Sonderausgabe Erosion PROPHYLAXEdialog Zeitschrift für Oralprävention in der Praxis Erosion und Zahnabnutzung Prävalenz der Zahnabnutzung Befund, Diagnose, Risikofaktoren Prävention und Therapie Impressum / Inhalt / Editorial Editorial Herausgeber (V.i.S.d.P.): Gebro Pharma GmbH Bahnhofbichl 13 · 6391 Fieberbrunn Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, GABA International AG Grabetsmattweg · 4106 Therwil · Schweiz Medizinisch-wissenschaftliche Abteilung: Dipl.-Biochem. Bärbel Kiene mit einem Problem mussten sich unsere Urahnen offenbar nicht herumschlagen: mit erosiven Zahnhartsubstanzdefekten. Internet: Sowohl historische als auch prähistorische Schädelfunde lassen keine Hinweise auf Erosion erkennen, weshalb man diese Form des Verlustes von Zahnhartsubstanz auch als „moderne“ Erkrankung bezeichnen kann. www.gaba.at Die Meinung der Autoren muss nicht in jedem Fall der Meinung des Herausgebers entsprechen. Nachdruck und auszugsweise Veröffentlichung ist bei Quellenangabe gestattet. Hauptverantwortlich dafür ist die steigende Exposition gegenüber Säuren in Nahrungsmitteln als Folge unserer modernen Ernährungsgewohnheiten, welche das Milieu in der Mundhöhle nachteilig beeinflussen. Zinnreiche Schicht auf einer in situ getragenen Zahnschmelzprobe nach regelmäßiger Anwendung von elmex EROSIONSSCHUTZ Zahnspülung Ätiologische, pathogenetische und diagnostische Aspekte der Erosion werden in dieser Sonderausgabe von einer Reihe von Experten ausführlich beleuchtet. Hochinteressant der Beitrag über die anthropologische Sichtweise von Erosion und Zahnabnutzung! (Rasterelektronen-Mikroskopie) Inhalt elmex EROSIONSSCHUTZ wirksam gegen Dentinund Schmelzerosion Erosion und Zahnabnutzung – Eine anthropologische Sichtweise Dr. John A. Kaidonis, Adelaide, Australien 4 Was unterscheidet erosive Zahnhartsubstanzdefekte und Zahnkaries? Prof. Dr. Thomas Attin, Zürich, Schweiz 7 Prävalenz der Zahnabnutzung Prof. David Bartlett, London, Großbritannien 02 3 9 Die Sonderausgabe „Erosion“ des PROPHYLAXEdialogs ist zusammen mit den Literaturzitaten auch online unter www.gaba.com zu finden. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen! Dentale Erosionen: Befund, Diagnose, Risikofaktoren Prof. Dr. Adrian Lussi, Bern, Schweiz 13 Risikofaktoren und Leitlinien für die Risikoabklärung Dr. Annette Wiegand, Zürich, Schweiz 17 Methodik von Untersuchungen zur Zahnerosion Prof. Dr. Marie-Charlotte Huysmans, Nimwegen, Niederlande 19 Ernährung und Erosion Dr. Gerta van Oost, Dormagen 23 Essstörungen und der Kauapparat Dr. Ulrich Cuntz, Dr. Wolfgang Niepmann, Prien 26 Prävention und Therapie säurebedingter Zahnhartsubstanzverluste (Erosionen) Prof. Dr. Carolina Ganss, Dr. Nadine Schlüter, Gießen 31 Erosionsbekämpfung im Aufwind! 34 Integration der elmex EROSIONSSCHUTZ Zahnspülung in die Sekundärprophylaxe von Erosionen 36 Sonderausgabe 2011 Uns freut ganz besonders, dass wir Ihnen mit der elmex EROSIONSSCHUTZ Zahnspülung ein neues Produkt anbieten können, welches vor Zahnschmelzabbau durch Säureangriffe schützt. Die Wirkung wurde klinisch erfolgreich getestet. Eine kurze Darstellung der klinischen Prüfung finden Sie gleich am Beginn des Sonderdrucks. Mit freundlichen Grüßen Dr. med. Reinhold Unterwurzacher Scientific Affairs Gebro Pharma PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion elmex EROSIONSSCHUTZ wirksam gegen Schmelzund Dentinerosion In-situ-Studie belegt: Anwendung der Kombination Zinnchlorid und Aminfluorid erfolgreich gegen Erosion Erosive Zahnhartsubstanzdefekte entstehen durch das chronische Einwirken von Säuren nicht bakteriellen Ursprungs auf die Zahnoberfläche. Diese Säuren stammen entweder aus einer säurereichen Ernährung (exogen) oder aus dem Magen (endogen), z.B. bei Refluxerkrankungen. Während exogene Säureangriffe sich durch Änderung der Ernährungsgewohnheiten teilweise reduzieren lassen, sind die Zähne den Attacken endogener Säuren weitgehend schutzlos ausgeliefert. Die Prävention erosiver Zahnschäden liegt bislang im Wesentlichen in der frühzeitigen und differenzialdiagnostisch korrekten Erkennung von Erosionsfrühstadien sowie der Information und individuellen Beratung des Patienten. Bei exogen verursachten Erosionsdefekten kann dem weiteren Fortschreiten des Zahnhartsubstanzverlustes meist nur durch Anpassung der Ernährungsgewohnheiten vorgebeugt werden. Die ersten Anzeichen erosiver Zerstörung sind für den Patienten nur schwer erkennbar. „Abrundungen“ von Inzisalkanten und Fissuren sowie zunehmende Transluzenz der Inzisalkanten sind Ergebnisse eines beginnenden Schmelzverlustes. Später folgen dellenförmige Vertiefungen und flächiger Verlust mit Dentinbeteiligung. Histologisch lassen sich die Oberflächendefekte mit einem typischen Ätzmuster und lokal reduzierter Mikrohärte beschreiben. Sie unterscheiden sich daher klar von einer initialen Karies, bei der die Demineralisation unterhalb einer pseudo-intakten Deckschicht erfolgt. Weitere Stadien der säurebedingten Erosion sind Mineralverlust im Bereich des peritubulären Dentins und schließlich die Erweiterung der Dentintubuli unter Abbau des intertubulären Dentins. Diese Defektstruktur ist nicht mehr regenerierbar. Symptomatische Maßnahmen zur Verhinderung des Verlustes der Zahnhartsubstanz basieren auf der Abscheidung schwer löslicher, meist mineralischer Präzipitate auf der Zahnoberfläche. Dies erfolgt in der Regel durch die Anwendung einer Zahnspülung, welche die abzuscheidenden Substanzen in löslicher Form enthält. Die Wirksamkeit des Mundhygieneprodukts wird dabei ganz entscheidend von den eingesetzten polyvalenten Metall-Ionen, wie Zinn oder Titan, und von der Art der Fluoridverbindung bestimmt. Prof. Dr. Carolina Ganss und ihr Team von der Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde der Justus-Liebig-Universität in Gießen konnten nun zeigen, dass die Kombination aus Zinnchlorid und Aminfluorid, formuliert in einer Zahnspül-Lösung (elmex EROSIONSSCHUTZ), einen sehr wirkungsvollen Schutz gegen säurebedingte Erosionen bildet. Im Gegensatz zu titanhaltigen Formulierungen bleibt diese Schutzwirkung auch bei starker Säureeinwirkung unbeeinträchtigt bestehen. Die Autoren schlagen einen plausiblen Wirkmechanismus dieser Erosionsinhibitoren vor, bei dem sich zunächst ein amorphes, zinnreiches Präzipitat auf der Zahnoberfläche ablagert, das unter erosiver Säureeinwirkung schließlich zur Einlagerung von schwer löslicher, zinnhaltiger Mineralsubstanz in die oberste Schicht der Zahnoberfläche führt. Für die In-situ-Studie wurden Schmelzproben mehrfach pro Tag minutenlang mit Zitronensäure behandelt. Im Vergleich zu Placeboproben konnte gezeigt werden, dass der Verlust der Schmelzsubstanz nach einmal täglichem Spülen mit Zinnchlorid und Aminfluorid-Lösung um 67 % (vgl. 19 % für Natriumfluorid) reduziert wird. Der Dentinverlust konnte in analogen Experimenten ebenfalls signifikant um 47 % verringert werden. Somit schützt die neue elmex EROSIONSSCHUTZ Zahnspülung mit ihrer Wirkstoffkombination aus Zinnchlorid und Aminfluorid effektiv vor säurebedingten Zahnerosionen. Im Gegensatz zur Karies führen kausale und symptomatische Maßnahmen bei Erosionsdefekten generell zu einem Stillstand, sodass nur dann invasive Therapien vonnöten sind, wenn bereits ästhetische oder funktionelle Beeinträchtigungen bestehen. PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe 2011 30 Sonderausgabe Erosion Erosion und Zahnabnutzung – Eine anthropologische Sichtweise Dr. John A. Kaidonis, School of Dentistry, University of Adelaide, Australien Einführung Die anthropologische Untersuchung zahlreicher Jäger-und-Sammler-Populationen (beispielsweise australische Aborigines) hat die Zahnabnutzung auf normale physiologische Prozesse zurückgeführt, die sich aus der Funktion ergeben. Das Kauen von Nahrungsmitteln ist die häufigste funktionelle Aktivität, bei der die abrasive Wirkung der Nahrung weitgehend für Ausmaß und Muster der beobachteten Abnutzung verantwortlich ist (Kaifu et al. 2003). Darüber hinaus ist die Verwendung der Zähne als Werkzeug eine weit verbreitete Aktivität, die ebenfalls zum Zahnverschleiß beiträgt (Molnar 1972). Anthropologen haben außerdem das Argument vorgetragen, dass auch wenn sich die Zähne abnutzen, sie nicht nur während des gesamten Lebens funktional bleiben, sondern sich das gesamte stomatognathe System als Folge der Abnutzung verändert oder anpasst, was auf einen dynamischen kraniofazialen Komplex hindeutet (Kaifu et al. 2003; Richards 1985). Dieser anthropologische Ansatz steht im Gegensatz zu der Prämisse, dass nur ein gerade durchbrochener Zahn die ideale funktionale Form aufweist. In diesem dynamischen Prozess, bei dem sich die Höhe der Höcker verringert, verbreitert sich das „tropfenförmige“ Kaumuster (Barrett 1977) mit einem assoziierten Umbau (Remodelling) der Fossa glenoidalis (Richards 1984). Hierbei findet als physiologischer Prozess eine fortlaufende Eruption der Zähne statt, um die Abnutzung auszugleichen. Das Zusammenwirken von Abnutzungsrate und kontinuierlicher Eruption bestimmt die okklusale vertikale Dimension. Diese Änderung der Zahnform wird in der modernen Zahnheilkunde als ein Kontinuum beschrieben, das von der Eckzahnführung über die Gruppenfunktion bis zu einer flachen Okklusalebene mit anteriorem Kantenbiss reicht. Darüber hinaus gibt es auch eine direkte Beziehung zwischen der okklusalen Belastung (beim energischen Kauen), der interproximalen Abnutzung und der Verringerung der Zahnbogenlänge, die sich aus der mesialen Migration der Zähne ergibt (Abb. 1). Anthropologen haben das Argument vorgebracht, dass diese Verringerung der Bogenlänge zum Teil für die Eruption der dritten Molaren ohne Impaktion verantwortlich ist, wie an Skeletten von Aborigines zu sehen ist (Begg 1954). Interessanterweise ist bei in der Gegenwart lebenden Aborigines das gleiche Ausmaß einer dritten Impaktion der Molare festzustellen wie bei der europäischstämmigen Bevölkerung, was sich auf die relativ betrachtet niedrigere Abnutzungsrate zurückführen lässt, die sich aus dem Verzehr weicher, verarbeiteter Lebensmittel ergibt. 04 Sonderausgabe 2011 Obwohl Anthropologen im vergangenen Jahrhundert die Begriffe Attrition, Abrasion und selbst Erosion synonym zur Beschreibung der abrasiven Wirkung von Lebensmitteln verwendet haben, handelt es sich bei diesen Begriffen um verschiedene, deutlich ausgeprägte Mechanismen, die Dentalforscher erst kürzlich definiert haben. Attrition und Abrasion sind Folge des mechanischen Effekts auf Zahnoberflächen, während es sich bei der Erosion um eine chemische Interaktion handelt. Die verwirrende Frage lautet: Wie ist Erosion in das Gesamtparadigma einzuordnen? Abb. 1: Starke Abrasion und interproximale Abnutzung am ersten und zweiten Molar des Milchgebisses eines australischen Aborigine-Kindes (vorzeitliche Population) Abb. 2: Facetten mit ausgeprägten Rändern am zweiten Molar auf der rechten Seite des Unterkiefers eines australischen Ureinwohners aus einer vorzeitlichen Population Eine Übersicht der Abnutzungsmechanismen Attrition wird durch den Kontakt zwischen Zähnen verursacht, wodurch die Zähne abgeschliffen werden. Dieser Prozess, an dem keine Nahrung beteiligt ist, ist durch die Bildung einer Abrasionsfacette (Abb. 2) gekennzeichnet, die in der Regel als ebene Fläche mit deutlich abgegrenzten Rändern ausgebildet ist (Every 1972). Jede Facette verfügt im gegenüberliegenden Zahnbogen über ein passendes Gegenstück. Bei der Exposition des Dentins wird die Facette allmählich ohne Bildung von Dellen oder Vertiefungen (Scooping) abgenutzt (Kaidonis 2007). Die Prävalenz der Attrition variiert sehr stark in der Literatur. Im Allgemeinen basieren die Studien, die von niedrigen Abrasionsniveaus berichten, oft auf subjektiven Erhebungen. Studien hin- PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion gegen, die auf der Häufigkeit einer Facettenbildung basieren, belegen ein überwiegend gemeinsames Verhaltensmuster. Sowohl Studien über die Häufigkeit einer Facettenbildung, die an Skeletten vorzeitlicher Aborigines-Populationen (Kaidonis et al. 1993) durchgeführt wurden, als auch Studien mit Patienten, die nicht zur Volksgruppe der Aborigines gehören und die zufällig in einer allgemeinen zahnärztlichen Praxis in Süd-Australien (Kaidonis 2007) ausgewählt wurden, zeigen eine Prävalenz von mehr als 90 %. Interessanterweise weisen auch vergleichende Studien an ausgestorbenen und noch existierenden Spezies auf eine Facettenbildung hin. Eine Abrasion tritt dann auf, wenn exogenes (d.h. körperfremdes) Material unter Anwendung von Kraft auf die Zahnoberflächen einwirkt (Every 1972). Zum exogenen Material zählen nicht nur die Nahrung, sondern auch Fremdkörper (z.B. Zahnstocher, Zahnbürste, Pfeifenstiele usw.), die alle ein charakteristisches Abnutzungsmuster des Gebisses verursachen. Im Gegensatz zu einer gut ausgeprägten Zahnfacette führt das Kauen von Lebensmitteln zur Bildung eines Abrasionsbereiches, der nicht „anatomisch spezifisch“ ist und in dem die Nahrung in Abhängigkeit von ihrer Konsistenz an beliebigen Stellen der okklusalen und inzisalen Oberflächen einwirken kann, bis sich durch die Exposition Dellen oder Vertiefungen im weicheren Dentin bilden (Abb. 3). Das derartig mit Vertiefungen versehene Dentin ist nicht empfindlich, da durch die mechanische Wirkung eine Schmierschicht erzeugt wird, die die Zahnkanälchen verschließt. Interessanterweise bleiben die Dellen je nach Ernährung im Verhältnis zur Schmelzumgebung relativ flach (Bell et al. 1998). Abb. 3: allem Pflanzenfressern, dokumentiert. Das bedeutet, dass die Funktionalität auch dann erhalten bleibt, wenn die Abnutzung zunimmt. Die Erosion ergibt sich aus der Auflösung des Zahngewebes (z.B. durch Säure) ohne Vorhandensein von Plaque (Yip et al. 2006). Obwohl Säuren in Abhängigkeit von ihrem Ursprung (z.B. intrinsisch oder extrinsisch) verschiedene Erosionsmuster bilden, erscheint die betroffene Fläche normalerweise mit glänzender Oberfläche und einem Verlust an mikroanatomischen Eigenschaften. Genau wie bei der Abrasion bilden sich durch die Exposition Vertiefungen im Dentin. Dentin, das mit den durch Säuren verursachten Vertiefungen versehen ist, ist häufig empfindlich, da die Zahnkanälchen offen liegen und sich die Dellen im Dentin durch die Säureeinwirkung noch weiter vertiefen. Im Gegensatz zur mechanischen Abnutzung scheint es sich bei der Erosion um eine moderne Erkrankung zu handeln (Abb. 4). Historische Perspektive ATTRITION ABRASION EROSION Heute ~ 2 mµ Jäger / Sammler Landwirtschaft Industrie Evidenz für die Abrasion und die Bildung von Vertiefungen im Dentin eines Gebisses eines australischen Ureinwohners (vorzeitliche Population) Abb. 4: Allgemeine Darstellung der drei Abnutzungsmechanismen aus historischer Perspektive als Diagramm. Attrition scheint heutzutage genauso prävalent zu sein wie in früheren Populationen, während Abrasion in Wohlstandsgesellschaften aufgrund der stärkeren Verarbeitung von Nahrungsmitteln in weitaus geringerem Maße auftritt. Erosion – in der Vergangenheit nicht signifikant – ist zu einem größeren Problem in der heutigen Bevölkerung geworden. Man kann argumentieren, dass die mechanische Abnutzung in dem Moment begann, in dem die Evolution den ersten Zahn hervorbrachte, und seitdem ein Auslesekriterium bildet, das die Entwicklung der Zähne beinahe aller Spezies beeinflusst hat. Zähne haben Möglichkeiten entwickelt, die Abnutzung auszugleichen (z.B. durch kontinuierliche Eruption), während die physiologischen Eigenschaften und die anatomische Beziehung von Zahnschmelz und Dentin auch dann für eine effiziente Aufbereitung der Nahrung sorgen, wenn sich die Zähne abnutzen. Wie dies im Einzelnen geschieht, ist nicht Ziel dieses Aufsatzes, jedoch erfüllen die exponierten Zahnschmelzränder, die aus der Dellenbildung im Dentin resultieren, einen funktionalen Zweck (Smith & Savage 1959; Every 1972; Kaidonis et al. 1992) und wurden bei vielen verschiedenen Spezies, vor Bis heute gibt es keinerlei Hinweise, die bei Skelettüberresten von Jäger-und-Sammler-Populationen (z.B. Aborigines in Australien, alte amerikanische Schädelfunde sowie historische und prähistorische europäische Populationen) auf eine Erosion hindeuten (Aubry et al. 2003; Aaron 2004). Es ist anzunehmen, dass bei den Jägern und Sammlern Wasser das am häufigsten konsumierte Getränk gewesen ist. Eine Exposition gegenüber Säuren aus Nahrungsmitteln hat mit großer Sicherheit stattgefunden, jedoch war diese Exposition von den Jahreszeiten abhängig und daher nur vorübergehend. Darüber hinaus trägt die natürliche reminalisierende Schutzwirkung des Speichels, zusammen mit den vorhandenen Biofilmen auf der Zahnoberfläche, dazu bei, die Auswirkungen von Säuren abzumildern. Bei den Humanpopulationen hat sich die PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe 2011 50 Sonderausgabe Erosion Exposition gegenüber Säuren graduell mit dem Aufkommen der Landwirtschaft erhöht, vor allem im Mittelalter, in dem Techniken zum Fermentieren von Lebensmitteln entwickelt wurden. In den heutigen modernen Gesellschaften hat jedoch die Exposition gegenüber Säuren stark zugenommen, was zu einem Ungleichgewicht im Milieu des Mundraums geführt hat. Hinzu kommt, dass nicht-kariöse zervikale Läsionen, die gemeinhin in der Literatur beschrieben werden, bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht für frühe Humanpopulationen belegt worden sind. Jüngste Daten zeigen, dass sich die Bildung derartiger Läsionen auf eine Kombination von Erosion und einer durch Zahnbürsten induzierten Abrasion (Nguyen et al. 2008) zurückführen lässt, was erneut das Modell stützt, dass die Erosion bei vorzeitlichen Populationen keine signifikante Rolle spielte (Abb. 5). Darüber hinaus hinterfragen die schweren okklusalen Belastungen, die mit der ausgedehnten abrasiven Abnutzung assoziiert werden, die für diese Jäger-und-Sammler-Gesellschaften dokumentiert sind, das Konzept der Abfraktion, das besagt, dass sich die keilförmigen nicht-kariösen zervikalen Läsionen aus der Flexion der Zähne unter Belastung ergeben. Physiologische versus pathologische Abnutzung Obwohl die Abnutzung der Zähne als Folge einer mechanischen Wirkung als physiologischer Prozess beschrieben wurde, gibt es Momente, in denen der Arzt einem pathologischen oralen Zustand gegenüber steht. Aus klinischer Perspektive betrachtet, ist die Entscheidung für einen operativen Eingriff subjektiv, die davon abhängt, ob die beobachtete Abnutzung im Vergleich zum Alter einen eher physiologischen oder pathologischen Charakter aufweist (Richards et al. 2003). Zwar gibt es aus anthropologischer Sicht starke Anzeichen, die darauf hindeuten, dass selbst stark abgenutzte Zähne (als Folge mechanischer Wirkung) während des ganzen Lebens funktional bleiben, jedoch werden aus ästhetischen Gründen voreilig chirurgische Eingriffe unternommen. Es kann darüber gestritten werden, ob dieser Vorgang als legitim betrachtet werden kann, wenn es sich um eine Bitte des Patienten handelt. Der Begriff der Ästhetik variiert zwischen den Kulturen und Zeiten und ist in der heutigen Zeit von wesentlicher Bedeutung, selbst wenn er stark vom „Hochglanzlächeln“ der Titelblätter geprägt ist. Es ist angeraten, die verschleißinduzierenden Aktivitäten von Patienten mit physiologischer Abnutzung longitudinal zu überwachen (Kaidonis 2007). Allerdings muss erneut bestätigt werden, dass obwohl eine zwar noch sehr geringe, jedoch aktive Erosion korrekt aus einer präventiven, nicht-operativen Perspektive behandelt werden kann, dies nicht dazu beiträgt, die erosive Wirkung auf die Zähne in eine physiologische zu verwandeln. Zusammenfassung Abb. 5: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Dentinoberfläche einer keilförmigen Läsion eines Patienten. Die horizontalen Schrammen sind Evidenz einer mechanischen Belastung. Die Wechselwirkung zwischen den Abnutzungsmechanismen variiert zwischen verschiedenen Populationen und Individuen. Die Wechselwirkung zwischen Attrition und Abrasion wurde in Australien bei Aborigine-Populationen belegt, die in der Wüste leben (Kaidonis et al. 1992). Obwohl die heutigen Wohlstandsgesellschaften weichere, stärker verarbeitete und daher weniger abrasiv wirkende Lebensmittel verzehren, ist die Wechselwirkung von Abrieb und Erosion weithin anerkannt. Jedoch müssen sich Ärzte der Tatsache bewusst sein, dass selbst eine geringe Abrasion in einem von Erosion gekennzeichneten Milieu die allgemeine Abnutzung verstärken kann. Daher ist der Begriff „erosive Abnutzung“, der die Erosion mit überlagerter mechanischer Abrasion betont, durchaus angemessen. 06 Sonderausgabe 2011 Mechanische Wirkungen haben sich lange vor dem Aufkommen der Landwirtschaft und der aktuellen Kultur auf die Zähne von Populationen ausgewirkt, die als Jäger und Sammler leben. Im Laufe der Evolution haben die menschlichen Zähne (genau wie die anderer Spezies) Methoden dahingehend entwickelt, die natürliche Abnutzung zum Vorteil zu nutzen oder auszugleichen und dabei noch funktional zu bleiben. Darüber hinaus ändern sich die kraniofazialen Strukturen entsprechend der funktionalen Belastung. Im Gegensatz hierzu steht, dass Zähne zwar seit Jahrtausenden ebenfalls Säuren ausgesetzt sind, die in der Nahrung enthalten sind, jedoch die Schutzwirkungen des Mundraums die Erosion in den vergangenen Populationen seltener und daher unbedeutender haben werden lassen. Allerdings überfordert die häufige Exposition gegenüber starken Säuren in unseren modernen Kulturen unser Mundmilieu stark, so dass sich das Gleichgewicht in Richtung einer pathologischen Schädigung der Zähne neigt. Dr. John A. Kaidonis School of Dentistry · University of Adelaide North TCE · 5000 Adelaide · Australien PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Was unterscheidet erosive Zahnhartsubstanzdefekte und Zahnkaries? Prof. Dr. Thomas Attin, Universität Zürich, Schweiz Ätiologie von Zahnerosionen und Karies aus im Bereich von pH 2,2 liegen (Lussi et al. 2005). Ein hoher Anteil an Kalzium und/oder Phosphat sowie die Anwesenheit von Fluorid verringern das erosive Potenzial einer derartigen Noxe (Attin et al. 2003; Caglar et al. 2006). Die von den Säuren freigesetzten Protonen reagieren mit dem Karbonat und/oder Phosphat der Schmelzapatite, destabilisieren somit die Schmelzkristalle und führen zum Herauslösen von Zahnmineral (Featherstone & Lussi 2006). Das so herausgelöste Kalzium und Phosphat wird in die Umgebungslösung freigesetzt und sozusagen verschluckt. Erosionen werden als oberflächlicher, durch chemische Prozesse hervorgerufener Zahnhartsubstanzverlust definiert, der ohne Beteiligung von Mikroorganismen entsteht (Imfeld 1996). Erosionen entwickeln sich unter dem Einfluss von Säuren oder chelatbildenden Substanzen, die extrinsischer (z.B. Nahrung) oder intrinsischer (z.B. Magensäure) Herkunft sein können. Der damit verbundene Zahnhartsubstanzverlust tritt oftmals als schüsselförmige, nicht verfärbte, flache Vertiefung mit abgerundeten Begrenzungen auf. Er kann je nach Ätiologie der Läsion sowohl auf oralen als auch auf vestibulären freien Zahnoberflächen beobachtet werden. In seltenen Fällen können die Läsionen auch subgingival liegen (Balanko & Jordan 1990). s Ge e und Ver ha lte n g. Zudem gilt es zu bedenken, dass der Speichel üblicherweise eine an Apatit (d.h. Kalzium/Phosphat) übersättigte Lösung darstellt. Diese Übersättigung ist u.a. abhängig vom Kalzium-, Phosphat- und Fluoridgehalt des Speichels sowie vom pH-Wert. Der kritische Umgebungs-pH-Wert, unterhalb dessen eine Untersättigung des Speichels an Zahnhartsubstanz und damit Ätiologiekomplex zur Entstehung von Erosionen eine Tendenz zum Herauslösen von Zahnmineral vor(nach Lussi et al. 2005) liegt, beträgt für Schmelz ca. 5,5 und für Dentin ca. 6,5. Nach Trinken einer 1%igen Zitronensäure, kann es bis h u e i n z g Er zu einer Absenkung des pH-Wertes auf pH 3 auf der Zahnoberfläche kommen (Millward et al. 1997). Al t a i e P n Die pH-Wert-Absenkung durch die erosive Noxe n t e ns l ore führt zu einer Untersättigung in Bezug auf die t e k it verschiedenen Apatitformen des Zahnes und a Ess-, Trinkgewohnheiten F unterstützt damit das Herauslösen von Kalzium und Phosphat. So kommt es bereits Zahnreinigung Reflux/Erbrechen bei einem 2-mal täglichen erosiven Angriff von 90 Sekunden mit einem ErfrischungsMedikamente Weichgewebe getränk (pH 2,9; ohne Bürsten) innerhalb von 21 Tagen zu einem Zahnschmelzverlust Speichel Pellikel Zeit von gut 1 µm Dicke (Attin et al. 2001). Zahn Zahn Zusätzlich zu diesem direkten Säureangriff Säuretyp(pK) Adhäsion können bestimmte Säuren (u.a. Zitronensäure, Milchsäure, Weinsäure, Oxalsäure) pH Phosphat Kalzium in einem Chelatkomplex binden Pufferung Fluorid und somit die Untersättigung des Umgebungsmilieus an Kalzium noch verstärken, Fa Kalzium aber auch auf der Oberfläche des Schmelzes e kt it präzipitieren (Hannig et al. 2005). Ein solches e ore s Präzipitat kann durchaus auch einen temporär n Er nährungs Abb. 1 schützenden Effekt haben. gibt einen Besc Zahnkaries wird durch Säuren ausgelöst, die von Überblick h ä f tig u n g Bakterien produziert werden, die im dentalen Biofilm über die ver(Plaque) auf der Zahnoberfläche anhaften. Bei den aus schiedenen Faktoren, niedermolekularen Polysacchariden produzierten Säudie das Entstehen einer Erosion beeinflussen können. ren handelt es sich um zum Teil schwache Säuren, wie So begünstigen saure Nahrungsmittel mit einer hohen Milchsäure, Essigsäure oder Propionsäure. Durch diese Pufferkapazität, einem niedrigen pH-Wert oder einem bakterielle Stoffwechselleistung sinkt der pH-Wert in hohen Anteil an freier, titrierbarer Säure die Ausbildung der dentalen Plaque z.B. nach Zufuhr von Saccharoseeiner Erosion. Der pH-Wert mancher Nahrungsmittel, lösung für einen Zeitraum von ca. 15 Minuten von insbesondere von sauren Getränken, kann dabei durch- heit nn tn it e he n Ke o hn i s se G ew PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe 2011 70 Sonderausgabe Erosion ursprünglich ca. pH 7 auf bis zu pH 4 ab (Imfeld 1983). Die bereits in der Plaque dissoziierten Säuren führen zu interprismatischen Auflösungserscheinungen an der Zahnschmelzoberfläche (Arends & Christoffersen 1986). Diese frühe initiale Läsion ist durchaus mit dem Erscheinungsbild einer Erosion vergleichbar. Außerdem entsteht ein Konzentrationsgradient, der dazu führt, dass die schwachen Säuren in den Zahnschmelz diffundieren und dort dissoziieren (Hellwig et al. 2007). Die freigesetzten H+-Ionen greifen die Schmelzkristalle an, so dass die Mineralkomponenten der Zahnhartsubstanz herausgelöst werden. Diese Komponenten diffundieren dann in der interprismatischen wässrigen Hülle des Schmelzes entsprechend ihrem Konzentrationsgradienten in Richtung Zahnoberfläche. Zur Zahnoberfläche hin nehmen aber die Diffusionsgeschwindigkeit und der Konzentrationsgradient ab. Daher kommt es zu einer Präzipitation von Kalzium und Phosphat und zur Neubildung von Kristallen. Dadurch entsteht die sogenannte pseudointakte Oberflächenschicht der initialen Kariesläsion. Diese Schicht ist poröser als gesunder Schmelz und erleichtert daher das weitere Einwandern von Säuren in den Zahnschmelz. Wird diese pseudointakte Schicht zerstört, können Mikroorganismen bis in das Dentin einwandern. Durch proteolytische Enzyme der Bakterien werden auch die organischen Anteile im Schmelz und Dentin zerstört. Daraus resultiert, dass im Dentin eine Nekrose entsteht. Zusätzlich führt die Abwehrleistung der Odontoblasten zu weiteren Zonenbildungen im kariös veränderten Dentin, wie z.B. dead tracts, sklerotischem Dentin etc. Histomorphologie von Erosionsschäden und Karies Bei der Schmelzerosion ist im histologischen Schliffpräparat deutlich der entstandene Oberflächenverlust zu erkennen (Abb. 2). Darunter befindet sich eine Schmelzzone, die demineralisiert und erweicht ist und bei mechanischem Einfluss leicht abgetragen werden kann (Attin et al. 1997). Abb. 2: Polarisationsmikroskopisches Schliffpräparat einer Schmelzerosion 08 Sonderausgabe 2011 Dies bedeutet, dass sich der gesamte Säureschaden aus der vollständig verloren gegangenen Schicht und der noch verbliebenen erweichten Zone zusammensetzt. Bereits nach Einwirken von Salzsäure mit pH 2,3 ist diese Zone ca. 500 nm dick (Wiegand et al. 2007). Die Tiefe dieser Demineralisation ist von der Art der zugeführten Säure und der Dauer der Einwirkzeit abhängig. Bei längeren Einwirkzeiten einer Säure wird diese wenig abrasionsresistente Zone allerdings nicht mehr in jedem Fall wesentlich dicker (Lippert et al. 2004). Jedoch nimmt der gesamte Säureschaden bei längerer Einwirkzeit dennoch zu, da die Dicke der vollständig verloren gegangenen Schicht zunimmt. In der rasterelektronischen Aufsicht zeigt sich die Oberfläche der Schmelzerosion als angeätzter Bereich mit deutlicher Darstellung der Prismenstruktur (Abb. 3). Abb. 3: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Zahnschmelzoberfläche nach Erosion Bei einer Erosion im Dentin zeigt sich ebenfalls eine Herauslösung von Mineral und eine Erweichung der Oberfläche. Allerdings wird das Kollagen des Dentins durch die i.d.R. kurz einwirkende Säure nicht angegriffen (Ganss et al. 2004). So ergeben sich z.B. bei einer Attacke mit Salzsäure zwei Zonen im erodierten Dentin: 1. eine vollständig demineralisierte Zone mit freigelegtem organischem Anteil und 2. eine teilweise demineralisierte Zone, an die sich darunterliegend das gesunde Dentin anschließt. Nach einem mehrmaligen Angriff mit Salzsäure (pH 1,6) sind diese Zonen jeweils ca. 50 µm dick (Schlüter et al. 2007b). Es wird diskutiert, ob das freigelegte Kollagen an der Oberfläche einen Schutz für das darunterliegende Dentin vor einem weiteren Säureschaden bzw. vor mechanischen Einflüssen darstellt (Schlüter et al. 2007a). Die initiale Schmelzkaries (Abb. 4), bei der noch keine Kavitation vorliegt, stellt sich histologisch als eine mehrschichtige Läsion dar, die bis zu 150 –200 µm tief sein kann (Silverstone 1975). Es zeigen sich im Polarisationsmikroskop je nach Imbibitionsmedium bis zu 4 Zonen: 1. eine oberflächlich gelegene, pseudointakte Schicht, 2. der darunterliegende Läsionskörper, 3. eine dunkle Zone und 4. eine zum gesunden Dentin hin gelegene transluzente Zone. Das Porenvolumen in den jeweiligen Schichten ist unterschiedlich groß. So beträgt es in der ersten und dritten Zone ca. 5 % und im Läsionskörper ca. 25 %. Gesunder Schmelz hat ein Porenvolumen von ca. 0,1%. PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Aus kristallographischen Untersuchungen ist bekannt, dass die erste und dritte Zone durch Remineralisationsprozesse entstehen (siehe vor). Umgekehrt verhält es sich in der zweiten und vierten Zone, in denen Demineralisationsprozesse das typische Bild verursachen. Im Aufsichtpräparat wird die Zunahme der Poren an der Oberfläche deutlich. Prävalenz der Zahnabnutzung Prof. David Bartlett, BDS, PhD, MRD, FDS, FDSRCS, London, Great Britain Einführung Abb. 4: Polarisationsmikroskopisches Schliffpräparat einer Schmelzkaries Auch die Dentinkaries stellt sich als mehrschichtige Läsion dar (Abb. 5). Ihre Schichtung ist auf der einen Seite durch die proteolytische Aktivität und Säureproduktion der eingewanderten Bakterien und auf der anderen Seite durch die Abwehrleistungen des PulpaDentin-Komplexes bestimmt. Ohne Behandlung schreitet die Dentinläsion weiter fort und erreicht dann i.d.R. die Pulpa. Abb. 5: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Zahnschmelzoberfläche mit initialer Karies Eine Erosion ist also in erster Linie ein Oberflächenphänomen, auch wenn ein gewisser Tiefeneffekt im Schmelz und vor allem im Dentin beobachtet werden kann. Der Säureangriff führt zu einem zentripetalwärts gerichteten Substanzverlust. Die kariöse Läsion ist neben verschiedenen Oberflächenerscheinungen vor allem ein Tiefenphänomen, bei dem unter einer zum Teil intakten Oberfläche eine Demineralisation der anorganischen Bestandteile und/oder Degradation der organischen Anteile dominiert. Prof. Dr. Thomas Attin Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie und Kariologie · Universität Zürich Plattenstraße 11 · 8032 Zürich · Schweiz PROPHYLAXEdialog Es ist oft zu hören, dass die Prävalenz von Zahnabnutzung und -erosion zunimmt – doch was bedeutet das genau? Zunächst gibt es einige Fragen zu klären, die mit Definitionen und deren Interpretation in verschiedenen Ländern in Zusammenhang stehen. Es steht fest, dass Säureerosion die Folge einer nicht-bakteriellen Auflösung von Zahnschmelz und Dentin ist, dass es sich bei Attrition um die Abnutzung aufeinandertreffender Zähne handelt und bei der Abrasion der Zahn auf andere Oberflächen trifft (Smith & Knight 1984a). Weniger klar ist die Bewertung eines bestimmten Zahns und die anschließende Klassifizierung der Zahnabnutzung anhand des Erscheinungsbildes der Läsion. Dies hat wesentliche Auswirkungen, insbesondere beim Vergleich der Prävalenzdaten aus verschiedenen Ländern. In Nordamerika wird die Rolle der Erosion bei der Zahnabnutzung weniger gut verstanden bzw. eingeschätzt als in Europa (Bartlett et al. 1999). Doch auch innerhalb Europas variiert die Interpretation dessen, was unter Zahnerosion zu verstehen ist. In manchen Ländern werden Läsionen durch Abnutzung im zervikalen Bereich als grundlegendes Erosionsphänomen eingeordnet, während in anderen Ländern der Abrasion eine höhere Bedeutung zugemessen wird. Dies stellt an sich kein Problem dar, sofern die Methoden zur Bewertung der Zahnabnutzung sich nicht hinsichtlich der Ätiologie unterscheiden. Es gibt jedoch eine Reihe von Indizes, mit denen bestimmte Zahnregionen bzw. -oberflächen gemessen werden können (z.B. palatinale Flächen der oberen Schneidezähne und okklusale Flächen der unteren Backenzähne) und mit deren Hilfe Daten zur Prävalenz ermittelt werden können. Die einzige zuverlässige Methode zur Messung von Veränderungen an Zähnen bei großen Populationen sind Indizes zur Zahnabnutzung. Bei den meisten Indizes werden Veränderungen des anatomischen Erscheinungsbildes von Zähnen verwendet, um das Ausmaß der Abnutzung zu protokollieren. Manche Indizes messen die Abnutzung jeder Oberfläche jedes Zahns (Smith & Knight 1984b), andere wiederum verwenden einen bestimmten Situs (O'Brien 1993) oder eine spezifische Oberfläche (Dahl et al. 1989). Andere Studien dokumentieren eher die Prävalenz der Erosion als die der Zahnabnutzung (Johansson et al. 1993). Das Problem liegt in der Erstellung einer Diagnose der Ätiologie und der anschließenden Verwendung eines Indexes, der andere Ursachen der Zahnabnutzung unberücksichtigt lässt. Vor allem ist es klinisch sehr anspruchsvoll, die Ätiologie anhand des Erscheinungs- Sonderausgabe 2011 90 Sonderausgabe Erosion bildes einer Läsion zu diagnostizieren, ohne eine umfassende ernährungsbezogene und zahnmedizinische Anamnese zu erstellen (Kidd & Smith 1993; Bartlett & Smith 2000). In den meisten Fällen stellen Veränderungen der Zahnanatomie durch Abnutzung eine Verbindung aus Erosion, Abrasion und Attrition dar, und es lässt sich nur schwer einschätzen, welcher dieser Faktoren der wichtigste ist. Im Allgemeinen fährt man mit einem nicht-spezifischen Vorgehen besser, wobei ein Index zur Protokollierung von Veränderungen eingesetzt wird und die Ergebnisse anschließend in einer Analyse der Risikofaktoren verwendet werden, um die Ursache zu identifizieren. Eine weitere wichtige Frage ist, was genau unter Prävalenz zu verstehen ist. Das Oxford Dictionary definiert „prävalent“ (prevalent) als „weit verbreitet; von breitem Ausmaß oder verbreitet auftretend; allgemein gebräuchlich oder akzeptiert“. Doch was bedeutet dies im Zusammenhang mit Zahnabnutzung? Die Prävalenz von Zahnkaries wird üblicherweise anhand der Parameter des DMFT-Werts (Decayed, Missing, Filled Teeth: „[kariös] zerstörte, fehlende, gefüllte Zähne“) gemessen. Anschließend kann die Prävalenz der Erkrankung in verschiedenen Ländern und geografischen Regionen verglichen werden, sofern in allen betreffenden Bereichen dieselben Bewertungsmaßstäbe für Karies verwendet werden. Obwohl die Prävalenz gefüllter Zähne im Ergebnis auf eine kariöse Zerstörung hindeutet, gibt es weitere Gründe für die Restauration von Zähnen, z.B. abgenutzte Zähne. Trotz der Komplexität des DMFTIndexes enthält er keine allgemeine Definition von Zahnabnutzung und -erosion. Welche wesentliche Bewertung gibt es, die die Prävalenz sowohl von Zahnabnutzung als auch von Zahnerosion berücksichtigt? Ist es der prozentuale Anteil der freiliegenden Dentinoberflächen oder der am häufigsten abgenutzte Zahn bzw. Zahnsitus? Eine naheliegende Möglichkeit könnte der prozentuale Anteil des freiliegenden Dentins in einer Population sein. Unter der Voraussetzung, dass Forscher ähnliche bzw. vergleichbare Indizes verwenden, besteht die Möglichkeit, Prävalenzen miteinander zu vergleichen. Der Zahnabnutzungsindex TWI (Tooth Wear Index) von Smith & Knight wird von verschiedenen Forschern in aller Welt sehr häufig verwendet und ist vielleicht der verbreitetste Index. Er erfasst Veränderungen der anatomischen Struktur von Zähnen, wird auf jeden Zahn angewandt und ist unabhängig von der Ätiologie. Dabei werden die Zähne in vier Regionen eingeteilt: zervikal, bukkal, okklusal/inzisal und lingual/palatinal. Andere Indizes erfassen auch das Ausmaß und den Schweregrad der Dentinexposition. Es sollte also möglich sein, die komplexeren Indizes auf einfachere Indizes herunterzubrechen, um somit Vergleiche zu ermöglichen. Es wurde erst kürzlich ein neuer Index entwickelt, der einfach zu verwenden ist und zur erneuten Analyse von Scores zur Zahnabnutzung verwendet werden kann. Der BEWE-Index (Basic Erosion Wear: „grundlegende Erosion/Abnutzung“) hat das Potenzial einer breiten Akzeptanz durch verschiedene Forscher. 10 Sonderausgabe 2011 Es kann nützlich sein, den prozentualen Anteil des freiliegenden Dentins innerhalb einer bestimmten Population zu kennen; die Auswirkung von Zahnabnutzung auf den Zahnschmelz bleibt hierbei jedoch unberücksichtigt. Wenn Dentin freiliegt, muss auch der darüberliegende Zahnschmelz abgenutzt worden sein. Viele Indizes beziehen das Ergebnis der Erfassung im Wesentlichen darauf, in welchem Ausmaß das Dentin betroffen ist, während die Auswirkungen auf den Zahnschmelz häufig vernachlässigt werden. Vom Standpunkt eines präventiven Konzepts aus gesehen, muss das Ziel darin bestehen, die Abnutzung des Zahnschmelzes zu verhindern. Aus diesem Grund ist auch die Schädigung des Zahnschmelzes in einem gewissen Maße zu berücksichtigen. Veränderungen der Oberfläche des Zahnschmelzes aufgrund von Zahnabnutzung oder -erosion können jedoch von einem normalen Erscheinungsbild schwer zu unterscheiden sein. In den letzten 20 Jahren sind eine Reihe von Studien durchgeführt worden, in denen die Prävalenz von Zahnabnutzung in verschiedenen Populationen evaluiert wurde. Die allermeisten dieser Prävalenzstudien bezogen sich jedoch auf Kinder und Jugendliche, da diese Gruppen leichter erforschbar und die Probanden leichter zu rekrutieren sind. Studien an Erwachsenen dagegen werden aufgrund der schwierigeren Rekrutierung weniger häufig durchgeführt. Eine Gruppe, aus der Probanden für Studien an Erwachsenen problemlos rekrutiert werden können, sind Angehörige des Militärs, zu denen bereits mehrere Studien vorliegen (Johansson et al. 1996). Im Rahmen einer der ersten an Erwachsenen durchgeführten Studien wurden Patienten einer allgemeinen zahnärztlichen Praxis rekrutiert. Zur Bestimmung des Schweregrades der Abnutzung wurde jedoch ein bestimmtes Verhältnis verwendet, wobei dieses Verfahren in den meisten darauffolgenden Studien nicht mehr genutzt wurde. Prävalenz von Zahnabnutzung und -erosion im Milchgebiss Die meisten Studien zur Zahnabnutzung bei Kindern stammen aus Europa (Jones & Nunn 1995; Al-Malik et al. 2002; Wiegand et al. 2006). Millward et al. (1994) führten eine Studie an 178 vierjährigen Kindern aus Birmingham (Großbritannien) durch und zeigten auf, dass bei immerhin 17 % freiliegendes Dentin festzustellen war. Die Ergebnisse dieser Studie gehören zu den höchsten Prozentwerten, die in den untersuchten Regionen festgestellt wurden. Die Autoren belegten, dass fast die Hälfte der Probanden gewisse Anzeichen von Zahnabnutzung aufwiesen, wobei die am häufigsten betroffene Zahnoberfläche die palatinale/linguale Oberfläche der oberen Schneidezähne ist. Wenn eine Abnutzung in einem derartig hohen Ausmaße zu beobachten ist, kann das Ergebnis fast als normal betrachtet werden. Eine andere, in Saudi-Arabien an 987 Kindern im Vorschulalter durchgeführte Studie zeigte bei 31% der Probanden ein gewisses Ausmaß an Zahnabnutzung PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion und bei 13 % freiliegendes Dentin. Allerdings waren die Messungen im Rahmen dieser Studie auf die oberen primären Schneidezähne beschränkt. Eine Studie größeren Umfangs in China, bei der 1.949 Kinder im Alter von 3 bis 5 Jahren untersucht wurden, zeigte bei nur 5,7 % der Probanden Anzeichen von Abnutzung (Luo et al. 2005). Es stellt sich die schwierige Frage, warum solche Unterschiede zwischen geografischen Bereichen zu beobachten sind. Sie spiegeln möglicherweise den sozioökonomischen Stand unterschiedlicher Nationen wider. Prävalenz von Zahnabnutzung und -erosion bei Jugendlichen Es liegen wesentlich mehr Studien zum Mischgebiss von Schulkindern vor. Wie im Falle des Milchgebisses in den größer angelegten Studien, wurden häufig bestimmte Zähne und Zahnregionen verwendet, um die Erkrankung insgesamt einzuschätzen. Eine Gruppe von Forschern bestimmte anhand von Studienmodellen von 1.000 Elfjährigen die erosive Abnutzung und dokumentierte diese auf den Zahnoberflächen von 70 % der Probanden. Bei 26,4 % wurde eine hohe Inzidenz einer erosiven Abnutzung mit fortgeschrittenen Läsionen festgestellt (Ganss et al. 2001). Bei einer kleineren Probandengruppe von 210 Elf- bis Vierzehnjährigen ergab sich ein geringeres Ausmaß an Zerstörung, mit freiliegendem Dentin bei weniger als 2 % (Bartlett et al. 1998). Der Unterschied zwischen diesen Studien bestand darin, dass in der zweiten Studie die Involvierung des Dentins als Maßstab für den Fortschritt der Abnutzung verwendet wurde, während in der ersteren Studie Form und Tiefe der Läsion ausschlaggebend waren. Ein weiterer signifikanter Unterschied bestand darin, dass laut der Studie von Bartlett et al. die palatinalen Oberflächen die am häufigsten abgenutzten Oberflächen waren, während Ganss et al. die okklusalen und inzisalen Flächen nennen. Die Ursachen dieses Unterschieds sind noch nicht geklärt. Es mag sich um geografische Unterschiede zwischen Populationen handeln, was innerhalb Europas jedoch schwer verständlich ist. Eine andere Möglichkeit wäre, dass von den Forschern Indizes mit unterschiedlichem Schwerpunkt verwendet werden. Wenn eine Gruppe die Erosion dokumentiert, müssen dabei nicht unbedingt die Auswirkungen von Abrasion oder Attrition erfasst werden. Um die Auswirkungen der Zahnabnutzung in einer bestimmten Population umfassend zu bewerten, müssen die Auswirkungen von Veränderungen an der Zahnoberfläche aufgrund nicht-kariogener Ursachen erfasst werden. Nachdem dies geschehen ist, kann die Ätiologie in Angriff genommen werden. Die größeren Studien beziehen sich zumeist auf die Auswirkungen von Zahnabnutzung an bestimmten Stellen. So dokumentieren Truin et al. (2005) die Prävalenz von Erosion in einer Gruppe 12-jähriger Kinder in Den Haag (Niederlande). Die Untersuchung beschränkte sich auf die palatinalen Oberflächen der PROPHYLAXEdialog Schneide- und Eckzähne und der okklusalen Oberflächen der ersten Molare. Bei 59,7 % der Probanden wurde eine Abnutzung festgestellt, bei 2,7 % war das Dentin betroffen. Milosevic et al. (1994) stellten bei 30 % von 1.035 Vierzehnjährigen in Liverpool (England) freiliegendes Dentin fest. Ihre Studie berücksichtigte alle Zahnoberflächen, wobei die am häufigsten betroffenen Oberflächen die Inzisalkanten der oberen und unteren Schneidezähne waren. Bei einer Studie desselben Teams fand eine Rekrutierung und Auswahl mit mehreren Schwerpunkten statt. Diese Studie zeigte mit fast 50 % eine noch höhere Prävalenz freiliegenden Dentins (Bardsley et al. 2004). Diese Ergebnisse wurden von anderen Studien in England bestätigt. Al Dlaigan et al. (2001) stellten freiliegendes Dentin bei 51% der Probanden fest, in schwerwiegendem Ausmaß jedoch bei nur 2 %. Laut der Studie von Dugmore et al. (2004) war das Dentin in weitaus geringerem Ausmaß betroffen, nämlich bei nur 2 % von 1.753 Zwölfjährigen. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum derartig große Schwankungen der Betroffenheit des Dentins in so vielen Studien zu beobachten ist. In zahlreichen Folgestudien wurden die inzisalen Flächen nicht in der vergleichenden Analyse berücksichtigt. Das wichtigste Ergebnis ist vielleicht die Tatsache, dass sich eine gravierende Exposition des Dentins in den meisten Studien um 2 % bewegt. Eine Reihe von Studien belegt ferner geschlechtsspezifische Unterschiede. So wurde in den meisten Studien eine häufigere Inzidenz bei männlichen Probanden festgestellt (van Rijkom et al. 2002). Eine Studie jüngeren Datums kam zu dem Schluss, dass mit zunehmendem Alter eine steigende Tendenz zur Abnutzung besteht (Jaeggi & Lussi 2006). Darüber hinaus beeinflussen sowohl Ernährungsgewohnheiten als auch gastroösophagealer Reflux und der sozioökonomische Status die Prävalenz einer erosiven Zahnabnutzung. Prävalenz von Zahnabnutzung und -erosion bei Erwachsenen Es liegen vergleichsweise wenige Studien zu Erwachsenen vor, was vermutlich auf die mit der Rekrutierung und Auswahl von Probanden verbundenen Schwierigkeiten zurückzuführen ist. Kinder und Jugendliche sind schulpflichtig und können daher leicht für Studien rekrutiert werden. Außerdem kann der sozioökonomische Status durch Verwendung spezifischer Auswahlkritierien in Erwägung gezogen werden. Bei Erwachsenen ab 18 Jahren gestaltet sich die Untersuchung jedoch schwieriger. Erwachsene, die mit bestimmten Institutionen in Verbindung stehen (z.B. Angehörige des Militärs), bieten sich für Untersuchungen an und stellen willkommene Probandenpopulationen dar. So stellten Johansson et al. bei Angehörigen des schwedischen Militärs eine Abnutzung im okklusalen und inzisalen Bereich fest sowie bei 28 % der Probanden eine Erosion der Zähne des Oberkiefers. Lussi et al. (1991) stellten freiliegendes Dentin bei 10 % von 391 Probanden fest. Im Gegensatz zu zahlreichen Sonderausgabe 2011 11 Sonderausgabe Erosion anderen Studien wurde von diesem Forscherteam freiliegendes Dentin häufiger an den bukkalen/fazialen als an den palatinalen/lingualen Flächen dokumentiert. Die bislang größte Studie wurde an 10.827 extrahierten Zähnen durchgeführt, wobei an 13 bis 21% der Zähne eine Abnutzung festzustellen war. Diese Studie ist in Bezug auf das Mundmilieu jedoch nicht relevant genug (Sognnaes et al. 1972). Xhonga & Valdmanis (1986) untersuchten 527 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Probanden im Alter von 14 bis 88 Jahren. Laut den Autoren lag die Prävalenz in den USA bei ca. 25 %. Das Dentin dagegen war vergleichsweise selten betroffen (4 %). Im Rahmen der größten klinischen Studie in einer allgemeinen zahnärztlichen Praxis, die an 1.007 Erwachsenen im Alter von 18 bis 88 Jahren durchgeführt wurde, wurden bei fast 5 % der Probanden pathologische Abnutzungsniveaus ermittelt. Im Gegensatz zu allen anderen Studien fasste das Forscherteam in diesem Fall verschiedene Altersgruppen zusammen und ging von subjektiven Schätzwerten der zu erwartenden Abnutzung bei den 1.007 Probanden aus. Die Probanden mit Zahnabnutzung größeren Ausmaßes wurden als pathologische Fälle eingestuft. Das so ermittelte allgemeine Ergebnis von 5 % der Probanden, bei denen die Zahnabnutzung das gewöhnliche Ausmaß überschreitet, scheint mit den Ergebnissen anderer Studien gut vergleichbar zu sein. In letzter Zeit wurde der Begriff des pathologischen Niveaus diskutiert. Obwohl es sich um ein praktisches und emotionales Prinzip handelt, ist seine Bedeutung nicht so leicht zu definieren. Verschiedene Forscher, Gesundheitsfunktionäre und Patienten interpretieren die Daten unterschiedlich, je nach subjektiver Einschätzung der Zahnabnutzung. Patienten sehen auch in geringem Maße freiliegendes Dentin aufgrund des entsprechenden Erscheinungsbildes der Zähne als pathologisch an. Gesundheitsfunktionäre wiederum gehen u.U. von einem größeren Ausmaß aus aufgrund der finanziellen Konsequenzen, die mit der Behandlung einer Erkrankung verbunden sind, die 50 % einer Bevölkerung betreffen kann. Der Begriff der pathologischen Zahnabnutzung ist daher nicht besonders hilfreich, da er gewöhnlich auf einer individuellen, subjektiven Interpretation basiert. Eine vielleicht bessere Einschätzung der Auswirkungen von Zahnabnutzung und -erosion in der Bevölkerung ist durch den „prozentualen Anteil des freiliegenden Dentins“ gegeben. Die Evidenz deutet in hohem Maße darauf hin, dass die meisten Menschen von Zahnabnutzung und -erosion betroffen sind, wobei diese Phänomene glücklicherweise nur bei einem Teil der Bevölkerung ein schwerwiegendes Ausmaß erreichen. Abb. 1 zeigt erosive Läsionen an den palatinalen Oberflächen der oberen Schneidezähne, verursacht durch häufigen Konsum von Getränken auf Fruchtsaftbasis. Abb. 2: Die hier abgebildete Attrition ist durch ständiges Zähneknirschen und Zusammenbeißen der Zähne über einen Zeitraum von vielen Jahren entstanden. Die von der Kaumuskulatur ausgeübten Kräfte können sehr große Schäden an den Zähnen anrichten. Zusammenfassung Zahnabnutzung und -erosion stellen Probleme für die moderne Zahnmedizin dar. Patienten nehmen ihr Erscheinungsbild zunehmend wichtiger und möchten den Alterungsprozess hinauszögern. Dies schließt auch die Zähne mit ein. Dabei liegt eine relativ starke Evidenz dafür vor, dass es sich bei Zahnabnutzung um ein altersbedingtes Phänomen handelt, das weit verbreitet ist. Für Zahnärzte bedeutet dies, dass eine frühzeitige Diagnose und Prävention für das Wohlbefinden ihrer Patienten von entscheidender Bedeutung ist. 12 Sonderausgabe 2011 Abb. 3 zeigt eine typische Verschleißläsion am Zahnhals im Oberkieferbereich. Die Ätiologie dieser Läsion ist ungewiss; manche Wissenschaftler/Prüfärzte halten sie für eine Abrasion, andere für eine Erosion. Die meisten sind jedoch der Ansicht, dass es sich dabei um eine Kombination aus Erosion und Abrasion handelt. Prof. David Bartlett Floor 25, Guy's Dental Hospital London Bridge · London SE1 9RT · Großbritannien PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Dentale Erosionen: Befund, Diagnose, Risikofaktoren Prof. Dr. Adrian Lussi, Klinik für Zahnerhaltung, Universität Bern, Schweiz Einleitung Diese Übersichtsarbeit geht auf das klinische Erscheinungsbild und die Risikofaktoren für die Entstehung dentaler Erosionen ein. Die Zahnerosion wird definiert als oberflächlicher Zahnhartsubstanzverlust, verursacht durch einen chemischen Prozess ohne Bakterienbeteiligung (Zipkin & McClure 1949). Der Erosionsprozess kann in zwei Stadien eingeteilt werden: In der Anfangsphase findet man als Folge einer partiellen Demineralisation eine Erweichung der Zahnoberfläche. In diesem Stadium ist eine Remineralisation möglich, da die noch vorhandenen Schmelzanteile als Gerüst dienen, in welches wieder Mineralien eingelagert werden können. In einem zweiten, fortgeschrittenen Stadium sind die Strukturen der oberflächlichen Schmelzschichten vollständig zerstört und weggelöst. Eine Remineralisation dieser Schmelzanteile ist nicht mehr möglich. Es kann hingegen zu einer Remineralisation der tieferen, noch nicht total zerstörten, aber erweichten Zahnhartsubstanzanteile kommen. In der Regel besteht in der Mundhöhle ein Gleichgewicht zwischen De- und Remineralisationsvorgängen. Falls die Säureeinwirkung gegenüber den Reparationsvorgängen überwiegt, kommt es zur klinischen Manifestation von dentalen Erosionen. Der Zahnhartsubstanzverlust wird beschleunigt, wenn zusätzlich abrasive und/oder attritive Prozesse vorhanden sind. Dieser Artikel behandelt zuerst die Diagnostik der Erosion und geht dann auf die Risikofaktoren ein. Ferner wird ein einfacher Screening-Index besprochen. Klinisches Erscheinungsbild In der initialen Phase wird der Schmelz flächenhaft demineralisiert, wobei klinisch keine Erweichung der Oberfläche feststellbar ist. Fortgeschrittene Erosionen können bis ins Dentin reichen. Vestibuläre Erosionen zeigen im Anfangsstadium eine seidenglänzende, später eine eingedellte und gestufte Oberfläche. Am marginalen Kronenrand persistiert eine Schmelzleiste. Die Erhaltung dieser Schmelzleiste kann einerseits erklärt werden durch Plaque-Rückstände, welche eine Diffusionsbarriere gegen den Säureangriff bilden, andererseits durch den Sulkus-Fluid, der zur Neutralisation der Säuren im Gingivabereich führt (Lussi et al. 2004). Erosionen im Okklusalbereich führen zu abgerundeten, eingedellten Höckern mit z.T. Defekten bis ins Dentin (Abb. 1). Typisch sind Füllungsränder, die über die benachbarte Zahnhartsubstanz hinausragen. Eine flächenhafte Entkalkung der Zahnhartsubstanz ist charakteristisch für palatinale Erosionen. Um die Progression der Erosion zu erfassen, sollten periodisch Fotos oder Modelle angefertigt werden. Die Abbildungen 1–6 zeigen typische Bilder dentaler Erosionen. PROPHYLAXEdialog Abb. 1: Zahn 46 mit Eindellungen auf den bukkalen Höckern. Ansonsten ist die Zahnmorphologie gut erkennbar. Die beginnenden Erosionen entsprechen BEWE Grad 1. Abb. 2: Patient mit generalisierten Erosionen. Zahn 37 mit okklusalen Erosionen BEWE Grad 3. Die Morphologie ist praktisch vollständig verloren gegangen. Die Fissuren sind nicht mehr erkennbar. Ätiologie: Gastroösophagealer Reflux. Abb. 3: Seitenansicht der Zähne 43 bis 45 mit beginnenden Erosionen BEWE Grad 1. Die Oberfläche erscheint seidenglänzend. Leichte Eindellung bei Zahn 44 vestibulär erkenbar. Abb. 4: Zahn 21 mit BEWE Grad 3 labial. Die Oberflächenstruktur ist verloren gegangen. Gegen zervikal ist das Dentin freigelegt und eine persistierende Schmelzleiste ist sichtbar. Ätiologie: Häufiger Konsum von Früchten und Fruchtsäften. Abb. 5: Zahn 43 mit Eindellung vestibulär, welche sich oberhalb der Schmelz-Zement-Grenze befindet. Eine persistierende Schmelzleiste ist erkennbar. Bei Zahn 44 überragt die Amalgamfüllung die benachbarte Zahnsubstanz. Da weniger als die Hälfte der Zahnoberfläche betroffen ist, entspricht dies BEWE Grad 2. Ätiologie: Konsum von ca. 1 kg Äpfeln pro Tag. Sonderausgabe 2011 13 Sonderausgabe Erosion Risikofaktoren Faktoren auf der Ernährungsseite (vgl. Seite 7) Schon sehr lange ist bekannt, dass saure Nahrungsmittel und Getränke die Zahnhartsubstanz erweichen können. Der Anteil von Softdrinks und Fruchtsäften am totalen Getränkekonsum nimmt in Europa stetig zu und liegt bei über 50 % des Konsums von nicht alkoholischen Getränken. Die Erosivität eines Getränkes oder Nahrungsmittels wird durch mehrere Faktoren bestimmt. So können Getränke und Nahrungsmittel trotz ähnlicher pH-Werte ein unterschiedliches erosives Potenzial aufweisen. Je größer die Pufferkapazität eines Getränkes oder Nahrungsmittels ist, desto länger wird es dauern, bis der pH-Wert durch den Speichel erhöht werden kann. Der Kalzium- und Phosphatgehalt eines Getränkes oder Nahrungsmittels ist sehr wichtig. Immersion von Schmelzproben in einem kalziumangereicherten, im Handel erhältlichen Orangensaft zeigte keine Erweichung der Schmelzoberfläche. Dieser Orangensaft (pH 4) kann auch erosionsgefährdeten Patienten empfohlen werden. Joghurt ist ein anderes Beispiel für ein Nahrungsmittel, das trotz des tiefen pH-Wertes (pH ~4) nicht zu Erosionen führt. Dieser Sachverhalt ist auf die hohe Konzentration von Kalzium und Phosphat zurückzuführen, was eine Übersättigung dieser Ionen bezüglich der Zahnhartsubstanz bewirkt. In Orangen-Joghurt eingelegte Schmelzproben zeigten eine Erhärtung der Schmelzoberfläche. Im Unterschied dazu zeigte Orangensaft eine starke Erweichung der Schmelzhärte (–209 Knoop Härtegrade) (Lussi & Jaeggi 2006). Die Unbedenklichkeit von Mineralwasser bezüglich Erosionen wurde auch in anderen Untersuchungen festgestellt (Parry et al. 2001). Neben den bereits besprochenen Eigenschaften von erosiven Nahrungsmitteln und Getränken gibt es noch andere Faktoren, die in vivo einen Einfluss auf die Entstehung von dentalen Erosionen haben. So können z.B. die Chelator-Eigenschaften von Säuren den Erosionsprozess beeinflussen; einerseits durch Interaktion mit dem Speichel, andererseits direkt durch Zahnhartsubstanzauflösung. Bis zu 32 % des Speichelkalziums kann in einem Kalzium-Chelator-Komplex der Zitronensäure gebunden werden (Meurman & Ten Cate 1996). Faktoren auf der Patientenseite (vgl. Seite 7) Die Art der Aufnahme der erosiven Nahrungsmittel oder Getränke (schluckweise, saugend, mit/ohne Trinkhalm) bestimmen die Dauer sowie die Lokalisation des Säureangriffs und damit das Erscheinungsbild der Erosionen (Millward et al. 1997; Edwards et al. 1998; Johansson et al. 2004). Die Häufigkeit und Dauer von Säureangriffen sind von entscheidender Bedeutung für die Zahnhartsubstanzzerstörung und damit auch für das Ergreifen von Prophylaxemaßnahmen. Der Kontakt der Zähne mit Säuren während der Nacht kann infolge der verminderten Speichelproduktion ebenfalls zu Erosionen führen. So kommt es z.B. durch die Aufnahme 14 Sonderausgabe 2011 von säurehaltigen, süßen Getränken, welche manche Kleinkinder dauernd während der Nacht aus ihren Schoppen trinken, neben der Kariesbildung zu massiven erosiven Zahnhartsubstanzdestruktionen. Ebenso ist eine nachts getragene Schiene bei Refluxpatienten kontraindiziert, da die Kontaktzeit der Magensäure mit den Zähnen wegen der nicht überall dichten Schiene verlängert wird. Andere Risikofaktoren auf der Patientenseite sind Anorexia und Bulimia nervosa mit häufigem Erbrechen sowie chronische Magen-Darm-Störungen mit Reflux. Abb. 6: Patientin mit gastro-ösophagealem Reflux. Die Erosionen beginnen typischerweise palatinal. Bei den Zähnen 22 und 23 liegt auf der ganzen palatinalen Zahnfläche das Dentin frei (BEWE Grad 3). Die Prävalenz von Bulimia nervosa bei 18- bis 35jährigen Frauen in den westlichen Industriestaaten ist relativ hoch (5 %) und immer noch ansteigend (Cooper et al. 1987). Die meisten Patienten, die unter Anorexia nervosa leiden, sind 12- bis 20-jährig. Die Prävalenz der Anorexia beträgt in dieser Altersgruppe 2 % (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM-III-R). Die Diagnosestellung ist bei stark untergewichtigen Anorexiepatienten oft nicht schwierig. Die Bulimiepatienten behalten in der Regel ihr Normgewicht, so dass bis zur Erkennung ihrer Krankheit häufig mehrere Jahre vergehen können. Das chronische Erbrechen führt in der Regel zu Erosionen im Bereich der okklusalen und oralen Zahnoberflächen der Oberkieferzähne, insbesondere im Bereich der Inzisiven (Hellström 1977; Scheutzel 1992; Jones & Cleaton-Jones 1989; Milosevic & Slade 1989; Robb et al. 1995). Orale und okklusale Erosionen im Bereich der Oberkieferzähne, eine zum Teil schmerzhafte, metabolisch bedingte Vergrößerung der Parotis und manchmal der submandibulären Speicheldrüsen, Xerostomie, Erytheme im Bereich der Rachen- und Gaumenschleimhaut sowie schmerzhafte Rötung und Schwellung der Lippen mit Schuppung und Rhagadenbildung sind häufige Symptome bei Bulimiepatienten (Abrams & Ruff 1986). Das Auftreten dieser Krankheitszeichen und eine entsprechende Gesundheits- und Ernährungsanamnese sollten beim Zahnarzt den Verdacht auf eine Bulimieerkrankung wecken. Oft ist der Zahnarzt die erste ärztliche Person, die die Bulimie erkennt. Aber auch gastroösophagealer Reflux mit Regurgitation während des Schlafes kann zu gravierenden erosiven Läsionen führen. Diese Patienten bemerken ihr Leiden oft erst, wenn aufgrund fortgeschrittener Erosionen thermosensible Zähne vorhanden sind. Andere Symptome sind Magenschmerzen, Brennen im Ösophagus-/RachenBereich und Säuregefühl in der Mundhöhle. PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Ein weiterer sehr wichtiger Faktor ist der Speichel. Einige schützende Eigenschaften des Speichels bei einem Säureangriff sind: Säureverdünnung, Säureabbau, Säureneutralisation, Verminderung der Schmelzauflösung durch das Vorhandensein von Kalzium- und Phosphat-Ionen im Speichel, Remineralisation und Pellikelbildung (Zero & Lussi 2000; Järvinen et al. 1991; Meurman et al. 1994; Lussi & Schaffner 2000; Eisenburger et al. 2001; Feagin et al. 1969; Gedalia et al. 1991; Zero et al. 1994). Eine unterschiedlich ausgeprägte Pellikelbildung im Bereich des Zahnbogens könnte verantwortlich sein für die unterschiedliche Verteilung der Erosionen (Amaechi et al. 1999). Zähne mit dicker Pellikelbildung (UK-Zähne lingual) wiesen im Versuch (Lagerung der Zähne während zwei Stunden in Orangensaft) eine geringere Erosionsbildung, Zähne mit dünner Pellikelbildung (OK-Frontzähne palatinal) eine hohe Erosionsbildung auf. Zudem ist die Clearance von Säure im Unterkiefer besser. Risikoabklärung und Prävention Sobald Erosionen klinisch festgestellt werden oder Anzeichen für ein erhöhtes Erosionsrisiko vorhanden sind, sollte beim Patienten eine genaue Risikoabklärung durchgeführt werden. Die von Bartlett, Ganss und Lussi (Bartlett et al. 2008) kürzlich vorgestellte Kurzuntersuchung (BEWE = Basic Erosive Wear Examination) eignet sich gut, das Risiko für Erosionen zu quantifizieren. Die BEWE ermöglicht eine Beurteilung der Säureschäden eines Gebisses mit wenig Zeitaufwand. Sie ist einfach zu erlernen und unterstützt den Untersucher bei der Planung des weiteren Managements des Patienten. Alle Zähne, außer den 3. Molaren, werden jeweils vestibulär, okklusal und palatinal auf Säureschäden untersucht. Erosive Defekte einer Zahnfläche werden in vier Schweregrade eingeteilt (Tab. 1): kein Zahnhartsubstanzverlust (0), beginnender Verlust der Oberflächenstruktur (1), ausgeprägter Substanzverlust (2) und schwerer Verlust von Zahnhartsubstanz (3). Pro Sextant wird der höchste Wert notiert (Tab. 2). Grad 0 Kein Zahnhartsubstanzverlust 1 Beginnender Verlust der Oberflächenstruktur 2* Ausgeprägter Verlust von Zahnhartsubstanz; < 50 % der Oberfläche 3* Schwerer Verlust von Zahnhartsubstanz; > _ 50 % der Oberfläche Tab. 1: Die Grunduntersuchung für dentale Erosionen – Beurteilungskriterien * Beim Grad 2 und 3 ist oft Dentin exponiert. BEWE Erfassung Höchster Grad 1. Sextant (17–14) Höchster Grad 2. Sextant (13 – 23) Höchster Grad 3. Sextant (24 – 27) Höchster Grad 4. Sextant (37– 34) Höchster Grad 5. Sextant (33 – 43) Höchster Grad Summe 6. Sextant (44 – 47) Tab. 2: Die Grunduntersuchung für dentale Erosionen – Grade PROPHYLAXEdialog Die Summe dieser Werte definiert den Schweregrad der Säureschäden und ergibt eine Empfehlung für das weitere Management des Patienten (Tab. 3). Auf die Beurteilung Schmelzverlust/Dentinexposition wird im Prinzip verzichtet. Einerseits ist diese Beurteilung schwierig und andererseits korreliert ein Dentinbefall nicht in allen Fällen mit dem Schweregrad eines Defektes, da die Schmelzschicht nicht überall gleich dick ist. Im Zahnhalsbereich oder im Bereich von Vertiefungen wird das Dentin viel schneller exponiert. Mit dem Verzicht wird eine Fehlerquelle bei der Beurteilung eliminiert, dies erleichtert den Vergleich der Daten verschiedener Untersucher. Zudem kann dieser Index sowohl am Patienten selbst, wie auch an Modellen oder Fotos angewendet werden. Das Wiederholungsintervall der BEWE ist abhängig vom Schweregrad, von ätiologischen Faktoren und sonstigen individuellen Risikofaktoren. Bei Patienten, die intrinsischen oder häufig und/oder stark erosiven extrinsischen Säuren ausgesetzt sind, sollte eine Wiederholung halbjährlich erfolgen. In anderen Fällen reicht ein Intervall von 12 Monaten oder mehr (vgl. Tab. 3). Die anderen schon besprochenen Faktoren sollten ebenfalls untersucht und gewertet werden. Ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten kann über die Ätiologie der Erosionen Aufschluss geben. Häufig genügt eine Befragung nicht, da der Patient sich seines SäureInputs oft nicht bewusst ist. Es kann angebracht sein, verschiedene Parameter genau zu untersuchen. So ist es wichtig, die Ernährung während einiger Tage vom Patienten detailliert aufschreiben zu lassen. Es interessiert, wann, was und wie viel an potenziell erosiven Nahrungsmitteln und Getränken eingenommen wurde (Haupt- und Zwischenmahlzeiten). Eine Speichelanalyse (Fließrate, Pufferkapazität) sollte bei Erosionspatienten immer durchgeführt werden. Aufgrund dieser Angaben lassen sich schließlich konkrete Prophylaxeratschläge ableiten (Tab. 4). Bei endogener Säurebelastung, wie sie bei Anorexia/Bulimia nervosa oder gastroösophagealem Reflux vorkommt, muss eine kausale systemische Therapie eingeleitet werden. Anorexie- und Bulimiepatienten benötigen eine psychologische oder psychiatrische Betreuung. Bei Refluxpatienten steht eine genaue Abklärung der Ursache mit anschließender Behandlung (medikamentös oder operativ) im Vordergrund. Es ist sinnvoll, bei Patienten mit aktiven erosiven Läsionen eine adäquate Zahnhygiene zu instruieren: Der Erosionspatient muss informiert werden, dass er die Zähne nicht unmittelbar nach der Säureexposition reinigt. Man darf dabei nicht vergessen, dass Karies immer noch das Hauptproblem darstellt. Für die Prophylaxe der Karies muss sofort nach dem Essen gereinigt werden. Es ist wichtig, dass eine Fachperson individuell optimale Prophylaxeratschläge gibt. Nur so kann gewährleistet werden, dass die adäquaten Prophylaxeschritte eingeleitet und weitergeführt werden. Sonderausgabe 2011 15 Sonderausgabe Erosion Schweregrad der Erosionen Summe aller Sextanten Keine Erosionen < _2 Management • Aufklärung und Überwachung • Wiederholung der BEWE alle 3 Jahre Wenig Erosionen 3–8 • Mundhygieneinstruktion, Ernährungsabklärung und Beratung, Aufklärung und Überwachung • Wiederholung der BEWE alle 2 Jahre Ausgeprägte Erosionen 9 –13 • Mundhygieneinstruktion, Ernährungsabklärung und Beratung, Bestimmung des ätiologischen Hauptfaktors und Eliminierung der Säureeinwirkung • Empfehlung von Fluoridierungsmaßnahmen oder anderen Strategien zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Zahnhartsubstanz • Wenn möglich restaurative Maßnahmen vermeiden. Momentane Situation mit Studienmodellen, Silikonabformungen und Fotos festhalten. • Wiederholung der BEWE alle 6 –12 Monate Schwere Erosionen > _ 14 • Mundhygieneinstruktion, Ernährungsabklärung und Beratung, Bestimmung des ätiologischen Hauptfaktors und Eliminierung der Säureeinwirkung • Empfehlung von Fluoridierungsmaßnahmen oder anderen Strategien zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Zahnhartsubstanz • Wenn möglich restaurative Maßnahmen vermeiden. Momentane Situation mit Studienmodellen, Silikonabformungen und Fotos festhalten. • Spezielle Betreuung bei schnellem Fortschreiten der Erosionen. Gegebenenfalls restaurative Maßnahmen in Betracht ziehen. • Wiederholung der BEWE alle 6 –12 Monate Tab. 3: Risikogruppen mit Empfehlung zur weiteren Betreuung. Bei den Empfehlungen zum Management der Patienten handelt es sich nicht um Richtlinien, da diesbezüglich die Meinungen von Experten stark voneinander abweichen. Lokal: • Steuerung des Säurekonsums: – Konsum von säurehaltigen Lebensmitteln wenn möglich reduzieren und auf möglichst wenige (Haupt-)Mahlzeiten beschränken • Steuerung der Säureeinwirkungsdauer: – Getränke rasch trinken – Nach Säurekonsum mit Wasser oder niedrig konzentrierter Fluoridlösung spülen – Nach Säureeinwirkung/-konsum zahnschonende Kaugummis zur Stimulierung der Speichelfließrate verwenden • Steuerung der Zahnhygiene: – Zahnreinigung nicht unmittelbar nach Säureexposition – Weiche Zahnbürsten – Schwach abrasive Zahnpasten – Fluoridhaltige Zahnpasten – Zahnschonende Bürsttechnik – Regelmäßig, während einiger Minuten, höher konzentrierte (leicht saure) Fluoride applizieren Systemisch: • Einleitung einer kausalen Therapie bei endogener Säurebelastung: – Verdacht auf Reflux: Überweisung an Gastroenterologen – Anorexie-/Bulimie-Patienten: Psychologische oder psychiatrische Betreuung veranlassen Tab. 4: Präventive Maßnahmen. Die folgenden Ratschläge gelten für Patienten, die bereits unter Erosionen der Zahnhartsubstanz leiden oder die ein erhöhtes Erosionsrisiko aufweisen. 16 Sonderausgabe 2011 In jedem Fall soll eine schwach abrasive Zahnpaste, eine weiche Zahnbürste und eine schonende Bürsttechnik angewendet werden. Zusammenfassung Diese Übersichtsarbeit geht auf die multifaktorielle Ätiologie der Erosionen ein. Im Detail werden das klinische Erscheinungsbild und Risikofaktoren für die Entstehung beschrieben und es wird eine neue einfache Methode zur Erfassung der Zahnhartsubstanz (BEWE) beschrieben. Sie ist einfach durchzuführen, da sie sich vom Prozedere her an die parodontale Grunduntersuchung anlehnt. Wichtig ist es zu unterscheiden, ob es sich bei einer Läsion primär um einen erosiven oder einen abrasiven Prozess handelt. Anamnese, Befund und richtige Diagnostik sind auch hier unabdingbare Voraussetzungen für eine adäquate Prävention und Therapie. Die Diätanamnese kann Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten oder Nahrungsmittelergänzungen geben. Weitere Abklärungen wie die Bestimmung der Fließrate, des pH-Werts und der Pufferkapazität des Speichels sind für die Erfassung des Erosionsrisikos der Patienten von Bedeutung (Lussi 2006). Prof. Dr. Adrian Lussi Klinik für Zahnerhaltung · Universität Bern Freiburgstraße 7 · 3010 Bern · Schweiz PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Risikofaktoren und Leitlinien für die Risikoabklärung Dr. Annette Wiegand, Universität Zürich, Schweiz Die Identifikation potenzieller Risikofaktoren für das Auftreten dentaler Erosionen ist notwendig, um geeignete Prophylaxemaßnahmen bzw. eine ursachenbezogene Therapie einzuleiten. Erosionen werden durch extrinsische (z.B. Getränke, Ernährung) oder intrinsische (z.B. Magensäure) Säureeinwirkung verursacht, wobei das Ausmaß der erosiven Demineralisation durch verschiedene (Wirts-)Faktoren, wie z.B. Speichelparameter, moduliert wird. Neben der Darstellung der Risikofaktoren geht der folgende Beitrag auch auf verschiedene Allgemeinerkrankungen ein, die mit einem gehäuften Auftreten von Erosionen assoziiert sind. Exogene Risikofaktoren zeigen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von dentalen Erosionen (Chikte et al. 2005). Schließlich konnten auch bei Profi-Schwimmern vermehrt Erosionen beobachtet werden (Centerwall et al. 1986), wobei besonders unsachgemäß gechlortes Wasser (niedriger pHWert) das Risiko für Erosionen zu erhöhen scheint (Gabai et al. 1988). Heute stellen die ernährungsbedingten Läsionen vermutlich die häufigste Form der extrinsisch verursachten Erosionen dar, so dass besonders bei Vorliegen von Erosionen an den vestibulären Flächen der Oberkieferfrontzähne (Abb. 1) an eine dietätisch ausgelöste Erosion gedacht werden sollte. Dentale Erosionen sind häufig diätetisch verursacht und spiegeln den häufigen Konsum saurer Nahrungsmittel und Getränke wider. Ein erhöhter Verzehr von Erfrischungs- oder Sportgetränken bzw. Zitrusfrüchten kann z.B. besonders bei Sportlern oder gesundheitsbewussten Patienten beobachtet werden. Auch essgestörte Patienten weisen häufig ein verändertes Diätmuster (z.B. hoher Konsum von Light-Softdrinks, Zufuhr von Essig) auf. Die Erosivität eines Getränkes oder Nahrungsmittels ist von der Konsumhäufigkeit und -art (z.B. Trinkgewohnheiten wie schluckweises Trinken, Saugen mit dem Strohhalm, intraorales Spülen mit dem Getränk) abhängig (Zero & Lussi 2006). Ferner wird das erosive Potenzial auch durch den pH-Wert, den Gehalt an titrierbarer Säure, die Pufferkapazität und die Mineralkonzentration des Agens bestimmt (Lussi & Jaeggi 2006). Für weitere Informationen zum Zusammenhang von Ernährung und Erosionen wird an dieser Stelle auf den Beitrag von Frau Dr. van Oost verwiesen. Neben den ernährungsbedingten Risikofaktoren können auch saure Medikamente, wie z.B. Acetylsalicylsäure oder Vitamin C, das Risiko für dentale Erosionen erhöhen, besonders wenn sie regelmäßig eingenommen und in Form von Kautabletten zugeführt werden (Hellwig & Lussi 2006; Hannig & Albers 1993). Die früher häufiger aufgetretenen berufsbedingten Erosionen sind heute nicht zuletzt aufgrund geeigneter Arbeitsschutzmaßnahmen selten zu beobachten. In verschiedenen Studien konnte jedoch nachgewiesen werden, dass – besonders bei fehlenden Arbeitschutzmaßnahmen – bestimmte Industriearbeiter (z.B. in Munitions- oder Galvanisierungsfabriken) ein erhöhtes Risiko für Erosionen aufweisen, da sie vermehrt Säuren oder säurehaltigen Dämpfen ausgesetzt sind (Wiegand & Attin 2007). Auch professionelle Weintester, die über längere Zeit häufig Weinverkostungen durchführen, PROPHYLAXEdialog Abb. 1: Vestibulär lokalisierte Erosionen der Oberkieferfrontzähne, ausgelöst durch extrinsische Säureexposition Endogene Risikofaktoren Endogene Erosionen werden durch das häufige Auftreten von Magensäure bzw. saurem Mageninhalt in der Mundhöhle ausgelöst und werden daher besonders bei Patienten mit Bulimia oder Anorexia nervosa, Alkoholabusus oder Refluxerkrankungen beobachtet (Bartlett 2006). Die Prävalenz von Essstörungen wird mit 0,5 – 3% angegeben, wobei in der Regel junge Frauen zwischen 15 und 25 Jahren betroffen sind Das chronische Erbrechen führt zu Erosionen im Bereich der okklusalen und oralen Zahnoberflächen. In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass diese Patientengruppe ein signifikant häufigeres Auftreten von nichtkariösen Zahnhartsubstanzdefekten aufweist (Robb et al. 1991; Milosevic & Slade 1989). Zusätzlich wird bei Patienten mit Essstörungen häufig auch eine Oligosialie festgestellt, die als Folge der allgemeinen Dehydration durch Gewichtsabnahme oder als Nebenwirkung einer Medikation mit Psychopharmaka auftritt und das Auftreten von Erosionen begünstigt (siehe „Modifizierende Wirtsfaktoren“) (Imfeld & Imfeld 2005). Sonderausgabe 2011 17 Sonderausgabe Erosion Chronischer Alkoholabusus geht ebenfalls mit häufigem Erbrechen einher und kann gastroösophagealen Reflux auslösen, so dass das Risiko für die Ausbildung erosiver Defekte erhöht wird. Robb & Smith (1990) und Hede (1996) konnten eine erhöhte Prävalenz dentaler Erosionen bei alkoholabhängigen Patienten gegenüber gesunden Kontrollen beobachten. Während Essstörungen und Alkoholabusus in der Regel bei Jugendlichen und/oder Erwachsenen beobachtet werden, können Refluxerkrankungen schon im Kindesalter auftreten und Erosionen auslösen (Abb. 2) (Ersin et al. 2006). Abb. 2: Erosionen im Milchgebiss Reflux-induzierte Erosionen bleiben oft lange Zeit unbemerkt und werden dem Patienten erst bewusst, wenn schmerzhafte Hypersensibilitäten auftreten. Der Schweregrad der Refluxerkrankung scheint dabei mit dem Ausmaß der Erosion zu korrelieren (Moazzez et al. 2004; Meurman et al. 1994). Bei den endogeninduzierten Erosionen sollte bedacht werden, dass der Zahnarzt aufgrund des klinischen Bildes (palatinal/lingual und okklusal lokalisierte Erosionen, Abb. 3) häufig als Erster eine Verdachtsdiagnose stellen kann und dann ggf. auch eine weiterführende allgemeinmedizinische Abklärung einleiten sollte. Abb. 3: Endogeninduzierte Erosionen im Oberkiefer 18 Sonderausgabe 2011 Modifizierende Wirtsfaktoren Die Entstehung von Erosionen wird neben der Art, Häufigkeit und Frequenz der Säureexposition von verschiedenen modifizierenden Wirtsfaktoren bestimmt. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Speichel zu. Während eines Säureangriffs wirkt der Speichel in Form der Pellikel und durch Säureverdünnung und -neutralisation schützend auf den Zahn. Nach dem Säureangriff verfügt der Speichel durch die Bereitstellung von Mineralien zur Einlagerung in die demineralisierte Oberfläche über ein reparatives Potenzial (Hara et al. 2006). Verschiedene Allgemeinerkrankungen (Erkrankungen der Speicheldrüsen, Radiatio im Kopf-Hals-Bereich, Sjögren-Syndrom, Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz) und Nebenwirkungen bestimmter Medikationen (Psychopharmaka, Anticholinergika, Antihistaminika, Antiemetika, Antiparkinsonpräparate, Drogenabusus) (Tredwin et al. 2005) gehen mit einer Reduktion der Speichelsekretion einher und tragen somit zu einem erhöhten Risiko für Erosionen bei. Erosive Zahnhartsubstanzverluste gehen mit einer Erweichung der Zahnoberfläche einher, die mit einer verringerten Resistenz gegen mechanische Einflüsse assoziiert ist (Attin et al. 1997). Folglich können erosiv demineralisierte Schmelz- und Dentinoberflächen durch abrasive Reize (z.B. Zähnebürsten, Nahrungszerkleinerung) weiter geschädigt werden. Exzessives Zähnebürsten unmittelbar nach Säurekontakt oder die Verwendung einer stark abrasiven Zahnpasta können somit das Voranschreiten der Läsion fördern. Risikoabklärung Eine frühzeitige diagnostische Abklärung nichtkariöser Zahnhartsubstanzdefekte ist notwendig, um geeignete Prophylaxemaßnahmen einzuleiten und eine invasive Therapie (z.B. Füllungstherapie) zu vermeiden oder hinauszuzögern. Daher sollte der Zahnarzt im Rahmen der Befundaufnahme bereits initialen Läsionen Beachtung schenken. Zur Analyse potenzieller Risikofaktoren ist zunächst eine genaue Anamnese durchzuführen (siehe Tabelle). Im Rahmen dieser Befragung kann der Patient auch gebeten werden, ein sog. Ernährungstagebuch zu führen, um potenzielle erosive Lebensmittel und Getränke zu identifizieren. Das Auftreten von Erosionen, die aufgrund der klinischen Lokalisation (palatinal/lingual) an das Vorliegen einer gastrointestinalen Erkrankung oder einer Essstörung denken lassen, macht eine ätiologische Abklärung in allgemeinmedizinischer bzw. psychologischer Betreuung notwendig. Um die Funktion der Speicheldrüsen zu überprüfen, sollte ferner ein Speicheltest durchgeführt werden, in dem neben der Speichelfließrate und dem pH-Wert auch die Pufferkapazität bestimmt wird. Schließlich empfiehlt sich auch die Dokumentation der bestehenden Defekte (Erosionsindex, Fotos und/oder Modelle), um eine mögliche Progression der Läsionen zu verfolgen. PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Ernährung Häufigkeit und Frequenz des Konsums erosiver Getränke (Fruchtsäfte, Softdrinks, Sportgetränke, Alcopops) und Nahrungsmittel (Zitrusfrüchte, Essiggurken, Bonbons, Salatdressing), ggf. Ernährungstagebuch Allgemeinerkrankungen Gastrointestinale Störungen (Reflux) Essstörungen Alkoholabusus Erkrankungen, die die Speicheldrüsenfunktion beeinträchtigen Erkrankungen der Speicheldrüsen Radiatio im Kopf-Hals-Bereich Sjögren-Syndrom Diabetes mellitus Chronische Niereninsuffizienz Medikation Saure Medikamente (Acetylsalicylsäure, Vitamin C) Reduktion der Speichelsekretion als Nebenwirkung von – Psychopharmaka – Anticholinergika – Antihistaminika – Antiemetika – Antiparkinsonpräparaten – Drogenabusus Verhalten / Umfeld Berufsbedingte Säureexposition Sport (Schwimmbad, erhöhter Konsum erosiver Sportgetränke) Anamnestische Faktoren für die Abklärung erosiver Defekte Dr. Annette Wiegand Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie und Kariologie · Universität Zürich Plattenstraße 11 · 8032 Zürich · Schweiz Methodik von Untersuchungen zur Zahnerosion Prof. Dr. Marie-Charlotte Huysmans, UMC St-Radboud, Nimwegen, Niederlande Einleitung Beim Vergleich von Zahnerosion und Zahnkaries fällt auf, dass die Erosionsforschung ein relativ neues Gebiet mit noch dementsprechend lückenhafter Datenlage ist. In diesem noch recht unerforschten Bereich führen einzelne Untersuchungen daher zwar zu einem ganz erheblichen Erkenntnisgewinn, im klinischen Praxisalltag umsetzbare Rückschlüsse lassen sich daraus allerdings nur bedingt ziehen. Klinische Studien Bislang konzentrierten sich die meisten klinischen Studien zur Zahnerosion vor allem auf die Prävalenz und Risikofaktoren dieser Zahnkrankheit. PROPHYLAXEdialog Die Ergebnisse von epidemiologischen Untersuchungen und Fall-Kontroll-Studien hängen ganz entscheidend von der zur Diagnose der Zahnerosion eingesetzten Methodik ab. Hier sollen nur einige der Probleme herausgegriffen werden, die sich aus einer hohen Variabilität der zur Diagnosestellung verwendeten Methoden zwangsläufig ergeben. In der Literatur werden für die Prävalenz der Zahnerosion höchst unterschiedliche Zahlen angegeben. Diese große Schwankungsbreite ist sicherlich zumindest teilweise auf Unterschiede bei den angelegten diagnostischen Kriterien zurückzuführen. So wurde die Prävalenz von Dentinerosionen in zwei in Großbritannien durchgeführten Untersuchungen bei 14-Jährigen mit 9 % (Dugmore & Rock 2004) bzw. 53 % (Bardsley et al. 2004) angegeben. Ein offensichtlicher Unterschied Sonderausgabe 2011 19 Sonderausgabe Erosion zwischen den beiden Studien bestand beispielsweise darin, dass in letzterer auch die Inzisalkanten der Schneidezähne mitberücksichtigt wurden. Es ist sicher nicht ganz unstrittig, ob die Abtragung der Schneidekanten wirklich ein zuverlässiger Indikator für die Zahnerosion ist oder nicht eher auf Abkauung im Sinne der Abrasion zurückzuführen ist. Im Rahmen von Längsschnittstudien bietet sich die Möglichkeit, einen eventuell vorhandenen Zusammenhang zwischen vorbestehenden Risikofaktoren und der Erosionsinzidenz zu dokumentieren. Beim Nachweis einer positiven Korrelation wäre ein ursächlicher Zusammenhang plausibler. Dies erfolgte für das Vorliegen bestimmter Risikofaktoren im Alter von 12 Jahren und den Erosionsnachweis im Alter von 14 Jahren (Dugmore & Rock 2004). Es ist zwar davon auszugehen, dass künftig auch im Bereich Vorbeugung und Behandlung von Zahnerosionen randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt werden, allerdings lassen sich viele Aspekte der Zahnerosion aus praktischen und ethischen Erwägungen in vivo entweder gar nicht untersuchen oder erfordern umfangreiche vorklinische Vorarbeiten. So ist eine Prüfung des erosiven Potenzials von Softdrinks an menschlichen Probanden ethisch nicht vertretbar, da der damit einhergehende Gewebeverlust irreversibel wäre. Das gleiche gilt für die Anwendung vorbeugender Behandlungen, bevor deren wahrscheinliche Wirksamkeit nachgewiesen ist. Für diesen Zweck wurde eine ganze Reihe von Labor- und In-situ-Modellen entwickelt. Untersuchungen an Modellen Mit Hilfe von Modellen soll die Wirklichkeit vereinfacht abgebildet werden, um so wichtige Parameter unter kontrollierten Bedingungen gezielt untersuchen zu können. Dabei muss stets ein Kompromiss zwischen Kontrolle (mit der Gefahr einer Übersimplifizierung) und klinischer Relevanz der dabei erhobenen Daten eingegangen werden. Denn jede Vereinfachung des tatsächlichen Sachverhalts läuft unweigerlich Gefahr, die Übertragbarkeit auf die klinische Situation zu erschweren bzw. einzuschränken. Bei Untersuchungen zur Zahnerosion kommt noch erschwerend hinzu, dass die für die klinische Relevanz entscheidenden Parameter letztendlich noch gar nicht bekannt sind. Zudem wissen wir nicht, ob die gerade untersuchte Variable unter klinischen Bedingungen nicht möglicherweise mit einer der im Modell nicht berücksichtigten (Einfluss-)Größen in Wechselwirkung tritt. Zur Untersuchung des erosiven Potenzials von Softdrinks beispielsweise wird in der Regel ein stark vereinfachtes Modell herangezogen: Man lässt ganz einfach Softdrinks im Reagenzglas auf Zahnschmelzproben einwirken (Abb. 1). Nur sehr selten enthält das Modell noch zusätzlich Pellikel (auf der Zahnoberfläche gebildeter Niederschlag aus Speicheleiweiß und Epithelabschilferungen). Man geht demnach von vornherein davon aus, dass die Schutzwirkung des Pellikels bei 20 Sonderausgabe 2011 allen Softdrinks gleich ist – die Abstufung des erosiven Potenzials davon also unbeeinflusst bleibt. Aufgrund begrenzter zeitlicher und finanzieller Ressourcen ist es aber unvermeidlich, dass man zunächst mit stark vereinfachten Modellen arbeitet und erst danach gezielte Fragestellungen anhand komplexerer Modelle untersucht. Die abschließende Validierung kann im letzten Schritt immer erst in klinischen Studien erfolgen. Abb. 1: Einfacher Test auf erosives Potenzial: eingebettete bovine Zahnschmelzprobe, die im Reagenzglas gegenüber 1 ml Softdrink exponiert wird. Anschließend wird die Herauslösung von Kalzium aus dem Schmelz atomabsorptionsspektroskopisch (AAS) gemessen. An Modellen wurden bislang im Wesentlichen drei Aspekte der Zahnerosion untersucht: 1. Abklärung des erosiven Potenzials Wie erosiv sind beispielsweise verschiedene Getränke? 2. Untersuchung prophylaktischer Behandlungen Welche vorbeugende Wirkung entfalten bestimmte Behandlungen? 3. Untersuchung der zugrunde liegenden pathologischen Prozesse Was geschieht mit den Zahngeweben während der Exposition gegenüber potenziell erosiven Substanzen? Vor einer näheren Besprechung der drei genannten Untersuchungsgebiete und deren spezifischer Methodik gilt es, vorab noch eine grundlegende Frage zu klären: Was für ein Gewebe ist für die Untersuchungen eigentlich zu verwenden? Wahl geeigneter Gewebe In Untersuchungen zur Zahnerosion wird am häufigsten Zahnschmelz eingesetzt – wahrscheinlich deshalb, weil dieser einerseits das im klinisch-pathologischen Prozess zuerst betroffene Gewebe darstellt und andererseits relativ einfach zu untersuchen ist. Im Zuge des Erosionsvorgangs werden Gewebeschichten „ausgewaschen“, wobei eine erweichte oberste Schicht entsteht. Diese wird bei manchen Erosionsmessungen (chemische und mikroradiographische Methoden) mitberücksichtigt, bei anderen (Profilometrie) hingegen nicht, so dass die Messmethode die Ergebnisse beeinflussen kann (Barbour & Rees 2004). PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Die Verwendung von bovinem Zahnschmelz als Modell des menschlichen Zahnschmelzes ist in der Kariesforschung breit anerkannt (Featherstone & Mellberg 1981). In vitro zeigte sich, dass boviner Zahnschmelz erosionsanfälliger und gegenüber einer Kombination aus Erosion und Abrasion empfindlicher ist (Attin et al. 2007). Außerdem reagiert boviner Schmelz auf Fluoridbehandlungen möglicherweise etwas anders als humaner (Hove et al. 2007). In einer vor kurzem in situ durchgeführten Erosionsstudie wiesen beide Gewebe aber sehr ähnliche Reaktionsmuster gegenüber verschiedenen Behandlungen auf (Rios et al. 2006). In Untersuchungen mit längerer Expositionsdauer finden hingegen eher Techniken Anwendung, mit denen das Ausmaß des Verlusts der Oberflächenschicht mit oder ohne gleichzeitige Erweichung gemessen wird, nämlich die Profilometrie, die Bestimmung des Gewichtsverlusts sowie die Mikroradiographie (Barbour et al. 2006; Jensdottir et al. 2005). Die klinische Relevanz der verschiedenen Methoden ist zwar nur unzureichend belegt, doch korrelieren die Daten bei kurzer und langer Exposition allem Anschein nach gut (Barbour et al. 2006). Das weniger häufig eingesetzte Dentin ist komplexer aufgebaut und daher schwieriger zu untersuchen. In letzter Zeit wurde klar, dass der Erosionsprozess im Dentin anders abläuft als im Schmelz und daher anders untersucht werden muss. In saurem Milieu werden Mineralien aus dem Dentin „ausgewaschen“, während die organische Matrix davon relativ unbeeinflusst bleibt. Diese organische Matrix hat aber einen Einfluss auf das Fortschreiten des Erosionsgeschehens, indem sie einerseits eine Diffusionsbarriere bildet und andererseits als möglicher Remineralisationsort fungiert (Ganss et al. 2004b). Diese Faktoren wurden in Untersuchungen mit längerer Säureeinwirkung mit und ohne enzymatische Entfernung der Matrixschicht beobachtet. Bislang nicht geklärt ist, wie diese Vorgänge unter klinischen Bedingungen ablaufen. Auf jeden Fall ist zu beachten, dass die Matrixschicht – wie auch schon die erweichte Schmelzschicht – profilometrische Messungen sowohl bei der taktilen als auch bei der berührungslosen Profilometrie stören kann (Ganss et al. 2007b), und zwar einerseits vorhersagbar (indem sie im Profil miterfasst wird) und andererseits aber auch in weniger gut vorhersagbarer Weise (indem sie beispielsweise durch Trocknung während der Vermessung schrumpft oder weil die Eindringtiefe des Stylus nicht bekannt ist). Untersuchung des erosiven Potenzials Die zur Untersuchung des erosiven Potenzials von Getränken, Arzneimitteln und anderen Substanzen herangezogenen Methoden unterscheiden sich ganz erheblich. So zeigte sich in einer aktuellen Studie, dass bei Getränken sowohl die Messmethode (chemisch versus profilometrisch) als auch der Expositionsmodus (wiederholte kleine Mengen versus eine einzige große Menge des jeweiligen Getränks) den erhaltenen Messwert des erosiven Potenzials beeinflussen kann (Jager et al. 2008). In der Literatur reichen die Expositionszeiten von Minuten (Lussi et al. 1995) bis Stunden (Jensdottir et al. 2005). In Untersuchungen mit kürzeren Einwirkzeiten kommen eher Messmethoden zum Einsatz, bei denen die Zahnschmelzerweichung als Zielgröße dient, nämlich die Bestimmung der Oberflächenmikrohärte oder auch die Nanoindentation (Abb. 2) (Barbour et al. 2006). PROPHYLAXEdialog µm Abb. 2: Atomkraftmikroskopische Aufnahme der Nanoindentation in erodiertem Zahnschmelz (mit freundlicher Genehmigung von M. E. Barbour) Bei weiteren Expositionsparametern handelt es sich nachweislich um Einflussgrößen der Erosion, nämlich u.a. bei der Temperatur und der Flussrate der Prüfflüssigkeit (Shellis et al. 2005; Barbour et al. 2006). Ganz offensichtlich besteht in diesem Bereich die Notwendigkeit zur Standardisierung der Methodik. Derzeit ist die Datenlage für jede einzelne Methode jedoch begrenzt. Aus einem Vergleich zwischen der Exposition in vitro und in situ konnte geschlossen werden, dass die Erosion in situ deutlich langsamer voranschreitet. Dementsprechend könnte auch unter klinischen Bedingungen mit einem langsameren Fortschreiten des Erosionsprozesses gerechnet werden. In derselben Studie ergaben sich auch Anhaltspunkte dafür, dass sich In-situ-Ergebnisse anhand von In-vitroUntersuchungen nicht besonders zuverlässig vorhersagen lassen (Hunter et al. 2003). Untersuchung prophylaktischer Behandlungen Auch auf diesem Gebiet kamen bislang sehr unterschiedliche Methoden zum Einsatz, wobei diese häufig von den vorgesehenen Behandlungsmodalitäten abhingen. Für Behandlungsmöglichkeiten, die zur häufigen häuslichen Anwendung vorgesehen sind, werden entweder Versuche mit einmaliger Einwirkung oder in Sonderausgabe 2011 21 Sonderausgabe Erosion Zyklen durchgeführte Schemata mit häufigen Behandlungen durchgeführt (Hove et al. 2007; Lennon et al. 2006). Für professionelle Behandlungen, wie z.B. die Auftragung von Zahnlacken, erfolgt in der Regel ein zyklischer Anwendungsmodus, mit dem auch untersucht werden soll, wie lange die Behandlungswirkung anhält (Vieira et al. 2005). Hier gestaltet sich die Abschätzung der klinischen Relevanz der einzelnen Methoden noch schwieriger. So könnten Unterschiede bei den Ergebnissen, wie z.B. keine Wirkung versus ausgeprägte Wirkung von TiF4-Lösungen oder Pellikel, u.a. auch auf Unterschiede bei der jeweils gewählten Methodik, wie z.B. Speichelstimulation versus keine Speichelstimulation, sowie bei dem Applikationsmodus und der Dauer der Fluoridbehandlung, zurückzuführen sein (Wiegand et al. in Druck). In letzter Zeit zeigte sich in einigen in situ durchgeführten Untersuchungen (Abb. 3), dass eine intensive Fluoridierung mit sauren Fluoridpräparaten möglicherweise wirksamer ist als nach den Befunden aus In-vitro-Studien zu erwarten gewesen wäre (Ganss et al. 2004a; Hove et al. 2008). Klinische Beobachtungen weisen allerdings auf eine erhöhte Anfälligkeit von Dentin gegenüber erosiver Abtragung hin (Bell et al. 1998). Daraus kann geschlossen werden, dass diese Schicht möglicherweise mechanisch und/oder enzymatisch abgetragen wird. Abb. 4: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer bovinen Zahnschmelzprobe nach 5-minütiger Einwirkung von Zitronensäure. Erweichte Schicht ca. 3 µm unterhalb der Oberfläche. Abb. 3: Palatinalvorrichtung mit Zahnschmelzproben, wie sie bei In-situ-Untersuchungen verwendet wird Untersuchung der zugrunde liegenden pathologischen Prozesse Im Rahmen von Studien in den beiden anderen genannten Gebieten werden häufig gleichzeitig auch Aspekte der Erosionspathologie mituntersucht. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Bildung einer erweichten Schicht im Zahnschmelz (Abb. 4) bzw. einer Kollagenmatrixschicht im Dentin und der Zusammenhang mit der nachfolgenden mechanischen Abtragung, wie z.B. beim Zähneputzen. Nach den Befunden einiger In-vitro-Untersuchungen erodiert Dentin langsamer als Zahnschmelz (Schlüter et al. 2007; Wetton et al. 2007). Zurückgeführt wurde dies auf die Bildung der als Diffusionsbarriere fungierenden Matrixschicht. 22 Sonderausgabe 2011 Zwar wurde die Anfälligkeit der erweichten Schmelzschicht in vitro gezeigt (Davis & Winter 1980), doch ist die Bedeutung des (Zeitpunkts des) Zähneputzens unter klinischen Bedingungen unklar (Ganss et al. 2007a; Vieira et al. 2007). Zum Einfluss des Putzens auf Dentin nach erfolgter Erosion liegen ebenfalls unterschiedliche Literaturangaben vor (Attin et al. 2004; Ganss et al. 2007b). Wiederum können viele verschiedene Parameter des Versuchsaufbaus für die Variabilität der Ergebnisse verantwortlich sein, u.a. die Messmethode. Fazit Labormodelle können einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des Erosionsprozesses und zur Untersuchung einer großen Zahl von Parametern leisten. Die Verwendung unterschiedlicher Methoden hat zwar unseren Erkenntnisstand erweitert, im Interesse der Vergleichbarkeit wäre aber eine Einigung auf eine gewisse Standardisierung erforderlich. Bei der Übertragung der in vitro erhaltenen Daten auf die klinische Situation ist erhebliche Vorsicht angebracht. Die endgültige Validierung muss zunächst in In-situ-Modellen und schließlich in klinischen Studien erfolgen. Prof. Dr. Marie-Charlotte Huysmans UMC St-Radboud · Faculteit Medische Wetenschapen Postbus 9101 · 6500 HB Nijmegen · Niederlande PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Ernährung und Erosion Dr. Gerta van Oost, Dormagen Einleitung Eine vollwertige, den aktuellen Empfehlungen entsprechende Ernährung enthält reichlich pflanzliche Lebensmittel. Saure naturbelassene Lebensmittel, z.B. Obst, sind Bestandteil einer gesunden Kost. Die Alltagsernährungs- und Trinkgewohnheiten weichen jedoch – mitunter in guter Absicht – von einer ausgewogenen Kostzusammenstellung ab. Darüber hinaus nehmen in zunehmendem Maße säure-, insbesondere zitronen- und phosphorsäurehaltige Erfrischungsgetränke im alltäglichen Speiseplan einen festen Platz ein. Solche Ernährungs- und Trinkgewohnheiten sind ausschlaggebend für die Zunahme zahnschmelzauflösender Folgeschäden. Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung Ausgewogen und gesund ist eine abwechslungsreiche Ernährung, die sowohl pflanzliche als auch tierische Lebensmittel enthält. Die aid-Ernährungspyramide weist den Weg (Auswertungs- und Informationsdienst für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten e.V., aid [Hrsg.]). Die Darstellung der Pyramide basiert auf den wissenschaftlichen Empfehlungen der DACH-Referenzwerte (Deutsche Gesellschaft für Ernährung [DGE], Österreichische Gesellschaft für Ernährung [ÖGE], Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung [SGE], Schweizerische Vereinigung für Ernährung [SGV]: D-A-CH – Referenzwerte für Nährstoffzufuhr, Umschau/ Braus, Frankfurt 2000). Die aid-Ernährungspyramide Sieben essenzielle Lebensmittelgruppen (Wasser, Gemüse, Obst, Getreide, Milch(-Produkte), „Fleisch/ Fisch/Eier“, Öle) gehören zu einer ausgewogenen Ernährung. In der Pyramide sind sie verteilt auf fünf Ebenen, die sechste ist die Ebene der „Extras“, der Ausnahmen. Die Untermalung mit den Ampelfarben Grün, Gelb, Rot macht die Darstellung leicht verständlich und selbsterklärend. Die Länge der sechs Ebenen symbolisiert die mengenmäßige Gewichtung der Lebensmittel. Aktuelle wissenschaftliche Studien zeigen eindrucksvoll die präventive Wirkung eines hohen Gemüse- und Obstverzehrs gegenüber Herz-KreislaufErkrankungen (Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. 2007). Die Kampagne „5-am-Tag“, fünf Portionen Gemüse und Obst, erhält somit ihre Berechtigung. Die Berücksichtigung von sog. Extras im obersten Segment der Pyramide darf nicht fehlgedeutet werden als Empfehlung; sie deutet an, was und wie viel (wenig) an Süßigkeiten, Snacks, Softdrinks und alkoholischen Getränken tolerabel ist – auf das rechte Maß kommt es an! Von oralprophylaktischer Seite ist eine ergänzende Betrachtung sinnvoll, um das „five a day“-Motto, wie es in den USA lautet, tatsächlich zu einer rundherum prophylaktischen Maßnahme werden zu lassen. Ein großer Teil der empfohlenen Lebensmittel enthält Säuren. Deshalb beachte man die Gewichtung: Gemüse zu Obst im Verhältnis 3 zu 2. Säfte als Ersatz für Obst sollten nur die Ausnahme sein. Die wichtigsten in Lebensmitteln enthaltenen Säuren sind Apfelsäure, Ascorbinsäure, Brenztraubensäure, Essigsäure, Fumarsäure, Kohlensäure, Milchsäure, Oxalsäure, Weinsäure und Zitronensäure. Letztere – nicht zu verwechseln mit Ascorbinsäure – hat im Vergleich zu anderen Säuren eine besonders starke erosive Wirkung (Attin 1999). Extras: Knabbereien, Süßes, fette Snacks, Alkohol Fette und Öle Milch und Milchprodukte, Fisch, Fleisch, Wurst, Eier Brot, Getreide und Beilagen Gemüse, Salat und Obst Getränke © aid infodienst e.V., Idee: Sonja Mannhardt PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe 2011 23 Sonderausgabe Erosion Die folgende Tabelle zeigt Beispiele säurehaltiger Lebensmittel und Getränke sowie deren geschmacksgebende Säuren. Es sollte berücksichtigt werden, dass saure Nahrungsmittel einen erhöhten Speichelfluss auslösen (Attin 1999), insbesondere wenn sie gründlich gekaut werden. Damit werden die Säuren zum Teil durch den Speichel neutralisiert und beschleunigt „abgeschluckt“ – ein Pluspunkt für den „Apfel“. Ein weiterer Grund, Frischobst zu essen statt den entsprechenden Saft zu trinken, liegt in der Tatsache, dass z.B. für einen Liter Orangensaft über 20 Orangen, für einen Liter Apfelsaft 25 bis 30 Äpfel gepresst werden müssen – ein nicht zu unterschätzender Aspekt bei der zunehmenden Überernährung in der Bevölkerung. Säuren sind DIE geschmacksgebende Komponente in Erfrischungsgetränken. Tabelle 2 zeigt den Säuregrad der verschiedenen Getränke; pH-Werte von unter 3 bis 4 sind bei diesen Getränken die Regel. pH-Werte in Getränken Fruchtsäfte (z.B. Apfel-, Aprikosen-, Birnen Grapefruit-, Kirsch-, Orangen-, Traubensaft) Zitronensaft 3,0 bis 3,7 Gemüsesäfte (Karotten-, Tomatensaft) 4,0 bis 4,2 Limonaden 2,5 bis 3,5 Erfrischungsgetränke (z.B. Cola-Getränke, Limonaden, auch in der „light“-Form) 2,6 bis 3,0 2,7 bis 3,0 Säurehaltige Lebensmittel und Getränke Beispiele Maßgebliche geschmacksgebende Säure Kernobst und entspr. Getränke Zitrusfrüchte und entspr. Getränke Apfel, Birne Apfelsäure Isotonische (Sport-)Getränke 3,0 bis 3,7 Apfelsine, Pampelmuse Zitronensäure Aromatisierte Wässer (z.B. Mineralwasser mit Zitrone) ca. 3,3 Tomate Möhre Rhabarber Zitronensäure Apfelsäure Zitronen-, Apfel-, Oxalsäure Eistee 3,8 bis 3,9 Mineralwasser mit Kohlensäure ca. 5,5 Sauer eingelegte Gemüse Gewürzgurken Rote Bete Essigsäure Trinkwasser lt. Trinkwasserverordnung ca. 7,0 6,5 bis 9,5 Milchsäurevergorenes Gemüse Trinkmilch 6,6 bis 6,8 Sauerkraut Milchsäure Apfelessig Weinessig Essigsäure Schwarzer Tee 6,5 bis 7,0 Kaffee 5,2 bis 5,6 Sauermilchprodukte Jogurt Kefir, Dickmilch Milchsäure Süßigkeiten/Süßwaren Saure Bonbons Geleebonbons Weingummi Zitronensäure Weinsäure Gemüse und Gemüsesäfte Essig Eistee Cola-Getränke Limonaden, Limonadenkonzentrat Energy- und Wellnessdrinks, Isotonische Sportgetränke Früchtetee Kombucha Brottrunk, Kwass Obstessig-Drink Mineralwasser Zitronensäure Phosphorsäure Zitronensäure Zitronensäure (Apfel-)Essigsäure Zitronen-, Apfelsäure Milch-, Essigsäure, Milchsäure Essigsäure Kohlensäure Lebensrealität: Supermarkt Ein Blick in Super- und Getränkemärkte zeigt folgendes Bild: Unter den Getränken dominiert ein reichhaltiges Angebot von 100 bis 200 (je nach Größe des Marktes) verschiedenen Säften, Fruchtnektaren, Fruchtsaftgetränken, Iso- und Wellnessdrinks, Eistee, aromatisierten Wässern, alkoholhaltigen und alkoholfreien Erfrischungsgetränken in den unterschiedlichsten Abpackungen (200 bis 1.500 ml). 24 Sonderausgabe 2011 Neuestes Produkt in der Gruppe „Obst“ sind sog. Smoothies, pürierte Früchte. Diese Produkte sind differenziert zu bewerten: Grundsätzlich positiv ist – insbesondere für Menschen mit Kaubehinderungen – das appetitanregende und bequeme Angebot, mehr Obst zu verzehren. Kritisch ist anzumerken: Pürierte Früchte brauchen keinen Kauapparat mehr! Bei der Zusammensetzung beachte man, dass komplette Früchte, wenn möglich mit Schale, verwendet werden. Fruchtkonzentrate als Zutat sind zu bemängeln. Durch das Konzentrieren verringert sich der natürliche Wassergehalt und der Zuckeranteil erhöht sich. Smoothies, in kleinsten Mengen zwischendurch gegessen, haben ein zu beachtendes erosives Risiko. Lebens-, Einkaufs- und Ernährungsalltag Der bewusste Blick in die Alltagspraxis des Essens und Trinkens ist im Rahmen der Prophylaxe unerlässlich! Beispiel 1: Der Einkaufswagen eines „gesundheitsbewussten“ Menschen: Orangensaft, Apfelsaft, Multivitaminsaft, verschiedene Früchtetees, Mineralwasser „mit Geschmack“, Orangen, Zitronen (neben Müsliriegeln, Sesamknusperstangen etc.) – alles „für die PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Gesundheit“. Hier wird deutlich, dass diese Personengruppe über die Kehrseite und den Umgang mit gesunden, säurehaltigen Lebensmitteln aufgeklärt werden muss. Der Genuss saurer Nahrungsmittel kann zu Zahnerosionen führen. Nicht nur Fruchtsäfte können zu Säureschäden führen, sondern auch der häufige Genuss von Cola-Getränken und Limonaden, Tee mit Zitrone, Eistee, Obstessig-Drinks etc. Beispiel 2: Ein typischer Tagesablauf eines jungen Auszubildenden (Tabelle unten) macht deutlich, dass Erfrischungsgetränke wie Cola, Limonade und Säfte, über den Tag verteilt zwischen den Mahlzeiten, zum Alltag gehören. Tagesprotokoll eines 17-Jährigen 07.00 Aufstehen 07.15 Zähneputzen 1 Zigarette 1 Dose Cola 07.45 Arbeitsbeginn 10.00 Frühstückspause 1 1 1 1 12.30 Mittagspause 1 Portion Pommes 1 Bratwurst Ketchup und Mayonnaise 1 Dose Cola 1 Dose Limonade 1 Zigarette 14.30 Kaffeepause (und zwischendurch) 16.00 Arbeitsende Bounty Fruchtjoghurt Dose Limonade Zigarette 2 Zigaretten 2 Dosen Cola light 16.15 2 Butterbrote 2 Glas Apfelsaft 19.00 1 2 1 3 23.00 große Pizza Glas Orangensaft Glas Cola Zigaretten Bad, Zähneputzen, ins Bett In diesem Beispiel wird die Ernährungspyramide auf den Kopf gestellt: Süße (und saure) Getränke nehmen Platz 1 ein; Wasser fehlt völlig. Die Zahl der Säureimpulse aus Erfrischungsgetränken zwischendurch ist beträchtlich. Beispiel 3: Alternative Ernährungsformen wie z.B. vegetarische oder veganische Kost, auch Rohkostformen, Trennkost, Sonnenkost oder „Fit for life“ beinhalten oft die Empfehlung, bis zum Mittag ausschließlich Obst zu essen oder Fruchtsäfte zu trinken. Im Allgemeinen haben vegetarisch betonte Kostformen ernährungsphysiologische Vorteile. Man übersieht jedoch dabei, dass diese so vermeintlich gesunde Ernährung nicht zu unterschätzende Risiken für die Zahngesundheit hat. PROPHYLAXEdialog Beispiel 4: Bei Sportlern, gleichgültig ob im Freizeit- oder Leistungssport, Fitnessstudio oder Verein, sind Elektrolytgetränke, sog. Isodrinks, während des Trainings und danach üblich. Gerade bei geringem Speichelfluss – und das ist der Fall, wenn Sportler stark schwitzen oder zu wenig trinken – ist die Pufferwirkung des Speichels stark reduziert und der pH-Wert bleibt längere Zeit niedrig. Wenn zusätzlich „gegen den trockenen Mund“ Zitronenscheiben ausgelutscht werden, um den Speichelfluss anzuregen, wird die Zahnschädigung besonders fatal. Beispiel 5: Ein bis heute nicht ausgemerztes Problem ist die nächtliche Gabe von Säften an Säuglinge und Kleinkinder zur Beruhigung. Nachdem „Zuckertee“ in Verruf gekommen ist, gibt es – als vermeintlich bessere Alternative – nachts häufig „gesunde“ Fruchtsäfte. Beim Schlaf in der Nacht hält der pH-Abfall in der Mundhöhle jedoch besonders lange an, da der Speichelfluss in dieser Zeit physiologisch gering ist. Beispiel 6: Das Trinken aus „Nuckelflaschen“ ist „in“ – selbst noch bei Schulkindern und Jugendlichen. Der Verschluss vieler Erfrischungsgetränke besteht – ebenso wie bei wiederverwendbaren Flaschen – aus einem „Saugnuckelkopf“ und verführt zum Trinken in kurzen Zeitabständen. Das Ernährungstagebuch – ein Instrument bei der Ursachenfindung Die Ursache von Erosionsdefekten lässt sich durch ein einfaches Anamnesegespräch oft nicht eindeutig finden. Die Methode der Wahl ist in solchen Fällen das Führen eines Ernährungstagebuchs. Über eine Woche sollte jeder Bissen und jeder Schluck mit Uhrzeit der Nahrungsaufnahme aufgeschrieben werden. Nur so werden auch kleinste Mengen, die der Patient selber für unbedeutend hält, bewusst. Patienten unterschätzen in der Regel die Säuremengen aus Obstsäften und Getränken. Ebenso wertvoll kann die Information sein, WIE ein Patient isst und trinkt. Wer den Saft gern im Mund behält und zwischen den Zähnen hindurch drückt, sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass derartige Säureattacken Spuren hinterlassen. Aktuelle Studienergebnisse Lussi & Jaeggi (2006) konnten nachweisen, dass mit Kalzium und Phosphat angereicherte Säfte, gleichgültig ob Erfrischungs- oder Sportgetränke, eine deutlich geringere erosive Wirkung zeigen als Getränke ohne diesen Zusatz. Bei Milch- und Sauermilchprodukten (Joghurt mit und ohne Fruchtzusatz, Buttermilch, Molke) wurde keine schmelzauflösende Wirkung gefunden, im Gegenteil, sie entfalten einen positiven Effekt auf die Zahnoberfläche. Der Grund ist die natürlicherweise mit Kalzium und Phosphat gesättigte „Lösung“ in Milchprodukten. Sonderausgabe 2011 25 Sonderausgabe Erosion Insgesamt spielen bei der Beurteilung der erosiven Wirkung von Lebensmitteln und Getränken neben dem pH-Wert, die tritrierbare Säure, der Kalzium-, Phosphatund evtl. der Fluoridgehalt eine Rolle. Zudem sind individuelle biologische Faktoren wie Speichelfließrate, Speichelpufferkapazität, anatomische Gegebenheiten sowie Fragen des Lebensstils, der Ess- und Trinkgewohnheiten (siehe vor) von Bedeutung. Sie beeinflussen die Entstehung erosiver Zahndefekte in unterschiedlichem Maße. Präventive Maßnahmen Zu einer ausgewogenen Ernährung gehören neutrale, saure und alkalische Lebensmittel. Zu den neutralen und alkalischen Lebensmitteln zählen Wasser, Milch, Käse, Eier, Gemüse, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Getreide, Nüsse. Joghurts und andere Sauermilchprodukte haben hinsichtlich der Zahngesundheit keinen negativen, sondern einen positiven Effekt. Durch eine Anreicherung mit Kalzium und Phosphat lässt sich die erosive Wirkung von sauren Getränken deutlich verringern. In verschiedenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass sich nach dem Verzehr von gereiftem Käse der pH-Wert des Zahnbelags erhöhte und somit kein kariogener Säureangriff stattgefunden hat (Kashket & DePaola 2002; van Oost 2003). Die wichtigsten zusammenfassenden Empfehlungen zur Prävention erosiver Zahnschäden sind: W Den Verzehr säurehaltiger Getränke reduzieren und auf wenige Mahlzeiten beschränken. W Keine sauren Erfrischungsgetränke vor dem Zubettgehen oder während der Nacht! W Frischobst essen statt Obstsaft trinken. Das Kauen regt den Speichelfluss an und wirkt dem Säureangriff entgegen. W Wenn Zwischenmahlzeiten, dann eignen sich Lebensmittel wie Nüsse, Rohkost, Joghurt, Buttermilch oder Brot mit Käse. Empfehlenswerte Getränke sind Wasser, Kaffee, Schwarzer Tee, Kräutertee. W Nach dem Verzehr saurer Getränke und Speisen nicht die Zähne putzen. Entweder gründliche Neutralisation mit Wasser, dem ein halber Teelöffel Natron beigegeben werden kann, oder mit einem Schluck Milch den Mund durchspülen – oder mit dem Zähneputzen warten. Eine genussvolle und zahnschonende Alternative zeigen uns die Franzosen: Sie beschließen eine Mahlzeit mit Käse. Dr. Gerta van Oost Meerbuscher Straße 45a · 41540 Dormagen Ernährungsmedizinische Kommunikation und Beratung 26 Sonderausgabe 2011 Essstörungen und der Kauapparat Dr. Ulrich Cuntz, Dr. Wolfgang Niepmann, Prien Formen von Essstörungen Essstörungen gab und gibt es, soweit wir das wissen, in allen Kulturen und zu allen Zeiten. Allerdings nimmt in den heutigen westlichen Gesellschaften, in denen Essen im Überfluss vorhanden ist und in denen die kulturell üblichen Mahlzeitenstrukturen immer mehr in Auflösung begriffen sind, die Häufigkeit von Essstörungen deutlich zu, und gleichzeitig werden auch die gesundheitlichen Folgen der Essstörungen für die Bevölkerung immer gravierender. Essstörungen haben dabei ein Spektrum von schlechten Angewohnheiten ohne wesentliche Beeinträchtigung von Befinden und körperlicher Integrität bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsbildern wie bei der hochgradigen Anorexia nervosa. Neben der Anorexia nervosa ist auch die Bulimia nervosa von klinischer Relevanz. Durch die abnormen Essgewohnheiten kann der Zahnapparat in vielen Fällen ganz erheblich geschädigt werden. Für den Zahnarzt sind deswegen Kenntnisse dieser Krankheitsbilder essenziell. Für die Therapie und Prophylaxe bei den damit verbundenen Zahnschäden ist auch die Normalisierung des Essverhaltens eine wesentliche Voraussetzung. Zudem kommt dem Zahnarzt eine wichtige Rolle in der Früherkennung dieser Störungen zu. Die Beschreibung der Bulimia nervosa als eigenständiges Krankheitsbild erfolgte erst im Jahr 1979 durch den englischen Psychiater Gerald Russell. Die Bezeichnung „Bulimia“ wurde aus dem Griechischen abgeleitet und bedeutet soviel wie „Stierhunger“. Kennzeichnend für die Störung sind Essanfälle, bei denen sehr viel mehr, als eine normale Person bei einer Mahlzeit essen würde, innerhalb kurzer Zeit gegessen wird und dabei das Gefühl entsteht, keine Kontrolle mehr über das Essverhalten zu haben. Das zweite wichtige Merkmal dieser Störung sind gegensteuernde Maßnahmen wie Erbrechen, Einnahme von Laxantien oder Diuretika (beim sog. PurgingTypus) oder Fasten und übermäßige körperliche Aktivität. Im Gegensatz zu dem, was der Ausdruck „Bulimia“ suggeriert, ist der Hunger der Patientin in der Regel nicht übermäßig ausgeprägt, und viele Patienten nehmen durch das gestörte Essverhalten tendenziell ab. Figur und Gewicht sind für die Betroffenen von ganz entscheidender Bedeutung für das Selbstwertgefühl, und es ist charakteristisch, dass eine Gewichtsabnahme intendiert wird. PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Diagnostische Kriterien nach DSM IV * (ICD ** 10 F50.0) Anorexia nervosa Restriktiver Typ Bulimischer Typ Bulimia nervosa Gewicht wird soweit reduziert, dass es weniger als 85% des zu erwartenden Gewichtes beträgt Gewicht ist leicht untergewichtig, normalgewichtig oder auch übergewichtig Ausgeprägte Ängste vor Gewichtszunahme Gegensteuerndes Verhalten: Fasten oder übermäßige körperliche Aktivität Störung der Wahrnehmung der eigenen Figur, übertriebener Einfluss des Körpergewichtes auf das Selbstbewusstsein Übertriebener Einfluss von Figur und Gewicht auf das Selbstwertgefühl Bei Frauen nach der Menarche liegt Amenorrhoe vor Normale Regelblutung Keine Essanfälle Regelmäßige Essanfälle Regelmäßige Essanfälle mit dem Gefühl von Kontrollverlust Kein „Purgingverhalten“ Purgingverhalten: Erbrechen, Missbrauch von Laxantien oder Diuretika Beim „purging Typus“: Regelmäßiges Erbrechen, Gebrauch von Laxantien oder Diuretika ** DSM IV = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen ** ICD10 F50.0 = Internationale statistische Klassifikationen der Krankheiten Tab. 1: Übersicht über die diagnostischen Kriterien von Anorexia und Bulimia nervosa Die Anorexia nervosa ist gekennzeichnet durch ein krankhaft niedriges Gewicht, das willentlich herbeigeführt wurde. Als diagnostische Grenze gilt dabei ein Gewicht von und 85 % dessen, was aufgrund von Alter und Körpergröße zu erwarten wäre. Es besteht eine ausgeprägte Furcht vor Gewichtszunahme. Die Körperwahrnehmung ist charakteristisch verzerrt, so dass der eigene bedrohliche körperliche Zustand nicht wirklich wahrgenommen wird. Bei Frauen im gebärfähigen Alter besteht Amenorrhoe als Zeichen der Unterernährung. Man unterscheidet zwei Typen der Anorexia nervosa: Beim restriktiven Typus wird das Gewicht im Wesentlichen durch zu geringe Nahrungsaufnahme niedrig gehalten, bei einem Teil der Patienten kommt übermäßige körperliche Betätigung hinzu. Beim sog. „bulimischen Typus“ treten ähnlich wie bei der Bulimia nervosa Essanfälle auf und es werden als gegensteuerndes Verhalten Erbrechen, Laxantien oder Diuretika eingesetzt. Die gravierendsten Folgen für die Zähne treten dabei wie bei der Bulimia nervosa durch das rezidivierende Erbrechen ein. Epidemiologie Anorexia nervosa und Bulimia nervosa sind im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung vergleichsweise selten. Allerdings gibt es Bevölkerungsgruppen, in denen beide Essstörungen erheblich häufiger und ein ernst zu nehmendes gesundheitliches Problem sind. Auch wenn die Anorexia nervosa wohl in allen Kulturen und in allen Jahrhunderten auftritt, treten Essstörungen ganz gehäuft in bestimmten Subgruppen auf: PROPHYLAXEdialog W Essstörungen sind bei Frauen um mehr als den Faktor 10 häufiger als bei Männern. W Essstörungen treten gehäuft in den westlichen Kulturen auf. W Essstörungen sind sehr viel häufiger in den Altersgruppen zwischen 15 und 35. Der früher verwendete Ausdruck Pubertätsmagersucht ist irreführend, da die Erkrankung durchaus nicht nur während der Pubertät auftritt, allerdings ist der Erstbeginn sehr häufig während der ersten Jahre der Pubertät. Die Bulimia nervosa beginnt im Durchschnitt einige Jahre später als die Anorexia nervosa. W Die weiße Bevölkerung in den USA ist wesentlich häufiger betroffen als die schwarze Bevölkerung. Dies spricht auch für ethnische Einflussfaktoren. W Die Konkordanzraten bei eineiigen Zwillingen sind wesentlich höher als bei zweieiigen Zwillingen. Dies spricht für einen erheblichen genetischen Einfluss. Insgesamt dürfte die Prävalenz der Anorexia nervosa bei jungen Frauen bei etwa 0,5 % liegen und für die Bulimia nervosa etwa doppelt so hoch sein. Man geht heute davon aus, dass die Häufung von Essstörungen bei jungen Frauen der westlichen Kulturen sehr stark mit dem ausgeprägten Schlankheitsideal in den betreffenden Gesellschaften zusammenhängt. Die Bulimia nervosa entsteht im Spannungsfeld zwischen Nahrungsüberangebot, einer häufigen Veranlagung zu höherem Körpergewicht und den gleichzeitig von der Gesellschaft vorgegebenen, in den letzten 40 Jahren zunehmend strengen Gewichtsnormen. Insofern verwundert es nicht, dass die Bulimia nervosa bis in die 90er Jahre immer häufiger wurde. Dagegen Sonderausgabe 2011 27 Sonderausgabe Erosion scheint die Anorexia nervosa weniger an die jeweiligen Trends des aktuell vorgegebenen Schlankheitsideals gebunden zu sein. Bei allen Menschen, bei denen ein besonders niedriges Gewicht eine große Rolle spielt, besteht auch ein hohes Risiko, an einer Anorexia nervosa oder einer Bulimia nervosa zu erkranken, z.B. gilt dies für Balletttänzer/innen, für Jockeys, für Skispringer oder Models. Körperliche Folgen Die abnormen Essgewohnheiten bei der Anorexia nervosa und der Bulimia nervosa führen über verschiedene Mechanismen zu teils gravierenden körperlichen Schädigungen. Zu diesen Mechanismen zählen die Essanfälle, die einseitigen Ernährungsgewohnheiten, das Erbrechen, der Missbrauch von Diuretika oder Laxantien und das Untergewicht. Daraus geht hervor, dass das Schädigungsmuster sich je nach Ausprägung der einzelnen Mechanismen bei den Essstörungen unterscheidet. Die hiermit verbundenen körperlichen Vorgänge sind zahlreich. Es werden im Folgenden diejenigen Veränderungen beschrieben, die für den Kauapparat von Bedeutung sind. Essstörungen versetzen den Körper in einen latenten oder manifesten Zustand des Energie- und Substratmangels. Als unmittelbare Folge hieraus ergibt sich eine hormonelle und endokrine Reaktion, die katabole Prozesse der Energiebereitstellung begünstigt. Dies umfasst beispielsweise die vermehrte Katecholaminausschüttung und die vermehrte Kortisolfreisetzung. Die Folgen hieraus sind die Behinderung von Aufbauund Regenerationsvorgängen. Die Neu- und Umbildung von kurzlebigen Zellreihen wird erschwert. Dies zeigt sich beispielsweise in einer häufig aufzufindenden Leukopenie bei den Patienten. Generell sind aber auch die Schleimhäute, die einen raschen Zelldurchsatz aufweisen, hiervon betroffen. Dagegen werden bei Frauen die regenerativen Funktionen zurückgefahren, der Körper kann hierdurch künstlich in die Wechseljahre versetzt werden. Zahnschäden Die häufigste Schädigung der Zähne bei der Anorexia und der Bulimia nervosa entsteht durch Säureeinwirkung auf die Zähne. Durch die Regurgitation von Mageninhalt beim Erbrechen wird der kritische pH-Wert von 5,5 deutlich unterschritten und führt hierdurch zunächst zur Schädigung des Zahnschmelzes, später auch des Dentins. Deutliche klinische Symptome von Zahnerosionen, die durch häufiges Erbrechen hervorgerufen werden, können meist erst nach ein bis zwei Jahren beobachtet werden. Es finden sich dann vor allem an den palatinalen und okklusalen Zahnflächen im Oberkiefer ausgeprägte Zahnhartsubstanzverluste von Schmelz und Dentin, die auch als Perimylolysis bezeichnet werden (Abb. 1). Abb. 1: Ausgeprägte Perimylolyse der palatinalen und okklusalen Zahnflächen im Oberkiefer Die typischen Erosionen bei Essstörungen haben eine weiche, glasige Oberfläche. Diese können mit einer Exposition des Dentins bzw. der Pulpa, starken Hypersensitivitäten, einem Dünnerwerden der Inzisalkanten und letztendlich mit einem Verlust der vertikalen Dimension der Kiefer zueinander einhergehen. Der progrediente Zahnhartsubstanzverlust kann dazu führen, dass Ränder von Restaurationen über das Zahnniveau erhoben sind (Abb. 2). Hypercortisolismus, Substratmangel, Vitamin-DMangel und die beschriebenen hormonellen Umstellungen führen in der sensiblen Phase des Knochenaufbaus zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr zu einer verminderten Mineralisation des Knochens. In der Regel führt dies zu einer klinisch manifesten Osteoporose nach längeren Jahren der Mangelernährung, wobei die Ursache hierfür in diesen sensiblen Jahren gelegt wird. In späteren Jahren kann hierdurch in Einzelfällen auch der Zahnhalteapparat beeinträchtigt werden. Abb. 2: Erhabene Füllungsränder neben okklusalen Erosionen 28 Sonderausgabe 2011 PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Häufig putzen sich die Patienten nach dem Erbrechen die Zähne. Beim Zähnebürsten wird die durch die Säuren erweichte Zahnoberfläche verstärkt abgetragen, so dass der Zahnhartsubstanzverlust dadurch zusätzlich beschleunigt wird. Vestibuläre Erosionen an den Zähnen in Verbindung mit Essstörungen finden sich bei solchen Patienten, deren Ernährung durch extrinsische Erosionsfaktoren, wie z.B. übermäßigen Genuss von Zitrusfrüchten, einseitig gestaltet ist. Solche Nahrungsbestandteile werden häufig genutzt, um das Hungergefühl zu stillen (Abb. 3). Abb. 3: Vestibuläre Erosionen durch extrinsische Säureexposition bei Anorexia nervosa Patienten mit Bulimie weisen darüber hinaus eine höhere Kariesprävalenz auf. Für die erhöhte Kariesprävalenz werden die übermäßige Aufnahme fermentierbarer Kohlenhydrate während der Essphasen und ein verminderter Speichelfluss diskutiert. Darüber hinaus sinkt während des Fastens die Phosphatkonzentration im Speichel und es ist eine vermehrte Plaquebildung zu beobachten. Dadurch wird der durch den Säureangriff demineralisierte Schmelz empfindlicher gegenüber kariogenen Noxen. Verbunden mit der bei der Anorexia nervosa regelmäßig vorhandenen Depression wird häufig die Zahnpflege vernachlässigt, was auch bei dieser Form von Essstörung dem Entstehen von kariösen Läsionen Vorschub leistet. Durch rezidivierendes Erbrechen, aber auch durch Diuretika- und Laxantienabusus wird die Speichelproduktion reduziert. Die daraus resultierende Xerostomie findet sich aber auch im Rahmen von hochgradiger Anorexie und bei Einnahme von Antidepressiva, insbesondere bei solchen mit trizyklischer Struktur. Durch die starke vagale Stimulation findet sich bei rezidivierendem Erbrechen regelhaft eine deutliche Vergrößerung der Glandula parotis und der Gl. sublingualis, die in aller Regel schmerzfrei ist. Die damit verbundene sichtbare Schwellung der Ohrspeicheldrüse wird von manchen der Patienten als entstellend empfunden. In den meisten Fällen verschwindet diese sichtbare Schwellung der Speicheldrüsen nach länger dauerndem Einstellen des Erbrechens. PROPHYLAXEdialog Prophylaxe Der optimale präventive Schutz vor einer Zahnerosion ist die Vermeidung des Zahnkontaktes mit erosiven Noxen, wie säurehaltigen Getränken und Speisen. Optimal wäre das Einstellen des Erbrechens. In vielen Fällen wird dies erst unter psychotherapeutischer Behandlung erreicht werden. So lange das abnorme Essverhalten bestehen bleibt, sollte der Zahnapparat geschützt werden. Nach dem Erbrechen kommt es zu einer kurzzeitigen Absenkung des pH-Wertes auf den Zahnoberflächen, insbesondere der palatinalen Flächen der oberen Frontzähne. Daher ist der Hinweis besonders wichtig, die Zähne nicht unmittelbar nach einer Säureeinwirkung zu putzen, sondern den Mund mit Wasser auszuspülen. Darüber hinaus wird das Ausspülen des Mundes mit säureneutralisierenden Flüssigkeiten wie z.B. Natriumbikarbonat, Backpulver oder Antacida empfohlen, die zuvor in Wasser gelöst werden, um so eine Erhöhung des pH-Wertes und eine Abpufferung von Säuren im Mund zu erzielen. Einen weiteren chemischen Schutz der Zähne kann der Patient z.B. durch Kauen von zuckerfreien Kaugummis erreichen. Durch das Kaugummikauen wird der Speichelfluss angeregt, wodurch auch die Pufferkapazität des Speichels erhöht wird. Regelmäßiges Bürsten mit fluoridhaltigen Gelen und/oder das Auftragen von natriumfluoridhaltigen Lacken (Letzteres als zahnärztliche Maßnahme) erhöhen die Erosionsresistenz des Schmelzes. Dazu trägt auch die tägliche Mundhygiene mit fluoridhaltigen Zahnpasten und Zahnspülungen bei. Die Wiedererhärtung von erosiv erweichtem Zahnschmelz kann darüber hinaus durch den Konsum von Milch oder Käse beschleunigt werden. Ferner ist Patienten mit Zahnerosionen eine Bürsttechnik mit geringem Anpressdruck, eine weiche Zahnbürste oder die Verwendung druckkalibrierter elektrischer Zahnbürsten anzuraten. Mechanischer Schutz kann erreicht werden durch Versiegelung der Zahnoberflächen oder durch die sicherlich schwierig zu realisierende Empfehlung, während einer Säureeinwirkung eine zahnbedeckende Kunstoffschiene zum Schutz der Zähne zu tragen. Bei größeren Zahnhartsubstanzdefekten sind konservierende oder prothetische Maßnahmen zum Schutz der Zähne und Wiederherstellung der Kaufunktion indiziert. Eine Vermeidung der erosiven Noxen beruht auf der therapeutisch begleiteten Normalisierung des Essverhaltens. Sonderausgabe 2011 29 Sonderausgabe Erosion Früherkennung von Essstörungen Die Betroffenen sprechen in der Regel nur sehr ungern über das gestörte Essverhalten. Essanfälle und Erbrechen bleiben ein schamhaft gehütetes Geheimnis. Dem Zahnarzt bietet sich bei der routinemäßigen oralen Untersuchung die Möglichkeit zur Früherkennung von Essstörungen und damit auch zur Thematisierung eines Tabuthemas. Hierzu sollte er auf die typischen Folgeerscheinungen des gestörten Essverhaltens achten. Erosionen auf den oralen Zahnoberflächen, insbesondere auf den palatinalen Flächen der Frontzähne, deuten auf eine Schädigung der Zahnsubstanz durch intrinsische Faktoren wie die Regurgitation von Magensäure. Symptome Orale und okklusale Erosionen Perimyloloyse Schädigungsmechanismus Regurgitation von Säure, rezidivierendes Erbrechen Restriktive Anorexia nervosa Beidseitige Schwellung der Ohrspeicheldrüsen, Mundtrockenheit, Zungenbrennen und marginale Parodontitis, Kehlkopfreizungen geben differentialdiagnostisch Hinweise auf Essstörungen. Solche Zeichen sollten Anlass dafür geben, die Ernährungsgewohnheiten und das Essverhalten anamnestisch zu betrachten. Für den Erhalt des Zahnapparates ist es von entscheidender Bedeutung, inwieweit es dem Zahnarzt gelingt, das Essverhalten zu thematisieren, das Problem darzustellen und zur Normalisierung des Essverhaltens zu motivieren. Dr. Ulrich Cuntz Klinik Roseneck Am Roseneck 6 · 83209 Prien Bulimische Anorexia nervosa Bulimia nervosa Prophylaxe – + + Nach dem Erbrechen Mund mit Wasser oder neutralisierenden Flüssigkeiten spülen, die Zähne nicht direkt bürsten, topische Fluoridapplikation, Normalisierung des Essverhaltens Zahnhypersensibilität Vestibuläre Erosionen Abnorme Essgewohnheiten, säurehaltige Speisen und Getränke (+) (+) – Topische Fluoridapplikation, Normalisierung des Essverhaltens Karies Schlechte Zahnhygiene, abnorme Essgewohnheiten (+) (+) (+) Topische Fluoridapplikation, Normalisierung des Essverhaltens Marginale Parodontitis Schlechte Zahnhygiene, Säureexposition – + (+) Verbesserte Zahnpflege, Normalisierung des Essverhaltens Parotishypertrophie Vagale Stimulation bei rezidivierendem Erbrechen – + + Normalisierung des Essverhaltens Laxantien-, Diuretikaabusus – + + Kachexie + + – Antidepressive Pharmaka (+) (+) (+) Ausschaltung der Noxen, zuckerfreie Kaugummis, Gewichtszunahme, Überprüfung der Medikation Xerostomie Tab. 2: Übersicht über Schädigungen des Kauapparates bei Essstörungen – = selten / (+) = gehäuft / + = regelhaft Extrinsische Faktoren, die eine Entstehung von erosiven Zahndefekten begünstigen, können Umwelteinflüsse wie abnorme Ernährungsgewohnheiten, Medikamente oder der Lebensstil einer Person sein. Zahnerosionen, die durch extrinsische Faktoren ausgelöst werden, führen überwiegend zu einem Verlust an Zahnhartsubstanz im Bereich der vestibulären Flächen der Oberkieferfrontzähne. Bei der restriktiven Anorexia nervosa wird der Zahnhartsubstanzverlust vornehmlich durch diätetisch zugeführte Säuren hervorgerufen. Die Zahnhartsubstanzdefekte finden sich bei diesen Patienten vornehmlich an den vestibulären Flächen der Zähne. 30 Sonderausgabe 2011 PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Prävention und Therapie säurebedingter Zahnhartsubstanzverluste (Erosionen) Prof. Dr. Carolina Ganss, Dr. Nadine Schlüter, Justus-Liebig-Universität Gießen Erosionen (Abb. 1) entstehen durch die chronische Einwirkung von Säuren nicht-bakterieller Genese auf plaquefreie Zahnoberflächen, sofern Untersättigung in Bezug auf Zahnmineral besteht. Säuren können entweder exogen, beispielsweise beim Verzehr saurer Nahrungsmittel und Getränke, oder endogen durch Magensäure auf die Zahnhartsubstanzen einwirken. Abhängig von der individuellen Prädisposition werden säurebedingte Zahnhartsubstanzverluste erst bei häufiger chronischer Einwirkung über einen längeren Zeitraum klinisch manifest. Abb. 1: Generalisierte schwere säurebedingte Zahnhartsubstanzverluste mit flächenhafter Exposition des Dentins bei einem 30-jährigen männlichen Patienten, der jahrelang 3- bis 5-mal täglich Erfrischungsgetränke genossen hatte Die Primärprävention sollte allgemein in einer angemessenen Information über Ursachen und Vermeidung erosiver Zahnschäden im Rahmen der etablierten Präventionsstrategien und individueller Beratung bestehen. Weitergehende bevölkerungsbezogene Maßnahmen sind abhängig von der Prävalenz erosiver Zahnhartsubstanzverluste und sollten daher länderspezifisch diskutiert werden. Die Sekundärprävention umfasst vor allem die frühzeitige und differenzialdiagnostisch richtige Erkennung der Frühstadien von Erosionen im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen und individuell abgestimmte kausale Maßnahmen. Zum besseren Verständnis von Präventions- und Therapiestrategien sei im Folgenden kurz die Pathogenese und Ultrastruktur von Erosionen beschrieben. Im Schmelz kommt es bei einer erosiven Demineralisierung zu einem zentripetalen Substanzverlust, der sich bei anhaltender Säureexposition als klinisch sichtbarer Oberflächendefekt manifestiert. Auf der erodierten Schmelzoberfläche findet sich eine teilweise demineralisierte Zone mit verminderter Mikrohärte PROPHYLAXEdialog (Lussi et al. 1995), die ultrastrukturell mehr oder weniger einem klassischen Ätzmuster entspricht (Meurman & Frank 1991) (Abb. 2). Abb. 2: Typisches Ätzmuster im Schmelz nach Erosion mit Zitronensäure Damit unterscheidet sich die Ultrastruktur einer Schmelzerosion grundsätzlich von der einer initialen Schmelzkaries, bei welcher die Zone der größten Demineralisation unterhalb einer pseudo-intakten Deckschicht liegt (Thylstrup & Fejerskov 1994). Im Dentin kommt es nach kurzzeitigen Säureeinwirkungen zuerst zum Mineralverlust im Bereich des peritubulären Dentins und bei längerer Einwirkzeit zur Vergrößerung der Dentintubuli mit Demineralisation des intertubulären Dentins (Noack 1989; Meurman et al. 1991). Im Gegensatz zur Karies, die ab einem bestimmten Stadium in der Regel immer einer invasiven Therapie bedarf, kommen säurebedingte Zahnhartsubstanzdefekte unabhängig von ihrer Ausprägung zum Stillstand, wenn hinreichende kausale oder symptomatische Maßnahmen ergriffen werden. In der Regel ist dann auch keine restaurative Behandlung notwendig, es sei denn, es bestehen ästhetische oder funktionelle Beeinträchtigungen. Die kausale Therapie von säurebedingten Zahnhartsubstanzdefekten beginnt mit der Identifikation der Säurequelle. Dazu gehört ein anamnestisches Gespräch, das Fragen nach exogener und endogener Säureexposition einschließt. Zusätzlich kann ein offenes Ernährungsprotokoll (Lussi 1996) in vielen Fällen weitere Hinweise in Bezug auf Menge, Art und Häufigkeit von Säureeinwirkungen aus der Nahrung geben. Im Fall von exogenen Säureeinwirkungen besteht die kausale Therapie in der Veränderung der Verzehrgewohnheiten, was oftmals nicht unbedingt großer Verhaltensänderungen bedarf. So kann beispielsweise neben der Verringerung der Verzehrhäufigkeit auf wenig erosive Getränke zurückgegriffen werden. Sonderausgabe 2011 31 Sonderausgabe Erosion Sowohl In-vitro- als auch In-situ-Studien haben gezeigt, dass allein der Zusatz von Kalzium das erosive Potenzial von Getränken erheblich reduzieren kann (Hughes et al. 1999a; 1999b). Obst kann zusammen mit Milchprodukten verzehrt werden. Im Falle von endogenen Säureeinwirkungen kann ärztliche Behandlung angezeigt sein (z.B. bei Refluxerkrankungen), oftmals ist eine ursächliche Therapie jedoch schwierig. So können beispielsweise Essstörungen mit chronischem Erbrechen trotz therapeutischer Bemühungen jahrelang bestehen. In diesen Fällen sind ebenso wie bei ungeklärter Säureexposition symptomatische Maßnahmen notwendig. Allgemein wurden deshalb Fluoridierungsempfehlungen gegeben, die zu möglichst ausgeprägten CaF2ähnlichen Präzipitaten führen, beispielsweise in Form von sog. Intensivfluoridierungen. Dabei sollen Gele mit hoher Fluoridkonzentration (Arzneimittel) und/oder Mundspül-Lösungen in Ergänzung zu einer Fluoridzahnpaste möglichst häufig angewendet werden (Schmidt et al. 2003; Ganss 2005; Wiegand & Attin 2003; Ganss et al. 2007). Ein solcher Therapieansatz bedeutet jedoch einen erheblichen organisatorischen und finanziellen Aufwand. Zur längeren therapeutischen Anwendung sind solche Empfehlungen daher nur begrenzt und für präventive Maßnahmen nicht geeignet. Symptomatische Maßnahmen zielen darauf ab, die Zahnoberfläche so zu modifizieren, dass die erosive Demineralisation und damit auch der Verlust an Mikrohärte verhindert wird. Bislang wurden vor allem die aus der Kariologie bekannten und allgemein in Mundhygieneprodukten am häufigsten enthaltenen Fluoridverbindungen Natriumfluorid, Aminfluorid oder Natriummonofluorphosphat untersucht. Neuere Studien zeigen aber, dass die Wirksamkeit von Fluoriden im Rahmen von Erosionen wesentlich durch die Art der Fluoridverbindung bestimmt wird. Besonders deutlich wird die unterschiedliche Wirksamkeit verschiedener Fluoridverbindungen, wenn Zubereitungen gleichen pH-Werts und gleicher Konzentration miteinander verglichen werden (Schlüter et al. 2007; Ganss et al. 2008). So konnte gezeigt werden, dass erosive Mineralverluste zumindest unter milden Bedingungen durch Zinnfluorid- oder Zinnfluorid/Aminfluorid-Lösungen nahezu verhindert werden können, während Natriumfluorid- oder Aminfluorid/Natriumfluorid-Lösungen wesentlich weniger wirksam zu sein scheinen. Dafür sind Substanzen geeignet, die zu schwer löslichen mineralischen Präzipitaten in oder auf der Zahnoberfläche führen oder dauerhafte Beschichtungen bilden. Als nicht mineralische Beschichtung ist die Applikation von Dentinadhäsiven diskutiert worden (Azzopardi et al. 2004; Sundaram et al. 2007). Diese Maßnahme ist als Akutmaßnahme geeignet. Da zu erwarten ist, dass diese Beschichtungen zumindest mittelfristig abradieren, dürfte deren Schutzwirkung jedoch zeitlich begrenzt sein. Mineralische Präzipitate sind allgemein aus übersättigten Kalzium/Phosphat-Lösungen zu erwarten. Daher wird oft empfohlen, nicht direkt nach einer Säureeinwirkung zu putzen, sondern die „Remineralisation“ der Zahnoberflächen abzuwarten. Solche Empfehlungen wurden von Laborstudien mit gesättigten/übersättigen Kalzium/Phosphat-Lösungen abgeleitet. Im Fall von erodiertem Schmelz ist unter Mundbedingungen aber weder eine relevante Steigerung der Mikrohärte nachgewiesen worden (Collys et al. 1991; 1993), noch konnte die Präzipitation von Mineral gezeigt werden (Garberoglio & Cozzani 1979; Allin et al. 1985). Diesen Befunden entsprechen auch die Ergebnissen von Insitu-Studien, die nur einen geringen Effekt von Wartezeiten zwischen erosiver Demineralisation und Bürsten gezeigt haben (Jaeggi & Lussi 1999; Attin et al. 2001; Ganss et al. 2007). Eine Veränderung der Mundhygienegewohnheiten ist deswegen abgesehen von unzureichender Plaquekontrolle nur im Falle traumatischer Putztechniken oder extremer Säureeinwirkungen sinnvoll. Mineralische Präzipitate können aber durch die lokale Anwendung von Fluoriden erzeugt werden. Je nach Darreichungsform entstehen dabei mehr oder weniger ausgeprägte CaF2-ähnliche Deckschichten, die jedoch relativ leicht säurelöslich sind. Über die Effektivität dieser Maßnahmen sind widersprüchliche Einschätzungen in der Literatur publiziert (Wiegand & Attin 2003), manche Autoren zweifeln den Sinn von Fluoridierungsmaßnahmen zur Therapie von Erosionen überhaupt an (ten Cate et al. 2003). 32 Sonderausgabe 2011 Ein bislang neues Ergebnis ist, dass auch eine Zinnchloridlösung ohne Fluorid eine Wirksamkeit zeigt, die in der Größenordnung einer Natriumfluoridlösung liegt. Elektronenoptische Untersuchungen haben ergeben, dass sich nach Anwendung zinnhaltiger Lösungen offenbar relativ säureresistente Präzipitate bilden (Ganss et al. 2008). Gegenwärtig werden daher Fluoridverbindungen mit polyvalenten Metallionen als potenzielle Erosionsinhibitoren untersucht. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Titan und Zinn (Ganss et al. 2006; Hove et al. 2007; Magalhaes et al. 2008; Wiegand et al. 2008). Titanfluorid ist in Form verschiedener Zubereitungen auch in Kombination mit anderen Fluoridverbindungen untersucht worden. Für experimentelle Lösungen, die als Mundspül-Lösung zur täglichen Anwendung formuliert sind, hat sich unter eher milden erosiven Bedingungen und häufigen Applikationen eine gute Wirksamkeit gezeigt, die sich aber unter stärker erosiven Säureeinwirkungen und klinisch relevanten Anwendungsbedingungen nicht bestätigt hat (Schlüter et al. 2009a). Dagegen hat derselbe Versuch mit einer Zinnchlorid/Aminfluorid/NatriumfluoridLösung eine sehr gute Effektivität gezeigt. Entsprechende experimentelle Lösungen zeigten selbst unter starken erosiven Bedingungen, wie sie bei Patienten mit sehr häufigen Säureexpositionen bei bestimmten Kostformen oder bei Personen mit chronischem PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion Erbrechen im Rahmen von Essstörungen vorkommen können, eine gute Wirksamkeit. Zinnchlorid/Aminfluorid/Natriumfluorid-Lösungen waren auch signifikant effektiver als eine Zinnfluorid/Aminfluorid-Lösung. In einem In-situ-Versuch, in dem Schmelzproben für 6x5 Minuten mit Zitronensäure erodiert wurden, konnte die Anwendung einer Zinnchlorid/Aminfluorid/Natriumfluorid-Spül-Lösung für 1x30 Sekunden täglich den Substanzverlust bei Schmelz um 67 % reduzieren, während durch Spülen mit einer Natriumfluorid-Lösung nur eine Reduktion von 19 % erzielt werden konnte (Abb. 3). Substanzverlust (µm) 40 Abschließend kann festgehalten werden, dass es bei der symptomatischen Therapie von Erosionen mit Fluoriden offenbar wesentlich auf die Fluoridverbindung ankommt. Gegenwärtig sind offensichtlich Präparate mit Zinnchlorid/Aminfluorid/Natriumfluorid die wirksamsten Erosionsinhibitoren. Die Therapie von säurebedingten Zahnhartsubstanzverlusten lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Diagnose „Erosion“ sorgfältig klären (Differenzialdiagnose Attrition, Abrasion oder keilförmiger Defekt!). Wenn erhärtet: W Anamnese zur Identifikation der Säureexposition W Kausale Maßnahmen je nach Art der Säureeinwirkung (Ernährungsumstellung, internistische Therapie, Psychotherapie) 30 20 Falls kausale Maßnahmen nicht möglich bzw. ausreichend sind oder unterstützend: 10 0 28,2 22,8 9,3 Placebo NaF SnCI/AmF/NaF Abb. 3: Substanzverlust (arithmetischer Mittelwert mit Standardabweichung) im Schmelz in situ. Die Versuchslösungen waren eine Natriumfluorid-Lösung (NaF; 500 ppm F aus NaF) und eine Zinnchlorid/Aminfluorid/Natriumfluorid-Lösung (SnCl/AmF/NaF: 500 ppm F aus AmF und NaF; 800 ppm Sn aus SnCl2). Die Placebolösung enthielt keine Wirkstoffe. Erste Untersuchungen zum Wirkungsmechanismus solcher Zinnchlorid/Aminfluorid/Natriumfluorid-Lösungen lassen vermuten, dass sich unter neutralen Bedingungen ein amorphes zinnreiches Präzipitat auf den Zahnoberflächen ablagert. Wenn erosive Säureeinwirkungen stattfinden, kommt es zu komplexen Demineralisierungs- und Repräzipitationsvorgängen, die schließlich zur Einlagerung von schwer löslichen zinnhaltigen Verbindungen in die oberste Schicht der Zahnoberfläche führen (Schlüter et al. 2009b). PROPHYLAXEdialog W Symptomatische Maßnahmen mit einem wirksamen (zinnhaltigen) Produkt W Mundhygienemaßnahmen nur bei traumatischer Putztechnik oder extremer Säureexposition verändern Zur Beurteilung des Therapieerfolgs: W Fotos oder gute Situationsmodelle im Abstand von 6 bis 12 Monaten Restaurative Maßnahmen nur bei sehr ausgeprägten Substanzverlusten, Funktionsstörungen oder deutlichen ästhetischen Beeinträchtigungen, vorher Erosionen möglichst zum Stillstand bringen. Prof. Dr. Carolina Ganss Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde Justus-Liebig-Universität Schlangenzahl 14 · 35392 Gießen Sonderausgabe 2011 33 Erosionsbekämpfung im Aufwind! Es war ein spannendes Jahr für alle, die sich für die Diagnostik und Behandlung von Zahnerosion interessieren. Nehmen wir das GABA Symposium „Diagnosis, Risk Assessment and Therapy of Erosion“ bei der PEF IADR Tagung in London (www.gaba.com/PEFLondon), konnte man wahrlich nicht übersehen, dass sich das einst so unterschätzte Thema Erosionsforschung zu einem multidisziplinären Fachgebiet von Forschung und klinischer Anwendung entwickelt hat. An dem Symposium nahmen 200 Besucher teil, welche, geht man von der lebhaften Diskussion am Ende aus, großes Interesse daran hatten, dass dem Thema Erosion mehr öffentliche Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es herrscht allgemeine Einigkeit darüber, dass Erosion sehr sorgfältig von anderen Erscheinungsbildern der Zahnabnutzung unterschieden werden muss. Die Fakten, die von Dr. John Kaidonis aus seinen Studien zur Zahnabnutzung bei australischen Aborigines präsentiert wurden, untermalten die unterschiedlichen Abnutzungsmechanismen. Die übermäßige Abnutzung der Zähne durch Zahn-auf-Zahn-Kontakt in Abwesenheit von Nahrungsmitteln, Attrition genannt, ist im Wesentlichen eine Konsequenz des Zähneknirschens. Im Gegensatz dazu werden die Zähne bei der Abrasion durch externe Einwirkung abgenutzt, sei es durch Kauen auf Nahrung oder Anwendung harter Materialien, wie z.B. Zahnstocher oder -bürste. Starke Abrasion ist von einer Freilegung des Dentins begleitet, welches deutliche Zeichen der Erweichung zeigt. Erosion ist schließlich die Auflösung der Zahnhartsubstanz (Schmelz und Dentin) durch Einwirkung von Säuren. Von einem anthropologischen Standpunkt aus betrachtet gibt es für jede dieser drei Abnutzungsmechanismen eine goldene Zeit. Die Untersuchung historischer und prähistorischer Skelette führt zu dem Schluss, dass Erosion eine Erscheinung unserer modernen Zeit ist. In früheren Zeiten tranken die Menschen Wasser und keine säurehaltigen Softdrinks. Darüber hinaus waren die durch Nahrung unvermeidlichen Säureattacken wohl immer zeitlich begrenzt, weil die meisten Nahrungsmittel nur saisonal verfügbar waren. Seit der Einführung der Lebensmittelkonservierung durch Säuern nahmen die Säureangriffe jedoch auch nur leicht zu, während wir heute unsere Zähne oft den Säureattacken unserer Nahrungsmittel aussetzen. Die Zähne werden häufig den erosiven Säuren, die z.B. in Softdrinks enthalten sind, ausgesetzt, was zu einer generellen Erweichung der Zahnhartsubstanz führt. Die heute verbesserte tägliche Zahnhygiene kehrt sich dann vom Wohl ins Übel: Mechanische Abrasion durch das Bürsten der Zähne ist auf dem Vormarsch. In der Vergangenheit war die Abrasion der Zähne zwar sehr weit verbreitet, aber die so entstehenden Zahnstrukturen behielten ihre Funktion bei. Die Schäden erosiver Prozesse lassen sich nur in sehr geringem Umfang funktionserhaltend kompensieren. Die Prävalenz von Erosion wurde schließlich von Prof. David Bartlett angesprochen, der darlegte, dass die enormen Unterschiede der Erosionsprävalenz ein Ergebnis unterschiedlicher Definitionen sei. In Nordamerika wird im Zusammenhang mit genereller Zahnabnutzung der Erosion bei Weitem nicht die gleiche Bedeutung zugemessen wie in Europa. Selbst innerhalb der europäischen Länder gibt es kein Standardverfahren, nach dem Zahnabnutzung im Allgemeinen und Erosion im Besonderen einheitlich klassifiziert würden. Sogenannte tooth wear indices erscheinen da als die einzig verlässliche Methode, Zahnabnutzung bei großen Patientengruppen oder gar ganzen Bevölkerungen zu quantifizieren. Manche betrachten die Abnutzung an allen Zähnen, während andere sich auf ausgewählte Bereiche oder Oberflächen beziehen. Ohne eine detaillierte Dokumentation von Zahnabnutzung sowie auch Ernährungsgewohnheiten der Patienten ist es extrem schwierig, die Ätiologie von Zahnabnutzung zu untersuchen. John Kaidonis Prof. David Bartlett 34 Sonderausgabe 2011 PROPHYLAXEdialog Sonderausgabe Erosion In jedem Land entwickeln die Zahnärzte individuelle Konzepte für Diagnose und Behandlung, sodass letztendlich die Daten über Prävalenz und Vorkommen von Zahnerosion nicht vergleichbar sind. Somit ist die Erstellug von Statistiken enorm erschwert. Aus diesem Grund wurde ein deutlicher und dringender Appell an die Community gerichtet, ein geeignetes Tool für die Diagnose von Erosionsschäden zu entwickeln. Ein sinnvolles Tool sollte leichte Handhabbarkeit, genaue Erfassung des Schweregrads sowie weitgehende Vergleichbarkeit bieten. Die Information, die man aus einem vernünftigen Protokoll erhielte, wären nicht nur die Basis notwendiger Statistiken, sondern auch geeignet, die zeitliche Entwicklung von Erosionsvorkommen zu beobachten. Insgesamt herrschte Einigkeit darüber, dass ein allgemeiner Bedarf für die Einführung eines standardisierten, epidemiologischen Erfassungssystems besteht, welches auch zeitliche Entwicklungen zu beobachten hilft. Weitere notwendige Bestandteile dieses Erfassungssystems sollten Informationen über Ernährungsgewohnheiten, psychologische Faktoren, allgemeinen Gesundheitsstatus sowie eine Bewertunge der Speichelflussrate beinhalten. Die klare Identifizierung von Risikofaktoren, ob sie nun durch Krankheit oder durch Lebensgewohnheiten bedingt sein mögen, sollte einen weiteren Schwerpunkt darstellen, um eine detaillierte Aufklärung der Patienten und eventuell restaurative Behandlung bzw. Überweisung an einen Spezialisten anzuschließen. Eine mögliche Antwort auf diesen Appell stellt der von Prof. Adrian Lussi präsentierte, sogenannte BEWE Index (Basic Erosive Wear Examination) dar. Dieser Index erleichtert die Einordnung einzelner Säureschäden der Zähne sowie die Quantifizierung des Erosionsrisikos. Prof. Carolina Ganss stellte im Zusammenhang mit therapeutischen Maßnahmen für Patienten mit Erosionsschäden ihre neuesten Fallstudien vor. Hierbei zeigte sich, dass Intensivfluoridierung von Patienten mit hohem Erosionsrisiko als alleinige Maßnahme nicht ausreicht, um die Erosion zum Stillstand zu bringen. Der potenzielle Nutzen von Metall-Ionen wurde als ein Ansatz präsentiert, Erosionsschädigungen zu stoppen. In diesem Zusammenhang wurde die Vermutung geäußert, dass Zinn-Ionen hierbei eine besonders hohe Effizienz zeigen. Prof. Adrian Lussi Der BEWE Index wurde vom Publikum allgemein begrüßt und der Wunsch nach einer raschen Implementierung in so vielen Praxen wie möglich geäußert, um seine Anwendbarkeit beurteilen zu können. Insbesondere die Frage, ob noch Modifikationen am BEWE Index nötig sind, sollte bald geklärt werden. In diesem Zusammenhang wurde die Frage, ob man die Bedeutung einer Dentinbeteiligung in das Protokoll übernehmen sollte, kontroves diskutiert. Prof. Nigel Pitts schlug daraufhin eine mögliche Lösung vor: Der BEWE Index sollte in die CORE EXAMINATION der WHO übernommen werden, wobei hier ein Hinweis auf eine mögliche Beteiligung des Dentins angebracht werden sollte. PROPHYLAXEdialog Prof. Carolina Ganss Wir danken allen Beteiligten für ihr Interesse und Engagement. Sonderausgabe 2011 35 Sonderausgabe Erosion Integration der elmex EROSIONSSCHUTZ Zahnspülung in die Sekundärprophylaxe von Erosionen Erosion des Zahnschmelzes ist ein weit verbreitetes Problem, hervorgerufen durch Säureexposition der Zähne, sei es durch exogene oder endogene Ursachen. Gerade weil sich die resultierenden, irreversiblen Schäden an der Zahnhartsubstanz in schweren Fällen oft nur durch restaurative Maßnahmen versorgen lassen, sollten eine frühzeitige Diagnose, verbunden mit einer gründlichen Aufklärung des Patienten und einem individuellen Therapieplan Grundlage jeder Behandlung sein, um ein Voranschreiten der Schädigungen zu vermeiden und so den Schädigungsgrad weitestgehend zu limitieren. Die Basis einer umfassenden Anamnese stellt das so genannte Basic Erosive Wear Examination(BEWE)Bewertungssystem dar. Dieser in der Praxis leicht einsetzbare Index hilft dem Zahnarzt, das Ausmaß der Erosion nicht nur zu erkennen, sondern er ermöglicht auch die Einordnung in Kategorien, die erste Hinweise auf die Anfälligkeit des Patienten für Erosion geben. Für die einzelnen Kategorien sind von internationalen Experten Therapieempfehlungen entwickelt worden. Während es bei Werten bis 2 genügt, den Patienten in die Routineüberwachung und Erhaltungstherapie zu übernehmen (ohne natürlich die Karies- und Gingivitisprophylaxe zu vernachlässigen), muss bei Patienten mit einem Wert von über 2 unbedingt eine systematische Befragung durch ein Mitglied des zahnärztlichen Teams erfolgen, um die Quelle der Säureexposition und ggf. weitere Risikofaktoren zu identifizieren. Während bei Erosionsdefekten exogener Ursache eine gründliche Ernährungsberatung im Vordergrund steht, kann im Falle endogener Säureangriffe (z.B. Reflux, Bulimie) auch das Konzil mit entsprechenden Fachärzten vonnöten sein. BEWE 1– 2: kaum Defekte, keine Anfälligkeit für Erosionen BEWE 3 – 8: schwach ausgeprägte Defekte, geringe Anfälligkeit BEWE 9 –13: stark ausgeprägte Defekte, mittlere Anfälligkeit BEWE über 14: sehr stark ausgeprägte Defekte, hohe Anfälligkeit Viele Speisen und Getränke – z.B. Orangensaft – enthalten erosive Säuren. Unterstützend zu dieser kausalen Therapie empfiehlt sich in jedem Fall die Anwendung der elmex EROSIONSSCHUTZ Zahnspülung mit Zinnchlorid und Aminfluorid, um einer weiteren Schädigung der Zahnsubstanz durch Säureexposition wirkungsvoll vorzubeugen. 36 Sonderausgabe 2011 PROPHYLAXEdialog