Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Physik SE zur Experimentalphysik „Kosmologie und Elementarteilchenphysik“ WS 02/03 Dozenten: Prof. Dr. H. Kolanoski, Prof. Dr. T. Lohse Referent: B. Kulasek Röntgenastronomie von Bartos Kulasek, 31.01.2003 1 0. Inhaltsverzeichnis 1. Grundlagen ..................................................3 a. Definition der Röntgenstrahlung.............................................. 3 b. Entstehung der Röntgenstrahlung............................................ 3 c. Besondere Eigenschaften ......................................................... 5 d. Röntgenquellen ........................................................................ 6 2. Technik.........................................................8 a. Das Wolter-Teleskop ............................................................... 8 b. Detektoren................................................................................ 9 3. Geschichte ....................................................9 4. Ergebnisse der Röntgenastronomie .........11 a. Beobachtungen....................................................................... 11 b. Schlüsse.................................................................................. 15 5. Quellen .......................................................16 2 1. Grundlagen a) Definition der Röntgenstrahlung: Elektromagnetische Strahlung im Wellenlängenbereich von 10 nm bis 0,01 nm; dabei entsprechen 1,234 nm einer Energie von 1 keV b) Entstehung der Röntgenstrahlung: 1) Kollision schneller Elektronen mit Materieteilchen: Elektronen werden dabei abgebremst Elektronen emittieren elektromagnetische Strahlung → Bremsstrahlung kontinuierliches Spektrum Die Erzeugung von Röntgenstrahlen Kontinuierliche Röntgenspektren mit kurzwelliger Grenze 2) Herauslösen eines Elektrons aus kernnaher Schale („Ionisation“) durch ein anderes, energiereiches Elektron: Elektronen aus energetisch höheren Niveaus „fallen“ in die innere freie Schale und geben dabei Energie ab Emission von Röntgenstrahlung 3 Eigenstrahlung mit diskretem Spektrum Eigenstrahlung, Bestimmung des strahlenden Elements möglich steigende Ordnungszahl → Verschiebung der Liniengruppen in den Bereich kürzerer Wellenlängen Dabei gilt: fmax = eU/h und λmin = c0h/eU (mit c0h = ∆E). Die Anregung von RÖNTGENstrahlung durch Elektronenstoß (schematisch) Das Röntgenspektrum des Molybdän 3) thermischer Ursprung: Oberflächentemperatur von 3·105 K - 3·108 K Strahlung mit Wellenlängen von 10 nm (bei 3· 105 K) - 0,01 nm (bei 3·108 K) → Röntgenstrahlung → kontinuierliches Spektrum nach dem Wienschen Verschiebungsgesetz: T=3·107/ Wellenlänge des Intensitätsmaximums max; mit max: 4) Hochenergetische Elektronen passieren ein Magnetfeld: Beschleunigung/Abbremsung der Elektronen Synchrotronstrahlung im Röntgenbereich 4 5) Inverser Compton-Effekt: hochenergetische Elektronen übertragen einen Teil ihrer Energie auf Photonen mit einer ursprünglich niedrigeren Energie „Heben“ des Photons auf Energieniveau im Röntgenbereich inverser Compton-Effekt c) Besondere Eigenschaften: Erdatmosphäre für Strahlung mit Wellenlängen kleiner als etwa 300 nm undurchlässig: etwaige Röntgenstrahlung aus dem All kann nicht zur Erde gelangen Röntgenteleskope in große Höhen (dünne Atmosphäre → Höhenballons) oder ganz aus der Erdatmosphäre (Raketen oder Erdsatelliten) Intensitätsspektrum elektromagnetischer Wellen / Optisches Fenster 5 d) Röntgenquellen: Eng begrenztes Gebiet mit relativ hoher Strahlungsintensität im Röntgenbereich (λ>0,5 nm) über der allgemeinen Röntgenhintergrundstrahlung 1) Röntgenquellen in unserem Sonnensystem: Sonne (eigentliche Quelle) und Mond (als „Reflektor“). 2) Galaktische Röntgenquellen: - Hauptreihensternen späten Spektraltyps: starker Sternwind Aufheizung der umgebenden interstellaren Materie thermische Röntgenstrahlung aus Koronae; - einige UV-Ceti-Sterne: Strahlungsausbrüche im Röntgenbereich; - weiße Zwerge: zum Teil isoliert, teils als Mitglieder von Doppelsternen; - Röntgen-Doppelsterne: halbgetrennte Systeme mit Materiestrom von „leicht“ nach „schwer“ Röntgenblitzer; - Pulsare: Synchrotronstrahlung; - Supernovareste: nichtstellare Quellen thermischer Röntgenstrahlung; - Röntgenhalos: Strahlung punktförmiger Röntgenquellen wird an interstellaren Staubteilchen gestreut; - negative Röntgenquellen: Röntgenstrahlung absorbierende Wolken interstellarer Materie „dunkle Schatten“ 50°x70° in Orion-Umgebung, optisch Orion-Umgebung mit PSPC im Röntgenlicht (Aufnahmen der ROSAT-Mission) Röntgenlichthärte: gelb < weiß < blau 6 3) Extragalaktische Röntgenquellen: - gleiche Objektgruppen wie galaktische Quellen; - weiter entfernte Quellen: u.U. ganze Galaxie „punktförmige“ Quelle ⇐ Auflösungsvermögen der Teleskope nicht ausreichend; - Radio- und Seyfert-Galaxien; - Quasare: Röntgenstrahlungsleistung > Σ aller anderen Spektralbereichen; - Galaxiehaufen: WW intercumulares Gas – Galaxien Aufheizung thermische Röntgenstrahlung Röntgenhalos NGC 1339/NGC1404: Links Überlagerung des Röntgenbildes (rechts) mit optischer Aufnahme; die weißen Linien begrenzen Bereiche gleicher Helligkeit. 4) Bezeichnung: - früher: Sternbild, X für Röntgenquelle und Reihenfolge der Entdeckung (Hercules X-1); - heute: nur X oder XB (Röntgenblitzer) und Rektaszensions- und Deklinationsangabe (XB 1905+000: Rektasz. 19h 05min, Dekl. 0,00°) 7 2. Technik a) Das Wolter-Teleskop: 1951: erste abbildende Röntgenoptik von Hans Wolter (dt. Physiker) Für Röntgenstrahlung gilt: - Brechzahl <> 1 (?) - senkrechter Einfall (Einfallswinkel α < 87°) keine Reflexion; - streifender Einfall (87° < α < 90°) Totalreflexion zuerst Reflexion an einem langgestreckten Paraboloid, dann an einem konfokalen und koaxialen Hyperboloid; - Reduzierung der Bildfehler, Vergrößerung der Spiegeloberfläche mehrere ineinander-liegende, rotationssymmetrische Spiegelschalen; - Sehr hohe Oberflächengüte nötig Reflexion und Fokussierung an Metallspiegeln Funktionsprinzip des Wolter-Teleskops Teleskop-Aufbau im ROSAT-Satelliten Wolter-Teleskop im ROSAT-Satelliten PSPC: Position Sensitive Proportional Counter scharfe Energieauflösung HRI: High Resolution Imager scharfe Ortsauflösung 8 b) Detektoren: - energieauflösender Halbleiterdetektor: CCD (charge-coupled device); - Flächenphotometer innerer Photoeffekt; - Siliciumoberfläche in 2048 × 2048 lichtempfindliche Bildelemente (Kantenlänge 15-30 µm) aufgeteilt; - Funktionsweise: einfallende Strahlung Herauslösen von Elektronen geeignete Spannungsverteilung hält diese im Bildelement fest flächenhafte Ladungsverteilung entspricht flächenhafter Verteilung der Strahlungsintensität Auslesung einzelner Bildelemente mit Steuerimpulsen zeitliche Folge kleiner Stromimpulse Verstärkung digitale Abspeicherung Rekonstruktion flächenhaften Bildes; - integrierte Anordnung von Orts- und energieauflösenden Photonendetektoren; - Vorteile: hohe Quantenausbeute, Linearität zw. Strahlungsstrom und Ladungsmenge, gleichzeitige Messbarkeit sehr starker und schwacher Strahlungsströme (bis 100 000:1); - Nachteile: geringe Detektorgröße, var. Qualität der Bildelemente, hoher rechentechnischer Aufwand, Kühlung. Funktionsweise CCD 3. Geschichte - 3.5.1949: Detektion von Röntgenstrahlung mittels einer V2 (Naval Research Laboratory); - 1962: ARIEL I → Erzeugung eines 10 Mill. K heiße Plasmas während Sonneneruptionen (Flares) in der Sonnenkorona; Scorpius X-I, 9 erste Röntgenquelle außerhalb des Sonnensystems Nobelpreis 2002 an R. Giacconi, 350 pc entfernt, 1966 opt. Ident. als Rö.-Dop.st. (Begleitstern: Neutronenstern); - Bis 1970 ca. 50 Röntgenquellen bekannt, (ARIEL I-V bis ´79, OSO IVIII, ab ´70 UHURU): ARIEL V → Linienstrahlung von hochionisiertem Eisen in Röntgenspektren, UHURU → 400 neue Quellen, erste vollständige Himmelsdurchmusterung, pulsierende Röntgendoppelsterne, Röntgenstrahlung aus Galaxienhaufen, Schwarzes Loch als Begleiter von Cygnus X-1; - 1977: HEAO-1 → 840 neue Röntgenquellen; - 1978: HEAO-2 → 4.600 neue Röntgenquellen, Energiebereich 0,1-4 keV, praktisch alle Sterne Röntgenquellen; - ständige Verbesserung der Teleskope und Detektoren; - 1983: EXOSAT (zwei 23-cm-Wolterteleskope, nicht-abbildende Detektoren) → Energie-bereich 0,05 keV - 50 keV; - Bis ´90: 6.000 kosmische Röntgenquellen; - ´90-´97: ROSAT (hochauflösendes 83 cm-Wolterteleskop; Auflösung: 2"; Brennweite: 2,4 m; strahlungssammelnde Fläche: 1141 cm2; Gesichtsfeld: ca. 1°; Winkelauflösungsvermögen im Abbildungszentrum: 1,8´´;575 km h, 2,4 t) → vollständige Himmelsdurchmusterung im Energiebereich 0,1 keV - 2,4 keV (0,6 nm - 12 nm), bis Juni ´94 120.000 neue Röntgenquellen, ´96 Röntgenstrahlung des Kometen C/1996 B2 Hyakutake; - 1998 CHANDRA: 0,1 keV - 10 keV; - ´99 ABRIXAS: Fehlschlag → Schrott Funktionsprinzip der Himmelsdurchmusterung (All-Sky-Survey) durch ROSAT 10 4. Ergebnisse der Röntgenastronomie a) Beobachtungen: 1) Röntgenstrahlung von Vorhauptreihensternen und Hauptreihensternen: Vorhauptreihensterne: schnellere Rotation höhere Korona-Aktivität 1001000fach höhere thermisch verursachte Röntgenleuchtkraft als die eines Hauptreihensterns; 2)Weiße Zwerge: hohe Photosphärentemperatur Strahlung im Röntgenbereich wesentlich stärker als im sichtbaren Spektrum; 3) Neutronensterne und Supernova-Überreste hohe Rotationsgeschwindigkeit relativistischer Elektronen; hohen Oberflächentemperaturen starkes Magnetfeld Synchrotronstrahlung thermische Röntgenstrahlung; Lockman-Hole im Großen Bären 53 h belichtet tiefste Röntgenaufnahme des Himmels (ROSAT) Objekte im harten Spektrum: aktive Galaxien 4) Röntgendoppelsterne (Röntgenburster) und schwarze Löcher Röntgendoppelsterne: enge Doppelsterne aus Neutronenstern (Masse: 1,4 Sonnenmassen) und massearmem Begleitstern (0,5 bis 1 Sonnenmasse) Neutronenstern und masseärmerer Begleiter ersterer zieht Masse des zweiten von diesem ab Akkretionsscheibe Materie stürzt auf Stern Röntgenstrahlung Absorption durch Akkretionsscheibe später (Sekunden bis Tage) Strahlungsemission als Burst optisch und im Röntgenbereich; 11 Zwei extrem massereiche Schwarze Löcher im Zentrum der Galaxie NGC6240; derzeitiger Abstand 3000 LJ, laufen auf Spiralbahnen umeinander Verschmelzung in ein paar 100 Mio. Jahren; die im Röntgenbild sichtbaren „Bögen“ und „Arme“ sind die Überreste einer Kollision zweier Sternsysteme. NGC6240, hochenergetisch aufgenommen blau: Kerne der Schwarzen Löcher! gelb: Überlagerung mit optischer Aufnahme (Hubble-Teleskop) NGC6240 im niederenergetischen Röntgenspektrum (rot): „Nachglühen“ früherer Sternexplosionen 5) Normale und aktive Galaxien aktive Galaxie (Radiogalaxien, BL-Lac-Objekte, Seyfert-Galaxien und Quasare) Materie-„Jets“ aus ihrem Kern erhöhte Röntgen- und Gammaaktivität 12 6) Galaxienhaufen Galaxienhaufen am Röntgen-leuchtkräftigsten (1043 – 1045 erg/s) ⇐ thermische Strahlung (> Gesamtleuchtkraft einer Galaxie in allen Wellenlängenbereichen); Röntgenhimmel im Bereich 0,1-2,0 keV, Milchstraßenzentrum mittig (weiß: aktive Galaxiezentren) 7) Diffuse Röntgenstrahlung der Milchstraße Supernovaüberreste, (T>106 K) interstellares Gas nicht an Milchstraße gebunden thermische Röntgenhintergrundstrahlung (diese Komponente und nicht aufgelöste Einzelquellen). weiche diffuse Röntgenstrahlung: rot: 0,25 keV-Band – „lokale heiße Blase“, 100.000 Jahre alter Supernova-Überrest in Sonnen-umgebung, galaktischer Halo; gelb: 0,75 keV-Band; blau: 1,5 keV-Band – entferntere SupernovaReste, Sternwinde; weiß: kompakte Supernova-Reste, Galaxiehaufen 13 Tomographie des Milchstraßenzentrums im weißen Röntgenlicht; diffuse Emission Absorptionsstrukturen (optische Dunkelwolken, ca. 500 LJ entfernt); Dunkelwolken durchsichtig keine leuchtkräftige Röntgenquelle im Zentrum der Milchstraße 14 b) Schlüsse: 1) Größenbestimmung von Sternen: Wiensches Verschiebungs(T=3·107/ m) Strahlungsgesetz (Te4 = L/(σπD2): Wellenlänge, Leuchtkraft Temperatur und Stefan-Boltzmann- Durchmesser des Sterns; Te: effektive Temperatur, bestimmt durch die pro Flächeneinheit und Sekunde an der Oberfläche des Sterns austretende Gesamtstrahlung sämtlicher Wellenlängen; L: Leuchtkraft; D: Durchmesser des Sterns; σ: Stefan-BoltzmannKonstante, σ = 5,67 · 10-12 Wcm-2K-4 2) Zusammensetzung der Sterne: Röntgenspektroskopie Identifikation der Linienstrahlung verschiedener Elemente ihr Ionisierungsgrad Analyse der Zusammen-setzung der strahlenden Objekte; Spektrum des Sterns Capella: verschiedene Linien, Sauerstoff, Schwefel, Eisen und Nickel Spektroskopie „des Pudels (= Strahlers) Kern“ Röntgenspektrum des Sterns Capella Zusammensetzung 15 5. Quellen: (1) H. Zimmermann, A. Weigert: „ABC-Lexikon Astronomie“; Spektrum akademischer Verlag, Heidelberg 1995; (2) A. Unsöld, B. Baschek: „Der neue Kosmos“; Springer Verlag, Berlin 1991; (3) B. Bröcker: „dtv-Atlas zur Atomphysik“; Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997; (4) J. Herrmann: „dtv-Atlas zur Astronomie“; Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1993; (5) H. H. Voigt: „Abriss der Astronomie“; Wissenschaftsverlag, München 1991; (6) A. Hanslmeier: „Einführung in Astronomie und Astrophysik“; Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2002; (7) P. A. Tipler: „Physik“; Spektrum Akademischer Verlag, Berlin 1994; (8) W. Demtröder: „Experimentalphysik 4“; Springer Verlag, Berlin 1998; (9) Internetseiten: http://www.mpe.mpg.de (Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik); http://www.astrophys.de (Astronomische Informationen, private Seite); http://www.r-haas.de/astro.html (Dr. Rainer Haas, private Seite); http://www.sci.esa.int (Europäische Raumfahrtbehörde ESA); http://www.desy.de (Deutsches Elektronen-Synchrotron); http://heasarc.gsfc.nasa.gov (High Energy Astrophysics Science Archive Research Center, NASA); 16