Psychologie für Juristen

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PD Dr. Daniel Effer-Uhe
Psychologie für Juristen
15. November 2016
Psychologie für Juristen
Wiederholungsfragen:
Was versteht man unter „sozialen Skripten“?
• Soziale Skripten sind sozial vermittelte Programme darüber, wie man sich
verhalten soll, also durch Beobachtung erlernte und anschließend häufig durch
wiederholte Ausführung verfestigte prototypische Handlungsabläufe.
Was ist der „Zuschauereffekt“ und wie lässt er sich erklären?
• Je mehr Menschen in einer Notsituation anwesend sind, desto geringer ist im
Grundsatz die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person helfend eingreift.
Denkbare Gründe:
1. Die Wahrnehmung einer unklaren Situation als Notfall wird
unwahrscheinlicher, wenn andere Personen in der Nähe sind, die die Situation
(scheinbar auch) nicht als Notfall wahrnehmen (pluralistische Ignoranz).
2. Annahme, es könnte auch jemand anders helfend eingreifen (oder jemand
anders habe schon die Polizei/den Notarzt etc. informiert).
15. November 2016
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Attribution
• Literatur: Aronson/Wilson/Akert, Sozialpsychologie, 8. Aufl. 2014, S. 114-131;
Gerrig, Psychologie, 20. Aufl. 2015, S. 644-650
• Die Attributionstheorie beschreibt die Art und Weise, in der wahrgenommene
Informationen genutzt werden, um zu kausalen Erklärungen für das Verhalten
eines Menschen zu gelangen.
• Die zentralen Fragen sind dabei, ob die Ursache des Verhaltens in einer
Person (internale oder dispositionale Kausalität) oder einer Situation
(externale oder situative Kausalität) liegt und wer für das Ergebnis
verantwortlich ist.
• Relevanz für den Juristen z.B. bei Strafzumessung (internale Attribution führt
zu stärkerem Schuldvorwurf und damit höherer Strafe).
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Psychologie für Juristen
Attribution
• Grundsatz: Kovariationsprinzip – es ist im Allgemeinen sinnvoll, ein Verhalten
auf einen Kausalfaktor zu attribuieren, wenn es aufgetreten ist, wenn dieser
Faktor gegeben war, nicht dagegen, wenn er nicht gegeben war.
• Aber: Korrelation bedeutet nicht zwingend Kausalität!
• Für den Strafrichter ist das Kovariationsprinzip in der Regel ohnehin keine
Hilfe, weil er singuläre Sachverhalte zu beurteilen hat.
• Bei der internalen Attribution wird die Ursache für ein Verhalten in der Person
gesucht, bei der externalen Attribution in der Situation.
• Generell besteht eine Tendenz, internale/dispositionale Faktoren zu
überschätzen („fundamentaler Attributionsfehler“).
• Denkbare Gründe:
- stärkere Konzentration auf die handelnde Person als auf die Situation
- Informationen über situationsbedingte Ursachen fehlen oft
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Psychologie für Juristen
Attribution
• Wie kommt es zu „unmenschlichem“ Verhalten?
• Bsp.: Abu-Ghuraib-Folterskandal
• Mögliche Erklärung: Stanford-Gefängnis-Experiment
(Haney/Banks/Zimbardo, in: International Journal
of Criminology and Penology 1 (1973), S. 69-97)
• Denkbare Einflussfaktoren für das Verhalten der
„Wärter“ im Stanford-Gefängnis-Experiment:
- Anonymität und Deindividuation
- Macht der Regeln und Vorschriften
- Rollen und Verantwortung für Übertretungen
- kognitive Dissonanz
- Bedürfnis sozialer Billigung
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Psychologie für Juristen
Attribution
• Grundsätzlich zweistufige Attribution: Menschen attribuieren zunächst internal
und überlegen dann, ob die internale Attribution durch eine externale
Attribution zu ersetzen ist. Dieser zweite Schritt wird aber oft nicht in
ausreichendem Maße durchgeführt.
• Folgerung für die strafrichterliche Praxis: Denkbare situative Faktoren müssen
bewusst und besonders gründlich erwogen werden.
• Insbesondere die Frage einer möglichen Notwehr- oder Notstandssituation
muss selbst beim schweigenden Angeklagten grundsätzlich erwogen und
verneint werden.
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Psychologie für Juristen
Attribution
• Vom „ultimativen Attributionsfehler“ spricht man, wenn die internale
Attribution nicht auf die Disposition einer konkreten Person als Individuum
gestützt wird, sondern auf vermeintliche Eigenschaften, die im Wege eines
Stereotyps gleich einer ganzen Gruppe von Menschen zugeschrieben
werden.
• Stereotyp: Generalisierungen über eine Gruppe von Personen, bei denen
allen Mitgliedern dieser Gruppe die gleichen Merkmale zugewiesen werden.
• Wirkungsweise von Stereotypen: Neigung, dispositionale Attributionen
bezüglich Menschen, die zu einer bestimmten Gruppe gehören, vorzunehmen
und dann auf ihre gesamte (z.B. ethnisch oder religiös definierte) Gruppe zu
verallgemeinern.
• Fehlende Daten werden häufig mit „Informationen“ aus dem Stereotyp
ausgefüllt; Informationen, die den eigenen Stereotypen widersprechen, werden
ab-, bestätigende Informationen aufgewertet (Fall eines Affirmation Bias).
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Attribution
• Weitere Attributionsverzerrungen:
• Selbstwertdienliche Attribution (self-serving bias): internale Attribution von
Erfolgen, externale Attribution von Misserfolgen
• Defensive Attributionen, z.B. „Glaube an die gerechte Welt“
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Soziale Rollen, soziale Normen, sozialer Einfluss
• Literatur: Aronson/Wilson/Akert, Sozialpsychologie, 8. Aufl. 2014, S. 280-285;
S. 324-332; Gerrig, Psychologie, 20. Aufl. 2015, S. 644-655, S. 661-664; 673678
• Gültigkeit impliziter und expliziter Regeln (Verhaltensrichtlinien für bestimmte
Umgebungen) in vielen Situationen
• Soziale Rollen: sozial definierte Verhaltensmuster, die von einer Person
erwartet werden, wenn sie in einer bestimmten Umgebung oder Gruppe
funktioniert
• Soziale Normen: Erwartungen hinsichtlich sozial akzeptierter
Verhaltensweisen und Einstellungen, die in den impliziten und expliziten
Regeln einer Gruppe verankert sind
• Während Normen Regeln für alle Mitglieder einer Gruppe angeben, legen
Rollen fest, wie sich Personen zu verhalten haben, die innerhalb der Gruppe
bestimmte Positionen einnehmen.
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Psychologie für Juristen
Soziale Rollen, soziale Normen, sozialer Einfluss
• Beispiel für eine implizite Regel: Man soll in Kommunikationssituationen nicht
schweigen.
• Problem beispielsweise für den schweigenden Angeklagten: Obwohl sein
Verhalten vom nemo-tenetur-Grundsatz gedeckt ist, besteht eine Tendenz,
Schweigen als Zugeständnis wahrzunehmen und als unhöflich zu empfinden.
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Psychologie für Juristen
Soziale Rollen, soziale Normen, sozialer Einfluss
• Konformität: Tendenz von Menschen, das Verhalten und die Meinungen
anderer Gruppenmitglieder zu übernehmen
• Die Stärke des normativen sozialen Einflusses innerhalb einer Gruppe hängt
nach Erkenntnissen der Social-Impact-Theorie von der Bedeutung der
Gruppe für die beeinflusste Person und der zeitlichen und räumlichen Nähe
der Gruppe während des Beeinflussungsversuchs ab. Von Bedeutung ist
daneben die Größe der Gruppe. In Klein- und Kleinstgruppen wächst der
Einfluss der Gruppe schnell bei steigender Gruppengröße, aber nur bis zu
einer Anzahl von vier oder fünf Mitgliedern.
• Bsp. für Gruppeneinfluss: Asch-Experimente (vgl. Asch, in: Scientific American
193 Nr. 5 (1955), S. 31-35)
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Soziale Rollen, soziale Normen, sozialer Einfluss
• Wenn eine Gruppe zusammen erfolgreich ist, wächst der Zusammenhalt der
Gruppe (sog. Gruppenkohäsion).
• Allerdings führt nicht umgekehrt auch wachsender Zusammenhalt zwingend zu
besseren Ergebnissen. Das ist der Fall, wenn die jeweilige Aufgabe eine enge
Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder erfordert.
• Wenn die Aufrechterhaltung guter Beziehungen innerhalb der Gruppe so stark
im Vordergrund steht, dass sie der Erarbeitung guter Lösungen im Wege steht,
wird der Gruppenzusammenhalt zum Problem.
• Besonders anfällig für schlechte Entscheidungen („Groupthink“) sind Gruppen
dann, wenn unter den Mitgliedern der Zusammenhalt sehr stark ist, sie von
anders lautenden Meinungen isoliert ist und es einen klaren Anführer der
Gruppe gibt, der seine Wünsche deutlich äußert.
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Soziale Rollen, soziale Normen, sozialer Einfluss
• Generell weisen Gruppen eine Tendenz zu Entscheidungen auf, die extremer
sind als diejenigen, die die Mitglieder jeweils für sich allein getroffen hätten
(Gruppenpolarisierung).
• Die Gruppenpolarisierung bewirkt eine weitere Verschiebung in Richtung der
schon anfänglich bestehenden Gruppentendenz.
• Vertritt innerhalb einer Gruppe noch eine weitere Person die eigene
Minderheitsmeinung, macht es das erhebliche einfacher, diese Meinung zu
vertreten.
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Soziale Rollen, soziale Normen, sozialer Einfluss
• Informationaler sozialer Einfluss kann für Juristen z.B. dann zum Problem
werden, wenn Zeugen miteinander über ihre Beobachtungen sprechen.
• Sozialer Einfluss zeigt sich auch im Hinblick auf Gehorsam gegenüber
Autoritäten: Weil Menschen gemocht werden wollen (Normeinfluss) und sich
korrekt verhalten wollen (Informationseinfluss), neigen sie dazu zu tun, wozu
sie aufgefordert werden.
• Bsp. für juristische Bedeutung des Einflusses von Gehorsam gegenüber
Autoritäten: Aufarbeitung von Verbrechen in Unrechtsregimen
• Bsp. für Gehorsam gegenüber Autoritäten: Milgram-Experimente (Milgram, in:
Journal of Abnormal and Social Psychology 67 Nr. 4 (1963), S. 371-378)
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