Erblicher Darmkrebs - durch fehlerhaftes DNA-Reparatursystem verursacht Jochen Rädle und Guido Plotz Innere Medizin II Bösartige Dickdarmtumoren machen in Deutschland mit bis zu 60.000 Neuerkrankungen pro Jahr etwa ein Drittel aller Krebserkrankungen aus. Der Dickdarmkrebs (kolorektales Karzinom) steht bei Männern an dritter und bei Frauen sogar an zweiter Stelle aller Tumorneuerkrankungen. Obwohl den Ernährungs- und Lebensgewohnheiten bei der Entstehung von Tumoren im Verdauungstrakt eine große Bedeutung zugeschrieben wird, ist heute davon auszugehen, dass 2-6% der Erkrankungen aufgrund einer genetischen Prädisposition familiär gehäuft auftreten. Diese genetisch determinierten Tumorerkrankungen umfassen mehrere klinisch und molekulargenetisch differenzierbare Krankheitsbilder. Dazu gehört der am häufigsten beobachtete erbliche Darmkrebs ohne multiple Darmpolypen (engl. hereditary nonpolyposis colorectal cancer, abgekürzt HNPCC, auch Lynch-Syndrom) sowie eine Reihe unterschiedlicher erblicher Darmkrebsformen mit multiplen Darmpolypen, wobei die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) mit 100-1000 Polypen im Dickdarm die häufigste Form darstellt. Der erbliche Dickdarmkrebs ohne multiple Polypen (HNPCC) stellt eine bis heute gut untersuchte, genetisch determinierte Tumorerkrankung dar. Patienten mit HNPCC haben gegenüber der Normalbevölkerung bei sonst fehlenden Krankheitssymptomen ein um 5-50% erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Tumorerkrankung (insbesondere Dickdarm- und Gebärmutterkrebs). Obwohl der erbliche Dickdarmkrebs eher bei jüngeren Patienten auftritt, unterscheidet sich das klinische Bild eines Patienten mit einem HNPCC-assoziierten Dickdarmkrebs zunächst kaum von dem eines Patienten mit einem zufällig entstandenen Dickdarmkrebs (sporadisches kolorektales Karzinom). Durch eine Häufung von HNPCC-assoziierten Tumoren innerhalb einer Familie und molekularen Auffälligkeiten im Tumor selbst kann allerdings der Verdacht auf ein HNPCC erhoben werden. Die definitive Diagnose lässt sich durch den Nachweis der krankheitsauslösenden genetischen Veränderungen (Keimbahnmutationen im MLH1- und MSH2-Gen) erbringen, die zu Fehlern im komplexen DNA-Fehlpaarungs-Reparatursystem führen. mit einem zufällig entstandenen Dickdarmkrebs (sporadisches kolorektales Karzinom). Es finden sich jedoch häufig Hinweise auf eine familiäre Karzinomhäufung. Wegen des autosomal-domi- nanten Erbgangs mit hoher Penetranz ist eine auffällige Familienanamnese mit Erkrankten in mehreren aufeinander folgenden Generationen zu erwarten (vgl. Abb. 1). An ein HNPCC sollte vor Während die Diagnose einer erblichen Darmkrebserkrankung mit multiplen Polypen in der Regel schon aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes gestellt werden kann, ist die Diagnose eines erblichen Darmkrebses ohne multiple Polypen (HNPCC) deutlich schwieriger. Zur Prävalenz der Erkrankung liegen deshalb nur Schätzwerte vor1). Der Anteil von HNPCC an allen Darmkrebsfällen dürfte in der westlichen Welt bei etwa 2-6% liegen2), 3). HNPCC folgt einem autosomal-dominanten Erbgang. Bis zum 75. Lebensjahr erkranken mind. 80% aller Betroffene an einer entsprechenden Krebserkrankung. Klinisches Erscheinungsbild Das klinische Bild eines Patienten mit einem HNPCC-assoziierten erblichen Dickdarmkrebs unterscheidet sich zunächst kaum von dem eines Patienten magazin forschung 1/2006 Abb. 1: Familienstammbaum einer HNPCC-Familie mit auffälliger Tumorhäufung. {: Frau; : Mann; rotes Symbol: Dickdarmkrebs; grünes Symbol: Gebärmutterkrebs; oranges Symbol: Dünndarmkrebs. ED: Tumor-Erstdiagnose; Zahlen: Alter des Patienten [Jahre] 9 allem gedacht werden, wenn der Dickdarmkrebs vor dem 50. Lebensjahr diagnostiziert wird (mittleres Erkrankungsalter liegt bei 46 Jahren). Neben einer Häufung von zeitgleich oder zeitversetzt auftretenden Dickdarmkrebsfällen bei demselben Patienten treten aber auch gehäuft Karzinome in anderen Organsystemen auf (z.B. Endometriumkarzinome, Karzinome des Nierenbeckens und der Harnleiter und Karzinome des Dünndarms). Der Dickdarmkrebs bei HNPCC ist in 60-70% der Fälle im rechtsseitigen Dickdarm lokalisiert, während der sporadische Dickdarmkrebs eher im linksseitigen Dickdarm zu finden ist. Histopathologisch findet sich oft ein schlecht differenzierter oder schleimbildender Tumor mit ausgeprägter lymphozytärer Infiltration. Ein eindeutiges Merkmal, mit dem HNPCC-assoziierte Tumoren von sporadischen unterschieden werden könnten, existiert allerdings nicht. Klassische Amsterdam-Kriterien4) (alle Punkte müssen erfüllt sein) Ziel: Spezifische klinische Erfassung von Patienten mit HNPCC-Verdacht • Mindestens 3 Familienmitglieder sind an einem kolorektalen Karzinom erkrankt. • Mindestens ein Familienmitglied ist mit den beiden anderen erstgradig verwandt; • Mindestens 2 aufeinanderfolgende Generationen sind betroffen; • Mindestens 1 Erkrankter ist bei Diagnosenstellung jünger als 50 Jahre. • Ausschluss einer familiären adenomatösen Polyposis (FAP). ____________________________________________________________________________ Amsterdam-II-Kriterien5) (alle Punkte müssen erfüllt sein) Ziel: Erweiterte klinische Erfassung von Patienten mit HNPCC-Verdacht ____________________________________________________________________________ • Mindestens 3 Familienmitglieder sind an einem HNPCC-assoziierten Karzinom (Endometrium-, Dünndarm-, oder kolorektales Karzinom oder Urothelkarzinom des Nierenbeckens oder Ureters) erkrankt. • Mindestens ein Familienmitglied ist mit den beiden anderen erstgradig verwandt; • Mindestens 2 aufeinanderfolgende Generationen sind betroffen; • Mindestens 1 Erkrankter ist bei Diagnosenstellung jünger als 50 Jahre. • Ausschluss einer familiären adenomatösen Polyposis (FAP). Tab. 1: Kriterien zur Erfassung von Patienten mit Verdacht auf HNPCC. Die klassischen Amsterdam- und Amsterdam-II-Kriterien lassen ein HNPCC klinisch vermuten4), 5). Zur klinischen Erfassung auffälliger Familien und diagnostischen Eingrenzung von HNPCC wurden bereits 1991 die Amsterdam-Kriterien eingeführt4), die die Tumorhäufung innerhalb einer Familie erfassen (vgl. Tab. 1). Die Aufklärung der molekulargenetischen Grundlagen von HNPCC hat dazu geführt, dass die Diagnose HNPCC klinisch unter anderem bei Erfüllung der sehr engen, aufgrund empirischer Grundlagen erarbeiteten Amsterdam-Kriterien vermutet und seit 1993 molekulargenetisch gesichert werden kann. Die klassischen Amsterdam-Kriterien umfassen nur die Dickdarmkrebsfälle, während die neueren Amsterdam-II-Kriterien alle relevanten HNPCC-assoziierten Tumoren einschließen (vgl. Tab. 1)5). Klinisch lassen sich beim HNPCC zwei besondere Subgruppen differenzieren. Zum einen das Muir-Torre-Syndrom, das durch eine Kombination von benignen oder malignen Talgdrüsentumoren sowie viszeralen Tumoren (kolorektales Karzinom, Endometriumkarzinom sowie HNPCC-assoziierte Tumoren) charakterisiert ist und typischerweise durch einen Gendefekt in MSH2 verursacht wird. Zum anderen können die FAPund HNPCC-Untergruppe des TurcotSyndroms unterschieden werden, die in der letzteren Form durch das Auftreten von kolorektalen Karzinomen, Glioblastomen und wenigen Adenomen bei Mutationen in den DNA-Reparaturgenen definiert ist. 10 Abb. 2: Reparatur einer Basenfehlpaarung in der DNA-Doppelhelix durch das Mismatch-Reparatur-System. A: MutSα (MSH2-MSH6-Dimer) erkennt die Basenfehlpaarung. B: Komplex aus MutSα + MutLα (MLH1-PMS2-Dimer) initiiert über Exonuclease I den DNA-Abbau. C: Nach dem DNA-Abbau verbleibt ein einzelsträngiger DNABereich (korrekter Mutterstrang). D: Wiederaufbau des korrekten doppelsträngigen DNA-Bereiches. DNA-R Reparatur und Tumorentstehung Bisher wurden besonders 3 Gene (MSH2 [2p16], MLH1 [3p21-23], selte- ner MSH6 [2p16]) identifiziert, deren Keimbahnmutationen (Mutation liegt in allen Körperzellen vor) für das Auftreten von HNPCC verantwortlich sind. Universität des Saarlandes jeweils zwei der Proteinprodukte der genannten Gene zusammen und bilden ein Dimer: so paart sich MSH2 mit MSH6 und bildet MutSα, und MLH1 paart sich mit PMS2 zu MutLα. MutSα erfüllt die Funktion eines Detektors für Basenfehlpaarungen: es ist in der Lage, am DNA-Doppelstrang entlangzugleiten und erkennt die strukturelle Änderung, die sich durch einen Paarungsfehler in der DNA ergibt. Nachdem es diesen Fehler gebunden hat (vgl. Abb. 2A), nimmt es Kontakt mit dem MutLα-Dimer auf (Abbildung 2B)6), 7). Beide Proteindimere gemeinsam steuern den Verdau des fehlerhaften Stranges der DNA-Doppelhelix durch die Exonuclease I, ein weiteres Enzym, welches auf den Abbau von einzelnen DNA-Strängen spezialisiert ist. Hierdurch entsteht ein einzelsträngiger DNA-Bereich, der nur noch den Mutterstrang der DNA mit der korrekten Erbinformation enthält (vgl. Abb. 2C). An diesem kann dann die DNA-Polymerase angreifen, die wie bei einem normalen DNA-Verfielfältigungsvorgang den einzelsträngigen Bereich auffüllt und so eine korrekt gepaarte DNA-Doppelhelix herstellt (vgl. Abb. 2D). Die genaue Art und Weise, wie die Proteindimere diese Prozesse in der Zelle koordinieren, ist sehr komplex und wird noch erforscht. Insbesondere ist das Zusammenspiel des Fehlerdetektors MutSα mit dem MutLα-Protein, welches den Kontakt zu weiteren Reparaturproteinen herstellt, noch nicht geklärt und derzeit eine der in unserer Arbeitsgruppe untersuchten Fragestellungen. Abb. 3: A: Diagnostische Möglichkeiten (Anamnese, Phäno typ, Genotyp) beim erblichen Darmkrebs (HNPCC). B: Mikrosatelliteninstabilität im Tumor (Darstellung zusätzlicher Banden). C: Immunhistochemische Analyse mit fehlender MLH1-Expression im Tumor. D: Heterozygoter Mutationsnachweis im MSH2-Gen (Stop-Codon) anhand genomischer DNA aus einer Blutprobe. N: normale Dickdarmschleimhaut; T: Dickdarmtumor Alle diese Gene kodieren für Enzyme, die bei der DNA-Replikation zufällig entstandene falsche DNA-Basenpaarungen korrigieren (DNA-Fehlpaarungs-Reparaturgen, engl. DNA mismatch repair gene). Zum Zwecke der Reparatur dieser Basenfehlpaarungen treten magazin forschung 1/2006 Zur eigentlichen Tumorentstehung kommt es, wenn neben der heterozygot in allen Körperzellen in einem Allel ohne Funktionsausfall vorliegenden Keimbahnmutation im Laufe des Lebens in einer Zelle durch ein zufälliges somatisches Mutationsereignis auch das zweite Allel des jeweiligen Gens funktionslos wird. Bei einer Zellteilung mit DNA-Replikation können dann zufällig entstandene Fehler in der DNA nicht mehr repariert werden und akkumulieren. Liegen diese Fehler im Bereich von Onkogenen oder Tumorsuppressorgenen, so kann hierdurch eine maligne Entartung der Zelle ausgelöst werden (“caretaker pathway”). Beim HNPCC liegt somit durch das Vorhandensein einer Keimbahnmutation in jeder Körperzelle lediglich eine deutlich erhöhte Karzinomdisposition vor (gegenüber der Normalbevölkerung um 5-50% erhöht). Die fehlerhafte DNA-Reparatur in der Tumorzelle spiegelt sich in einer Instabilität der DNA wider und kann indirekt als Störung an kurzen DNA-Abschnitten (Mikrosatelliten) erkannt werden. Mikrosatelliten sind kurze sich wiederholende Basensequenzen, die ubiquitär über das ganze Genom verteilt vorkommen. Jeder Mikrosatellitenlocus zeigt in allen Zellen eines Individuums eine charakteristische Anzahl von Basenwiederholungen, die interindividuell variieren können. Beim HNPCC lassen sich bei über 95% der Patienten zwischen der DNA aus Tumorbereichen und der aus gesundem Kolongewebe Längendifferenzen der Mikrosatelliten nachweisen (Mikrosatelliteninstabilität, abgekürzt MSI). Eine MSI lässt sich aber auch in sporadischen kolorektalen Karzinomen bei etwa 10-15% der Patienten detektierten und kann daher nur als phänotypischer Hinweis auf ein mögliches HNPCC gewertet werden; die endgültige 11 Diagnose ist molekulargenetisch durch den Nachweis einer heterozygoten Keimbahnmutation in einem der DNAReparaturgene zu sichern (vgl. Abb. 3D). Die diagnostischen Möglichkeiten sind in Abbildung 3A zusammenfassend dargestellt. Auf die MSI-Analyse (vgl. Abb. 3B), eines der Standbeine der HNPCC-Diagnostik, wird im nächsten Absatz noch näher eingegangen. Priv.-Doz. Dr. med. Jochen Rädle, Studium der Humanmedizin und Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; 1993-2002 Mitarbeiter an der Medizinischen Klinik II am Universitätsklinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, seit 2002 Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum des Saarlandes. 2004 Habilitation für Innere Medizin. Forschungstätigkeiten: Georg-Speyer-Haus Frankfurt am Main. 2005 Wissenschaftspreis der Saarländisch-PfälzischenInternistengesellschaft. Molekulargenetische Diagnostik Die definitive HNPCC-Diagnose basiert auf dem Nachweis einer Keimbahnmutation in einem der DNA-Reparaturgene. Dabei sind zunächst die beiden am häufigsten betroffenen Gene, MSH2 und MLH1, zu untersuchen8). Beide Gene umfassen 16 (MSH2) bzw. 19 (MLH1) Exons und kodieren ein 2,7 kb bzw. 2,5 kb langes Transkript, wobei bislang keine bevorzugten Mutationsorte (“hot spots”) gefunden wurden9). Deshalb besteht die Notwendigkeit, die gesamten Gene zu analysieren, wobei in der Regel genomische DNA anhand von Blutproben untersucht wird. Trotz aufwendiger Analysetechniken kann bislang nur bei maximal 70% der nach den Amsterdam-Kriterien definierten HNPCC-Familien eine MSH2- oder MLH1-Keimbahnmutation nachgewiesen werden10), 11). Der eigentlichen Mutationsdiagnostik werden deshalb zumeist klinische oder molekulare Screeningverfahren vorgeschaltet. Bei Patienten, die die engen Amsterdamoder -II-Kriterien erfüllen kann direkt eine genetische Testung initiiert werden (vgl. Abb. 4)12). Bei allen weiteren Patienten mit Darmkrebs legen die Bethesda-Kriterien13), 14) fest, in welchen Fällen der Tumor auf eine Mikrosatelliteninstabilität hin untersucht werden soll. Hierzu werden nach einem internationalen Refererenzpanel insgesamt 5 Mikrosatellitenbereiche (BAT25, BAT26, D2S123, D5S346, D17S250) untersucht13), 15). Erst bei Nachweis einer MSI (≥ 2 Mikrosatellitenmarker instabil) sollte eine weitergehende Mutationsdiagnostik erfolgen. Die immunhistochemische Untersuchung von Tumorgewebe mit Antikörpern gegen das MSH2- und MLH1-Protein eignet sich ebenfalls als Screeningverfahren vor einer Mutationsdiagnostik und kann die Diagnostik bei Ausfall eines Proteins auf das entsprechende Gen eingrenzen (vgl. Abb. 3C)16). Durch die Selektion von Risiko- 12 Dr. phil. nat. Guido Plotz, Studium der Pharmazie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Promotion 2003 in der Klinik für Innere Medizin II am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main im Arbeitsgebiet DNA-MismatchRepair. Seit 2003 als PostDoc in der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums des Saarlandes. patienten kann somit die Nachweiswahrscheinlichkeit einer Keimbahnmutation deutlich erhöht werden17). Klinische Bedeutung der Diagnose HNPCC HNPCC-Familien können entweder über Tumorpatienten selbst oder über ratsuchende Familienmitglieder erfasst werden. Eine molekulargenetische HNPCC-Abklärung erfolgt nach einer humangenetischen Beratung zunächst nur über die Untersuchung eines Patienten mit einer HNPCC-assoziierten Karzinomerkrankung (Indexpatient). Wird in einer Familie aufgrund der Amsterdam-Kriterien ein HNPCC-Syndrom vermutet, ohne dass die krankheitsverursachende genetische Alteration nachweisbar ist, haben alle Familienmitglieder entsprechend ihrer Wahrscheinlichkeit, die Anlage geerbt zu haben, ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Diesem Risiko sollte im Rahmen eines intensivierten Früherkennungsprogramms beziehungsweise Nachsorgeuntersuchungen für den Tumorerkrankten Rechnung getragen werden. Ist der Gendefekt hingegen bekannt, besteht die Mög- Abb. 4: Diagnostischer Algorithmus zur Identifikation von HNPCC-Fällen bei Patienten mit einem Dickdarmkrebs (erweitert nach12)). Universität des Saarlandes lichkeit einer prädiktiven Testung und das Angebot eines Früherkennungsprogramms für Anlageträger. Für Familienmitglieder, die die Anlage nicht geerbt haben, besteht kein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Der Nachweis einer Keimbahnmutation bei einem gesunden Familienmitglied muss allerdings nicht zwangsläufig zu einer Tumorerkrankung führen, bedeutet jedoch immer ein erhöhtes Risiko für alle HNPCC-assoziierten Tumoren. Das Risiko für HNPCC-Anlageträger, ein kolorektales Karzinom zu entwickeln, beträgt bis zum 70. Lebensjahr 40-60% für Frauen und 70-90% für Männer. Zudem beträgt das kumulative Risiko für Anlageträgerinnen, an einem Endometriumkarzinom zu erkranken, etwa 40-60% (60% bei MSH2- bzw. 40% bei MLH1-Mutationen)18). Das lebenslange Früherkennungsprogramm ist daher besonders durch eine regelmäßige Darmspiegelung (Koloskopie) und gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen alle 1-2 Jahre gekennzeichnet. Für das Kolonkarzinom konnte durch eine engmaschige koloskopische Vorsorgeuntersuchung eine deutliche Reduktion der Karzinominzidenz bereits gezeigt werden19). Für die weiteren HNPCC-assoziierten Tumorerkrankungen liegen hierzu noch keine allgemeingültigen Daten vor. Bereits durch eine Koloskopie alle 3 Jahre konnte bei Risikopersonen durch die endoskopische Entfernung kolorektaler Adenome eine 60%ige Reduktion des Dickdarmkrebsrisikos erreicht werden20). Die Dickdarmkarzinome werden zudem oft in einem günstigeren Tumorstadium diagnostiziert und sind so noch operativ heilbar. Langzeitdaten nach 15 Jahren belegen, dass in HNPCC-Familien alleine durch ein Koloskopiescreening alle 3 Jahre, die Mortalität um bis zu 65% gesenkt werden kann19). Nach der konventionellen operativen Resektion eines kolorektalen Karzinoms ist bei HNPCCPatienten bei einem persistierenden Risiko für ein kolorektales Zweitkarzinom (bis zu 45% nach 10 Jahren) zudem in der Regel eine lebenslange koloskopische Kontrolle in ein- bis zweijährlichen Intervallen erforderlich. Die Diagnostik des erblichen Dickdarmkrebses ohne multiple Polypen konnte bis heute deutlich verbessert werden. Auch die genetischen Zusammenhänge und molekularen Entstehungsmechanismen sind weitgehend aufgeklärt. In magazin forschung 1/2006 der klinischen Routine muss die flächendeckende Identifikation von Risiko- und möglichen HNPCC-Patienten im großen Gesamtkollektiv der Patienten mit einem Dickdarmkrebs allerdings noch deutlich verbessert werden. Literaturverzeichnis 1) Raedle J, Schaffner M, Esser N, et al. Frequency of the Amsterdam criteria in a regional German cohort of patients with colorectal cancer. Z Gastroenterol 2002;40 (8):561-8. 2) Lynch HT, Smyrk TC, Watson P, et al. 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