Pläne von Auschwitz

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Dokumente
des systematisch
organisierten
Völkermordes
Pläne von Auschwitz
Sehr geehrte Ausstellungsbesucher,
© BILD
der Völkermord an den europäischen Juden ist eines
der fürchterlichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem wir immer noch fassungslos gegenüberstehen. Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert
danach, sind die Wunden nicht verheilt – und sie
werden noch eine lange Zeit nicht verheilen. Gleichwohl ist viel geleistet worden seit dem denkwürdigen
New Yorker Treffen zwischen Bundeskanzler Konrad
Adenauer und Israels Ministerpräsidenten David
Ben Gurion, mit dem 1960 die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden ihren Anfang nahm –
eine Aussöhnung, die auch im Mittelpunkt von Axel
Springers Lebenswerk stand.
Detail eines Auschwitz-Planes
Heute sind Deutschland und Israel auf mannigfache
Weise miteinander freundschaftlich verbunden. In
der Bundesrepublik ist wieder ein vielgestaltiges jüdisches Leben entstanden, das die Kultur befruchtet.
Es gibt aber auch noch Antisemitismus, Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit. Eine der Ursachen des
Antisemitismus ist erschreckendes Unwissen über den
Nationalsozialismus und über den Völkermord an
Europas Juden. Die Axel Springer AG sieht es – im
Geiste ihres Begründers – als eine ihrer Aufgaben an,
die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen wachzuhalten. Aus diesem Grunde haben sich BILD und
DIE WELT entschlossen, die Ausstellung „Pläne von
Auschwitz – Dokumente des systematisch organisierten Völkermordes“ zu zeigen.
Die Planskizzen und Baupläne entstammen einem
Konvolut von 29 derartigen Dokumenten, die von
BILD erworben wurden – in der Absicht, sie einer
verantwortungsbewussten Verwendung zukommen
zu lassen. Es handelt sich um die einzigen Originale dieser Art, die in Deutschland bislang gefunden wurden. Für den Fachwissenschaftler bringen
diese Dokumente die eine oder andere Ergänzung;
dem Laien verdeutlichen sie, wie systematisch die
nationalsozialistischen Täter bei der Ermordung der
europäischen Juden vorgingen.
Die Pläne wurden freundlicherweise vom Bundesarchiv in Berlin auf ihre Echtheit hin überprüft.
Unter Federführung des Leitenden Archivdirektors
Dr. Hans-Dieter Kreikamp wurden international
renommierte Experten konsultiert, etwa der Direktor
des Archivs der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau,
Dr. Wojciech Płosa, oder Frau Dr. Susanne Heim
vom Münchner Institut für Zeitgeschichte. In
Kreikamps Gutachten lautet das Fazit, „dass an der
Authentizität der zeitgeschichtlichen Quellen keinerlei Zweifel besteht“.
Kai Diekmann
Chefredakteur BILD
Thomas Schmid
Chefredakteur DIE WELT
Auschwitz ist zur Chiffre geworden für den Völkermord an Europas Juden. Allein in diesem KZ sind
mehr als eine Million Menschen industriell vernichtet
worden. Auschwitz entzieht sich damit bis heute der
intellektuellen Fassbarkeit. Entsprechend kontrovers
diskutieren Historiker, wie das Menschheitsverbrechen geschehen konnte und wo seine Wurzeln liegen.
Die einen glauben diese im Antisemitismus des späten
Kaiserreiches ausmachen zu können und ziehen von
dort eine Linie nach Auschwitz. Andere sehen die
Ursprünge des nationalsozialistischen Judenhasses
und damit des Völkermordes später – in der großen
Umbruchzeit nach dem Ersten Weltkrieg, als Deutschland durch die unverstandene Niederlage, durch Revolution und Bürgerkrieg, aber auch durch die harten
Friedensbedingungen des Versailler Vertrages bis in
seine Grundfesten erschüttert wird.
Hitlers erste belegte antisemitische Äußerung stammt
aus dem September 1919. Der damalige Propagandamann des Heeres, soeben noch in der Bayerischen
Räterepublik Soldatenrat, macht nun gegen alles
Linke Front und spricht sich für einen radikalen
Antisemitismus aus. Die Juden seien „eine nichtdeutsche, fremde Rasse“. Das letzte Ziel, so formuliert es
Hitler, müsse „unverrückbar die Entfernung der Juden
überhaupt sein“.
Mit seinem Wechsel in die Politik häufen sich Hitlers
antisemitische Hassausbrüche. Kaum eine Rede, in
der er nicht die Juden mit „Bazillen“ und „Schädlingen“ vergleicht. Im April 1920 bekräftigt er seine
„unerbittliche Entschlossenheit“, das „Übel an der
Wurzel zu packen und mit Stumpf und Stiel auszurotten“. Selbst noch als Angeklagter vor dem Münchner
Volksgericht bezeichnet der gescheiterte November-
Das NS-Zentralorgan „Völkischer Beobachter“ feiert am 16. September 1935 die rassistischen „Nürnberger Gesetze“
© ullstein bild
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Hitlers Rassenwahn – Der Völkermord an den europäischen Juden
Beim Aufstieg der NSDAP zur Macht weichen Hitlers
Weltverschwörungsrhetorik und sein offen artikulierter Vernichtungsantisemitismus der machttaktischen
Einsicht, die Massen damit nicht mobilisieren zu können. Umso entschlossener schlägt er als Reichskanzler
und besonders nach dem Tod des Reichspräsidenten
Paul von Hindenburg einen radikal-antisemitischen
Kurs ein. Was mit dem „Judenboykott“ am 1. April
1933 beginnt und sich kurz darauf mit der Entfernung der Juden aus dem Staatsdienst fortsetzt, findet
mit den „Nürnberger Gesetzen“ einen ersten Höhepunkt. Der damit vollzogenen Entrechtung folgen
mit der Pogromnacht 1938 und der „Arisierung“
jüdischen Besitzes Terror und Enteignung.
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Putschist des Jahres 1923 die Juden, die er hinter
Versailles und Revolution wähnt, als die „Vernichter
Deutschlands“, die beseitigt werden müssten.
Die Synagoge in Baden-Baden brennt
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Hitlers Rassenwahn
Polnische Juden im Ghetto Ende 1939
Umstritten ist heute, ob diese Schritte Hitlers unausweichlich zum Völkermord geführt haben. Es geht
also um die Frage, ob dieses Verbrechen im rassenideologischen Denken des Diktators von vorneherein
festgelegt oder eher der Eigendynamik eines totalitären, antisemitischen und expansionistischen Regimes
geschuldet ist – eines Regimes, das die Menschheit in
den Zweiten Weltkrieg geführt hat.
Für Ersteres spricht, dass der Völkermord bereits mit
Beginn des deutschen Vernichtungskrieges gegen die
Sowjetunion einsetzt. In den ersten sechs Monaten
des Russlandfeldzuges ermorden die Einsatzgruppen
von SS und Polizei mehr als eine halbe Millionen
Menschen. Auf die zweite Erklärung deutet, dass
der Zeitpunkt für den Beginn der zweiten Phase des
Völkermordes im Herbst 1941, für die Deportation
und industrielle Auslöschung der europäischen Juden
Hitlers Rassenwahn
Auf der Wannseekonferenz werden am 20. Januar
1942 organisatorische Vorbereitungen besprochen; im
Frühjahr 1942 beginnt in Auschwitz die fabrikmäßige
Massentötung, für die es keinen schriftlichen Befehl
Hitlers gibt. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
fallen sechs Millionen Juden der Mordmaschinerie
zum Opfer – einer Mordmaschinerie, der in Hitlers
Denken eine nicht mindere Bedeutung beigemessen
wird als der Kriegführung. Noch in seinem politischen
Testament vom April 1945 brüstet er sich dieser Tat
und verlangt von den Deutschen die „peinliche Einhaltung der Rassegesetze“ sowie den „unbarmherzigen
Widerstand gegen die Weltvergifter aller Völker, das
internationale Judentum“.
© PA/dpa
Schon im Januar 1939 erklärt der deutsche Diktator in grober Verkehrung der Wirklichkeit in einer
Reichstagsrede: „Wenn es dem internationalen
Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen
sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu
stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums
sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in
Europa.“ Spätestens im Dezember 1941 sieht Hitler
die Situation gekommen, den europäischen Krieg zu
einem Zweiten Weltkrieg auszuweiten und seine viel
zitierte Prophezeiung Wirklichkeit werden zu lassen.
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in den Vernichtungslagern Ostmitteleuropas, offenbar
in einem zeitlichen Zusammenhang steht mit der
Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und
dem nationalsozialistischen Deutschland, aber auch
mit dem Scheitern von Hitlers Feldzug gegen die
Sowjetunion.
Erschießung von Juden im Baltikum durch SS-Leute 1941
Tote Häftlinge in Auschwitz im Januar 1945
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„Interessengebiet Auschwitz“ – Das größte nationalsozialistische KZ
Schon ab Dezember 1939 planen die deutschen Besatzungsbehörden im besiegten Polen im Regierungsbezirk Kattowitz ein Gefangenenlager nach Vorbild
deutscher Konzentrationslager einzurichten. Geeignet
scheint ein 1916 errichtetes Quarantänelager nahe der
Kleinstadt Oświęcim, das zeitweise polnische Kavalleristen beherbergt hatte. Am 27. April 1940 ordnet
SS-Chef Heinrich Himmler an, die Anlage am Fluss
Sola nahe der inzwischen wieder Auschwitz genannten
Stadt durch Häftlinge aus anderen KZ zum Lager für
10.000 Gefangene ausbauen zu lassen. Erster Kommandant wird Rudolf Höß, zuvor stellvertretender
Kommandant des KZ Sachsenhausen.
Am 20. Mai 1940 treffen die ersten 20 Häftlinge
auf dem Gelände ein, durchweg kriminelle KZHäftlinge. Sie beaufsichtigen auch etwa 300 Juden
aus Oświęcim, die im Akkord die alte Kasernenanlage
Das Tor zum Stammlager von Auschwitz
säubern müssen. Die erste Wachmannschaft des KZ
Auschwitz besteht aus 15 Männern des SS-Reitersturms in Krakau. Drei Wochen später kommen 728
polnische Häftlinge aus einem provisorischen Lager
in Tárnow. Sie werden von etwa 100 SS-Männern
bewacht. Über dem Tor zum Lager wird die zynische
Inschrift „Arbeit macht frei“ angebracht.
Nachdem am 6. Juli 1940 einem polnischen Gefangenen die Flucht gelingt, ordnet die SS an, alle polnischen Einwohner im Umkreis von fünf Kilometern
um das Lager zu vertreiben. Um Auschwitz wird ein
„Interessengebiet“ der SS eingerichtet. Kommandos
aus Häftlingen brechen die zwangsweise verlassenen
Häuser ab und benutzen die gewonnenen Baustoffe,
um das KZ auszubauen. Heinrich Himmler reagiert
interessiert, als Höß im November 1940 vorschlägt,
aus Auschwitz ein Musterobjekt für Landwirtschaft
Dieser Plan vom Februar 1941 zeigt die enorme Ausdehnung des „Interessengebietes des K.L. Auschwitz“
© BILD
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„Interessengebiet Auschwitz“
„Interessengebiet Auschwitz“
Ende 1940 zählt Auschwitz etwa 6.000 Häftlinge; wie
viele Menschen in den ersten Monaten ums Leben
kommen, ist unbekannt. Anfang 1941 ordnet die
Gestapo das KZ in die „Lagerstufe I“ ein, gedacht
für „wenig belastete und unbedingt besserungsfähige
Schutzhäftlinge“. In der Realität werden Gefangene
in Auschwitz genauso rücksichtslos gequält wie in
anderen Konzentrationslagern.
Am 1. März 1941 inspiziert Himmler sein neues KZ
zum ersten Mal persönlich. Er ordnet den Ausbau für
30.000 Häftlinge an und den Neubau eines zusätzlichen Lagers in der Nähe für 100.000 Gefangene. Bald
darauf beginnen Planungen, nahe dem Dorf Brzezinka
ein gigantisches Barackenlager zu errichten. Nach
Entwurf für das Barackenlager in Birkenau
dem eingedeutschten Namen des geräumten Dorfes
drei Kilometer vom alten Kasernengelände wird es
Birkenau genannt. Außerdem befiehlt Himmler, dem
Konzern IG Farben für ein in der Nähe zu errichtendes Werk 10.000 Häftlinge zur Verfügung zu stellen.
Daraus entsteht das Lager Auschwitz III (Monowitz).
Ziel des Ausbaus am Standort Auschwitz ist es, ein
„effizientes“ Vorbild für die wesentlichen Aufgaben
des KZ-Systems zu schaffen – die Verbindung von
Sklavenarbeit zugunsten der Rüstungswirtschaft und
der SS mit den rassistischen Wahnideen des „Schwarzen Ordens“. In Birkenau sind dafür mehr als 150
Baracken vorgesehen. Im Oktober 1941 beginnen die
Arbeiten an diesem Lager von mehr als einem Quadratkilometer Fläche. In den folgenden Jahren wuchert
der KZ-Komplex Auschwitz immer weiter. Zeitweise
sind weit mehr als 100.000 Menschen gleichzeitig in
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und Besiedlung des „Lebensraums im Osten“ zu
machen – errichtet von Sklavenarbeitern.
US-Luftbild von Birkenau von 1944
„Interessengebiet Auschwitz“
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den drei großen Lagern Stammlager, Birkenau und
Monowitz eingesperrt; hinzu kommen Zehntausende
Gefangene in mehr als 40 Außenlagern.
Die Lebensbedingungen der Gefangenen sind so
kalkuliert, dass ihr massenhaftes Sterben unausweichlich ist. Sogar eine riesige Leichenhalle ist von Anfang
an vorgesehen. „Vernichtung durch Arbeit“ heißt das
Programm; die Häftlinge sind der Lager-SS völlig ausgeliefert. Drakonische Strafen und tödliche Willkür
gehören zum Alltag, ebenso perverse medizinische
Experimente an Häftlingen.
Deutsche in Auschwitz leben. Das KZ ist Teil dieser
Planungen, einschließlich einer riesigen neuen Kommandantur, in der die Verwaltung für den gesamten
SS-Bereich gebündelt werden soll.
Details dieses nie errichteten Baus sind zum ersten
Mal in den kürzlich entdeckten Plänen von Auschwitz
zu finden. Bis zur vorgesehenen Gestaltung der Innenhöfe mit Blumenrabatten ist die Zeichnung exakt. Das
separat gelegene Casino für die SS-Offiziere soll direkt
an den Häftlingsbereich des Stammlagers grenzen.
Die Stadt Auschwitz soll zur Mustersiedlung ausgebaut werden. Im großen Maßstab wird hier für die
SS-Mannschaften sowie für die Angestellten des
IG-Farben-Werkes konzipiert. Laut einem „Idealplan“
von Januar 1943 sollen künftig 70.000 bis 80.000
Der doppelte Zaun um das Stammlager
Die geplante neue Kommandantur neben dem Stammlager
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Mordfabrik Auschwitz – Die industrielle Menschenvernichtung
Da Auschwitz verkehrsgünstig liegt, wird das Lager
neben den reinen Vernichtungslagern Belzec, Sobibor
und Treblinka sowie einigen weiteren Mordstätten
zentraler Ort des Völkermordes. Kommandant
Rudolf Höß setzt auf das Schädlingsvertilgungsmittel
Zyklon B, mit dem in Konzentrations- und anderen
Lagern routinemäßig Kleidung entlaust wird. Das
Gift tötet auch Menschen in großer Zahl.
Anfang September, nach anderen Quellen Anfang Dezember 1941, sterben erstmals in Auschwitz Menschen
durch Zyklon B. Bald sind Vergasungen im Krematorium des Stammlagers Routine. In Birkenau baut die
SS im Frühjahr 1942 zwei alte Bauernhäuser zu provisorischen Gaskammern um. Vier große Krematorien,
die für Birkenau konzipiert sind, werden noch vor
Baubeginn zu Mordfabriken umgeplant; zuerst fertig
werden die Bauten mit den Nummern II und III.
Eine Dose mit Zyklon B in Auschwitz
Die nach der Ankunft in Auschwitz zum sofortigen
Tod „selektierten“ Menschen müssen sich hier in
einem großen Keller ausziehen, werden in einen kleineren, rechtwinklig angelegten Keller gedrängt und
hier erstickt. Häftlinge der so genannten Sonderkommandos müssen die Leichen zu fünf großen Krematoriumsöfen schaffen. Diese Häftlinge schneiden den
Leichen die Haare ab und brechen eventuell vorhandene Goldzähne heraus. Die Kleider der Ermordeten
werden in speziellen Entlausungskammern mit
Zyklon B desinfiziert und dann häufig an ausgebombte Familien in Deutschland geschickt.
Am 17. und 18. Juli 1942 inspiziert Heinrich
Himmler zum zweiten Mal das KZ Auschwitz. Er
verfolgt die Ermordung von Hunderten Menschen in
einer improvisierten Gaskammer und geht danach zu
einem Empfang beim NSDAP-Gauleiter von Katto-
Plan des großen Krematoriums in Birkenau mit der Nummer III
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© Yad Vashem
Mordfabrik Auschwitz
Ankunft in Auschwitz am 26. Mai 1944
Mordfabrik Auschwitz
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Im Sommer 1944 erreicht der Massenmord in Birkenau seinen Höhepunkt: In wenigen Monaten werden
etwa 430.000 ungarische Juden hierher deportiert.
An der „Rampe“ von Birkenau, dem improvisierten
Entladegleis, entscheiden SS-Ärzte wie Josef Mengele,
ob die Menschen ins KZ kommen oder sofort sterben
müssen. Pro Tag werden im Juni und Juli 1944 bis zu
8.000 Menschen mit Gas getötet und verbrannt. Die
Krematorien sind überlastet, so dass Opfer zusätzlich
auf improvisierten Scheiterhaufen eingeäschert werden. Ein Häftling dokumentiert das auf einem Foto.
Eigens für diese gewaltige Vernichtungsaktion kehrt
Rudolf Höß, inzwischen auf einen Verwaltungsposten
in der SS-Bürokratie in Berlin befördert, als „Standortältester“ nach Auschwitz zurück. „Effizient“ wie
nie und nirgends zuvor werden in Birkenau binnen
weniger Wochen mehr als 300.000 Menschen getötet.
Die Zahl der Opfer kann niemand genau angeben.
Etwa 400.000 Menschen werden als Häftlinge in
Auschwitz offiziell registriert; von ihnen verliert hier
jeder zweite das Leben. Weitere 800.000 bis 900.000
Juden aus ganz Europa kommen in Auschwitz an,
werden aber nicht registriert, sondern sofort ermordet. Die präzisesten Schätzungen gehen von 880.000
bis 1,05 Millionen ermordeten Juden, 74.000 nichtjüdischen polnischen Opfern, 25.000 als „Zigeunern“
getöteten Menschen und mehr als 30.000 weiteren
Toten aus. Insgesamt werden mindestens 1,15 Millionen Menschen in Auschwitz ermordet.
Getrennt nach Geschlechtern erwarten deportierte Menschen an der „Rampe“ die „Selektion“ durch SS-Ärzte
© ullstein bild
witz, Fritz Bracht. Für seine „Verdienste“ befördert
Himmler den Auschwitz-Kommandanten Höß zum
SS-Obersturmbannführer.
Opfer werden auf Scheiterhaufen verbrannt
Mindestens 100.000 Deutsche, eher doppelt oder
dreimal so viele sind an der Ermordung der europäischen Juden beteiligt; eine schwer zu schätzende Zahl
weiterer Täter kommen aus den besetzten Ländern
Ostmitteleuropas, vor allem aus dem Baltikum und
der Ukraine. Teils erschießen diese Massenmörder
ihre Opfer, teils organisieren sie die Deportationszüge
in den Tod oder betreiben die Mordfabriken.
In Auschwitz dienen in viereinhalb Jahren knapp
7.000 SS-Männer und einige Hundert Aufseherinnen
direkt in den verschiedenen Lagerbereichen. Ihr Alltag
besteht aus Grausamkeit und Mord; sie sind die
willigen Vollstrecker von Hitlers Programm des
Völkermordes. Gleichzeitig leben die meisten von
ihnen ein scheinbar normales Leben in der Nähe
des Lagers. Im Jahr 2008 wird zufällig ein privates
Fotoalbum entdeckt, das Karl Höcker, der Adjutant
des Auschwitz-Kommandanten, im zweiten Halbjahr
Drei Mörder: Richard Baer, Josef Mengele und Rudolf Höß
1944 angelegt hat. Es zeigt die Täter in ihrer Freizeit.
Zu sehen sind neben den Auschwitz-Kommandanten
Rudolf Höß, Richard Baer und Josef Kramer der
oberste Chef aller KZ, Oswald Pohl, sowie die sadistischen SS-Lagerärzte Eduard Wirths, Enno Lolling,
Carl Clauberg und Josef Mengele.
Insgesamt werden gut 1.000 SS-Mitglieder wegen
ihrer Tätigkeit in Auschwitz vor Gericht gestellt, fast
700 davon in Polen. Knapp 50 Angeklagte erhalten
die Todesstrafe, darunter fast alle Lagerkommandanten und mehrere SS-Ärzte. Die Strafen gegen die
mittlere Ebene des SS-Personals liegen meist zwischen
lebenslänglich und zehn Jahren, Angehörige des
Wachpersonals werden durchschnittlich mit drei bis
vier Jahren Haft bestraft.
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© United States Holocaust Memorial Museum
Hitlers Täter – Die willigen Vollstrecker
Der Auschwitz-Prozess vor dem Landgericht Frankfurt/Main
Das Landgericht Frankfurt/Main führt fünf
Auschwitz-Prozesse gegen insgesamt 29 Angeklagte.
Neun erhalten lebenslänglich, die meisten übrigen
Haftstrafen zwischen drei und zehn Jahren. Weitere
Prozesse gegen Täter von Auschwitz gibt es zum
Beispiel in Osnabrück und Bielefeld. Die DDR führt
mehrere Verfahren gegen einzelne Angeklagte; so wird
der Lagerarzt Horst Fischer hingerichtet. In Israel
wird 1962 der Organisator der Deportationen Adolf
Eichmann zum Tode verurteilt.
Insgesamt müssen sich jedoch nur etwa 15 Prozent
der SS-Mannschaften von Auschwitz wegen ihrer
Taten vor Gericht verantworten. Zudem sitzen längst
nicht alle Verurteilten ihre Haftstrafe vollständig ab.
Einige Haupttäter wie Josef Mengele können sich
sogar jedem Verfahren entziehen; andere sterben vor
der Anklage in Haft wie Richard Baer oder begehen
Selbstmord.
Impressum
Eine Ausstellung der Zeitungen
BILD und DIE WELT
Texte:
Dr. Ralf Georg Reuth/
Sven Felix Kellerhoff
Gestaltung:
IPW · IN PUNCTO WERBUNG,
Berlin
Dank an das Bundesarchiv
Koblenz-Berlin und das Zentrum
für Antisemitismusforschung der
Technischen Universität Berlin
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Kontakt:
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Titelbild: © Corbis
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