Sein oder nicht sein Subjektauslassungen in SMS französischer Sprache Vortrag anlässlich des Workshops des DPL und des LIPP, Zürich, 07.12.2012 Aurélia Robert-Tissot [email protected] eingereicht am 04.06.2013 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Fragestellung und Hypothesen 2.1 Drei Drop-Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Vorhersagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2 5 3 Korpus 5 4 Ergebnisse: Überprüfung der Hypothesen aus 2.2 4.1 Überprüfung von Hypothese I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Überprüfung von Hypothese II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 6 7 5 Diskussion der Ergebnisse und Ausblick 9 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot Sein oder nicht sein Subjektauslassungen in SMS französischer Sprache1 1 Einleitung Wie das Beispiel in (1a) aus unserem Korpus (vgl. Kapitel 3) verdeutlicht, wird die normative Orthographie in SMS französischer Sprache nicht systematisch berücksichtigt. Der Vergleich mit (1b), das die Standardorthographie derselben Passage wiedergibt, macht deutlich, wie gross die Abweichung zur Norm sein kann. (1) a. Oué jv cntinué ac elle cbi1.é oué 1er echec sa rmé lé idé en plas.cela di 6gt paC jrmetré ri1 en koz..dur lé vac ché lé gp.smak! (11226)2 b. Ouais, je vais continuer avec elle, c’est bien. Et ouais, premier échec, ça remet les idées en place. Cela dit si j’étais passé, je (ne) remettrais rien en cause… Dures les vacances chez les grands-parents. Smak! ‘Ja, ich werde mit ihr weitermachen, das ist gut. Und ja, erster Misserfolg, das ordnet die Gedanken wieder. Das heisst, wenn ich durchgekommen wäre, würde ich nichts hinterfragen... hart, die Ferien bei den Grosseltern. Smak!’ Die Frage, die uns hier beschäftigen soll, ist jedoch nicht, wie stark ein SMS von der orthographischen Norm abweicht, sondern vielmehr, ob und wie die graphische Markierung relevanter grammatischer Informationen erfolgt. In der Presse liest man oftmals Aussagen wie die folgende: „Laut dem Institut der Deutschen Sprache ‚bleiben junge Menschen, die nur über SMS kommunizieren, in ihrer Grammatik äusserst beschränkt‘“ (AP/dpa 2005: 1). Diese ohnehin grob pauschalisierende Aussage3 bezieht sich jedoch allenfalls auf die normative Schulgrammatik, die nicht mit einer deskriptiven Analyse gleichgesetzt werden kann. Im Folgenden soll es demgegenüber darum gehen zu erörtern, ob und in welcher Form eine Art Grundstock ‚unantastbarer‘ grammatischer Informationen (der nicht unbedingt der präskriptiven Norm entsprechen muss) in einem SMS-Korpus nachgewiesen werden kann. Dabei beschränken wir uns auf die Analyse der graphischen Realisierung des Subjekts, genauer gesagt auf die Auslassung desselben in SMS französischer Sprache. In Kapitel 2 wird die Fragestellung genauer umrissen und der theoretische Hintergrund für die Analyse wird erläutert. Darauf aufbauend können verschiedene Hypothesen formuliert werden. In Kapitel 3 wird die Datenbasis vorgestellt und Kapitel 4 stellt erste Ergebnisse der Untersuchung vor. Diese werden in Kapitel 5 diskutiert. Letzteres endet mit einem kurzen Ausblick. 1 An dieser Stelle sei Natascha Pomino und Elisabeth Stark für die wertvollen Hinweise gedankt. Die in Klammern angegebene Zahl bezieht sich auf die eindeutige Identifikationsnummer (ID) der Nachricht. 3 Aus Platzgründen wird hier auf die Diskussion der problematischen Formulierung „nur über SMS kommunizieren“ verzichtet. 2 1 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot 2 Fragestellung und Hypothesen Wie bereits erwähnt, wird hier der Frage nach den Bedingungen für eine Auslassung des Subjekts in SMS nachgegangen, und zwar unter rein sprachlichen, nicht soziolinguistischen Gesichtspunkten. Zentrale Fragen sind im Folgenden: Welcher sprachliche Kontext erlaubt das Weglassen des im Standardfranzösischen obligatorischen Subjekts in SMS? Und welche Konsequenzen hat dies für die Analyse des in diesem Medium verwendeten Französisch? 2.1 Drei Drop-Arten Basierend auf Sigurđsson (2011) können drei verschiedene Typen von Argumentauslassungen unterschieden werden. Das sogenannte Discourse-Drop ist in asiatischen Sprachen, wie z.B. dem Chinesischen, verbreitet. Dieser Typ der Argumentauslassung, bei dem jedes beliebige Argument wegfallen kann, ist höchstwahrscheinlich vom aussersprachlichen Kontext abhängig.4 (2) Kanjian ta le sehen.Ø-agr 3.m.sg.acc prf.Ø-agr (Sigurđsson 2011: 268) ‘Er/sie etc. hat ihn gesehen’ Das für germanische V2-Sprachen typische Topic-Drop in (3) beschreibt hingegen die Auslassung eines topikalisierten Elements vor dem finiten Verb in assertiven Sätzen. (3) Ø komme heute vorbei. Die ausgelassene Konstituente muss in der syntaktisch vorgesehenen Topic-Position (z.B. Spec,CP5 ) stehen, also die erste Konstituente im Satz sein. Dies schliesst ein solches Phänomen im Nebensatz (vgl. (4)) gleichermassen aus wie das Topic-Drop etwa in Fragesätzen (vgl. (5)) oder die Besetzung dieser Topic-Position z.B. durch ein temporales Adverbiale (Adjunkt; vgl. (6b)): (4) ich will, dass *(er) kommt (5) wann können *(wir) kommen? (6) a. (ich) kenne das nicht b. jetzt kenne *(ich) das nicht In (7) wird die Struktur der Beispiele in (6) als Baumdiagramme verdeutlicht. Rot umkreist ist die Spec,CP-Position, in der ein topikalisiertes Element wegfallen kann. 4 Auf das Discourse-Drop wird im Folgenden nicht näher eingegangen, da es für die vorliegende Analyse nicht relevant bzw. als plausibler Erklärungsansatz erscheint. 5 Spec,CP bezeichnet im X’-Schema den Spezifizierer der CP-Projektion, d.h. diejenige Position, die einen vollständigen Satz oder Teilsatz abschliesst (vgl. auch (7)). 2 Sein oder nicht sein (7) a. Aurélia Robert-Tissot b. In Topic-Drop-Sprachen ist die Interpretation eines weggelassenen Subjekt-Arguments am häufigsten die 1. Person Singular (vgl. Sigurđsson 2011: 289), wobei das Phänomen nicht auf das Subjekt beschränkt ist. So können ebenfalls topikalisierte Objekte ausgelassen werden: (8) (den) hab ich gesehen Ein anderer Fall von Subjektauslassung besteht im Phänomen des sogenannten proDrop, das die meisten romanischen Sprachen kennen. Pro steht für ein vorhandenes, aber nicht overt realisiertes Subjektpronomen eines finiten Verbs (vgl. Sigurđsson 2011: 269), das als theta- und kasusfähiges Subjektargument die kanonische Subjektposition Spec,TP innerhalb der syntaktischen Baumstruktur besetzt (vgl. (9) und (10)). (9) pro parlo islandese (Sigurđsson 2011: 268) ‘pro spreche Isländisch’ (10) In pro-Drop-Sprachen kann das Subjekt (und nur das Subjekt) bei gegebener Identifizierung (d.h. seine Referenz muss klar sein) in allen sprachlichen Kontexten ,wegfallen‘ bzw. das Subjekt wird nur unter bestimmten Bedingungen overt realisiert. Zum Verständnis der folgenden Hypothesen und Ergebnisse ist vor diesem Hintergrund eine weitere Überlegung wesentlich: In der Literatur wurden klitische Subjektpronomina des Nicht-Standardfranzösischen mehrfach als Kongruenzmarkierer analysiert (vgl. u.a. Culbertson 2010, Fonseca-Greber 2004, Kaiser 1992). Sie wären dann keine Argumente mehr, sondern würden die gleiche Funktion wie z.B. italienische Flexionsaffixe übernehmen. Das französische je in je parle würde strukturell gesehen dem -o in parlo entsprechen, wobei je präverbal und -o postverbal an das Verb herantritt (vgl. (11)). Geht man nun davon aus, dass je eine Art Kongruenzpräfix ist, dann ist die Annahme von pro in der Subjektposition die logische Folge. Somit wäre das Nicht-Standardfranzösische eine proDrop-Sprache. 3 Sein oder nicht sein (11) Aurélia Robert-Tissot a. pro parl- o Ø sagen -1.sg b. pro je parl- o Ø 1.sg sagen Diese Annahme ist allerdings aus verschiedenen Gründen nicht unumstritten: So impliziert sie beispielsweise, dass die Kongruenzmarkierer in jedem syntaktischen Kontext als Affixe bzw. Präfixe vor dem konjugierten Verb auftreten sollten (vgl. Culbertson 2010: 101ff.). Dies trifft aber auf den ersten Blick nicht zu: Wie unzählige Beispiele aus unserem Korpus zeigen (vgl. etwa (12) und Abb. 2 und Abb. 4), fallen expletive Subjekte beispielsweise sehr häufig weg (vgl. z.B. auch Fonseca-Greber 2004). (12) Tu peux venir au match? Demande à tes parents Ø faut que je sache demain matin. Ciao (9659) ‘Kannst du zum Match kommen? Frage deine Eltern Ø ist nötig, dass ich es morgen Morgen weiss. Ciao’ Dies ist an sich jedoch kein (oder kein ausreichendes) Gegenargument zu einer proDrop-Analyse. So betont Fonseca-Greber (2004: 83), dass die dritte Person unmarkiert ist und daher die Herausbildung eines Null-Kongruenzmorphems gerade für diese Person (im Zusammenhang mit Expletiva) erwartbar ist. Ausserdem gibt es laut Kaiser (1992: 115) auch Beispiele von selektiver Argumentkongruenz (z.B. nur mit definiten Objekten im Ungarischen). Kombiniert man nun diese beiden Aspekte und hält man an der pro-DropEigenschaft für das Nicht-Standardfranzösische fest, dann ergibt sich das nachstehende Paradigma für die Nicht-Standardfranzösischen Kongruenzmarkierer. Abbildung 1: Paradigma der Kongruenzmarkierer in Nicht-Standardfranzösisch Das oben genannte Beispiel (12) ([…] Ø faut que […]) ist nach den eben erwähnten Annahmen wie folgt zu analysieren: (13) […] proexpl Ø faut que […] Das Subjekt ist hier ein unpersönliches (nicht overtes) pro; die Kongruenz zwischen proexpl und Verb wird durch das ‚Präfix‘ Ø (Null) realisiert. Diese Art von Analyse funktioniert allerdings nur unter der Prämisse, dass bei gleichbleibendem Argumenttyp auch immer derselbe Kongruenzmarkierer gewählt wird. Ob diese Annahme (und andere Annahmen, vgl. Kapitel 2.2) tatsächlich haltbar ist, wird in Kapitel 5 diskutiert. 4 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot 2.2 Vorhersagen Die Zugehörigkeit der Subjektauslassungen in französischen SMS zu dem einem oder anderen in Kapitel 2.1 beschriebenen Typ können wir anhand des typenspezifischen Verhaltens bestimmen. Mit anderen Worten: Gehen wir z.B. davon aus, dass es sich bei den Subjektauslassungen in französischen SMS um Topic-Drop handelt, dann müssten – basierend auf die in Kapitel 2.1 erläuterten Eigenschaften dieses Phänomens – auch folgende Voraussagen zutreffen: (14) Hypothese I: Topic-Drop a. Das weggefallene Subjekt ist in den meisten Fällen als 1. Person Singular zu interpretieren. b. Die Subjektauslassungen sind auf den deklarativen Matrixsatz vor finitem Verb beschränkt. Bei einer Analyse der Subjektklitika als Flexionsaffixe und somit der betreffenden Sprachvarietät als pro-Drop können aufgrund der diesem Phänomen zugrunde liegenden Eigenschaften (vgl. Kapitel 2.1) folgende Hypothesen aufgestellt werden: (15) Hypothese II: Pro-Drop (Klitika als Kongruenzmarkierer) a. Die Kongruenzmarkierer werden bei jedem finiten Verb wiederholt, insbesondere auch bei referenzidentischen Subjekten in Koordinationsstrukturen. b. Die Subjektverdoppelung durch Kongruenzmarkierer ist bei starken Pronomina, Eigennamen und DPs obligatorisch. c. Die Kongruenzmarkierer dürfen keine Sensibilität bzgl. syntaktischem Kontext (Matrixsätze vs. subordinierte Sätze vs. Koordinationsstrukturen) zeigen. Diese Hypothesen sollen nach einer kurzen Beschreibung der vorliegenden Daten im nächsten Kapitel geprüft werden. 3 Korpus Bei den untersuchten Daten handelt es sich um 1‘000 französische SMS aus dem Korpus des Projekts sms4science. Erhebungszeitraum war November 2009 bis Juli 2011. Insgesamt konnten 25‘957 SMS in allen Landessprachen der Schweiz gesammelt werden, wovon 4‘624 auf das Französische entfallen. Von 79% der Teilnehmer stehen zudem soziodemographische Daten zur Verfügung. Weitere Informationen sind in Dürscheid/Stark (2011) oder auf der Projekthomepage www.sms4science.ch zu finden. Für diesen Vortrag wurden die ersten 1‘000 französischen SMS aus dem Korpus deskriptiv ausgewertet.6 4 Ergebnisse: Überprüfung der Hypothesen aus 2.2 In diesem Abschnitt sollen die Daten im Hinblick auf die in (14) und (15) formulierten Hypothesen untersucht werden. 6 Statistische Tests wurden noch keine durchgeführt. 5 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot 4.1 Überprüfung von Hypothese I Wenn man die Beispiele (16)-(18) aus unserem Korpus betrachtet, in denen das topikalisierte Subjekt eines deklarativen Matrixsatz vor dem finiten Verb ausgelassen wird, scheint die Hypothese I (zumindest auf den ersten Blick) plausibel. (16) Hello, Ø T envoyé la suite biz (12853) ‘Hello, Ø habe dir die Folge geschickt kuss’ (17) Ha cool je suis soulagée! Ø me réjouis de passer voir!bonne soirée (13103) ‘Ha cool ich bin erleichtert! Ø freue mich dich sehen zu kommen! guten Abend’ (18) […] Ah j’allais presque oublié j’ai très envie de toi tes lèvress me manque! Un baiser de toi et c’est à nouveau l’été tes bras en plus c’est l’été indien! Ø T’embrasse fort Ø suis dispo ce soir si tes pulsions grimpe aussi (10586) ‘[…] Ah ich hätte es fast vergessen ich habe sehr Lust nach dir deine Lippen fehlen mir! Ein Kuss von dir und es ist wieder Sommer deine Arme dazu und es ist Altweibersommer! Ø küsse dich fest Ø bin verfügbar heute Abend wenn deine Triebe ebenfalls emporklettern’ Zählt man aber alle Subjektauslassungen zusammen, so fallen etwa 10% der pronominalen Subjekte der 1. Person Singular und etwa genauso viele der 3. Person Singular aus.7 Die 2. Person Singular hat eine Ausfallrate von weniger als 5%. Die Zahlen für den Plural sind wenig aussagekräftig, da die Fallzahlen zu klein sind (vgl. Abb. 2). Es gilt zu beachten, dass hier die pronominalen Subjekte die Grundgesamtheit bilden, da nur diese ausfallen können: „Crucially, a nonpronominal reading [of the omitted subject, ART] is always excluded. […] it must be interpretable as a (null-) pronominal reference […]” (Sigurđsson 2011: 289). Die hohe Ausfallrate auch in der dritten Person lässt sich durch den fast systematischen Wegfall des Expletivums il mit dem unpersönlichen Verb falloir erklären (vgl. (19)). (19) Pas de souci ;-) ouais Ø faut qu’on se fasse un truc bientôt! Bonne journée bisous (8892) ‘Keine Sorge ;-) ja Ø ist nötig dass wir uns bald ein Ding machen! Guten Tag Küsse’ Betrachtet man den syntaktischen Kontext, so fällt auf, dass tatsächlich nur in sieben von 631 Fällen ein Subjekt in einem untergeordneten Satz wegfällt (vgl. Abb. 3). Davon 7 Bei der Auszählung wurden nur die Personalpronomina ohne Demonstrativa berücksichtigt. Der Status von ce/ça als Expletiva oder ‚echten‘ Pronomen ist umstritten (vgl. z.B. Jones 2006: 127ff. oder Maillard 1994). 6 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot Abbildung 2: Ausfall der pronominalen Subjekte nach Person (ohne Demonstrativa) sind 6 vor dem unpersönlichen Verb y avoir 8 zu finden (z.B. in (20)) und ein Fall lässt einen Tippfehler vermuten (vgl. (21))9 . (20) On ma demandé si (Ø) yavai le père fouettar avec le saint florian?? et combien sa coute??merci bisou (12772) ‘Man hat mich gefragt ob (Ø/es) den Knecht Ruprecht mit dem Sankt Florian hat?? und wie viel es kostet??danke Kuss’ (21) Mais tu peux juste me dire keske tu à fais ce week pour ke ? Ø le puisse déjà écrire stp!!bisou (10821) ‘Aber kannst du mir nur sagen was du dieses Wochenende gemacht hast damit ? Ø es schon schreiben kann bitte!!kuss’ Was aber ebenfalls auffällt ist, dass Expletiva10 noch viel häufiger ausfallen (in 50% der Fällen) als die übrigen pronominalen Subjekte (knapp 7%) (vgl. Abb. 4). Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass Hypothese I nicht bzw. nicht ohne weitere Annahmen haltbar ist. 4.2 Überprüfung von Hypothese II Erinnern wir hier kurz daran, dass man bei der Hypothese II (vgl. (6)) davon ausgeht, dass die Subjektklitika Kongruenzmarkierer und keine Argumente sind. Daher sollten sie auch in Koordinationsstrukturen mit gleichbleibender Referenz uniform auftreten bzw. 8 Da auch im gesprochenen Französisch die Verschmelzung von il und dem nachfolgenden y häufig ist (vgl. Blanche-Benveniste 2 2000: 38), kann man hier von einer Orthographie ausgehen, die ebendiese Lautstruktur imitiert: [il ja] > [i ja] > [ja] auf phonischer Ebene entspricht einer graphischen Umsetzung von <il y a> zu <ya>. 9 Zu vermuten ist, dass das direkte Objektpronomen le eigentlich ein je hätte sein sollen. Darauf weist die Position vor dem konjugierten Verb (statt vor dem Infinitiv) hin. Diese Hypothese ist auch plausibel, da sich das j und das l auf derselben Taste der Handytastatur befinden und sie sich durch verschiedenhäufiges Drücken derselben anwählen lassen. 10 Wiederum ohne Demonstrativa gezählt (vgl. Fussnote 7). 7 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot Abbildung 3: Ausfall der pronominalen Subjekte in subordinierten Sätzen Abbildung 4: Ausfall der pronominalen Subjekte insgesamt und von Expletiva (ohne Demonstrativa) nicht häufiger wegfallen als in anderen syntaktischen Kontexten. Allerdings lässt sich eine leichte Tendenz zum häufigeren Wegfall (ca. 13% gegen ca. 7% insgesamt) in ebendiesen Strukturen feststellen (vgl. Abb. 5). Die Kongruenzmarkierer müssten laut Hypothese II auch mit starken Pronomina, Eigennamen und DPs systematisch auftreten. Dies ist aber klar nicht der Fall, wie Abb. 6 zeigt. Bei den starken Pronomina wurde ça miteinbezogen, was auch hier die relativ niedrige Wiederaufnahme erklärt (wenn man gegen Jones (2006: 127) davon ausgeht, dass ça expletiv sein kann). Die letzte Voraussage von Hypothese II betrifft die Insensibilität bzgl. des syntaktischen Kontexts. Zwischen koreferentiellen Koordinationsstrukturen und Subordinationsstrukturen gibt es aber einen merkbaren Unterschied was die Ausfallrate von Subjekten betrifft, wie die Abb. 7 zeigt. 8 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot Abbildung 5: Ausfall der pronominalen Subjekte in Koordinationsstrukturen (koreferentiell und nicht koreferentiell; ohne Demonstrativa) 5 Diskussion der Ergebnisse und Ausblick Die Hypothese I (Topic-Drop) bestätigt sich im Hinblick auf die syntaktische Umgebung, in der das Subjekt weggelassen werden kann.11 Jedoch lässt sie sich nicht mit dem noch häufigeren Wegfall von Expletiva in Einklang bringen, da informationsstrukturell gesehen Expletiva keine Topics sein können. Eine Analyse des Subjektausfalls in französischen SMS als Topic-Drop erscheint also eher unwahrscheinlich. Die Hypothese II (Pro-Drop) analysiert die Klitika als Kongruenzmarkierer, die ausser bei nicht referentiellen Subjekten immer anwesend sein sollten. Dies ist aber v.a. bei Koordinationsstrukturen mit gleicher Referenz bei weitem nicht immer der Fall. Andere starke Subjekte (Pronomina, DPs, Eigennamen) werden nur ausnahmsweise statt wie vorhergesagt regelmässig durch einen Kongruenzmarkierer verdoppelt. Schliesslich lässt sich auch eine Sensibilität bzgl. des syntaktischen Kontexts ausmachen, die laut Voraussagen nicht auftreten dürfte. Im Hinblick auf diese Ergebnisse scheint auch eine Analyse des in SMS verwendeten Französisch als pro-Drop problematisch. Zusammenfassend kann also weder die Topic-Drop- noch die pro-Drop-Hypothese die Befunde erklären. Da wir von einem syntaktisch regulierten Phänomen ausgehen, kann das in Kapitel 2.1 erwähnte Discourse-Drop, das auf kontextuelle bzw. pragmatische Faktoren zurückgreift, nicht als (hinreichender) Erklärungsansatz dienen. Daher stellt sich die Frage, ob unseren Daten andere Regeln als der gesprochenen ,Umgangssprache’ und der normierten Schriftsprache zugrunde liegen. Der Ansatz von einer registerspezifischen Varietät im Sinne von Haegeman (2007), dem noch nicht ausreichend nachgegangen werden konnte, könnte eine datengerechtere Beschreibung ermöglichen. 11 Aber vgl. hierzu die Diskussion um Beispiel (22). 9 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot Abbildung 6: Subjektverdoppelungen mit starken Pronomina (inklusive ça), DPs und Eigennamen Abbildung 7: Ausfall der pronominalen Subjekte nach syntaktischer Struktur Since the data pattern very much like the null subject phenomena in child language, for which a number of accounts have been proposed in the literature, the register-related data also provide a new empirical domain to test these accounts (Haegeman 2007: 94/Hervorhebung ART). Auffallend ist, dass die bisherigen Auswertungen Parallelen zum von Haegeman (2007) untersuchten Diary-drop (Subjektauslassungen in Tagebüchern) aufweisen, die es weiter zu verfolgen gilt. In diesem Rahmen steht insbesondere die Untersuchung der Elemente an, die dem ausgefallenen Subjekt vorangehen. So wäre ein Beispiel wie (22), bei dem ein Adjunkt einem leeren Subjekt vorausgeht, ebenfalls ein Gegenargument zur Topic-DropHypothese, da dem ausgelassenen Element nichts vorausgehen dürfte. (22) […] Hier Ø suis allée chez le docteur qui m a attribué une bronchite infectieuse! […] (19357) ‘[…] Gestern Ø bin zum Arzt gegangen, der mir eine ansteckende Bronchitis attestiert hat!’ Gerade solche Beispiele finden sich aber in Tagebüchern (Diary-drop) und sind auch in unserem Korpus gut vertreten. 10 Sein oder nicht sein Aurélia Robert-Tissot Was für das Englische zu gelten scheint, wird sich wohl auch im Französischen als wahr herausstellen: “ […] written English is not a subset of spoken English, but rather vice versa; not all written sentences are grammatical in spoken English” (Weir 2009: 28). Die in SMS verwendete Varietät kann nicht als Teilmenge von gesprochenen Varietäten interpretiert werden, sondern es liegen ihr eigenständige Regeln zugrunde, die offenbar auch in anderen ‚abkürzenden‘ Schreibstilen wie Tagebucheinträgen zum Tragen kommen. Literatur AP/dpa. 2005. Beschränkte Grammatik durch SMS. URL http://omega.twoday.net/ stories/581604/, http://omega.twoday.net/stories/581604/, accessed: 23.9.2012. Blanche-Benveniste, Claire. 2000. Approches de la langue parlée en français. Gap: Ophrys, 2 edition. Culbertson, Jennifer. 2010. Convergent evidence for categorial change in French: From subject clitic to agreement marker. Language 86:85–132. DeCat, Cécile. 2005. French subject clitics are not agreement markers. Lingua 115:1195– 1219. Dürscheid, Christa, and Elisabeth Stark. 2011. sms4science: An international corpusbased texting project and the specific challenges for multilingual Switzerland. In Digital Discourse. Language in the New Media, ed. Crispin Thurlow and Kristine Mroczek, 200–320. Oxford: Oxford University Press. Fonseca-Greber, Bonnie B. 2004. Zero Marking in French Impersonal Verbs. A Counter Trend to Clitic Morphologization? In Proceedings of the Annual Meeting of the Berkeley Linguistics Society, volume 30, 81–92. Haegeman, Liliane. 2007. Subject omission in present-day written English: on the theoretical relevance of peripheral data. Rivista di Grammatica Generativa 32:91–124. Jones, Michale Allan. 2006. Foundations of French syntax. Cambridge: Cambridge University Press. Kaiser, Georg. 1992. Die klitischen Personalpronomina im Französischen und Portugiesischen. Eine synchrone und diachrone Analyse. Frankfurt am Main: Vervuert. Koch, Peter, and Wulf Oesterreicher. 1994. Schriftlichkeit und Sprache. In Schrift und Schriftlichkeit/Writing and its Use. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung/An Interdisciplinary Handbook of International Research, 587–604. Berlin/New York: de Gruyter. Maillard, Michel. 1994. Concurrence et complémentarité de il et ça devant les prédicats impersonnels en français contemporain, ou comment distinguer une phrase asubjectale d’une phrase à sujet indistinct. L’Information grammaticale 62:48–52. Sigurđsson, Halladór Armann. 2011. Conditions on Argument Drop. Linguistic Inquiry 42:267–304. 11