Jahrbuch 2005/2006 | Sazonov, Sergey; Revnivtsev, Mike | Ursprung kosmischer Röntgenstrahlen aus der Milchstraßenebene Ursprung kosmischer Röntgenstrahlen aus der Milchstraßenebene Origin of cosmic X-rays from Milky Way disk Sazonov, Sergey; Revnivtsev, Mike Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Zusammenfassung Um das Rätsel um den Ursprung der Röntgenstrahlung in der Milchstraßenebene (GRXE, engl. Galactic ridge X-ray emissionzu lösen w ird die genaue räumliche Verteilung dieser Strahlung mithilfe von Daten des Röntgensatelliten RXTE (engl. Rossi X-ray Timing Explorer) untersucht. Die gefundene Verteilung ist sehr ähnlich der, die man für die Infrarotstrahlung von Objekten in der Ebene der Milchstraße und ihrer zentralen linsenförmigen Verdickung findet, w as bedeutet, dass die diskutierte Röntgenstrahlung der Verteilung der Sterne unserer Galaxie folgt. Im zw eiten Teil der Untersuchung w erden Beobachtungen der beiden Satelliten RXTE and ROSAT benutzt, um die Gesamtstrahlung von schw achen Röntgenquellen in der Umgebung der Sonne zu ermitteln. Diese Abschätzung zeigt, dass der Hauptteil der Röntgenstrahlung in der Milchstraßenebene verstanden w erden kann als Überlagerung der Strahlung von Tausenden von kataklysmischen Veränderlichen und Millionen von Sternen mit aktiver Korona. Summary Abs tra ct In order to solve the puzzle of the origin of the Galactic ridge X-ray mission (GXRE), its spatial distribution w as studied in detail w ith the RXTE observatory. The obtained X-ray map is very similar to the near-infrared map of the Galactic disk and bulge, w hich implies that the GRXE closely traces the stellar population of the Galaxy. In the second part of this study RXTE and ROSAT observations w ere used to evaluate the total volume emissivity of faint X-ray sources in the Solar neighborhood. Based on this estimate it w as show n that the bulk of the GRXE is likely a superposition of emission from thousands of cataclysmic variables and millions of coronally active stars. Die kosmische Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene mit Energien höher als 2keV lässt sich in zw ei w esentliche Beiträge zerlegen - eine w eitgehend uniforme Hintergrundstrahlung (CXB, engl. Cosmic X-ray background) und eine scheinbar diffuse Emission, die sich im Bereich der Milchstraßenebene konzentriert (GRXE, engl. Galactic ridge X-ray emission). W ie bereits seit längerer Zeit bekannt, lässt sich erstere als Überlagerung der Strahlung von extragalaktischen Röntgenquellen (aktiver galaktischer Kerne) verstehen. Der Ursprung der scheinbar diffusen Emission blieb bislang ungeklärt. W ie schon frühere Beobachtungen mit verschiedenen Röntgensatelliten zeigten, kommen die maximalen We rte der Strahlung aus der Milchstraßenebene aus einem großen Längengradbereich, aber nur einigen © 2006 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2005/2006 | Sazonov, Sergey; Revnivtsev, Mike | Ursprung kosmischer Röntgenstrahlen aus der Milchstraßenebene w enigen Breitengraden. Zudem ist w ahrscheinlich die Intensität im Zentrum hoch. Verschiedene Emissionslinien stark ionisierter schw erer Elemente im Energiespektrum der Röntgenstrahlung w eisen daraufhin, dass diese Strahlung von einem heißen Plasma von 5-10 keV emittiert w ird. Die gesamte Leuchtkraft w ird auf ~ 1-2 x 10 38 erg s -1 geschätzt. Die Emission w ird bis zu Energien von (mind.) 20-25 keV beobachtet. Das Spektrum oberhalb von 3 keV besteht aus einem Kontinuumsanteil, der einem Potenzgesetz (mit Photonenindex ~ 2.1) folgt, sow ie starken Emissionslinien bei 6-7 keV. Bereits kurz nach der Entdeckung mit Beginn der Röntgenbeobachtungen vor ca. 30 Jahren w urde der Vorschlag diskutiert, dass diese Strahlung auf eine große Anzahl schw acher punktartiger Röntgenquellen (w ie z.B. Röntgendoppelsterne, kataklysmische Variable oder Sterne mit aktiver Korona) zurückzuführen sei. Es w ar jedoch bis vor kurzem unmöglich, diese Hypothese einem kritischen Test zu unterziehen, da die Häufigkeit und die Leuchtkraftverteilung der relevanten Objekte nicht hinreichend genau bekannt w aren. Andererseits blieben, trotz der sich ständig verbessernden Empfindlichkeit moderner Röntgenteleskope, auch alle bisherigen Versuche einer direkten Auflösung von diskreten Quellen ohne Erfolg. Kürzlich w urde beispielsw eise mit den neuen Röntgenteleskopen CHANDRA und XMM-New ton (untere Flußgrenze ~ 3 x 10 -15 erg s -1 cm-2 ) Langzeitbeobachtungen durchgeführt, die sich auf ausgew ählte Bereiche der Milchstraßenebene konzentrierten. Dabei w urde lediglich eine Auflösung von ca. 10-15% der Objekte, die die Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene verursachen, erzielt, w obei noch ein signifikanter Anteil der aufgenommenen Strahlung extragalaktischen Quellen zuzuordnen ist. Der relativ geringe Beitrag auflösbarer galaktischer Röntgenquellen w ird von einigen Forschern als ein Bew eis dafür angesehen, dass die Strahlung tatsächlich einen diffusen Ursprung besitzt. Allerdings lassen sich auch gegen diese Hypothese starke Einw ände erheben. Der Hauptpunkt ist, dass das Spektrum thermisch ist, w as impliziert, dass das emittierende Plasma eine sehr hohe Temperatur besitzt (~ 510 keV). Aus einer derart heißen, diffusen Plasmaw olke in der galaktischen Ebene w ürde ständig Materie in die umgebenden kälteren Gebiete abfließen. Es w äre demnach eine unw ahrscheinlich hohe, ständige Energie- und Materiezufuhr notw endig, um ein solches Hochtemperaturplasma dauerhaft zu erhalten. XTE/P C A-Ka rte (Be oba chtunge n m it de m P C A-Spe k trom e te r de s R ossi X-ra y Tim ing Ex plore r) de s Him m e ls in de r Um ge bung de r Milchstra ße ne be ne im 3-20 k e V W e lle nlä nge nba nd (we iße Konturlinie n), übe rla ge rt m it de r (fa rbige n) C O BE/DIR BE-Na hinfra rotk a rte (3.5 μm ). © Ma x -P la nck -Institut für Astrophysik Um nun den tatsächlichen Ursprung der in der Milchstraßenebene konzentrierten Röntgenstrahlung (GRXE) zu verstehen, studierten w ir mit zuvor noch nicht erreichter Genauigkeit die räumliche Verteilung, indem w ir eine detaillierte „Karte” für Energien im Bandbereich 3-20 keV erstellten. Zu diesem Zw eck w urden archivierte Beobachtungsdaten vom PCA-Spektrometer des Satelliten RXTE ( engl. Rossi X-ray Timing Explorer) benutzt (sie he Abb. 1). Die so erhaltene Karte zeigt erstmals klar die Aufteilung in eine scheibenartige sow ie eine zentrale vertikal verbreiterte Komponente. Die räumliche Anordnung der beiden Komponenten ähnelt stark der bekannten Aufteilung der Milchstraße in eine flache Scheibe gebildet aus Sternen, überlagert mit einem © 2006 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2005/2006 | Sazonov, Sergey; Revnivtsev, Mike | Ursprung kosmischer Röntgenstrahlen aus der Milchstraßenebene zentralen kugelförmig ausgedehntem Gebiet. Die aus den GRXE-Daten abgeleiteten geometrischen Parameter für die beiden räumlich verschieden verteilten Komponenten stimmen genau mit den bereits (aus Nahinfrarotaufnahmen) bekannten Parametern für die entsprechenden stellaren Komponenten überein. Daraus folgt, dass die scheinbar diffuse Emission aus der Milchstraßenebene eng mit der stellaren Population unserer Galaxie in Verbindung steht, w as w iederum nahe legt, dass sich die Röntgenstrahlung in Punktquellen auflösen lassen sollte, entsprechend der Sternverteilung in der Milchstraße folgen. Die beobachtete enge Korrelation zw ischen Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene und der Emission von Sternen ermöglicht eine Abschätzung der im Bereich 3-20 keV emittierten Röntgenstrahlung pro stellarer Massenheit in unserer Galaxie: (3.5±0.5) x 10 27 erg s -1 M-1 (mit M_(Sonnenmasse) w ird die Masse unserer Sonne bezeichnet). Falls es sich tatsächlich eine Überlagerung schw acher punktähnlicher Röntgenquellen handelt, sollte die beobachtete Röntgenstrahlung der Summe der Einzelbeiträge entsprechen. Der zw eite Teil unserer Studie zielt deshalb darauf ab, die gesamte Strahlung von schw achen Röntgenquellen direkt aus den Daten auflösbarer lokaler Röntgenquellen zu bestimmen und anschließend mit der obigen Vorhersage zu vergleichen. Um die Leuchtkraftverteilung L schw acher Röntgenquellen (L x 34 erg s -1 in der Umgebung der Sonne (innerhalb ~1 kpc) zu bestimmen, benutzten w ir w iederum Daten von systematischen Gesamthimmelsbeobachtungen des für unsere Untersuchungen relevanten Leuchtkraftintervals von RXTE/PCA (3-20 keV) und zusätzlich auch vom Röntgensatelliten ROSAT (0.1-2.4 keV). Für unsere Untersuchungen sind Beiträge verschiedener Klassen von Röntgenquellen relevant: Kataklysmische Veränderliche - dies sind engen Doppelsternsystemen mit einem Weißen Zw erg als Primärstern - dominieren oberhalb von ~ 10 31 erg s -1 . Dagegen stammen die Hauptbeiträge bei niedrigerer Leuchtkraft von Doppelsternen und einzelnen Sternen mit koronaler Aktivität. Die erhaltene Leuchtkraftverteilung umfasst einen breiten Bereich von 10 27 bis zu 10 34 erg s -1 (siehe Abb. 2). Die gesamte Strahlung dieser Sterne im Bereich von 3-20~keV kann abgeschätzt w erden als (5.3 ± 1.5) x 10 27 erg s -1 M_(Sonnenmasse) -1 . Die sehr gute Übereinstimmung dieses lokal ermittelten Wertes mit dem oben hergeleiteten Wert legt nahe, dass der Hauptanteil der Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene auf die Emission von insgesamt Tausender kataklysmischer Veränderlicher sow ie mehrerer Millionen Sterne mit koronaler Aktivität zurückzuführen ist. Es ist hierbei w ichtig zu bemerken, dass diese Objekte eine relativ alte Sternpopulation repräsentieren; ihre Leuchtkraftfunktion sollte daher im Bereich der Milchstraße nur w enig variieren. Es könnten aber auch junge Sterne mit koronaler Aktivität einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag liefern. Letztere produzieren (1.0 ± 0.2) x 10 27 erg s -1 M_(Sonnenmasse)-1 in der Umgebung des Sonnensystems (dieser lokale Schätzw ert könnte jedoch für die Gesamtgalaxie nicht repräsentativ sein). Nachdem also eine gute Übereinstimmung zw ischen der Emissivität (per stellarer Einheitsmasse) der gesamten Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene und der lokalen kumulativen Emissivität schw acher Röntgenquellen gefunden w urde, kann man als Nächstes überprüfen, ob sich das beobachtete Spektrum der gesamten Röntgenstrahlung in konsistenter Weise als Überlagerung typischer Spektren der Einzelsterne darstellen lässt. Die Spektren sind verschieden: © 2006 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2005/2006 | Sazonov, Sergey; Revnivtsev, Mike | Ursprung kosmischer Röntgenstrahlen aus der Milchstraßenebene Diffe re ntie lle Le uchtk ra ftve rte ilung de r 2-10 k e V- Stra hlung von k orona l-a k tive n Doppe lste rnsyste m e n de r Spe k tra lk la sse n AB (Abs), k a ta k lysm ische n Ve rä nde rliche (C Vs e ngl. cataclysmic variables) und R öntge ndoppe lste rne n m it e ine m m a sse a rm e n Be gle itste rn (LMXBs, e ngl. low-mass X-ray binaries). in Abhä ngigk e it von de r Stra hlungsinte nsitä t Ne be n de n Be iträ ge n de r e inze lne n Kla sse n sind a uch a na lytische Approx im a tione n da rge ste llt (ge striche lte Linie n). © Ma x -P la nck -Institut für Astrophysik W ie in Abbildung 3 gezeigt, besitzen kataklysmische Variable (magnetische und nicht magnetische Sterne dieser Klasse) viel härtere Spektren als Sterne mit koronaler Aktivität. Eine Superposition der entsprechenden Einzelspektren, ermittelt mit gew ichteten relativen Beiträgen der verschiedenen Klassen zur lokalen Röntgenemissivität, ergibt erw artungsgemäß eine gute Übereinstimmung mit dem beobachten Spektrum der Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene im Energieband 3-20 keV. Für das Spektrum oberhalb von 20 keV kann benützt w erden, dass im galaktischen Zentrum eine stark erhöhte Sternkonzentration auftritt. Die infrarote Helligkeit der Milchstraße ist innerhalb von 10 Bogenminuten um das galaktische Zentrum herum höher als in größerem Abstand. Dieser Helligkeitsanstieg spiegelt den so genannten nuklearen Sternhaufen w ider. Da die Röntgenstrahlung eng der Helligkeit im nahinfraroten Bereich folgt, lässt sich auch dafür ein starker Anstieg in der Nähe des galaktischen Zentrums erw arten. In der Tat konnte ein derartiges Intensitätsmaximum durch den Röntgensatelliten CHANDRA nachgew iesen w erden. Beobachtet man diesen Bereich durch ein Röntgenteleskop mit moderater W inkelauflösung, w ie z. B. das Messinstrument IBIS an Bord des Röntgensatelliten INTEGRAL (mit einer Auflösung von 12 Bogenminuten), so erscheint das Maximum der Röntgenstrahlung als von einer punktähnlichen Quelle im Zentrum der Milchstraße. Da der Zentralbereich innerhalb von 30 pc (dies entspricht 12 Bogenminuten bei der Entfernung zum galaktischen Zentrum ) etw a eine Sternenmasse von ~ 10 8 M_(Sonnenmasse) enthält, erw artet man für diese Quelle eine 3-20 keV Leuchtkraft von ~ 4 x 10 35 erg s -1 bzw . ~ 2 x 10 35 erg s -1 im 20-60 keV Band. Diese Abschätzungen stimmen tatsächlich gut mit der Helligkeit überein, der von INTEGRAL/IBIS für die im galaktischen Zentrum befindliche „Punktquelle” IGR J17456-2901 gemessenen w urde. Das von INTEGRAL aufgenommene Spektrum zeigt signifikant w eniger harte Strahlung im Bereich 20keV und kann somit als representativ für das Spektrum der Strahlung aus der Milchstraßenebene gelten. © 2006 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2005/2006 | Sazonov, Sergey; Revnivtsev, Mike | Ursprung kosmischer Röntgenstrahlen aus der Milchstraßenebene Schließlich lässt sich mittels der Leuchtkraftfunktion für schw ache Röntgenquellen noch folgende Vorhersage treffen: Um in zukünftigen Beobachtungen 90% der Strahlung aus der Milchstraßenebene auflösen zu können, w ird eine Empfindlichkeit herab bis zu ~10 -16 erg s -1 cm-2 (2-10 keV) benötigt. Dieses Ziel könnte erreicht w erden mit Beobachtung der Milchstraßenebene von CHANDRA über einen Zeitraum von einigen W ochen. © 2006 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5