12. April 2012 - Hanns-Seidel

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POLITISCHER BERICHT AUS DER
RUSSISCHEN FÖDERATION
Dr. Markus Ehm
Leiter der Verbindungsstelle Moskau
Nr. 7/2012 – 12. April 2012
IMPRESSUM
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Restriktive Parteiengründung deutlich vereinfacht
Mehr politischer Wettbewerb in der Russischen Föderation
Die rechtlichen Hürden für eine Parteiengründung sind hoch (1). Im März 2012 erfolgte eine
erhebliche Liberalisierung (2). Seitdem kommt es zu zahlreichen Neugründungen: Der politische Wettbewerb nimmt zu; gleichwohl behält der Kreml die Entwicklung im Blick (3).
1.
Die Registrierung von Parteien seit 2001
Bis 2001 gab es kein Parteiengesetz, sondern nur das Gesetz über Vereinigungen aus dem Jahr
1995.1 Danach bedurfte es zur Gründung einer Organisation mindestens dreier Mitglieder, ohne dass das Gesetz von einer Partei sprach. Strenge Voraussetzungen normierte das Parteiengesetz aus dem Jahr 20012, das zudem mehrmals geändert wurde (a). Folglich versagte das Justizministerium zahlreichen Parteien die Zulassung zu Wahlen (b). Für besondere Aufmerksamkeit sorgte der Fall um die Republikanische Partei: Sie wurde von staatlicher Seite aufgelöst,
errang 2012 aber einen Sieg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (c).
a.
Das Parteiengesetz als gesetzliche Grundlage
Für eine Parteigründung bedurfte es 2001 mindestens 50.000 Mitglieder. Zudem musste in
mehr als der Hälfte der sog. föderalen Subjekte (Russland ist in insgesamt 83 föderale Subjekte
unterteilt) ein Landesverband mit jeweils mindestens 500 Mitgliedern bestehen. Seit dem
01.01.2012 beträgt die Mindestmitgliederzahl 40.000; in den Landesverbänden 400.
b.
Anträge zur Registrierung von Parteien seit 2009
Um an Wahlen teilzunehmen, musste sich eine Partei beim Justizministerium registrieren lassen. In der jüngeren Vergangenheit verwehrte das Justizministerium zahlreichen Parteien diese
Registrierung. Gegenwärtig sind sieben Parteien registriert. Die letzte Registrierung einer Partei erfolgte im Februar 2009, als die Partei „Rechte Sache“ durch einen Zusammenschluss
dreier bestehender Parteien entstand.3 Seitdem wies das Justizministerium sechs Anträge auf
Registrierung ab4, zuletzt der Partei „Volksfreiheit/PARNAS“, zu deren Co-Vorsitzenden u.a.
Boris Nemzow und Wladimir Rijschkow zählen.5 Für diese nicht registrierten Parteien hat sich
der Begriff „nicht systemgerechte Opposition“ eingebürgert.
1
Föderales Gesetz Nr. 82 vom 19.05.1995.
2
Föderales Gesetz Nr. 95 vom 11.07.2001.
3
Informationsportal „newsru.com“ vom 18.02.2009, http://www.newsru.com/russia/18feb2009/pravoe.html. Die
drei Parteien sind: „Union der Rechten Kräfte“, „Bürgerkräfte“ und „Demokratische Partei“.
4
Das Justizministerium lehnte u.a. die Anträge der folgenden Parteien auf Registrierung ab: Rotfront, zwischen dem 07.06.2010 und dem 16.08.2011 (Internetzeitung von Garri Kasparow vom 07.07.2010,
http://www.kasparov.ru/material.php?id=4C3481D60AAA; Internetseite der „Rotfront“ vom 25.09.2010,
http://rotf.info/2010/09/rot-front-borba-budet-prodolzhena; Internetzeitung „WEK“ vom 16.08.2011,
http://wek.ru/politika/251-otkaz-v-registracii-partiya-rot-front-poluchila-v-shestoj.html); „Anderes Russland“,
im
Januar
2011
(Internetzeitung
von
Garri
Kasparow
vom
08.11.2011,
http://www.kasparov.ru/material.php?id=4EB930813918A).
5
Volksfreiheit/PARNAS wurde am 13.12.2010 gegründet. Am 23.05.2011 lehnte das Justizministerium die
Registrierung ab, was das Europäische Parlament stark kritisierte. Die Ablehnung stützte sich auf angebli-
1
c.
Die Liquidierung der Republikanischen Partei (RP)
Im Jahr 2005 entzog das Justizministerium der Republikanischen Partei die Registrierung und
begründete seine Entscheidung damit, dass die Mitgliederzahl unter die erforderliche Marke
von 50.000 Personen gefallen sei. Diese Entscheidung bestätigte der Oberste Gerichtshof der
Russischen Föderation. Der damalige Parteivorsitzende Wladimir Rijschkow hat sich zwischenzeitlich an der Partei „Volksfreiheit/PARNAS“ beteiligt.
Als die Republikanische Partei Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) einlegte und diese auf Art. 11 EMRK (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) stützte,
entgegnete die russische Bürokratie, dass eine derart hohe Mindestmitgliederzahl notwendig
sei, um die Stabilität des politischen Systems und die nationale Sicherheit zu gewährleisten.6
Das Gericht kennzeichnete in seinem Urteil vom 12.04.2011 die Liquidierung der Republikanischen Partei als nicht mit Art. 11 EMRK vereinbar, sie also rechtswidrig war: Zwar gebe es in
mehreren Mitgliedsstaaten des Europarats Anforderungen an die Mitgliederzahl einer Partei,
allerdings sehe die russische Gesetzgebung die höchste unter allen vor. Dass der Gesetzgeber
in Russland die Voraussetzungen für eine Parteiengründung oft ändere, könnte als Manipulationsversuch der Regierungspartei interpretiert werden. Die den russischen Parteien auferlegte
Bürde sei unverhältnismäßig hoch. So komme zudem der Schutz kleiner Interessengruppen zu
kurz, die auch das Recht haben müssten, eine Partei zu gründen, um an Wahlen teilzunehmen.
Auf Antrag des damaligen Parteivorsitzenden Wladimir Rijschkow hob der Oberste Gerichtshof
der Russischen Föderation im Januar 2012 sein Urteil über die Auflösung der Republikanischen
Partei auf.7 Die Registrierung durch das Justizministerium steht bevor: Im März schlossen beide
Seiten einen Vergleich.8 Für den Fall, dass die Republikanische Partei zeitlich vor „Volksfreiheit/PARNAS“ registriert wird, stellte Rijschkow eine Fusion der beiden Parteien in Aussicht.9
2.
Änderungen im Parteiengesetz 2012
Nach der Staatsdumawahl forderte die Opposition am 10.12.2011 erstmalig auf einer Massendemonstration, alle Parteien zuzulassen.10 Bereits am 23.12.2011 brachte Staatspräsident
Medwedew einen Gesetzentwurf für eine signifikant erleichterte Parteiengründung in die
Staatsduma ein.11 In seiner Endversion normiert das neue Gesetz folgende Voraussetzungen:
che Satzungsfehler und darauf, dass sich im Mitgliederverzeichnis bereits Verstorbene befänden. Internetzeitung „gaseta.ru“ vom 13.12.2010, http://www.gazeta.ru/politics/2010/12/13_a_3464697.shtml;
Kommersant vom 14.12.2010, S.2, vom 10.06.2011, S. 1, vom 23.06.2011, S. 2, vom 07.07.2011, S. 3,
vom 15.07.2011, S. 1, vom 02.08.2011, S. 3.
6
Das Folgende nach: Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 12.04.2011, nachzulesen
auf dem juristischen Informationsfportal „Konsultant Plus“, http://www.consultantplus.ru.
7
Kommersant vom 24.01.2012, S. 3.
8
Internetportal „zman.ru“ vom 16.03.2012,
Kommersant vom 17.03.2012, S. 2.
9
Kommersant vom 24.01.2012, S. 3, vom 17.03.2012, S. 2.
10
Interseite
der
russischen
Ausgabe
des
Magazins
„Forbes“
vom
10.12.2011,
http://www.forbes.ru/sobytiya/vlast/77345-10-dekabrya-2011-hronika-sobytii-onlain-translyatsiya-forbes.
11
Kommersant vom 16.01.2012, S. 3. Art. 104 Abs. 1 der Verfassung der Russischen Föderation gibt dem
Staatspräsidenten das Recht zur Gesetzinitiative.
http://www.zman.com/news/2012/03/16/122550.html.
2
-
Die Mindestmitgliederanzahl beträgt 500. Ein Landesverband muss in mindestens der
Hälfte der 83 föderalen Subjekte bestehen. Für die Landesverbände gibt es keine Mindestmitgliederanzahl mehr.
-
Auf dem Gründungsparteitag müssen statt bisher drei nur zwei Mitglieder pro Landesverband anwesend sein.
-
Lehnt das Justizministerium die Registrierung aufgrund fehlender oder fehlerhafter Dokumente ab, so erhält die Partei die Möglichkeit, die Mängel innerhalb von drei Monaten zu beseitigen. Gleichzeitig empfiehlt das Justizministerium schriftlich, wie die Fehler behoben werden können. Zusätzlich muss die Behörde die Rechtsgrundlage angeben,
auf die sie die Unterbrechung des Registrierungsverfahrens stützt. Diese Neuerung
ergab sich im Rahmen der zweiten Lesung.12
-
Eine Partei muss dem Justizministerium einmal in drei Jahren über ihren Mitgliederstand berichten (bisher einmal jährlich). Die Kontrollbehörden dürfen die Mindestmitgliederzahl ebenso nur einmal in drei Jahren prüfen (bisher maximal einmal pro Jahr);
gleiches gilt für die Frage, ob in mindestens der Hälfte der föderalen Subjekte ein Landesverband besteht.
-
Eine Partei muss ihren Finanzbericht beim Justizministerium einmal in drei Jahren einreichen (bisher einmal jährlich).
-
Eine Partei wird liquidiert, wenn sie sieben Jahre hintereinander nicht an Wahlen teilnimmt (bisher fünf Jahre).
-
Das Gesetz tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.
Am 28. Februar 2012 beriet das Parlament die Änderungen im Parteiengesetz in erster Lesung,
und zwar unter Anwesenheit von Vertretern der sog. systemgerechten 13 und sog. nichtsystemgerechten Opposition14.15 Unter „systemgerechter“ Opposition werden alle neben der Regierungspartei registrierten Parteien bezeichnet. Drei von ihnen besetzen keine Abgeordnetensessel in der Staatsduma. Diesmal durften ihre Vertreter im Plenarsaal mitwirken, erhielten sogar
Rederecht. Die Vertreter der „nicht systemgerechten“ Opposition nahmen auf dem Zuschauerbalkon Platz. Diese Möglichkeit besteht für die Öffentlichkeit grundsätzlich nicht. Zur zweiten
Lesung erhielt die „nicht systemgerechte“ Opposition keine Einladung.16
12
Internetportal „aktualnije kommentarij“ vom 20.03.2012, http://actualcomments.ru/news/39526/.
13
Es handelte sich um folgende Personen: Sergei Mitrochin, Jabloko-Partei; Andrej Dunajew, Rechte Sache;
Sergej Plotow, Patriotenpartei.
14
Die zwei Teilnehmer waren Wladimir Rijschkow, PARNAS; Sergej Udalzow, RotFront.
15
Das Folgende nach: Kommersant vom 29.02.2012, S. 1f.
16
Internetseite der Informationsagentur „Rosbalt“ vom 19.03.2012,
http://www.rosbalt.ru/politrally/2012/03/19/958935.html.
3
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sorgte die stark gesenkte Mindestmitgliederzahl für
Diskussion, sogar von Seiten der außerparlamentarischen Opposition. Sie sprach davon, dass
nun jeder Oligarch seine Partei gründen könne.17 Die Kommunistische Partei forderte mindestens 5.000 Mitglieder für eine Parteigründung. Außerdem regte die LDPR erfolglos an, dass
eine Partei nur in einem Drittel der föderalen Subjekte über Landesverbände verfügen müsse.18
Vor der zweiten Lesung ergab sich die Ergänzung, dass sich neue Parteien keine Namen geben
dürfen, die mit den bisher bestehenden verwechselt werden könnten.19 Die Regierungspartei
„Einiges Russland“ stellte sich gegen die Forderung der inner- und außerparlamentarischen
Opposition nach Wahlbündnissen zwischen selbständigen Parteien, um bei Wahlen gemeinsam
ein Quorum zu überwinden (sog. Wahlblöcke).20 Am 23. März 2012 verabschiedete die Staatsduma das Gesetz einstimmig, obwohl in der ersten Lesung noch 61 dagegen gestimmt hatten. 21
An dieser Sitzung nahmen Vertreter der außerparlamentarischen Opposition teil.22 Die obere
Kammer der Legislative, der Föderationsrat, bestätigte das Gesetz am 28. März 2012.23
3.
Konsequenzen und Fazit
Die neue Gesetzeslage wird Dutzende von Neugründungen mit sich bringen, und der Begriff der
„nicht systemgerechten Opposition“ wird verschwinden.24 Bereits vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens gingen beim Justizministerium 82 Anträge auf Registrierung ein.25 Staatspräsident Medwedew unterzeichnete das Änderungsgesetz unter Anwesenheit von 44 Parteivorsitzenden.26 Der politische Wettbewerb wird zunächst massiv zunehmen, und zwar bei einer Zersplitterung der politischen Kräfte. Darauf folgt in den nächsten Jahren eine Konsolidierung der
Parteienlandschaft. Nur wenige werden in der Lage sein, auf föderaler Ebene ein Quorum von
fünf Prozent zu überwinden: Weil die Regierungspartei es der Opposition versagte, Wahlblöcke
zu bilden, müssten sich traditionelle Einzelkämpfer dauerhaft unter einem einzigen politischen
Dach zusammenschließen. Ob dies gelingt, erscheint mit einem Blick auf die völlig heterogene
Opposition höchst fraglich. Hinzu kommt, dass nun die politische Basisarbeit anstatt des Pro17
Internetseite der Partei „Einiges Russland“ vom 28.02.2012, http://er.ru/news/2012/2/28/gosdumaprinyala-v-pervom-chtenii-paket-zakonoproektov-reformiruyushih-politsistemu/.
18
Internetseite „GosNews.ru“ vom 21.03.2012, http://www.gosnews.ru/parliament/news/864.
19
Internetportal „aktualnije kommentarij“ vom 20.03.2012, http://actualcomments.ru/news/39526/. Anträge
auf Parteigründungen mit Bezeichnungen, die denen bereits bestehender Parteien ähneln, wurden bereits
im März 2012 eingereicht. Kommersant vom 28.03.201, S. 3.
20
Internetseite der Informationsagentur „Rosbalt“ vom 21.03.2012,
http://www.rosbalt.ru/main/2012/03/12/955980.html.
21
Internetportal „moiwibori.ru“, keine Datumsangabe,
http://moiwibori.ru/index.php?option=com_content&task=view&id=275&Itemid=29. Das Folgende nach:
Internetportal „Sterlegrad“ vom 24.03.2012, http://sterlegrad.ru/russia/politician/25750-gosdumaprinyala-zakon-ob-uproschenii-registracii-partiy.html.
22
Unter anderem Sergej Udalzow und Wladimir Rijschkow.
23
Internetseite des Radiosenders „Westi“ com 28.03.2012, http://www.radiovesti.ru/articles/2012-0328/fm/39947.
24
Siehe dazu die Äußerung von Staatspräsident Medwedew auf dem internationalen Gipfel für Atomsicherheit
in Seoul. Kommersant vom 28.03.2012, S. 1 und 3.
25
Kommersant vom 13.03.2012, S. 2, vom 28.03.2012, S. 3.
26
Kommersant vom 04.04.2012, S. 1f.
4
tests im Vordergrund stehen wird. Kleine Parteien müssen sich stückweise Erfolge erarbeiten:
über die Kommunalwahlen bis zur Aufstellung eines Präsidentschaftskandidaten.
Die neue Gesetzeslage setzt auch die parlamentarische Opposition unter Druck. So sieht sich
die Staatsduma-Fraktion „Gerechtes Russland“ damit konfrontiert, dass einzelne ihrer Mitglieder bereits jetzt an der Spitze neuer Parteien stehen, nämlich der „Russischen Rentner-Partei“
und der „Sozialdemokratischen Union“.27 Sowohl die KPRF als auch die nationalistische LDPR
stehen vor einer Führungsdiskussion, die aufgrund des erhöhten Wettbewerbs an Schärfe gewinnen wird: Die Vorsitzenden beider Parteien erreichen bald das 70. Lebensjahr, und die
Nachfolge ist ungeklärt. Während die KPRF vor der Aufgabe steht, ihre derzeit breite Basis und
Stammwählerschaft weiterhin zu binden, verliert die LDPR ihr thematisches Alleinstellungsmerkmal: Mehrere national orientierte Parteien haben ihre Gründung angekündigt.28
Trotz der Liberalisierung wird der Kreml das Parteiengesetz weiterhin, wenn auch weniger intensiv, als politisches Steuerungsinstrument anwenden, und zwar im Bereich einer verstärkten
Regionalisierung, die theoretisch möglich wäre, weil die Mindestmitgliedermitgliederzahl für
die Landesverbände aufgehoben wurde. Die Diskussion, dass einzelne Gouverneure ihre eigene
Partei aus der Taufe heben könnten29, verfolgt Moskau mit höchster Aufmerksamkeit: Erstens
verschöben sich politische Machtzentren zu Lasten der Zentrale teilweise in die Regionen; die
örtliche Elite könnte sich neu orientieren. Zweitens wäre es nicht gänzlich unrealistisch, dass
kulturell besonders geprägte Gebiete, wie zum Beispiel Dagestan oder Tschetschenien, mit einer eigenen Partei sogar separatistische Absichten verfolgen. Putin hat diese Gefahr in seinem
programmatischen Aufsatz zur nationalen Frage deutlich angesprochen.30 In Betracht kommen
deshalb neben einer restriktiven Zulassungspraxis Nachbesserungen beim Gesetz. Dass eine
Kommission der Parlamentarischen Versammlung des Europarates die Unterdrückung von Parteigründungen, beschränkt auf einzelne Regionen, gerade als diskriminierend bezeichnet hat,
wird den Kreml wenig beeindrucken.31
Moskau, 12. April 2012
Dr. Markus Ehm
Leiter der Verbindungsstelle Moskau der Hanns-Seidel-Stiftung
Der Verfasser dankt Frau Maria Nazarenko für ihre Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags.
27
Kommersant vom 06.04.2012, S. 3, vom 09.04.2012, S. 3.
28
Kommersant vom 27.03.2012, S. 4.
29
Kommersant vom 10.04.2012, S. 2.
30
Internetseite der Nesawisimaja Gaseta vom 23.01.2012, http://www.ng.ru/264437.
31
Kommersant vom 03.04.2012, S. 1.
5
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