Skript zur Vorlesung

Werbung
Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2016/2017 | A. Franzke & M. Koch
Vorlesung 10
♦
Grünbart-Effekt. Die „Grünbart-Idee“ wurde zunächst hypothetisch (Hamilton 1964) im
Zusammenhang mit genozentrischen Sichtweisen formuliert. Der Begriff selbst geht auf Dawkins
(1976) zurück. Ein Grünbart-Allel sollte seinen Träger mit einem auffälligen Phänotyp, eben einem
grünen Bart, ausstatten und andere Träger des Allels sollten sich dann verwandtschaftsunabhängig (!)
dem Träger gegenüber altruistisch verhalten. 1998 wurde so etwas tatsächlich bei der Roten
Feuerameise (Solenopsis invicta, S-Amerika, neobiotisch in S-USA, Australien, Fernost) gefunden.
Das Gp-9-Gen kommt mit den Allelen b und B vor. Königinnen mit Genotyp bb sterben spontan und
Königinnen mit Genotyp BB werden von Arbeiterinnen getötet. Alle überlebenden Königinnen und alle
Arbeiterinnen sind heterozygot Bb. Das Allel b ist also ein grüner Bart, hier in Form eines spezifischen
Geruchs.
♦
Genozentrismus − Kritikpunkte. Die genozentrische Sichtweise ist äußerst reduktionistisch, da sie
gleichsam jedes Allel als Einzelkämpfer betrachtet. Hier setzen Kritikpunkte an einem „strengen“
Genozentrismus an. Die Beziehung von Allelen und Phänotyp sind oft „nicht so einfach“:
Phänotypische Merkmale sind meist durch mehrere, bzw. viele Allele beeinflusst (Polygenie). Ein Allel
kann phänotypische Effekte auf verschiedene Merkmale haben (Pleiotropie): In einem berühmten
Langzeitexperiment wurden in Novosibirsk Silberfüchse − eine domestifizierte Form einer
melanistischen Morphe des Rotfuchses (Vulpes vulpes) − auf Zahmheit hin gezüchtet. Das wohl noch
immer andauernde Experiment wurde 1959 vom russischen Genetiker Dmitri Konstantinowitsch
Beljajew (1917−1985) begonnen. Diese Selektion führte auch zu ganz anderen
Merkmalsveränderungen (Schlappohren, gekräuselte Schwänze), insbesondere auch zu einem
scheckigen Fell, das bekanntermaßen auch bei vielen Haus- und Labortieren auftritt. Haustiere mit
Schlappohren wurden übrigens schon im Artenbuch erwähnt: “not a single domestic animal can be
named which has not, in some country, drooping ears.“. Weiterhin kann es epistatische
Wechselwirkung geben: Wechselwirkungen zwischen zwei oder mehr Loci, die gemeinschaftliche
phänotypische Wirkung weicht von der Summe der Einzeleffekte ab. Ursprünglich war nur eine
Unterdrückung gemeint. Die Mutation, die z.B. zum Albinismus führt, unterdrückt die Ausprägung des
Haarfarbe-Gens. Auch Genkopplung („genetic linkage“) kann hier eine Rolle spielen: Loci mit
physischer Nähe auf einem Chromosom werden seltener durch chromosomales Crossing-over
getrennt und damit häufiger gekoppelt vererbt, als weit voneinander entfernt liegende Loci, die mit
höherer Wahrscheinlichkeit in der Meiose durch Crossing-over auf verschiedene Chromatiden verteilt
werden. Die Selektion an einem Locus führt so möglicherweise zu „indirekter Selektion“ am
Nachbarlocus. So ganz „atomistisch“ wie Kritiker Dawkins Sichtweisen darstellten, waren sie aber
sicher auch wieder nicht. Für Dawkins sind die egoistische Gene (Allele) zusammen mit anderen
(egoistischen) Genen auch Mitglieder einer Rudermannschaft, die auch kooperieren müssen, um ihr
gemeinsames Ziel − „im Rennen zu bleiben“ − zu erreichen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang
wohl immer das Wort „Sichtweise“. In der Einführung zur 30-jährigen Jubiläumsausgabe des
Egoistischen Gens schreibt der, inzwischen etwas gesetztere, Dawkins hierzu: „Es gibt zweierlei
Einheiten der natürlichen Selektion, die friedlich nebeneinander existieren. Das Gen ist die Einheit im
Sinne des Replikators. Der Organismus ist eine Einheit im Sinne des Vehikels. Beide sind wichtig und
gleich hoch zu bewerten. Sie repräsentieren zwei vollkommen unterschiedliche Arten von Einheiten
und sind uns so lange verwirrend, wie wir diese Unterschiedlichkeit nicht erkannt haben.“
♦
Multilevel-Selektion. Die Theorie der Multilevel-Selektion geht davon aus, dass die natürliche
Selektion grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen angreifen kann, inklusive auch auf der Ebene von
Gruppen. Diese (pluralistische) Theorie wurde Ende der 1990er Jahre in einem Essay von E. Sober
(Philosoph) und dem Evolutionsbiologen D.S. (nicht E.O.!) Wilson vorgestellt: Sober & Wilson 1998.
Unto Others: The Evolution and Psychology of Unselfish Behavior. Die Autoren argumentieren, dass
insbesondere im Zusammenhang mit der Evolution von altruistischen Verhaltensweisen prinzipiell
auch eine (nicht-naive) Gruppenselektion (s.o.) eine Rolle spielen kann und auch bei der Evolution
des Menschen eine größere Bedeutung hatte. Die „Multilevel selection theory“ (MLS) geht damit
gegen die Vorstellungen eines gleichsam „orthodoxen” Genozentrismus an: „Unlike the monolithic
theory of the selfish gene, which claims that all traits in all lineages evolved for the good of the genes,
the theory we advocate, multilevel selection theory, is pluralistic. Different traits evolved because of
different combinations.”.
♦
Intragenomischer Konflikt – Zytoplasma versus Kern. Plastiden und Mitochondrien kann man
auch als intrazelluläre „Parasiten“ mit vertikaler Ausbreitung − fast immer über Eizellen − auffassen.
Für die Allele dieser „Parasiten“ stellt eine Vererbung in ein Männchen aus genozentrischer Sicht
1
Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2016/2017 | A. Franzke & M. Koch
somit eigentlich eine Sackgasse dar, da sie von dort nicht in eine nächste Generation gelangen
können. Bei einigen Blütenpflanzen kommen mitochondriale „male killer genes“ (S-Allele) vor, die zu
männlich sterilen Blüten führen, die sich durch diese „Männervermeidung“ egoistisch verhalten
(cytoplasmatisch-kerngenetische Pollensterilität, „cytoplasmatic male sterility“, CMS).
♦
Intragenomischer Konflikt − Meiotischer Drive. Durch einen meiotischen Drive („segregation
distortion“) können homologe Chromosomen bzw. Allele − im Gegensatz zur „normal“ ablaufenden
Meiose − in den Gameten überrepräsentiert sein. Es gibt verschiedene Mechanismen, die einen
meiotischen Drive bewirken (meist chromosomaler Drive bei der Eizellbildung und ein genischer Drive
bei der Spermienbildung). Der genische Drive beruht auf einer Entwicklungsstörung derjenigen
Gameten, welche das betreffende Gen nicht besitzen. Ein gut untersuchtes Beispiel ist das sd-System
(„segregation distorter“) in Drosophila: Das sd-Gen kommt in zwei Allelen vor („aggressiv“ und „nichtaggressiv“), die einen eng gekoppelten Rsp-Locus („responder“) kontrollieren, der die SpermienBildung steuert und ebenfalls zwei Allele hat („anfällig“ und „resistent“). Das aggressive distorter-Allel
produziert ein Protein, das an den anfälligen responder-Locus binden kann und somit verhindert, dass
sich ein Spermium mit solch einer „Vergiftung“ entwickeln kann. Bei den Homozygoten sd-„nicht
aggressiv“ passiert natürlich weiter nichts; ebenso bei den Homozygoten „resistent“. Bei den
Heterozygoten sd-„aggressiv“ und „nicht-aggressiv“ gelangt das agressive Allel aber in alle Spermien,
die überhaupt gebildet werden und sollte so in seiner Frequenz steigen. Solche Gene (Allele) werden
als ultraegoistisch oder auch als Renegaten (Abtrünnige) bezeichnet.
♦
Intragenomischer Konflikt − Geschlechtschromosomen. Die Gene, die bei Säugetieren auf dem
Y-Chromosom liegen, sind gleichsam in der väterlichen Linie gefangen. Wenn man auch hier von
egoistischen Genen ausgeht, könnte es hier eigentlich ein sogenanntes „Blaubart-Allel“ geben, das
dafür sorgt, dass der Träger (fast) alle seine Töchter tötet und an seine Söhne verfüttert. (Blaubart ist
eine frauenmordende Märchengestalt.) Aus neodarwinistischer Sicht würde der Allelträger so natürlich
die Hälfte seiner Fitness einbüßen, aus Sicht eines egoistischen Gens sollte sich solch ein Allel
allerdings stark in der Population durchsetzen, auch weil die Söhne ja (fast) keine Konkurrenz durch
Töchter (mehr) haben. (Bisher „zum Glück“ ein rein hypothetisches Modell: Smith & Price 1973.) Das
Verhältnis der Geschlechtschromosomen beträgt bei einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis
3X zu 1Y. Egoistische Gene sollten sich eigentlich also „ungern“ auf dem unterzähligen Y-Chromosom
aufhalten. In der Tat verließen und verlassen Gene das Y-Chromosom, dessen vornehmste Aufgabe
es ist, das SRY-Gen („sex determining region Y gene“) zu tragen. Beim Menschen trägt das YChromosom insgesamt etwa nur etwa 20 Gene. Die Hypothese ist, dass das Y-Chromosom weiter
schrumpft und SRY schließlich ein neues Autosom besetzt und das Ganze von vorne losgeht.
Verhältnisse beim Medakafisch (Oryzias latipes, Japan) stützen diese Hypothese: Hier sind X- und YChromosom beide gleich groß und das Y-Chromosom wohl also „brandneu“.
♦
Egoistische DNA. Der Begriff „egoistische DNA“ darf nicht mit dem Begriff der „egoistischen Gene“
verwechselt werden. Das Konzept der egoistischen DNA beschreibt bzw. „erklärt“ den Befund, dass
es DNA-Sequenzen gibt, die ihre Kopienzahl im Genom steigern und offensichtlich keinen Einfluss auf
Fitness haben. Orgel & Crick 1980: Selfish DNA: the ultimate parasite. Nature 284, 604–607 („The
spread of selfish DNA sequences within the genome can be compared to the spread of a not-tooharmful parasite within its host”). Diese Idee bezog sich vor allem auf funktionslose nicht-kodierende
DNA, wobei die Einschätzung, dass wirklich absolut keine Funktion vorliegt natürlich erst mal
problematisch ist. Transposons (mit replikativer Transposition) und B-Chromosomen (überzählige
Chromosomen) gelten als egoistische DNA. Dahinterstehende molekulare Mechanismen auf
Genomebene werden zusammenfassend als „molecular drive“ bezeichnet. Dover 1982. Molecular
drive: A cohesive mode of species evolution. Nature 299, 111–117. Die großen Mengen repetitiver
DNA in Genomen (z.B. Mini- bzw. Mikrosatelliten) sind aber wohl vielleicht doch nicht so funktionslos,
wie früher z.T. vermutet wurde. Grechko 2011. Repeated DNA sequences as an engine of biological
diversification. Molecular Biology 45, 704−727: “There is a growing evidence that the usage of
methaphoric designations of protein-noncoding sequences as "egoistic, junk or parasitic" are
senseless and useless.” Repetitive Elemente haben unter anderem wohl eine Bedeutung bei
epigenetischen Regulationen (s.u.).
♦
Wie Darwinisten denken – Stern von Madagaskar. Weil der Stern von Madagaskar
(Angraecum sesquipedale, Orchidaceae, Epi- bzw. Lithophyt, O-Küste Madagaskar, „sesquipedale“
bedeutet „anderthalb Fuß“) gerade im Botanischen Garten blüht, wurde die Pflanze mitgebracht und
dann auch dieser „Klassiker“ der (Ko)Evolutionsbiologie vorgestellt: Darwin stellt 1862 in einem
Orchideenbuch die These auf, dass Angraecum sesquipedale mit seinem bis zu 40 cm langen, im
unteren Teil mit Nektar gefülltem Blütensporn durch einen – bis dahin unbekannten – Schmetterling
2
Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2016/2017 | A. Franzke & M. Koch
mit entsprechend langem Rüssel bestäubt wird. Er wird daraufhin „natürlich“ von zeitgenössischen
Entomologen verspottet. 1903 wurde dann tatsächlich ein solcher Schwärmer Xanthopan morganii
praedicta – „praedictus“ bedeutet „der Vorausgesagte“ – beschrieben. Allerdings wurde erst 1997
auch ein Blütenbesuch dieses Schwärmers durch Photos dokumentiert. Durch den anthropogen
bedingten Rückgang des Wirtsbaums der Xanthopan-Raupe in den letzten Jahrzehnten ist der Stern
von Madagaskar stark bedroht. Messungen an einem Standort ergaben, dass hier im Jahr 1934 aus
75% der Blüten, Früchte hervorgingen, aktuell nur noch aus etwa 1%.
♦
Ana- & Kladogenese. Anagenese (Artumwandlung) ist die Evolution eines Merkmals innerhalb einer
Abstammungslinie, z.B. einer Art, bzw. die Entwicklung eines Taxons ohne Aufspaltung.
Kladogenese ist die Verzweigung von Abstammungslinien. Diese Begriffe wurden 1947 durch den
deutschen Zoologen Bernhard Rensch (1900−1990) geprägt; ein (weiterer) Architekt der
synthetischen Evolutionstheorie. (Rensch und andere frühere Autoren verwendeten den Begriff
Anagenese allerdings wertend im Sinne einer „Höherentwicklung“.) In einem Stammbaum stellt jeder
Knoten ein Artbildungsereignis dar, also die Aufspaltung einer Stammart in zwei Schwesterarten
(Arten, die unmittelbar auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen). Speziation (Artbildung) ist
also gleichsam die Brücke zwischen Mikro- und Makroevolution, die letztendlich zu taxonomischer
Vielfalt führt. Ein Taxon (griech. (An)ordnung/Ausrichtung; Pl.: Taxa) ist eine benannte Einheit,
welcher Individuen oder Arten zugeordnet werden. Oberhalb der Artebene spricht man von höheren
Taxa (Gattungen, Familien, etc.). Der Begriff „Taxon“ wurde übrigens 1926 durch den gebürtigen
Ostfriesen Adolf Meyer-Abich (1893−1971, Philosoph, Naturwissenschaftshistoriker) geprägt und
schließlich 1950 auf dem Botanischen Kongress in Stockholm für den Internationalen Code der
Botanischen Nomenklatur (ICBN) eingeführt. In einem weiteren Sinne wurde/wird in der
(deutschsprachigen) Botanik der Begriff „Sippe“ z.T. synonym für „Taxon“, zumeist für Einheiten
unterhalb der Artebene, verwendet. Im eigentlichen Sinne ist eine Sippe eine konkrete (reale)
Population, die − wenn ihr eine („virtuelle“) taxonomische Rangstufe zugewiesen wird − zum Taxon
wird: Taxon = Sippe + Rangstufe.
♦
On the Origin of Species. Das Artenbuch behandelt „nicht wirklich“ die „origin of species“ im Sinne
von Artentstehung (Speziation) bzw. Kladogenese, sondern vor allem den Mechanismus der
natürlichen Selektion, der zu Anagenese (Artumwandlung) führen kann. Häufig wurde/wird darüber
hinaus betont, dass das Artenbuch auch keine Artdefinition enthielte. Insbesondere für Ernst Mayr
(s.u.) hatte Darwin nicht wirklich verstanden, was Arten seien bzw. wie Speziation funktioniere und
Darwin wurde sogar gleichsam ein „Arten-Nihilismus“ unterstellt. Im Artenbuch gibt es aber (natürlich)
schon einige Passagen, in denen sich Darwin mit dem Artbegriff auseinandersetzt, die aber
naturgemäß nicht einfach in Einklang zu bringen sind: Einerseits „glaubte“ Darwin an die Existenz von
Arten, die man (generell) anhand von (morphologischen) Variationslücken voneinander abgrenzen
kann. Andererseits hatten Arten für Darwin aber keine besonderen ‘‘essences“ und waren für ihn nicht
„fundamentally’’ verschieden von Varietäten einer Art, zwischen denen oft eine kontinuierliche
Variation vorliegt. Hier zwei Zitate dazu: “the only distinction between species and wellmarked
varieties is, that the latter are known, or believed, to be connected at the present day by intermediate
forms, whereas species were formerly thus connected “ und „To sum up, I believe that species come
to be tolerably well-defined objects, and do not at any one period present an inextricable chaos of
varying and intermediate links …”. Diese wissenschaftshistorische Arbeit liefert Einzelheiten zu
Darwins Artkonzept und dessen Rezeption: Mallet 2010. Why was Darwin’s view of species rejected
by twentieth century biologists? Biology & Philosophy, 25: 497–527.
♦
Artbegriff. Der Begriff „Art“ hat folgende Bedeutungsebenen: Zunächst kann „Art“ (Spezies) erst mal,
rein technisch, eine Bezeichnung für eine (bestimmte) taxonomische Rangstufe sein (Kategorie). Mit
„Art“ kann auch eine reale Population gemeint sein, die diesen Rang zugesprochen bekommt (Taxon).
Davon zu unterscheiden ist der Artbegriff im Sinne einer Definition, was eine Art denn wohl sei
(Artkonzept). Definitionen sind grundsätzlich immer „nur“ Definitionen, zunächst also weder „falsch“
noch „richtig“. Konventionelle Definitionen können allerdings natürlich „falsch“ verwendet werden und
Definitionen können grundsätzlich mehr oder weniger nützlich bzw. angemessen sein. Artdefinitionen
im Sinne von Artkonzepten gibt es eine ganze Reihe. Diese Arbeit listet z.B. 22 Konzepte (mit
Synonymen): Mayden 1997. A hierarchy of species concepts: the denouement in the saga of the
species problem. In Species: the Units of Biodiversity. Chapman & Hall, 381−424. Nur für einen
Eindruck, die hier erwähnten „species concepts“ und ihre Abkürzungen: 1. Agamospecies (ASC), 2.
Biological (BSC) 3. Cohesion (CSC), 4. Cladistic (CISC), 5. Composite (CpSC), 6. Ecological (EcSC),
7. Evolutionary Significant Unit (ESU), 8. Evolutionary (ESC), 9. Genealogical Concordance (GCC),
10. Genetic (GSC), 11. Genotypic Cluster Definition (GCD), 12. Hennigian (HSC), 13. Internodal (ISC),
Morphological (MSC), 15. Non-dimensional (NDSC), 16. Phenetic (PhSC), 17. Phylogenetic (PSC),
3
Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2016/2017 | A. Franzke & M. Koch
18. Polythetic (PtSC), 19. Recognition (RSC), 20. Reproductive Competition (RCC), 21. Successional
(SSC), 22. Taxonomic (TSC).
♦
Artdefinitionen bzw. -konzepte. Ganz generell können Artkonzepte folgendes leisten: 1.)
Organismen klassifizierbar machen, 2.) diskreten Organismengruppen entsprechen, 3.) Bezug auf
Entstehungsmodus nehmen oder 4.) auf ihre evolutionäre Geschichte und/oder 5.) sind möglichst
umfassend (alle „Lebensformen“). Kein Artkonzept „bedient alles“ (s.u.), sondern verschiedene
Definitionen sind letztlich, je nach Kontext, mehr oder weniger nützlich.
♦
Morphologische & taxonomische Arten. Artkonzepte früher Taxonomen, wie z.B. Linné, für den
Arten ja (im Prinzip) „gottgegeben unveränderlich“ waren (s.o.), hatten ihre Wurzeln in Vorstellungen
Platons bzw. Aristoteles, die (reale) Individuen einer Art als Erscheinungsformen einer Idee („eidos“)
ansahen. Variationen wurden hier als Abweichungen vom Ideal betrachtet. Solche Artkonzepte
wurden von Ernst Mayr (s.u.) als typologisch bzw. essenzialistisch bezeichnet. Hierher gehören der
morphologische Artbegriff mit der Morphospezies (auch „classical species“) als kleinste Gruppe, die
konsistent verschieden und durch einfache Mittel unterscheidbar sind und die (wesensverwandte)
taxonomische Art, zu der diejenigen Individuen gehören, die von einem kompetenten Taxonomen
auf der Basis von morphologischen (oder anderen) Merkmalen dieser Art zugeordnet werden.
Generelle Vorteile solcher typologischer Konzepte: „Einfach“ anwendbar, können auch bei „asexuellen
Arten“ und Fossilien angewandt werden. Generelle Probleme: Arten bzw. Populationen evolvieren,
Objektivierbarkeit der verwendeten Merkmale, Unterscheidung kryptischer Arten (s.u.), Umgang mit
evtl. vorhandenen Polymorphismen, Sexualdimorphismen, unterschiedlichen Ontogeniestadien und
phänotypischer Plastizität.
♦
Phylogenetische Art. Das phylogenetische Artkonzept („phylogenetic species concept, PSC“) gibt
es in mindestens 3 Varianten, die in den 1980er und -90er Jahren von Systematikern formuliert
wurden und phylogenetische (stammesgeschichtliche) gemeinsame Abstammung aller Individuen
einer Art betonen. Gemeinsam ist den Varianten, dass es hier darum geht, die kleinste biologische
Einheit (die Art) zu finden, die diagnostizierbar und/oder insbesondere monophyletisch ist, also auf
einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeht. Cracraft (1983): „A species is the smallest diagnosable
cluster of individual organisms within which there is a parental pattern of ancestry and descent.“ Arten
werden hier letztlich durch in allen Populationen (fixierte) diagnostische Merkmale voneinander
abgegrenzt. Dazu werden phylogenetische Methoden, wie Stammbaumrekonstruktionen (s.u.)
angewendet und das phylogenetische Artkonzept ist somit ein praktischer Ansatz des sehr
allgemeinen evolutionären Artkonzepts, bei der eine Art eine Linie ist, die unabhängig von anderen
Linien evolviert. Vorteile: Spiegelt „wahre“ Phylogenie wider, Anwendbarkeit auch bei asexuellen Arten
und Fossilien. Probleme/Grenzen: Vorabdefinitionen der operationalen Einheiten (meist) mit
typologischen Artkonzepten, Monophylie ist (markerbedingt) nicht immer erkennbar, retikulate
(netzartige) Evolution durch Hybridartbildung (s.u.).
♦
Biologische Art. Das biologische Artkonzept („biological species concept, BSC“) wurde von Ernst
Mayr ausgearbeitet und unter diesem Namen stark propagiert und war bzw. ist sehr prägend für den
Artbegriff vieler Biologen und Laien. In jüngerer Zeit nimmt diese „Vormachtstellung“ allerdings wohl
eher ab, weil in der Folge eben auch eine Reihe von Alternativen formuliert wurden und dieses
Konzept auch deutliche Grenzen hat (s.u.). In seinem epochalen Buch „Systematics and the Origin of
Species” von 1942, das als eines der vier bedeutendsten Werke der modernen Synthese gilt, definiert
er (auf Seite 120) eine Art folgendermaßen: „Species are groups of actually or potentially interbreeding
natural populations, which are reproductively isolated from other such groups“. Dieses Konzept betont
also die Eigenschaft einer reproduktiven Isolation und nicht die Typologie bzw. Monophylie oder die
oder die Bildung einer ökologischen Nische (ökologisches Artkonzept). Später (1982), definierte Mayr
etwas beschreibender: „A species is a reproductive community of populations (reproductively isolated
from others) that occupies a specific niche in nature.“ Für Mayr stellte sein Konzept einen Durchbruch
der Evolutionsbiologie dar, da nun – im Gegensatz zu Darwins Ansichten (s.o.) – das wesentliche
Merkmal von Arten, nämlich die reproduktive Isolation erkannt sei und dass Arten somit auch reale (!)
biologische Einheiten darstellen und nicht, wie er Darwin unterstellte (s.o.), nur willkürlich durch
Menschen festgelegte Einheiten eines kontinuierlichen Diversifizierungsprozesses. Darwin behandelte
übrigens das Phänomen der reproduktiven Isolation in Form von Hybridsterilität auch schon im
Artenbuch; für ihn stellte diese jedoch ein Nebenprodukt der Evolution und kein Schlüsselmerkmal
einer Art dar, wohl auch weil solche reproduktiven Isolationen variieren können. Das biologische
Artkonzept geht aber auch nicht (!) davon aus, dass alle biologischen Arten immer 100%ig reproduktiv
isoliert sind und eine reproduktive Isolation muss auch nicht unbedingt Bastardsterblichkeit oder sterilität beinhalten. Vorteile des Konzepts: Variationen innerhalb und zwischen Populationen werden
4
Skript zur Vorlesung „Allgemeine Evolutionsbiologie“ | WS 2016/2017 | A. Franzke & M. Koch
integriert, es greift bei Zwillingsarten („sibling species“), also morphologisch sehr ähnlichen
biologische Arten bzw. bei Kryptospezies („cryptic species“) morphologisch ununterscheidbaren
Biospezies. Probleme/Grenzen: Nicht anwendbar auf fossile und asexuelle Arten (Mayr: „Bakterien
haben keine Arten“) und strenggenommen eigentlich auch nicht auf allopatrische Populationen, also
geographisch getrennte Populationen, weil die sich eben nicht treffen und es somit nicht zum
sogenannten Sympatrietest kommt, bei dem sich eben zeigt, ob sich die beiden Population
„vermischen“ oder nicht. Mayr hat insbesondere bewirkt, dass die Evolutionsbiologie sich im Rahmen
der modernen Synthese (und danach) mit Artkonzepten und vor allem mit Artbildungsprozessen (s.u.)
intensiv auseinandergesetzt hat (und weiterhin auseinandersetzt).
♦
Biologische Art − Isolationsmechanismen. Es gibt eine Reihe von Isolationsmechanismen, die
eine reproduktive Isolation zwischen (biologischen) Arten bewirken. Der „Futuyma“ bevorzugt hierfür
allerdings den Begriff „Barriere“ („isolating barriers“ oder „barriers to gene flow“) statt „Mechanismus“,
weil sich der Begriff „isolating mechanisms“ im engeren Sinne auf Konzepte des „reinforcement“
bezieht (s.u.). – Progame, präzygotische Isolationsmechanismen verhindern den Gametenaustausch:
Ökologische Isolation (z.B. Fortpflanzung zu verschiedenen Zeiten oder in verschiedenen Habitaten),
ethologische Isolation (z.B. unterschiedliches Paarungsverhalten), Bestäuberisolation (Anpassungen
an unterschiedliche Bestäuber bzw. Bestäubungsvorgänge). – Postgame, präzygotische
Isolationsmechanismen: Mechanische oder Verhaltensisolation bei einer Paarung, gametische
Isolation (Inkompatibilität zwischen artverschiedenen Gameten oder arteigene Spermien- bzw.
Pollenschlauchprioritäten). – Postzygotische Barrieren: Hybrid ökologisch nicht lebensfähig („fehlende“
Nische), Verhaltenssterilität (Hybrid hat kein bzw. wenig erfolgreiches Paarungsverhalten),
insbesondere Bastardsterblichkeit (gestörte Ontogenese) und Bastardsterilität (gestörte Meiose führt
zu aneuploiden Gameten).
♦
Aufgaben
♦ Was ist denn eigentlich für Sie eine Art?
♦ Erläutern Sie folgende Aussage: Allopatrische Populationen mit fixierten Merkmalen sind nach dem
phylogenetischen Artkonzept verschiedene Arten, nach dem biologischen Artkonzept möglicherweise
geographische Varianten einer Art.
♦
5
Herunterladen