Modellvorstellungen zum Gedächtnis net werden. Je nach Forschungsansatz unterscheidet man z. B. zeitbezogene oder inhaltsbezogene Modelle. 1 Gedächtnisleistung Als Gedächtnis bezeichnet man die Fähig‑ keit des Gehirns, Informationen aufzuneh‑ men, zu speichern und wieder abzurufen. Informationen werden jedoch niemals so wiedergegeben wie sie aufgenommen wurden, da sie mit bereits vorhandenen Informationen verknüpft werden. Das Gedächtnis ist im Gehirn verortet. Durch bildgebende Verfahren können Vorgänge während des Lernvorgangs einzelnen Gehirnabschnitten zugeordnet werden. Die komplexen Funktionen und Zusam‑ menhänge dieser einzelnen Erkenntnisse werden mit Modellvorstellungen erklärt, welche die Daten zu einem sinnvollen vereinfachten Erklärungsmuster zusam‑ menführen. Es gibt daher je nach Frage‑ stellung zu verschiedenen Zusammen‑ hängen unterschiedliche Modelle. Diese gehen von mehreren Speichern aus, denen unterschiedliche Funktionen zugeord‑ Zeitbezogenes Gedächtnismodell Die verschiedenen Speicher werden bei der Abspeicherung unterschiedlichen Zeitfaktoren zugeordnet (Abb. 2): – Das sensorische Gedächtnis (Ultrakurzzeit‑ gedächtnis) speichert die in Form von Reizen aufgenommenen Informatio‑ nen nur innerhalb der verschiedenen Sinnesorgane (1). Die Reize führen zu Erregungen, die eine halbe bis mehrere Sekunden zur Verarbeitung bereitge‑ stellt werden. – Im Arbeitsgedächtnis, das aus zeitlicher Sicht auch dem Kurzzeitgedächtnis zu‑ geordnet wird, bleiben die Informatio‑ nen ca. 10 Sekunden bis einige Minuten. Je nach Interessenlage und Stimmung werden die Informationen bewertet und erhalten mit den bereits gespeicherten Informationen eine Bedeutung (2). Die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses bleibt jedoch nur auf wenige Informati‑ onseinheiten beschränkt. Lernuntersu‑ chungen zu der Lernkapazität zeigten, dass 7 plus / minus 2 als Begriffe oder Zahlen gespeichert werden können, der Rest geht verloren. Die neuen Informati‑ onen werden mit bereits gespeicherten verknüpft. Neue Informationen werden besonders dann weitergeleitet, wenn Assoziationen dazu vorhanden sind. Werden diese Informationen im Arbeits‑ gedächtnis nicht mit Inhalten aus dem Langzeitgedächtnis verknüpft (assoziiert) oder wird man abgelenkt, sind sie für immer verloren. 1 Gedanken Langzeitgedächtnis 3 sensorische Verarbeitung: Gefühle Auge Reize Ohr 2 Arbeitsgedächtnis Handlungen Nase Hand Kurzzeitgedächtnis 2 ZeitbezogenesGedächtnismodell 144 Neurobiologie Damit eine im Arbeitsgedächtnis abge‑ speicherte Information ins Langzeitge‑ dächtnis vordringen kann, muss sie also gefestigt werden, d. h. mit Assoziationen verknüpft oder so lange wiederholt werden, bis eine kritische Schwelle zum Langzeitgedächtnis überschritten ist. Die neue Information wird im Langzeit‑ gedächtnis dauerhaft verankert. Erinnern wir uns nicht mehr an hier gespeicherte Informationen, kann dies daran liegen, dass sie von anderen Informationen überlagert werden oder der Vorgang des Abrufens gehemmt wird. Gleichzeitig werden sie mit Emotionen verbunden. Der Lernprozess und auch das Abrufen der ge‑ speicherten Informationen ist immer an Emotionen gebunden. Diese spielen eine Rolle bei der Einschätzung der Bedeutung‑ von aufgenommenen Reizen (3). Inhaltsbezogenes Gedächtnismodell Die verschiedenen Speicher (Abb. 3) werden unterschiedlichen inhaltlichen Strukturen zugeordnet: – Im episodischen Gedächtnis sind alle von uns bewusst erlebten Lebensepisoden gespeichert: der erste Kuss, der Tod eines Freundes, die Ferien oder ein schö‑ ner Kinoabend. Es ermöglicht uns den Blick in unsere Vergangenheit auf der Zeitebene und ordnet hierbei das Erlebte Räumen und Orten zu. Informationen werden in das episodische Gedächtnis erst dann eingespeichert, wenn sie im perzeptuellen und Wissensgedächtnis bereits verarbeitet wurden (Abb. 3). – Das Wissensgedächtnis beinhaltet Fakten, wie das Schul‑ und Allgemeinwissen. Hier werden bewusst Informationen gespeichert. Diese haben im Gegensatz zu den Informationen im episodischen Gedächtnis keinen Bezug zu unserem Raum‑ Zeitgefühl. Sie werden ohne Kontextbezug als reine Wissensfakten abgelegt. – Das perzeptuelle Gedächtnis ermöglicht uns das bewusste Erkennen von Ge‑ genständen oder der Umgebung durch Einordnung in eine Familiarität, wie Fahrzeuge als Auto erkennen, weil man schon viele Autos gesehen hat. Verän‑ derte Strukturen lassen sich mit diesem Gedächtnis gut und effizient zuordnen. Dadurch sind wir in der Orientierung flexibel. Ein Wiedererkennen und eine Orientierung wäre ohne perzeptuelles Gedächtnis nicht möglich. Diese Zusam‑ menhänge wurden mit unvollständigen Darstellungen an Testpersonen unter‑ sucht (s. Randspalte). – Im unbewussten Bereich ist das prozedu‑ rale Gedächtnis angesiedelt. Hier werden Fertigkeiten gespeichert. Diese können rein motorischer Natur sein wie das Radfahren oder aber komplexere Struk‑ turen beinhalten, wie sie z. B. für die Tätigkeit des Schreibens und Autofah‑ rens notwendig sind. Viele Handlungen und Tätigkeiten des täglichen Lebens sind hier eingespeichert, ohne dass sie uns noch bewusst werden. – Beim Priming werden unbewusst bereits bekannte Strukturen anhand von ihren Teilen zusammengesetzt. Man hört das Geräusch eines Helikopters und ohne ihn zu sehen, haben wir sein Bild im Kopf. Man kennt nach den ersten Noten eines Liedes die ganze Melodie, ein herabgefallenes Laubblatt wird einem Baum zugeordnet. Im Gegensatz zum perzeptuellen Gedächtnis, liegen hier keine bewussten Vorgänge vor. 1 2 3 BildeinerLokomotive A1 $ ErstellenSieeineMind-MapinderSie dieTeiledesinhaltsbezogenenGedächtnismodellsbewusstemundunbewusstem Lernenzuordnen. Langzeitgedächtnis episodisches Gedächtnis perzeptuelles Gedächtnis Wissensgedächnis Eis Dichteanomalie Arbeitsgedächtnis 0 °C 3 InhaltlichesGedächtnismodell 145 Material Intraspezifische und interspezifische Konkurrenz Territorien bei Austernfischern 3 AusternfischermitJungvögel 1 Austernfischer Austernfischer sind Vögel, die an der Nord‑ seeküste auch im Bereich des Watten‑ meers leben. Ihre Lebenserwartung liegt bei ca. 35 Jahren. Ihre Nistplätze bauen sie im Bereich des Strands oder der dahinter liegenden Wiesen. Die Gelegegröße liegt bei 4 bis 7 Eiern. Austernfischer ernäh‑ ren sich von kleinen Muscheln, Krebsen, Schnecken und Würmern, die sie im Gezei‑ tenbereich finden (Abb. 3). Ein Teil der Austernfischerpärchen ver‑ teidigt sowohl ein Nistterritorium in den Salzwiesen weiter im Inland und ein Nah‑ rungsterritorium im Watt. Diese wurden in der Untersuchung als Springer bezeichnet, da sie die Nahrung für die Jungvögel ständig zwischen den weiter auseinander liegenden Territorien transportieren müs‑ sen. Die Jungvögel können den Eltern erst ins Watt folgen, wenn sie flügge sind. Bei einem anderen Teil der Austernfischer‑ pärchen liegen die beiden Territorien nebeneinander in der Nähe des Watts. Diese Pärchen wurden als Ansässige be‑ zeichnet (Abb. 2). Das Gelege befindet sich in direkter Nähe zum Nahrungsterritorium. Die etwas größeren Küken können den Eltern die kurze Strecke zum Watt folgen. Hier werden sie direkt gefüttert oder er‑ lernen Techniken, um das Futter zu suchen und Muscheln und Schnecken zu öffnen. Gemessen wurde bei den Untersuchungen der Bruterfolg in den Monaten Mai und Juni in einem bestimmten Küstenbereich (Abb. 4). Gleichzeitig wurde die Zeit gemessen, welche die einzelnen Pärchen für den Flug zur Fütterung der Jungvögel benötigten und die Menge des Futters, welche den Jungvögeln gebracht wurde (Abb. 5). flügge Junge pro Paar Die Nistplätze sind besonders umkämpfte Reviere (Territorien). Ab dem vierten Lebensjahr können Austernfischer mit dem Brüten beginnen. Die Bedeutung ver‑ schiedener Territorien für Austernfischer wurde an der niederländischen Küste über mehrere Jahre wissenschaftlich unter‑ sucht. Bei den Untersuchungen stellte man fest, dass bei den Austernfischern sowohl Nistterritorien als auch Nahrungs‑ territorien existieren. Diese Territorien verteidigen sie ihr Leben lang. 1,0 Ansässige 0,8 0,6 0,4 Seepocken haben Territorien 6 SeepockeimGehäuse Seepocken gehören zu den Krebsen. Sie sind sessile Tiere, die mit dem Untergrund fest verwachsen sind. Sie können daher als adulte Tiere ihren Standort nicht mehr wechseln (Abb. 6). Die Ernährung erfolgt während der Flut, indem die mit feinen Borsten besetzten Beine eine Fangreuse bilden, mit denen sie Plankton aus dem Wasser filtern (Abb. 7). Springer 0,2 0 Mai Juni Zeitpunkt der Beendigung der ersten Brut 4 MessungenzumBruterfolg gebrachtes Futter (g Trockengewicht) Konkurrenz ist eine Wechselbeziehung, in der ein Organismus eine Ressource verbraucht die dadurch anderen Organismen nicht mehr zur Verfügung steht. Begrenzte Ressourcen spielen hierbei eine besondere Rolle. Konkurrenz kann sowohl intraspezifisch zwischen Individuen einer Art als auch interspezifisch zwischen Individuen verschiedener Arten auftreten. Die interspezifische Konkurrenz kann zur Reduktion der Abundanz, der Fruchtbarkeit und der Überlebenswahrscheinlichkeit einer Art führen. Wissenschaftliche Untersuchungen an der atlantischen Felsküste beschäftigten sich mit der Besiedlung von zwei Seepocken‑ arten: der Sternseepocke (Chthamalus stellatus) und der gemeinen Seepocke (Balanusbalanoides). Beide Arten sind auf dem Untergrund aufzufinden. Man findet sie jedoch in verschiedenen Höhen der Gezeitenzone (Abb. 8). Dies hängt mit unterschiedlichen Empfind‑ lichkeiten gegen das Austrocknen zusam‑ men. 12 10 Seepocken sind Zwitter, die nur einen Fortpflanzungserfolg aufweisen, wenn sie dicht nebeneinander auf dem Untergrund festsitzen. Der ausgestülpte Penis kann dann in die Mantelhöhle des benachbar‑ ten Tieres eindringen und die Eier befruch‑ ten. Die Larven schlüpfen aus den Eiern und verlassen die Gehäuse der Elterntiere. Sie schweben im Wasser und verbreiten sich in der Umgebung. Größere Individuen haben mehr Nachkommen als kleinere. Ab einem bestimmten Alter benötigen sie einen festen Untergrund, an dem die Strömung nicht zu groß ist. Die Larve wächst mit ihrem Kopf auf dem Unter‑ grund fest und entwickelt sich zur adulten Seepocke. Hierzu scheidet sie Kalkplatten ab, die ein kegelförmiges Gehäuse bilden. Zwei Platten bilden einen Deckel, mit dem die Seepocken sich gegen Austrocknung schützen. Die Höhenlage wurde durch die mittleren Wasserstände der verschiedenen Gezeiten (Tide) festgelegt: — MHWS: mittlerer Hochwasserstand bei Springtide — MNWS: mittlerer Niedrigwasserstand bei Springtide — MW: mittlerer Wasserstand Tide sind die Gezeiten mit Ebbe und Flut. Bei der Springtide fallen durch eine beson‑ dere Stellung von Sonne, Erde und Mond die Unterschiede zwischen Ebbe und Flut intensiver aus. Die Untersuchungen wurden durch Kartie‑ rungen der Larven von Sternseepocken er‑ gänzt, die sich an den Felsen festsetzten. Diese wurden besonders in der Zone der gemeinen Seepocken ausgezählt. Hierbei wurde an mehreren Stellen unabhängig von der Höhe der Kontakt zu den gemei‑ nen Seepocken künstlich unterbunden. Die Ergebnisse zeigten, dass bei diesen Exemplaren die Höhenbeschränkung der Sternseepocken nicht vorhanden war. Die Überflutungsdauer kann daher keine Rolle spielen. Beobachtungen in diesen Bereichen zeigten, dass die gemeine Seepocke die jungen Sternseepocken überwuchert oder zerdrückt. Sternsee‑ pocken, die trotzdem überlebten, blieben kleiner als die übrigen Individuen, was sich auf die Fruchtbarkeit auswirkt. Ansässige 8 7 NahrungsaufnahmederSeepocke 6 Springer 4 gemeine Seepocke 2 S161045455_G184_04 Ingrid 0Schobel 0 1000 2000 3000 im Flug verbrachte Zeit (s) 4000 Sternseepocke MHWS 5 MessungenzurFuttermenge Nistplatz Springer 0 Nistplatz Nahrungsterritorium Ansässige 50 100 m 2 KüstengebietmitNist-undNahrungsterritorien 184 Ökologie Nahrungsterritorium Springer A1 0 Beschreiben Sie die Abb. 2 und erklären Sie mithilfe des Textes den Unterschied zwischen den Springern und den Ansässigen. A2 $ Beschreiben Sie Abb. 4 und 5 und erklären Sie die Ergebnisse der Unter‑ suchungen. A3 . Erläutern Sie anhand der Springer S161045455_G184_05 Ingridund Schobel der Ansässigen die biologische Bedeutung der Verteidigung von Territorien unter dem Aspekt der Konkurrenz. MW 8 GezeitenzoneanderFelsenküste A4 0 Beschreiben Sie die verschiedenen Messergebnisse in Abb. 8. A5 $ Fassen Sie die Untersuchungen MNWS Ausintraspezifische adulte Larven adulte Larven trocknung Konkurrenz Tiere Tiere Verteilung relative Auswirkungen dieser Faktoren Verteilung 8 SeepockenverteilunginderGezeitenzonederFelsküste Ausintraspezifische trocknung Konkurrenz mit der gemeinen Seepocke relative Auswirkungen dieser Faktoren und deren Ergebnisse in einem zusam‑ menfassenden Bericht zusammen. A6 . Erläutern Sie anhand der Unter‑ suchungen, ob unterschiedliche Umweltbedingungen zu der Trennung der beiden Arten führen oder ob die interspezifische Konkurrenz die aus‑ schlaggebende Rolle spielt. 185 K- und r-Lebenszyklusstrategie Dispersion — Verteilungsmuster in Populationen 1 WaldnachBrand 2 Neubesiedelung2JahrenachWaldbrand Jährlich gibt es in Deutschland mehrere Hundert Waldbrände. Der größte Teil ist auf menschliche Einflüsse zurückzufüh­ ren. Selten sind Blitzeinschläge verant­ wortlich. Bereits nach zwei Jahren sind die Flächen wieder stark besiedelt. Sterblichkeit ist in jeder Altersphase hoch. Ihre Populationen weisen hohe Wachs­ tumsraten auf und sie schwanken häufig. Dagegen gibt es Lebewesen, die ihre Biomasse in die Sicherung der eigenen Existenz investieren. Diese sind häufig konkurrenzstärker und langlebig. Die Populationsgröße solcher Arten bewegt sich nahe an der durch die Ressourcen begrenzten Kapazitätsgrenz K: sie werden deshalb K­Strategen genannt. Die einem Lebewesen zur Verfügung stehende Ener­ gie ist begrenzt. Sie wird artspezifisch unterschiedlich investiert. Die optimale Strategie zum Überleben von Populationen hängt wesentlich von der Konstanz der Lebensbedingungen ab. So beherbergt ein See mit seinen gleichbleibenden Lebensbe­ dingungen überwiegend K­Strategen wie Fische. Eine Pfütze dagegen existiert nur kurze Zeit; sie wird von r­Strategen wie Einzellern und Wasserflöhen besiedelt. Neubesiedlung Durch einen Waldbrand werden viele Samen des Bodens zerstört. Sameneintrag von außerhalb spielt bei der Sekundärbe­ siedlung eines Waldes häufig eine große Rolle. Aus diesem Grund unterscheidet sich die Pioniervegetation meist von der ursprünglichen Waldvegetation. Als eine der ersten Pflanzen nach einem Brand fin­ det man das Waldweidenröschen. Wie alle Pionierarten kann sich das Waldweiden­ röschen schnell ausbreiten. Eine einzige Pflanze produziert in Kapseln mehrere 10 000 Samen, die aufgrund kleiner Härchen gut vom Wind verbreitet werden können. Zudem kann sich die Pflanze vegetativ über die Wurzeln ausbreiten. r-Strategie K-Strategie Lebensdauer kurz lang Zeit bis zur ersten Reproduktion kurz lang Zahl der Nachkommen viele wenige Elterliche Fürsorge keine häufig sehr ausgeprägt Entwicklung schnell langsam Masse gering hoch Sterblichkeitsrate hoch niedrig Umweltbedingungen wechselhaft konstant Populationsgröße variabel < K nahe bei K Waldweidenröschen Die starke Ausbreitung ist aber nur von kurzer Dauer. Im weiteren Verlauf domi­ nieren konkurrenzstärkere, langsamer wachsende Sträucher und Bäume, die den Boden beschatten. Nachkommenanzahl Organismenarten, die ihre Biomasse überwiegend in Fortpflanzungsprodukte investieren, die deshalb viele Nachkom­ men haben, dafür aber weniger Energie in Dauerhaftigkeit investieren, bezeichnet man als r­Strategen (engl. r = rate). Sie sind durch Kurzlebigkeit gekennzeichnet. Die 200 Ökologie 3 Merkmalevonr-undK-Strategen Individuen breiten sich aus und entfernen sich dadurch voneinander. Die Ausbrei­ tung kann passiv, z. B. durch Windver­ teilung bei Samen oder aktiv z. B. durch Tierwanderungen erfolgen. Dies führt zu einer Verteilung der Individuen inner­ halb einer Population. Die Anzahl der Individuen in einer Population und deren Verteilung spielen eine wichtige Rolle bei Freilanduntersuchungen, z. B. bei Lebens­ zyklusstrategien oder Sukzessionen. Die beobachteten räumlichen Verteilungs­ muster der Individuen in ihrem Lebens­ raum bezeichnet man als Dispersion. Man unterscheidet drei Haupttypen, die jedoch ineinander übergehen können: die zufäl­ lige, die regelmäßige und die aggregative (geklumpte) Verteilung (Abb. 2). Verschiedene Perspektiven Die Verteilungsmuster sind durch die relative Lage der einzelnen Individuen zueinander definiert. Bei verschiedenen Beobachtungsmaßstäben kann es jedoch variieren. Betrachtet man Blattlauspopu­ lationen großräumig, sind sie auf Bäume im Wald aggregiert. Betrachten wir die Population auf den Blättern eines Baumes, erscheint die Verteilung eher zufällig. Bei der Untersuchung der Populations­ dichte in einer Population spielen diese Zusammenhänge eine große Rolle für die jeweiligen naturwissenschaftlichen Fragestellungen. 3 2 1 aggregativ regelmäßig zufällig 2 DispersionvonIndividuen Flächenraster zum Auszählen Unter der Individuendichte einer Popu­ lation wird die Zahl der Individuen pro Fläche angegeben. Man kann diese ermit­ teln, indem ein Flächenraster auf das zu untersuchende Gebiet aufgelegt wird. In dieses werden die gefundenen Individuen eingetragen (Abb. 1). Die roten Punkte stel­ len einzelne Individuen dar. Im Quadrat 1 sind es fünf Individuen, in Quadrat 2 sind es zwei und in Quadrat 3 ist kein Individu­ um vorhanden. Gründe für unterschied­ liche Anzahlen können in vielen Faktoren liegen, wie z. B. in der Nachkommensrate, der Sterberate oder der Ein­ und Auswan­ derung einzelner Individuen. S161045455_G201_03 Ingrid Schobel A1 $ Untersuchen Sie auf dem Schulhof 1 IndividuenaufeinerbestimmtenFläche während der Pause in einem festgelegten Raster die Anzahl der verschiedenen Individuen und ordnen Sie sie begründet einem Disperionstypus zu. 201 3 Wochen 2 Wochen 1 Woche 5 °C 1 SchmalblättrigesWeidenröschen Licht ist nicht nur als Energiequelle bei der Fotosynthese ein entscheidender Faktor, sondern z. B. auch als abiotischer Faktor bei der Erwärmung in Ökosystemen oder bei der Steuerung der Jahresrhythmik. Waldlichtungen Die meisten einheimischen Wälder sind in eine Baum-, Strauch- und Krautschicht unterteilt, die jeweils durch unterschiedliche Lichtverhältnisse charakterisiert ist. Zusätzlich findet man in einem Wald Lichtungen, die durch das Absterben von Bäumen oder Windbruch entstanden sind. Die erhöhte Lichtintensität in den Waldlichtungen führt zu einer Erwärmung des Bodens. Die Aktivität von Bodenorganis- 3 Frühblüher(Buschwindröschen)imWald 214 Ökologie 8 °C 10 °C Bodentemperatur 20 °C 2 ZersetzungvonHumus men ist abhängig von der Temperatur des Bodens. Bei dem Abbau der abgestorbenen organischen Substanz auf dem Waldboden, dem Humus werden Stickstoffverbindungen freigesetzt. Diese führen zu einem verstärkten Wachstum Stickstoff liebenS161045455_G214_02 der Pflanzen. Häufig auftretende Pflanzen Ingrid Schobel in den Lichtungen sind entsprechend Stickstoff liebender Kräuter Sollte wie z. B. dasnoch ((Was bedeutet die Kurve?? evtl. schmalblättrige Weidenröschen benannt werden, oder??)) (Abb. 1) oder der rote Fingerhut. Frühblüher Der jahreszeitliche Klimarhythmus bedingt in den Laubwäldern Mitteleuropas eine typische Abfolge unterschiedlicher Lichtverhältnisse. Im Frühjahr beginnt die Belaubung, die im Herbst endet. Diese Veränderung der Belaubung in den einzelnen Schichten des Waldes führt im Jahresverlauf zu unterschiedlichen Lichtwerten in den verschiedenen Schichten und am Waldboden (Abb. 5). Die Belichtungsintensitäten sind in Langley angegeben. 1 Ly entspricht 11,6 kWh/mm 2. Im Frühjahr ist mit 50 Ly ein Teil der Belichtung bis zum Waldboden messbar. Dieser Wert sinkt schnell mit der zunehmenden Laubentwicklung in den Baumkronen und ist nur noch in anderen Höhen messbar. Bereits im Vorfrühling vor der Blattentfaltung der Bäume blühen in der Krautschicht die Frühblüher. Im Sommer findet man hauptsächlich noch Schattenpflanzen, die oberirdischen Pflanzenteile der Frühblüher sterben ab. In den unterirdischen Energiespeicher für Frühblüher Buschwindröschen sind krautige Pflanzen die bis zu 25 cm groß werden und im Frühsommer bereits absterben. Sie besitzen ein unterirdische Speicher- und Überdauerungsorgan, das Rhizom (Abb. 4). An diesem sitzen Überdauerungsknospen die im Frühjahr zur neuen Pflanze auswachsen. Der Bärlauch ist eine Zwiebelpflanze. In der Zwiebel werden ähnlich wie im Rhizom die Reservestoffe für das nächste Jahr gespeichert. Auch beim Bärlauch sterben die oberirdischen Pflanzenteile bereits im Frühsommer ab. Während der lichtreichen Zeit im Wald betreiben die Frühblüher intensiv Fotosynthese. Ein Teil der Fotosyntheseprodukte wird als Speicherstoffe in den Rhizomen und Zwiebeln gespeichert. Licht- und Schattenpflanzen Laubblätter sind für die optimale Lichtabsorption gut angepasst. Die linsenförmigen Epidermiszellen fokussieren das Licht auf die darunterliegenden Palisaden- oder Schwammgewebezellen. Das nicht absorbierte Licht wird an den Zellen des Schwammgewebes gestreut und hat durch den verlängerten Lichtweg eine verbesserte Absorption. Schattenpflanzen können schon bei niedrigeren Belich- 200 150 250 300 350 400 450 450 350 400 300 250 Bestrahlungsintensität (ly/Tag) 200 40 150 Pflanzenteilen speichern sie energiereiche Reservestoffe für das nächste Frühjahr. Zu den Frühblühern gehören z. B. das Buschwindröschen oder der Bärlauch. 4 Wochen Höhe über dem Waldboden (in m) Umwandlungszeit von Humus (rel. Werte) Licht und Schatten im Wald 35 30 25 20 15 10 100 5 50 0 Winter 50 Frühling Sommer Herbst Winter 5 BestrahlungsintensitätinverschiedenenHöhen tungsintensitäten einen höheren Kohlenstoffdioxid-Gewinn für die Glucosesynthese erzielen als Sonnenpflanzen. Dies wird durch den unterschiedlichen Blattaufbau ermöglicht: Blätter von Schattenpflanzen haben ein großes Schwammgewebe. Das Palisadengewebe der Schattenblätter ist einschichtig und besteht aus Zellen mit einer niedrigeren Chloroplastenanzahl. S161045455_G184_02 Ingrid Schobel Die Sonnenblätter haben hingegen viele Palisadenzellen. Beinahe sämtliche Zellen im Blattgewebe sind als Palisadengewebe ausgebildet. Blätter von Sonnenpflanzen haben eine große Menge an Proteinen im Calvinzyklus für die Synthesereaktion. Sie haben jedoch kleinere Lichtsammelkomplexe pro Fotosynthesesystem. Die Anzahl der Granastapel in den Chloroplasten ist bei den Schattenpflanzen stärker ausgeprägt als bei den Sonnenpflanzen und der Lichtkompensationspunkt ist geringer, bei dem sie noch eine Kohlenstoffdioxid aufnehmen können. A1 $ BeschreibenSieAbb.2underläutern Sie,weshalbaufWaldlichtungenstickstoffliebendePflanzenverstärktauftreten. A2 $ BeschreibenSieAbb.5underläutern SiedieMesswerteimJahresverlauf. A3 0 ErstellenSieeineTabelleundgebenSie Rhizom 4 Buschwindröschen—Rhizom dieUnterschiedezwischenSonnenpflanzenundSchattenpflanzenan. Bärlauch 215 Übungen Ökologie 1Wechselbeziehungen 2Wechselbeziehungen 3Laubwald Der Wissenschaftler Timothy Wootton führte Experimente in der Gezeitenzone an der Nordwestküste der USA durch. Mithilfe von 10 m2 großen Drahtnetzen hielt er Beringsmöven und Braunmantel-Austernfischer aus den Gebieten fern, in denen er Veränderungen in der Zusammensetzung der Schneckenarten im Felsenwatt untersuchen wollte. In den untersuchten Gebieten findet man auf dem felsigen Untergrund verschiedene Napfschneckenarten, wie Lottia pelta, Lottia strigatella, Lottia digitalis sowie große Flächen mit Entenmuscheln und Miesmuscheln. Auf dem Untergrund wachsen zudem verschiedene festsitzende Algenarten. Die Waldkiefer wächst an vielen Standorten und ist eine der meist verbreiteten Baumarten Deutschlands. Der Grund liegt darin, dass sie tolerant gegenüber vielen Böden und Klimaten ist. Mit ihrer Pfahlwurzel dringt sie zu tiefer liegenden Wasserschichten vor. In unseren Breiten hat der Laubwald zu jeder Jahreszeit ein anderes Gesicht. Der Ökologe bezeichnet das jeweilige Erscheinungsbild der Biozönose als deren Aspekt. relative Einheiten in % 3 Napfschnecken 4 Festsitzende Alge A1 $ Erklären Sie anhand der Daten in der Abbildung 5 die Veränderungen, die durch das Fernhalten der Beringsmöwen und Braunmantel-Austernfischer zustande kommen. A2 . Erörtern Sie, weshalb während des Experimentes die Anzahl von Lottia pelta nicht zunimmt, obwohl sie von den Seevögeln als Beute bevorzugt werden. Benutzen Sie hierzu auch die untersuchten Zusammenhänge (1—7) zwischen den einzelnen Lebewesen. 262 Ökologie A3 $ Beschreiben Sie vergleichend die 5 Miesmuschel Häufigkeitsverteilung der Waldkiefer in Abhängigkeit vom Faktor Bodenfeuchte in Versuchsbeeten und an natürlichen Standorten nach Abb. 7 und Abb. 8. A4 $ Erklären Sie mit Bezug auf die Abbildungen die Begriffe ökologische Toleranz und ökologische Potenz und deuten Sie die Befunde unter diesen Aspekten. 11 Waldmeister A5 0 Beschreiben Sie den Frühjahrs-, 0 Sommer- und Herbstaspekt im Buchenwald. A6 $ Erläutern Sie mögliche Zusammenhänge der dargestellten abiotischen und biotischen Faktoren im Jahreslauf. Lichtintensität Kronenschicht Lichtintensität Krautschicht CO2-Assimilation der Sonnenblätter 10 Jahresgang im Buchenwald JAN FEB MRZ APR MAI JUN JUL AUG SEP OKT NOV DEZ Scharbockskraut Buschwindröschen Goldstern Hohler Lerchensporn Wald-Bingelkraut 200 L. pelta L. strigatella L. digitalis L. pelta L. strigatella relative Häufigkeit in % Anzahl der Napfschnecken pro m2 Vögel abwesend 400 L. digitalis 100 Waldmeister Bärlauch 50 50 Einblütiges Perlgras Waldziest 0 trocken frisch feucht feucht-nass nass 75 8 Häufigkeit im Versuchsbeet 25 Gewöhnliches Hexenkraut Erklärung: Auftreten der Pflanze Blütezeit 12 Blütenzeitdiagramm in krautreichen Rotbuchenwald 0 Entenmuscheln Miesmuscheln Entenmuscheln Miesmuscheln 8 4 0 festsitzende Algenarten 6 Felswattbiozönose festsitzende Algenarten relative Häufigkeit in % Bedeckung in % 50 7 Waldkiefer 0 Bedeckung in % Laubfall J F M A M J J A S O N D Jahreslauf Vögel anwesend Viele Untersuchungen zur Veränderung der Individuenzahl in diesen Gebieten zeigten folgende Zusammenhänge: 1. Die beiden oben genannten Vogelarten ernähren sich hauptsächlich von Entenmuscheln und Lottia pelta. 2. Miesmuscheln bilden auf freien Flächen große zusammenhängende Muschelbänke. 3. Lottia digitalis hält sich hauptsächlich auf Entenmuscheln auf. 4. Napfschnecken weiden Algen. 5. Lottia pelta lebt auf Miesmuscheln. 6. Lottia strigatella lebt in einer starken Konkurrenzsituation zu den beiden anderen Arten. 7. Muscheln filtrieren kleine Algen und frei schwimmende Nährstoffe. Laubentfaltung 100 1 Entenmuscheln 2 Austernfischer Jahresgang der Lichtintensität im Buchenwald und CO2-Assimilation der Sonnenblätter 100 50 0 trocken frisch feucht feucht-nass nass 9 Häufigkeit am natürlichen Standort 263