Marktbericht 19.02.2010 / Wachsen uns die Probleme über den Kopf? Die amerikanische Notenbank (Fed) setzt ein erstes, winziges Zeichen und strafft den Diskontsatz um 0.25 % auf 0.75 %. Ein Tropfen auf den heissten Stein! Unüberhörbar schrillen Alarmglocken - Griechenland scheint erst der Anfang: Der Handel mit Staatsanleihen könnte sich für einige europäische Länder zur Katastrophe ausweiten. Sinkt ein Schiff, fliehen die Gläubiger. Und Europa zeigt sich unfähig, die Herausforderungen wirksam zu lösen. Wenn nun die führenden europäischen Regierungen ein hartes Vorgehen, die Rückkehr zu einer grundsoliden Budgetpolitik von den Griechen fordern, dann ist das wenig glaubwürdig. Es braucht keine überbordende Phantasie, sich auszumalen, dass auch Länder wie Italien, Portugal, Spanien, Frankreich oder gar Deutschland in ähnliche Krisen schlittern. Denn längst lassen sich die Belastungen aus den Sozialversicherungssystemen für die kommenden Jahre hochrechnen. Und die daraus hervorquellenden Zahlenwerke sehen düster aus. Die gigantischen Haushaltslöcher wegzusparen, käme einem politischen Selbstmord gleich. Wohl kaum ein Regierungschef wird das riskieren wollen - ganz egal, welche Drohkulissen in Brüssel oder anderswo aufgebaut werden. Die Märkte funken SOS! Finanzkrisen haben die bedenkenswerte Eigenschaft, nicht planbar zu sein. Man weiss schlicht nicht, wie viel Zeit zum Eingreifen bleibt. Die Dinge geraten oftmals abrupt aus dem Ruder - und ziehen dann alles um sich herum in sich hinein, wie ein schwarzes Loch. (Thomas Mayer, Chefökonom der Deutschen Bank) Kein Wunder befürwortet die Mehrheit der Deutschen den Kauf der Steuersünder-CDs und hofft, so die Steuersünder dingfest zu machen. Allerdings überrascht es schon, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen beim Thema Schwarzarbeit keinerlei Unrecht empfindet. Das entlarvt die ganz Diskussion als Teil einer Neiddebatte - nur die Höhe der hinterzogenen Steuern macht den Unterschied. Der Meinung der Bevölkerungsmehrheit schliesst sich mit Blick auf die anstehenden Wahlen in NRW nahezu die gesamte deutsche Politikerkaste an. Das ähnelt doch sehr purem Populismus. Ja klar, kaum ein Thema eignet sich besser, Emotionen zu schüren, als die Steuern. Diese Tatsache beweist ganz deutlich unser Steuerdisput mit unseren Nachbarn. Sollte das Schweizer Bankkundengeheimnis endgültig fallen, so die "Finanz und Wirtschaft", haben Deutschland & Co. freie Hand, ihre Steuern zu erhöhen. Keine vielversprechenden Perspektiven. Wenn der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble seinen Staatshaushalt tatsächlich wieder in die richtigen Bahnen lenken will, wird es nicht reichen, einige 100 Mio. Euro von Steuersündern in der Schweiz einzutreiben. Er wird sparen müssen. Und in Deutschland wird das nicht gehen, ohne Hand an die umfangreichen Sozialleistungen anzulegen. Doch wie schwierig das umzusetzen ist, zeigt eine Aufstellung des Forschungsinstituts IW Köln. Demnach erhielt jüngst fast jeder zweite deutsche Wahlberechtigte Geld vom Staat. Im Jahr 2007 - also noch vor der Krise - hingen 42 % der Deutschen über 18 Jahre am staatlichen Tropf: Sie kassierten Renten (die grösste Gruppe), Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kurzarbeitergeld, Stipendien, Wohn- oder Elterngeld. Kein Wunder, scheuen Politiker das Thema Leistungsgesetze wie der Teufel das Weihwasser. Wer Sozialleistungen abbauen will, muss mit dem Widerstand ausschlaggebender Wählergruppen rechnen - niemand verzichtet gern auf einmal zugesagte Wohltaten. Ernüchtert stellen wir fest, dass es demokratisch immer aussichtsloser wird, die Sozialsysteme zu reformieren. Dabei verschärft sich der Reformdruck. Bereits jetzt kommt, statistisch gesehen, fast ein Transferbezüger auf jeden erwerbstätigen Deutschen. Mit der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung zusammen mit der absehbaren Zunahme der Arbeitslosigkeit, wird sich dieses Verhältnis noch weiter verschlechtern. (Quelle: "NZZ") Richard Wagner, Schriftsteller und Publizist in Berlin, analysierte kürzlich in der "NZZ": Schwarzgeld in der Schweiz - Folge einer deutschen Misere! Es wird der Eindruck erweckt, als schwelge in Deutschland der Staat in der Vorstellung, dass das im Land geäufnete Geld, das Geld der Bürger also, irgendwie auch Staatsgeld sei und zumindest im Notfall den Behörden zur Verfügung stehen sollte. Der vormundschaftliche Staat macht sich mit seiner Idee der Überwachung des gesellschaftlichen Lebens auch in dieser Frage in fragwürdiger Weise bemerkbar. Doch wenn man dringend Geld braucht und in der Staatskasse Leere gähnt, kann es ja auch sein, dass Regierung und Staatsapparat schlecht wirtschaften. Wenn Bürger ihr Geld tatsächlich in der Schweiz anlegen, so hat das vielleicht auch handfeste Gründe. Und zwar nicht nur Gründe, die mit den Vorteilen der Schweiz und der schweizerischen Bankgesetzgebung zu tun haben, sondern vor allem mit der frustrierenden Lage in Deutschland. Alle vier Minuten verlässt ein Deutscher sein Land, klärt uns Wolfram Weimer, Chefredaktor von "Cicero", das Magazin für politische Kultur, auf. An jedem einzelnen Tag verliert Deutschland ein ganzes Dorf, womit die Zahl der Auswanderer in Dimensionen vorstösst, wie seit 120 Jahren nicht mehr. Es sind die Besten und Jüngsten, die es satt haben und gehen. Deutschland leidet nicht an einer Elendsflucht, sondern an einem Exodus des gebildeten Mittelstandes. Das Durchschnittsalter der Auswanderer beträgt 32 Jahre, es sind junge Ärzte und Ingenieure, Wissenschaftler und Facharbeiter, Handwerker, Techniker und ehrgeizige Dienstleister. Nach Angaben der OECD verliert Deutschland besonders viele Akademiker. Der Migrationsforscher Klaus Bade warnt denn auch unmissverständlich: Deutschland befindet sich in einer migratorisch suizidalen Situation. Während der Sozialstaat hunderttausend Unqualifizierter aus den Randzonen Europas anzieht, fühlen sich die jungen Vertreter des Leistungsmittelstandes im Lande immer fremder. Anderswo geht es ihnen besser. Das ist für die Deutschen, die sich über Jahrzehnte hinweg als die Wirtschaftswunderklassenbesten einstuften, eine schockierende Erfahrung. Während wir uns, so Wolfram Weimer, endlos mit den Extremen von oben (Topmanager und deren Gier) und unten (Mindestlohn-Empfänger und gewalttätige Migrationsjugendliche) auseinandersetzen, öffnet sich ein Bruch der Gesellschaft in der Mitte. Die Politik erörtert über Jahre, wie man den Wohlstandskuchen noch ein bisschen "gerechter" verteilen könnte, doch unterdessen flüchten diejenigen aus der Küche, die den Kuchen backen sollen. Sie zahlen immer höhere Abgaben, erleben Wohlstandsverluste, werden von Radarfallen bis Steuererklärungen schikaniert, schicken ihre Kinder in schlechte Schulen und werden dem Wettbewerbsdruck der Globalisierung mit viel weniger Schutz ausgesetzt als die ganz unten und ganz oben. Die Flucht aus der Heimat entpuppt sich in Deutschland als eine Volksabstimmung mit den Füssen, ein Notruf aus der Mitte der Gesellschaft. Die Auswanderer revoltieren und krakeelen nicht, sie haben keine Gewerkschafts- oder Politkampagne hinter sich, sie gehen einfach still und leise fort. Über das Wechselspiel von Angst und Identität schreibt Dominique Moisi, Professor für Politikwissenschaften an der Harvard Universität: "Mehr denn je wird Angst zur beherrschenden Kraft in der europäischen Politik der vergangenen Jahrzehnte. Und es handelt sich nicht um eine abstrakte, undefinierte Angst. Es geht vor allem um die Angst vor den nichteuropäischen "Anderen", die, von einer wachsenden Zahl "weisser" Europäer, als Bedrohung ihrer Identität und Lebensart, ja sogar ihrer Sicherheit und ihrer Arbeitsplätze wahrgenommen werden. Im Zentrum dieser Debatten steht das Thema Islam und Einwanderung.....Die Globalisierung und die mit ihr einhergehende Orientierungslosigkeit löst in vielen Menschen eine nervöse Suche nach ihrem Selbstwert aus. Je weniger die Menschen von ihrer Zukunft überzeugt sind, desto stärker tendieren sie dazu, sich hinter ihrer vermeintlichen Identität zu verbarrikadieren. Wenn jemandem das Vertrauen in die eigene Fähigkeit fehlt, die Herausforderungen der Moderne zu meistern, zieht er sich in sich selbst zurück und konzentriert sich darauf, wer er ist, anstatt darauf, was er mit anderen zusammen erreichen will. Nun möchte ich hier noch ein Thema an den Tisch bringen, dem - leider - nur wenig Beachtung geschenkt wird: Die Notenbanken. Nur unabhängige Notenbanken können dauerhaft für Geldwertstabilität sorgen, das war die wichtigste Lehre aus der "grossen Inflation" der 70er- und 80er-Jahre. Nur Geldbehörden, die frei von politischen Weisungen sind und sich öffentlichem Druck widersetzen können, sind in der Lage, die manchmal schmerzhaften Entscheidungen zu treffen, die sich aufdrängen, um die Preisentwicklung unter Kontrolle zu halten Nun räumt die verheerende Krise mit dieser Erkenntnis Zentralbanken rutschen mehr und mehr in die Logik der Politik. ab. Die Schaffen sie es, eine Wiederkehr der "grossen Inflation" zu unterbinden? Eines scheint offenkundig: Die Operation "Exit" ist politisch nicht zu schaffen. Denn der Druck, die geldpolitischen Zügel möglichst lange schleifen zu lassen, wird enorm sein. In den USA liegt die Arbeitslosenrate bei 10 %, ein schmerzlich hoher Wert in einem Land mit grobmaschigem sozialen Netz. In Europa sind einige Euro-Staaten böse angezählt - Staatsbankrotte sind keine abwegigen Aussichten. Um unter diesen Bedingungen eine sich abzeichnende Teuerungsdynamik energisch einzudämmen, bedarf es Notenbanken, die sich völlig abnabeln können von kurzfristigen politischen Interessen. Denn der Entzug von Liquidität wird die Wirtschaft und den Beschäftigungsaufbau gehörig bremsen. Das ist extrem unpopulär. Geben wir uns keiner Illusionen hin: Die Notenbanken werden an der aufziehenden Ära schwachen Wachstums nicht viel schrauben können. Durch die heute schwelende Strukturkrise schrumpft der fundamentale Wachstumstrend: Das deutsche Potentialwachstum hinkt nach Schätzungen bei historisch tiefen 0.7 %, im Euroland insgesamt kriecht der Wert auf knapp über 1 %, in den USA vielleicht noch etwas höher 1.5 % bis 1.75 %. Enttäuschende Zahlen, die zudem mit beträchtlicher Unsicherheit behaftet sind. Eine Notenbank, die versucht, Wachstum und Beschäftigung über den gesunkenen Trend zu heben, wird Inflation ernten. So war es in den 70erJahren, als die meisten Währungshüter und Staaten nicht erkannten - oder nicht erkennen wollten -, dass sich der Wachstumstrend im Kielwasser explodierender Ölpreise abstumpfte. Sie schürten das Phänomen der "Stagflation" - zweistellige Inflationsraten bei steigender Arbeitslosigkeit. Einverstanden, diesmal wird nicht alles genauso verlaufen wie damals. Die Geschichte wiederholt sich nicht, schon gar nicht eins zu eins. Und doch: Die Volkswirtschaften des Westens sollten sich auf so manches Déjà-vu-Erlebnis einstellen. Wir dürfen nicht so tun, als wäre da nichts. Noch selten dürfte an der US-Notenbank so viel herumgemäkelt worden sein. Dem Fed werden Fehler in der Geldpolitik sowie Versäumnisse in der Aufsicht vorgeworfen. Daraus nähren sich Zweifel, ob der Ausstieg aus der viel zu lockeren Geldpolitik gelingen wird. In einem äusserst bemerkenswerten Aufsatz legt uns Walter Meier, NZZKorrespondent in Washington, nahe, dass den USA der wirtschaftliche Abstieg drohe. Die USA gehen durch eine Phase des Selbstzweifels - ganz erstaunlich für ein Land, das sonst nur so von Optimismus sprüht. Bei einer Umfrage glaubten 55 % der Antwortenden das Land auf dem falschen Weg, und zwei Drittel fürchteten, dass es ihre Kinder einmal schlechter haben werden als sie selber. Und, so Meier, es fehle der politische Wille zu Korrekturen. Die politische Lähmung in Washington ist um so bedenklicher, als sich die USA wie Europa auch - zwei singulären Entwicklungen gegenübersehen, die Problemlösungen erschweren. Das eine ist die zunehmende Überalterung der Bevölkerung, eine Situation, mit der umzugehen man keine Erfahrung sammeln konnte. Das andere ist die Globalisierung mit einem unglaublich verschärften Konkurrenzdruck von aussen. Das lässt Amerikas Schwächen deutlicher hervortreten als zu Zeiten seiner unbestrittenen Vormachtstellung. Was wir in den letzten Monaten durchlebten, mündet zweifelsohne in tiefgreifende Veränderungen. Dazu einige Stichworte: Ausschweifende Staatsschulden gekoppelt an höhere Steuern: Es sind nicht nur weltumspannende Rettungsmassnahmen, welche Löcher in den Staatshaushalten aufreissen. Dazu zählen auch vollmundige Versprechen für die soziale Wohlfahrt, die in den meisten Ländern nicht finanziert sind. Schlechtere Rahmenbedingungen: Wer zahlt, befiehlt. Der Staat eilte zu Hilfe. Jetzt erwarten die Bürger, dass er mitredet und etwas ändert. Gnadenloser Abwertungswettbewerb: Weit und breit finden wir kein Land, das sich eine starke Währung wünscht - auch die Schweiz nicht. Machtverschiebung nach Asien: Mit Ausnahme von Japan - keine gravierenden Schuldenprobleme. Anschwellende Inflation: Lassen wir uns von der trügerischen Ruhe an der Preisfront nicht einlullen. Die Teuerung kehrt zurück. Warum? Weil sich die Weltwirtschaft durch die Krise grundlegend wandelt. Steigende Zinsen Wir müssen uns in einem grundlegend neuen Umfeld neu einrichten. Übersteigertes Machtbewusstsein führender Staaten verknüpft mit weniger stabilen, weniger abschätzbaren Rahmenbedingungen stellen Bürger und Kapitalanleger vor gehörige Herausforderungen.