WISSENSCHAFT UV-LICHT-MISSBRAUCH Tanorexie: Eine neue Sucht? Foto: ddp Sonnenlicht ist gut für Körper und Seele. Aber auch hier gilt: Alles in Maßen, denn übermäßiges Hautbräunen kann zu einer Sucht werden. Gebräunte Haut gilt in der Gesellschaft als attraktiv und gesund – daher streben viele Menschen nach diesem Ideal, ohne an die Konsequenzen zu denken. 176 S onnenlicht hat viele positive Wirkungen auf den Körper. Es fördert unter anderem die VitaminD-Bildung, stärkt das Immunsystem und macht gute Laune. Außerdem wird durch Sonnenbäder die Haut gebräunt: Die im Sonnenlicht enthaltenen UV-A-Strahlen führen zu einer kurzfristigen Bräune, wohingegen die UV-B-Strahlen zu einer langfristigen Bräune verhelfen. Zu häufige und zu lange Sonnenbäder haben jedoch überwiegend negative Wirkungen, wie zum Beispiel Sonnenbrand, vorzeitige Hautalterung und erhöhtes Hautkrebsrisiko. In den letzten Jahren hat die UVB-Exposition auf der Erde aufgrund von Veränderungen in der Ozonschicht zugenommen. Damit geht eine Zunahme der Hautkrebsfälle einher. Um die Aufklärung und Prävention von Hautkrebs in der Bevölkerung zu fördern, gibt es schon seit Jahren in vielen Ländern entsprechende Kampagnen und Interventionsprogramme, die allerdings nur mäßigen Erfolg haben. Experten beklagen, dass die Programme zwar das Wissen über Risiken und vor- beugende Maßnahmen erhöhen, aber kaum zu entsprechenden Verhaltensänderungen führen. Das Forschungsgebiet, das sich mit schädigendem Sonnenbaden befasst, ist noch ziemlich neu und wird vor allem von Hautärzten vorangetrieben. Aber auch Gesundheitspsychologen, Psychotherapeuten und Psychiater widmen sich zunehmend der Thematik, denn riskantes Bräunungsverhalten geht nicht nur mit Hautschädigungen, sondern auch mit psychischen Ursachen und Symptomen einher. Hautbräune gilt als gesund Die Gründe dafür, dass sich Menschen wider besseres Wissen in unvernünftiger Weise natürlichem oder künstlichem Sonnenlicht aussetzen, sind vielfältig. Hautbräune wird mit Attraktivität und Gesundheit gleichgesetzt. Außerdem weckt gebräunte Haut positive Assoziationen mit Erholung und Urlaub. Die Wärme der Sonne oder des Solariums sorgt für Entspannung. Außerdem bieten Sonnenbänke die Möglichkeit, sich von der Außenwelt abzuschotten. Zum übermäßigen Bräunen neigen vor allem Personen mit einem Hauttyp, der nicht sofort einen Sonnenbrand beschert. Auch Personen, die sehr auf ihr Äußeres bedacht sind, übertreiben es häufig. Frauen bräunen sich eher in riskanter Weise als Männer; Männer nutzen hingegen seltener Sonnencremes, schützende Kleidung oder suchen seltener Schatten. Zu denjenigen, die relativ sorglos mit natürlicher oder künstlicher UV-Bestrahlung umgehen, zählen jüngere und weniger gebildete Menschen, Personen, die gegenüber Sonnenstudios unkritisch eingestellt sind, Raucher sowie Personen, die zu übermäßigem Alkoholkonsum neigen. Übermäßige Hautbräunung wird mitunter als Ausdruck eines übersteigerten Kontrollbedürfnisses und einer erhöhten Risikoneigung angesehen. Bei einer Umfrage unter 99 US-amerikanischen Collegestudentinnen stellte sich heraus, dass diese das Bräunen einsetzten, um ihre Körper zu kontrollieren und nach eigenen Wünschen zu gestalten. Studentinnen, die sich besonders häufig sonnten, neigten auch zu anderen körpermanipulierenden und riskanten Verhaltensweisen, wie etwa zum Hungern, exzessiven Sporttreiben oder Drogenmissbrauch. Unvernünftiges Bräunen kann darüber hinaus die Folge von Gruppendruck, sozialen Normen und Schönheitsidealen sein. Beispielsweise tragen weibliche Jugendliche Wettbewerbe aus, wer am stärksten gebräunt ist. Frauen bräunen sich, weil sie Männern gefallen wollen oder weil sie Schauspielern und Models nacheifern, von denen die meisten stets gebräunt sind. Neben diesen weitverbreiteten Motiven kann starkes Bräunen aber auch mit psychischen Störungen assoziiert sein. Beispielsweise gehen US-amerikanische Ärzte und Psychologen seit Kurzem davon aus, ⏐ PP⏐ ⏐ Heft 4⏐ ⏐ April 2009 Deutsches Ärzteblatt⏐ WISSENSCHAFT dass es auf eine körperdysmorphe Störung hinweisen kann. So berichteten die Psychiaterin Dr. Michelle Conroy von der Brown University in Providence und ihre Kollegen von einer Studie, an der 200 Personen mit einer körperdysmorphen Störung teilgenommen hatten. 50 von ihnen bräunten ihre Haut auffällig oft und intensiv. Ihr Gefühl, hässlich zu sein, richtete sich vor allem auf die Haut: Sie fühlten sich in geradezu zwanghafter Weise zu blass und störten sich außerdem an Pickeln, Narben und Flecken. Über die Hälfte der Betroffenen hatte sich schon mehrere Male an Hautärzte gewandt und sich verschiedenen Behandlungen unterzogen. Ihrer Unzufriedenheit mit ihrem Aussehen wurde dadurch jedoch nicht abgeholfen. Patienten mit körperdysmorpher Störung, die hauptsächlich auf die Haut fixiert sind, stellen möglicherweise einen Subtyp dar. Conroy zufolge leiden sie zusätzlich unter einer verminderten Lebensqualität, Suizidgedanken und komorbiden Störungen. Betroffene fühlen sich blass In letzter Zeit mehren sich auch Hinweise darauf, dass übermäßiges Bräunen ähnliche Symptome wie eine Sucht aufweist beziehungsweise eventuell zu einer Sucht werden kann. Während sich einige Wissenschaftler mit dem Begriff „UV-LichtMissbrauch“ behelfen, um dieses pathologische Verhalten zu beschreiben, wird in den Medien häufiger der Begriff „Tanorexie“ verwendet. Er setzt sich zusammen aus „tan-“ (englisch: to tan = bräunen) und „-orexie“ in Anspielung auf Anorexie (Anorexia nervosa = Magersucht). Anorexiepatienten haben selbst bei starkem Untergewicht das Gefühl, zu dick zu sein; Tanorexiepatienten ergeht es im Hinblick auf ihre Haut ebenso: Sie leiden darunter, dass sie in ihren Augen stets zu blass und daher unattraktiv sind, selbst wenn ihre Haut einen hohen Bräunungsgrad aufweist. Ursache dafür ist möglicherweise eine verzerrte Selbstwahrnehmung. Der UV-Licht-Missbrauch wurde bisher nur selten und anhand von kleinen Stichproben untersucht. Aus diesem Grund ist darüber noch nicht ⏐ PP⏐ ⏐ Heft 4⏐ ⏐ April 2009 Deutsches Ärzteblatt⏐ allzu viel bekannt. Die Ergebnisse der wenigen Studien weisen jedoch darauf hin, dass es sich möglicherweise um eine bisher unerkannte und unterschätzte Form der substanzgebundenen Abhängigkeit handelt, die einer Behandlung bedarf, wie sie im Rahmen anderer Suchterkrankungen angewendet wird. Folgende Punkte lassen auf eine Sucht beziehungsweise auf eine suchtähnliche Erkrankung schließen: > Pathologisches, gesundheitsgefährdendes Verhalten: fast tägliche Besuche der Sonnenstudios und Ausnutzung jeder Möglichkeit zum Sonnenbad sind die Regel. Der Zeitaufwand ist enorm und wird, wenn möglich, immer weiter ausgedehnt. > Verleugnung: Pathologische Sonnenanbeter verleugnen oder verdrängen die Gefahren übermäßiger UV-Bestrahlung. Sie ignorieren Warnhinweise ihres Körpers, unterschätzen die Häufigkeit ihrer UVLicht-Exposition und verkennen Folgen beziehungsweise Risiken wie Hautalterung, Pigmentierung, Hautverdünnung und Hautkrebs. > Verstärkung: Natürliches und künstliches UV-Licht bewirkt eine erhöhte Ausschüttung von Endorphinen und Serotonin und damit eine Stimmungsaufhellung. Starke UVLicht-Exposition führt möglicherweise zu Glücksgefühlen, die wiederum das Verhalten verstärken. Das erklärt vielleicht, warum edukative Maßnahmen oft fehlschlagen. Hinzu kommt, dass viele negative Folgen übermäßigen Bräunens nicht unmittelbar auftreten, sondern erst nach 20 oder 30 Jahren. Auch das fördert die Einstellung vieler Betroffener, dass es wichtiger sei, jetzt attraktiv zu sein, als an die Zukunft zu denken. > Kontrollverlust: Bei einer Befragung von 1 275 US-amerikanischen Jugendlichen stellte sich heraus, dass 21 Prozent derjenigen, die regelmäßig ein Sonnenstudio besuchten, Probleme damit hatten, dieses Verhalten zu unterlassen, obwohl sie von den Gefahren wussten. Je jünger die Befragten waren und je häufiger sie sich bräunten, umso schwerer fiel es ihnen, mit dem Bräunen aufzuhören. > Entzugserscheinungen: Wenn Sonnenanbeter auf ihre Gewohnheit verzichten müssen oder ihr nicht regelmäßig nachgehen können, kann es zu Entzugserscheinungen kommen. Beobachtet und berichtet wurden Übelkeit, Zittern, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Ängste und starkes Verlangen nach Sonnenexposition. Sie sind möglicherweise eine Folge des Entzugs von UV-Licht und damit einhergehend des Entzugs von Endorphinen. Süchtig nach UV-Strahlen Die Deutsche Dermatologische Gesellschaft geht davon aus, dass jährlich circa 130 000 Bundesbürger an Hautkrebs erkranken. Als Hauptursache gilt der intensive Kontakt der Haut mit Sonnenlicht. Unter diesen Neuerkrankungen sind womöglich viele Personen, die nach UV-Strahlen und deren Wirkungen „süchtig“ sind. Da sie aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, sich vor schädlichem Sonnenlicht zu schützen, könnte ihnen möglicherweise durch eine engere, interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hautärzten, Psychotherapeuten und Suchtexperten geholfen werden. I Dr. phil. Marion Sonnenmoser LITERATUR 1. Dixon H et al.: Portrayal of tanning, clothing fashion and shade use in Australian women’s magazines, 1987–2005. Health Education Research 2008; 23(5): 791–802. 2. Kaur M et al.: Induction of withdrawal-like symptoms in a small randomized, controlled trial of opioid blockade in frequent tanners. Journal of the American Academy of Dermatology 2006; 54(4): 709–11. 3. Keen S, Yelverton C, Rapp S, Feldman S: UV light abuse as a substance-related disorder: Clinical implications. Arch Dermatol 2008; 144(8): 1047–8. 4. Phillips K et al.: Tanning in body dysmorphic disorder. Psychiatric Quarterly 2006; 77(2): 129–38. 5. Rudd N, Lennon S: Body image and appearance-management behaviors in college women. Clothing and Textiles Research Journal 2000; 18(3): 152–62. 6. Warthan M, Uchida T, Wagner R: UV light tanning as a type of substance-related disorder. Arch Dermatol 2005; 141: 963–6. 7. Zeller S et al.: Do adolescent indoor tanners exhibit dependency? J Am Acad Dermatol 2006; 54(4): 589–96. Kontakt: Dr. Michelle Conroy, Department of Psychiatry and Human Behavior, Brown Medical School, Providence, USA, E-Mail: [email protected] 177