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Schwerhörigkeit im Alter:
Was tun, wenn konventionelle Hörgeräte
nicht mehr helfen?
(c) istockphoto
Dr. S. Euteneuer, PD Dr. P. Federspil,
Prof. Dr. M. Praetorius, Prof. Dr. P.K. Plinkert
Hals-Nasen- und Ohrenklinik
am Universitätsklinikum Heidelberg
Lernziele
1.
2.
3.
4.
5.
Prävalenz der Altersschwerhörigkeit
Ursachen
Klinik
Folgen
Versorgungswege
5.1. Hörgeräteversorgung
5.2. In besonderen Fällen Knochenleitungsimplantate:
Wenn der geschlossene Gehörgang nicht toleriert wird.
Wenn zusätzlich die Schallübertragung im Mittelohr nicht funktioniert.
5.3. Aktive Mittelohrimplantate
5.4. Cochlea-Implantate: Wenn der Hörverlust zu groß wird.
Dabei ist immer das Behandlungsziel:

Funktionsdefizit des beidohrigen Hörens ausgleichen.

Verbesserung des Sprachverstehens unter ungünstigen
Bedingungen (z.B. Störgeräusche, Stimmengewirr).
Altersschwerhörigkeit:
Welche Hörschwelle ist im Alter „normal“?
Nach ISO DIN EN 7029: Medianes Hörvermögen nach Lebensalter
„Sprachbanane“: Lautstärken und Frequenzbereiche der gesprochenen Sprache
Schweregrade
Ab einem Hörverlust von ca.
25 dB (gemittelt bei 0,5; 1
und 2 kHz) treten
Schwierigkeiten beim
Sprachverstehen auf.
Ab einem Hörverlust von
ca. 40 dB (gemittelt bei 0,5;
1 und 2 kHz) liegt eine
Behinderung nach
WHO-Richtlinien vor.
(c) MED-EL
Prävalenz von Schwerhörigkeiten
In Deutschland beklagen von den Menschen älter als 65 Jahre
Hörschwierigkeiten:
Keine: 57%
Leichte: 35,5%
Große: 6,9%
Keine Angabe: 0,6%
„Gesundheit in Deutschland aktuell - Telefonischer Gesundheitssurvey (GEDA)“, Robert Koch-Institut, Stand 2012
Prävalenz der Altersschwerhörigkeit andernorts
Das alternde Hörsystem (1):
Das Innenohr
• Die Atrophie der Stria vascularis führt zu einer Reduktion des
endocochleären Potentials
• Der Verlust von äußeren Haarsinneszellen führt zum Verlust der
nicht-linearen Verstärkerfunktion: Die Hörschwelle steigt an, die
Unbehaglichkeitsschwelle jedoch nicht. Damit reduziert sich der
Dynamikbereich des Ohres.
Gesundes
Innenohr
(nichtlineare
Verstärkung)
Funktionsverlust der äußeren
Haarsinneszellen (lineare Verstärkung)
Verstärkungseffekt
der äußeren Haarsinneszellen
Auf das Ohr treffender Schallpegel
Pickles JO (1988) An introduction to the physiology of hearing, 2nd ed Academic Press, London
Das alternde Hörsystem (2):
Das Innenohr
• Mit den Inneren Haarsinneszellen (IHZ) gehen die sensorischen
Rezeptorzellen verloren. Sekundär kommt es zum Verlust der afferenten
Nervenfasern.
• Nach neuen Erkenntnissen kommt es ebenfalls zu einem primären Verlust
von synaptischen Kontakten der IHZ und der korrespondierenden
Nervenfasern1.
• Erst spät kommt es zum Verlust der Zellkörper der Spiralganglienneurone.
Folgen:
• Anstieg der Hörschwelle sowohl durch den Verlust der äußeren
Haarsinneszellen (Hörverlust ≤ 60 dB) als auch der sensorischen IHZ
(Hörverlust ≥ 60 dB).
• Probleme beim Sprachverstehen durch den Anstieg der Hörschwelle sowie
den Verlust der synaptischen Kontakte und Nervenfasern.
1 Viana et al., 2015; Sergeyenko et al., 2013
Das alternde Hörsystem (3):
Die zentrale Hörbahn
Das zentrale auditorische System altert nicht isoliert:
Durch den Verlust der peripheren synaptischen Kontakte und der
Haarsinneszellen kommt es zu einem reduzierten und qualitativ veränderten
Input.
Parallel kommt es zum Verlust genereller kognitiver Funktionen.
Die rein durch die altersbedingten Veränderungen des zentralen
auditorischen Systems bedingten Probleme beim Sprachverstehen sind
daher schwer messbar:
Bereits auf Hirnstammniveau bei älteren Probanden sind die
elektrophysiologischen Potentiale verzögert und phasenverschoben, die
Synchronisation geht verloren. Cortikale sprachevozierte Potentiale sind
verzögert, zeigen jedoch überhöhte Amplituden (Überkompensation).
Humes LE et al., 2012, J Am Acad Audiol; Presacco A et al., 2015, Ear & Hearing;
Bildelman GM et al., 2014, Neurobiol Aging
Risikofaktoren
Das größte Risiko für eine Altersschwerhörigkeit ist es,
ALT zu WERDEN!
Weitere Risikofaktoren:
• Kumulativer Langzeiteffekt von Lärmbelastung in der Umgebung (Arbeit,
privat)
• Nebenwirkungen ototoxischer Medikamente (z.B. Antibiotika,
Chemotherapeutika, ASS, Diuretika, und deren Kombination)
• Vorhandensein von Herz-Kreislauferkrankungen
• Kardiovaskuläre Risikofaktoren:
Rauchen, Adipositas, schlecht kontrollierter Diabetes
Hereditäre Faktoren spielen eine untergeordnete Rolle. Sie erklären maximal
20% der Altersschwerhörigkeit.
Fransen et al., 2015; Momi et al., 2015
Klinik (1)
• Die Wahrnehmungsschwellen beider Ohren
sind betroffen.
• Beginn bei den hohen
Frequenzen.
• Beeinträchtigung des
Sprachverstehens.
(c) HNO Klinik Univ.klinikum Heidelberg
Typische Aussagen:
“Reden Sie bitte deutlicher.
Sie nuscheln so!”
“Sie müssen nicht schreien.
Ich bin nicht taub!”
“Es ist zu laut hier! Ich verstehe nichts.”
(c) istockphoto
Klinik (2)
Probleme beim (Sprach-) Verstehen und gesteigerte Höranstrengung,
Insbesondere…
• in Restaurants oder Vereinsräumen
• am Telefon
• bei allen Gesprächen mit
Hintergrundgeräuschen
• bei schnellen Sprechern
• bei Sprechern mit Dialekt
• In halligen Räume (z.B. Bahnhofshalle)
(c) MED-EL
Für die Betroffenen klingt die Sprache undeutlich und gemurmelt.
Hochfrequente Konsonanten sind besonders schwierig zu unterscheiden.
Männerstimmen sind einfacher zu verstehen als Frauenstimmen.
Manche Lautstärken werden als laut und unangenehm empfunden.
Häufig ist die Altersschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Tinnitus) assoziiert.
Folgen (1)
Kognitiv und Psychosozial:
• Eingeschränkte verbale Kommunikation 1
• Soziale Isolation, Vereinsamung 2
• Schnellerer geistiger Abbau 3
• Depressionen 4
• Höheres Demenzrisiko 5
• Frustration, Aggression, geringes Selbstbewusstsein
• Belastung von Familie und Pflegepersonal 6
Körperlich:
• Höhere Sturzgefahr durch schlechtere Umweltwahrnehmung bei
gleichzeitig höherer kognitiver Belastung durch den Hörverlust: weniger
kognitive Ressourcen für das Halten des Gleichgewichts 7
• Daher auch mehr Hospitalisierungen
1 Blainbridge KE, 2014; 2 Mick P et al, 2014; Li CM et al, 2014; 3 Lin FR et al, 2011; 4 Mick P et al, 2014; Li CM et al, 2014;
5 Gurgel RK et al, 2014; Lin FR et al, 2011; 6 Kamil & Lin, 2015; 7 Lin FR et al, 2012; Kamil RJ et al, 2016
Folgen (2)
Schon ein leichter Hörverlust kann zu einem schlechteren
Erinnerungsvermögen (Kurzzeitgedächtnis) führen. Wenn das Hören
anstrengender wird, stehen weniger kognitive Ressourcen für die
Merkfähigkeit zur Verfügung.1
Eine Verbesserung der Hörbedingungen kann daher das
Kurzzeitgedächtnis verbessern.2
 Über Hörhilfen die Hörbedingungen verbessern und
Hirnleistung für andere Aufgaben freisetzen !
1 Mishra S et al., 2014
2 Souza P et al, 2015
Hörgeräte (1)
Standardversorgung ist die beidohrige Hörgeräteversorgung.
(§21 Hilfsmittel-Richtlinie, Gemeinsamer Bundesausschuss, vom 29.10.2014)
Mindestanforderungen an den Hörverlust:
Hörverlust im besser hörenden Ohr im Tonaudiogramm mindestens 30 dB
in einer der Prüffrequenzen zwischen 500 und 4000 Hz UND im
Sprachaudiogramm mit Kopfhörer eine Verstehensquote von nicht mehr als
80% bei 65 dB SPL.
(c) HNO-Klinik Univ.klinikum Heidelberg
Hörgeräte (2)
Ausführungsvarianten:
• Im Ohr (IdO) - Bauartbedingt nur bis zu mittleren Hörverlusten
• Hinter dem Ohr (HdO) - mit offenem oder geschlossenem Ohrpassstück
(offene bzw. geschlossene Versorgung)
Bei zunehmendem Hörverlust ist eine offene Versorgung nicht mehr möglich,
da es zur Rückkopplung kommt. Nachteil der Versorgung mit einem
geschlossenen Ohrpassstück ist das oft störende Okklusionsgefühl.
(c) Sivantos
Der Weg zum Hörgerät
Klinische Untersuchung und Hörprüfung beim HNO-FA
Hörgeräteverordnung vom HNO-FA
Beratung und Ohrabformung beim Hörgeräteakustiker
Anpassung durch den Hörgeräteakustiker:
2-3 verschiedene Geräte, davon 1 Gerät zuzahlungsfrei,
4-6 Anpassungssitzungen/Gerät: insgesamt ca. 6 Wochen
Hörgeräteüberprüfung durch den HNO-FA:
§21 HilfsM-RL: Hörverbesserung mit Gerät:
20% mehr Sprachverstehen im Freifeld bei gleichem Pegel
(möglichst bei 65 dB) bzw. Minderung der Sprachverständlichkeitsschwelle um mehr als 2 dB Signal/Noise im sprachsimulierenden
Störschall
Hörgeräte (3)
Pro:
• Sehr gut für leichten bis mittleren Hörverlust
• noninvasiv
• technologische Neuerungen können einfach übernommen werden
• sollten immer getestet werden, bevor ein Hörimplantat verwendet wird
Kontra:
• Okklusion des Gehörgangs: feuchte Kammer und rezidivierende
Entzündungen
• Rückkopplungen
• Sichtbar und damit stigmatisierend
• Schwieriges Handling insbesondere für Ältere bei sehr kleinen Hörgeräten
Hörgeräte (4)
Aktuelle Hörgeräte sind eine sehr gute Lösung.
ABER:
Die Schwierigkeit ist nicht die Zugänglichkeit der Technologie, sondern die
betroffenen Personen selber, die diese Hörgeräte benötigen:
Nur 10-20% der schwerhörigen älteren Personen, die von einer
Hörgeräteversorgung profitieren würden, nehmen diese auch dauerhaft an.1
Im Schnitt dauert es bei älteren Personen von der Wahrnehmung der
Hörminderung bis zur tatsächlichen Hörgeräteversorgung 10 Jahre. 2
Auch mit Hörgeräten bleiben die Betroffenen altersschwerhörig, d.h. ältere
Personen mit den im Vorfeld genannten physiologischen Veränderungen
beschreiben häufig ein „lauter, aber nicht klarer“. 2
1 Davis A et al., 2007 Ng und Loke, 2015; 2 Davis A et al., 2007;
Knochenleitungshörgeräte
Nach § 29 der Hilfsmittel-Richtlinie eine Alternative zur Standardversorgung
Funktionsmechanismus: Hören über Knochenleitung
Direkte Schwingungsübertragung auf das Innenohr unter Umgehung des
Mittelohres:
Mikrofon  Signalprozessor  Stimulationsgeber: Vibration Schädelknochen 
Innenohr
(c) Bruckhoff
Knochenleitungshörgeräte
Versorgungsvarianten:
1.) Konventionelle Knochenleitungshörgeräte:
Hörgerät wird mit Kopfhautkontakt getragen, z.B. über Stirnband, Brillenbügel.
Vorteil: nicht invasiv
Nachteil: Dämpfung der Vibration durch Haut und Subkutis um
10-20 dB, Irritationen/Druckschäden der Haut, Kopfschmerzen
2.) Implantierte Knochenleitungshörgeräte:
Knochenleitungsimplantate
- Perkutan (Haut perforierend)
- Transkutan (Haut intakt)
Perkutan versus transkutan
© Oticon Medical
© MED-EL
Direkte mechanische Kopplung von
Mikrofon und Signalprozessor auf
den Stimulationsgeber (z.B.
Schnappkupplung):
Magnetische Kopplung von Mikrofon
und Signalprozessor an den unter der
intakten Haut in der Schädelkalotte
eingebetteten Stimulationsgeber
Stimulationsgeber durch die Haut im
Knochen verankert („Schraube“)
Passiv: externer Magnet bewegt den internen
Magneten über ein elektrisches Feld
(Anbieter: Cochlear™, Sophono® by Medtronic)
Anbieter:
BAHA-Systeme, Cochlear™,
Ponto-Systeme, Oticon Medical
Aktiv: externes Signal an den Receiver,
Signalweitergabe an den implantierten Transducer
(Anbieter: MED-EL, Bonebridge®)
Knochenleitungsimplantate
Indikationen:
• Schallleitungs- oder kombinierte Schwerhörigkeiten, bei denen die
Schallleitung nicht chirurgisch beseitigt werden kann.
• Hochgradige einseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit bis hin zur
einseitigen Taubheit (im Sinne einer CROS-Stimulation)
Insbesondere für ältere Personen, bei denen der Schall zusätzlich zur
Altersschwerhörigkeit nicht den natürlichen Weg zum Innenohr nehmen
kann:
• Rezidivierende Gehörgangsentzündungen bei Hörgeräteversorgung
• Bleibende Schallleitungsschwerhörigkeit nach Mittelohroperationen
• Bei Fehlbildungen von Gehörgang und Mittelohr
Audiologische Kriterien
Perkutane Knochenleitungsimplantate:
Je nach Hersteller und gewähltem Implantat sollte der Hörverlust bei reiner
Altersschwerhörigkeit (d.h. einer reinen Innenohrschwerhörigkeit) nicht
mehr als 30-65 dB betragen. Bei kombinierten Schwerhörigkeiten, d.h.
zusätzlicher Schallleitungskomponente, gilt dies für die
Innenohrkomponente des Hörverlusts.
Transkutane Knochenleitungsimplantate:
Je nach Hersteller und gewähltem Implantat sollte der Innenohranteil der
Schwerhörigkeit nicht mehr als 35-55 dB betragen.
Bei der Versorgung des Patienten sollte immer die mögliche Progredienz
der Schwerhörigkeit einkalkuliert werden:
Wichtig zur Abschätzung derselben sind das aktuelle Patientenalter und
der bisherige Verlauf der Schwerhörigkeit. Letzterer sollte stabil sein.
Knochenleitungsimplantate
Vorteile:
• Insbesondere bei perkutanen Systemen ist
die Implantation in Lokalanästhesie
möglich
• Bei transkutanen Systemen: Intakte Haut
ohne lokales Infektionsrisiko
• Einfache Handhabung (Fernbedienung)
• Bessere Kommunikation
• Keine Rückkopplung im Gehörgang
• Keine Okklusion des Gehörgangs
(c) MED-EL
Aktive Mittelohrimplantate
Indikation:
• Reine Innenohrschwerhörigkeiten (nicht mehr mit Hörgeräten versorgbare
Altersschwerhörigkeit)
• kombinierte Innenohr-Mittelohrschwerhörigkeiten:
Insbesondere für ältere Personen, bei denen der Schall zusätzlich zur
Altersschwerhörigkeit nicht den natürlichen Weg zum Innenohr nehmen kann:
• Rezidivierende Gehörgangsentzündungen bei Hörgeräteversorgung
• Bleibende Schallleitungsschwerhörigkeit nach Mittelohroperationen
Kontraindikationen
Absolut:
• Hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeiten
• Schwere psychiatrische oder psychosomatische Erkrankungen
• Schneller Fortschritt der Hörminderung mit Überschreiten der audiologischen
Kriterien
Relativ:
• Schwere Allgemeinerkrankungen mit erhöhter Gefahr für Wundbettinfektionen
oder Narkosekomplikationen
Aktive Mittelohrimplantate
Funktionsmechanismus:
Verstärkung der Schwingung der Gehörknöchelchen
Mikrofon -> Signalprozessor-> Stimulationsgeber: Wandler (piezoelektrisch
oder elektromagnetisch) -> (verstärkte) Vibration -> Innenohr
Das Schallsignal wird als direkte mechanische Vibration an die sensorischen
Zellen des Innenohres gebracht, und nicht als verstärkte Luftkompressionswelle (wie beim klassischen Hörgerät).
Ankopplungsmöglichkeiten im Mittelohr:
- an den langen oder kurzen Ambossfortsatz (reine
Innenohrschwerhörigkeit),
- an Steigbügel oder Rundes Fenster
(kombinierte Schwerhörigkeiten)
Mikrofon & Signalprozessor
Stimulationsgeber, hier am
langen Ambossfortsatz:
Vibration
(c) MED-EL
Aktive Mittelohrimplantate
Vorteile:
• Wie knochenverankerte Hörgeräte:
keine Gehörgangsokklusion, weniger Rückkopplungsneigung
• Im Vergleich zu den knochenverankerten Hörgeräten - wie auch
konventionellen Hörgeräten - ist die Versorgung höhergradiger
Schwerhörigkeiten möglich. Je nach Herstellerangaben (Cochlear™,
Envoy®Medical, MED-EL) und Implantat sind Innenohrschwerhörigkeiten
bzw. kombinierte Schwerhörigkeiten mit einem Innenohranteil von
maximal 65 (bis zu 85) dB versorgbar. Der Übergang zur CochleaImplantat-Indikation ist fließend.
• Die direktere Schallübertragung bietet im Vergleich zum konventionellen
Hörgerät audiologische Vorteile: Die Patienten beschreiben in multiplen
Fragebogen-basierten Studien einen klareren und natürlicheren
Sprachklang als mit dem konventionellen Hörgerät. Auch wenn sich dieser
von Patienten subjektiv empfundene Vorteil in Sprachaudiometriebasierten Studien bisher nicht so deutlich zeigte. 1
1 Übersicht in: Braun K et al., 2015
Aktive Mittelohrimplantate
Nachteile:
•
für die Implantation ist eine Operation in Narkose erforderlich
•
in der Regel keine MRT-Tauglichkeit, Ausnahme: Die Vibrant
Soundbridge (MED-EL) ist für MRT bis zu einer Feldstärke bis 1,5
Tesla zugelassen.
•
höhere Start-up Kosten, die sich im Verlauf relativieren
(Lebensdauer Implantat ca. 20 Jahre).
•
Implantatversagen erfordert chirurgische Revision:
Revisionsraten am niedrigsten bei der Vibrant Soundbridge
(MED-EL): ca.7-15% bei einem Nachbeobachtungszeitraum von
bis zu 15 Jahren. 1
1 Zwartenkot JW et al., 2016; Schraven et al., 2016
Cochlea-Implantate
Sendespule
Funktionsmechanismus:
Implantat mit
Empfängerspule
Hörnerv
Sprachprozessor
Mikrofon
Elektrodenarray
© MED-EL
Direkte elektrische Reizung der
Hörnervenfasern unter Umgehung
von Mittel- und Innenohr.
Mikrofon -> Sprachprozessor->
Empfängerspule an der Schädelkalotte -> Elektrodenarray im
Innenohr (Cochlea) -> direkte
elektrische Stimulation der
Hörnervenfasern und
Nervenzellkörper
Das Schallsignal wird in ein elektrisches Signal umkodiert. Dieses reizt den
Hörnerven direkt. Funktionsfähige Haarsinneszellen sind nicht erforderlich.
D.h. jedoch, dass das Hören mit Cochlea-Implantat anders ist und im Rahmen
einer postoperativen Rehabilitation neu gelernt werden muss.
Cochlea-Implantate
Indikationen:
• Beidseitige Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit nach dem
Spracherwerb (postlingual), d.h. auch fortgeschrittene Altersschwerhörigkeit.
• Schwerhörigkeiten mit Hochtonsteilabfall und Tieftonresthörvermögen
können mittels „Elektro-Akustischer Stimulation, EAS“, d.h. Hörgerät und
hörerhaltender Cochlea-Implantation, versorgt werden.
• Es gibt nach oben keine Altersgrenze für die Cochlea-Implantation.
Das biologische Alter ist entscheidender als das chronologische Alter.
• Einseitige Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit,
insbesondere bei begleitendem Tinnitus.
Weitere generelle Indikationen:
• Prälingual ertaubte Kinder (innerhalb der sensiblen Phase der zentralen
Hörbahnreifung, möglichst vor dem 2. Lebensjahr).
Kontraindikationen (KI):
•
•
•
•
Fehlender Hörnerv (absolute KI)
veränderter Hörnerv (relative KI, z.B. Akustikusneurinom)
Fehlende oder knöchern obliterierte Cochlea (absolute KI)
Fehlende Rehabilitationsmöglichkeiten bzw. -fähigkeiten von Seiten des Patienten
(relative KI)
• Schwere Allgemeinerkrankungen mit Narkoseunfähigkeit (relative KI)
Implantationsvoraussetzungen /
Präoperative Diagnostik (1)
Das Sprachverstehen mit konventionellem Hörgerät wird im freien Schallfeld
mittels Freiburger Einsilber Sprachtest überprüft. Wird mit bestmöglicher
Hörgeräteversorgung bei 65 dB SPL ein unzureichendes Sprachverstehen
erreicht (i.d.R. weniger als 40-50%), ist das Cochlea-Implantat indiziert.
Das Vorhandensein eines intakten Hörgleichgewichtsnerven zur Signalaufnahme und Signaltransduktion muss MRT-morphologisch nachgewiesen
werden.
Der Nachweis der Stimulierbarkeit des Hörnerven durch Elektrocochleographie
ist wünschenswert, aber nicht zwingend erforderlich.
Im Felsenbeindünnschicht-CT wird die Morphologie des aufnehmenden
Innenohres beurteilt:
Vor allem Verknöcherungen, aber auch bindegewebige Obliterationen des
Innenohres, die häufig nach Meningitis auftreten, können die Insertion der
flexiblen Implantat-Elektroden chirurgisch unmöglich machen. Bei Miss- bzw.
Fehlbildungen des Innenohres oder des Warzenfortsatzes ist jedoch zumeist die
Cochlea-Implantation möglich.
Präoperative Diagnostik (2)
Klinische und audiologische HNO-ärztliche Diagnostik:
• Ohrmikroskopie
• Subjektive und objektive Hördiagnostik (Tonaudiometrie, Sprachaudiometrie,
otoakustische Emissionen zum Nachweis des Haarzellausfalls,
Hirnstammaudiometrie und Cortikale akustisch evozierte Potentiale)
• Prüfung der Gleichgewichtsfunktion im Innenohr (kalorisch)
• Medizinische Untersuchungen (Allgemeinzustand, OP-Tauglichkeit)
• Pädagogisch-psychologische Mitbeurteilung der Erwartungshaltung des
Patienten und seiner Motivation/Fähigkeit zur Teilnahme an der
Rehabilitation.
• Überprüfung und ggf. Vervollständigung des Impfstatus für Haemophilus
influenza Typ B, Pneumokokken und Meningokokken (Meningitisprophylaxe).
• Eingehende persönliche Beratung und Aufklärung bzgl. der
Implantatsysteme, Operation, Rehabilitation und Erfolgsaussichten.
AWMF Leitline 017-071, S2k, Dt. Gesell. für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie
Operation
Nach einer Mastoidektomie, Eröffnen der Mittelohrhöhle von dorsal, und nach
Identifikation des runden Fensters Insertion der Elektrode in die Cochlea.
Intraoperative Überprüfung der Elektrodenfunktionalität über ECAPS des
Hörnerven (electrically induced compound action potentials) und
Stapediusreflexe.
Lagekontrolle (i.d.R. postoperativ) mittels CT, DVT oder konventionellem
Röntgen.
In den ersten postoperativen Tagen kann Schwindel auftreten.
Die stationäre Aufenthaltsdauer liegt bei 3-7 Tagen.
Ältere Patienten (>65 J.) haben eine vergleichbare OP- und Narkosedauer
(1,5 h) sowie Krankenhausverweildauer wie jüngere Patienten.1
Die erste Aktivierung und Einstellung des Sprachprozessors findet meist ab
der 2. Woche postoperativ statt.
1 Labadie RF et al., 2000
Postoperative Therapie (Rehabilitation)
Die postoperative Rehabilitation ist essentieller Bestandteil jeder
CI-Versorgung. Ihre Qualität hat einen sehr hohen Stellenwert für den
Behandlungserfolg. 1 Sie ist multidisziplinär und kann in den meisten Fällen
ambulant durchgeführt werden.
• Die erste Aktivierung und Ersteinstellung des Sprachprozessors findet
meist ab der 2. Woche postoperativ statt.
• Dann folgen im 1. Monat ca. 4-8 Nachsorgetermine, jeweils mit Anpassung
der Sprachprozessoreinstellungen, Hör-Sprach-Training, technischen und
audiometrischen Kontrollen, sowie bei Bedarf psychologischer Betreuung.
• Im 2.-6. Monat folgen 1-2 Sitzungen pro Monat, dann weitere 2-6 Termine
bis zum 1. Jahr nach Implantation.
• Im 2. Jahr folgen 4 Termine im 3-Monatsabstand, danach, so lange wie das
Implantat getragen wird, jährliche Kontrolltermine.
1 Zeh und Baumann, 2015
Hören mit Cochlea-Implantat
• Hören muss mit einem Cochlea-Implantat (CI) neu gelernt werden:
Elektrisches Hören klingt zunächst ganz anders als akustisches Hören.
• Behandlungsziel der CI-Versorgung und Rehabilitation ist ein optimales
Sprachverstehen und die daraus resultierende Kommunikationsfähigkeit der
Patienten.
• Die Motivation zum Üben mit dem CI generell, und initial insbesondere mit
dem Audiologen in den Anpassungssitzungen, beeinflusst den
Behandlungserfolg ebenso wie der Zugang zu gesprochener Sprache und
das soziale Umfeld.
• Ältere CI-Träger (>65 bzw. >70 Jahre) zeigen eine deutliche Verbesserung
des Sprachverstehens in Ruhe und in der Mehrzahl der Studien auch im
Störgeräusch. 1
• Wie bei jüngeren CI-Trägern ist auch bei älteren CI-Trägern das
postoperative Sprachverstehen um so besser, je kürzer die
Schwerhörigkeitsdauer und je besser das präoperative Sprachverstehen. 2
1 u.a. Lenarz et al., 2012; Mahmoud et al., 2014; Hast et al., 2015; Jolink et al., 2016
2 u.a. Friedland et al., 2010; Leung et al., 2005
Weitere Vorteile der CI-Versorgung
Ältere CI-Träger profitieren wie jüngere Patienten erheblich von der CIVersorgung:
• Ältere CI-Träger (>65 Jahre) berichten über eine deutliche Verbesserung
ihrer Lebensqualität nach der Implantation.1
• Ältere CI-Träger berichten weniger depressive Symptome 1 Jahr nach
Cochlea-Implantation als vor der Implantation.2
• Ältere CI-Träger (>65 Jahre) zeigten 1 Jahr nach Implantation verbesserte
kognitive Leistungen (wie Erinnerungsvermögen, Aufmerksamkeit,
Orientierung, exekutive Fähigkeiten und mentale Flexibilität).3
• Diese bei älteren CI-Trägern (>65 Jahre) beobachteten Effekte sind über
mehrere Jahre stabil. Sie reichen über das Ende des zumeist
2-jährigen Rehabilitationsprogramms hinaus.
1 u.a Knopke et al, 2016; Mosnier et al., 2015; Orabi et al., 2006; 2 Mosnier et al., 2015; Choi et al., 2016; 3 Mosnier et al., 2015
Zusammenfassung
• Die Altersschwerhörigkeit ist eine Innenohrschwerhörigkeit. Der Verlust der
äußeren Haarsinneszellen als endocochleärer Verstärker, der sensorischen
inneren Haarsinneszellen und der afferenten Nervenfasern tragen einzeln
und in ihrer Summe zur Altersschwerhörigkeit bei.
• Auch in der zentralen Hörbahn kommt es zu degenerativen Veränderungen.
• Therapie der Wahl der Altersschwerhörigkeit ist die Hörgeräte-Versorgung
(im Ohr, hinter dem Ohr mit offener oder geschlossener Versorgung)
• Wenn die Altersschwerhörigkeit zu weit fortgeschritten ist und die
Hörgeräteversorgung keine Verbesserung des Sprachverstehens mehr
erreicht, kann das Sprachverstehen und die Lebensqualität durch operativ
implantierbare Hörsysteme bis zum Cochlea-Implantat verbessert werden.
Es gibt keine Altersgrenze für die Versorgung mit implantierbaren
Systemen.
Interessenkonflikte
• Dr. S. Euteneuer:
Keine Interessenskonflikte
• PD Dr. P. Federspil:
Forschungsförderung durch Oticon Medical
• Prof. Dr. M. Praetorius:
Reisekostenerstattung von MED-EL
• Prof. Dr. P.K. Plinkert:
Kongressunterstützung durch MED-EL, Cochlear und Advanced Bionics
Danksagung
Herrn Prof. Dr. Sebastian Hoth sei hiermit für seine zahlreichen und wertvollen
Anregungen herzlich gedankt.
Referenzen
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Braun K et al., 2015, HNO, 63: 402-418
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