Korrespondenztheorie der Wahrheit

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Joachim Stiller
Korrespondenztheorie
der Wahrheit
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Korrespondenztheorie der Wahrheit
Dem Begriff Wahrheit werden verschiedene Bedeutungen zugeschrieben, wie
Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, einer Tatsache oder einem Sachverhalt, aber auch
einer Absicht oder einem bestimmten Sinn bzw. einer normativ als richtig ausgezeichneten
Auffassung („Truism“ oder Gemeinplatz) oder den eigenen Erkenntnissen, Erfahrungen und
Überzeugungen (auch „Wahrhaftigkeit“).
Das zugrundeliegende Adjektiv „wahr“ kann aber auch die Echtheit, Richtigkeit, Reinheit
oder Authentizität einer Sache, einer Handlung oder einer Person, gemessen an einem
bestimmten Begriff, beschreiben („Ein wahrer Freund“).[1] Alltagssprachlich kann man die
„Wahrheit“ von der Falschheit, der Lüge als absichtlicher Äußerung der Unwahrheit und dem
Irrtum als dem fälschlichen Fürwahrhalten abgrenzen.
Die Frage nach der Wahrheit gehört zu den zentralen Problemen der Philosophie und der
Logik und wird von verschiedenen Theorien unterschiedlich beantwortet. Dabei können grob
die Fragen nach einer Definition der Wahrheit und nach einem Kriterium dafür, ob etwas zu
Recht „wahr“ genannt wird, unterschieden werden. In bestimmten formalen Semantiken
werden Sätzen Wahrheitswerte zugeordnet, die das Erfülltsein in bestimmten Kontexten
beschreiben. Der etwa für die Grundlagen der Mathematik bedeutende Begriff der
Beweisbarkeit lässt sich mitunter mit solchen semantischen Wahrheitsbegriffen in
Verbindung bringen, ein Beweis demonstriert dann die Wahrheit.
Wortherkunft
Wahrheit ist als Abstraktum zum Adjektiv „wahr“ gebildet, das sich aus dem
indogermanischen Wurzelnomen (ig.) *wēr- „Vertrauen, Treue, Zustimmung“ entwickelt
hat.[2]
Wahrheit in der Philosophie
Dem Begriff der Wahrheit entsprechen in der Philosophie der Antike griechisch ἀλήθεια –
aletheia und lateinisch veritas. In modernen Theorieansätzen bezeichnet „Wahrheit“
üblicherweise eine Eigenschaft von Überzeugungen, Meinungen oder Äußerungen, die sich
auf jeden möglichen Wissensbereich (Alltagsgegenstände, Physik, Moral, Metaphysik etc.)
beziehen können.
Eine Eingrenzung des Bezugs wahrheitsfähiger Propositionen auf bestimmte
Gegenstandsbereiche, z.B. auf den Bereich derjenigen Gegenstände, die der Erfahrung
zugänglich sind, ist umstritten, ebenso wie die genaue Bestimmung der Objekte, welchen
diese Eigenschaft zugeschrieben wird (der „Wahrheitsträger“: Urteile, Überzeugungen,
Aussagen, Gehalte etc.). Aber auch die Natur der Wahrheit als Eigenschaft der
Wahrheitsträger ist Gegenstand von Debatten (z.B. Korrespondenz zu „Wahrmachern“, also
Gegenstände, Sachverhalte etc. oder „Kohärenz“ als Übereinstimmung mit anderen
Wahrheitsträgern). Ebenfalls strittig ist, wie wir Kenntnis von dieser Eigenschaft erhalten: nur
durch empirischen Wissenserwerb oder zumindest für bestimmte Gegenstände auch vorab, „a
priori“.
Unterschiedliche Ausarbeitungen von Wahrheitstheorien beantworten einige oder alle dieser
Fragen auf verschiedene Weise.
Schematischer Überblick
Position
Wahrheitsdefinition Wahrheitsträger
Wahrheitskriteriu
m
„Veritas
est
adaequatio intellectus
Ontologischet
rei“
metaphysische
Sachen in der Welt
Wahrheit
ist
die Denken
Korrespondenztheorie Übereinstimmung von
erkennendem
Verstand und Sache
Bewusstsein
DialektischÜbereinstimmung
(orthodoxer
materialistische
zwischen Bewusstsein Marxismus)
Praxis [3]
Widerspiegelungstheori und
objektiver oder
Aussage
e
Realität
(moderner
Marxismus)
Übereinstimmung der
logischen Struktur des
Logisch-empiristische
Struktur
der
Satzes mit der des von Satzstruktur
Bildtheorie
Sachverhalte
ihm
abgebildeten
Sachverhalts
Diskursuniversum
„x(p) ist eine wahre
Semantische Theorie
Satz
(der
Aussage dann und nur
(der
der Wahrheit
Objektsprache)
Objektsprache)
dann, wenn p“[4]
Der
Begriff
der
Wahrheit wird nur aus
stilistischen Gründen
verwendet, oder um
Redundanztheorie
Sätze
–
der
eigenen
Behauptung
Nachdruck
zu
verleihen.
das, was man tut, Handlung
/
Performative Theorie wenn man sagt, eine Sprechakt
/ eigenes Verhalten
Aussage sei wahr
Selbstverpflichtung
Widerspruchsfreiheit /
Kein Widerspruch
Ableitungsbeziehunge
von Aussage und
Kohärenztheorie
n einer Aussage zum Aussage
bereits
System akzeptierter
akzeptiertem
Aussagen
Aussage-System
diskursiv einlösbarer
begründeter
Geltungsanspruch, der
Konsens
unter
Aussage/Proposition[
Konsensustheorie
mit einem konstativen 5]
Bedingungen einer
Sprechakt verbunden
idealen
ist
Sprechsituation[6]
Die Korrespondenztheorie der Wahrheit
Die in der Philosophiegeschichte über weite Strecken dominierende Wahrheitstheorie war die
Korrespondenz- oder Adäquationstheorie der Wahrheit. Diese Theorie geht von Wahrheit als
Übereinstimmung gedanklicher Vorstellungen mit der Wirklichkeit aus. Ihre Vertreter
verstehen Wahrheit grundsätzlich als eine Relation zwischen zwei Bezugspunkten und
bezeichnen diese als Übereinstimmung, Entsprechung, Adäquation, Übereinkunft etc. Auch
die Relata werden unterschiedlich bestimmt: anima(Seele)/ens, Denken/Sein, Subjekt/Objekt,
Bewusstsein/Welt, Erkenntnis/Wirklichkeit, Sprache/Welt, Behauptung/Tatsache etc.
Die annähernd gegenteilige Sicht ist die des antiken Skeptizismus, der die Möglichkeit einer
gesicherten, nachweisbaren Erkenntnis von Wirklichkeit und Wahrheit in Frage stellt.
Aristoteles
Als erster Korrespondenztheoretiker wird vielfach Aristoteles genannt, der in seiner
Metaphysik formulierte:
„Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu
sagen, das Seiende sei und das Nichtseiende sei nicht, ist wahr. Wer also ein Sein oder NichtSein
prädiziert,
muss
Wahres
oder
Falsches
aussprechen.[7]
[…] Nicht darum nämlich, weil unsere Meinung, du seiest weiß, wahr ist, bist du weiß,
sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies behaupten.[8]“
Aristoteles spricht in dieser berühmten Formulierung allerdings nicht von Korrespondenz
oder Adäquation. Daher gibt es über die Zuordnung des Aristoteles zur Korrespondenztheorie
keinen wissenschaftlichen Konsens.
Thomas von Aquin
Innerhalb der mittelalterlichen Philosophie[9] ist Thomas von Aquin einer der bekanntesten
Vertreter einer Korrespondenz- oder Adäquationstheorie der Wahrheit.[10] In den Quaestiones
disputatae de veritate findet sich die klassische Formulierung der ontologischen
Korrespondenztheorie der Wahrheit als „adaequatio rei et intellectus (Übereinstimmung der
Sache mit dem Verstand)“:[11]
„Respondeo dicendum quod veritas
consistit in adaequatione intellectus et rei
[…]. Quando igitur res sunt mensura et
regula intellectus, veritas consistit in hoc,
quod intellectus adaequatur rei, ut in nobis
accidit, ex eo enim quod res est vel non est,
opinio nostra et oratio vera vel falsa est.
Sed quando intellectus est regula vel
mensura rerum, veritas consistit in hoc,
quod res adaequantur intellectui, sicut
dicitur artifex facere verum opus, quando
concordat arti.“[12][13]
„Ich antworte, es sei zu sagen, dass Wahrheit in
der Übereinstimmung von Verstand und Sache
besteht […]. Wenn daher die Sachen Maß und
Richtschnur des Verstandes sind, besteht
Wahrheit darin, dass sich der Verstand der
Sache angleicht, wie das bei uns der Fall ist;
aufgrund dessen nämlich, dass die Sache ist
oder nicht ist, ist unsere Meinung und unsere
Rede davon wahr oder falsch. Wenn aber der
Verstand Richtschnur und Maß der Dinge ist,
besteht Wahrheit in der Übereinstimmung der
Dinge mit dem Verstand; so sagt man, der
Künstler verfertige ein wahres Kunstwerk, wenn
es seiner Kunstvorstellung entspricht.“
Den Hintergrund dieser Wahrheitsdefinition stellt ein dreifaches Verständnis von Wahrheit
dar:[14]
•
•
•
von der Seite der Übereinstimmung aus (ontologische Wahrheit);
von der Seite des erkennenden Subjekts aus, dessen Wissen mit dem Seienden
übereinstimmt (logische Wahrheit) – ausgedrückt in der Formel „adaequatio
intellectus ad rem“
von der Seite des erkannten Objekts aus, dessen Sein mit dem Wissen des
erkennenden Subjekts übereinstimmt (ontische Wahrheit) – ausgedrückt in der Formel
„adaequatio rei ad intellectum“
Neuzeit, Kant
Ein korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff wurde bis ins 19. Jahrhundert sehr oft
vertreten. So erklärt z. B. Kant in der Kritik der reinen Vernunft: „Die Namenerklärung der
Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei,
wird hier geschenkt, und vorausgesetzt“ (A 58 / B 82). Kant selbst vertritt jedoch eine
differenziertere Theorie der Wahrheit, die von der Quelle der jeweiligen Erkenntnis abhängt.
So vertritt er für Einzelurteile über Erfahrungsobjekte einen Verifikationismus
(Korrespondenz zwischen Erfahrung und Denken), dieser kann jedoch durch die Bedingungen
der Kohärenz der Erfahrungen eingeschränkt oder sogar aufgehoben werden. Für allgemeine
Erfahrungsurteile und Naturgesetze einen gemäßigten Fallibilismus.
Neuthomismus
In der neueren Philosophie verteidigen die Korrespondenztheorie vor allem die Neuthomisten
(Emerich Coreth, Karl Rahner, Johannes Baptist Lotz). Wahrheit bezeichnet dort generell eine
Übereinstimmungs- bzw. Angleichungsbeziehung zwischen dem Wissen eines erkennenden
Subjekts und einem Seienden, auf das sich dieses Wissen bezieht. Coreth definiert Wahrheit
in typischer Formulierung als „Übereinstimmung zwischen dem Wissen und dem
Seienden“.[15] Den Hintergrund bildet die Auffassung von einer grundsätzlichen Identität von
Sein und Wissen: „Sein ist ursprünglich und eigentlich Sich-Wissen, wissendes Bei-sich-Sein
im geistigen Vollzug“.[16]
Dialektisch-materialistische Widerspiegelungstheorie
Marx formuliert mit dem Dialektischen Materialismus eine Widerspiegelungstheorie der
Wahrheit. Wahrheit ist demnach eine Übereinstimmung des Bewusstseins mit dem bewussten
Objekt. Sie steht im Dienst der Praxis und wird allein daran gemessen. Marx drückt dies in
seiner zweiten These über Feuerbach aus:
„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine
Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die
Wahrheit, i. e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit
über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist
eine rein scholastische Frage.[17]“
Während im orthodoxen Marxismus das Bewusstsein als „Abbild“ des Sachverhalts
angenommen wird, gehen neuere Richtungen dazu über, diese Funktion sprachlichen
Gebilden wie Aussagen zuzuschreiben:
„Sie [die Wahrheit] wird definiert als Eigenschaft der Aussagen, mit dem widergespiegelten
Sachverhalt übereinzustimmen.[18]“
Die Wahrheit stellt immer ein Verhältnis dar – nämlich das Verhältnis von dem abgebildeten
Objekt im Bewusstsein und dem Objekt selbst. Falls die Widerspiegelung adäquat ist, spricht
man hier von (relativer) Wahrheit. Das Kriterium hierfür ist die Praxis. Der dialektische
Materialismus unterscheidet die relative Wahrheit von der absoluten Wahrheit. Beide werden
als dialektische Einheit angesehen: Eine absolute Wahrheit ist danach z. B. die Abstammung
des Menschen von den Tieren. Die Relativität dieser Wahrheit ergibt sich z. B. aus der
Entwicklung der Erkenntnis der Menschheit, welche die Naturprozesse immer vollkommener
nachvollzieht und somit „neue“, genauere, höhere Wahrheiten herausfindet. Darwins These
gilt als absolut wahr, doch sie kann ergänzt und immer genauer bestimmt werden.
Demzufolge erlangen die Menschen eine immer höhere relative Wahrheit auf der Basis
absoluter Wahrheiten. Eine endgültige, ewige Wahrheit gibt es im dialektischen
Materialismus nicht.
Logisch-empiristische Bildtheorie
Auch innerhalb des Logischen Empirismus findet sich eine Abbildtheorie der Wahrheit.
Klassisch wird diese im Werk des frühen Wittgenstein ausgearbeitet. Im Tractatus LogicoPhilosophicus[19] geht Wittgenstein zunächst davon aus, dass wir uns Bilder von der
Wirklichkeit machen. Sie sind ein „Modell der Wirklichkeit“ (2.12). Bilder drücken sich in
Gedanken aus, deren Gestalt „der sinnvolle Satz“ darstellt (4).
Wittgenstein definiert die Wirklichkeit als „die Gesamtheit der Tatsachen“ (1.1). Tatsachen
sind bestehende Sachverhalte, die von bloßen, nicht bestehenden Sachverhalten zu
unterscheiden sind (2.04–2.06). Sie bestehen aus Gegenständen oder Dingen und der
Verbindung zwischen ihnen (2.01). Auch der Satz ist eine Tatsache (3.14). Eine Tatsache
wird zum Bild durch die „Form der Abbildung“, die sie mit dem Abgebildeten gemeinsam
hat. Wittgenstein versucht, dies an folgendem Beispiel deutlich zu machen:
„Die Grammophonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift, die Schallwellen,
stehen alle in jener abbildenden Beziehung zueinander, die zwischen Sprache und Welt
besteht.“
– Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus. 4.014.
Ebenso wie die Notenschrift ein Bild der durch sie dargestellten Musik ist, stellt der Satz „ein
Bild der Wirklichkeit“ dar (4.021). Ein Satz besteht aus Namen und den Beziehungen
zwischen ihnen. Er ist wahr, wenn die in ihm enthaltenen Namen auf reale Gegenstände
referieren und die Beziehung zwischen den Namen der zwischen den referierten
Gegenständen entspricht.
Probleme der Korrespondenztheorie
In der Korrespondenztheorie wird Wahrheit als eine zweistellige Relation der Form aRb
gedacht. Bei all diesen drei Strukturmomenten ergeben sich Probleme, die um die Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert verstärkt thematisiert wurden, was zur Entwicklung alternativer
Wahrheitstheorien führte.
So gibt es Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Wahrheitsträgers (truthbearer). Um
welche Gegenstände oder Entitäten handelt es sich, die mit den Tatsachen oder der
Wirklichkeit übereinstimmen sollen, und die wir in diesem Sinne wahr nennen?
Auf der anderen Seite stellt sich die Frage nach dem Wahrmacher (truthmaker), nämlich von
welcher Art dasjenige ist, womit Aussagen übereinstimmen müssen, um wahr zu sein. Es
herrscht zwar unter den Korrespondenztheoretikern weitgehende Einigkeit darüber, dass es
sich bei den Wahrmachern um Tatsachen handelt, allerdings besteht Uneinigkeit darüber, was
Tatsachen eigentlich sind. So drückt Günther Patzig eine in der analytischen Philosophie weit
verbreitete Ansicht aus, dass man weder den allgemeinen Begriff der Tatsache definieren
noch einzelne Tatsachen identifizieren könne, ohne auf Aussagen zu rekurrieren. Tatsachen
müssten daher als erfüllte Wahrheitsbedingungen von Sätzen angesehen werden.[20] Für die
Korrespondenztheorie ergibt sich daraus das Dilemma, dass sie in einen definitorischen Zirkel
gerät, da der Begriff der Tatsache bereits den Begriff der Wahrheit enthält, den es eigentlich
erst zu definieren gilt:
„Dabei ist es wichtig zu sehen, daß es zunächst ganz unklar ist, ob das, was Tatsachen sind,
über W.[ahrheit], oder ob W.[ahrheiten] über Tatsachen zu erläutern sind. Eben daher ist eine
Definition, nach welcher wahr sei, was mit den Tatsachen übereinstimmt, ebenso richtig wie
leer: Es handelt sich um eine Tautologie […].[21]“
Das dritte Problem betrifft die Korrespondenzrelation selbst. Dies zeigt sich bereits daran,
dass zu ihrer Beschreibung in den verschiedenen Theorien eine Vielzahl an Ausdrücken
verwendet wurde: Korrespondenz, Entsprechung, Übereinstimmung, Adäquation, Abbildung
oder Widerspiegelung.
Gegen das Konzept einer echten bildlichen Beziehung gab es den Einwand, dass unklar
bleibe, wie die Übereinstimmungsrelation von zwei so unterschiedlichen „Entitäten“ wie
Wissen und Gegenstand überhaupt gedacht werden soll (z. B. zwischen meinem Wissen, dass
der konkrete Gegenstand vor mir rot ist und dem Gegenstand selbst). Um diese
Schwierigkeiten zu umgehen, versuchten Vertreter von sprachanalytisch orientierten
Korrespondenztheorien, die Relation zwischen Aussagen und Tatsachen abstrakter als
Strukturgleichheit oder Isomorphie zu fassen. Auch dieses Konzept erweist sich jedoch
bereits bei einfachen Beispielen als problematisch, da in vielen Fällen eine eindeutige
Zerlegung einer Tatsache in ihre Elemente nicht möglich zu sein scheint:
„Nehmen wir das in der Wahrheitsdiskussion seit langem notorische Beispiel: Die Katze ist
auf der Matte. Diese Aussage kann man vielleicht noch halbwegs plausibel in ihre
Bestandteile zerlegen. Aber wie steht es mit der entsprechenden Tatsache? Kann man wirklich
sagen, daß diese Tatsache aus den und den Bestandteilen besteht, etwa aus der Katze, der
Matte und einer bestimmten räumlichen Relation?[22]“
Auf noch größere Schwierigkeiten stößt man zum Beispiel bei negativen Aussagen und ihrem
Pendant auf Seiten der Tatsachen. Worin besteht etwa die Übereinstimmung, wenn ich
erkenne, dass ein bestimmter Gegenstand nicht vorhanden ist bzw. dass ihm bestimmte
Eigenschaften nicht zukommen? Wie soll man sich eine Übereinstimmung mit etwas nicht
Bestehendem denken? Noch schwieriger lassen sich irreale Konditionalsätze interpretieren
wie: „Wenn ich dies nicht getan hätte, wäre jenes (vielleicht) nicht passiert.“
Dennoch ist Karen Gloy zuzustimmen: „Das adaequatio-Verständnis der Wahrheit ist
zweifellos das bekannteste und verbreitetste, das sowohl unser alltägliches,
vorwissenschaftliches Denken wie auch unser wissenschaftliches beherrscht.“ Im Alltag stellt
die (vage) Rede von der Übereinstimmung einer sprachlichen Aussage mit einem objektiven
Sachverhalt oft kein Problem dar.
Sprachanalytisch orientierte Wahrheitstheorien
Mit dem Aufkommen der sprachanalytischen Philosophie erwachte im 20. Jahrhundert wieder
ein verstärktes Interesse an der Wahrheitsproblematik. Der Begriff der Wahrheit wurde
teilweise innerhalb hochkomplexer Wahrheitstheorien ausgebaut. Die dabei vertretenen
Positionen unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Frage, welchen „Gegenständen“ der
Prädikator „wahr“ zugesprochen werden kann als auch hinsichtlich der Kriterien, wann von
Wahrheit gesprochen werden kann.
In diesen Theorien wird Wahrheit nicht mehr wie bei der Korrespondenztheorie als
Eigenschaft des Bewusstseins oder Denkens, sondern als Eigenschaft von sprachlichen
Gebilden wie Sätzen oder Propositionen aufgefasst.
Semantische Theorie der Wahrheit
Die einflussreichste sprachanalytisch orientierte Theorie ist die semantische Wahrheitstheorie
von Alfred Tarski (auch logisch-semantische oder formal-semantische Wahrheitstheorie).
Tarskis Ziel ist eine Definition der Wahrheit im Anschluss an den Gebrauch der
Umgangssprache und in Präzisierung der Korrespondenztheorie. Darüber hinaus gibt er
zusätzlich an, wie und unter welchen Bedingungen von einem vorgelegten Ausdruck
bewiesen werden kann, dass er wahr sei.
Für Tarski bezieht sich der Begriff der Wahrheit stets auf eine bestimmte Sprache. Zur
Vermeidung von Antinomien schlägt Tarski vor, die semantischen Prädikate wie „wahr“ oder
„falsch“ einer jeweiligen Metasprache vorzubehalten. In dieser Metasprache sollen mit
„wahr“ oder „falsch“ Aussagen bezeichnet werden, die in einer von der Metasprache
getrennten Objektsprache formuliert sind. Da für jede Sprache L das Prädikat „wahr in L“ aus
L selbst verbannt werden soll, kommt es zu einer Hierarchisierung der Sprachen, für die
Wahrheitsprädikate widerspruchsfrei definiert werden können.
Für seine Definition geht Tarski vom Begriff der Erfüllung aus. In der Logik erfüllt ein
Subjekt eine Aussagefunktion, wenn die Funktion durch Einsetzen des Namens des Subjekts
wahr wird. Hier wird also der Begriff „Erfüllung“ mittels des Begriffs „wahr“ definiert. Diese
Definition kann man umdrehen und sagen: Wahr ist eine Aussage, wenn ihr Subjekt die
Aussagefunktion erfüllt. Der Begriff "Erfüllung" muss jetzt aber zur Vermeidung eines
Zirkels ohne Rekurs auf den Begriff „wahr“ definiert werden. Nach Tarski ist dies möglich:
Ein Subjekt erfüllt eine Aussagefunktion, wenn ihm die im Prädikat ausgedrückte Eigenschaft
zukommt, also:
„(T) x(p) ist eine wahre Aussage dann und nur dann, wenn p[4]“
Bei dieser „Äquivalenz der Form (T)“ handelt es sich nach Tarski nicht um eine Definition
der Wahrheit, da hier keine Aussage, sondern nur das Schema einer Aussage – eine
Aussageform – vorliegt:
„Wir können nur sagen, daß jede Äquivalenz der Form (T), die wir nach Ersetzung von ‚p‘
durch eine partikuläre Aussage und von ‚X‘ durch den Namen dieser Aussage erhalten, als
eine partielle Definition der Wahrheit betrachtet werden kann, die erklärt, worin die Wahrheit
dieser einen individuellen Aussage besteht. Die allgemeine Definition muß in einem gewissen
Sinne die logische Konjunktion all dieser partiellen Definitionen sein.[23]“
Zum Nachweis der Wahrheit eines konkreten Satzes geht man laut Tarski von einer Liste von
Fundamentalaussagen aus, die als erfüllt vorausgesetzt werden. Diese Fundamentalaussagen
sind Axiome oder Beobachtungsdaten, die den Anschluss an die Wirklichkeit darstellen.
Gelingt es mit Hilfe der Logik, den fraglichen Satz aus den Fundamentalaussagen abzuleiten,
ist auch er erfüllt.[24]
Eine allgemeine Definition von Wahrheit ist für Tarski nur im Rahmen formaler Sprachen
möglich. In der normalen Sprache kann immer nur geklärt werden, „worin die Wahrheit
dieser einen individuellen Aussage besteht.“[23] So auch in seinem berühmt gewordenen
Beispiel: „‚Es schneit‘ ist eine wahre Aussage dann und nur dann, wenn es schneit“.[4] Er sagt
jedoch:
„Die für formalisierte Sprachen gewonnenen Ergebnisse haben auch in Bezug auf die
Umgangssprache eine gewisse Geltung, und zwar dank des Universalismus der letzteren:
indem wir eine beliebige Definition einer wahren Aussage […] in die Umgangssprache
übersetzen, erhalten wir eine fragmentarische Definition der Wahrheit.[25]“
Scheinbar bezieht sich diese Definition auf eine Korrespondenz zwischen Aussage („es
schneit“) und Tatsache („wenn es schneit“), sodass häufig angenommen wird, der logischsemantische Wahrheitsbegriff Tarskis gehe vom Gedanken der Korrespondenz aus. Mag dies
auch Tarskis Ziel, einer Präzisierung der Korrespondenztheorie, entsprechen, so wurde doch
eingewandt, Tarskis Theorie basiere systematisch auf der Annahme, dass „die Rahmentheorie,
die axiomatische Mengenlehre konsistent ist, also keinen Widerspruch, keine Formel der
Form ‚A und non-A‘ gemäß der Schlußregeln der klassischen Logik zu deduzieren
erlaubt.“[26] Daher beruhe die „oft so genannte ‚Korrespondenztheorie‘ der W.[ahrheit] der
Tarski-Nachfolge auf einer reinen Kohärenztheorie“.[26] Dennoch ist Tarskis Einfluss nicht zu
leugnen:
„Wie kaum eine andere hat diese Wahrheitstheorie in der neueren Philosophie breite
Resonanz gefunden und sich problemlos, nahezu von selbst, in die Wissenschaftstheorie wie
in die Metamathematik […] eingefügt. Den tarskischen Wahrheitsbegriff benutzen heute alle
modernen Wahrheitstheorien.[27]“
Joachim Stiller
Münster,, 2015
Ende
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