Theologie – und ich beschränke mich im Folgenden auf den Bereich

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Einführung in die Islamwissenschaft (Theologie) – Schmidtke
Theologie tritt immer dort auf, wo zuvor mittels Offenbarung eine Religion begründet
wurde. Theologie ist im weitesten Sinne der Versuch, ausgehend von einer Offenbarung
weitere Erkenntnisse über die darin skizzierte Wirklichkeit zu erlangen.
Die islamische Theologie stellt einen anthropomorph konzipierten Gott in den
Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Mittels der Offenbarung ist festgelegt, dass es sich
hierbei um einen Schöpfergott handelt, der zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt die
Schöpfung hervorgebracht hat und diese seither durch unmittelbares Eingreifen lenkt.
Neben dem Schöpfergott, der als ewig gedacht wird, tritt eine zeitlich erschaffene
Schöpfung. Die Offenbarung macht noch weitergehende Aussagen über die
Eigenschaften Gottes; hierzu gehören etwa die Attribute der Allmacht, der Allwissenheit,
des Wollens, der Wahrnehmung und der Ewigkeit bzw. Beständigkeit, und dass Gott als
in jeder Beziehung eins gedacht werden muss (tauÎÐd).
Hinsichtlich der Art und Weise, wie diese göttlichen Eigenschaften konzeptionalisiert
werden, wie also das „Warum“ bzw. das „Wie“ des göttlichen Handelns gegenüber seiner
Schöpfung gedacht wird – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Frage nach der
Handlungsfreiheit bzw. Vorherbestimmung des Menschen und das eng damit verbundene
Theodizeeproblem, aber auch der Frage nach Werteobjektivismus bzw. -subjektivismus –
, wurden in der islamischen Theologie ganz unterschiedliche Wege beschritten. Der
Koran macht zu vielen dieser Fragen keine, bzw. allenfalls uneindeutige Aussagen.
Für die unterschiedlichen Ausprägungen theologischen Denkens im islamischen Bereich
sind insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen, nämlich zum einen die Form, in
der Theologie betrieben wird, zum anderen die Inhalte dessen, die als theologisch
maßgebend auserkoren werden bzw. in der Theologie thematisiert werden.
Hinsichtlich der Form, in der Theologie betrieben wurde, lassen sich zwei grundsätzlich
unterschiedliche Richtungen identifizieren; zum einen die auf dialektischer Grundlage
aufbauende, spekulative Theologie, ursprünglich eine wesentlich auf mündlichen Dialog
ausgerichtete Wissenschaft; der arabische Begriff für spekulative Theologie spiegelt
ihren disputativen Charakter wieder – Ýilm al-kalÁm, wörtlich also die „Wissenschaft von
der Rede“, oder einfach kalÁm. Traditionalistische Kreise lehnten Disputation über
theologische Fragen ab. Da sie der Überlieferung des Propheten sehr große Bedeutung
beimaßen, formulierten sie ihre theologischen Positionen neben dem Koran als
Grundlage vor allem basierend auf der Grundlage der Sunna, und nicht – wie dies die
spekulativen Theologen taten – auf Vernunftargumenten. Die Traditionalisten sprachen
statt kalÁm oder Ýilm al-kalÁm von uÒÙl al-dÐn – den „Grundlagen der Religion“.
Hinsichtlich der Inhalte haben sich in der islamischen Theologie ganz unterschiedliche
Entwürfe herausgebildet. Die Unterscheidungslinien sind hierbei nicht identisch mit der
Unterscheidungslinie, die sich durch die unterschiedliche Methodik ergibt, mittels derer
Theologie betrieben wird.
Die MuÝtazila, deren Geschichte im 2./8. Jh. began und sich in der sunnitischen Welt bis
Mitte des 5./11., in manchen Gegenden sogar bis Beginn des 7./13. Jhs. erstreckte, trat
mehrheitlich für die folgenden fünf Prinzipien ein:
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Gemäß dem Prinzip der göttlichen Gerechtigkeit (Ýadl) will Gott für den Menschen das
Gute. Alles Böse in der Welt – menschlicher Ungehorsam gegenüber den göttlichen
Geboten, Lüge und Ungerechtigkeit – ist von ihm weder gewollt noch geschaffen.
Folglich ist der Mensch Herr seiner Handlungen. Er kann wählen zwischen Glauben und
Unglauben und ist in seinem Handeln keinem Zwang unterworfen. Außerdem erlegt ihm
Gott keine moralischen Verpflichtungen auf, die er nicht erfüllen könnte.
Gemäß dem Prinzip von Verheissung und Drohung (al-waÝd wa l-waÝÐd) halten die
MuÝtaziliten daran fest, dass Gott seine Verheißungen für die Gläubigen und Gehorsamen
und seine Androhungen für die Ungläubigen und die schweren Sünder unbedingt erfüllen
wird. Es widerspräche dem Prinzip der göttlichen Gerechtigkeit, wenn er die Übertretung
der göttlichen Gebote mit der Höllenstrafe bedrohen, die Sanktionen dann aber nicht
verwirklichen würde.
Die Lehre von der Zwischenstellung (al-manzila bain al-manzilatain) betrifft die Position
des schweren Sünders, der weder den Gläubigen noch den Ungläubigen zuzurechnen ist.
Hiermit grenzen sich die MuÝtaziliten einerseits gegenüber der Lehre der ËÁriÊiten ab,
nach deren Auffassung ein sündiger Muslim einem Ungläubigen gleichzusetzen sei, und
andererseits gegenüber der Position der MurÊiÞiten, die jeden Muslim – also auch den
schweren unreuigen Sünder – einem Gläubigen gleichsetzten.
Das vom Koran gebotene Auffordern zum Billigen und Abhalten vom Verwerflichen (alamr bi-l-maÝrÙf wa l-nahy Ýan al-munkar) meint die Aufforderung zur Verteidigung und
Verbreitung des wahren Glaubens und den Aufruf zur Bekehrung sowie zur aktiven, auch
gewaltsamen, Durchsetzung des Rechtes.
Nach der muÝtazilitischen Auffassung von der Einheit Gottes (tauÎÐd) ist Gott allein
anfangslos ewig bzw. unendlich. Bzgl. seiner Wesensattribute ist Gott von Ewigkeit her
lebendig, mächtig, wissend, sehend und hörend und dies durch sich selbst – nicht
aufgrund selbständiger Attribute des Lebens, der Macht, des Wissens etc., die wie Gott
selbst von Ewigkeit her bestehen. In dieser Auffassung von der Einheit Gottes liegt auch
die muÝtazilitische Lehre von der Erschaffenheit des Korans begründet.
Mit Abu l-Íasan al-AšÝarÐ (ca. 260/874 – 324/936) und der nach ihm benannten
theologischen Richtung der AšÝariyya wurde das bis dahin bestehende theologische
Spektrum wesentlich erweitert. Methodisch stand er der MuÝtazila nahe, doktrinär aber
vertrat er die Positionen der traditionalistisch orientierten Íanbaliten.
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