustand z.B. einer ungerührten Flüssigkeit ist die Auflösungsgeschwindigkeit durch Moleküldiffusion bestimmt. Die effektive Diffusionslänge, über die Masse transportiert werden muss, ist proportional dt. Das bedeutet, dass die Änderung der Probendicke, die proportional der aufgelösten Masse ist, sich mit x≈ t ändert (Abb. 4.1.10). D⋅t Diffusion und Konzentrationsverlauf bei anfänglicher Stufenverteilung [1] (4.1.15) Abb. 4.1.10 - 172 - 4.1 Korrosion So kann z.B. die Auflösung von Al2O3 in einer silikatischen Schlacke durch die Diffusion von Kationen oder Anionen in Al2O3 oder in der Schlacke bestimmt werden. Dieses Beispiel zeigt Abb. 4.1.11, in der die Auflösung von Saphir in einer CaO-Al2O3-SiO2-Schmelze mit 21 Gew.-% Al2O3 dargestellt ist. Derartige Beobachtungen werden nur bei sehr kurzen Zeiten zu Beginn des korrosiven Angriffs gemacht. Auflösung eines Saphir-Zylinders in CaO-Al2O3-SiO2 (21 Gew.% Al2O3) [8] Abb. 4.1.11 b) Freie Konvektion In dem Maße, in dem die Auflösung infolge von Diffusion fortschreitet, bilden sich Dichtedifferenzen in der angreifenden Flüssigkeit oder Schmelze aus. Dadurch entsteht letztendlich eine Strömung aufgrund freier natürlicher Konvektion, die zu einer Erhöhung der Korrosionsrate führen kann. Abb. 4.1.12 zeigt die Auflösungsgeschwindigkeit von Al2O3Einkristallen in CaO-Al2O3-SiO2-Schmelzen. Kennzeichnend ist die Tatsache, dass zwischen ΔR und der Zeit t ein linearer Zusammenhang besteht. Auflösung von Al2O3-Einkristallen in CaO-Al2O3-SiO2-Schmelzen [8] Abb. 4.1.12 4. Chemische Eigenschaften - 173 - Freie Konvektion kann nicht nur durch Dichtegradienten entstehen, sondern auch durch thermische Konvektion, die sich aufgrund von Temperaturgradienten z.B. in einer Glaswanne einstellen. c) Grenzflächenkonvektion Eine andere Art der freien Konvektion tritt dann auf, wenn drei Stoffe aneinandergrenzen. Liegt teilweise oder vollständige Mischbarkeit der Stoffe ineinander vor, so ist den Grenzflächenenergien Gelegenheit zum Ausgleich gegeben. Damit ist normalerweise eine Flüssigkeitsbewegung verbunden, die zu einer Vergrößerung der Stoffaustauschgeschwindigkeit führt. Je nach Größe bzw. Verhältnis der Grenzflächenspannungen treten unterschiedliche Spaltungs- bzw. Wirbelphänomene auf. Für die Praxis wichtig ist das Auftreten der sogenannten horizontalbevorzugten Korrosion (Spülkante, Spülfuge) und der vertikal bevorzugten Korrosion (Lochfraß, Blasenbohren). Die Abb. 4.1.13 und 4.1.14 zeigen schematische Darstellungen zu diesen Effekten. Spülkanteneffekt [1] Abb. 4.1.13 - 174 - 4.1 Korrosion Lochfraßeffekt [1] Abb. 4.1.14 d) Erzwungene Konvektion Der Einfluss erzwungener Konvektion tritt bei Massedurchsatzströmung in Glaswannen oder z.B. durch Rühren von Schmelzen und Schlacken auf. Im Labor sind verschiedene Experimente zur Bestimmung dieser Art von Korrosion entwickelt worden. Beim sogenannten „Fingertest“ wird ein zylindrischer Stab in eine Schmelze gesteckt und dabei gedreht. Der Nachteil dieser Methode liegt darin, dass die Strömungsverhältnisse an der Oberfläche bisher nicht bekannt sind. Im Gegensatz zu diesem Stabeintauchverfahren können bei einer in einer Flüssigkeit rotierenden Scheibe die Strömungsverhältnisse für den Fall einer laminaren Strömung berechnet werden. Abb. 4.1.15 zeigt derartige Versuchsergebnisse, wobei die Korrosion in cm/sec der Quadratwurzel der Winkelgeschwindigkeit proportional ist. Auflösung einer Saphir-Scheibe [8] Abb. 4.1.15 4. Chemische Eigenschaften - 175 - e) Benetzung Das Benetzungsverhalten keramischer Werkstoffe wird durch ihre stofflichen und Gefügeeigenschaften sowie durch stoffliche Merkmale der angreifenden Schlacken bzw. Schmelzen beeinflusst. Eine geringe Benetzung, die durch einen großen Kontaktwinkel gegeben ist, führt immer zu weniger intensiver Korrosion. In Abb. 4.1.16 ist unterschiedliches Benetzungsverhalten dargestellt. Darstellung eines unterschiedlichen Benetzungsverhaltens [16] Abb. 4.1.16 Dabei gilt cosϕ = ϕ = γsv = γ sv − γ sl γ lv (4.1.16) Kontaktwinkel Grenzflächenenergie Festkörper gegen Atmosphäre γsl = Grenzflächenenergie Festkörper gegen Flüssigkeit und γlv = Oberflächenenergie der Flüssigkeit Abb. 4.1.17 zeigt Benetzungswinkel zwischen verschiedenen feuerfesten Baustoffen und einer Glasschmelze in Abhängigkeit von der Einwirkzeit. Der Benetzungswinkel stellt sich erst nach einer gewissen Einwirkungszeit auf einen für verschiedene feuerfeste Werkstoffe charakteristischen Wert ein. Bei feuerfesten Werkstoffen trifft der Kontaktfall der Benetzung im allgemeinen für Schlacken und Schmelzen immer zu, weil stofflich ähnliche Kontaktparameter vorliegen. Eine besonders günstige Bedingung mit relativ hohem Benetzungswinkel ergibt sich im Kontakt von silikatischen Schlacken und metallischen Schmelzen mit Kohlenstoff. - 176 - 4.1 Korrosion Benetzungswinkel zwischen verschiedenen feuerfesten Baustoffen Abb. 4.1.17 und einer Glasschmelze in Abhängigkeit von der Einwirkungszeit [16] f) Oberflächeninfiltration Durch offene Porosität der Oberflächenschicht der keramischen Werkstoffe wird die Reaktionsfläche wesentlich erhöht. Dies begünstigt die Korrosion erheblich, wobei Poren mit einem großen effektiven Porenradius besonders wirksam sind. Die Korrosion von Schamotteerzeugnissen in Steinkohlenschlacken in Abhängigkeit von der offenen Porosität bei verschiedenen Temperaturen zeigt Abb. 4.1.18. Korrosion von Schamotteerzeugnissen in Steinkohlenschlacken (30%Fe2O3) in Abhängigkeit von der offenen Porosität bei verschiedenen Temperaturen [16] Abb. 4.1.18 4. Chemische Eigenschaften - 177 - Infolge der Kapillarwirkung von Poren können angreifende Schmelzen und Schlacken feuerfeste Werkstoffe infiltrieren. Die Einsaughöhe h max ergibt sich durch die Kapillaraktivität für einen bestimmten Temperaturbereich gemäß: h max = 2γ lv cos ϕ r ρ Fl (4.1.17) r = mittlerer Porenradius ρFl = Dichte der benetzenden Flüssigkeit Mit abnehmendem Porenradius nimmt also die Infiltrationstiefe zu. Bei geringer Benetzung bzw. großem Kontaktwinkel wird die Infiltrationsneigung herabgesetzt. Die Eindringtiefe bzw. Infiltration von Schmelzen und Schlacken in das feuerfeste Material ist zeitabhängig und lässt sich für einen bestimmten Temperaturbereich angeben nach: r γ lv cos ϕ dh = dt 4ηh (4.1.18) bzw. t= 2 η h2 r γ lv cos ϕ (4.1.19) Danach wird die Zeitabhängigkeit der Eindringtiefe ganz maßgeblich durch die Viskosität der infiltrierenden Schmelzen und Schlacken beeinflusst. Niedrigviskose Schlacken infiltrieren schnell. Das ist besonders bei hohen Temperaturen und entsprechender Zusammensetzung der angreifenden Schlacken und Schmelzen gegeben. g) Empirische Methoden zur Bestimmung der Fest-Flüssig Korrosionsbeständigkeit 1) Fingertest (s. Pkt. d) 2) Rotierende Scheibe (s. Pkt. d) 3) Tiegelverfahren - 178 - 4.1 Korrosion Bei dieser Methode wird eine zylindrische Bohrung in einem Probekörper angebracht. In die Bohrung wird eine festgelegte Menge Schlacken- oder Glaspulver eingefüllt. Danach wird der Probekörper bei einer Temperatur oberhalb der Schlacken- oder Glasschmelztemperatur eine gewünschte Zeit erhitzt. Nach der Abkühlung erfolgt ein vertikales Durchtrennen des Tiegels, so dass die Achse der Ausbohrung in der Schnittebene liegt. Zur Bewertung wird die Lösungs- und Tränkungsfläche innerhalb der Schnittebene ausplanimetriert (Abb. 4.1.19). Schema zur Auswertung einer Korrosionstestprobe nach Tiegelverfahren [16] 4) Abb. 4.1.19 Aufstreuverfahren Bei diesem Verfahren wird auf einen erhitzten Probekörper Schlacken- oder Glaspulver aufgestreut. Nach dem Versuch werden Aussehen, Gewichts- und Masseverlust der Proben beurteilt. All diese Verfahren lassen nur grobe vergleichende Bewertungen zu. In der Praxis werden die keramischen Werkstoffe bzw. die zu verarbeitenden Schlacken daher in der Regel sehr anwendungsnahen produktionsrelevanten Tests unterzogen. - 180 - 5.1 Elektrische Leitfähigkeit 5. Elektrische Eigenschaften 5.1 Elektrische Leitfähigkeit Wird an ein Bauteil ein elektrisches Feld angelegt, so erreicht der elektrische Stromfluss mehr oder weniger schnell einen Gleichgewichtswert, der sich aus der Zahl der vorhandenen Teilchen, die Ladungen transportieren, und ihrer Bewegungsgeschwindigkeit ergibt. Die elektrische Stromdichte j wird als die Ladungsmenge definiert, die in der Zeiteinheit durch eine Einheitsfläche transportiert wird. j = ni zi e v (5.1.1) ni = Zahl der beweglichen geladen Teilchen pro Volumeneinheit v = die unter der Wirkung des elektrischen Feldes erzielte Wanderungsgeschwindigkeit e = Elementarladung zi = elektrochemische Wertigkeit zi·e = Ladungsmenge pro Teilchen i Die spezifische elektrische Leitfähigkeit wird durch die Beziehung σ= j E (5.1.2) definiert, worin E die elektrische Feldstärke ist, die gerade an dem betreffenden Ort wirkt. Die elektrische Feldstärke kann in einem Werkstoff örtlich verschieden sein. Die elektrische Leitfähigkeit muss dann auf einen Teilwert bezogen werden, der allein durch die Teilchenart i zustande kommt. σ i = ni zie vi E (5.1.3) Bei einem konstanten Wert von σi ist also die Wanderungsgeschwindigkeit vi proportional der örtlich wirkenden Feldstärke E. Das Verhältnis 5. Elektrische Eigenschaften - 181 - μi = vi E (5.1.4) ist als Beweglichkeit definiert. Die elektrische Leitfähigkeit ist also das Produkt aus der Konzentration ni zi e und der Beweglichkeit der Ladungsträger μi. Ladungsträger können dabei Elektronen, Defektelektronen oder Ionen sein. Diese wiederum unterscheiden sich in Konzentration, Ladung und Beweglichkeit. Zum gesamten Leitfähigkeitsverhalten eines Werkstoffs trägt häufig mehr als nur eine einzige Ladungsträgerart bei. Daher ergibt sich diese aus der Addition der partiellen Leitfähigkeiten der einzelnen Arten: σ = σ1 + σ2 + σ3 = Σσi (5.1.5) Der Anteil der Gesamtleitfähigkeit, der von jeder Lagerungsträgerart beigesteuert wird, heißt Überführungszahl ti ti = σi σ (5.1.6) Die Summe aller individuellen Überführungszahlen ist 1. Überführungszahlen von Kationen t+, Anionen t-, Elektronen oder Leerstellen te,h verschiedener Werkstoffe [8] Abb.5.1.1 - 182 - 5.1 Elektrische Leitfähigkeit 5.1.1. Elektronenleitung Elektronenleitung, wie sie in metallischen Werkstoffen große Bedeutung hat, kann mit dem Bändermodell erklärt werden. Bereits im Einzelatom kann ein Elektron immer nur einen durch entsprechende Quantenzahlen beschriebenen Energiezustand einnehmen (PauliPrinzip). Die diskreten Energieniveaus der Elektronen der einzelnen Atome verbreitern sich im Atomverband jeweils zu einem Energieband, in dem die Elektronen gleichen Quantenzustands der außerordentlich vielen Atome sehr dicht beieinander liegende aber voneinander verschiedene Energiezustände besetzen können. Nehmen die Atome ihren Gleichgewichtsabstand r0 zueinander ein, so sind nur die Energieniveaus der miteinander in Wechselbeziehung stehenden Bindungselektronen zu einem Band aufgeweitet. Bei Verringerung des Atomabstandes (Druckbeanspruchung) treten auch Elektronen der inneren Schalen in Wechselwirkung und spalten zu Bändern auf. Energieniveaus von Na-Atomen im Gitterverband [17] Abb.5.1.2 Im Na-Gitter sind die verschiedenen besetzbaren Energieniveaus durch nichtbesetzbare Energiebereiche der Breite ΔE getrennt (Abb. 5.1.2). Da jedes Na-Atom nur ein von zwei möglichen 3s-Elektronen aufweist, ist das zur Verfügung stehende Bindungselektronen- oder Valenzband nur halb, und zwar von unten beginnend, gefüllt. Es stehen diesen Bindungselektronen also noch unbesetzte höher liegende Energiezustände zur Verfügung, in die sie gelangen können, wenn ein elektrisches Potential ihnen einen Impuls verleiht und sie in Richtung dieses Potentials beschleunigt. Die beweglichen Elektronen im teilweise gefüllten 5. Elektrische Eigenschaften - 183 - Valenzband bewirken die elektrische Leitfähigkeit. In einem ionischen oder kovalenten Verband sind dagegen alle im Valenzband bestehenden Energiezustände besetzt. Die Elektronen sind an diese Energieniveaus gebunden und damit nicht für eine gerichtete Elektronenbewegung verfügbar. Stoffe mit ionischer oder kovalender Bindung sind unter diesen Umständen Nichtleiter, wenn man bei ersteren von einer möglichen Ionenleitung absieht. Das oberste vollständig gefüllte Elektronenband wird als Valenzband bezeichnet, das nächste darüber befindliche als Leitungsband (Abb. 5.1.4). Leiter, Halbleiter, Nichtleiter Die Einteilung von Stoffen in elektrische Leiter, Halbleiter und Nichtleiter erfolgt unabhängig vom jeweiligen Leitungsmechanismus nur nach dem Wert ihrer Leitfähigkeit. Die Leitfähigkeit umfasst dabei einen Bereich von mehr als 20 Größenordnungen (Abb. 5.1.3). Einteilung von elektrischen Leitern, Halbleitern Abb.5.1.3 und Nichtleitern nach ihrer Leitfähigkeit [17] Das Bändermodell beschreibt auch vereinfacht das Verhalten von Elektronenleitern, Elektronenhalbleitern und Elektronennichtleitern (Abb. 5.1.4) Bei Metallen ergibt sich die Leitfähigkeit dadurch, dass das oberste Elektronenband, wie beim Natrium, nur teilweise besetzt ist oder die Energiebereiche von Valenz- und Leitungsband überschneiden sich, so dass die Energielücke ΔE = 0 wird (Abb. 5.1.4a). - 184 - 5.1 Elektrische Leitfähigkeit Bändermodell [17] Abb.5.1.4 Elektronen-Nichtleiter sind dagegen Substanzen mit leerem Leitungsband und einer Energielücke ΔE zum Valenzband, die von Elektronen bei normalen Temperaturen nicht überwunden wird. Grundsätzlich besteht kein Unterschied zwischen Nicht- und Halbleitern. Bei tiefen Temperaturen sind beide Isolatoren mit leerem Leitungsband. Beim Halbleiter ist die Energielücke ΔE relativ schmal (Abb. 5.1.4c) und bereits bei Raumtemperatur kann eine bestimmte Zahl von Elektronen durch thermische Anregungen ins Leitungsband gelangen. Die Grenze zwischen Nicht- und Halbleitern wird etwas willkürlich bei einer Energielücke ΔE = 3 eV gezogen. Eigenhalbleitung Da bei Halbleitern nur eine schmale Energielücke ΔE existiert, können Elektronen des Valenzbandes durch Energiezufuhr in das leere Leitungsband gehoben werden. Jedes dorthin gebrachte Elektron ist beweglich und damit zur Stromleitung befähigt. Gleichzeitig hinterlässt ein „angehobenes“ Elektron im Valenzband eine Elektronenleerstelle, ein sog. Defektelektron. Durch dieses Elektronenloch werden auch die Elektronen im Valenzband beweglich. Eine dadurch ermöglichte Wanderung von Elektronen im Valenzband kann formal als entgegengerichtete Bewegung von Defektelektronen angesehen werden. Die gleichzeitige Erzeugung von Leitungselektronen im Leitungsband und von Defektelektronen im 5. Elektrische Eigenschaften - 185 - Valenzband wird Paarbildung genannt (Abb. 5.1.5). Die durch Paarbildung hervorgerufene Leitfähigkeit wird Eigenhalbleitung genannt. Paarbildung durch Elektronenanregung [17] Abb.5.1.5 Störstellenhalbleitung Für die technische Nutzung von Halbleitern ist die gezielte Verunreinigung (Dotierung) eines Eigenhalbleiters mit höher oder geringer wertigen Fremdatomen und die dadurch erreichbare Störstellenhalbleitung von Bedeutung. Hierbei werden beispielsweise vierwertige Eigenhalbleiter Germanium und Silicium mit fünfwertigen Fremdatomen P, As, Sb oder mit dreiwertigen Fremdatomen wie B, Al, Ga und In dotiert. Bei der Aufnahme eines fünfwertigen Fremdatoms in das kovalent gebundene Gitter vierwertiger Si-Atome bleibt ein Elektron übrig, da für die Einbindung in den Gitterverband nur vier Elektronen benötigt werden. Dieses Überschusselektron ist an das fünfwertige Fremdatom dann nur noch sehr locker gebunden und nimmt einen Energiezustand direkt unterhalb des leeren Leitungsbandes ein. Bereits die bei Raumtemperatur wirksame thermische Anregung reicht aus, das Überschusselektron in das Leitungsband zu heben. Die hierdurch verursachte Elektronenleitung ist auf negative Ladungsträger zurückzuführen und wird daher als n-Leitung bezeichnet. Da die Ladungsträger von den Fremdatomen quasi - 186 - 5.1 Elektrische Leitfähigkeit gespendet werden, nennt man solche „Elektronengeber“, hier also die fünfwertigen Fremdatome, Donatoren (Abb. 5.1.6a). Störstellenhalbleitung dotierter Halbleiter [17] Abb.5.1.6 Bei der Einbindung dreiwertiger Fremdatome in das vierwertige Gitter fehlt dagegen jeweils ein Elektron zur Ausbildung vollständiger Bindungen, es entsteht eine Elektronenleerstelle, ein Defektelektron. Das Energieniveau A solcher Defektelektronen befindet sich in der Nähe des Valenzbandes, so dass diese Defektelektronen durch geringe thermische Aktivierung von Elektronen aus dem Valenzband ausgefüllt werden können. Hierdurch entstehen nun Defektelektronen im Valenzband, deren Bewegung, da sie formal der Wanderung positiver Ladungsträger entspricht, als p-Leitung bezeichnet wird. Die p-Leitung wird durch Elektronen „nehmende“ Fremdatome herbeigeführt, in Analogie zu den Donatoren nennt man sie Akzeptoren (Abb. 5.1.6b). Abb. 5.1.7 zeigt einige wichtige Elemente der Halbleittechnik. In analoger Weise ist es möglich, durch Verbindung dreiwertiger mit fünfwertigen oder zweiwertiger mit sechswertigen Elementen Störstellenhalbleiter herzustellen. 5. Elektrische Eigenschaften - 187 - Wichtige Elemente der Halbleitertechnik [17] Abb.5.1.7 Temperaturverhalten Leitungselektronen erfahren bei ihrem Weg durch das Gitter einen Bewegungswiderstand, so daß ein Elektronenstrom nur mit Hilfe des treibenden Potentials einer Spannungsquelle fließt. Der Leitungswiderstand entsteht durch Streuungen der sich im Gitter gerichtet bewegenden Elektronen, die zum einen durch die thermisch bedingte Vibration des Gitters z. a. durch Unregelmäßigkeiten des Gitters wie Leerstellen, Fremdatome, Versetzungen, Korn- und Phasengrenzen verursacht werden. Als Folge solcher Streuungen verlieren die Elektronen einen Teil ihrer Bewegungsenergie an die Atomrümpfe. Dieser Energieumsatz äußert sich in einer Erhöhung der Gittertemperatur. Fehlerarme Kristallstrukturen weisen daher bei tiefen Temperaturen eine mehrfach erhöhte elektrische Leitfähigkeit auf. Mit zunehmender Temperatur nimmt die Streuung der im Gitter bewegten Elektronen zu und damit die Leitfähigkeit ab. Für Metalle ist also ein positiver Temperaturkoeffizient des elektrischen Widerstands charakteristisch, d.h. der Widerstand nimmt mit steigender Temperatur zu, die Leitfähigkeit ab (Abb. 5.1.8). Einfluss der Temperatur auf den elektrischen Widerstand von Metallen [17] Abb.5.1.8 - 188 - 5.1 Elektrische Leitfähigkeit Der elektrische Widerstand von Metallen setzt sich also aus zwei unterschiedlichen Anteilen zusammen, einem temperaturabhängigen thermischen Anteil ρth und einem durch Gitterdefekte verursachten Anteil ρD: ρ = ρth + ρD. (5.1.7) Bei tiefen Temperaturen überwiegt der auf Gitterfehler zurückzuführende, weitgehend temperaturunabhängige Anteil ρD, bei höheren Temperaturen tritt dagegen mehr der thermisch bedingte Anteil ρth in den Vordergrund. Zwischen der Elektronenbandstruktur von reinen Halbleitern und von Isolatoren besteht kein grundsätzlicher Unterschied. Sie unterscheiden sich lediglich in der Größe der zwischen Valenz- und Leitungsband bestehenden Energielücke ΔE. Beide sind bei tiefen Temperaturen Isolatoren, erlangen aber bei erhöhten Temperaturen durch thermisch verursachte Paarbildung eine gewisse Leitfähigkeit. Wegen der bei Isolatoren wesentlich größeren Energielücke findet Paarbildung in merklichem Umfang erst bei sehr hohen Temperaturen statt (Abb. 5.1.9). Einfluss der Temperatur auf die elektrische Leitfähigkeit Abb.5.1.9 von Eigenhalbleitern und Isolatoren [17] Wie bei Metallen steigt auch bei Halbleitern der Bewegungswiderstand bei Elektronen mit zunehmender Temperatur an. Allerdings wird bei Halbleitern der thermisch bedingte Verlust an Leitfähigkeit durch die gleichzeitig stattfindende thermisch bedingte Produktion von Ladungsträgern mehr als ausgeglichen, was zu einem negativen Temperaturkoeffizienten des elektrischen Widerstandes führt. 5. Elektrische Eigenschaften - 189 - Im Temperaturverhalten dotierter Halbleiter überlagern sich drei verschiedene Vorgänge (Abb. 5.1.10). Einfluss der Temperatur auf die elektrische Leitfähigkeit dotierter Halbleiter [17] Abb.5.1.10 Bei geringem Temperaturanstieg werden Donatorelektronen in das Leitungsband bzw. Elektronen aus dem Valenzband in das Akzeptorband gehoben, die Leitfähigkeit steigt mit der Temperatur an (sog. Reservebereich). Die Leitfähigkeit erreicht einen Grenzwert, da nur eine begrenzte Zahl von Dotierungselektronen zur Verfügung steht. Wegen der thermischen Streuung der beweglichen Elektronen fällt bei höherer Temperatur die Leitfähigkeit ein wenig ab (sog. Erschöpfungsbereich). Bei noch höheren Temperaturen setzt die Paarbildung ein und aufgrund der Eigenhalbleitung nimmt die Leitfähigkeit wieder zu. Supraleiter Bei Supraleitern verschwindet der elektrische Widerstand beim Unterschreiten extrem niedriger Temperaturen schlagartig (Abb. 5.1.11). - 190 - 5.1 Elektrische Leitfähigkeit Einfluss der Temperatur auf den elektrischen Widerstand Abb.5.1.11 von Leitern und von Supraleitern [17] Der supraleitende Zustand kommt durch die gekoppelte Bewegung von jeweils zwei Leitungselektronen ungleichen Spins zustande. Der Abstand zwischen den beiden Elektronen eines Paares kann viele Atomabstände betragen, ihre gegenseitige Bindung beruht darauf, dass das erste Elektron aufgrund seiner negativen Ladung das Gitter etwas zusammenzieht und so eine ihm folgende, stärker positiv geladene Zone erzeugt. Diese Zone wirkt auf das zweite Elektron des Paares anziehend und veranlasst dieses Elektron zu solchen Bewegungsreaktionen, dass Streuungen des ersten Elektrons nicht zu Energieverlusten an das Gitter führen. Der durch schwache Wechselwirkungskräfte hervorgerufene besondere elektronische Ordnungszustand von Supraleitern kann nicht nur durch geringe thermische Gitterbewegungen zerstört werden, sondern ist auch außerordentlich empfindlich gegen äußere Magnetfelder. So ist die Sprungtemperatur Tc abhängig von der Stärke H eines äußeren Magnetfeldes (Abb. 5.1.12). Einfluss der magnetischen Feldstärke H auf die Sprungtemperatur Tc* [17] Abb.5.1.12 5. Elektrische Eigenschaften - 191 - 5.1.2 Ionenleitung Keramische Werkstoffe enthalten normalerweise keine freien Elektronen, so dass ihre elektrische Leitfähigkeit um viele Größenordnungen niedriger ist als bei Metallen (Abb. 5.1.13). Elektrischer Widerstand einiger Werkstoffe bei Raumtemperatur [8] Abb.5.1.13 Für die Leitfähigkeit sind Ionen als Ladungsträger verantwortlich. Deren Beweglichkeit ist aber durch den Einbau in die Kristallstruktur gering. Der Anteil unterschiedlicher Ionen an der Gesamtleitfähigkeit eines Werkstoffs wird durch die Überführungszahlen von Kationen, Anionen und Elektronen oder Leerstellen dokumentiert (Abb. 5.1.1). Wenn ein Ion durch ein Kristallgitter bewegt werden soll und die treibende Kraft ein elektrisches Feld darstellt, so muss es eine ausreichende thermische Energie besitzen, um eine Energieschwelle, die der mittleren Position von Gitterplätzen entspricht, zu überwinden. Die Ionenbeweglichkeit im Zusammenhang mit einem elektrischen Feld wird durch die NernstEinstein-Beziehung beschrieben. Zwischen der elektrischen Leitfähigkeit σ und dem Selbstdiffusionskoeffizienten D einer Ionensorte i mit der Überführungszahl ti gilt die Beziehung - 192 - 5.1 Elektrische Leitfähigkeit 2 2 ⎛ D ⎞ a D i n i zi e σ i = t iσ = f ( n i e z i ) ⎜ i ⎟ = ⎝ kT ⎠ kT (5.1.8) a = Korrelationsfaktor, der die Möglichkeit eines Ions beschreibt, eine Leerstelle zu besetzen (a = 4 für eine Ionenleerstelle in der Natriumchloridstruktur). Die elektrische Leitfähigkeit ist also direkt proportional dem Selbstdiffusionskoeffizienten. Das bedeutet, dass die schneller diffundierenden Kationen im wesentlichen die elektrische Leitfähigkeit bewirken, besonders kleine Kationen mit niedriger Wertigkeit. Temperaturabhängigkeit der elektrischen Leitfähigkeit σ (in Ω-1 cm-1) Abb.5.1.14 einiger keramischer Werkstoffe [12] Über die Diffusion ergibt sich die Temperaturabhängigkeit der elektrischen Leitfähigkeit zu ⎛ −Q ⎞ σ = A ⋅ exp⎜ ⎟ ⎝ RT ⎠ d.h., mit steigender Temperatur nimmt oder ln σ = A'− die elektrische Q RT (5.1.9) Leitfähigkeit zu. Diese Temperaturabhängigkeit ist in Abb. 5.1.14. dargestellt. In Abb. 5.1.15 sind gemessene Sauerstoffdiffusionskoeffizienten verglichen mit der elektrischen Leitfähigkeit in Abhängigkeit von der Temperatur, berechnet nach der Nernst-Einstein-Gleichung. Die gute Übereinstimmung zwischen Experiment und Kalkulation bestätigt die Theorie. 5. Elektrische Eigenschaften Diffusionskoeffizient von Sauerstoffionen in Zr0,85Ca0,15O1,85 [8] - 193 - Abb.5.1.15 Aus Abb. 5.1.14 ist zu erkennen, dass mit zunehmendem Alkaligehalt in keramischen Werkstoffen die elektrische Leitfähigkeit zunimmt (entspricht einer Zunahme von ni in Gleichung 5.1.8), wenn man z.B. Porzellan mit Steatit (Kurven 1 und 3), Schamotte mit Silicastein (Kurven 7 und 8) oder β-Al2O3- mit α-Al2O3-haltigen Steinen (Kurven 11 und 12) vergleicht. Insgesamt aber ist die elektrische Leitfähigkeit gering und die meisten keramischen Werkstoffe können auch bei hoher Temperatur als Isolatoren betrachtet werden. Die hohe elektrische Leitfähigkeit von CaO-stabilisiertem ZrO2 (Kurve 5) erklärt sich durch die hohe Selbstdiffusion aufgrund von Sauerstoffleerstellen im Gitter. ZrO2 bildet mit einem zweiten Kation niedrigeren Wertigkeit Mischkristalle, z.B. CaO-ZrO2 oder Y2O3-ZrO2. Die Substitution von Zr-Ionen durch niederwertige Ca- oder Y-Ionen führt zu einer großen Defektkonzentration bzw. zu Leerstellenbildung. Die Leerstellenkonzentration liegt in der Größenordnung von 15%, wodurch Sauerstoffionen sehr schnell diffundieren können. Fehlstellen erhöhen also die Diffusion und damit auch die elektrische Ionenleitfähigkeit. Da das Auftreten von nichtstöchiometrischen Verbindungen oder die Substitution von Ionen mit anderen Wertigkeiten von der Atmosphäre abhängen, beobachtet man bei Oxiden auch eine Abhängigkeit der elektrischen Leitfähigkeit vom Sauerstoffpartialdruck. - 194 - 5.1 Elektrische Leitfähigkeit Stabile keramische Materialien mit ausschließlich Ionenleitfähigkeit (ti = 1) können als Festkörperelektrolyt in Batterien oder Brennstoffzellen verwendet werden. Wenn z.B. Kohlenmonoxid auf der einen Seite einer Zirkonoxidzelle strömt und durch diffundierende Sauerstoffionen zu CO2 oxidiert wird, kann durch den Fluss von Elektronen ein Strom abgegriffen werden. Für die Reaktion CO + O2- = 2e- + CO2 Seite I vonZrO2 1/2O2 (in Luft) + 2e-→O2- Seite II von ZrO2 1CO + 1/2O2→CO2 errechnet sich die entstehende Spannung Φ zu: I RT ⎛ PO2 ( CO 2 / CO ) ⎞ ⎟ Φ= ln⎜ 2F ⎜⎝ PO2 ΙΙ ( air ) ⎟⎠ (5.1.10) mit F = Faraday Konstante die zur Erzeugung elektrischen Stroms verwendet werden kann (Prinzip der Lambda Sonde). Elektronenleitfähigkeit in Kristallen In einigen Fällen von Übergangsmetalloxiden wie z.B. ReO3, CrO2, VO, TiO und ReO2 überlappen sich Elektronenorbitale, woraus sich ungefüllte d- oder f-Bänder ergeben, wie in Abb. 5.1.4. dargestellt. Dies führt zu einer Konzentration von 1022 bis 1023 quasi freien Elektronen pro cm3. Die Mobilität dieser Elektronen liegt um mehrere Größenordnungen über der von Ionen und liefert einen wesentlichen Beitrag zur elektrischen Leitfähigkeit (Abb. 5.1.16). 5. Elektrische Eigenschaften Temperaturabhängigkeit der elektrischen Leitfähigkeit von einigen elektronisch leitenden Oxiden [8] - 195 - Abb.5.1.16 - 196 - 5.2 Dielektrizität 5.2. Dielektrizität Elektronen und Ionen in kovalenten bzw. ionisch gebundenen Materialien sind fest gebunden und können in einem elektrischen Feld nicht in eine ungebundene Bewegung versetzt werden. Ein elektrisches Potential übt aber auf die geladenen Teilchen je nach ihrer Polarität eine anziehende bzw. abstoßende Wirkung aus, so dass die Teilchen eine reversible Ladungsverschiebung erfahren. Durch diese Verlagerung der Ladungsschwerpunkte findet eine Polarisation des Nichtleiters statt. Dabei werden in ihm Dipolmomente erzeugt bzw. die Momente bestehender Dipole verstärkt und ausgerichtet. Je nach Polarisation des Isolators spricht man von Elektronen-, Ionen- und Dipolpolarisation. Bei der Elektronen- oder Atompolarisation beobachtet man eine Verschiebung der negativen Elektronenhülle gegenüber dem positiven Atomkern, wodurch die Ladungsschwerpunkte räumlich getrennt werden (Abb. 5.2.1). Elektronenpolarisation [17] Abb.5.2.1 Entsprechend spricht man bei der Verschiebung von Ionen in Ionenkristallen von einer Ionenpolarisation. Eine andere Polarisationserscheinung ist durch die Abstandsvergrößerung der elektrischen Schwerpunkte von polaren Molekülen gegeben, deren Ladungsschwerpunkte schon im feldfreien Raum nicht zusammenfallen, so dass infolge der Polarisation im Feld das bereits vorhandene permanente Dipolmoment noch vergrößert wird (Dipolpolarisation permanenter Dipole). Weiterhin können in inhomogenen Werkstoffen, wenn die dielektrischen Eigenschaften und die Leitfähigkeit ihrer Komponenten voneinander abweichen, an deren Grenzflächen Ladungen entstehen (Grenzflächenpolarisation) (Abb.5.2.2). 5. Elektrische Eigenschaften Schematische Darstellung von Polarisationen bei Nichtleitern [18] - 197 - Abb.5.2.2 Ionenpolarisation tritt insbesondere bei Gläsern und keramischen Isolatoren auf und kann unter besonderen Umständen zu extrem großen Polarisationseffekten (Ferroelektrizität) führen. Alle genannten Polarisationsarten erfordern sehr kleine Einstellzeiten und sind temperatur-unabhängig. Von der Temperatur abhängig hingegen sind die sogenannte Orientierungs-polarisation (Abb. 5.2.2.e). Darunter versteht man die Ausrichtung der infolge der Wärmebewegung statistisch verteilten permanenten Dipolmomente zum äußeren elektrischen Feld. Sie benötigt wesentlich größere Einstellzeiten, die von der Viskosität des Stoffes abhängen. - 198 - 5.2 Dielektrizität Permittivitätszahl Die Speicherung der elektrischen Energie in einem Dielektrikum kann man sich vorstellen wie das Spannen einer Feder. Beim Spannen wird mechanische Energie aufgenommen und bei der Entlastung der Feder wieder abgegeben. Entsprechend wird bei der Polarisation elektrische Energie gespeichert, die Bausteine des Dielektrikums wirken wie elektrostatische Federn. Mit Hilfe eines Dielektrikums kann die elektrische Ladungsfähigkeit C eines Kondensators gegenüber seiner Kapazität C0 im Vakuum um den Faktor εr vergrößert werden. C = εr ⋅ C0 (5.2.1) εr = Permittivitätszahl, relative Permittivität, Dielektrizitätskonstante. Die Dielektrizitätskonstante beschreibt den Polarisationseffekt eines Dielektrikums. Zu ihr tragen die einzelnen Polarisationsmechanismen additiv bei, so dass εr = εr.El. + εr.Ion. + εr.Dipol (5.2.2) Je nach Masse und Bewegungsfähigkeit dieser Ladungsträger sowie den Dimensionen ihrer Verschiebung können die einzelnen Polarisationsvorgänge von Elektronen, Ionen oder Dipolen nur mit einer für sie typischen Maximalgeschwindigkeit ablaufen. Die Zeitabhängigkeit äußert sich insbesondere bei elektrischen Wechselfeldern, da hier die Verschiebung der Ladungsträger mit der Geschwindigkeit der Wechselfeldänderung ablaufen muss. Liegt die Frequenz eines Wechselfeldes z.B. deutlich oberhalb der Maximalgeschwindigkeit eines Polarisationsmechanismus, so kann diese Polarisation nicht mehr ablaufen und auch keinen Beitrag zur Permittivitätszahl liefern. Bei der Elektronen- und der Ionenpolarisation kommt es nur zu Ladungsverlagerungen um Strecken, die deutlich kleiner als ein Atomabstand sind. Diese beiden Mechanismen sind daher bis zu sehr hohen Frequenzen möglich, während die Orientierung von Dipolen bereits Umlagerungen im molekularen Bereich erfordert und demzufolge schon bei niedrigeren Frequenzen nicht mehr möglich ist (Abb. 5.2.3.). Hohe Permittivitätszahlen sind nur erreichbar, wenn neben Elektronenpolarisation auch Ionen- und Dipolpolarisation möglich sind. 5. Elektrische Eigenschaften - 199 - Frequenzabhängigkeit der Permittivitätszahl [17] Abb.5.2.3 Dielektrische Verluste Die in einem Dielektrikum durch Polarisation gespeicherte Energie wird bei Entladung im Idealfall ohne Verluste wieder vollständig freigesetzt. In einem realen Dielektrikum verläuft der Polarisationsvorgang jedoch nicht verlustfrei, ein Teil der Energie wird absorbiert und in Wärme umgesetzt. Außer diesem Polarisationsverlust fließt bei jedem Laden eines Kondensators entsprechend der Leitfähigkeit des Dielektrikums als zusätzlicher Verlust ein allerdings sehr geringer Leckstrom. Während beim verlustlosen idealen Kondensator der Polarisationsstrom Ic der angelegten Spannung um 90° vorauseilt, fließt beim realen, verlustbehafteten Kondensator ein zusätzlicher Verluststrom Iv, der sich mit der angelegten Spannung in Phase befindet. Beide Ströme ergeben den Gesamtladestrom Iges., der mit der Spannung U den zwischen 0 und 90° betragenden Phasenwinkel ϕ mit dem Komplementwinkel δ = 90° - ϕ bildet (Abb. 5.2.4.). Strom-Spannung-Diagramm eines verlustbehafteten Kondensator [17] Abb.5.2.4 - 200 - 5.2 Dielektrizität tan δ ist das Verhältnis von Verluststrom Iv und Kondensatorstrom Ic. Iv/Ic = tan δ (5.2.3) tan δ ist also ein Maß für die beim Laden des Kondensators auftretenden Verluste und wird als dielektrischer Verlustfaktor bezeichnet. Je größer tan δ, desto größer ist der Verluststrom des Dielektrikums. Die innere Reibung von Polarisationsvorgängen ist bei solchen Frequenzen am größten, bei denen ein Polarisationsmechanismus der Frequenz des Feldes gerade noch folgen kann. Deshalb treten Maximalwerte von tan δ immer bei Grenzfrequenzen eines Polarisationsmechanismus auf (Abb. 2.5.5.). Permittivitätszahl εr und dielektrischer Verlustfaktor tan δ in Abhängigkeit von der Frequenz [17] Abb.5.2.5 Diese Erscheinungen sind nicht nur beim Betrieb von Kondensatoren von Bedeutung, sondern auch bei der Isolation wechselspannungsführender Teile, wobei das Material, das die Teile unterschiedlichen elektrischen Potentials gegeneinander isoliert, als Dielektrikum zu betrachten ist. Die in einer Wechselspannungsisolation entstehende Verlustleistung Nv hängt vom Quadrat der Spannung, der Frequenz f, den dielektrischen Größen εr und tan δ ab und ermittelt sich zu: Nv = U2 ⋅ 2 π ⋅f ⋅ ε0 ⋅ εr ⋅ tan δ (5.2.4) 5. Elektrische Eigenschaften - 201 - Die dielektrischen Verluste müssen also besonders in der Hochfrequenz- und in der Hochspannungstechnik beachtet werden. Zur Isolation in der Hochfrequenz- und Hochspannungstechnik sind Werkstoffe mit niedrigem εr- und tanδ- Werten zu wählen. Andererseits können Werkstoffe mit hohem εr· tanδ - Produkten in einem hochfrequenten Wechselfeld bis zum Schmelzen erwärmt werden. Diese Eigenschaft wird u.a. beim Mikrowellensintern keramischer Werkstoffe genutzt. Hierfür sind Frequenzen nach Abb. 5.2.5 vorteilhaft, die zu besonders hohen dielektrischen Verlusten führen. Am Beispiel von Steatit ist die Dielektrizitätskonstante und der Verlustwinkel in Abhängigkeit von der Temperatur in Abb. 5.2.6 dargestellt. Dielektrizitätskonstante und der Verlustwinkel von Steatit Abb.5.2.6 in Abhängigkeit von der Temperatur und der Frequenz [8] Mit steigender Temperatur bringt die Erleichterung der Ionenbeweglichkeit eine Erhöhung von tan δ. Bei Porzellan steigt beispielsweise der tan δ-Wert im Temperaturbereich von 20 100 °C bei 50 Hz um das 5- bis 10-fache. Bei höheren Frequenzen ist der Anstieg geringer. - 202 - 5.2 Dielektrizität Ferroelektrizität Eine besondere Erscheinung der Dielektrizität, die bei einigen ionischen Kristallen auftritt und zu Permittivitätszahlen von 103 und größer führt, wird als Ferroelektrizität bezeichnet, weil sie sehr viele Gemeinsamkeiten mit ferromagnetischem Verhalten aufweist. In ferroelektrischen Kristallen, wie z.B. BaTiO3, stimmen durch eine unsymmetrische Anordnung der positiven und negativen Ionen die Ladungszentren in der Elementarzelle nicht überein (Abb. 5.2.7a und Abb.5.2.7b), so dass bereits ohne äußere Feldwirkung im Kristall Dipole existieren. Atomanordnung im idealen Perovskitgitter [8] Abb.5.2.7a 5. Elektrische Eigenschaften - 203 - Ionenanordnung in tetragonalem BaTiO3 [8] Ferroelektrisches Verhalten hat also ionischen Abb.5.2.7b Ursprung im Gegensatz zum ferromagnetischen Verhalten, das elektronischen Ursprung hat. Kennzeichnend ist in beiden Fällen die Ausbildung sogenannter Domänenstrukturen im Gefüge. Innerhalb einer Domäne werden durch starke gegenseitige Wechselwirkungen die durch den Strukturaufbau vorhandenen elektrischen Dipole auch ohne Einwirkung eines äußeren Feldes in die gleiche Richtung orientiert (Abb. 5.2.8 und Abb. 5.2.9). Schematische stark vereinfachte Darstellung der chemischen Mikrodomänen und ihrer Polarisationsvektoren in Relaxor-Materialien [19] Abb.5.2.8 - 204 - 5.2 Dielektrizität Domänenstruktur von grobkörniger BaTiO3-Keramik [19] Abb.5.2.9 Die Ausrichtung der einzelnen Domänen ist aber statistisch verteilt, so dass sich die Domänen ohne äußeres Feld gegenseitig kompensieren und die Gesamtpolarisation gleich Null ist. Unter der Wirkung eines elektrischen Feldes werden nun ähnlich wie bei der Magnetisierung solche Domänen vergrößert und erzeugt, wenn sie zum äußeren Feld günstig orientiert sind. Sind alle Domänen in Richtung des äußeren Feldes ausgerichtet, so ist das Material hinsichtlich seiner Polarisierbarkeit gesättigt. Bei der Fortnahme des äußeren Feldes bleibt dann ein Teil der Polarisierung als Polarisierungsremanenz zurück (Abb. 5.2.10). Verlauf der Polarisation D in Abhängigkeit von der elektrischen Feldstärke E Abb.5.2.10 bei einem ferroelektrischen Material [17] Analog zur Magnetisierung eines ferromagnetischen Materials in einem Magnetfeld beginnt auch hier die Polarisierung mit einer Neukurve, erreicht eine Sättigung und beschreibt bei Verminderung und Umkehr des Feldes eine durch Remanenz und Koerzitivfeldstärke gekennzeichnete Hysteresekurve. Oberhalb einer kritischen Temperatur, der sogenannten 5. Elektrische Eigenschaften - 205 - Curietemperatur, werden die zwischen den Dipolen wirkenden Kopplungskräfte durch die thermische Bewegung zerstört, der innerhalb der Domänen bestehende Ordnungszustand gleichorientierter Dipole und damit auch das ferroelektrische Verhalten gehen verloren. Bei Temperaturen über der Curietemperatur verhalten sich Ferroelektrika normal-dielektrisch. Am Beispiel von Bariumtitanat soll im folgenden die Ferroelektrizität keramischer Materialien erklärt werden. In der Kristallstruktur von Bariumtitanat (Abb. 5.2.7) ist jedes große Bariumion von 12 Sauerstoffionen umgeben, jedes Titanion hat 6 Sauerstoffionen in oktaedrischer Koordination. Die Barium- und Sauerstoffionen bilden ein flächenzentriertes kubisches Gitter, wobei Titanionen in den oktaedrischen Zwischengitterplätzen sitzen. Die Rattling-Titanium-Hypothese lässt vermuten, dass es für jedes Titanion Positionen minimaler Energie gibt, die außerhalb des Zentrums dieser kubischen Zelle liegen und konsequenterweise der Grund für die Ausbildung elektrischer Dipole darstellen. Unterhalb der Curietemperatur ändert sich die Position des Titanions und die Struktur ändert sich von kubisch nach tetragonal mit dem Titanion außerhalb der zentralen Position und der Bildung eines permanenten elektrischen Dipols. Diese Dipole sind der Grund für die Ausbildung von Domänenstrukturen, wie bereits diskutiert. Die Veränderung der Gitterkonstanten mit der Temperatur zeigt Abb. 5.2.11. - 206 - 5.2 Dielektrizität Temperaturabhängigkeit der Gitterkonstanten (a) und der Dielektrizitätskonstanten (b) von pseudokubischen BaTiO3 [8] Abb.5.2.11 Durch Anlegen eines elektrischen Feldes findet in der tetragonalen Perowskitstruktur eine Ausrichtung der Ti-Ionen statt, wobei innerhalb der Domänen (Größenordnung 1μm), wie bereits oben erwähnt, durch eine gegenseitige Beeinflussung eine einheitliche Orientierung der induzierten Dipole hervorgerufen wird. Die hohe Polarisation ist die Ursache für die hohen DK-Werte. Sie ist jedoch an die Kristallstruktur gebunden. Beim Übergang in andere Strukturen beobachtet man Extremwerte der Dielektrizitätskonstante (Abb. 5.2.11). Im kubischen Bariumtitanatgitter ist Ferroelektrizität nicht mehr möglich. Die Grenztemperatur zwischen dem kubischen nichtpolarisierbaren Bariumtitanat und dem tetragonalen polarisierbaren wird in Analogie zum Magnetismus als Curietemperatur bezeichnet. Zwischen den Temperaturen der Kristallumwandlungen gibt es Bereiche, in denen die Dielektrizitätskonstante mit steigender Temperatur ab- bzw. zunimmt (Abb. 5.2.11). Ähnliche Erscheinungen hat man auch bei anderen Titanaten und Zirkonaten gefunden. Eine Einflussnahme auf die Dielektrizitätskonstante ergibt sich durch den Einbau von Fremdionen ins Kristallgitter und die damit verbundene Mischkristallbildung. Abb. 5.2.12 zeigt, dass man dadurch die Curietemperatur in relativ weiten Bereichen beeinflussen kann. 5. Elektrische Eigenschaften - 207 - Änderung der ferroelektrischen Curietemperatur von BaTiO3-haltigen Mischkristallen [12] Abb.5.2.12 Piezoelektrizität Die Polarisierung eines Dielektrikums hat eine Änderung der Abmessungen des Festkörpers zur Folge. Diese Dimensionsänderungen werden analog zur Magnetostriktion Elektrostriktion genannt. Der elektrostriktive Effekt ist jedoch von geringem Ausmaß und erfährt keine besondere technische Bedeutung. Die infolge der Polarisation auftretenden Dimensionsänderungen bei ionischen Kristallen, deren ungleich geladene Ionen kein gemeinsames Symmetriezentrum besitzen, sind jedoch deutlich größer und der Effekt lässt sich auch umkehren. Bei einem piezoelektrischen Kristall führt eine elastische Deformation in bestimmten kristallographischen Richtungen zu unterschiedlichen Verlagerungen der positiven und der negativen Ionen und erzeugt an den Kristalloberflächen entsprechende elektrische Ladungen (Abb. 5.2.13). Piezo-Effekt [17] A) Unverzerrter Piezo-Kristall, B) Verzerrter Piezo-Kristall Abb.5.2.13 - 208 - 5.2 Dielektrizität Andererseits ändert ein solcher Kristall auch seine Abmessungen im Rhythmus einer von außen angelegten elektrischen Wechselspannung. Auf diese Weise lassen sich mechanische Kräfte in elektrische Signale umwandeln und umgekehrt. In diesem Sinne unsymmetrische Ionenkristalle und damit piezoelektrisch sind alle ferroelektrischen Substanzen, aber auch einige nichtferroelektrische wie z.B. Quarz. Da der Piezoeffekt nur in bestimmten kristallographischen Richtungen auftritt, müssen sich piezoelektrische Substanzen anisotrop verhalten. Entweder werden sie dazu einkristallin verwendet oder sie erhalten als Ferroelektrika im polykristallinen Zustand eine spezielle Texturbehandlung dadurch, dass sie von einer Temperatur oberhalb der Curietemperatur aus dem normaldielektrischen Zustand in einem starken elektrischen Feld langsam abgekühlt werden. Das Feld bewirkt, dass die Domänen bei ihrer Bildung in Feldrichtung bevorzugt orientiert werden. Beim direkten piezoelektrischen Effekt setzen Piezokeramiken bei mechanischer Verformung eine elektrische Ladung frei. Beim inversen piezoelektrischen Effekt ändert die Piezokeramik unter Einfluss eines elektrischen Feldes ihre Dimensionen (Abb. 5.2.14). Direkter und inverser piezoeletrischer Effekt Abb.5.2.14 5. Elektrische Eigenschaften - 209 - Wie bereits erwähnt, sind Piezokeramiken polykristalline Ferroelektrika mit polarer Struktur und hoher Dielektrizitätszahl. Die Piezoelektrizität ergibt sich aus der bevorzugten Orientierung polarer Bereiche (Domänen), die sich durch Abkühlen im elektrischen Feld ausbilden. Durch die vielfältigen Möglichkeiten der Optimierung von Zusammensetzung und geometrischer Formgebung hat Piezokeramik für die unterschiedlichsten Anwendungen eine große Bedeutung. Die polykristallinen piezoelektrischen Werkstoffe werden nach den bekannten keramischen Verfahren gefertigt. Die wichtigsten basieren auf dem oxidischen Mischkristallsystem Bleizirkonat und Bleititanat. Die Eigenschaften hängen vom molaren Verhältnis Bleizirkonat zu Bleititanat sowie der Substituierung und Dotierung zusätzlicher Elemente ab. Diese Materialien werden eingesetzt als Sensoren, Hochleistungsultraschall-generatoren und Aktoren. Der direkte piezoelektrische Effekt wird in Sensoren bei der Umwandlung mechanischer in elektrische Signale genutzt, der inverse piezoelektrische Effekt in Ultraschallsendern bei der Umwandlung elektrischer Energie in mechanische/akustische Energie. Die reine Deformation wird bei Anlegen von elektrischen Spannungen an Aktoren genutzt. Beide Effekte nutzt man bei der Signalübertragung (z.B. in der Sonartechnik, in der medizinischen Ultraschalldiagnostik und der zerstörungsfreien Ultraschallmaterialprüfung). Die bekannteste Anwendung von Piezokeramiken bilden die Filter und Resonatoren in der Radio- und Fernsehtechnik und in Geräten der Telekommunikation sowie als Tongeber. 5. Elektrische Eigenschaften - 211 - 5.3 Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen Isolatoren Bei der Übertragung und Verteilung elektrischer Energie im Hochspannungs- und Niederspannungsbereich übernehmen keramische Werkstoffe wichtige Funktionen. Sie isolieren die spannungsführenden Teile der Leitungen und Anlagen gegen Erde und gegen Berührung und sie übernehmen die mechanische Fixierung der spannungsführenden Teile im System. Diese Funktionen erfordern von Werkstoffen für die elektrotechnische Isolation hohe elektrische und mechanische Festigkeit. Sowohl im Hochspannungs- als auch im Niederspannungsbereich werden Porzellan, Steatit und Sondersteatit sowie Tonerdeporzellan verwendet. Im Hochspannungsbereich ist die Übertragung von Spannungen über 400 000 Volt selbstverständlich. Die Übertragung und Verteilung elektrischer Energie erfolgt fast ausschließlich über Freileitungen. Freileitungsisolatoren isolieren die spannungsführenden Leiter gegen die geerdeten Masttraversen und übertragen die mechanischen Kräfte der Leiterseile auf die Traversen. Langstabisolator Abb. 5.3.1 - 212 - Massivstützer 5.3 Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen werden dagegen zum Abstützen der Sammelschienen in Hochspannungsanlagen oder als Stützer in Trennschaltern eingesetzt. Durchführungen dienen dagegen zur Isolation spannungsführender Leiter oder Sammelschienen bei deren Einführung durch Gebäudewände, in Kessel von Transformatoren oder in andere Hochspannungsgeräte. Auch in Sendeanlagen werden Hochfrequenz-Hochspannungsisolatoren benötigt, die zur Isolation der Tragwerke für Antennenanlagen und der Antennenzuleitungen dienen. Im Niederspannungsbereich lösen keramische Werkstoffe Isolations-, Sicherungs- und Schaltprobleme. So werden sie beispielsweise eingesetzt als Sockel für Herdschalter, als Kochplattenanschlussklemmen, als Lampensockel zur Aufnahme von Glühlampen, als Gehäuse für Sicherungen, als Potentiometerringe, Spulenkörper für Induktionsspulen und Zündelektrodenhalter. Keramikkondensatoren Bei keramischen Kondensatoren wird neben der Funktion als Isolierstoff die Fähigkeit des Dielektrikums, elektrische Ladungen zu speichern, genutzt. Je nach Zusammensetzung und Eigenschaften unterscheidet man drei Kondensatortypen. Kondensatoren mit Permitivitätszahlen von 20 - 600 zeigen eine lineare Abhängigkeit der Kapazität von der Temperatur. Als Werkstoffe finden Titanoxid und Erdalkalititanate Anwendung. Kondensatorelektrika mit Permitivitätszahlen bis zu 15 000 bestehen im wesentlichen aus Bariumtitanat. Bei Bariumtitanat liegt der Curiepunkt, also der Umwandlungspunkt vom ferroelektrischen in den paraelektrischen Zustand, im Bereich der Anwendungstemperatur des Kondensators. Durch Modifikation des Bariumtitanats kann der Curiepunkt in Richtung Raumtemperatur verschoben werden. Durch Dotierung und reduzierende Atmosphäre beim Brand werden halbleitende Bariumtitanat- oder Strontiumtitanat-Werkstoffe erzeugt. Beim Sintern entsteht um jedes Korn eine Sperrschicht (intergranularer Sperrschichtkondensator). Mit dieser Vielzahl parallel geschalteter Kondensatoren geringer Dicke werden scheinbare Permitivitätszahlen zwischen 20000 und 50000 erreicht. 5. Elektrische Eigenschaften - 213 - Im Bestreben, immer mehr Kapazität pro Volumeneinheit unterbringen zu können, ist die Multilayer-Technik entwickelt worden. Dabei werden auf ungebrannte gegossene Keramikfolien Edelmetallbeläge aufgedruckt, die Folien gestapelt, zusammengepresst und in einzelne Kondensatoren getrennt und gebrannt. Nach dem Brand erfolgt die Verbindung der Elektroden, die sich zwischen den bis zu 0,02 mm dünnen Schichten befinden, durch Metallisierung der Stirnflächen der Chips Keramik-Vielschicht-Chipkondensator Abb. 5.3.2 NTC-Widerstände Der spezifische Widerstand ρsp von keramischen NTC-Widerständen (Negative Temperature Coefficient) nimmt mit der Temperatur annähernd exponentiell ab. ⎛ B⎞ ρ sp ( T) ∝ ρ ∞ exp⎜ ⎟ ⎝ T⎠ In dieser Gleichung ist ρ∞ = ρsp (T → ∞). NTC-Widerstände werde aus halbleitenden Oxiden mit einer Spinellstruktur (AB2O4) hergestellt, wobei die A-Plätze und/oder die B-Plätze mit Kationen unterschiedlicher Wertigkeit besetzt sind. Die Verbindungen stellen damit stark dotierte Grundsubstanzen dar. Im relevanten Temperaturbereich befinden sich die Materialien weitgehend im Zustand der Störstellenerschöpfung (s. Abb. 5.1.10). Bei diesen Heißleitern nimmt der Widerstand also mit steigender Temperatur ab (Abb. 5.3.3). Halbleitende NTC-Oxide bestehen, wie bereits erwähnt, aus Mischkristallen mit Spinellstruktur, die sich aus zwei bis vier Kationen der Gruppe Mn, Ni, Co, Fe, Cu und Ti zusammensetzen. Da eine heterovalente Besetzung von Gitterplätzen vorliegt und der - 214 - 5.3 Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen Ladungsaustausch zwischen A- und B-Plätzen eine relativ hohe Aktivierungsenergie hat, ist der spezifische Widerstand bei Raumtemperatur relativ hoch. Temperaturabhängigkeit des Widerstandes R in verschiedenen NTC-Widerstandstypen [19] Abb. 5.3.3 NTC-Widerstände werden als Temperatur- oder Wärmeableitsensoren verwendet oder sie übernehmen Schutzfunktionen in elektronischen Schaltungen. NTC-Widerstände werden als Temperatursensoren beispielsweise zur Kontrolle der Temperatur des Motorblocks, des Kühlwassers, des Öls und der Bremsflüssigkeit in einem Auto verwendet. Elektronische Fieberthermometer haben im Krankenhausbereich aufgrund der höheren Handhabungssicherheit und der besseren Ablesbarkeit bereits weitgehendst die älteren Quecksilberthermometer verdrängt. Bei Sensoren für die Wärmeleitfähigkeit wird die Temperaturänderung eines unter konstantem Strom selbst aufgeheizten NTC-Elements bei einer Änderung des Wärmeleitkoeffizienten genutzt. PTC-Widerstände Kaltleiter oder PTC-Widerstände (Positive Temperature Coefficient) sind Bauelemente, deren spezifischer Widerstand mit steigender Temperatur zunimmt. Keramische PTC-Widerstände 5. Elektrische Eigenschaften - 215 - können in einem beschränkten Temperaturbereich eine Zunahme des Widerstands über mehrere Zehnerpotenzen aufweisen (Abb. 5.3.4). Temperaturabhängigkeit des spezifischen Widerstandes von PTC-Keramik Abb. 5.3.4 auf der Basis von donator-dotiertem Bariumtitanat [19] Für technische Anwendungen spielt insbesondere Bariumtitanat (BaTiO3) eine entscheidende Rolle. In diesem Material ist die Auswirkung des Übergangs zwischen der ferroelektrischen und der paraelektrischen kubischen Phase für den ausgeprägten PTC-Effekt verantwortlich. Im Kaltwiderstandsbereich, der sich bis zur Curietemperatur TC erstreckt, zeigt das Material einen für halbleitende Titanatkeramik typischen niedrigen spezifischen Widerstand von 0,1 1 Ωm. Im PTC-Bereich steigt der Widerstand um 5-7 Größenordnungen an. Oberhalb von Tmax schließt sich ein NTC-Bereich an, in dem die Leitfähigkeit wie bei jedem thermisch aktivierten Transportprozeß mit der Temperatur zunimmt. Durch Mischkristallbildung kann der Übergang zwischen dem Kaltwiderstandsbereich und dem PTC-Bereich auf der Temperaturachse verschoben werden (Abb. 5.3.5). - 216 - 5.3 Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen Temperaturabhängigkeit des spezifischen Widerstandes von PTC-Keramik auf der Basis von Abb. 5.3.5 donator-dotierten BaTiO3 (——), (BaPb)TiO3 (------) und (Ba,Sr)TiO3 (-·-·-·-) [19] PTC-Widerstände werden als Temperaturfühler, zum Überlastschutz, als Heizelemente und zur Endmagnetisierung eingesetzt. Aufgrund der hohen Temperaturabhängigkeit des spezifischen Widerstands innerhalb des PTC-Bereichs können Kaltleiter mit kleinem Volumen als Temperaturfühler zur Überwachung von Über- oder Untertemperatur verwendet werden. Außerdem werden PTC-Widerstände zum Überlastschutz von Leistungsbauelementen (z.B. Motoren) genutzt. Bei elektrischer oder thermischer Überlastung wird der PTC-Widerstand hochohmig und reduziert dadurch den Strom durch die Last auf einen kleineren Wert. Zum thermischen Überlastschutz muss der PTC-Widerstand thermisch mit der Last gekoppelt sein. Nach Wegfall der Überlastung und nach Abkühlung des PTC-Widerstands ist die Schaltung wieder funktionstüchtig. Die ausgeprägte positive Temperaturcharakteristik des Widerstands bewirkt eine Selbststabilisierung der Temperatur, wenn ein PTC-Widerstand durch eine angelegte Spannung aufgeheizt wird. Dies bedeutet, dass beim Einsatz von PTC-Keramik als Heizelement für einfache Anwendungen keine zusätzlichen Thermostate und elektronischen Regelschaltungen zur Temperaturbegrenzung und Stabilisierung benötigt werden. 5. Elektrische Eigenschaften - 217 - Keramische Supraleiter In der September-Ausgabe von 1986 der „Zeitschrift für Physik“ beschreiben die beiden Physiker Alex Müller und Georg Bednorz in Zürich, dass die keramische Substanz LantanBarium-Kupferoxid bereits bei relativ hohen Temperaturen von 35 Kelvin (-238 °C) jeglichen elektrischen Widerstand verliert (Abb. 5.3.6). Sprungtemperatur von Lantan-Barium-Kupferoxid bei verschiedenen Stromdichten [21] Abb. 5.3.6 Auf der Basis von Kupferoxid Supraleitern wurden nach der Erfindung von Bednorz und Müller yttriumoxidhaltige Supraleiter mit Sprungtemperaturen von 90 Kelvin entwickelt. Dies waren die ersten Supraleiter mit einer Sprungtemperatur über 77 Kelvin, d.h. sie ließen sich in preiswertem flüssigen Stickstoff hinreichend kühlen. Sprungtemperaturen von 125 Kelvin erreicht man mit einer Verbindung aus Thallium, Barium, Kalzium, Kupfer und Sauerstoff. Die höchsten Temperaturen von 134 Kelvin wurden bislang durch den Einbau von Quecksilber in die oxidischen Gitter erreicht (Abb. 5.3.7 bis 5.3.9). - 218 - 5.3 Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen Einige Varianten von Kupferoxid-Supraleitern [20] Abb. 5.3.7 Anstieg der Sprungtemperatur [22] Abb. 5.3.8 5. Elektrische Eigenschaften - 219 - Technisch relevante keramische Hochtemperatur-Supraleiter [20] Abb. 5.3.9 Man kennt heute weder die absolute obere Temperaturgrenze für Supraleitfähigkeit noch sind die grundlegenden Wechselwirkungen, die in keramischen Materialien bei spezifischen Sprungtemperaturen den elektrischen Widerstand zusammenbrechen lassen, vollständig geklärt. In Materialien, die eine Sprungtemperatur nur wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt aufweisen, bilden die Elektronen sogenannte Cooper-Paare. Im Gegensatz zu einzelnen Elektronen stoßen Cooper-Paare nicht mit ihresgleichen zusammen und werden auch nicht an den Störstellen im leitenden Medium gestreut. Sie treffen also bei ihrer Fortbewegung auf keinerlei Widerstand. In einem Supraleiter fließt Strom ohne elektrische Spannung und bleibt in einem geschlossenen Stromkreis beliebig lang erhalten, sofern das Material unter die kritische Temperatur gekühlt wird. Die Paarbildung kann man sich mit dem Doppelpass beim Fußball vorstellen: Zwei Stürmer spielen einander den Ball im Lauf hin und her zu, so dass keiner ihn unterwegs an den Gegner verliert. Dieses konventionelle Modell der Supraleitung vermag das Auftreten von Sprungtemperaturen über 35 Kelvin in Kupferoxidkeramiken allerdings nicht zu erklären. In einem keramischen Supraleiter mit hoher Übergangstemperatur würden nämlich Elektronen und Phononen sehr stark wechselwirken und dadurch die Struktur des Materials derart verzerren, dass es nicht mehr supraleitend und wahrscheinlich sogar nicht einmal mehr leitfähig wäre. Die heute dominierende Theorie zur Supraleitfähigkeit keramischer Materialien ist das sogenannte Spinwellenmodell. Demnach kippt eine bewegte Ladung die Spinorientierung (und somit das magnetische Moment) der Atome im supraleitenden Medium. Der Ladungsträger erzeugt gleichsam in seinem Kielwasser eine magnetische Störung - eine Spinwelle. Der Sog dieser Heckwelle zieht einen weiteren Träger an und die beiden bilden ein Cooper-Paar (Abb. 5.3.10). - 220 - 5.3 Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen Alte und neue Modelle der Supraleitung [22] Abb. 5.3.10 Der Mechanismus der Supraleitung in keramischen Materialien ist also nicht eindeutig geklärt, die molekularen Strukturen kennt man mittlerweile allerdings sehr genau. Die Kristallgitter aller Hochtemperatursupraleiter enthaltenen Ebenen aus Kupfer- und Sauerstoffatomen, die zwischen Schichten aus anderen Elementen liegen. Bei der Abkühlung unter die Sprungtemperatur bilden die Kupfer-Sauerstoff-Ebenen perfekte Leitungswege für Elektronen (Abb. 5.3.11). Durch die entsprechende Auswahl und Anordnung der übrigen Elemente im Kristallgitter lässt sich die Sprungtemperatur variieren. In supraleitenden Keramiken teilen sich die Sauerstoff- und die Kupferatome Elektronen, um einen möglichst günstigen Energiezustand zu erreichen. Die gemeinsamen Elektronen bewegen sich zwischen den Kupfer- und Sauerstoffatomen und bilden ein sogenanntes Leitungsband. Werden die Kupferatome auf Oxidationsstufen unter +2 reduziert (d.h. geben sie im Durchschnitt weniger als zwei Elektronen ab), so bewegen sich nur wenige Elektronen im Leitungsband. Werden die Kupferatome hingegen auf Stufen von mehr als +2 oxidiert (geben sie demnach im Mittel mehr als zwei Elektronen ab), so befinden sich sehr viele Elektronen im Leitungsband. Auch in den Elektronenschalen von Wismut und Blei kann die Zahl der an Sauerstoff abgegebenen Elektronen schwanken. Unter geeigneten Bedindungen bilden diese beiden Metalle mit Sauerstoff kovalente Bindungen und setzen Elektronen in ein Leitungsband frei. Man hat sowohl Blei- als auch Wismutoxide entdeckt, die bei relativ hohen Temperaturen supraleitend werden. 5. Elektrische Eigenschaften Supraleitende Kristallstruktur im System Tl-Ba-Ca-Cu-O, Sprungtemperatur 125K [20] - 221 - Abb. 5.3.11 - 222 - 5.3 Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen Kristallgitterstruktur von La2CuO4 [20] Abb. 5.3.12 Die von Bednorz und Müller entdeckten Supraleiter gehen aus der Verbindung La2CuO4 hervor (Abb. 5.3.12). In dieser Verbindung sind die Kupferatome mit sechs Sauerstoffatomen koordiniert, die an den Ecken eines länglichen Oktaeders sitzen. Wegen der Energiebedingungen innerhalb der äußeren Schale des Kupferatoms in der Oxidationsstufe +2 sind zwei an gegenüberliegenden Ecken des Oktaeders sitzende Sauerstoffatome stets weiter vom Kupfer entfernt als die vier übrigen. Diese Strukturverzerrung bedeutet, dass die Elektronen mit den jeweiligen Orten der Kupfer- und Sauerstoffatome im Kristallgitter in 5. Elektrische Eigenschaften - 223 - starker Wechselwirkung stehen, da ihre Energie hochgradig von diesen Positionen abhängt. Dies wiederum betrachtet man als sehr wichtig für das Auftreten von Supraleitung. Die Kupfer-Sauerstoff-Oktaeder in La2CuO4 sind durch die vier Sauerstoffatome, die dem Kupfer am nächsten liegen, miteinander verbunden. Die Kupferatome und ihre nächsten Sauerstoffnachbarn liegen in einer Ebene. In dieser Ebene werden die supraleitenden Ladungsträger frei. Dazu musste allerdings die Kristallstruktur von La2CuO4 modifiziert werden, indem einige Lanthan- durch Bariumatome ersetzt wurden und so die Verbindung La2-x BaxCuO4 entstand. In dieser Verbindung ist der Ladungsausgleich gewährleistet, wenn für jedes Bariumatom, das an die Stelle eines Lathanatoms tritt, ein Kupferatom von +2 nach +3 oxidiert wird. Das vom Kupfer zusätzlich abgegebene Elektron ist nicht räumlich gebunden sondern geht in das Leitungsband über. Wenn die Kupferatome eine kritische durchschnittliche Oxidationsstufe von etwa +2,2 erreichen, so schwindet der Antiferrimagnetismus vollständig und Supraleitfähigkeit stellt sich ein. Supraleitende Kristallstrukturen im System Y-Ba-Cu-O, Sprungtemperatur 92K [20] Abb.5.3.13 Im Gegensatz zu den festen Lösungen, die La2CuO4 supraleitend machen, hat der Supraleiter YBa2Cu3O7 (die sogenannte 1-2-3-Verbindung) ein vollständig geordnetes Kristallgitter aus Yttrium, Barium- und Kupfer-Ebenen (Abb. 5.3.13). Auf den Kristallgitterplätzen findet keine Mischung der Metallatome statt. Die kleinen Yttrium-Ionen (Oxidastionsstufe +3) sind immer an acht, die großen Barium-Ionen (Oxidationsstufe +2) an zehn Sauerstoffatome - 224 - 5.3 Spezielle Keramiken für elektrische und elektronische Anwendungen gebunden. Zwischen den Barium- und den Yttriumschichten sind die Kupferatome pyramidenförmig mit Sauerstoff koordiniert. Die Grundflächen der Kupfersauerstoffpyramiden liegen einander - durch eine Lage von Yttrium-Atomen getrennt gegenüber und erzeugen die für die Supraleitfähigkeit erforderliche Kupfer-Sauerstoff-Ebene. In der Verbindung YBa2Cu3O7 sind die sieben Sauerstoffatome für die Supraleitfähigkeit ganz besonders entscheidend. Wird der Sauerstoffgehalt nämlich von sieben auf sechs Atome verringert, entsteht der Isolator YBa2Cu3O6. Die Sprungtemperatur nimmt mit abnehmendem Sauerstoffgehalt rasch ab (Abb. 5.3.14). Übergangstemperatur und spezifische Remanenz von YBa2Cu3OX als Funktion des Sauerstoffgehaltes x [21] Abb. 5.3.14 6. Magnetische Eigenschaften - 225 - 6. Magnetische Eigenschaften 6.1. Magnetismus Nichtleitende Materialien werden in einem elektrischen Feld elektrisch, in einem Magnetfeld magnetisch polarisiert. Wegen dieser gegenseitigen Wechselwirkungen von elektrischem und magnetischem Feld existieren auch analoge Größen mit ähnlichen Dimensionen: Magnetisches Feld: B = μr·μo·H (6.1.1) B = magnetische Flussdichte; Einheit: 1T(Tesla) = 1 Vs/m2 H = magnetische Feldstärke; Einheit: A/m μ0 = magnetische Feldkonstante; μ0 = 4π·10-7 Vs/(Am) μr = Permeabilitätszahl Elektrisches Feld: D = εr·εo·E (6.1.2) D = elektrische Verschiebungsdichte; Einheit: As/m2 E = elektrische Feldstärke; Einheit: V/m ε0 = elektrische Feldkonstante; ε0 = 8,85·10-12 As/(Vm) εr = Dielektrizitätszahl Magnetismus wird von sich bewegenden elektrischen Ladungen hervorgerufen. Elektronen vollführen beispielsweise zwei unterschiedliche Bewegungen, nämlich die Orbitalbewegung und ihre Eigenrotation, den Spin. Das aus den Bewegungen der Kernladung resultierende Moment ist im Vergleich zu den Momenten der Elektronen sehr gering. Von den beiden Elektronenmomenten ist vor allem das durch den Elektronenspin verursachte Moment für das Verhalten magnetischer Stoffe verantwortlich. - 226 - 6.1. Magnetismus 6.1.1 Dia- und Paramagnetismus Bei vollständiger Besetzung der Elektronenzustände eines Atoms ist jedes Elektronenorbital mit zwei Elektronen entgegensetzten Spins besetzt. In diesem Falle heben sich die Elektronenmomente gegenseitig auf. Beispiele für derartige diamagnetische Substanzen sind Edelgase, viele ionische und kovalente Verbindungen wie NaCl, H2O, Ge, aber auch Metalle wie z.B. Zn. Schematisch sind die magnetischen Atommomente dieser diamagnetischen Werkstoffe in Abb. 6.1.1 A dargestellt. Schematische Darstellung der magnetischen Atommomente Abb. 6.1.1 in dia-, para- und ferromagnetischen Stoffen [17] Bei unvollständiger Besetzung der Elektronenniveaus findet keine vollständige Kompensation der Elektronenmomente statt. Die Orientierung dieser unkompensierten Momente sind jedoch ungeordnet (Abb. 6.1.1 B), so dass ein nach außen wirkendes magnetisches Moment nicht erkennbar wird. Derartige paramagnetische Stoffe sind beispielsweise O2, Al und Ti. Das magnetische Verhalten von dia- und paramagnetischen Werkstoffen findet so gut wie keine technische Nutzung, sie gelten gemeinhin als unmagnetisch. 6. Magnetische Eigenschaften - 227 - 6.1.2 Ferro-, Antiferro- und Ferrimagnetismus Bei ferromagnetischen Werkstoffen tritt eine Kopplung und gemeinsame Ausrichtung der unkompensierten Elektronenmomente auf. Ferromagnetismus ist also eine spezielle Form des Paramagnetismus, die unkompensierten Spinmomente werden hier durch besondere gegenseitige Wechselwirkungskräfte zu größeren Bereichen, sogenannten Domänen bzw. Weiss’schen Bezirken parallel ausgerichtet (Abb. 6.1.1). Ferromagnetismus ist an bestimmte Verhältnisse zwischen Atomabstand und Radius von Elektronenbahnen gebunden. Neben nicht aufgefüllten 3d- oder 4f-Elektronenzuständen, die unkompensierte Spinmomente liefern, müssen Ferromagnetika im Gitter ein Verhältnis von Atomabstand ao und Radius der 3d- bzw. 4f-Elektronenbahn r3d bzw. r4f zwischen 1,5 und 2,0 aufweisen, wenn sich eine domänenkoppelnde Austauschkraft entwickeln soll. Diese Bedingungen erfüllen von den Elementen nur die Metalle Fe, Co und Ni sowie einige Seltene Erden (Tab. 6.1.1 C). 3d-Elektronen und Slater-Koeffizienten a0/r3d der Elemente 25 bis 28 [17] Tab. 6.1.1 Die Grenze zwischen Domänen, in der sich der Orientierungswechsel kontinuerlich vollzieht, heißt Blochwand (Abb. 6.1.2 ). Die Breite solcher Blochwände beträgt größenordnungsmäßig einige 100 Atomabstände, die Abmessungen der Domänen liegen in der Größenordnung < 0,1 mm. Einkristalle oder einzelne Körner im Gefügeverband bestehen im allgemeinen aus mehreren Domänen. Die Domänen innerhalb dieser Körner oder Einkristalle tragen keine Vorzugsrichtungen, so dass ferromagnetische Stoffe nach außen nicht magnetisch erscheinen. Ihr ferromagnetisches Verhalten zeigt sich erst unter dem Einfluss eines äußeren die Domänen ausrichtenden Magnetfeldes. - 228 - 6.1. Magnetismus Änderung der Orientierung magnetischer Atom-Dipole zwischen zwei Domänen [8] Abb. 6.1.2 Ferromagnetismus besteht nur bis zu einer stoffabhängigen Grenztemperatur, der sogenannten Curietemperatur. Oberhalb dieser Temperatur wird die Domänenstruktur zerstört. Wenn das Verhältnis von Atomabstand zum Radius der 3d-Elektronenbahn < 1,50 ist, so stellen sich bei verringertem Abstand die Spinmomente gleicher Atome in benachbarten Gitterebenen zueinander antiparallel (Abb. 6.1.3 A). Hierdurch wird die Wirkung der magnetischen Momente wegen ihrer gleichen Größe vollständig aufgehoben. Es bleibt daher trotz Domänenanordnung kein resultierendes Moment nennenswerter Größe übrig. Dieses Verhalten nennt man antiferromagnetisch, Beispiele hierfür sind Mn, Cr, MnO, MnS, FeO u.a.. Ausrichtung der magnetischen Atommomente in antiferro- und ferrimagnetischen Stoffen [17] Abb. 6.1.3 6. Magnetische Eigenschaften - 229 - Im Falle von antiferromagnetischen Verbindungen werden die Magnetmomente nur von einer Komponente aufgebracht, also z.B. nur von Mn in der Verbindung MnO. Bestehen dagegen Gitter aus zwei verschiedenen Komponenten mit Antiparallelstellung ihrer Spinmomente oder werden in der Struktur der Gitterplätze mit Antiparallelstellung der Spinmomente nicht in gleich Zahl besetzt, so findet keine vollständige Kompensation der antiparallelen Momente statt und es bleibt ein beachtliches Gesamtmoment je Domäne übrig (Abb. 6.1.3 B). Dieses Verhalten wird als ferrimagnetisch, die entsprechenden Stoffe als Ferrite bezeichnet. Dabei handelt es sich um wesentlichen um oxidische Substanzen (Tab. 6.1.2). Kationenverteilung und magnetische Momente von Ferriten mit Spinellstruktur [12] Tab. 6.1.2 Magnetische Momente der Ferrit Resultierendes Kationenverteilung (Tetr.)(Okt.2)O4 tetraedrischen oktaedrischen Ionen ZnFe2O4 ZnFe2O4 0 Fe3O4 CoFe2O4 NiFe2O3 Fe3+(Fe2+Fe3+)O4 Fe3+(Co2+Fe3+)O4 Fe3+(Ni2+Fe3+)O4 MnFe2O4 MgFe2O4 Ni0,8Zn0,2Fe2O4 Ni0,6Zn0,4Fe2O4 Ni0,4Zn0,6Fe2O4 magnetisches Moment theoretisch beobachtet 0 0 4 3 2 4,1 3,7 2,3 (0,14+1,86) *5 1,1 *5 5 1 4,6 1,1 0,8* 2 + 1,2 *5 0,6* 2 + 1,4 *5 0,4* 2 + 1,6 *5 3,6 5,2 6,8 3,8 5,1 5,2 5 5 5 0 (antiferromagn.) 4+5 3+5 2+5 (Mn2+0,86Fe3+0,14)(Mn2+0,14Fe3+1,86)O4 (Mg2+0,1Fe3+0,9)(Mg2+0,9Fe3+1,1)O4 (0,86+0,14) *5 0,9 *5 (Zn2+0,2Fe3+0,8)(Ni2+0,8Fe3+1,2)O4 (Zn2+0,4Fe3+0,6)(Ni2+0,6Fe3+1,4)O4 (Zn2+0,6Fe3+0,4)(Ni2+0,4Fe3+1,6)O4 0,8 *5 0,6 *5 0,4 *5 Wird ein ferromagnetisches Material in ein äußeres Magnetfeld der Stärke H gebracht, so findet eine erhebliche Stärkung des Feldes durch reversible und irreversible Wechselwirkung zwischen Feld und magnetischen Domänen statt. Die Wechselwirkungen bestehen darin, daß sich zunächst Domänen mit einer zum äußeren Feld günstigen Orientierung auf Kosten ungünstiger orientierter Domänen vergrößern und sich in Richtung des äußeren Feldes parallel stellen. Bei einer bestimmten magnetischen Feldstärke H wird ein Zustand magnetischer Sättigung erreicht Bs (Abb. 6.1.4). - 230 - 6.1. Magnetismus Magnetisierungskurve (Neukurve und Hystereseschleife) Abb. 6.1.4 ferro- bzw. ferrimagnetischer Stoffe [17] Wird nach Erreichen der Sättigungsflussdichte Bs das Magnetfeld H entfernt, so gehen alle reversibel verlaufenden Vorgänge zurück, während die irreversiblen Ausrichtungen bleiben und bei der Feldstärke H = 0 eine Remanenzflussdichte Br verursachen. Der Werkstoff befindet sich also hier in einem magnetisierten Zustand. Soll die Remanenzflussdichte im Werkstoff beseitigt werden, muss ein magnetisches Gegenfeld der Größe Hc aufgebracht werden. Dieses magnetische Gegenfeld wird als Koerzitivfeldstärke bezeichnet. Die in einem magnetischen Wechselfeld bei der Magnetisierung jeweils bis zur Sättigung erzwungenen irreversiblen Vorgänge führen zu der in Abb. 6.1.4 dargestellten Hystereseschleife. Die von der Hysteresekurve eingeschlossene Fläche gibt die bei einem Magnetisierungszyklus entstehenden Magnetisierungsverluste wieder. Neben diesen magnetischen Verlusten treten bei höheren Frequenzen zusätzliche Energieverluste durch Wirbelströme auf. Bei keramischen Magnetwerkstoffen entfallen diese Wirbelstromverluste wegen der fehlenden Leitfähigkeit. Je nach Hystereseschleife unterscheidet man weich- und hartmagnetische Werkstoffe. Als magnetisch weich bezeichnet man ferro- bzw. ferrimagnetische Werkstoffe, die sich leicht und mit geringen Hystereseverlusten ummagnetisieren lassen, d.h. es muss ein leichter Ablauf der zur Magnetisierung erforderlichen Bewegungen von Blochwänden gewährleistet sein. Da die Bewegungsfähigkeit von Blochwänden entscheidend durch Gitterfehler, Fremdatome, 6. Magnetische Eigenschaften - 231 - Versetzungen und Ausscheidungen eingeschränkt wird, kommen als weichmagnetische Materialien möglichst homogene und reine und weichgekühlte Werkstoffe in Frage. In der Magnetisierungskurve zeichnet sich ein weichmagnetischer Werkstoff durch hohe Permeabilitätswerte, eine schmale Hysteresekurve und niedrige Koerzitivfeldstärken aus (Abb.6.1.5 A). Hystereseschleifen weich- und hartmagnetischer Werkstoffe [17] Abb. 6.1.5 Ein Dauermagnet soll dagegen seinen einmal erzeugten Magnetisierungszustand auch ohne Feld oder gar unter dem Einfluss eines anderen Magnetfelds möglichst beibehalten. Dazu ist eine hohe Sättigungsflussdichte Bs und eine große Koerzitivfeldstärke Hc notwendig (Abb. 6.1.5 B). In diesem Fall müssen die mit einer Ummagnetisierung verbundenen Blochwandbewegungen möglichst stark behindert werden. Dies ist in besonderem Maße in Gefügen mit einem hohen Gehalt an Gitterfehlern (wie Versetzungen, Korngrenzen, Fremdatomen und feinen Ausscheidungen einer nichtferromagnetischen Phase) der Fall. - 232 - 6.2. Keramische Magnetwerkstoffe 6.2. Keramische Magnetwerkstoffe Spinellferrite Ferrimagnetische Oxide, die als Ferrite bezeichnet werden, haben die generelle Formel M2+O⋅Fe23+O3, wobei M2+ ein zweiwertiges metallisches Ion wie z.B. Fe2+, Ni2+, Cu2+, Mg2+ darstellt. Darüber hinaus existieren Mischferritte in denen das zweiwertige Kation eine Mischung aus unterschiedlichen Ionen darstellen kann (z.B. Mg1-xMnxFe2O4), wodurch sich ein sehr großer Bereich unterschiedlicher Zusammensetzungen und magnetischer Eigenschaften in diesen Ferriten ergibt. Im Spinellgitter AB2O4 (Abb.6.2.1) enthält die Elementarzelle 32 O-Ionen in dichtester Packung. Die 16 B-Ionen befinden sich im normalen MgAl2O4-Spinell in oktaedrischen, die 8 A-Ionen in tetraedrischen.Lücken. Wegen der Edelgaskonfiguration aller Ionen ist dieser Spinell allerdings diamagnetisch. In den sogenannten Inversspinellen werden die dreiwertigen B-Ionen mit den zweiwertigen A-Ionen in ihren Lagen bis zum Grenzfall B(AB)O4, ausgetauscht. Die zuerst stehenden Kationen befinden sich dabei in tetraedrischer, die danach stehenden in oktaedrischer Lage. Die Inversionszahl λ ist dann das Verhältnis der B-Ionen in Tetraederkoordination zur Gesamtzahl der B-Ionen. Bei Normalspinellen beträgt λ = 0, bei reinen Austauschspinellen beträgt λ = 0,5. Dazwischen findet man alle Übergänge mit der allgemeinen Formel (A1-xBx) (AxB2-x)O4. Kristallstruktur von Spinell (AB2O4) [8] Abb. 6.2.1 6. Magnetische Eigenschaften - 233 - Bei den Ferriten ist das B-Ion ein Fe3+-Ion. Da der Ionenradius der zweiwertigen Kationen fast immer größer ist als der der dreiwertigen, findet man die zweiwertigen Kationen bevorzugt in der größeren Oktaederlücke. Alle ferrimagnetischen Spinelle sind mehr oder weniger Inversspinelle. Das dreiwertige Ion B ist also Fe3+, die zweiwertigen Ionen A werden durch Fe2+, Co2+, Ni+2, Mn2+, Mg2+, Cu2+, Zn2+ oder Cd2+ gebildet. Die magnetischen Momente in den Untergittern verlaufen parallel, tetraedrische und oktaedrische Untergitter sind antiparallel orientiert. Im Normalspinell ZnFe2O4 befinden sich die Fe3+-Ionen nur in oktaedrischen Lagen (Tabelle 6.1.2). Die magnetischen Momente orientieren sich dort antiparallel, d.h. es tritt Antiferromagnetismus auf. Die Austauschspinelle Fe3O4, CoFe2O4, NiFe2O4, MnFe2O4 und MgFe2O4 zeigen dagegen starke magnetische Momente. Neben diesen Spinellen mit nur zwei Kationen besteht eine große Vielfalt in der Bildung von Mischkristallen. Am Beispiel von Nickelzinkferriten ist diese Mischkristallbildung zusammen mit den magnetischen Momenten ebenfalls in Tabelle 6.1.2 zu sehen. Die Bevorzugung der tetraedrischen Koordination durch das Zn-Ion hat zur Folge, dass die entsprechende Anzahl Fe3+-Ionen in die oktaedrische Lage gedrängt wird, wodurch sich das magnetische Moment erhöht. Die Einführung einer nichtmagnetischen Komponente kann daher die magnetischen Eigenschaften dieser Ferrite verbessern. Perowskitferrite In der Perowskitstruktur ABO3 existiert Ferromagnetismus bei den Manganiten mit B = Mn3+ oder Mn4+, der auf einer parallelen Orientierung der Momente dieser Kationen beruht. Auch hier gibt es natürlich Mischkristallbildung wie z.B. La3+Mn3+O3 mit Erdalkalimanganiten des Typs R2+Mn4+O3. Granatstrukturen In der kubischen Granatstruktur A2+3 B3+2 C4+3 O12 (z.B. Ca3Al2[SiO4]3) sind drei Untergitter vorhanden. Das Ion A tritt in der Koordinationszahl 8, das Ion B in der Koordinatioszahl 6 und das Ion C in der Koordinationszahl 4 auf. Als ferrimagnetisch erwiesen sich Granate der Zusammensetzung Y3+3 Fe3+2 Fe3+3 O12. Während das Y3+-Ion diamagnetisch ist, sind die - 234 - 6.2. Keramische Magnetwerkstoffe Momente der Fe3+-Ionen in den tetraedrischen und oktaedrischen Lagen antiparallel ausgerichtet, woraus sich ein resultierendes magnetisches Moment ergibt. Natürlich kann man auch in diesen Strukturen durch Substitution der Ionen die magnetischen Eigenschaften in weiten Bereichen beeinflussen. So bewirkt z.B. der Ersatz von Fe3+ in der tetraedrischen Lage durch z.B. Al3+ eine Erniedrigung, der Ersatz von Fe3+ in der oktaedrischen Lage durch z.B. Cr3+ eine Erhöhung des Magnetismus. Hexagonale Ferrite Hexagonale Ferrite weisen eine Struktur auf, die der Spinellstruktur ähnelt, allerdings sind die Sauerstoffionen hexagonal dicht gepackt und die Einheitszelle entspricht der Formel AB12O19, wobei A ein zweiwertiges Ion wie z.B. Ba, Sr oder Pb darstellt und B ein dreiwertiges Ion von Al, Ga, Cr oder Fe. Die Strukturen bestehen also aus Spinellschichten, die durch Bahaltige Schichten getrennt sind. Die wichtigsten Verbindungen sind BaFe12O19, BaMe2Fe16O27, Ba2Me2Fe12O22 und Ba3Me2Fe24O41. Korundstruktur Variiert man die Korundstruktur Al2O3 zu Me2+Me4+O3, dann kann bei geordneter Verteilung der beiden Kationen Ferrimagnetismus eintreten. Dieser Typ ist bei Co2+Mn4+O3 beobachtet worden. Gefügeeinflüsse Wie bereits erwähnt, lassen sich die magnetischen Eigenschaften durch Variation der chemischen Zusammensetzung der keramischen Werkstoffe in weiten Bereichen beeinflussen. Einige Beispiele sind in Tabelle 6.2.1 am Beispiel von Mangan- und NickelZink-Ferriten zu sehen. 6. Magnetische Eigenschaften Einige Eigenschaften von Mn-Zn- und Ni-Zn-Ferriten [8] - 235 - Tab. 6.2.1 Darüber hinaus beeinflusst aber auch die Korngröße und die Porosität der keramischen Werkstoffe die magnetischen Eigenschaften. So nimmt z.B. die Permeabilität in polykristallinen Ferriten mit zunehmender Korngröße zu (Abb. 6.2.2). Man vermutet, dass mit zunehmender Korngröße die magnetischen Domänen in die Körner eingeschlossen werden und sie an den Korngrenzen oder durch intergranulare Poren miteinander verbunden werden. Dadurch wird ihre Bewegung bei der Magnetisierung durch Korngröße und Porengröße bzw. deren Verteilung beeinflusst. Einfluss des Korndurchmessers von Mn-Zn-Ferrit mit unkontrollierter Porosität auf die Permeabilität [8] Abb. 6.2.2 - 236 - 7. Literatur 7. LITERATUR [1] Bilke, W.: Handbuch der Keramik. Verlag Schmid GmbH, Freiburg i. Brsg.. [2] Technische Keramik. Jahrbuch 1. u. 2. Ausgabe, Vulkan-Verlag, Essen, 1988/1990. [3] Brook, R.J.: Advanced Ceramic Materials. Pergamon Press, Oxford, 1990. [4] Ashby, M.F.; Jones, D.R.H.: Ingenieurwerkstoffe. Springer-Verlag, Berlin - Heidelberg - New York - Tokyo, 1986. [5] Ondracek, G.: Werkstoffkunde. Expert Verlag Ehningen, 1992. [6] Guy, A.G.: Introduction to Materials Science. Mac-Graw Hill, 1972. [7] Hornbogen, E.: Werkstoffe. 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