Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Institut für Weltwirtschaft Seminararbeit zur „Konjunktur- und Wachstumspolitik“ im Wintersemester 2008/2009 Thema: Rohstoffpreise, Konjunktur und Inflation Themensteller: Professor Dr. Joachim Scheide Betreuer: Nils Jannsen Inhaltsverzeichnis II Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ........................................................................................................ II Abkürzungsverzeichnis............................................................................................... III Symbolverzeichnis ......................................................................................................IV Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ V 1 Einleitung ............................................................................................................ 1 2 Historische Übersicht: Ölpreisentwicklung, Konjunkturverlauf und Inflationsraten...................................................................................................... 2 3 3.1 Transmissionskanäle des Ölpreises ..................................................................... 5 Preisniveau und Inflation .................................................................................... 5 3.1.1 Erstrundeneffekte ....................................................................................... 5 3.1.2 Zweitrundeneffekte und Lohn-Preis-Spirale ............................................. 6 Konjunktur .......................................................................................................... 7 3.2 4 Warum reagiert die Wirtschaft asymmetrisch auf Veränderungen des Ölpreises? ............................................................................................................ 9 5 5.1 5.2 Ist der Einfluss von Rohstoffpreisen auf die Inflationsrate ein monetäres Phänomen? ....................................................................................... 11 Modell ............................................................................................................... 12 Ökonometrische Evaluation des Modells .......................................................... 14 6 Warum hat die Bedeutung von Ölpreisschocks abgenommen? ........................ 15 7 Fazit ................................................................................................................... 19 Literaturverzeichnis .................................................................................................... 20 Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis OPEC Organization of the Petroleum Exporting Countries CPI Consumer Price Index VPI Verbraucherpreisindex HVPI Harmonisierter Verbraucherpreisindex c.p. ceteris paribus RHS Rechte Hand Seite (einer Gleichung) LHS Linke Hand Seite (einer Gleichung) VAR Vektorautoregressives Modell GDP Gross Domestic Output BIP Bruttoinlandsprodukt CRBSI Commodity Research Bureau Spot Index III Symbolverzeichnis Symbolverzeichnis S Träges Gut (Konsumgüter) F Flexibles Gut (Rohstoffe) pS Preis des trägen Guts pF Preis des flexiblen Guts p Allgemeines Preisnivau Anteil von F am Handelsvolumen Geldmengenänderung in der Schockperiode IV V Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Ölpreis 1970-2007 ($/Barrel) ................................................................3 Abbildung 2: Realer Preis der US-Rohölimporte und Rezessionen............................4 Abbildung 3: Realer Ölpreis und CPI-Inflation ..........................................................5 Abbildung 4: Impuls-Antwort-Folge für Schock durch Geldmenge M2 ..................15 Abbildung 5: Impuls-Antwort-Folge für einen Ölpreisschock (USA) ......................16 1 Einleitung 1 Einleitung Diese Seminararbeit widmet sich dem Zusammenhang zwischen Rohstoffpreisen, Konjunktur und Inflation. Hierbei liegt der Fokus auf den Auswirkungen der Rohstoffpreisentwicklung auf die Wirtschaft in den Importländern. Stellvertretend für die Rohstoffpreise wird der Ölpreis betrachtet, da unterstellt werden kann, dass er fast alle Wirtschaftsbereiche betrifft. In Folge der beiden Ölkrisen in den Siebziger Jahren galt der Ölpreisentwicklung und ihrer möglichen Auswirkungen auf die makroökonomische Entwicklung in den erdölimportierenden Ländern sowohl in der Wirtschaftsforschung als auch in der breiten Öffentlichkeit großes Interesse. Angesichts des signifikanten Ölpreisanstiegs der jüngeren Vergangenheit, der im Juli 2008 seinen Höhepunkt fand und erst mit der derzeitigen Finanzund Wirtschaftskrise sein abruptes Ende nahm, wurde die Debatte um die gesamtwirtschaftliche Relevanz von Ölpreisänderungen wiederbelebt. Abschnitt 2 bietet eine Übersicht über die Ölpreisentwicklung seit den Siebziger Jahren im Kontext politischer Ereignisse und stellt ihr den Verlauf von Konjunktur und Inflation im gleichen Zeitraum gegenüber. Hiermit soll gezeigt werden, woher einerseits die Vermutung eines engen Zusammenhangs zwischen Ölpreis, wirtschaftlicher Aktivität und Preissteigerungen herrührt, und andererseits warum eine deutliche Abschwächung dieser Beziehung für die jüngeren Preissteigerungen konstatiert wird. In Abschnitt 3 werden die unterschiedlichen Transmissionskanäle dargestellt, durch die die Ölpreisentwicklung auf Inflation (3.1) und Konjunktur (3.2) wirken kann. Abschnitt 4 geht der Frage nach, weshalb Konjunktur und Inflation asymmetrisch auf Ölpreisänderungen reagieren, d.h. warum Preiserhöhungen stärkere Effekte für die wirtschaftliche Aktivität zugesprochen werden als Preissenkungen. Ein alternativer Erklärungsansatz für den Zusammenhang zwischen Rohstoffpreisen und Inflation wird in Abschnitt 5 vorgestellt. Ein allgemeiner Preisanstieg in Folge von erhöhten Rohstoffpreisen wird in diesem Modell nicht mit Veränderungen auf den Rohstoffmärkten begründet, sondern durch 1 2 Historische Übersicht: Ölpreisentwicklung, Konjunkturverlauf und Inflationsraten die unterschiedlichen Reaktionszeiten auf eine exogene Geldmengenerhöhung motiviert. In Abschnitt 6 wird dargestellt, dass die Relevanz von Ölpreisänderungen für die industrialisierten Importländer im Zeitablauf offensichtlich abgenommen hat. Darüber hinaus werden mögliche Ursachen für diese Entwicklung beleuchtet. Abschnitt 7 fasst die Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte zusammen und gibt eine abschließende Bewertung des Ölpreises hinsichtlich seiner Bedeutung für die ölimportierenden Länder. 2 Historische Übersicht: Ölpreisentwicklung, Konjunkturverlauf und Inflationsraten Die lang anhaltende Phase relativ stabiler Ölpreise seit dem zweiten Weltkrieg kam Anfang der Siebziger Jahre zu ihrem Ende, nachdem die OPEC als Reaktion auf den Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges im Jahr 1973 ihre Fördermenge gedrosselt hatte1. Infolgedessen stieg der Preis für ein Barrel Öl binnen weniger Monate um 237% von ursprünglich 4,6 USD im Oktober 1973 auf 15,5 USD im März des Folgejahres.2 Dieser Preisanstieg wird gemeinhin als erster Ölpreisschock bezeichnet. Ende der Siebziger Jahre setzte ein weiterer Preisschub ein, der zweite Ölpreisschock, wiederum aufgrund einer befürchteten Angebotsverknappung im Zusammenhang mit politischen Spannungen im Nahen Osten. Zwischen dem Beginn der Iranischen Revolution im Oktober 1978 und dem November 1979, in dem sich der Iran-Irak-Krieg bereits abzeichnete, stieg der Ölpreis erneut, diesmal um 193%.3 Im Verlauf der 80er Jahre sank der Ölpreis zwar wieder, erreichte jedoch nominal nie wieder das Niveau, das im Vorfeld der beiden Preisschocks herrschte (s. Abbildung 1). 1 Vgl. Hamilton (1985, S. 110) Vgl. ECB (2004, S. 52, Table 1) 3 Ebd. 2 2 2 Historische Übersicht: Ölpreisentwicklung, Konjunkturverlauf und Inflationsraten Erst für den Ausbruch des zweiten Golfkrieges 1990 und der mit ihm einhergehenden Sorge um die Ölförderung in der Kriegsregion zeigt der Graph wieder eine Spitze in der Ölpreisentwicklung, die jedoch nicht die Persistenz der beiden vorherigen Ölkrisen aufweist. Abbildung 14: Ölpreis 1970-2007 ($/Barrel) Quelle: Blanchard, Gali (2007, S.10) Von 1999 bis Mitte 2008 lässt sich ein steter Aufwärtstrend des Ölpreises beobachten, allein unterbrochen von einem kurzen Rückgang wegen der weltweiten Konjunktureintrübung in Folge des Krisenjahres 2001. James D. Hamilton (1983, S.245 f.) untersuchte den Zusammenhang zwischen den beobachteten Schwankungen im Ölpreis und ihren möglichen Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft und stellte fest, dass sieben der acht von ihm untersuchten Rezessionen in den USA ein dramatischer Ölpreisanstieg vorangegangen ist. 4 Die eingefärbten Flächen markieren die Zeiträume großer Ölpreisschocks nach Definition von Blanchard und Gali (2007, S. 10) 3 2 Historische Übersicht: Ölpreisentwicklung, Konjunkturverlauf und Inflationsraten Trägt man die Startzeitpunkte von US-Rezessionen5 in ein Diagramm mit der Entwicklung des realen Rohölpreises ein (s. Abbildung 2), so lässt sich dieser Befund erhärten: Alle fünf Rezessionen des beobachteten Zeitraums fallen zeitlich mit größeren Ölpreisanstiegen zusammen. Abbildung 2: Realer Preis der US-Rohölimporte und Rezessionen (1971.3-2003.12) Quelle: Barsky, Kilian (2003) Aus der Gegenüberstellung von Ölpreisentwicklung und CPI Inflation lässt sich für diese beiden Variablen ebenfalls eine Abhängigkeit erkennen (s. Abbildung 3). Obgleich sich natürlich kein perfekter Gleichlauf der Graphen ergibt, ist ihre positive Korrelation offensichtlich. Erst die jüngere Vergangenheit lässt eine Abschwächung dieser Beziehung vermuten. Der rasante Anstieg des Ölpreises seit 2002 ging nicht wie vielleicht erwartet mit einer erheblich höheren Inflation einher, stattdessen stieg die Inflationsrate nur moderat. 5 Nach Definition des National Bureau of Economic Research (NBER), Cambridge MA: www.nber.org/cycles (Zugriff: 05.01.2008) 4 3 Transmissionskanäle des Ölpreises Abbildung 3: (ln) Realer Ölpreis (1970=100) und CPI-Inflation Quelle: Blanchard, Gali (2007, S.11) 3 Transmissionskanäle des Ölpreises Im Folgenden werden die verschiedenen Transmissionskanäle dargestellt, mit denen sich der in Abschnitt 2 gezeigte Zusammenhang zwischen Ölpreisen, Inflation und Konjunktur erklären lässt. 3.1 Preisniveau und Inflation Die möglichen Auswirkungen einer Ölpreiserhöhung können in sogenannte „Erst- und Zweitrundeneffekte“ aufgegliedert werden.6 Erstere sind unvermeidlich, letztere werden seit den Stagflationserfahrungen in den Siebziger Jahren als gefährlich eingestuft und von den Zentralbanken bekämpft. 3.1.1 Erstrundeneffekte Ölerzeugnisse wie Heizöl oder Kraftstoffe sind Bestandteil der Warenkörbe, die zur Bestimmung der unterschiedlichen Preisindizes herangezogen werden. Die Vergangenheit zeigt eine hohe Korrelation zwischen dem 6 Vgl. ECB (2004, S. 54) 5 3 Transmissionskanäle des Ölpreises Rohölpreis und den Preisen der Erzeugnisse7, demnach wird ein Ölpreisschock über diese Produkte unmittelbar inflationswirksam. Die Preise von Ölsubstituten wie Erdgas oder Kohle folgen ebenfalls der Ölpreisentwicklung, beispielsweise durch die Bindung des Gaspreises an den Ölpreis in den entsprechenden Lieferverträgen. Im Ergebnis steigen also nicht nur die Preise von Ölprodukten, sondern auch die Preise in der Energiekomponente des Verbraucherpreisindexes insgesamt. Diese nimmt im europäischen HVPI beispielsweise ein Gewicht von ca. 8 % bis 9 % ein.8 Mit einer gewissen Verzögerung schlägt sich die Verteuerung von Öl und Energie auch in den Preisen anderer Güter nieder, da Ölerzeugnisse und Energie wichtige Inputfaktoren für die Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen sind: Durch die gestiegenen Faktorkosten sinken die Gewinnmargen der anbietenden Unternehmen, die daher versuchen ihre gestiegenen Erzeugerkosten über Preiserhöhungen auf die Verbraucher abzuwälzen.9 Die Erstrundeneffekte wirken preistreibend, in welchem Ausmaß die erhöhten Kosten mittels Preiserhöhungen weitergegeben werden können, hängt allerdings von der Wettbewerbsintensität und der konjunkturellen Situation der Volkswirtschaft ab. 3.1.2 Zweitrundeneffekte und Lohn-Preis-Spirale Die in Abschnitt 3.1.1 betrachteten Erstrundeneffekte erhöhen bei Persistenz des angestiegenen Ölpreises zwar kurz- und mittelfristig10 das allgemeine Preisniveau, die Inflationsraten können sich allerdings nach Absorption des Ölpreisanstiegs wieder normalisieren. Ein anderes Bild ergibt sich für die Zweitrundeneffekte, die die Inflationsrate auch mittelfristig auf einem hohen Niveau halten kann, sofern sie in eine Lohn-Preis-Spirale münden. Dafür ist allerdings erforderlich, dass der durch den Ölpreisanstieg induzierte Anstieg des allgemeinen Preisniveaus in die Lohnforderungen der Beschäftigten eingeht. Die Arbeitnehmer versuchen in diesem Fall ihren 7 Vgl. ECB (2004, S. 54 Chart 4) Vgl. ECB (2004, S. 54) 9 Vgl. Schirwitz und Vogt (2005, S.4) 10 Langfristig kann eine Ölpreiserhöhung das allgemeine Preisniveau gemäß der Quantitätstheorie nur erhöhen, wenn der Preisanstieg von der Zentralbank monetär alimentiert wird. 8 6 3 Transmissionskanäle des Ölpreises Reallohn durch höhere Nominallöhne konstant zu halten, um keinen Kaufkraftverlust in Folge des Ölpreisanstiegs zu erleiden. Können die Beschäftigten ihre Forderungen durchsetzen, dann kommen auf die Unternehmen zusätzlich zu dem bestehenden Kostendruck aus den Rohstoffmärkten weitere Kostensteigerungen von Seiten der Personalausgaben zu. Setzen die Unternehmen diese zusätzlichen Ausgaben wiederum in höhere Preise ihrer Endprodukte um, können sich die Inflationserwartungen erhöhen und schließlich in die Lohn-Preis-Spirale führen. In dieser Situation steigern sich Lohnforderungen und Preisniveau wechselseitig, um den Anstieg der jeweils anderen Variablen zu kompensieren. 11 In der Vergangenheit wurden zahlreiche Versuche unternommen den Inflationseffekt einer Ölpreiserhöhung zu quantifizieren, als Ergebnis hat sich die sogenannte „Daumenregel“ etabliert. Diese besagt, dass eine dauerhafte und nicht antizipierte Erhöhung des Ölpreises um 10% im Euroraum jährlich eine durchschnittliche Erhöhung der Verbraucherpreise um 0,1 Prozentpunkte in den drei Folgejahren nach sich zieht.12 Schneider (2004, S. 36) setzt den Effekt nach Auswertung verschiedener Studien etwas höher bei 0,1-0,2 Prozentpunkten an. 3.2 Konjunktur Neben den Preissteigerungseffekten werden Ölpreiserhöhungen auch eine dämpfende Wirkung auf die Konjunktur attestiert.13 Denkbar sind dafür zahlreiche Wirkungskanäle und von denen einige im Folgenden kurz erläutert werden. Die Kanäle konkurrieren nicht, sondern können sich gegenseitig überlappen und verstärken. Prominentes Erklärungsmuster für den negativen Effekt eines Ölpreisanstiegs für das Wirtschaftswachstum ist der klassische Angebotsschock: Die Verknappung des Ölangebots, die der Preiserhöhung zu Grunde liegt, bedeutet einen Mangel an einem wichtigen Inputfaktor für die Produktion. Langfristig können die Unternehmen darauf zwar mit der Substitution ihrer 11 Vgl. Schirwitz und Vogt (2005, S. 4) Vgl. Gutachten des Sachverständigenrats (2006, Ziffer 107) 13 Vgl. Brown und Yücel (2003, S. 2) 12 7 3 Transmissionskanäle des Ölpreises Produktionsmittel reagieren und dadurch den Effekt abmildern, kurzfristig schlägt sich der gestiegene Ölpreis allerdings in einem reduzierten Outputniveau bzw. einem niedrigerem Outputwachstum nieder. 14 Argumentiert man nachfrageseitig, ergibt sich der negative Effekt auf das Wirtschaftswachstum aus der Einkommensumverteilung von den Nettoimportländern zu den Nettoexportländern. Eine Erhöhung des Rohölpreises verschlechtert c.p. die Terms of Trade des Importlandes, d.h. das Verhältnis von Export- zu Importgüterpreisen. Durch den Kaufkraftverlust der Konsumenten im Importland wird die Inlandsnachfrage geschwächt.15 Allerdings wird dieser Effekt durch die erhöhte Exportgüternachfrage aus den Ländern gedämpft, die von der Ölpreiserhöhung profitieren. Dieser Effekt wird auch „Recycling der Öleinnahmen“ genannt. In welchem Umfang der Einkommenszuwachs der ölexportierenden Länder in den Importländern nachfragewirksam wird, lässt sich allerdings nicht pauschal beantworten. Dies hängt einerseits vom Ausmaß der Exportorientierung der betrachteten Volkswirtschaft und anderseits von der Neigung der Erdölexporteure ab, Güter aus dieser zu beziehen. Neuere Studien16 konstatieren sogar, dass das Handelsbilanzsaldo Deutschlands gegenüber den Ölexporteuren auch nach einem Ölpreisanstieg mittelfristig konstant bleibt. D.h. die Ölförderländer fragen nach einer kurzen Verzögerung entsprechend mehr deutsche Exportgüter nach, wie ihre Einnahmen aus Ölexporten in die Bundesrepublik vorher gestiegen sind. Der aus der makroökonomischen Theorie bekannte Keynes-Effekt17 lässt sich ebenfalls zur Erklärung der negativen Korrelation zwischen Ölpreis und Konjunkturverlauf heranziehen. Mit dem Anstieg des allgemeinen Preisniveaus durch die Ölpreiserhöhung sinkt die Realkasse, woraufhin die Wirtschaftssubjekte ihre Portfolios umschichten um ihre Überschussnachfrage nach Geld zu befriedigen. Dafür verkaufen sie Wertpapiere, deren Kurswerte in Folge des Überschussangebots auf dem Wertpapiermarkt sinken, was wiederum einen Zinsanstieg zur Folge hat. Aufgrund des 14 Vgl. Lescaroux, Mignon (2008, S. 11) Vgl. Brown, Yücel und Thompson (2003, S. 3-4) 16 Vgl. IfW (2008, S. 63, Kasten 3) 17 auch: indirekter Realkasseneffekt 15 8 9 4 Warum reagiert die Wirtschaft asymmetrisch auf Veränderungen des Ölpreises? höheren Zinsniveaus geht die Investitionsgüternachfrage zurück und damit definitionsgemäß auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.18 Um den negativen Effekt von Ölpreisanstiegen auf den Konjunkturverlauf zu erklären, wird häufig auch auf die Rolle der Geldpolitik verwiesen. Denn reagiert die Zentralbank auf den durch einen Ölpreisschock induzierten Inflationsdruck mit einer kontraktiven Geldpolitik um die Geldentwertung einzudämmen, erhöht sich der Marktzinssatz und die aggregierte Nachfrage geht zurück. Bernanke, Gertler und Watson (1997, S. 122) gehen sogar so weit, der Zentralbank die Hauptschuld an den US-Rezessionen in Folge der Ölpreisschocks der Siebziger Jahre zuzuweisen. Die oben genannte „Daumenregel“ wird auch zur Quantifizierung des dämpfenden Effekts einer Ölpreiserhöhung auf die wirtschaftliche Aktivität genutzt.19 Folgt man ihr, dann führt ein unerwarteter dauerhafter Ölpreisanstieg um 10% im Euroraum in den drei Folgejahren zu einer jahresdurchschnittlichen Reduzierung der Zuwachsrate des BIPs um 0,1 Prozentpunkte. Schneider (2004, S. 36) geht von einer ähnlichen Größenordnung aus. Allerdings gibt es auch Autoren, die einen engen Zusammenhang zwischen Ölpreisentwicklung und Konjunktur bezweifeln. Barsky und Kilian (2001, S.123) vertreten die Auffassung, dass die Rezessionen der Siebziger Jahre durch die restriktive Geldpolitik ausgelöst wurden, die schon vor den eigentlichen Ölpreisschocks einsetzte. 4 Warum reagiert die Wirtschaft asymmetrisch auf Veränderungen des Ölpreises? Diverse Studien, die sich mit den Auswirkungen der Ölpreisentwicklung auf die Konjunktur beschäftigen, haben gezeigt, dass der Effekt von Ölpreisänderungen auf die Wirtschaft asymmetrisch ist.20 D.h. eine Senkung des Rohölpreises stimuliert die wirtschaftliche Aktivität eines Importlandes 18 Vgl. Brown, Yücel, Thompson (2003, S. 9) Vgl. Gutachten des Sachverständigenrats (2006, Ziffer 107) 20 Vgl. exemplarisch Rodriguez, Sanchez (2004, S. 26) für einige OECD-Staaten 19 10 4 Warum reagiert die Wirtschaft asymmetrisch auf Veränderungen des Ölpreises? nicht in dem gleichen Ausmaß, wie seine Erhöhung die konjunkturelle Entwicklung dämpft. Die Literatur bietet für diese Nichtlinearität des Zusammenhangs einige mögliche Begründungen. Ein beliebter Erklärungsansatz sind Anpassungskosten, die unabhängig von der Preisänderungsrichtung anfallen. Betrachtet man das Kapital eines Unternehmens als Manifestation einer bestimmten Energie-Output-Relation in der Produktion21, so kann ein Wandel dieses Verhältnisses, der nach einer Ölpreisänderungen geboten sein mag, nur durch Veränderungen des Kapitalstocks erreicht werden. Dessen Umstrukturierung bringt allerdings Reibungsverluste mit sich und dämpft die wirtschaftliche Aktivität. Für die intersektorale Reallokation ergibt sich ein ähnlicher Befund. Geht man davon aus, dass eine Änderung des Rohölpreises Verschiebungen zwischen energieeffizienten und energieintensiveren Branchen nach sich zieht, entstehen auch hier volkswirtschaftliche Anpassungskosten, z.B. in Form von einer höheren Arbeitslosigkeit oder einer Unterauslastung des Kapitalstocks. Beide oben genannten Umstrukturierungsprozesse wirken kurzfristig verstärkend auf die negativen Auswirkungen eines Ölpreisanstiegs und schwächend auf die positiven Effekte einer Senkung des Ölpreises. Als weitere Begründung der asymmetrischen Reaktion wird in der Fachliteratur die Unsicherheit von Unternehmen in Folge einer signifikanten Ölpreisänderung herangezogen. Durch die Volatilität des Rohölpreises wächst demnach die Unsicherheit über die zukünftige Ölpreisentwicklung und die Unternehmen verschieben ihre Investitionen in Sachkapital, solange sie nicht wissen, ob der Preisanstieg Bestand hat.22 Denn mit Ihren Investitionen müssten die Unternehmen eine Entscheidung über die zukünftige Energieintensität ihre Produktion treffen, wovor sie bei bestehender Unsicherheit zurückschrecken. Die mangelnde Flexibilität der Löhne kann ebenfalls zur Erklärung der beobachteten Asymmetrie dienen.23 Den höheren Lohnforderungen, den die Arbeitnehmer tendenziell in Reaktion auf eine Ölpreiserhöhung fordern, um 21 Vgl. Brown, Yücel, Thompson (2003, S. 8) Vgl. Bernanke (1980, S. 21) 23 Vgl. Schneider (2004, S. 30) 22 11 ihre Kaufkraft zu erhalten, stehen keine Lohnsenkungen bei fallenden Ölpreisen gegenüber, wenn die Nominallöhne nach unten rigide sind. Die entstehende Unterbeschäftigung kann so die positiven Effekte eines Ölpreisrückgangs abschwächen. Schließlich gibt es auch die Vermutung, dass die Ursache der beobachteten Asymmetrie originär eine Asymmetrie zwischen Rohölpreis und den Preisen von Ölerzeugnissen wie Benzin und Heizöl ist.24 Das heißt, dass Erhöhungen des Ölpreises sich zwar unmittelbar in den Preisen von Erdölerzeugnissen niederschlagen, umgekehrt ein Rohölpreisrückgang jedoch nur verzögert an die Abnehmer von Ölprodukten weitergegeben wird. Ökonometrische Studien konnten diesen Befund erhärten25, ein Teil der beobachteten Asymmetrie zwischen Rohölpreis und wirtschaftlicher Aktivität dürfte demnach in der Asymmetrie der Preise von Rohöl und Ölerzeugnissen begründet liegen. 5 Ist der Einfluss von Rohstoffpreisen auf die Inflationsrate ein monetäres Phänomen?26 Bisher wurde davon ausgegangen, dass der Anstieg von Rohstoffpreisen und der darauffolgende Anstieg der allgemeinen Preisniveaus ausschließlich das Ergebnis von Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten sind, d.h. entweder durch eine Angebotsverknappung, beispielsweise in Folge von Verwerfungen im Nahen Osten, oder einen weltweiten Nachfrageanstieg verursacht werden. Alternativ lässt sich der Zusammenhang jedoch auch als rein monetäres Phänomen modellieren, indem man Rohstoffpreisen eine schnellere Reaktion auf eine exogene Geldmengenerhöhung unterstellt als den Preisen anderer Güter. Im Folgenden wird ein einfaches Modell gezeigt, dass aus dieser Annahme ein kurzfristiges Überschießen der Rohstoffpreise 24 Vgl. Huntington (1998, S. 18) Vgl. Brown, Yücel (2000, S.24) 26 Die folgende Darstellung basiert auf Browne, Cronin (2007) 25 5 Ist der Einfluss von Rohstoffpreisen auf die Inflationsrate ein monetäres Phänomen? über ihr langfristiges Gleichgewichtsniveau ableitet, wenn die Geldmenge ausgeweitet wird. 27 5.1 Modell Browne und Cronin (2007, S. 9) bedienen sich zweier monetaristischer Annahmen für ihr Modell. Zum einen gehen sie davon aus, dass exogene Änderungen der Geldmenge eine äquivalente prozentuale Änderung des allgemeinen Preisniveaus nach sich ziehen, sofern die Geldnachfrage stabil bleibt. Desweiteren wird angenommen, dass der durch die Geldmengenerhöhung induzierte Preisanstieg sich langfristig gleichmäßig auf die unterschiedlichen Güter, d.h. in diesem Modell auf Rohstoffe und Konsumgüter, verteilt. Die Relativpreise verändern sich demnach c.p. in der langen Frist nicht gegenüber ihrem Niveau vor der Geldmengenausweitung. Die Güter werden im Modell anhand des Grades ihrer Preisflexibilität in Güter mit trägen Preisen (S)28 und Güter mit flexiblen Preisen (F) unterteilt. Erstere bezeichnen Konsumgüter, deren Preis ( pS ) nicht unmittelbar auf eine Veränderung der Geldmenge reagieren kann, sondern erst in der Folgeperiode. Letztere umfassen Rohstoffe, deren Preis ( pF ) bereits in der Schockperiode auf eine Expansion des Geldangebots reagieren kann. Dieser Unterschied in der Reagibilität der Preise wird mit der unterschiedlichen Beschaffenheit von Konsumgüter- und Rohstoffmärkten gerechtfertigt. An den auktionsbasierten Rohstoffmärkten träfen sich demnach Agenten mit hoher und symmetrischer Informationsausstattung, wodurch weniger Reibungen im Preisanpassungsprozess entstünden. Auf Änderungen der wirtschaftlichen Gegebenheiten, also u.a. des Geldangebots, werde dort demnach schneller reagiert, als auf den Konsumgütermärkten. Im Modell existieren nur die Güter F und S, demnach ist das allgemeine Preisniveau ( p ) eine entsprechend ihrer Anteile am Handelsvolumen mit und 1 gewichtete Kombination aus ihren Preisen: 1 27 0 1 (1) Das Modell ist an das Dornbusch-Overshooting-Modell zur Erklärung von Wechselkursvolatilitäten angelehnt, das ebenfalls zwischen Märkten mit träger Preisanpassung (Gütermärkte) und Märkten mit flexibler Preisanpassung (Finanzmärkte) unterscheidet. 28 „S“ wegen des englischen „sticky“ (dt. wörtlich: „klebrig“; hier: „träge“ ) 12 5 Ist der Einfluss von Rohstoffpreisen auf die Inflationsrate ein monetäres Phänomen? Darüber hinaus wird angenommen, dass das Verhältnis zwischen allgemeinen Preisniveau und Geldmenge (m) in jeder Periode der vereinfachten Quantitätsgleichung (2) folgt, in der die Geldumlaufgeschwindigkeit ( v ) auf 1 normiert und konstant ist29. (2) Unterstellt man, dass sich das Outputniveau y ebenfalls nicht ändert, ergibt sich in jeder Periode eine vollständige Anpassung des allgemeinen Preisniveaus an eine Geldmengenänderung. Im oben dargestellten Modellrahmen wird nun eine einmalige Geldmengenerhöhung um (μ · 100 Prozent untersucht. Für das allgemeine Preisniveau folgt dann in der Schockperiode ( t ) : 1 1 (3) Da der Preis der Konsumgüter pS annahmegemäß in der Schockperiode noch nicht auf die Geldmengenänderung reagiert und auf dem Niveau verharrt, muss der Anstieg des allgemeinen Preisniveaus vollständig von dem Preisanstieg der flexiblen Güter, d.h. der Rohstoffe, getragen werden. Erst in der folgenden Periode t+1 absorbiert auch der Preis der Konsumgüter den Geldmengenanstieg und das langfristige Gleichgewicht ist erreicht: 1 1 (4) Da davon ausgegangen wird, dass in der Periode t+1 kein weiterer monetärer Schock erfolgt, nehmen und den gleichen Wert an. Demgemäß kann die RHS von (3) mit der von (4) gleichgesetzt werden: 1 1 (5) Die Substitution30 von durch ergibt nach Umformung: ⁄1 1 (6) 29 Diese Annahme deckt sich mit der weit verbreiteten Auffassung, dass sich die Geldumlaufgeschwindigkeit kurzfristig nur sehr geringfügig ändert und deshalb als konstant angenommen werden kann. 30 Zur Erinnerung: Der Preis von Gut S ist zu träge um schon in der Schockperiode auf die Geldmengenausweitung zu reagieren und entspricht deshalb in t dem der Vorperiode. 13 5 Ist der Einfluss von Rohstoffpreisen auf die Inflationsrate ein monetäres Phänomen? Anhand von Gleichung (6) lassen sich mehrere Rückschlüsse hinsichtlich der Beziehung von und nach einer exogenen Veränderung der Geldmenge ziehen. Die LHS der Gleichung, d.h. die Veränderung des Konsumgüterpreises von Periode t zur Folgeperiode, lässt sich unter Beachtung der Gewichtungsparameter und 1 aus der Differenz zwischen dem Preis von F in der Schockperiode ( und dem langfristi gen Gleichgewichtspreis von F ( ) bestimmen. Desweiteren zeigt die Gleichung auch das Überschießen der Rohstoffpreise in der Schockperiode. Denn erhöht eine Geldmengenausweitung das langfristige Preisniveau von S, was naheliegend ist, dann ist die LHS von (6) positiv und muss größer als sein, um die Gleichung zu erfüllen.31 Auch das Verhältnis der Anteile am Handelsvolumen von F und S ⁄1 beeinflusst das Ausmaß des Overshootings in Periode t. Im Ergebnis sind also die Preise von Rohstoffen und Konsumgütern bis zum Ende der Periode t+1 proportional zur Geldmengenänderung gestiegen, nachdem die Rohstoffpreise in der Schockperiode aufgrund der Preisanpassungsträgheit der Konsumgüter über ihrem neuen Langfristgleichgewicht lagen. 5.2 Ökonometrische Evaluation des Modells Ob die Ergebnisse des oben aufgezeigten Modells sich mit der Realität decken, haben Browne und Cronin anhand von US-Daten aus dem Zeitraum 1959-2005 untersucht. Der Consumer Price Index (CPI) repräsentiert dabei das träge Gut S aus dem Modell, das flexible Gut F wird von einem Rohstoffpreisindex abgebildet. Mittels eines Vektorautoregressiven Modells32 wurden dann die Auswirkungen einer Erhöhung der Geldmenge M2 auf den CPI und den Rohstoffpreisindex analysiert. Abbildung 4 zeigt die ImpulsAntwort-Folge für CPI und CRBSI33 nach einer Geldmengenausweitung. 31 ⁄1 ist immer positiv, da 0 1 Ein Vektorautoregressives Modell wird anhand von Zeitreihen geschätzt und dient der Aufdeckung von Kausalitäten zwischen mehreren Variablen. Es ist nicht theoriefundiert, sondern bildet allein den statistischen Zusammenhang ab. Jede Variable hängt ausschließlich von ihren eigenen Vergangenheitswerten und denen der anderen Variablen ab. 33 Commodity Research Bureau Spot Index (weitgefasster Index für Rohstoffpreise) 32 14 6 Warum hat die Bedeutung von Ölpreisschocks abgenommen? Abbildung 4: Impuls-Antwort-Folge für einen Schock durch Geldmenge M2 Quelle: Browne, Cronin (2007, S. 30) Vergleicht man den Graph mit den Ergebnissen des Modells aus Abschnitt 5.1, findet man dessen wesentliche Resultate bestätigt. Auf den Geldmengenschock folgt ein rapider Anstieg des Preisindexes für Rohstoffe, der seinen Höhepunkt nach ca. 12 Quartalen erreicht. Der CPI reagiert dagegen träge auf die Geldmengenerhöhung und nähert sich nur langsam seinem neuen Gleichgewichtsniveau an. Ab dem zwölften Quartal sinkt der CRBSI bis er schließlich wie auch der CPI sein neues Gleichgewicht erreicht. Langfristig erhöhen sich beide Preisindizes proportional zur Erhöhung der Geldmenge, das Overshooting der Rohstoffpreise ist nur von kurzfristiger Natur. Aus diesen Ergebnissen folgern Browne und Cronin, dass die Beziehung von Rohstoffpreisen und Verbraucherpreisen in der Vergangenheit fälschlicherweise Veränderungen auf den Rohstoffmärkten zugeordnet wurde, in Wahrheit allerdings geldmengengetrieben ist. 6 Warum hat die Bedeutung von Ölpreisschocks abgenommen? Die Ölkrisen der Siebziger Jahre gingen mit tiefen Rezessionen34 und eklatanten Preisanstiegen35 in den großen Industrieländern einher. Wer 34 35 Vgl. Abbildung 2 Vgl. Abbildung 3 15 6 Warum hat die Bedeutung von Ölpreisschocks abgenommen? jedoch ähnliches in Folge des rasanten Ölpreisanstiegs36 seit 2002 erwartete, wurde eines besseren belehrt. Trotz der Vervielfachung des Ölpreises auf bis zu $ 131,22 im Juli 2008,37 hatten die negativen Auswirkungen bei weitem nicht die Schärfe der vergangenen Ölpreisschocks. Stattdessen wurden in vielen Industrieländern weiterhin positive Wachstumsraten des Outputs und relativ stabile Inflationsraten verzeichnet.38 Blanchard und Gali (2007) haben mit einem VAR-Modell39 die Beobachtung einer Abschwächung der Beziehung zwischen Ölpreis, Konjunktur und Inflation untermauert. Abbildung 5 zeigt die Impuls-Antwort-Folgen auf eine zehnprozentige Ölpreiserhöhung für die Variablen CPI und GDP. Der linke Graph basiert auf den US-Daten für den Zeitraum bis 1984 und deckt damit die beiden ersten Ölkrisen ab, der rechte Graph zeigt die Reaktion von Verbraucherpreisen und Output für den Zeitraum ab 1984. Abbildung 5: Impuls-Antwort-Folge für einen Ölpreisschock (USA) Quelle: Blanchard und Gali (2007, S. 4) Zwar zeigen beide Graphen eine dämpfende Wirkung auf die ökonomische Aktivität und einen Preisanstieg in Folge des simulierten Ölpreisanstiegs, 36 Vgl. Abbildung 1 Im Monatsdurchschnitt, s. http://www.opec.org/home/basket.aspx (03.01.2008) 38 Campolmi (2008, S. 7) 39 Vgl. Fußnote 24 37 16 6 Warum hat die Bedeutung von Ölpreisschocks abgenommen? der Graph auf Basis der neueren Daten verläuft allerdings deutlich flacher. Die Auswirkungen jüngerer Ölpreisschocks haben sich demnach in der Tat im Vergleich zu den Siebziger Jahren abgeschwächt. Für diese Beobachtung kommen einige mögliche Erklärungen in Betracht. Zum einen könnte die Abhängigkeit der Industrienationen von Öl bzw. von Energie insgesamt seit den Siebziger Jahren abgenommen haben, so dass die Effekte einer Ölpreisänderung nicht mehr so stark ins Gewicht fallen.40 Zum anderen könnte die unterschiedliche Herkunft der Ölschocks die Erklärung für die moderateren Auswirkungen jüngerer Preisanstiege liefern.41 Desweiteren sind Änderungen in der Geldpolitik und eine höhere Flexibilität der Güter- und Arbeitsmärkte als Ursachen denkbar.42 Tatsächlich ist sowohl die Öl- als auch die Energieintensität der Produktion in den industrialisierten Ländern seit den 70er Jahren signifikant zurückgegangen.43 Abbildung 6 zeigt, wie sich die Ölintensität44 der Volkswirtschaften im Euro-Währungsgebiet im Zeitablauf verändert hat. Abbildung 6: Verhältnis zwischen Ölverbrauch und realem BIP im Euro-Währungsraum Quelle: ECB (2004, Chart 5) Der Graph zeigt seit dem Ende der Siebziger Jahre einen steten Rückgang des Ölverbrauchs im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Offensichtlich 40 Vgl. Blanchard und Gali (2007, S. 5) Vgl. Campolmi (2008, S. 7) 42 Vgl. ECB (2004, S. 61) 43 Brown, Yücel, Thompson (2003, S. 15) 44 Verhältnis zwischen Ölverbrauch und realem BIP 41 17 6 Warum hat die Bedeutung von Ölpreisschocks abgenommen? haben die Volkswirtschaften des Eurogebiets nach den Erfahrungen mit den ersten beiden Ölkrisen ihre Abhängigkeit vom Inputfaktor Öl zurückgeführt. Dafür sind neben der Substitution von Rohöl durch andere Primärenergieträger wie z.B. Gas auch die Effizienzsteigerungen und sektoralen Verschiebungen innerhalb der industrialisierten Länder verantwortlich. Dienstleistungsunternehmen haben zulasten von ölintensiven verarbeitenden Betrieben an Stellenwert gewonnen.45 Entscheidend für die Auswirkungen eines Ölpreisschocks dürfte auch dessen Ursprung sein. Die jüngeren Preisanstiege des Öls sind durch die höhere Nachfrage aus aufstrebenden Schwellenländern wie China und Indien induziert, während die Ursachen früherer Preisschocks in einer Angebotsreduzierung durch die ölexportierenden Länder lagen. Steigt der Ölpreis aufgrund des Wirtschaftswachstums in den neuindustrialisierten Ländern, dann steigt auch die Nachfrage nach Importen in eben diesen Ländern, wovon insbesondere exportorientierte Volkswirtschaften wie die Bundesrepublik wiederum profitieren. Dadurch werden die negativen Auswirkungen eines Ölpreisanstiegs auf die wirtschaftliche Aktivität zumindest teilweise kompensiert.46 Auch das Ausbleiben starker Preisanstiege in Folge jüngerer Ölpreisschocks lässt sich in diesem Kontext erklären. Der Wettbewerb mit den Schwellenländern hat einen weltweiten Abwärtsdruck auf Löhne und Erzeugerpreise generiert, wodurch auch die Verbraucherpreise trotz des Ölpreisanstiegs verhältnismäßig konstant blieben.47 Die EZB (2004, S. 55) sieht auch in der Zentralbankpolitik eine gewichtige Einflussgröße für die Auswirkungen eines Ölpreisschocks. Die Neigung der Arbeitnehmer, sich nach einer Ölpreiserhöhung schadlos zu halten, indem sie eine kompensatorische Erhöhung ihrer Nominallöhne fordern, hänge im hohen Maße von der Glaubwürdigkeit der Zentralbank ab. Die Gewährleistung mittelfristiger Preisstabilität durch die EZB habe verhindert, dass die Inflationserwartungen bei den jüngeren Ölpreisschocks gestiegen sind, und somit die Akzeptanz von Reallohneinbußen in Folge kurzfristig gestiegener Inflationsraten erhöht. Auch die Verbreitung der Lohnindexierung, d.h. die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation, habe im Vergleich zu 45 Vgl. ECB (2004, S. 60) Vgl. Schmidt und Zimmermann (2007, S. 6) 47 Ebd. 46 18 7 Fazit 19 den Siebziger Jahren abgenommen. Die Gefahr von Zweitrundeneffekten ist demnach deutlich reduziert. 7 Fazit In der Literatur wird ein Zusammenhang zwischen Ölpreisentwicklung, Konjunktur und Inflation weitestgehend anerkannt. Diese Beziehung hat jedoch seit den Ölkrisen der Siebziger Jahre an Bedeutung verloren. Sinkende Ölintensität, gestiegene Zentralbankglaubwürdigkeit und die Tatsache, dass jüngere Ölpreisanstiege nachfragegetrieben sind, erklären diesen Wandel. Die Auswirkungen einer Ölpreiserhöhung auf die Inflation können in Erstund Zweitrundeneffekte unterteilt werden. Für die Auswirkungen auf die Konjunktur werden mehrere Transmissionskanäle verantwortlich gemacht. Die Relevanz der einzelnen Transmissionskanäle ist jedoch umstritten. So gibt es beispielsweise Anlass zur Vermutung, dass die zusätzlichen Ausgaben für Rohölimporte in Folge einer Ölpreiserhöhung durch höhere Exporte in die ölfördernden Länder kompensiert werden. Ölpreissenkungen stimulieren die wirtschaftliche Aktivität nicht im gleichen Ausmaß, wie Erhöhungen des Ölpreises sie dämpfen; dieser asymmetrische Zusammenhang ist empirisch gut belegt. Er wird mit Anpassungskosten, Lohnsatzrigiditäten und Asymmetrien zwischen Rohöl und Ölerzeugnissen erklärt. Auch die Verschiebung von Investitionsentscheidungen aus Unsicherheit über die zukünftige Ölpreisentwicklung liefert eine mögliche Begründung. Der Ansatz von Browne und Cronin modelliert den Verbraucherpreisanstieg in Folge einer Erhöhung der Rohstoffpreise als monetäres Phänomen. Das Modell überzeugt durch seine Einfachheit und dadurch, dass es von den USDaten gestützt wird. Angesichts der restriktiven Annahmen, die es trifft, bedarf es jedoch der weiteren kritischen Hinterfragung. 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