der hand

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13.9.–22.11. 2009
Der Weg zum Menschen
Stadtmuseum
Erlangen
Martin-Luther-Platz
Di/Mi 9 –17 Uhr
Do 9 –13 und 17 –20 Uhr
Fr 9 –13 Uhr
Sa/So 11–17 Uhr
Hand und Fuß
Der Weg zum Menschen
Nichts war für die Menschwerdung so entscheidend wie die Entwicklung
von Hand und Fuß. Sein aufrechter Gang, seine Art zu fassen und
zu greifen unterscheiden den Menschen von allen anderen Primaten.
Diese Eigenschaften bilden auch wichtige Voraussetzungen für die
Entwicklung seines Gehirns: Der Weg des Menschen verläuft in der
Gattungsgeschichte wie in der Individualgeschichte vom Greifen
zum Begreifen.
Die Ausstellung zeichnet diesen Aspekt der menschlichen Evolution
anhand zahlreicher Exponate aus Sammlungen der Universität sowie
aus dem Besitz öffentlicher Museen und privater Leihgeber in einer
facettenreichen Präsentation nach. Zugleich bettet sie dieses Kapitel
der Evolution in die Geschichte der Evolutionstheorie überhaupt ein
und stellt insoweit einen wichtigen Beitrag zum Darwin-Jahr 2009 dar.
Ein eigener Ausstellungsteil veranschaulicht die besondere Bedeutung,
die der Hand über ihren Werkzeug­c harakter hinaus in allen Kulturen
als Zeichen und Symbol zuge­w iesen wurde und wird.
Hand und Fuß
Der Weg zum Menschen
13.9. – 22.11.2009
Eine Ausstellung des Stadtmuseums Erlangen, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
(Lehrstuhl für Entwicklungsbiologie, Institut für Anatomie I, Zentralinstitut für Angewandte Ethik
und Wissenschafts­kommunikation, Institut für Ur- und Frühgeschichte)
und des Naturkunde-Museums Coburg
Ausstellungsbereiche
1. Geschichte der Evolutionstheorie
Dr. Rudolf Kötter
2. Geschichte von Hand und Fuß
Dr. Wolfgang Heimler
3. Stammbäume
Dr. Wolfgang Heimler, Dr. Werner Korn
4. Primaten
Dr. Wolfgang Heimler
5. Mensch
Dr. Wolfgang Heimler, Prof. Dr. Winfried Neuhuber, Dr. Leif Steguweit
6. Sprechende Hände
Thomas Engelhardt
Mitarbeiter der Ausstellung
Leihgeber
Dr. Wolfgang Heimler
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Department Biologie, Zoologische Sammlung, Universität Erlangen-Nürnberg
Anatomische Sammlung
(Wissenschaftliche Leitung)
Antikensammlung
Thomas Engelhardt
Stadtmuseum Erlangen
(Ausstellungsleitung)
Dr. Rudolf Kötter
Zentralinstitut für Angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation,
Universität Erlangen-Nürnberg
Prof. Dr. Winfried Neuhuber
Institut für Anatomie I, Universität Erlangen-Nürnberg
Graphische Sammlung der Universität
Plastisch- und Handchirurgische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Ur- und Frühgeschichtliche Sammlung
Universitätsbibliothek
Zoologische Sammlung
Kunstmuseum Erlangen
Städtische Sammlung Erlangen
Marcus Sommer SOMSO Modelle GmbH, Coburg
Naturkunde-Museum Coburg, Coburger Landesstiftung
Deutsches Medizinhistorisches Museum, Ingolstadt
Dr. Leif Steguweit
Bayerische Staatsbibliothek, München
Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Erlangen-Nürnberg
Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, München
Dr. Werner Korn
Zoologische Staatssammlung, München
Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Institut für Ur- und Frühgeschichte
Naturkunde-Museum Coburg
Museum Kulturgeschichte der Hand, Wolnzach
Grafik: Peter Hörndl
Frank Bücher, Alles was schön ist, Erlangen
Textredaktion: Dr. Rudolf Kötter, Gertraud Lehmann
Öffentlichkeitsarbeit und Projektassistenz: Katharina Gamer
Manfred Mayer, Erlangen
Dr. Harald Tesan, Nürnberg
Völk Orthopädie, Erlangen
Videopräsentation: Dr. Harald Tesan (Konzeption)
clip...trix, Höchstadt (Realisierung)
Präparatorin: Ulrike Neumann, Naturkunde-Museum Coburg
Wir danken für die freundliche Unterstützung durch
Ausstellungsgestaltung und -aufbau: Claus Theuerkauf,
Marcus Sommer Somso Modelle GmbH, Coburg
Hans-Jürgen Hippe, Klaus Staudt
Arthrex GmbH, Karlsfeld/München
Museumspädagogik: Christine Brehm, Lars Hochreuther
Studentische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen:
Jessica Durlack, Mario Hertlein, Christian Jobst, Isabell Kappel, Edith Merkel,
Jürgen Mehl, Oliver Neumann, Elisabeth Obermeier, Tanja Vockenroth,
Christian Völk, Bernd Weber, Markus Weinl
STADTMUSEUM
E R LA N G E N
Die Verzeitlichung
der Naturgeschichte
Abb. 1
D
ie moderne Erdgeschichts­
schreibung beginnt mit dem däni­
schen Naturforscher Nicolaus Steno
(1638 – 1687), der das „strati­
graphische Prinzip“ formulierte: Die
Anordnung von Gesteinsschichten
im Raum entspricht einer zeitlichen
Ordnung, wobei die tiefsten Schichten die ältesten sind. Außerdem
erkannte Steno, dass es sich bei
Fos­silien um versteinertes organi­
sches Material handelt, das immer
älter ist als das umgebende Gestein.
Dieser Gedanke wurde später aufgegriffen und zur relativen Datierung
von Gesteinsschichten benutzt: Ge­
steinsschichten, die gleiche Fossi­lien
(„Leitfossilien“) enthalten, müssen
gleich alt sein.
Georges Cuvier (1769 – 1838)
erkannte durch das Studium von
Leitfossilien, dass sich in der Erdgeschichte dramatische Veränderungen
voll­zogen haben müssen und postu­
lierte, dass durch katastrophale
Ereignisse Teile des Lebens auf der
Erde immer wieder vernichtet wor­
den sind. Im Gegensatz dazu vertrat
der englische Geowissenschaftler
Charles Lyell (1797 –1875) das
metho­dische Prinzip des Aktualismus.
Aktualistisch dürfen zur Rekonstruktion der Erdgeschichte nur solche
Pro­zesse herangezogen werden, die
man auch heute noch beobachten
kann. Erst auf dem Boden des Aktua­
lismus konnte man die Zeitdauer von
geologischen Entwicklungen quantitativ abschätzen.
Abb. 2
Abb. 1 Rekonstruktion eines ausgestorbenen
Riesenfaultiers
aus: Georges Cuvier: Essay on the Theory of the earth
Edinburgh 1813
Cuvier rekonstruierte das Riesenfaultier (Megatherium
cuvieri) aufgrund von Knochenfunden nach den von ihm
aufgestellten Prinzipien der vergleichenden Anatomie.
Das Riesenfaultier wurde bis zu 6 m groß und lebte bis
in die Bronzezeit in Südamerika.
Abb. 2 Schichtenaufbau und geologisches Alter
aus: Charles Lyell: Principles of geology, Vol. 3
London 1830
Die Abbildung No.1 zeigt, dass die oberen Gesteinsschichten
normalerweise auch die jüngeren sind, und erklärt, wie
gelegentlich ältere Schichten (d) über die jüngeren (a – c)
zu liegen kommen. Abbildung No. 2 veranschaulicht den
geologischen Aufbau des Pariser Beckens. Im Innern der
großen geologischen Mulde treten die jüngsten Schichten
des Tertiärs zutage. Nach außen hin folgen immer ältere
Formationen aufeinander.
Zeiträume
M
it Hilfe der aktualistischen
Methode konnte man quanti­tative
Abschätzungen der Zeitdauer von
geologischen Entwicklungen vornehmen. In diesem Sinne durchgeführte
Beobachtungen und Experimente
zeigten, dass die Abtragung von
Gebirgen durch Erosion und die
Bildung neuer Gesteinsschichten
durch Sedimentation gewaltige
Zeiträume beanspruchen (300 –500
Mio. Jahre). Das war für viele Menschen, die bis dahin noch geglaubt
hatten, die Erde sei etwa 6 000 Jahre
alt, geradezu unvorstellbar.
Folglich mussten frühere Epochen
wesentlich wärmer und damit lebens­
feindlicher gewesen sein. Dieser
Widerspruch zwischen geologischen
und physikalischen Verlaufsmodellen
der Erdgeschichte löste sich erst mit
der Entdeckung der Radioaktivität (und
ihren energetischen Konsequenzen)
zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf.
Altersbestimmung nach der Radio-Carbonmethode
Halbwertzeit des Kohlenstoff-Isotops C-14: 5 730 Jahre
Innerhalb dieses Zeitraums hat sich die Hälfte des
radioaktiven Kohlenstoffs C-14 umgewandelt.
25%
Ein gewichtiger Einwand gegen die
Vorstellungen der Geologen kam von
den Physikern. Sie haben mit Hilfe
der klassischen Thermodynamik und
ausgehend von Schätzungen der
vorhandenen Erdwärme Modelle für
die Entwicklung von Sonne und Erde
entwickelt (Lord Kelvin, 1824 –1907).
Altersbestimmung nach der C-14 Methode
Danach musste die Geschichte der
Erde relativ kurz sein (deutlich unter
100 Mio. Jahre) und einen Prozess
der ständigen Abkühlung darstellen.
Zur absoluten Zeitbestimmung erdgeschichtlicher Ereig­
nisse werden heute Zerfallsreihen radioaktiver Isotope
heran­ge­zogen. Am bekanntesten ist die zur Altersbestimmung von organischem Material aus erdgeschichtlich
jüngerer Zeit benutzte C-14-Methode. Zur Bestimmung
größerer Zeiträume verwendet man z. B. die Zerfallsreihe
von Kalium-40 zu Argon-40 mit einer Halbwertszeit von
1 300 Mio. Jahren.
100%
C-14-Gehalt
nach 0 Jahren
50%
C-14-Gehalt
nach 5 730 Jahren
C-14-Gehalt
nach 11 460 Jahren
„I have shown that most probably the sun was
sensibly hotter a million years ago than he is now.
Hence, geological speculations assuming somewhat
greater extremes of heat, more violent storms and
floods, more luxuriant vegetation, and hardier
and coarser-grained plants and animals, in remote
antiquity, are more probable than those of the extreme
quietist, or ‚uniformitarian‘ school. ... it is impossible
that hypotheses assuming an equability of sun and
storm for 1.000.000 years, can be wholly true.“
Lord Kelvin (William Thomson), 1864
Ähnlichkeit und
Verwandtschaft
Als wichtiges Prinzip der vergleichenden Anatomie galt das Gesetz der
„Kor­relation der Teile“, wonach
Organe und Skelettteile immer funk­
ti­o­nal aufeinander bezogen sind.
Auf­grund dieses Gesetzes lassen sich
z. B. aus einzelnen Knochenfunden
ganze Skelette rekonstruieren.
Abb. 1
A
n der Wende vom 18. zum
19. Jahrhundert wurde durch Biologen
wie Georges Cuvier (1769 – 1838),
Étienne Geoffroy Saint-Hilaire
(1772 –1844) und Jean-Baptiste
de Lamarck (1744 –1829) die ver­
gleichende Ana­tomie und Morpho­
logie begründet. Deren grund­legende
Idee war, dass sich die Verwandtschaft
von Arten über Gemeinsamkeiten in
ihren ana­tomischen bzw. morphologischen Bauplänen konstru­ieren
ließen: Der Grad der Verwandt­schaft
lässt sich an der Ausdifferenzie­rung
eines abstrakten Grundbau­plans
ablesen.
Umstritten waren unter den Theo­re­
tikern der damaligen Zeit insbesondere, (a) ob es für die verschiedenen
Lebensformen unterschiedliche
Grundbaupläne gibt (Cuvier), oder
ob diesen wiederum ein gemeinsamer „Master-Plan“ zugrundeliegt
(Geoffroy Saint-Hilaire, mit dem auch
Goethe sympathisierte) und (b) ob
die Aus­differenzierung in den Bauplänen auf eine historische Entwicklung verweist (bejaht von Lamarck,
abgelehnt von Cuvier).
Abb. 2
Abb. 1 Die Bewegungsapparate von Lemur,
Vogel Strauß und Eidechse
aus: Georges Cuvier: Vorlesungen über vergleichende
Anatomie. Erster Theil, welcher die Organe der Bewegung
enthält. Leipzig 1809
Hier werden Skelette von Gorilla (o. links), Vogel Strauß
(o. rechts) und Eidechse (unten) als Repräsentanten verschiedener Tier­gruppen zum Vergleich ihres Bewegungsapparats
dargestellt.
Abb. 2 Idealmuster oder Urtyp des Wirbeltier-Skeletts
nach: Richard Owen: On the nature of Limbs. London 1849
Die vergleichende Anatomie beruht auf der Grundannahme,
dass die höchst unterschiedlichen Baupläne der Arten einer
bestimmten Gruppe (z. B. der Wirbeltiere) Konkretisierungen
eines gemeinsamen, abstrakten Bauplan-Musters sind.
Richard Owen (1804 – 1892) hat einen solchen lange Zeit
akzeptierten „Master-Plan“ für das Wirbeltierskelett erstellt.
Verwandtschaft und
Abstammung
haben. Er ging davon aus, dass sich
zu allen Zeiten (auch heute noch!)
primitives Leben aus unbeleb­ten
Vorformen bilde und sich dieses
Leben dann im Laufe der Zeit den
sich wechselnden Umweltbedingungen an­passe.
Abb. 1
Diese Anpassungen würden dann
an die nächste Generation weiterge­
geben, wodurch immer komplexere
Lebensformen entstehen. Je komplexer eine rezente Art ist, desto älter
ist sie, d. h. jede Art hat ihre eigene,
von anderen Arten getrennte Entwicklungsgeschichte. Damit vertrat
La­marck eine Transformationstheorie
der Arten, aber noch keine Abstammungstheorie; dies wird häufig missverstanden.
Z
Wirbellose Tiere
Infusiorien
Polypen
Strahltiere
Annelieden
Cirripedien
Mollusken
Insekten
Arachniden
Crustaceen
Wirbeltiere
Fische
Reptilien
Amphibische
Säugetiere
Vögel
Monotremen Cetaceen
Säugetiere
Zeit
u Beginn des 19. Jahrhunderts
ver­teidigte vor allem Georges Cuvier
(1769 – 1838) vehement die Über­
zeugung, dass in der Naturgeschichte
die Konstanz der Arten herrsche, d. h.
die Arten sich seit der Schöpfung in
ihren strukturellen Eigenarten erhalten
haben, wenn sie nicht durch Katastrophen vernichtet worden sind.
wiederholte Urzeugung
Entwicklung zur „Vervollkommnung”
Abb. 2
Ihm gegenüber vertrat vor allem JeanBaptiste de Lamarck (1744 – 1829)
die An­sicht, dass der Ausdifferenzierung von einfachen Grundbauplänen in komplexe­re Baupläne ein
historischer Prozess entspreche, bei
dem sich gegenwärtige Arten aus
einfachsten Urformen entwickelt
Abb. 1 Titelblatt der Erstausgabe von Lamarcks
„Philosophie zoologique“
Paris 1809
Die „Philosophie zoologique“ ist das Hauptwerk Lamarcks.
Ihre erste deutsche Übersetzung erschien 1876 als „Philo­
sophische Zoologie“.
Abb. 2 Lamarcks Modell: Fortschreitende Evolution
ohne gemeinsame Abstammung
Jean-Baptiste de Lamarck (1744 – 1829) vertrat die Idee,
dass sich das Leben im Laufe der Zeit zwar aus primitiven
zu höheren Formen weiter entwickele, dieser Prozess aber
nicht einmalig sei, sondern sich ständig wiederhole.
Wir finden demnach zu jeder Zeit Lebewesen auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen vor, die eine mehr oder
weniger lange Entwicklungsgeschichte vor sich haben.
Charles Darwin: Person
entwickelte er sein Hauptwerk „On
the Origin of Species“, das 1859
erschien. Gleich­zeitig mit Darwin
(wenn nicht sogar etwas vor ihm) hat
der engli­sche Naturforscher Alfred R.
Wallace (1823 – 1913), ebenfalls
nach der Lektüre von Malthus, seine
der Darwinschen Theorie sehr ähn­
liche Evolutionstheorie entworfen
und niedergeschrieben.
Abb. 1
C
harles Robert Darwin wurde 1809
in Shrewsbury geboren, studierte
Medizin und Theologie und schloss
1831 sein Theologiestudium mit dem
Bachelor-Grad ab. Kurz danach bekam
er die Gelegenheit, an der Welt­­
umseglung des Captain FitzRoy auf
der HMS Beagle teilzunehmen. 1836
kehrte er mit einer gewaltigen Samm­
lung an Präparaten und Materialien
zurück, deren Auswertung ihn über
Jahre hinweg beschäftigte.
Im Gegensatz zu Wallace wurde
Darwin durch sein Buch ungeheuer
populär, allerdings zu dem Preis, dass
viele seiner weiteren wichtigen und
überaus interessanten Arbeiten nicht
die öffentliche Aufmerksamkeit
erhielten, die sie eigentlich verdient
hätten. Darwin starb 1882 hoch
ge­ehrt in seinem Heimatort Down
bei London.
Während dieser Zeit und angeregt
durch die geologischen Arbeiten
von Charles Lyell sowie durch den
„Essay on the Principles of Population“ von Thomas R. Malthus (1798)
Abb. 2
Abb. 1 Charles Darwin im Alter von 40 Jahren
Lithographie von T. H. Maguire, 1849
London, National History Museum
Abb. 2 Charles Darwin im Alter von 71 Jahren
Fotografie, 1880
London, Natural History Museum
Abb. 3 Titelseite der Erstausgabe von „On the Origin
of Species“
London 1859
Das Buch erlebte zu Darwins Lebzeiten sechs Auflagen.
Eine erste deutsche Übersetzung ist schon im Jahre 1860
erschienen.
Abb. 3
Charles Darwin: Theorie
oder -nachteil (Selektion). Auf Dauer
setzen sich in einer Population die
Träger mit „positiven“ Merkmals­
ausprägungen durch (Anpassung).
3. Wird eine Population durch äußere
Umstände räumlich getrennt, so
greifen dadurch unterschiedliche
Selektionsmechanismen, was dazu
führt, dass die Teilpopulationen sich
im Laufe der Zeit in ihren Merkmals­
ausprägungen immer stärker voneinander unterscheiden, bis sie schließ­
lich nicht mehr als zu einer Art
ge­­hörig erfasst werden können:
Auf diese Weise entstehen neue Arten.
Abb. 1
D
ie wesentlichen Grundlagen
der Evolutionstheorie lassen sich
in vier Punkten zusammenfassen:
4. Die Evolutionsgeschichte des
Lebens beschreibt, wie heutige Arten
aus früheren, diese wieder aus vor­
gän­gigen usw. entstanden sind.
Damit gibt der Stammbaum des
Lebens nicht nur die Verwandtschaft
der Arten wieder, sondern zeigt auch
den Weg ihrer historischen Entwicklung auf.
1. Im Gegensatz zur Transfor­ma­ti­ons­­
theorie von Lamarck ist die Evo­lu­ti­ons­
theorie eine Abstammungstheorie,
die zeigt, wie sich aus einer Stamm­
art neue Arten entwickeln.
2. Ausgegangen wird von dem
Faktum, dass die Individuen einer
Art über unterschiedliche Merkmals­
ausprä­gungen verfügen, die das
Leben unter gegebenen Umwelt­
bedingungen erleichtern oder erschweren. Dadurch erhalten ihre
Träger einen Vermehrungsvorteil
Abb. 3
Abb. 1Darwins erster Stammbaum-Entwurf
aus: Charles Darwin: Notebook B, 1837/38
Cambridge University Library
Die erste Skizze eines Stammbaums von Darwin enthält
schon die Idee, dass Menschenaffen und Menschen auf
einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen.
Abb. 2 Darwinfinken
aus: Charles Darwin: Journal of researches. 2. Auflage.
London 1845
Während der Forschungsreise der Beagle studierte Darwin
auf den Galapagos-Inseln die dort lebenden Finken-Arten.
Die verschiedenen Schnabelformen dieser eng verwandten
Galapagos-Finken hat Darwin als Anpassung an verschiedene Lebensräume mit unterschiedlichem Futterangebot
verstanden.
Charles Darwin
und der Darwinismus
Abb. 1
D
arwins Theorie wurde schon im
19. Jahrhundert von Ideologen und
Politikern aus dem liberalistischen und
später auch aus dem faschistischen
Lager aufgegriffen und zur Rechtfertigung sozialer, ökonomischer, kultu­
reller und rassistischer Auslese missbraucht („Sozialdarwinismus“). Der
Grund­gedanke war, dass eine Gesellschaftsordnung den naturgewollten
Kampf ums Dasein, bei dem der
Stärkere sich durchzusetzen hat, nicht
behindern dürfe.
Vielmehr müsse es wichtigste Aufgabe des Staates sein, dafür zu
sorgen, dass die Schwachen und
Minderwertigen nicht den Starken
in ihrem Fortkommen hinderlich
werden. Dabei wurden immer verdeckt oder offen weltanschauliche
Kriterien herangezogen, um vorab
zu bestimmen, was denn den
„Stär­keren“ ausmache. So wurde
der Verlauf der „natürlichen“ Evo­
lution, der ja keine Richtung kennt,
bei den Ideologen geradezu in sein
Gegenteil verkehrt.
Abb. 2
Vorreiter einer Politisierung der
Evo­lutionstheorie waren in England
H. Spencer und H. St. Chamberlain,
in Frankreich J. A. Gobineau und
G. Vacher de Lapouge und in
Deutschland vor allem E. Haeckel
und später H. F. K. Günther, der
die Grundlagen der nationalsozia­
listischen Rassenkunde schuf.
Abb. 3
Abb. 1 Darwin-Karikatur, um 1880
Farblithographie von André Gill
Cambridge University Library
Die Karikatur erschien um 1880 als Titelseite der Pariser satirischen Zeitschrift „La Petite Lune“. Dargestellt ist ein Affe
mit übergroßem Darwinkopf, der im „Baum der Erkenntnis“
turnt. Der Gedanke, dass der Mensch abstammungsgeschichtlich der nächste Verwandte des Menschenaffen ist,
wurde damals von vielen noch als Provokation empfunden.
Abb. 2 Verwandtschaft von Schimpanse, Gorilla,
Orang und „Neger“, 1874
aus: Ernst Haeckel: Anthropogenie oder Entwicklungs­
geschichte des Menschen. Leipzig 1874
Hier zeigt sich ganz unverhohlen, wie wenig Distanz selbst
Wissenschaftler gegenüber dem herrschenden Rassismus
ihrer Zeit einzunehmen vermochten.
Abb. 3 Propagandadruck zur Rassenkunde, 1938
aus: Alfred Vogel: Erblehre und Rassenkunde in bildlicher
Darstellung. Stuttgart 1938
Auf so perfide Weise wollte man während der Nazi-Zeit
schon Kindern beibringen, dass die Ausrottung der Schwachen und Kranken im Grunde genommen ganz im Einklang
mit der Natur stehe.
Die Evolution von Hand
und Fuß
gungsapparates war eine wesentliche
Voraussetzung für den Landgang.
Nach diesem Prinzip kommen bis
heute die Kriechtiere vorwärts.
Säuger und Vögel hingegen bewegen
sich nur mit den nach unten gerichteten Extremitäten fort. Die Rumpfwirbelsäule wurde bei ihnen zu einem
geraden Stab, auf den die Antriebs­
kräfte übertragen werden.
Abb. 1
V
or mehr als 400 Mio. Jahren – beim
Übergang vom Strudler zum aktiven
Räuber – sind die paarigen Extremi­tä­
ten der Wirbeltiere entstanden. Die
Brustflossen fungieren als Tragflächen
und Steuerruder, die Schwanzflosse
besorgt den Vortrieb, die übrigen
Extremitäten dienen als Stabilisatoren.
Bei Haien hat sich diese Konstruktion
fast unverändert erhalten.
Die mit den Vierfüßern eng verwand­ten
Quastenflosser und Lungenfische besitzen beinartige Flossen. Einige devo­
nische Quastenflosser sind mit ihrer
Hilfe am Gewässergrund „gelaufen“.
Neu gebildete Finger- und Zehenstrah­
len haben ihre Flossenfächer er­setzt.
Die so veränderten Extremi­täten unterstützen als seitliche Hebel das Schlängeln des Körpers und verringern
die Reibung durch das Anheben des
Bauches. Dieser Aufbau des Bewe-
Die überaus bewegliche Greifhand der
Primaten behielt ihren anatomischen
Aufbau und gleicht immer noch stark
den vorderen Extremitäten der ursprünglichen Vierfüßer.
Eusthenopteron
Acanthostega
Ichthyostega
Abb. 3
Abb. 1 Bewegungsformen der Wirbeltiere
aus: Kardong (1998)
obere Reihe: Schlängelschwimmen bei kieferlosen
Wirbeltieren (Neunauge)
mittlere Reihe: Schlängelschwimmen mit paarigen
Ruder- und Steuerflossen (Hai)
untere Reihe: Schlängellaufen mit seitlichen Extremitäten
bei Lurchen und Reptilien
Abb. 2 Vierfüßer – Konstruktionen
aus: Kardong (1998)
oben: Grundkonstruktion. Die seitlich gestellten Extremitäten verbessern die Effizienz beim Schlängeln.
unten: Säugerkonstruktion. Die nach unten gerichteten
Extremitäten übernehmen allein die Fortbewegung,
die Wirbelsäule ist bogenförmig.
Abb. 3 Entstehung von Hand und Fuß bei
devonischen Quastenflossern und Amphibien
aus: Linder (2006)
Abb. 2
obere Reihe: Eusthenopteron mit Flossenfächer
mittlere Reihe: Acanthostega mit Fingerstrahlen
zum Laufen auf Gewässergrund
untere Reihe: Ichthyostega mit kräftigen Laufbeinen
und Schwanzflosse
Abstammung des Menschen
nach Darwin und Haeckel
Im Unterschied zu Darwin sah er den
Ursprung der menschlichen Entwicklungslinie eher in Südost-Asien mit
den Gibbons und Orangs als nächsten
Verwandten. Hoch spekulativ ist seine
Annahme eines versunkenen Kontinents „Lemuria“ im Indischen Ozean
als mögliche Heimat des Urmenschen.
Erstmals versuchte Haeckel die tat­säch­
lichen Verwandtschaftsverhältnisse
in Form eines Stammbaums bildlich
darzustellen. Da damals noch keine
vormenschlichen Fossilien bekannt
waren, überbrückte er die Lücken
durch angenommene Zwischenformen
wie den Pithecanthropus alalus und
Homo stupidus.
Abb. 1
C
harles Darwin (1809 – 1882) sah
die Entstehung des Menschen wie
die aller Arten als Evolutionsprozess.
Grundlage für Darwins Annahmen
waren morphologische, anatomische
und physiologische Vergleiche rezenter
Arten einschließlich ihrer Embryonalstadien und Jugendentwicklung.
Dabei fand er die größte Übereinstimmung zwischen dem Menschen
und den afrikanischen Menschenaffen
und vermutete richtig die Wiege der
Menschheit in Afrika.
Der Zoologe Ernst Haeckel (1834 – 1919)
war einer der bedeutendsten Ver­
fechter von Darwins Evolutionstheorie
im 19. Jahrhundert, die er in seinen
popu­lären Schriften mit missiona­­
rischem Eifer vertrat.
Abb. 2
Abb. 1 Stammbaum der Primaten nach Darwin
Handzeichnung, „drawn by Darwin on April 21, 1868”
Cambridge University Library.
Darwins Stammbaumskizze stellt ausschließlich die Verwandschaftsverhältnisse lebender Arten dar. Nach Darwin
zweigt die Menschenlinie („men“, links) vor dem Ursprung
der Menschenaffenlinien („Gorilla + Chimp.“, „Orang-utan“,
„Hylobates“, Mitte) vom Hauptstamm ab. Ganz rechts
sind die noch früher abzweigenden Tieraffen (Paviane
und Makaken) dargestellt.
Abb. 2 Stammbaum der Primaten nach Haeckel
Handzeichnung, 1868
aus: Heberer (1968)
Der Stammbaum Haeckels bezieht erstmals fossile Formen
ein. Vorhandene Lücken werden mit spekulativen Zwischenformen ausgefüllt. Die Menschenlinie beginnt mit einem
Urgibbon (Protohylopates atavus) und führt über den
sprachlosen Affenmenschen (Pithecanthropus alalus) über
den stupiden Mensch (Homo stupidus) zum weisen
Menschen (Homo sapiens).
Abstammung des Menschen
nach Heberer
Pongiden (Menschenaffen)
Hominiden (Menschen)
Gorilla Schimpanse
Orang-Utan
Homo sapiens
Australopithecinen
P
A
Holozän
1 000 000
Pleistozän
Homininen
3 000 000
Pliozän
Tier-Mensch-Übergangsfeld
6 000 000
Brachiatoren
BrachiatorenHypothese
9 000 000
12 000 000
Miozän
15 000 000
18 000 000
PräbrachiatorenHypothese
21 000 000
Dryopithecinen
ProtocatarrhinenHypothese
Proconsul
24 000 000
Präbrachiatoren
Propliopithecinen
27 000 000
Jahre
Oligozän
Ancient member
Die „Brachiatoren“-Hypothese vermutet
einen gemeinsamen Vorfahren von
Mensch und Menschen­affen mit einer
Trennung der Entwicklungslinien vor
6 – 12 Mio. Jahren. Obwohl zeitlich
den heutigen Erkennt­nissen ganz
nahe, verwarf Heberer auch diese
Hypothese, da er die Transformation
zum Menschen in so kurzer Zeit für
unmöglich hielt.
Nach der von ihm favorisierten „Prä­
brachiatoren“-Hypothese liegt eine
lange evolutionäre Distanz von rund
25 Mio. Jahren zwischen dem Homo
sapiens und dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und
Menschenaffe.
Abb. 1
D
er deutsche Anthropologe Gerhard
Heberer (1901 – 1973) prägte mit
seiner starken Betonung der Sonderentwicklung des Menschen lange
Zeit die Vorstellungen über unsere
Evolution. Damals wurden drei Hypo­
thesen diskutiert:
Nach der „Protocatarrhinen“-Hypo­
these beginnt der Eigenweg des
Menschen vor Entstehung der Alt­
welt­affen (ca. 40 Mio. Jahre) – eine
Hypothese, die Heberer rasch wieder
verwarf, weil ihm eine so lange
Parallelentwicklung unwahrscheinlich
erschien.
Heberer erweiterte die Methoden
Haeckels um die Untersuchung der
Chromosomen, ignorierte aber die
längst erkannte enge Blutgruppen­
verwandtschaft zwischen Schimpanse
und Mensch. Trotz Kenntnis der absoluten Datierung favorisierte er einen
völlig falschen Zeitrahmen. Offensicht­
lich vertraute er auf den klassischmorphologischen Ansatz mehr als auf
die damals noch neuen molekularen
Methoden.
Abb. 1 Die Evolution des Menschen nach Heberer
aus: Heberer (1968)
Das Schaubild stellt die drei damals erörterten Hypothesen
zur menschlichen Abstammung dar, wobei die beiden
„weniger wahrscheinlichen“ blau gezeichnet sind. Gemeinsam ist ihnen die Annahme eines „Tier-Mensch-Übergangsfeldes“ (oberer Kreis) vor ca. 6 Mio. Jahren. Nach aktuellen
Vorstellungen fällt dieser Übergang mit dem Auftreten
der Gattung Homo und der Werkzeugherstellung vor
ca. 2,5 Mio. Jahren zusammen.
Abstammung des Menschen
Aktueller Stand
Evolutionsstammbaum
H. sapiens
H. neanderthalensis
1
Millionen Jahre vor heute
0
H. floresiensis
H. heidelbergensis
H. erectus
H. ergaster
P. boisei
P. robustus
P. aethiopicus
2
H. habilis
Die Molekularbiologie gibt allerdings
keinen Einblick in den Evolutionsverlauf. Noch immer kann nur die Interpretation der Fossilien zeigen, wann
Merkmale wie der aufrechte Gang
oder die Greifhand aufgetreten sind.
A. garhi
A. africanus
A. afarensis
A. anamensis
4
Ardipithecus
Homo
5
Paranthropus
Orrorin
tugenensis
Australopithecus
frühe Hominiden
Altersspektrum der Hominiden
6
Sahelanthropus
tchadensis
mutmaßliche Verwandtschaftsbeziehungen
zwischen den Hominidenarten
Verwandtschaftsbeziehungen zwischen
den Hauptgruppen der Hominiden
7
Abb. 1
W
ährend die Evolutionsbiologie sich
früher nur auf vergleichende Merkmals­
analysen von lebenden und fossilen
Organismen stützen konnte, stehen ihr
heute molekularbiologische Hilfsmittel
wie die Genom- und Proteom-Analyse
zur Verfügung.
Ein wichtiges Hilfsmittel ist auch das
Konzept der „molekularen Uhr“, das
von einer bekannten Mutationsrate
ausgeht und es erlaubt, aus der Anzahl
der molekularen Unterschiede auf den
dafür benötigten Zeitraum zu schließen.
Danach erfolgte die Trennung vom
Schimpansenvorfahren vor 6 – 8 Mio.
Jahren. Ebenso wurde der Ursprung der
Primaten auf die Zeit vor ca. 80 Mio.
Jahren zurückverlegt, obwohl die
bisher ältesten sicheren Fossilien nur
55 Mio. Jahre alt sind.
Aktuelle Stammbaumdarstellungen
wie die von Friedemann Schrenk
(*1956) veranschaulichen die geo­
grafische und zeitliche Verortung der
Fossilien, ohne sich auf eindeutige
Verwandtschaftslinien festzulegen.
Der Evolutionsverlauf ist inzwischen
gut belegt, so dass wesentliche Ände­
rungen hier nicht mehr zu erwarten
sind. Dagegen steht die Erforschung
der evolutionsgenetischen Mechanismen
erst am Anfang.
Stammbaum der Evolution der Primaten
Mensch Schimpansen
Zeit (in Millionen Jahren vor heute)
3
Gorillas
Orang-Utans
Gibbons
Altweltaffen
0
5
10
15
20
25
30
35
Abb. 2
Abb. 1 Evolutionsstammbaum nach Zimmer
nach: Zimmer (2006), Umzeichnung Peter Hörndl
Aus aufrecht gehenden Menschenaffen (blau) gehen
zierliche Vormenschen (Australopithecus, grün) hervor,
die einerseits große Pflanzen essende Vormenschen
(Paranthropus, gelb) und andererseits werkzeug­herstellende Menschen (Homo, rötlich) hervorbrachten.
Abb. 2 Beispiel einer molekularen Uhr
aus Jones, Martin, Pealbeam (1994)
Aus dem Vergleich der DNA-Sequenzen von Mitochondrien
lebender Arten konnten die Aufspaltungszeitpunkte berechnet
werden. Die Trennung von Mensch und Schimpanse erfolgte
danach vor 6 Mio. Jahren. Ähnliche Ergebnisse brachte die
Untersuchung anderer molekularer Merkmale.
Slow Loris – „Slow Food“
Greifzangenkletterer
Als Anpassung an diese Bewegungs­
art sind die Gelenke der Loris hochmobil konstruiert, damit die Tiere
mit jeder Extremität ihr Ziel erreichen
können. Loris besitzen auch, bezogen
auf ihre Größe, eher kurze Extremi­
täten. Der Schwerpunkt der Tiere
liegt daher näher am Ast und erhöht
die Sicherheit beim Bewegen.
Abb. 1
D
Hände und Füße der Loris sind als
Greifzangen ausgebildet. Durch die
Verkürzung des zweiten Strahls wird
die Hebelwirkung verbessert, so dass
sie extrem fest zugreifen können.
Auch ihre Muskulatur ist stärker für
Geschicklichkeit und Greiffähigkeit
ausgebildet – Loris springen nie!
ie meisten Loris sind auf langsame und gut getarnte oder giftige
Beutetiere wie Schmetterlingslarven
und Tausendfüßer aus. Zum Aufspüren dieser Nahrung benötigen
sie einen guten Geruchssinn und die
Fähigkeit zum Entgiften, wozu ihnen
ihr niedriger Grundumsatz hilft.
Aus dieser Nahrungsspezialisierung
hat sich eine energiesparende Fort­
bewegung entwickelt, die einzigartig
unter den Primaten ist: das „Slow
Climbing“ oder Greifzangenklettern.
Dabei umklammern immer minde­stens
drei Extremitäten den Ast, während
die vierte langsam neuen Halt sucht.
Ein solch vorsichtiges Vor­ankommen
macht es Fressfeinden schwer, Loris
zu entdecken (vgl. Faultiere).
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 1 Plumplori (Nycticebus coucang), Borneo
aus: Cubit/Payn (1994)
Die großen Augen mit Licht reflektierendem Augen­
hintergrund (Tapetum) sind charakteristisch für Nachttiere.
Abb. 2 Skelett des Plumploris in Greifhaltung
aus: Fleagle (1999)
Abb. 3 Greifzangen – Hand und Fuß des Plumploris
aus: Geissmann (2003)
Die verkürzte 2. Strahl trägt am Fuß die für Halbaffen
charakteristische Putzkralle, die anderen Zehen bzw. Finger
haben flache Fingernägel.
Das Totenkopfäffchen –
ein vierhändiger Baumläufer
und Verankerung, die Füße besorgen den Vortrieb. Großzehen und
Daumen sind beim Umgreifen des
Astes unentbehrlich. Die Krallen
sind wie bei allen Primaten zu
flachen Fingernägeln umgebildet,
die zusammen mit den Fingerlei­
sten die Sensibilität steigern.
Abb. 1
Der Schwanz der Totenkopf­äffchen
ist aber auch ein gutes Beispiel für
Rückentwicklung in der Evolution,
da er nur noch bei Jungtieren als
Greifschwanz funktioniert.
D
ie Totenkopfäffchen (Familie
Kapuzineraffen) bilden nach den
Klammeraffen die zweitgrößte
Familie der Neuweltaffen. Ihre Vertreter sind alle von mittlerer Größe,
ernähren sich von pflanzlicher und
tierischer Nahrung und bewegen
sich auf sehr vielseitige Weise.
Durch ihre Greiffüße und Greif­
hände klettern sie gewandt und
zügig durch die Äste. Ihr langer
Schwanz fungiert dabei als Balancierstange. Dass die Art ihrer Fortbewegung noch stark dem vierbeinigen Säugergrundtyp ähnelt,
zeigt sich auch in ihrem unspezia­
lisierten anatomi­schen Bau.
So sind Arme und Beine etwa
gleich­lang, wodurch der Schwerpunkt gleichmäßig verteilt ist. Die
Arme dienen dabei der Steuerung
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 1 Totenkopfäffchen (Saimiri sciureus), Amazonasgebiet
aus: Bloom (1999)
Abb. 2 Vierhändiges Laufen auf dem Ast unter Einsatz
von abspreizbaren Daumen und Großzehen
aus: Fleagle (1999)
Abb. 3 Hände und Füße des Totenkopfäffchens mit
gut entwickelten, aber nicht opponierbaren Daumen
aus: Fleagle (1999)
Der Klammerschwanzaffe –
vier Finger, fünf Hände!
Auf der Innenseite ihres Schwanz­
endes ist, wie auf den Innenseiten
unserer Hände, eine haarlose, hoch
sensible Tasthaut ausgebildet, mit
deren Hilfe die Affen sicher zugrei­fen
können. Auch die Muskulatur und
die Wirbelsäule des Greifschwanzes
sind sehr kräftig ausgebildet, so dass
die Tiere längere Zeit mit ihrem gesamten Körpergewicht unter einem
Ast hängen können. Die Hände sind
extrem an dieses „Unter-dem-AstHängen“ angepasst. Der Daumen
ist nahezu vollständig reduziert,
da die Hand als Greifhaken wirkt.
Abb. 1
D
ie Klammerschwanzaffen besitzen mit ihrem Greifschwanz eine
vollwertige fünfte Extremität. Am
Schwanz kopfunter an Ästen hängend können sie ihren Aktionsradius
zum Erreichen von Nahrungs­quellen
nahezu verdoppeln und so Früchte
an dünnen Astspitzen erlangen, die
ihnen wegen ihres relativ hohen
Gewichts von 4 – 10 kg sonst nicht
zugänglich wären.
Abb. 3
Beim Laufen auf dem Ast wird der
Schwanz meist zur Sicherung an
einem höheren Ast eingehakt
und wie eine Sicherungsschlaufe
mitgeführt.
Wie bei anderen die Arme zum
Hangeln einsetzenden Affen der
alten Welt (Gibbons, Orangs) sind
die Arme der Klammerschwanz­affen
im Vergleich zum Säuger- bzw.
Affengrundbauplan verlängert und
die Schultergelenke sehr beweglich.
Abb. 1 Klammerschwanzaffe (Ateles geofroyi)
und Wollaffe (Lagothrix lagotricha) nur am Greifschwanz aufgehängt
aus: Macdonald (2004)
Abb. 2 Skelett des Klammerschwanzaffen
aus: Schultz (1972)
Abb. 2
Die extrem verlängerten Handglieder bilden einen Greif­
haken beim Hangeln, der Daumen ist extrem reduziert.
Abb. 3 Tastfelder auf der Greiffläche
des Klammerschwanzes
aus: Schultz (1972)
Auch kleine Gegenstände wie Erdnüsse können mit dem
Schwanz ergriffen und transportiert werden – eine fünfte
Hand.
Der Gibbon –
keiner schwingt schneller
Die filigrane Anatomie verschafft dem
Gibbon Vorteile beim Beschaffen von
Nahrung. Das Zusammenspiel der
Schulter- und Handgelenke beim
Hangeln erlaubt es ihm, die Arme
vollständig hinter den Kopf zu bringen und den Körper um 90 Grad
zu drehen. Durch die optimale Ge­
wichts­verteilung erntet er Astspitzen
geschickter ab als die auf Ästen
sitzenden oder stehenden Primaten.
Makaken, die im Laufen Nahrung
an Astspitzen zu erreichen versuchen,
scheitern, da sie den Ast von sich
wegdrücken. Dagegen beugt sich
der Ast, an dem der Gibbon hängt,
in dessen Richtung, so dass ihm die
Ernte erleichtert wird.
Abb. 1
K
ein Affe schwingt schneller durch
die Bäume als der Gibbon. Nur er
beherrscht, einem Trapezflieger vergleichbar, das Schwinghangeln mit
freier Flugphase (Brachiation). Diese
Kunst ermöglichen ihm ein feinglied­
riger Körperbau, eine an das Hangeln
angepasste bewegliche Schulterpartie,
eine kurze Lendenregion, die läng­
sten Arme aller Primaten und fest
zupackende Hände.
Häufiger als andere Primaten geht
der Gibbon aufrecht. Dabei stabili­
siert er sich ganz anders als der
Mensch. Während der EinbeinstandPhase erreicht sein Körperschwerpunkt die tiefste und nicht die höchste Lage. Er beugt die Kniegelenke
stark und hält die Arme zum Aus­
balancieren vor und hinter dem
Kopf hoch.
Abb. 2
Abb. 1 Weißhandgibbon (Hylobates lar), Südostasien
aus: Bloom (1999)
Abb. 2 Greifraum eines Gibbon
aus: Geissmann (2003)
Durch Hängen unter dem Ast können Gibbons ihren
Greifradius stark erweitern und so auch die Kronenregion
der Bäume mit schwachen Zweigen erreichen („terminal
branch feeding“).
Abb. 3 Schwing-Hangeln
aus: Geissmann (2003)
Beim Hangeln kann der Gibbon wie ein Pendel schwingen,
bis er beinahe die Ausgangshöhe erreicht hat. Bei schneller
Brachiation tritt eine Phase des freien Fluges vor dem
Ergreifen des nächsten Halts auf.
Abb. 3
Die großen Menschenaffen
Die Hände der Knöchelgänger sind
zwar zum Greifen und Werkzeug­
gebrauch geeignet, lassen aber nur
wenige Präzisionsgriffe zu. An der
Außenseite ihrer Handknöchel tragen
sie zusätzliche Fingerlinien.
Die enge Verwandtschaft von Mensch
und Schimpanse legt nahe, den
Knöchelgang auch für die Vorfahren
des Menschen anzunehmen. Jüngste
Untersuchungen stellen diese Hypo­
these infrage. In jedem Fall waren
aber unsere Urahnen Baumbewohner.
Abb. 1
Alle Menschenaffen bauen Schlafnester auf Bäumen, selbst dann,
wenn sie, wie die Gorillas, viel Zeit
am Boden verbringen. Hier bewegen
sie sich – auf die verlängerten Arme
gestützt – auf allen Vieren vorwärts.
Dabei stützen sich die Orangs auf
ihre Faust (Faustgang), die afrikani­
schen Menschenaffen aber auf die
Handknöchel (Knöchelgang). Nur
kurze Strecken laufen die Menschenaffen – auf den Außenkanten
ihrer Füße – aufrecht, was energe­
tisch sehr aufwendig ist.
Vierbeiniger Stand
Phalangen 2 und 3
ie die meisten Primaten leben
die großen Menschenaffen in Wäl­
dern auf Bäumen. Ihr Körperbau
hat sich an dieses Dasein angepasst
und weist sie als gemäßigte Arm­
kletterer aus.
Metacarpus Carpus
W
Phalangen 2 und 3
Abb. 2
Die aufrecht gehenden Vormenschen
(Lucy) zeigten noch vor 3 Mio. Jahren
Merkmale eines evolutionären
Zwischenstadiums, wie abspreizbare
Klettergroßzehen und Klettergreifhände mit verlängerten gebogenen
Zehen und Fingern.
Abb. 1 Berggorilla (Gorilla beringei) – „Siberrücken“,
Ruanda
aus: Bloom (1999)
Wegen ihres hohen Gewichts halten sich ausgewachsene
männliche Gorillas meist am Boden auf, wo sie sich auf
die Arme gestützt im Knöchelgang fortbewegen,
Abb. 2 Schimpanse (Pan troglodytes) – Weibchen
in Knöchelganghaltung
aus: Geissmann (2003)
Details: Handskelett beim Aufstützen auf die Außenseite
der Fingerknochen, rechts: Finger mit Hautleistenmuster
auf der Oberseite
Der aufrechte Gang
muskulatur von außen zu umfassen
und um die Adduktoren (Spann­
muskeln) der Oberschenkel mit dem
Schambein zu verbinden.
Schimpanse
Brustregion und Arme bleiben, abgesehen von deren relativer Verkürzung, menschenaffenartig, nur die
Greifhand wird für den präziseren
Griff verändert: Der Daumen ist verstärkt und verlängert, die übrigen
Finger sind verkürzt und gerade.
Die senkrechte Wirbelsäule mit der
charakteristischen Doppel-S-Form
balanciert den Kopf, der ohne die
kräftige Nackenmuskulatur der
Menschenaffen auskommt.
Mensch
gebogene
Phalangen
großes Erbsenbein
zum Kopf hin
orientiertes
Schultergelenk
Australopithecus
afarensis
lange
gebogene
Phalangen
relativ kurze
Hintergliedmaßen
Abb. 1
I
m Vergleich mit Menschenaffen sind
beim Menschen die Beine deutlich
länger als die Arme. Der Fuß ist ein
Lauffuß mit verstärktem Großzehstrahl, der parallel zu den übrigen
Zehen den Körper beim Gehen vom
Boden abstößt. Aufgesetzt wird der
Fuß mit der Ferse, danach wird der Fuß
abgerollt und wieder mit der Groß­
zehspitze abgestoßen. Das Becken ist
verkürzt und verbreitert, um das Hüftgelenk mit der aufgefächerten GesäßAbb. 3
Abb. 1 Fortbewegung bei Menschenaffen,
Vormenschen und Mensch
aus Lewin (1995)
Die Menschenaffen sind gemäßigte Armkletterer mit Greif­
füßen und leben überwiegend auf Bäumen. Die Vormenschen
sind mit ihren Lauffüßen und verändertem Becken sowohl
zum Klettern als auch zum aufrechten Gang befähigt.
Der Mensch mit seinen verlängerten Beinen und verkürzten
Armen hat sich völlig vom Baumleben emanzipiert.
Abb. 2
Abb. 2 Becken und Oberschenkel des Menschen
aus: Franzen (1997)
Die Abbildung zeigt die Bänderbefestigung des Hüftgelenks
(dunkel) und die Adduktoren zwischen Oberschenkel und
Schambein. Das breite und kurze Becken des Menschen
ist der Dreh- und Angelpunkt bei der Fortbewegung.
Hier setzen die Beinbewegungs- und Haltemuskeln an.
Abb. 3 Vergleich der Beinstellung bei Gorilla
und Mensch
aus: Franzen (1997)
Die leicht nach innen geneigten Oberschenkel des Menschen
benötigen weniger Muskelmasse als die extremen O-Beine
des Gorillas. Der Pfeil symbolisiert die Lage des Schwerpunkts.
Der Fuß
dient als Lauffläche, die Fußgewölbe
sorgen für die Federung. Zehen und
Fuß werden über Sehnenzüge von der
Unterschenkelmuskulatur bewegt, die
Fußmuskulatur verspannt das Gewölbe, nur die große Zehe behält eine
Eigenbeweglichkeit. Ein bindegewebiges Fettpolster bildet ein druckverteilendes Fußsohlen-Polster.
er menschliche Fuß ist stärker
umkonstruiert worden als die Hand,
so dass er sich vom handähnlichen
Fuß der Menschenaffen deutlich
unterscheidet.
Das Laufen verlangt eine hohe Stabi­
lität in den mechanischen Verbindungen der Beine und erfordert wegen
der stereotypen Bewegungsabfolge
eine Einschränkung der Bewegungsfreiheitsgrade. Im Unterschied zu den
meisten guten Läufern ist der Mensch
kein Zehen-, sondern ein Sohlengänger,
der mit der Ferse aufsetzt, den verlängerten Fuß abrollt und sich mit dem
verstärkten Großzehenstrahl abstößt.
Die rechtwinklig abgeknickte Fußsohle
Schienbein
D
Achillessehne
Abb. 1
Beim Laufen speichern lange Sehnenverbindungen wie die Achillessehne
einen Teil der Bewegungsenergie,
die beim Bewegen wieder freigesetzt
wird. Die Energiebilanz verbessert sich
dadurch zwar nicht so stark wie bei
guten Läufern (Huftieren, Straußenvögeln), doch erhöht sie die Ausdauer.
So konnte der frühe Mensch auch
schnellere Beute tagelang jagen und
zur Strecke bringen.
Querschnitt durch das Fußgewölbe
Abb. 3
Abb. 1 Abrollbewegung beim Gehen
Foto: Dr. med. Hans Zollinger, Zürich
Last
Hubkraft
Abb. 2 Hebelkräfte beim Gehen
aus: Liem (2001)
Der Vergleich mit einer Schubkarre zeigt die Hebelwirkung
beim Abstoßen des Fußes.
Drehpunkt
Abb. 3 Fußgewölbe
aus: Franzen (1997)
Elastische Sehnenverbindungen speichern beim Gehen
einen Großteil der Bewegungsenergie und verbessern
so die Effizienz.
Kraftarm
Lastarm
Körpergewicht
Muskel-Zugkraft
Wadenmuskel
Schienbein
Drehpunkt
Lastarm
Kraftarm
Abb. 2
Die Hand
Bei Menschenaffen und Vormenschen
ist diese Gelenkfuge noch gerade,
und die Finger sind verlängert und
gekrümmt, um besser Äste umfassen
zu können. Ihre Hände sind auf den
Kraftgriff spezialisiert, wie auch die
starken Ansätze der Fingersehnen
zeigen. Dagegen sind die tastempfind­
lichen Fingerspitzen kleiner als beim
Homo sapiens. Die menschlichen Merk­
male sind schon beim Homo habilis,
dem ersten Werkzeughersteller, fest­
stellbar. Bis zum Neandertaler waren
die Muskelansätze allerdings kräftiger
als beim Homo sapiens. Offenbar
besteht zwischen der Anatomie der
Hand und dem Werkzeug­gebrauch
ein evolutionärer Zusammenhang.
Abb. 1
D
ie Hand des Menschen ist mit
ihren relativ kurzen Fingern und dem
beweglichen verlängerten Daumen als
universelles Greiforgan ausgebildet.
Entwicklungsgeschichtlich haben sich
Arm und Hand weniger verändert als
der Fuß, da die Bewegungsabläufe
ähnlich geblieben sind, auch wenn
sie für die Fortbewegung keine Rolle
mehr spielen. Wie alle Primaten können Menschen greifen und tragen,
aber sie haben eine wesentlich
bessere Feinmotorik der Hand als
diese. Anatomisch zeigt sich das
besonders an Daumen und kleinem
Finger, die beide zur Handfläche
hin gekrümmt werden können.
Die Gelenkbasis des Mittelfingers
ist schräg gestellt, um ihn gegenüber
dem Daumen zu stabilisieren.
Abb. 3
Abb. 1 Sehnen und Muskeln des Handrückens
aus: Toldt (1911)
Die Finger werden von der Unterarmmuskulatur über
lange Sehnenzüge bewegt, so dass die Hand kraftvoll
zugreifen kann. Die eigentlichen Handmuskeln besorgen
nur die Feineinstellung. Besonders ausgeprägt ist die
Muskulatur des Daumens, da sie beim Präzisionsgriff
unerlässlich ist.
Abb. 2 Anatomie des Präzisionsgriffs
aus: Benninghoff (1997)
Die Abbildung zeigt die Strecker- und Beuger-Sehne
des Zeigefingers (weiß und grün) und die beteiligte
Handmuskulatur.
Abb. 3 Kraftgriff und Präzisionsgriff
aus: Andreose (1978)
Abb. 2
Tasten, Greifen und Begreifen
(150 pro Fingerbeere) zurück, mit denen
die Oberflächen-Textur mit einer ReizAuflösung ab 2 mm erfühlt wird. Hier
sind auch die Rezeptoren für Tempe­
ratur-, Druck-, Schmerz- und Vibrations-Wahrnehmungen konzentriert.
Die Hände sind nur das Werkzeug
für die manuellen Handlungen, die
vom Gehirn erfasst und gesteuert
werden. Die überragende Bedeutung
der Hand zeigen die überproportional
vergrößerten Projektionsfelder für
Sensorik und Motorik in der Großhirnrinde. Der „Homunculus“ mit seinen
riesigen Händen visualisiert diese
Repräsentanz der Handfunktionen
im menschlichen Gehirn.
Abb. 1
D
ie menschliche Hand kann sowohl
zupacken und halten (Kraftgriff) als
auch subtil tasten und fassen (Präzisionsgriff). Sie bewältigt das Einfädeln
in ein Nadelöhr ebenso wie das Heben
schwerer Lasten. Ihre motorischen
Fähigkeiten sind unübertroffen. Mit
Händen Erkunden, Ergreifen führt
zum Begreifen.
Die Muskelkraft wird mit Sehnen­
zügen vom Unterarm auf die Finger
übertragen. Das sprichwörtliche
„Fingerspitzengefühl“ geht auf die
in den Fingerkuppen besonders zahl­
reichen Meissner-Tastkörperchen
Abb. 2
Abb. 1 Meissner-Tastkörperchen
aus: Krstic (1988)
Die unmittelbar unter der Oberhaut gelegenen
Meissner-Tastkörperchen stehen über Faserverbindungen
mit den Tastleisten der Hand in Kontakt und sorgen für
die große Berührungsempfindlichkeit der Fingerspitzen
und aller anderen Hautbereiche, die mit Hautleisten
ausge­stattet sind.
Abb. 2 Sensorischer Homunculus
aus: Kell et. al. (2005)
Die symbolische Darstellung der sensorischen und
motorischen Felder der Großhirnrinde verdeutlicht
die große Bedeutung der Hand.
Schädel und Gebiss
Auch ein größerer Anteil tierischer
Nahrung begünstigt diese Rück­
bildung, wie man an den lebenden
Menschenaffen gut sehen kann.
Orang-Utans und Gorillas, die fast
nur harte pflanzliche Nahrung zu sich
nehmen, besitzen riesige Backenzähne
sowie Schädelkämme und Über­
augen­wülste zum Abfangen der
hohen Kaudrücke.
Abb. 1
I
m Laufe der Evolution des Menschen
haben sich Schädel und vor allem
Gebiss stark verändert. Zeigen Aus­
tralopithecus und Paranthropus noch
große Kiefer, stark gebaute Zähne,
ausgeprägte Überaugenwülste und
Schädelkämme, bilden sich diese
Formen auf dem Weg zum Homo
sapiens schrittweise zurück.
Schimpansen und Menschen als
„Allesfresser“ zeigen solche Merkmale kaum. Während Gorillas und
Orang-Utans große Kauflächen für ihre
Pflanzenkost brauchen, haben die
Menschen deutlich kleinere Backenund Mahlzähne wie auch kleinere an
Schneidezähne erinnernde Eckzähne.
Scheitelkamm
Schläfenmuskel
ausladender
Jochbogen
Grund dafür ist der einsetzende
Werkzeuggebrauch. Die Nahrung
kann immer besser aufbereitet
werden, es sind also keine so hohen
Kaudrücke mehr nötig. Schädelkämme
und große Jochbögen als Ansatz für
kräftige Kaumuskeln werden über­
flüssig.
Backenmuskel
vergrößerte
Backenzähne
Abb. 3
Abb. 1 Oberkiefer bei Schimpanse, Australopithecus
und Mensch
obere Reihe aus: Lewin (1991)
untere Reihe aus: British Museum: Our fossil relatives (1983)
Im Vergleich zu Menschenaffen und Vormenschen hat der
Mensch kleine Zähne. Sein Kiefer ist parabelförmig, nicht
parallel. Die Eckzähne ähneln Schneidezähnen, wodurch
die Affenlücke (s. Pfeile) entfällt. Da die Kieferbewegung
nicht mehr durch große Eckzähne eingeschränkt wird,
lassen sich auch mahlende Querbewegungen ausführen.
Abb. 2 Kräfte beim Kauen
aus: Franzen (1997)
Abb. 2
Wie das Beispiel des Pekingmenschen (Homo erectus
pekinensis) illustriert, entspricht die Schädelform dem Verlauf der Kaudrücke, die hier durch Pfeile symbolisiert sind.
Abb. 3 Kauapparat des Paranthropus
aus: Butcher (2006)
Hominiden mit starkem Gebiss wie Paranthropus benötigen
kräftige Knochenwülste über den Augen, die den Schädel
vor starken Kaudrücken schützen. Der Schädelkamm auf
der Kopfoberseite bildet sich als Ansatz für die Schläfenmuskeln.
Gehirnentwicklung
Pan troglodytes
Australopithecus
africanus
Homo habilis
Homo erectus
Homo neanderthalensis
Homo sapiens
Abb. 1
Für diese Entwicklung gibt es verschiedene Erklärungsversuche: Nach
der älteren „technologischen“ Hypo­
these entstand aus der Freisetzung
der Hände durch den aufrechten
Gang ein Selektionsdruck in Richtung
Gehirnvergrößerung. Die „soziale“
Hypothese sieht in der zunehmenden
Gruppengröße mit dem Zwang zu
intensiverer Kommunikation und
Kooperation den Auslöser für die
Gehirnentwicklung. Als weitere
Voraussetzung wird die verbesserte
Ernäh­rung ins Feld geführt, die auch
komplexere Sozialgefüge ermöglichte.
D
ie Gehirngröße der Vormenschen
(Australopithecus) lag mit 420 – 520 cm³
noch im Bereich der Menschenaffen.
Erst mit der Werkzeugherstellung vor
2,5 Mio. Jahren begann ein schubweises Wachstum der Gehirngröße:
von 680 – 800 cm³ beim Homo
habilis steigerte sich das Volumen
bis zum Homo heidelbergensis auf
1000 – 1200 cm³. Mit über 1600 cm³
wird dann beim Neandertaler das
Maximum erreicht. Beim modernen
Menschen liegt das Gehirnvolumen
dagegen bei ca. 1400 cm³.
Wie der Vergleich mit dem Neandertaler zeigt, ist die Leistungsfähigkeit
des Gehirns nicht nur von seiner
absoluten bzw. relativen Größe
(Cerebralisation) abhängig, sondern
auch von seiner Feinstruktur (Ence­
phalisation, z. B. Furchung der
Großhirnrinde, Zunahme der Neuronen und deren Verschaltungen).
durchschnittliches Gehirnvolumen in Kubikzentimetern
1 600
H. neanderthalensis
Gattung Australopithecus
Gattung Paranthropus
Gattung Homo
Gattung unklar
H. sapiens
1 200
1 000
H
o
o
m
r
H. ergaste
800
e
e
r
c
u
t
s
ergensis
H. heidelb
H. rudolfensis
A. (H.?) habilis
600
P. robustus
P. boisei
400
A. africanus
A. afarensis
4
Abb. 1 Schädelformen der Hominiden
aus: Zimmer (2005)
Bereits an den Schädelformen ist die Vergrößerung
des Gehirns erkennbar, die mit einer gleichzeitigen
Verkleinerung des Kieferapparats einhergeht.
Abb. 2 Gehirnvolumen von Vormenschen
und Menschen
aus: Bild der Wissenschaft, Juli 2009
Im Unterschied zu den nichtmenschlichen Hominiden
verdoppelte sich das Gehirnvolumen bei Homo erectus
innerhalb von ca. 1,6 Mio. Jahren. In den letzten
300 000 Jahren kam es zu einer sprunghaften Entwicklung zur heutigen Größe.
Homo erectus – der Aufsteiger
1 400
Abb. 3
3
2
Schimpanse
1
Millionen Jahre vor heute
Abb. 2
Abb. 3 Primatengehirne
aus: Dr. Robert Dahnke, Universität Jena, Psychatrie
Die Grafik zeigt nicht nur die Größenverhältnisse
der Gehirne, sondern auch die unterschiedlich starke
Ausbildung der Hirnrindenareale bei „Altweltaffen“.
Werkzeuge der Altsteinzeit
Abb. 1
W
erkzeuge als „verlängertes
Gebiss“ definieren die Gattung
Homo, die sich vor rund 2,5 Mio.
Jahren aus den frühen Australo­
pithe­cinen Ost- und Südafrikas
entwickelte. Die Hand ist dabei der
Überträger: Werkzeuge müssen
handlich sein.
Etwa vor 1,6 Mio. Jahren wurde
der Faustkeil erfunden, das erste
und zugleich erfolgreichste Universalwerkzeug. Faustkeile gibt es bis
an das Ende der Neandertalerzeit.
Die jüngsten Exemplare sind etwa
50 000 Jahre alt, wie die Stücke
aus Le Moustier (Dordogne), der
namengebenden Fundstelle der
Moustérien-Kultur. Schon der
Neandertaler hat seine Keilmesser
in Griffschäfte eingeklebt und
Blattspitzen in Speere geschäftet.
Mit der Einwanderung des Homo
sapiens nach Europa vor etwa
40 000 Jahren steigt die Vielfalt
der Werkzeuge an. Neu sind filigrane, in Holzschäfte eingeklebte
Messerchen oder Wurfgeräte wie
Bumerang und Speerschleuder.
Bereits „Chopping tools“ aus der
Olduvai-Schlucht (Tansania) zeigen,
dass eine Spitze oder Schneidkante
die dürftigen Zähne und Krallen
des Menschen ersetzt, während die
Gegenseite in der Handfläche ruht.
Grazile Urmenschen, die Werk­
zeuge herstellten, waren bei der
Wahl und Aufbereitung ihrer Nahrung flexibler als pflanzenessende
Vormenschen mit robustem Gebiss.
So starben die robusten Arten vor
etwa 1 Mio. Jahren aus.
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 1 Faustkeile, Blattspitze, Chopper
Abb. 2 Blattspitze, als Speerspitze geschäftet
Abb. 3 Abwurfbild Speerschleuder
Rechts- und Linkshändigkeit
in der Urgeschichte
memetisch überlieferten Fähigkei­
ten. Durch Hunderttausende von
Jahren einer rechtshändig domi­
nierten Werkzeugtradition wurde
dieses Mem im Genpool der
Mensch­heit verankert.
An Werkzeugen lässt sich Händigkeit erst sehr spät in der Mensch­
werdung nachweisen. Hatten Steinwerkzeuge der Neandertaler noch
oft symmetrische Arbeitskanten,
so sind erst Stichel und Bohrer des
Homo sapiens eindeutig asymmetrisch und meist eindeutig für
Rechtshänder hergestellt.
Abb. 1
E
twa 90% der heutigen Menschen
unterschiedlichster Zivilisationen
sind Rechtshänder. Das bedeutet,
ihre genetisch dominante Werk­
zeughand ist die rechte.
„Sind Affen Rechtshänder?” –
fragte sich bereits Charles Darwin
in einem seiner Notizbücher.
Gorillas sind es, Schimpansen sind
es nicht … So einfach ist es also
nicht! Folgt man jedoch Statistiken
über Verletzungen fossiler Menschen, dann war bereits beim
Ur­mensch und Neandertaler eine
Tendenz zur Rechtshändigkeit angelegt. Vorteil der Spezialisierung
auf eine Hand ist die höhere Prä­
zision bei der Ausübung der Hand­
arbeit. Kulturleistungen des Menschen („Meme“) sind Informationen,
die nicht über „Gene“ an die
nächste Generation weitergegeben
werden. Der seit mehr als 2 Mio.
Jahren praktizierte Umgang mit
Werkzeugen gehört somit zu den
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 1 Harpunen aus Rengeweih, Repliken vom Typ
„spätes Magdalénien bis Mittelsteinzeit”,
ca. 14 000 – 8 000 v. Chr.
Die Harpune ist ein Zeugnis für das handwerkliche Geschick,
das erforderlich ist, um hartes Knochenmaterial so fein zu
bearbeiten.
Abb. 2 Keilmesser vom Neandertaler-Fundplatz
Sesselfelsgrotte (bei Neuessing, Lkr. Kelheim, Bayern)
Das Keilmesser liegt gut in der Hand. Da die flache
Schneidenseite unten liegt, ist die Rechtshändigkeit
des Benutzers sehr wahrscheinlich.
Abb. 3 Elfenbeinschnitzen, Stichel des
Jungpaläolithikums, 40 000 – 10 000 v. Chr.
Experiment von Wulf Hein
Die scharfe Kante ist nur von einem Rechtshänder sinnvoll
zu benutzen.
Prothesen
In jüngster Zeit wurden Erfahrungen
mit sogenannten „Gehirn-Maschinen“
oder „Gehirn-Computer-Schnitt­
stellen“ gesammelt. Sie erlauben es
einem gelähmten Patienten, über die
Registrierung seiner mit der Vorstellung einer Handbewegung einher­
gehenden Gehirnaktivität eine Hand­
prothese zu steuern.
Abb. 1
P
Neue Begriffe, wie „Cyborg“ („cybernetic organism“) und „Ersatzteil­
chirurgie“, reflektieren zwar die viel­
versprechende Entwicklung, lassen
aber den bleibenden Verlust eines
Körper­teils, das Einzelschicksal, außer
Betracht.
rothesen als Gliedmaßenersatz
haben eine lange Tradition. Legendär
sind die „Eiserne Hand“ des Götz
von Berlichingen oder die Hakenhand
des Käpt’n Hook in „Peter Pan“.
Insbesondere die zahllosen Versehrten
der Kriege und des Straßenverkehrs
stellen eine ständige Herausforderung
an die Prothesentechnik dar. Während
des Ersten Weltkriegs entwickelte der
Chirurg Sauerbruch bewegliche, vom
Träger mechanisch steuerbare Prothe­
sen. Seit den 1950/60er Jahren werden
bioelektrische Prothesen gebaut, bei
denen Muskelströme, die vom Amputationsstumpf abgeleitet werden,
kleine Elektromotoren in der Prothese
steuern. Inzwischen werden solche
Prothesen auch mit Sensoren aus­
gestattet.
Endoprothesen werden zum Ersatz
erkrankter Gelenke, meist der Hüfte
oder des Knies, aber auch kleiner
Hand- und Fußgelenke, eingesetzt.
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 1 Die „Zweite Hand“ aus Florenz,
15. – 16. Jahrhundert
Foto: Museum Kulturgeschichte der Hand, Wolnzach
Vier Finger der Hand können durch eine Druckvorrichtung
gemeinsam bewegt werden, während der ebenfalls angewinkelte Daumen starr ist. Die Mechanik ermöglicht
einen Zangengriff.
Abb. 2 Krukenberghand, 1951/52 und Sauerbruch­
prothese, um 1940
aus: Prothesen von Kopf bis Fuß. Ausstellungskatalog 2003
Die Krukenberghand (links), ein beweglicher Greifarm mit
einer Zange, wurde während des Ersten Weltkriegs für
beidseitig Unterarmamputierte entwickelt. Die nach dem
Chirurgen Ferdinand Sauerbruch benannte Handprothese
(rechts) besitzt einen doppelten Seilzug, von denen der
eine zum Beugen, der andere zum Strecken der Finger
benutzt wird.
Abb. 3 Bioelektrische, sensorgesteuerte Handprothese
der Fa. Otto Bock
aus: Myobock-Armprothesen. Firmenkatalog 2007
Der in Daumen und Zeigefinger der Prothese eingepasste
Greifmechanismus wird durch am Oberarm des Trägers
abgeleitete Muskelströme angetrieben und über Sensoren
in der Prothese dosiert gesteuert.
Hand in Hand: der HandChirurg als Hand-Heiler
die Erfindungsgabe und manuelle
Geschicklichkeit des Hand-Chirurgen.
So ist die moderne Handchirurgie
ein interdisziplinäres Fach, welches
feinstes Chirurgen-Handwerk mit
Zellbiologie, Neurologie, Werkstoffwissenschaft und Medizintechnik
vereint zum Wohle des Patienten.
Abb. 1
V
erletzungen der Hand oder
Läh­mun­gen ihrer Muskeln zählen
zu den folgenschwersten Erkrankungen, da sie den Patienten im privaten
Alltag und in seiner Berufsausübung
oft massiv beeinträchtigen. Ihre
Behandlung ist die Domäne des
Handchirurgen, der sie heute mehr
und mehr in speziellen Kliniken
oder Zentren ausübt.
Abb. 2
Abb. 3
Entscheidend für den Behandlungs­
erfolg sind die exakte Kenntnis der
Anatomie von Skelett, Muskulatur,
Blut- und Nervenversorgung der
Hand, die Verfügbarkeit subtiler, oft
mikros­kopischer Operationsmethoden
und des zugehörigen Instrumentariums,
das Verständnis plastischer und
regene­rativer Vorgänge in den
Geweben der Hand und im Nervensystem – und natürlich vor allem
Abb. 4
Abb. 1 Handchirurgen bei der Arbeit am Operations­
mikroskop
Abb. 2 Operationsergebnis nach unfallbedingter
Abtrennung der linken Hand im Bereich des Unterarms
Die durchtrennten Skelettteile werden durch einen äußeren
Halteapparat (sog. Fixateur externe) stabilisiert, bis die
Heilung erfolgt.
Abb. 3 Die Patientin mehrere Monate nach erfolgreicher Operation und Anschluss-Heilbehandlung
Form und Funktion der Hand sind beide wiedergewonnen!
Abb. 4 Hand in Hand: der Handchirurg und sein Patient
Fotos: Plastisch- und Handchirurgische Klinik,
Klinikum der Universität Erlangen-Nürnberg,
Direktor: Prof. Dr. med. Raymund Horch
Ontogenese von Hand und Fuß
Das Fingerleistenmuster entsteht in
der 19. SW. Wie andere Primaten
besitzen Neugeborene noch einen
Greifreflex zum Festhalten an der
Mutter.
Abb. 1
Der Fuß ist bei der Geburt noch ein
sehr affenähnlich gestalteter „Platt­
fuß“ mit seitlich abstehender Greif­
zehe. Der Umbau zum Lauffuß wird
in den ersten beiden Lebensjahren mit
der Ausbildung der Fußgewölbe und
der Parallelstellung des Großzehenstrahls abgeschlossen. Die endgültige
Ausformung der Fußkonstruktion
hängt sehr stark von äußeren Faktoren
ab. Optimal wäre ständiges BarfußGehen. Unsere heutige schmale,
lange Fußform geht auf zu enges
Schuhwerk zurück.
B
eim Embryo bildet sich zunächst
der Kopf mit der Kiemenregion aus,
danach entstehen die Arme aus Abfaltungen der Hals- und Brustregion.
In der 5. Schwangerschaftswoche
(SW) erscheinen paddelförmige Hand­
anlagen, die Füße folgen in der 7. SW.
Die Hände gehen den Füßen voraus,
da der Kopf des Embryos wegen des
stark wachsenden Gehirns besser mit
Blut und Nährstoffen versorgt wird
als der Rest.
Die Finger werden durch „Apoptose“
– programmierten Zelltod – in den
Zwischenräumen während der 5. bis
6. SW freigestellt, wobei sie anfangs
durch „Schwimmhäute“ verbunden
bleiben. Erste aktive Bewegungen
sind in der 13. SW zu erkennen.
Abb. 2
Abb. 1 Embryo, Abfaltung der Extremitäten
aus: Rohen/Lütjen-Drecoll (2006)
Die vom Rückenmark her einwachsenden Arm- und
Handnerven zeigen die Entstehung der Hand aus
Auswüchsen der Hals- und Brustregion.
Abb. 2 Vergleich Neonatus Mensch – Rhesus
aus: Schulz (1974)
Beim Neugeborenen (links) ist der Fuß, wie bei anderen
Primaten, anfangs noch als Greiffuß mit abspreizbarer
Großzehe ausgebildet.
Abb. 3 Entstehung der Hand beim Embryo
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen
aus: Hinrichsen (1990)
Nach dem Aussprossen der Armknospen mit 26 Tagen
bilden sich die paddelförmigen Handtelleranlagen aus.
Anschließend werden die Finger über ein flossenartiges
Zwischenstadium freigestellt. Nachdem sich die Finger­
strahlen getrennt haben, beginnt das Armwachstum.
Abb. 3
Sprechende Hände
Künstler haben der Hand seit jeher ihr
besonderes Augenmerk geschenkt.
Bereits in den frühesten Zeugnissen
der Höhlenmalerei finden sich Handdarstellungen als erste Form der bildnerischen Selbstthematisierung des
Menschen. Figurative Malerei und
Plastik reflektieren bis heute die komplexe Sprache menschlicher Gesten.
Auch in der politischen Propaganda
spielt die Hand eine wichtige Rolle.
Bildzeichen wie der solidarische Handschlag oder die geballte Faust sind
zu zentralen Symbolen der politischen
Linken geworden.
Abb. 1
D
ie Hand ist nicht nur unser erstes
und unentbehrlichstes Werkzeug,
sondern auch unser wichtigstes nonverbales Verständigungsmittel. Mit
der „Sprache der Hände“ können wir
unsere Empfindungen ausdrücken,
Nähe signalisieren und ermuntern,
aber auch drohen und zurückweisen
oder einfach nur sachliche Informationen übermitteln. Manche unserer
Gesten – wie die geballte Faust – sind
als archaische Zeichen über unseren
Kulturkreis hinaus verständlich.
Schließlich spiegelt auch unsere
Sprache in zahlreichen Wortbildungen
und Redewendungen die immense
Kulturbedeutung der Hand.
Abb. 3
Eine große Bedeutung haben Gesten
in den Religionen. Zum christlichen
Ritus gehören die gefalteten Hände
der Gläubigen und die segnende
Hand des Priesters. In der katholischen
Liturgie sind Berührungen wie die
Handauflegung ein wichtiger Teil der
Sakramentenordnung.
Abb. 1 Martha Magdalena Mezger, 1767
Johann Eberhard Ihle (1727 – 1814)
Öl auf Leinwand
Kunstsammlung der Universität
Die Witwe des Nürnberger Goldhändlers Paul Christoph
Mezger präsentiert sich reich gekleidet und Schmuck
überladen dem Betrachter. In der Linken hält sie das weiße
Seidenfutter ihres rosafarbenen Umhangs prätentiös
zwischen Daumen und Zeigefinger, um auf dessen Kostbarkeit hinzuweisen. Das Gemälde veranschaulicht so
auch die Bedeutung der Hand für die Kunst des Porträts.
Abb. 2 Winston Churchill in typischer Pose mit dem
Victory-Zeichen
Fotografie, um 1941
International bekannt wurde das Victory-Zeichen während
des Zweiten Weltkrieges durch Winston Churchill.
Mit dieser Geste stärkte der britische Premierminister die
Siegeszuversicht und den Widerstandswillen des britischen
Volkes gegen die nationalsozialistische Eroberungspolitik.
Abb. 3 „Die gefesselten Hände“
Holzskulptur von Hans Gügel
Foto: Rudi Stümpel, 1953
Stadtarchiv
Abb. 2
Ein Erlanger Beispiel für die politische Symbolik der gefessel­
ten Hand: das Mahnmal zum Gedenken an die nicht aus
Russland zurückgekehrten Kriegsgefangenen am Bohlenplatz. Die gefesselten, aber zur Faust geballten Hände
bringen wie die Inschrift Protest zum Ausdruck: „Lasst
unsere Kriegsgefangenen frei“. Die Skulptur wurde1953
vom „Verband der Heimkehrer“ aufgestellt und 1979
entfernt. Heute befindet sie sich, neu gedeutet, in einer
Anlage in Alterlangen.
Redensarten
in jemandes Hand stehen
die Hand über jemanden halten
die Oberhand behalten
sein Schicksal in die Hand Gottes
legen
in guten Händen sein
jemanden um die Hand seiner Tochter
bitten
jemanden an die Hand nehmen
nicht aus der Hand geben
jemandem die Hand reichen
etwas in die Hand nehmen
sich in der Hand haben
unter den Händen zerrinnen
freie Hand haben
jemandem sind die Hände gebunden
etwas aus erster Hand haben
in andere Hände übergehen
mit leeren Händen dastehen
mit warmer Hand schenken
zu treuen Händen
mit beiden Händen zugreifen
die Hände davon lassen
sich von seiner Hände Arbeit ernähren
beide Hände voll zu tun haben
gut von der Hand gehen jemandem zur Hand gehen
etwas zur Hand haben
eine glückliche Hand haben
in die Hände spucken
die Hände in den Schoß legen
jemanden auf den Händen tragen
jemandes rechte Hand sein
zwei linke Hände haben
eine Politik der starken Hand
die öffentliche Hand
die unsichtbare Hand des Marktes
alle Trümpfe in der Hand haben
die Hand im Spiel haben
unter der Hand
jemandem auf die Hände sehen
von der Hand in den Mund leben
jemandem aus der Hand fressen
an der ausgestreckten Hand ver­
hungern lassen
jemandem in die Hände fallen
Hand an sich legen
die Hand gegen jemanden erheben
für jemanden die Hände ins Feuer
legen
seine Hände in Unschuld waschen
sich die Hände reiben
die Hände über dem Kopf zusammenschlagen
die Hände ringen
im Handumdrehen
kurzer Hand
von langer Hand
Hand in Hand
auf der Hand liegen
etwas ist mit Händen zu greifen
sich mit Händen und Füßen wehren
Hand und Fuß haben
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