Skript zum Kapitalmarktrecht

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Prof. Dr. Dörte Poelzig, M. Jur. (Oxford)
Skript zum
Kapitalmarktrecht
Virtuelle Hochschule Bayern
PROF. DR. DÖRTE POELZIG, M. JUR. (OXFORD)
Skript Kapitalmarktrecht
A.
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht,
Deutsches und Internationales Wirtschaftsrecht
Begriff und Gegenstand des Kapitalmarktrechts
In Zeiten, in denen Banken, ja sogar Staaten, in Krisen geraten, rückt der Bank- und Kapitalmarktsektor zunehmend in den Fokus der Medien und großer Teile der Gesellschaft. Während noch vor nicht
allzu langer Zeit darum gestritten wurde, ob es sich beim Kapitalmarktrecht um ein eigenständiges
Rechtsgebiet handelt, hat die gesteigerte gesellschaftliche Bedeutung zu einem regelrechten Aktionismus sowohl des deutschen als auch des europäischen Gesetzgebers geführt. Heute wird keiner
mehr an der eigenständigen Bedeutung des Kapitalmarktrechts zweifeln.1
I.
Zentrale Bedeutung des Kapitalmarkts für die Volkswirtschaft
Große Unternehmen finanzieren sich heute überwiegend über den Kapitalmarkt, immer seltener
unmittelbar bei Eigen- oder Fremdkapitalgebern. Im Zusammenspiel mit der zunehmenden privaten
Altersvorsorge über den Kapitalmarkt hat dies zu einer steigenden Bedeutung des Kapitalmarkts für
die deutsche Volkswirtschaft geführt.2
II.
Definition und Schutzzwecke des Kapitalmarktrechts
Das Kapitalmarktrecht als Querschnittsmaterie hat sich erst in jüngerer Zeit zu einem als eigenständig
anerkannten Rechtsgebiet entwickelt. Bislang gibt es noch keine einheitliche Definition.
Kennzeichnend für das Kapitalmarktrecht sind die Schutzzwecke, denen es dienen soll. Das sind zum
einen die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts an sich und zum anderen der Anlegerschutz. Diese
zwei Schutzrichtungen stehen aber nicht diametral zueinander. Vielmehr werden durch einen wirksamen Schutz des einzelnen Anlegers das Anlegerpublikum insgesamt und damit auch die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts gestärkt.3
III.
Begriff des Kapitalmarkts
Der Begriff des Kapitalmarkts wird in den Wirtschaftswissenschaften unterschiedlich definiert: Unter
„Markt“ wird üblicherweise das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage verstanden. Kapital
(lat. capitale) meint Geld und geldwerte Titel, die gewinnbringend eingesetzt werden können. Die
Summe dieser beiden Begriffe schöpft allerdings noch nicht aus, was den Kapitalmarkt kennzeichnet.4 Aufgabe des Kapitalmarktes ist es, Geld- in Sachvermögen zur Finanzierung von echten Investitionen umzuwandeln. Unter dem Begriff des Kapitalmarkts im weiteren Sinne können danach alle
Investitionen verstanden werden, bei denen geldwertes Vermögen längerfristig zur Bildung von
Sachkapital eingesetzt wird, z.B. der Handel mit Wertpapieren, Anteilen an Publikumspersonengesellschaften, geschlossenen Immobilienfonds etc. Der Kapitalmarkt im engeren Sinne ist hingegen
1
Ausführlich: Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn 1.9 ff.
Siehe auch aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht: Wolfgang Kürsten, Bernhart Nietert (Hrsg.): Kapitalmarkt,
Unternehmensfinanzierung und rationale Entscheidungen, 2006.
3
Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 1.70.
4
Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 1.9 ff.
2
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auf den Handel mit Wertpapieren i.S.v. § 2 Abs. 1 WpHG (Aktien, verzinsliche Wertpapiere und
Wertrechte) beschränkt.
Abzugrenzen ist der Kapitalmarkt von anderen Teilbereichen des Finanzmarkts. Hier sind der Geld-,
der Devisen- und der Derivatemarkt zu nennen. Zweck des Geldmarkts ist Liquiditätsausgleich. Der
Geldmarkt zeichnet sich dadurch aus, dass die Anlagedauer nur sehr kurz ist und der Handel nur zwischen wenigen finanzstarken Teilnehmern im reinen Interbankenverkehr stattfindet. Auf dem Devisenmarkt werden Fremdwährungsschecks und –wechsel und Fremdwährungsguthaben bei ausländischen Banken gehandelt. Devisen werden benötigt, wenn Kunden der Banken grenzüberschreitend
wirtschaften. Derivatemärkte hängen eng mit den Kapitalmärkten zusammen. Derivate sind Geschäfte, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden und von einem Basiswert abhängen.
IV.
Unterteilung Primär- und Sekundärmarkt
Primärmarkt nennt man den Markt, auf dem neu emittierte Titel erstmalig platziert werden (Emissionsmarkt).5 Dabei fragt der Emittent Kapital (Eigen- oder Fremdkapital) nach und begibt zum Beleg
Wertpapiere. Diese Platzierung erfolgt außerhalb der Börse.
Bsp.: Um Investitionen in die Hardware der neuesten Generation finanzieren zu können und um ihren
Bekanntheitsgrad zu steigern, möchte die Haitech AG an die Börse gehen. Hierzu beschließt die
Hauptversammlung zunächst eine Kapitalerhöhung (§ 182 AktG). Die dadurch neu geschaffenen Aktien verkauft die Haitech AG sodann an ein Bankenkonsortium. Die Anleger zeichnen die Aktien bei
den Banken des Konsortiums. Am Ende der Zeichnungsfrist erfolgt die Zuteilung durch die Banken an
die Anleger. Dadurch kommt der Kaufvertrag über die Aktien zustande (Primärmarkt).
Auf dem Sekundärmarkt werden hingegen Kapitalmarktinstrumente, die sich bereits im Umlauf befinden, zwischen Anlegern gehandelt.
Bsp.: Aktionär A hat 10 Aktien der Haitech AG bei der Kommerzbank gezeichnet. Diese sind ihm auch
zugeteilt worden. Der Ausgabekurs lag bei 25 € pro Aktie. Da der Börsenkurs an der Frankfurter
Wertpapierbörse (FWB) nun 35 € beträgt entscheidet sich A zum Verkauf seiner Aktien. B kauft diese
Aktien an der FWB (Sekundärmarkt).
Sekundärmärkte können nach ihrem Organisationsgrad unterschieden werden. Faktoren für einen
hohen Organisationsgrad sind etwa die Standardisierung der Handelsobjekte, Vereinfachung der
Rechtsübertragung, Konzentration des Handels, Publizität und Strenge der Preisermittlung. Hierdurch
werden Schnelligkeit und Sicherheit der Geschäfte erhöht sowie Kosteneffizienz und Liquidität gesteigert. Dies dient wiederum dem Anlegerschutz. Den höchsten Organisationsgrad erreichen die
Wertpapierbörsen. Dort werden nur standardisierte und fungible Wertpapiere gehandelt, die erst
zugelassen werden müssen. Dadurch wird die Einhaltung von strengen Publizitäts- und Rechnungslegungspflichten sichergestellt. Die Anforderungen an eine Börse sind im BörsG geregelt. Weniger organisiert sind die außerbörslichen Kapitalmärkte. Daran nehmen nur Banken und institutionelle Anleger teil. Hier bestehen keine Publizitätspflichten und es ist keine förmliche Zulassung nötig. Ab5
Ausführlich zur Unterteilung von Primär- und Sekundärmarkt: Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 70 ff.
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schlüsse können telefonisch und schriftlich erfolgen. Es bestehen aber auch alternative Handelssysteme (ATS), die meist rein elektronisch ablaufen.6
V.
Ziele und Aufgaben des Kapitalmarkts
Zentrales Ziel des Kapitalmarktrechts ist es zunächst, das Funktionieren des Kapitalmarkts im Allgemeininteresse sicherzustellen. Hierbei ist zwischen der institutionellen, operationalen und allokativen
Funktionsfähigkeit zu unterscheiden.
Die institutionelle Funktionsfähigkeit meint die Sicherung der Grundvoraussetzungen eines funktionsfähigen Kapitalmarktes (z.B. Vertrauen der Anleger, freier Marktzugang, typisierte und umlauffähige Anlageformen, Liquidität).
Unter operationaler Funktionsfähigkeit wird die Minimierung der Transaktionskosten verstanden. Je
weniger Kosten anfallen, desto höher kann die Rendite ausfallen. Ein wirksames Mittel zur Kostensenkung ist die Auferlegung von Publizitätsvorschriften: Müssen diejenigen die Informationen offenlegen, die ohne weiteres über sie verfügen, müssen dadurch i.d.R. weniger finanzielle Mittel für die
Beschaffung von Informationen aufgewandt werden.
Schließlich bezeichnet die allokative Funktionsfähigkeit die volkswirtschaftlich „richtige“ Allokation
des Kapitals. Das anlagefähige Kapital soll dort investiert werden, wo es am dringendsten benötigt
wird und die größte Rentabilität verspricht. Dem dienen vor allem Informationspflichten. So soll etwa
die Ad-hoc-Publizität sicherstellen, dass Marktteilnehmer möglichst frühzeitig über marktrelevante
Informationen verfügen, um sachgerechte Anlageentscheidungen treffen zu können. Wichtige Instrumente zur Stärkung der allokativen Funktionsfähigkeit sind auch Regelungen, die – wie etwa das
Insiderhandelsverbot – das Vertrauen der Anleger stärken. Denn nur wenn Anleger dem Markt vertrauen, werden sie dort ihr Geld anlegen.
Zweite Aufgabe des Kapitalmarktrechts ist der Anlegerschutz. So soll das Anlegerpublikum in seiner
Gesamtheit (institutionell) geschützt werden. Dies geschieht dadurch, dass das Vertrauen in die Integrität und Stabilität der Märkte sichergestellt wird. Dadurch wird wiederum die Funktionsfähigkeit
des Kapitalmarktes gewährleistet (s.o.). Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes und Anlegerschutz
sind insoweit „zwei Seiten derselben Medaille“.7
Ob daneben auch der individuelle Anlegerschutz eine Aufgabe des Kapitalmarktrechts ist, ist höchst
umstritten. So finden sich in einzelnen Normen – wie § 4 Abs. 4 FinDAG; § 4 Abs. 2 WpÜG – Anhaltspunkte dagegen. Demnach wird die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ausschließlich im öffentlichen Interesse und damit gerade nicht im Interesse des einzelnen Anlegers tätig. Das spielt vor allem für die Amtshaftung gem.§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG eine wichtige Rolle (s.u.
S. 126). Anderenorts finden sich – wie etwa in §§ 21 ff. WpPG; § 306 KAGB; §§ 37b, 37c WpHG –
ausdrücklich individuelle Schadensersatzansprüche, die an kapitalmarktrechtswidriges Verhalten
anknüpfen. Im Übrigen ist aber für jede kapitalmarktrechtliche Norm zu bestimmen, ob sie (auch)
6
7
Hierzu: Harter/Franke/Hogrefer/Seger, Wertpapiere in Theorie und Praxis, 4. Aufl. 1993, 161.
Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 159.
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dem Interesse des einzelnen Anlegers dient. Das ist eine wesentliche Vorfrage für das Bestehen eines
individuellen Anlegerschadensersatzanspruchs über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der jeweiligen kapitalmarktrechtlichen Regelung.
Zur Erreichung der genannten kapitalmarktrechtlichen Ziele hat der Gesetzgeber sowohl öffentlichals auch privatrechtliche Regelungen erlassen. Das Kapitalmarktrecht ist damit ein Rechtsgebiet auf
der Schnittstelle zwischen dem Privatrecht, dem Verwaltungsrecht und dem Strafrecht.
VI.
Rechtsgrundlagen
1. Deutsches Recht
a) Gesetze
Das „Grundgesetz des Kapitalmarktrechts“8 ist das 1998 in Kraft getretene Gesetz über den Wertpapierhandel (WpHG). Dieses Gesetz knüpft weder an eine bestimmte Anlageart (wie das Wertpapierprospektgesetz) oder Organisationsform (wie das Börsengesetz), sondern an die Transaktionen auf
dem Kapitalmarkt an. Daher hat es einen sehr weiten Anwendungsbereich. Darin werden etwa das
Insiderrecht oder das Verbot der Kurs- und Marktpreismanipulation behandelt. Außerdem finden
sich Publizitätspflichten der Emittenten und Verhaltenspflichten der Wertpapierdienstleister. Schließlich enthält es Regelungen zur öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Durchsetzung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten. Die öffentlich-rechtliche Durchsetzung vollzieht die BaFin. Die privatrechtliche Durchsetzung wird vor allem durch Haftungstatbestände ermöglicht.
Das Börsengesetz (BörsG) enthält die Grundregeln der Organisation deutscher Börsen. Es enthält u.a.
Regelungen zu den verschiedenen Börsenorganen, dem Börsenhandel und der Feststellung von Börsenpreisen sowie zur Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel. Es differenziert zwischen dem
regulierten Markt und dem Freiverkehr. Das BörsG findet ausschließlich auf den Sekundärmarkt Anwendung.
Das Wertpapierprospektgesetz (WpPG), das für Wertpapiere gilt, und das Vermögensanlagengesetz
(VermAnlG), das auf sonstige Kapitalanlagen Anwendung findet, regeln jeweils die Prospektpflicht
und sich darauf beziehende Haftungsansprüche. Regelungsgegenstand dieser Gesetze ist vor allem
der Primärmarkt.
Das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) beinhaltet Vorschriften zu Gründung und Verwaltung von Investmentfonds. Investmentfonds dienen der kollektiven Vermögensanlage. Sie sammeln Gelder von
Anlegern ein, um sie anschließend in Wertpapiere oder in andere Anlagegegenstände, wie zum Beispiel Immobilien, zu investieren.
Das DepotG bezieht sich auf organisations- und sachenrechtliche Aspekte der Verwahrung von
Wertpapieren in Bankendepots.
8
Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 21 m.w.N.
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Das Wertpapierübernahmegesetz (WpÜG) regelt Erwerbsangebote und Übernahmeangebote an
Aktionäre börsennotierter Gesellschaften.
Das Kapitalmarktmusterverfahrensgesetz (KapMuG) sieht ein im deutschen Zivilrecht neuartiges
Musterverfahren für Massenklagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen vor.
Relevant sind außerdem das REIT-Gesetz: Real Estate Investment Trust bezüglich Immobilienanlagegesellschaften, das KWG: Kreditwesengesetz betreffend institutionelle Vorschriften für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsunternehmen, das Gesetz zur Finanzmarktstabilisierung, das Geldwäschegesetz (GwG), § 264a StGB, die Rechnungslegungsvorschriften des HGB und das allgemeine Zivil,
Handels-, und Gesellschaftsrecht, insbesondere das Aktienrecht (vgl. § 3 Abs. 2 AktG).
b) Sonstige Rechtsgrundlagen
Mit Rücksicht auf die notwendig abstrakt gehaltenen Gesetze ist das Kapitalmarktrecht darüber hinaus durch eine Vielfalt an konkretisierenden Vorschriften geprägt. Dazu gehören insbesondere
Rechtsverordnungen, wie z.B. die Börsenzulassungsverordnung (BörsZulV), die sich auf das BörsG
bezieht und in der sich die Voraussetzungen für die Zulassung eines Wertpapiers zum amtlichen
Markt finden, sowie die Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung (WpAIV), die
Finanzanalyseverordnung
(FinAnV)
zum
WpHG
und
die
VermögensanlagenVerkaufsprospektverordnung (VermVerkProspV) zum VermAnlG.
Weiterhin haben die Börsen als Anstalten des öffentlichen Rechts Rechtssetzungsmacht und können
Börsenordnungen (Satzungen) erlassen. Beispiel hierfür ist die Börsenordnung für die Frankfurter
Wertpapierbörse.
Schließlich gibt es die sog. Richtlinien der BaFin, die zwar nur norminterpretierende Verwaltungsvorschriften ohne rechtliche Außenwirkung sind, aber in der Praxis erhebliche Bedeutung haben. Hier
kann zum Beispiel der Emittentenleitfaden vom 22.07.2013 genannt werden.9
Wichtige private Regeln sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken, so etwa die Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte und die Sonderbedingungen für Börsentermingeschäfte.
2. Europarecht
Kennzeichnend für das Kapitalmarktrecht ist seine starke europarechtliche Prägung. So basieren ca.
80% der nationalen Vorschriften zum Kapitalmarktrecht auf europarechtlichen Grundlagen. Aufgrund
der Schnelllebigkeit des Kapitalmarktrechts hat ein mit der Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte befasster Ausschuss im Jahr 2004 im Lamfalussy-Bericht ein schnelleres Rechtssetzungsverfahren für die Regulierung der Wertpapiermärkte vorgeschlagen. Durch das sogenannte Komitologieverfahren sollen regelmäßig abstrakte Rahmenrichtlinien erlassen werden, die dann durch die
Kommission mit operativen Bestimmungen ausgefüllt werden.
Dieses Verfahren hat durch die Neuordnung der europäischen Finanzaufsichtsstrukturen zum
01.01.2011 weitreichende Änderungen erfahren. Die Regulierungs- und Durchführungsstandards
9
http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Leitfaden/WA/dl_emittentenleitfaden_2013.pdf?__blob=pu
blicationFile&v=12 (Abgerufen am 19.11.2013).
5
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werden nun von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA - European
Securities and Markets Authority) erlassen. Vor Gründung der ESMA existierte lediglich der Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR: Committee of European Securities
Regulators), der aber lediglich Koordinierungsfunktionen wahrnahm (ausführlich S. 124).
Die zentralen Richtlinien des Kapitalmarktrechts sind folgende:
 Finanzdienstleistungsrichtlinie (MiFiD)10
 Transparenzrichtlinie11
 Prospektrichtlinie12
 Richtlinie über Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)13
 Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM)14
 Übernahmerichtlinie15
 Richtlinie über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)16
In jüngster Zeit greift der europäische Gesetzgeber zunehmend auch auf Verordnungen zurück. Hier
ist beispielsweise die Verordnung über Ratingagenturen zu nennen. Weiterhin soll bis zum Jahr 2015
die Marktmissbrauchsverordnung in Kraft treten, die europäisch einheitliche Verbotstatbestände für
Insiderhandel und Marktmissbrauch enthält (dazu S. 42).
VII.
Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten
Das Kapitalmarktrecht ist mittlerweile als eigenes Rechtsgebiet anerkannt (siehe oben), es weist
gleichwohl enge Bezüge zu anderen Rechtsgebieten auf, so insbesondere zum Gesellschaftsrecht und
zum Bankrecht.
1. Gesellschaftsrecht
a) Unterschiede
Während das Kapitalmarktrecht einen rechtsformübergreifenden, funktionsfähigen Markt gewährleisten soll, ist Gegenstand des Gesellschaftsrechts die Organisation der Verbände je nach ihrer konkreten Rechtsform. Außerdem ist das Kapitalmarktrecht als öffentliches Aufsichtsrecht grundsätzlich
zwingend und kann deshalb nicht durch die beteiligten Parteien privatautonom abbedungen werden.
Dagegen ist das Gesellschaftsrecht teilweise, v.a. das Personengesellschaftsrecht, dispositiv.
10
RL 2004/39/EG vom 30.04.2004, ABl. L 145. MiFiD ist die Abkürzung des englischen Titels Markets in Financial
Instruments Directive. Die überarbeitete Richtlinie MiFiD II soll Ende 2014/ 2015 in Kraft treten.
11
RL 2004/109/EG vom 31.12.2004, ABl. L 390.
12
RL 2003/71/EG vom 31.12.2003, ABl. L 34.
13
RL 2009/65/EG vom 13.07.2009, ABl. L 302
14
RL 2011/61/EU vom 31.07.2011, ABl. L 174.
15
RL 2004/25/EG vom 30.04.2004, ABl. L 142.
16
RL 2003/6/EG vom 12.4.2003, ABl. L 96.
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b) Schnittstellen
Jedoch gibt es zahlreiche Überschneidungen. So kennt sowohl das Aktienrecht als auch das Kapitalmarktrecht Mitteilungs- und Publizitätspflichten für den Fall, dass bestimmte Beteiligungsschwellen
an Gesellschaften berührt werden. Für Aktiengesellschaften, die zugleich Emittenten i.S.d.
§ 21 Abs. 2 WpHG sind, gewähren die § 20 Abs. 8 und § 21 Abs. 5 AktG durch Verweis auf die
§§ 21, 28 WpHG den kapitalmarktrechtlichen Pflichten Vorrang. Darüber hinaus kennen sowohl das
Aktiengesetz als auch das WpÜG den Squeeze-out – also die Möglichkeit, Minderheitsaktionäre
zwangsweise auszuschließen, wenn dem Hauptaktionär mindestens 95 % der Aktien gehören. Der
übernahmerechtliche Squeeze-out gem. §§ 39a, b WpÜG ist im Vergleich zum Squeeze-out nach
§ 327a AktG unter erleichterten Bedingungen möglich (siehe S. 108).
Ein weiteres Beispiel für das Zusammenspiel von Kapitalmarkt- und Kapitalgesellschaftsrecht ist der
Rückzug von der Börse (Delisting). Dies kann im Wege des sog. cold delisting mittels gesellschaftsrechtlicher Instrumente, etwa durch Umwandlung nach §§ 190 ff. UmwG, oder kapitalmarktrechtlich
unter den Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 BörsG geschehen. Für den kapitalmarktrechtlichen Rückzug von der Börse genügt allerdings nicht allein die Einhaltung des § 39 BörsG. Dazu hat der BGH in
seiner bekannten „Macrotron-Entscheidung“17 ausgeführt, dass außerdem ein Beschluss der Hauptversammlung über den Rückzug von der Börse nötig ist. (ausführlicher dazu S. 36).
Ist eine Aktiengesellschaft Emittent, stellt sich bei Verstoß gegen die ad-hoc-Publizitätspflicht die
Frage, ob der Schadensersatzanspruch der Anleger gem.§§ 37b, c WpHG mit dem aktienrechtlichen
Kapitalerhaltungsgrundsatz vereinbar ist. Die ganz h.M. räumt insoweit der Emittentenhaftung gemäß §§ 37b, c WpHG Vorrang gegenüber dem aktienrechtlichen Gläubigerschutz nach §§ 57, 71 AktG
ein (siehe S. 68).
Schließlich gilt der deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) für börsennotierte Aktiengesellschaften. Dieser soll das Vertrauen in eine gute Unternehmensführung und damit den Kapitalmarkt
insgesamt stärken. Der DCGK enthält drei verschiedene Arten von Vorgaben: Zum einen gibt er Empfehlungen ab, welche durch die Formulierung „soll“ gekennzeichnet sind. Nach dem ursprünglich
angelsächsischen „Comply or Explain – Prinzip“ (§ 161 AktG) müssen börsennotierte Gesellschaften
erklären, ob sie diesen Empfehlungen gefolgt sind, und andernfalls die Gründe für das Abweichen
davon darlegen. Daneben enthält der DCGK auch Anregungen (sprachlich gekennzeichnet durch
„sollte“), bei deren Nichtbeachtung keine Erklärung nach § 161 AktG erforderlich ist. Darüber hinaus
finden sich im DCGK Beschreibungen geltenden Gesetzesrechts, welche sprachlich nicht besonders
gekennzeichnet sind. Auch wenn der DCGK überwiegend als unverbindlicher Verhaltenskodex charakterisiert wird („Soft law“), so bleiben Verstöße nicht vollkommen sanktionslos. Seine unrichtige
Darstellung führt zur Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen der Hauptversammlung.18 Außerdem ist er strafbewehrter Bestandteil des Lageberichts (§ 289a Abs. 2 Nr. 1 HGB i.V.m.
§ 331 Abs. 1 Nr. 1 HGB).19
17
BVerfGE 132, 99 = BVerfG, NJW 2012, 3081; BGHZ 153, 47-61 = BGH NJW 2003, 1032-1036
BGHZ 182, 272 = BGH ZIP 2009, 2051.
19
In der Praxis noch ungleich bedeutender ist die Tatsache, dass die ISS (International Shareholder Services)
ihre Empfehlungen an institutionelle Investoren u.a. auf die Einhaltung des DCGK stützen. Die Empfehlung des
18
7
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2. Bankrecht
Schnittmengen ergeben sich auch zum Bankrecht, da Banken als Wertpapierdienstleistungsunternehmen sowie als Depotbanken eine zentrale Rolle als Teilnehmer des Kapitalmarktes einnehmen.
Zu beachten sind insbesondere die Vorgaben des KWG, wie die Eigenkapitalvorschriften gem.
§ 10 KWG oder die Erlaubnispflicht gem. § 32 KWG.
VIII.
Teilnehmer des Kapitalmarkts
Die wichtigsten Teilnehmer des Kapitalmarkts sind Emittenten, Anleger, Kreditinstitute und Börsenmakler. Analysten, Ratingagenturen und die BaFin sind keine Marktteilnehmer i.e.S., spielen aber
dennoch eine wichtige Rolle.
Die Emittenten sind die „Hersteller“ der Wertpapiere, etwa im Falle von Aktien die Aktiengesellschaft
oder bei Staatsanleihen der Staat. Emittenten veräußern auf dem Primärmarkt ihre Wertpapiere. Auf
dem Sekundärmarkt sind sie nicht unmittelbar an den Transaktionen beteiligt, sie sind aber etwa im
Falle von Anleihen Schuldner der gehandelten Forderung, z.B. die Bundesrepublik Deutschland aus
der Bundesanleihe.
Die Anleger sind die Erwerber der Wertpapiere auf dem Primärmarkt oder Sekundärmarkt. Sie können in institutionelle Anleger und Privatanleger unterteilt werden. Institutionelle Anleger sind z.B.
Banken, Versicherungen oder Investmentfonds. Privatanleger haben keinen unmittelbaren Zugang
zum Markt, sondern agieren über Banken als Finanzintermediäre. Das wird aus § 19 Abs. 2 BörsG für
Börsen und aus § 31f Abs. 1 Nr. 1 WpHG für sonstige multilaterale Handelssysteme deutlich. Institutionelle Anleger (Versicherungen, Fonds) haben auf Grund ihrer Finanzkraft einen erheblichen Einfluss auf den Markt. Auf Grund ihrer im Vergleich zu Privatanlegern größeren Erfahrung werden sie
weniger geschützt, wie z.B. § 3 Abs. 2 WpPG oder §§ 31 Abs. 9, 31a WpHG deutlich zeigen.
Wertpapierdienstleistungsunternehmen, insbsd. Kreditinstitute, spielen eine Vermittlerrolle zwischen Emittenten und Anleger. Sie kommen sowohl auf dem Primärmarkt bei der Fremdemission
(siehe S. 18) als auch auf dem Sekundärmarkt bei dem Vertrieb von Wertpapieren (siehe S. 39) zum
Einsatz.
Börsenmakler sind Handelsmakler i.S.v. § 93 HGB. Sie erteilen die Kauf- und Verkaufsaufträge. Börsenmakler haben nur noch Bedeutung im Parkett- bzw. Präsenzhandel. Dabei gibt die Bank den Auftrag des Kunden, Wertpapiere zu kaufen oder zu verkaufen, nicht direkt an die verkaufs- oder kaufbereite Partei weiter, sondern bedient sich zur Vermittlung eines Skontroführers, die als Börsenmak-
ISS hat in der Praxis überragende Bedeutung, vgl. als besonders aktuelles Beispiel den Streit um die Wahl von
Wolfgang Mayrhuber als neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der Lufthansa AG. Abgelehnt durch ISS wg. zu vieler
Aufsichtsratsmandate:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/wolfgang-mayrhuber-die-altlastendes-ex-lufthansa-chefs-a-898408.html
8
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ler agieren. In dem praktisch bedeutsamen elektronischen Handelssystem XETRA bedarf es keines
Börsenmaklers mehr, da das Computersystem selbst die Aufträge ausführt.20
Finanzanalysten beschaffen und bewerten Informationen. Sie treffen Vorhersagen bzgl. der Zukunftsaussichten von Unternehmen. Für sie gelten besondere Verhaltenspflichten gem. § 34b WpHG
(siehe S.86).
Ratingagenturen beurteilen die Bonität von Emittenten. Die bekanntesten Ratingagenturen haben
ihren Sitz in den USA und heißen Moody’s, Fitch Ratings und Standard & Poor’s. Sie vergeben ihre
Bewertungen nach der Wahrscheinlichkeit des Zahlungsausfalls von Forderungen zum Zeitpunkt ihrer
Fälligkeit. Das Ergebnis der Bewertung wird durch ein System von Buchstaben bekannt gegeben, wobei die beste Bonität meist mit AAA und die schlechteste, d.h. ein Zahlungsausfall mit D (Default)
gekennzeichnet wird. Aufgrund der erheblichen Bedeutung der Ratings für den Kapitalmarkt und
infolge der Finanzkrise, erließ der europäische Gesetzgeber eine EU-Rating-Verordnung,21 die aufsichtsrechtliche Regelungen sowie Wohlverhaltenspflichten beinhaltet. Aufgrund der faktischen Monopolstellung der drei oben genannten U.S.-Ratingagenturen war die Schaffung einer europäischen
Ratingagentur angestrebt.22 Dieser Plan gilt inzwischen aber als gescheitert.23
Schließlich ist es Aufgabe vor allem der BaFin, das Verhalten der Teilnehmer am Kapitalmarkt zu beaufsichtigen (siehe S.126).
IX.
Produkte des Kapitalmarkts
Da der Kapitalmarkt die Umwandlung von Kapital in Sachinvestitionen bezweckt, bietet er mehrere
Produkte, die sich unter anderem nach der Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung der Unternehmen
unterscheiden. 24
Unter Eigenkapital wird das einem Unternehmen durch seine Eigentümer zugeführte oder von dem
Unternehmen erwirtschaftete und belassene Kapital abzüglich der Verluste und Entnahmen verstanden.25 Dazu gehören insbesondere Unternehmensbeteiligungen wie Aktien. Eigenkapitalgeber haben
in der Regel keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kapitals. Die Rendite besteht etwa bei Aktien aus
der Dividende gemäß §§ 58 Abs. 4, 174 Abs. 2 Nr. 2 AktG und der Kurssteigerung des Wertpapiers.
Fremdkapital ist dagegen kreditweise bezogen, wie etwa im Falle von Anleihen. Dem Fremdkapitalgeber steht ein Rückzahlungsanspruch zu. Der Vergütungsanspruch des Fremdkapitalgebers besteht
regelmäßig unabhängig vom Unternehmenserfolg, etwa in Form eines gewinnunabhängigen Zinsanspruchs.26 Da Fremdkapitalgeber in der Regel ein geringeres Risiko eingehen als Eigenkapitalgeber,
können letztere eine höhere Rendite in Form einer Risikoprämie erwarten. Das höhere Risiko des
20
Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 4.59 ff.
VO (EG) 1060/2009, ABl. EU Nr. L 302.
22
Siehe zu diesem Abschnitt auch: Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 13.590 ff.
23
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/prestigeprojekt-gescheitert-chef-der-europaeischen-ratingagenturwirft-hin-1.1661943.
24
Hierzu: Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn.2.1 ff.
25
Fischer in: Schimansky / Bunte / Lwowski, Bankrechts – Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 129 Rn. 1.
26
v. Dyrander/Niggemann in: Hölters, AktG, 1. Aufl. 2011, Vorb. zu § 182 Rn. 4.
21
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Eigenkapitals zeigt sich insbesondere im Falle der Insolvenz des Kapitalnehmers: Hier werden zunächst Fremdkapitalgeber bedient und nachrangig die Eigenkapitalgeber, so dass letztere mit ihren
Ansprüchen ausfallen können, wenn nach Tilgung aller Verbindlichkeiten kein Vermögen mehr vorhanden ist.
1. Wertpapierbegriff
Der kapitalmarktrechtliche Wertpapierbegriff ist von dem allgemein zivilrechtlichen Wertpapierbegriff zu unterscheiden. 27
Der kapitalmarktrechtliche Wertpapierbegriff (vgl. § 2 Abs. 1 WpHG) ist einerseits enger als der allgemein zivilrechtliche, andererseits aber auch weiter. Enger ist er insofern, als nur fungible, d.h. vertretbare Papiere i.S.d. § 91 BGB darunter fallen. Sparbücher sind hiervon daher beispielsweise nicht
erfasst (vgl. § 808 BGB). Auf dem Kapitalmarkt muss zudem die Zirkulationsfähigkeit seiner Produkte
sichergestellt sein. Dies setzt die Handelbarkeit der Produkte voraus, d.h. die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs und den Ausschluss von Einwendungen. Vor allem Namenspapiere scheiden mangels Handelbarkeit aus dem kapitalmarktrechtlichen Wertpapierbegriff aus, da Forderungen im Wege
der Abtretung nicht gutgläubig erworben werden können und Einwendungen auch nach der Abtretung bestehen bleiben. Auch GmbH-Anteile sind auf Grund der eingeschränkten Übertragbarkeit
nach § 15 Abs. 3, 4 WpHG keine Wertpapiere in diesem Sinn. Der kapitalmarktrechtliche Wertpapierbegriff ist hingegen weiter als der zivilrechtliche Wertpapierbegriff, weil er eine Verbriefung des
Rechts nicht voraussetzt (§ 2 Abs. 1 WpHG). Auch für auf dem Kapitalmarkt gehandelte Inhaberschuldverschreibungen gilt aber das Urkundenerfordernis nach § 793 BGB.28
2. Wertpapiere im Einzelnen
Im Folgenden soll näher auf einzelne Produkte eingegangen werden, wobei der Systematik des
§ 2 WpHG gefolgt wird. Die bekannteste Art des Wertpapiers ist die Aktie. Die praktische Bedeutung
von Aktien, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG, liegt für die Aktiengesellschaften in der nicht rückzahlbaren
Beschaffung von Eigenkapital. Die Anleger dagegen erhoffen sich eine hohe Rendite aus der Dividende und der Steigerung des Aktienkurses. Für Privatanleger hatten Aktien durch die Emission der Telekom-Aktie („Volksaktie“) in den 1990er Jahren und den damals boomenden Neuen Markt an Attraktivität gewonnen, in der Folge des Zusammenbruchs des Neuen Markts aber teilweise wieder erheblich verloren. Aktien bilden rechtlich einen Anteil am Grundkapital entweder in Form von Nennbetrags- oder nennwertlosen Stückaktien, § 8 Abs. 1-3 AktG. Aktien werden als Inhaber- oder Namensaktien (Orderpapier) verbrieft, § 10 Abs. 1 AktG. Durch eine Aktie wird man Mitglied einer AG und
erhält ein Bündel von Rechten und Pflichten. Die Verwaltungsrechte sowie die Kontroll- und Überwachungsrechte, die auch Minderheiten von Aktionären schützen, stehen im Fokus des Gesellschaftsrechts.29 Aus kapitalmarktrechtlicher Sicht entscheidend ist hingegen vor allem die vermögensrechtliche Seite der Aktien. So gewähren Aktien ihren Inhabern einen Anspruch auf den Bilanzgewinn gem.
27
Ausführlich hierzu Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 2.14 ff.
Assmann, in Assmann/Schneider, § 2 WpHG Rn. 24; Roth, in KK-WpHG, § 2 Rn. 60; anders noch Versteegen,
in KK-WpHG, 1. Aufl., § 2 Rn. 25
29
Hierzu: Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 232 ff.
28
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§ 58 Abs. 4 AktG, die sog. Dividende. Außerdem haben Altaktionäre bei einer Kapitalerhöhung Anspruch auf den Bezug neuer Aktien gem. § 186 AktG.
Andere Anteile an juristischen Personen, Personenhandelsgesellschaften oder Unternehmen sind
gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG kapitalmarktrechtliche Wertpapiere, sofern sie Aktien vergleichbar
sind. D.h. sie müssen ebenfalls eine Verkörperung von Mitgliedschaftsrechten enthalten, ohne dass
es auf die Organisationsform der Gesellschaft ankommt. Weiteres Merkmal ist wiederum ihre
marktmäßige Handelbarkeit, was durch eine Verbriefung oder zumindest die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs zum Ausdruck kommt. Hieran scheitert die Einordnung der GmbH-Anteile in den
Wertpapierbegriff. Keine Wertpapiere in diesem Sinne sind außerdem Anteile an Personenhandelsgesellschaften, da es ihnen auf Grund der personengesellschaftsrechtlichen Gestaltungsfreiheit und
der daraus folgenden unterschiedlichen Gesellschaftsverträge an der nötigen Vertretbarkeit fehlt.30
Beispiel für Aktien vergleichbare Anteile i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG sind Zwischenscheine gem.
§ 8 Abs. 6 AktG, die bis zur Ausgabe der Aktienurkunden vorläufig die Mitgliedschaft in einer AG verkörpern. Wegen der heute üblichen Globalurkunden haben diese Zwischenscheine aber kaum mehr
praktische Bedeutung.
Unter Aktien vertretende Zertifikate nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a.E. WpHG versteht man vor allem
Hinterlegungs- und Jungscheine.
Eine Anleihe (debt) ist ein in einem Wertpapier – überwiegend als Inhaberschuldverschreibung gem.
§ 793 Abs. 1 S. 1 BGB – verbrieftes Darlehen, das der Anleihegläubiger und Investor dem Anleiheschuldner und Kapitalnachfrager gegen Zinszahlung zur Verfügung stellt. Auf Grund der Rückzahlungsverpflichtung handelt es sich hierbei um Fremdkapital. Die Rendite aus Anleihen kann in Form
von Zinsen (Rente) oder in Form von Kurssteigerungen entstehen.
Eine besondere Form der Anleihe und in letzter Zeit in aller Munde sind die als Wertrechte emittierten, in der Regel nicht besicherten Staatsanleihen. Bei der Staatsanleihe ist der Staat Anleiheschuldner. In der Praxis ist die öffentliche Hand der größte Nachfrager von Kapital. Erste Staatsanleihen gab
es bereits im 14. Jahrhundert in Italien. Bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert sind sie in vielen
Staaten Europas ein wichtiges politisches Instrument. In Deutschland werden die Staatsanleihen von
der Deutschen Finanzagentur emittiert. Beispiele sind Bundesschatzbriefe, Bundesschatzanweisungen und Bundesobligationen.
Neben den kapitalmarktrechtlichen Vorschriften finden vor allem die §§ 488 ff. BGB auf alle Arten
von Anleihen Anwendung. Wertpapierrechtlich handelt es sich bei der Anleihe um eine Schuldverschreibung, so dass zudem die §§ 793 ff. BGB gelten. An der Börse müssen Anleihen gem.
§ 32 f. BörsG erst zugelassen bzw. einbezogen werden. Durch das 2009 erlassene Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) sollen insbesondere die Anleihebedingungen kontrolliert werden. Außerdem ist
im SchVG ein besonderes Verfahren zum Schutz der Gläubiger im Falle der Krise des Schuldners geregelt (vgl. §§ 5 ff. SchVG).
Bei Anleihen mit aktienähnlichen Eigenschaften, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3a WpHG, handelt es sich rechtssystematisch um Anleihen, die aber ähnlich wie Aktien ausgestattet sind (equity linked). Wegen der
30
Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 2.5.
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hier bestehenden Konkurrenz zwischen Anleihegläubigern und Aktionären ist eine besondere Regelung notwendig. Diese findet sich in § 221 AktG. Dort wird zwischen Gewinnschuldverschreibungen
(Abs. 1 Alt. 2), bei denen sich die Zinshöhe am Gewinn orientiert, Genussrechten (Abs. 3), bei denen
dem Inhaber ein schuldrechtlicher Anspruch auf aktionärstypische Vermögensrechte, wie z.B. auf
Beteiligung am Liquidationserlös, zusteht, und Wandelanleihen (Abs. 1 Alt. 1) unterschieden. Letztere gewähren dem Inhaber neben einem festen Zinssatz das Recht, während der Laufzeit der Anleihe
diese in Aktien umzutauschen.
Termingeschäfte bzw. Derivate, § 2 Abs. 2 WpHG, sind Finanzinstrumente, deren Wert sich von einem anderen Wert – Basiswert – ableitet. Als Basiswerte kommen z.B. Aktien, Anleihen aber auch
Geldmarktprodukte und Devisen in Betracht. Kennzeichnend für Termingeschäfte ist es, dass sie im
Unterschied zu Kassageschäften, bei denen die Erfüllung innerhalb von zwei Börsenarbeitstagen
erfolgt, erst zu einem zukünftigen Zeitpunkt erfüllt werden. Vor allem institutionelle Anleger wie
Versicherungen und Investmentfonds handeln mit Derivaten, um sich gegen Kursrisiken abzusichern
(hedging).31 Allerdings gibt es auch Spekulanten, die die Hebelwirkung (leverage effect) von Termingeschäften ausnutzen wollen und sich so hohe Gewinne erhoffen. Allerdings ist ein solches Vorgehen
sehr risikoreich.
Anteile an Investmentfonds können ebenfalls Wertpapiere i.S.d. Kapitalmarktrechts sein, soweit sie
fungibel und zirkulationsfähig sind (vgl. § 2 Abs. 1 WpHG). Das ist bei offenen Investmentfonds
grundsätzlich der Fall. Jedenfalls sind alle Investmentfondsanteile gleichzeitig Finanzinstrumente iSd
WpHG (§ 2 Abs. 2 b WpHG). Investmentfonds sind zudem durch das KAGB spezialgesetzlich reguliert.32
Abschließend sind noch die Produkte des grauen Kapitalmarkts zu nennen. Darunter wird der öffentliche Vertrieb von Produkten verstanden, die nicht auf geregelten oder organisierten Märkten
gehandelt werden. Hier geht es vor allem um Anteile an Publikumspersonengesellschaften. Um Produkte i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG handelt es sich deshalb nicht, weil es hier an der aktientypischen Vertretbarkeit und mithin an der Fungibilität fehlt. Seit Inkrafttreten des KAGB sind aber auch
Alternative Investmentfonds – wie etwa geschlossene Immobilienfonds – nunmehr reguliert.33 Zu
den Produkten des grauen Kapitalmarktes gehören aber etwa nach wie vor unverbriefte Nachrangdarlehen oder Anteile an Agrarprodukten. Auch Anteile an einer GmbH sind nur auf dem grauen Kapitalmarkt zu erwerben.
X.
Marktorganisation
Nunmehr ist der Blick auf die Märkte zu werfen, auf denen diese Produkte gehandelt werden. Es wird
zwischen geregelten bzw. organisierten Märkten (§ 2 Abs. 1 BörsG, § 2 Abs. 5 WpHG), multilateralen
Handelssystemen
(§ 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 8 WpHG)
und
systematischen
Internalisierern
(§ 2 Abs. 10 WpHG) unterschieden.
31
Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 1.65.
dazu Kapitel M
33
Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 139 f. („Der graue Kapitalmarkt ist nicht mehr «grau».“)
32
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1. Börse
Die Börse ist ein besonderes multilaterales Handelssystem mit staatlicher Erlaubnis
(vgl. §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 BörsG). In Deutschland gibt es derzeit acht Wertpapierbörsen
(vgl. § 2 Abs. 2 BörsG), eine Devisenbörse, eine Wertpapierterminbörse und eine Warenterminbörse
(vgl. § 2 Abs. 3 BörsG).
a) Organisation der Börse
Terminologisch streng zu trennen ist die Börse vom Börsenträger. Während erstere die teilrechtsfähige, öffentlich-rechtliche Anstalt (§ 2 Abs. 1 BörsG) meint, die den Betrieb der Marktveranstaltung
regelt und überwacht, sind Börsenträger beliehene, privatrechtliche Unternehmen, die die Börse
errichten sowie mit den nötigen personellen, finanziellen und sachlichen Mitteln unterhalten und
versorgen (§ 5 Abs. 1 BörsG). Mit der Erteilung der Erlaubnis nach § 5 Abs. 1 S. 1 BörsG entfällt das
Verbot zum Betreiben einer Börse (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) und es entsteht die
Pflicht des Börsenträgers zur Errichtung und zum Betrieb der Börse. Des Weiteren hat der Börsenträger Versorgungs-, Fortentwicklungs- und Organisationspflichten, um z.B. Interessenskonflikte zu
vermeiden.
Die Börse hat mehrere im BörsG festgeschriebene Organe. Der Börsengeschäftsführung (§ 15 BörsG)
obliegt die Leitung und Vertretung der Börse, soweit nicht der Börsenträger zuständig ist,
§ 15 Abs. 3 BörsG. Zu den Aufgaben der Börsengeschäftsführung gehört auch die Zulassung und Einbeziehung von Wertpapieren gem. §§ 32 ff. BörsG. Der Börsenrat überwacht die Börsengeschäftsführung (vgl. § 12 Abs. 2 S. 1 BörsG) und bestellt ihre Mitglieder und beruft diese auch ab. Daneben
erlässt der Börsenrat die Börsen- und Gebührenordnung. Der Sanktionsausschuss (§ 22 BörsG) sanktioniert börsenrechtliche Verstöße der Börsenteilnehmer. Schließlich ist die Handelsüberwachungsstelle (§ 7 BörsG) Bestandteil der dreistufigen Börsenaufsicht, die außerhalb der Börse der BaFin und
den Landesbörsenaufsichtsbehörden obliegt.
Börsenteilnehmer sind die zugelassenen Unternehmen und Börsenhändler (§ 19 Abs. 1 BörsG). Voraussetzung für die Zulassung zum Börsenhandel ist der gewerbsmäßige Handel mit börsenmäßig
handelbaren Gegenständen. Damit haben Privatanleger regelmäßig keinen direkten Zugang zum
Börsenhandel, sondern sind auf sog. Finanzintermediäre (z.B. Banken) angewiesen. Jedoch führt eine
fehlende Zulassung nicht zur Nichtigkeit des abgeschlossenen Geschäfts nach § 134 BGB, da es sich
bei § 19 BörsG nicht um ein Verbotsgesetz handelt.34
Außerdem sind die Skontroführer (§ 27 BörsG) zu nennen. Sie übernehmen die Feststellung der Börsenpreise. Allerdings erfolgt im elektronischen Handel eine automatische Preisfeststellung. Mit dem
Rückgang des traditionellen Präsenzhandels nimmt daher auch die Bedeutung von Skontroführern
ab.
b) Märkte
An der Börse findet sowohl der regulierte Markt als auch der Freiverkehr statt.
34
Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 108.
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aa) Regulierter Markt
Der regulierte Markt ist ein öffentlich-rechtlicher Markt und fasst den früher bestehenden amtlichen
und geregelten Markt zusammen. Die Börse zählt zu den organisierten Märkten i.S.d.
§ 2 Abs. 5 WpHG. Um am regulierten Markt gehandelt werden zu können, müssen Wertpapiere erst
durch die Geschäftsführung zugelassen oder einbezogen werden. Die Zulassung nach § 32 BörsG ist
ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt auf Antrag des Emittenten und Emissionsbegleiters,
§ 32 Abs. 2 S. 1 BörsG. Die Voraussetzungen der Zulassung sind im Einzelnen in § 32 Abs. 3, 4 BörsG
geregelt. Absatz 3 Nr. 1 verweist dabei auf die EG-VO 1287/2006, die Durchführungsregeln zur MiFiD
enthält, und auf die Börsenzulassungsverordnung (BörsZulV). Insbesondere muss es sich um fungible
Wertpapiere i.S.v. § 91 BGB handeln, um einen ordnungsgemäßen, fairen und effizienten Handel
sicherzustellen. Weiterhin muss der voraussichtliche Kurswert der Aktien mindesten 1,25 Mio. Euro
betragen oder bei Unternehmen, die mindestens 3 Jahre alt sind, mindestens 250.000 Euro
(§ 2 BörsZulV). Schließlich muss ein von der BaFin gebilligter Prospekt nach dem WpPG bzw. KAGB
vorliegen, § 32 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BörsG.
Neben der Zulassung ist auch eine Einbeziehung auf Antrag eines Handelsteilnehmers oder von Amts
wegen möglich, vor allem wenn die Wertpapiere bereits an einer anderen Börse im Inland oder eines
anderen Mitgliedstaates der EU zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind
(§ 33 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und lit. b BörsG).
Innerhalb des regulierten Markts sind nach § 42 Abs. 1 BörsG weitere Teilbereiche möglich, die insbesondere strengeren Informationspflichten unterliegen können und so das Anlegervertrauen stärken sollen. An der Frankfurter Wertpapierbörse gibt es z.B. neben dem einfachen General Standard,
für den die Zulassung zum regulierten Markt genügt, den Prime Standard. Dieser verpflichtet z.B. die
Emittenten, den Jahresabschluss nach den international gebräuchlichen Bilanzierungsregeln des
IFRS35 oder des US-GAAP36 zu erstellen, und soll so insbesondere für internationale Investoren attraktiver werden. Außerdem ist die Einhaltung dieses Standards Voraussetzung dafür, in Indizes wie
bspw. den DAX oder M-DAX aufgenommen zu werden. Mit den erhöhten Pflichten steigen auch die
Kosten für die Emittenten, wenn sie den Prime Standard einhalten wollen.
bb) Freiverkehr
Bei dem Freiverkehr handelt es sich um einen privatrechtlichen multilateralen Wertpapierhandel
zwischen Handelsteilnehmern und Freimaklern. Er muss von der Börse zugelassen werden und wird
vom Börsenträger organisiert, § 48 BörsG. Obwohl der Freiverkehr unter dem Dach des Börsenträgers stattfindet, handelt es sich dennoch um einen außerbörslichen Handel.37 Er ist kein organisierter Markt i.S.d. § 2 Abs. 5 WpHG, da es an der staatlichen Genehmigung fehlt. Seine Rechtsgrundlagen sind neben § 48 BörsG die entsprechenden Bestimmungen in den jeweiligen Börsenordnungen
sowie in den AGB des Börsenträgers. Die Einbeziehung von Wertpapieren in den Freiverkehrshandel
geschieht auf Antrag von Handelsteilnehmern, nicht des Emittenten. Es bedarf keiner förmlichen
Zulassung. Aus der Einbeziehung in den Freiverkehr folgen grundsätzlich keine Zulassungsfolgepflich35
IFRS = International Financial Reporting Standards.
GAAP = Generally Accepted Accounting Principles.
37
An der Frankfurter Wertpapierbörse wird der Freiverkehr als Open Market bezeichnet.
36
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ten. Eine Ausnahme gilt für §§ 12-14, 20a WpHG, die sich ausdrücklich auch auf den Freiverkehr beziehen. Auch im Freiverkehr gibt es – ähnlich wie im regulierten Markt – Qualitätssegmente mit erhöhten Pflichten. So gibt es an der FWB neben dem Open Market auch den Entry Standard.38
2. Multilaterale Handelssysteme
Es gibt außerhalb der Börse weitere multilaterale Handelssysteme gem. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 8 WpHG,
die von privatrechtlichen Organisationen ohne staatliche Erlaubnis betrieben werden. Als Beispiel
hierfür können Chi-X und Turquoise genannt werden. Die Betreiber agieren dabei lediglich als Vermittler und stellen Regeln für die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage nach Finanzinstrumenten iSd. § 2 Abs. 3 Nr. 8 WpHG auf. Die Betreiber müssen die in §§ 31f f. WpHG statuierten
Pflichten einhalten:
 Die Handelsteilnehmer müssen zugelassen werden, wobei die Voraussetzungen mindestens
denen des § 19 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 BörsG entsprechen müssen (§ 31 f Abs. 1 Nr. 1 WpHG).
 Regelungen des Systembetreibers für den Betrieb und die Preisfeststellung müssen festgelegt werden (§ 31 f Abs. 1 Nr. 2 WpHG).
 Es muss ein angemessenes Kontrollverfahren zur Einhaltung dieser Regelungen geben
(§ 31 f Abs. 1 Nr. 3 WpHG).
 Informations- und Meldepflichten sind zu beachten (§ 31 f Abs. 1 Nr. 6 WpHG).
 Die Vor- und Nachhandelstransparenz (§ 31g WpHG) muss gewährleistet sein.
3. Systematische Internalisierer
Abschließend sind noch die systematischen Internalisierer (§ 2 Abs. 10 WpHG) zu nennen. Dies sind
Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S.v. § 2 Abs. 4 WpHG, die einen außerbörslichen Eigenhandel (§ 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 WpHG) organisiert, häufig und systematisch betreiben. Die wesentlichen
Kriterien hierfür sind in Art. 21 der DVO zur MifiD39 geregelt, auf die § 2 Abs. 10 WpHG verweist. Danach muss diese Tätigkeit im Geschäftsmodell der Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine wesentliche kommerzielle Rolle spielen und gemäß nichtdiskretionären Regeln und Verfahren ausgeübt
werden. Außerdem muss dafür vorgesehenes Personal oder technisches System existieren. Schließlich müssen die Kunden regelmäßig oder kontinuierlich die Möglichkeit haben, Aufträge über den
systematischen Internalisierer abzuschließen. Im Unterschied zu den multilateralen Systemen bieten
systematische Internalisierer nicht lediglich eine Plattform zur Zusammenführung von Angebot und
Nachfrage, sondern die Geschäfte werden bilateral zwischen dem Anleger und dem systematischen
Internalisierer als Vertragspartner abgeschlossen. Als Beispiel sind Banken zu nennen, die Verkaufsaufträge ihrer Kunden mit ihrem eigenen Bestand an Wertpapieren verbuchen, d.h. sie agieren
selbst als Käufer. Die BaFin führt eine Liste über die bestehenden systematischen Internalisierer, die
sie bei der ESMA einreicht. Beispiele für registrierte systematische Internalisierer gibt es in Deutsch-
38
39
Das entsprechende Segment heißt an der Börse München M:access.
Verordnung (EG) 1287/2006, ABl. Nr. L 145/1.
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land nicht. Auf europäischer Ebene sind z.B. Goldman Sachs International mit Sitz in Großbritannien
und die Société Générale mit Sitz in Frankreich zu nennen.40
Für systematische Internalisierer gelten die besonderen Verhaltenspflichten nach §§ 32 a-d WpHG,
wenn sie Aufträge in Aktien und aktienvertretenden Zertifikaten, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, bis zur standardmäßigen Marktgröße ausführen, § 32 WpHG. Sie müssen danach einen objektiven und diskriminierungsfreien Zugang zu den Quotes gewährleisten
(§ 32 d WpHG) und unterliegen einem Kontrahierungszwang zu dem veröffentlichten Preis
(§ 32 c Abs. 1 S. 1 WpHG). Ferner haben sie Kundenaufträge von Privatkunden bestmöglich auszuführen i.S.v. § 32 c Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 33 a WpHG. Da die systematischen Internalisierer Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind, gelten für sie auch die allgemeinen Verhaltensregeln nach
§§ 31 ff. WpHG.
4. Handelstransparenz
Aufgrund der im Vergleich zu alternativen Handelssystemen höheren Transaktionskosten hat in den
letzten Jahren eine Abwanderungsbewegung, weg von den traditionellen börslichen Handelsplätzen,
stattgefunden. Der Großteil des Wertpapierhandels wird mittlerweile über Multilaterale Handelssysteme und Systematische Internalisierer abgewickelt. Dies führt unter anderem dazu, dass die Markttransparenz – als Voraussetzung für Preisfindung und allokative Funktionsfähigkeit – abnimmt. Um
diesem Problem zu begegnen, wurde durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG) die
Pflicht zu Vor- und Nachhandelstransparenz eingeführt (§§ 30, 31 BörsG; §§ 31 g, 32 a WpHG).41 Die
Pflichten treffen die Börsen bzw. die Betreiber der Handelssysteme. Vorhandelstransparenz heißt,
dass der Preis des am höchsten limitierten Kaufauftrags und des am niedrigsten limitierten Verkaufsauftrags während der üblichen Geschäftszeiten kontinuierlich veröffentlicht werden muss
(§ 30 BörsG; § 31 g Abs. 1 WpHG). Systematische Internalisierer treffen ebenso Vorhandelstransparenzpflichten, die aber entsprechend modifiziert sind (vgl. § 32 a Abs. 1 WpHG).42 Nachhandelstransparenz heißt, dass Preis, Volumen und Zeitpunkt von abgeschlossenen Handelsgeschäften veröffentlicht werden müssen (§§ 31 BörsG, 31 g Abs. 3 WpHG). Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die
Eigenhandel oder Finanzkommissionsgeschäfte außerhalb von Börsen und Multilateralen Handelssystemen (also etwa per „Telefonhandel“) durchführen, müssen diese Geschäfte ebenso veröffentlichen
(§ 31 h WpHG). Diese Pflicht trifft grundsätzlich auch die Systematischen Internalisierer (s.o.).43
40
Siehe die MiFiD – Database der ESMA:
http://mifiddatabase.esma.europa.eu/Index.aspx?sectionlinks_id=16&language=0&pageName=MiFIDSystemat
icSearch&subsection_id=0.
41
Für Börsen gab es allerdings zuvor vergleichbare Pflichten zur Nachhandelstransparenz (§§ 13 Abs. 2 Satz 2
Nr. 4, 24 Abs. 2 Satz 3 BörsG a. F).
42
Ausführlich Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 136 f.
43
Assmann, in Assmann/Schneider, WpHG, § 31 h Rn. 4
16
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