Länger leben – die genetischen Grundlagen

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Länger leben – die genetischen Grundlagen
Jörg Hagmann
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Programm oder Abnützung?
Altern und Tod könnten die letzten Stufen eines «genetischen Programms» sein, so wie die Stufen der
Entwicklung genetisch festgelegt sind. Dagegen spricht:
• Bisher wurde kein Gen entdeckt, das, wenn ausgeschaltet, Altern und Tod verhindert.
• Um ein genetisches Programm entstehen zu lassen, braucht es einen Selektionsdruck. Schwer vorstellbar,
welchen Vorteil ein programmierter Tod bieten könnte, es sei denn, man postuliere eine Selektion auf
Gruppen- oder Speciesebene.
Die Programmtheorie hat kaum noch Anhänger. Fast alle sehen Altern und Tod als stochastischen Prozess,
als eine Akkumulation von Schäden, die schliesslich zum Tod führen. Da nach der Reproduktionsphase der
Darwinsche Selektionsdruck wegfällt oder, wie bei Homo sapiens, abnimmt 1 , entstehen keine zusätzlichen,
kostspieligen Abwehrmechanismen.
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Die ROS - Theorie
ROS steht für Reactive Oxygen Species. Damit sind Sauerstoffverbindungen gemeint, die als Nebenprodukte
des Stoffwechsels, vor allem (aber nicht nur) der oxidativen Phosphorylierung in der Atmungskette der
Mitochondrien, entstehen. Die wichtigsten ROS sind:
1. Superoxid (O 2 .–). Superoxid entsteht, wenn molekularer Sauerstoff (O 2) ein Elektron aufnimmt. Superoxid ist ein Radikal, da es ein ungepaartes Elektron besitzt.
2. Wasserstoffperoxid (H 2O 2). Wasserstoffperoxid entsteht z.B. aus Superoxid.
3. Hydroxylradikal (OH .). Entsteht z.B. aus H 2O 2. OH . ist das aggressivste ROS.
Wichtig: ROS sind nicht nur unvermeidliche Nebenprodukte des Stoffwechsels, sie haben auch Aufgaben in
der zellulären Signalübermittlung!
2.1 Wie schaden ROS?
ROS greifen DNA, Proteine und Fettsäuren an. In den Bilayers der zellulären Membrane sind die mehrfach ungesättigten Fettsäuren betroffen (Figur 1): OH . entzieht den Kohlenstoffatomen, die zwischen 2
Doppelbindungen liegen, ein Elektron – es entsteht Wasser und ein Lipidradikal. Das Lipidradikal oxidiert
benachbarte mehrfach ungesättigte Fettsäuren, usw. . . .
2.2 Schadensbegrenzung
Viele Enzyme und Antioxidantien reduzieren die ROS-Konzentration und reparieren Schäden an DNA,
Proteinen und Fettsäuren, z.B.:
•
•
•
•
•
1
Superoxiddismutase. Macht aus Superoxid H 2O 2.
Catalase und Glutathionperoxidase. Verwandeln H 2O 2 in Sauerstoff und Wasser.
Proteasen. Verdauen geschädigte Proteine.
DNA-Reparatursysteme.
Transacylierungssysteme. Ersetzen defekte Fettsäuren.
Der Mensch muss lernen, da die meisten Verhaltensweisen nicht angeboren sind. Alte Mitglieder einer Sippe von 20 - 30 Individuen
besassen grosse Erfahrung; deren Weitergabe nützte dem Fortpflanzungserfolg der Gemeinschaft und propagierte so auch die Gene
dieser «Alten».
1
.
OH
etc.
LH
H 2O
L
.
1. A hydroxyl radical removes hydrogen (H ) from
a methylene carbon. A carbon radical (-CH-) and H2O are formed
etc.
.
2. The double bonds are rearranged; only one possibility is shown
etc.
3. Oxygen is attracted; a lipid peroxyl radical is formed
O2
.
LOO
O
O
etc.
L
LH
.
LOOH O
.
etc.
OH
4. The next link in the chain: LOO attacks another fatty acid
Abbildung 1 Membranschäden an Fettsäuren:
eine Kettenreaktion. Figur aus Hagmann, in prep.
• Vitamine E und C, Carotenoide, Glutathion und andere Antioxidantien übernehmen ungepaarte Elektronen.
• Autophagie. Intrazelluläre Verdauung defekter, und somit gefährlicher, Organellen wie z.B. Mitochondrien.
2.3 Was spricht dafür?
Die Gene der meisten in Abschnitt 2.2 erwähnten Enzyme wurden in Modellorganismen – meist Caenorhabditis elegans (ein Fadenwurm), Drosophila oder Maus – überexprimiert oder «ausgeknockt». Oft lebten
die Tiere dann, wie erwartet, länger oder weniger lang, oft blieb der Erfolg auch aus. Einige Eingriffe
wirkten in Species A, nicht aber in B und umgekehrt. Im Grossen und Ganzen stützen die Experimente die
Theorie.
Je grösser eine Species, desto niedriger ist der spezifische Grundumsatz (Energieverbrauch pro Gramm) und
desto länger leben die Tiere. Gleichzeitig nimmt der Peroxidationsindex der Membranen ab, weil die Menge
der vielfach ungesättigten Fettsäuren, vor allem der Docosahexaensäure (22 C-Atome, 6 Doppelbindungen)
in den Phospholipiden abnimmt. Weniger Membranlipidperoxidation durch ROS – längeres Leben: das passt.
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Eine Alternative
Obwohl allgemein akzeptiert, kennt die ROS-Theorie auch Skeptiker. Zwei Kritikpunkte sind:
1. Experimente mit Antioxidantien – Vitaminen und anderen – bringen keinen Erfolg. Auch der Mensch
reagiert auf Antioxidantien-Supplements nicht wie erwartet.
2. Der Nacktmull 2 (Heterocephalus glaber lebt bedeutend länger als es ihm auf Grund seiner Grösse
zusteht (mindestens 30 Jahre, verglichen mit 3-4 Jahren für eine gleich grosse Maus). Zwar passt seine
Membranlipidzusammensetzung zur Lebenslänge (viel weniger Docosahexaensäure als die Hausmaus),
aber die ROS-Aktivität ist höher, Superoxiddismutase und Catalase sind gleich aktiv und die GlutathionPeroxidase ist niedriger als bei der Maus.
2
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3.1 TOR und mTOR
mTOR steht für mammalian Target of Rapamycin und reguliert Stoffwechsel und Wachstum (Rapamycin wird für die Immunsuppression verwendet). Mike Hall vom Biozentrum Basel hat TOR in der Hefe entdeckt.
Stark vereinfacht gilt: Glucose, Aminosäuren, Insulin und Wachstumsfaktoren stimulieren (m)TOR, Fasten hemmt. (m)TOR stimuliert die Proteinsynthese, das Zellwachstum und die Zellteilung und hemmt die Autophagie sowie die Stressresistenz. (Autophagie – das intrazelluläre «Fressen» von Organellen – liefert dem Stoffwechsel Substrate und eliminiert
defektes Material; Autophagie wirkt lebensverlängernd).
Auf diesen und vielen anderen Beobachtungen basiert die Hypothese von
Blagosklonny (Figur 2):
1. TOR (mTOR in Säugern) braucht es für das Wachstum und die Reproduktionsphase. (Knockt man sein Gen aus, sterben die Embryonen
ab).
2. Nach der Fortpflanzungsphase schadet TOR. Es fördert den Alterungsprozess und verkürzt das Leben. mTOR begünstigt die zwei
«Alterskrankheiten» Krebs und Diabetes.
Abbildung 2 TOR mit seinen 3. Warum wird TOR im Alter nicht unterdrückt? Weil der Selektionsdruck verschwunden oder vermindert ist. Nur ein Selektionsdruck
Upstream- und Downstreamkann einen (kostspieligen) Kompensationsmechanismus entstehen
Verbindungen. Aus: Blagosklonlassen
ny, Cell Cycle 7 (21), 3344.
ren, ich erwähne nur zwei:
Mit der TOR-Hypothese lassen sich verschiedene Beobachtungen erklä-
• Kalorienreduktion ist bisher die einzige zuverlässige Methode, Leben zu verlängern. Kalorienreduktion
(wie auch lange Intervalle zwischen den Mahlzeiten) hemmt TOR.
• Im Versuch kann eine Hemmung der Insulin- und Insulin Like Growth Factor - Rezeptoren lebensverlängernd wirken. Aber Insulinresistenz gilt als schädlich (ok, nicht bei allen Experten). Das geht auf,
wenn man TOR berücksichtigt: hohe TOR-Aktivität fördert die Insulinresistenz. Das hemmt zwar die
TOR-Stimulierung durch Insulin (negativer Feedback), nicht aber die vielen anderen TOR-Aktivatoren.
Stimmt die Hypothese, müssen wir damit rechnen, dass Medikamente entwickelt werden, die mTOR
hemmen und das Leben verlängern.
Wer sich für die TOR-Hypothese interessiert, findet Genaueres in:
Blagosklonny MV (2008): Aging. ROS or TOR. Cell Cycle 7 (21) 3344-3354.
Blagosklonny MV (2007): Paradoxes of aging. Cell Cycle 6 (24) 2997-3003.
Meine e-mail-Adresse: [email protected]
30. April 2009
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